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Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Supremo (Spanien), eingereicht am 11. März 2021 – Ministerio Fiscal, Abogacía del Estado, Partido político VOX/Lluís Puig Gordi, Carles Puigdemont Casamajó, Antoni Comín Oliveres, Clara Ponsatí Obiols, Meritxell Serret Aleu, Marta Rovira Vergés, Anna Gabriel Sabaté

(Rechtssache C-158/21)

Verfahrenssprache: Spanisch

Vorlegendes Gericht

Tribunal Supremo

Parteien des Ausgangsverfahrens

Ankläger: Ministerio Fiscal, Abogacía del Estado, Partido político VOX

Angeklagte: Lluís Puig Gordi, Carles Puigdemont Casamajó, Antoni Comín Oliveres, Clara Ponsatí Obiols, Meritxell Serret Aleu, Marta Rovira Vergés, Anna Gabriel Sabaté

Vorlagefragen

Gibt der Rahmenbeschluss 2002/584/JI1 der vollstreckenden Justizbehörde die Möglichkeit, die Übergabe der gesuchten Person mittels eines Europäischen Haftbefehls auf der Grundlage der Ablehnungsgründe, die in ihrem nationalen Recht vorgesehen, aber als solche nicht im Rahmenbeschluss enthalten sind, abzulehnen?

Bei Bejahung der vorstehenden Frage sowie zur Gewährleistung der Durchführbarkeit eines Europäischen Haftbefehls und zur angemessenen Inanspruchnahme des in Art. 15 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI vorgesehenen Mechanismus:

Hat die ausstellende Justizbehörde die Rechte der verschiedenen Staaten zu prüfen und zu untersuchen, um etwaige Gründe für die Ablehnung eines Europäischen Haftbefehls zu berücksichtigen, die im Rahmenbeschluss 2002/584/JI nicht vorgesehen sind?

Unter Berücksichtigung der Antworten auf die vorstehenden Fragen sowie der Tatsache, dass nach Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI die Zuständigkeit der ausstellenden Justizbehörde für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch das Recht des Ausstellungsstaats festgelegt ist:

Ist der genannte Art. 6 Abs. 1 in dem Sinne auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde die Zuständigkeit der ausstellenden Justizbehörde für die konkrete Strafsache anzweifeln und die Übergabe mit der Begründung ablehnen kann, dass ihrer Auffassung nach die ausstellende Justizbehörde für die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls nicht zuständig ist?

Im Hinblick auf die Möglichkeit der vollstreckenden Justizbehörde, zu prüfen, ob die Grundrechte der gesuchten Person im Ausstellungsstaat gewahrt werden:

4.1.     Gibt der Rahmenbeschluss 2002/584/JI der vollstreckenden Justizbehörde die Möglichkeit, die Übergabe der gesuchten Person mit der Begründung abzulehnen, dass sie auf der Grundlage eines Berichts der Arbeitsgruppe, der der nationalen Vollstreckungsbehörde von der gesuchten Person selbst vorgelegt wurde, der Ansicht ist, dass die Gefahr einer Verletzung der Grundrechte dieser Person im Ausstellungsmitgliedstaat besteht?

4.2.     Für die Zwecke der vorstehenden Frage: Stellt ein solcher Bericht eine objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angabe dar, die im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Ablehnung der Übergabe der gesuchten Person aufgrund der ernsthaften Gefahr einer Verletzung ihrer Grundrechte zu rechtfertigen vermag?

4.3.     Bei Bejahung der vorstehenden Frage: Über welche Anhaltspunkte muss der Mitgliedstaat nach dem Unionsrecht verfügen, um den Schluss ziehen zu können, dass im ausstellenden Mitgliedstaat die von der gesuchten Person geltend gemachte Gefahr einer Verletzung von Grundrechten besteht und die Ablehnung [der Vollstreckung] des Europäischen Haftbefehls rechtfertigt?

Hat es einen Einfluss auf die Beantwortung der vorstehenden Fragen, dass die Person, um deren Übergabe ersucht wird, in der Lage war, vor den Gerichten des Ausstellungsstaats die Gewährleistung ihrer Grundrechte geltend zu machen sowie die Zuständigkeit der ausstellenden Justizbehörde und den Haftbefehl anzufechten, und zwar in zwei Rechtszügen?

Ist es für die Beantwortung der vorstehenden Fragen von Bedeutung, wenn die vollstreckende Justizbehörde einen Europäischen Haftbefehl aus Gründen ablehnt, die im Rahmenbeschluss 2002/584/JI nicht ausdrücklich vorgesehen sind, insbesondere weil die ausstellende Justizbehörde unzuständig sei und die ernsthafte Gefahr einer Verletzung der Grundrechte im Ausstellungsstaat bestehe, und wenn sie dies tut, ohne von der ausstellenden Justizbehörde die spezifischen zusätzlichen Informationen anzufordern, die diese Entscheidung beeinflussen könnten?

Ergibt sich aus den Antworten auf die vorstehenden Fragen, dass der Rahmenbeschluss 2002/584/JI unter den Umständen des vorliegenden Falles der Ablehnung der Übergabe einer Person unter Berufung auf die genannten Ablehnungsgründe entgegensteht?

Würde der Rahmenbeschluss 2002/584/JI das Tribunal Supremo daran hindern, einen neuen Europäischen Haftbefehl gegen dieselbe Person und vor demselben Mitgliedstaat zu erlassen?

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1     Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1).