Language of document : ECLI:EU:C:2024:219

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 7. März 2024(1)

Rechtssache C774/22

JX

gegen

FTI Touristik GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Nürnberg [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Gerichtliche Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Gerichtsstand – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Anwendungsbereich – Klage, die einen Auslandsbezug aufweist – Begriff – Zuständigkeit bei Verbrauchersachen – Kapitel 2 Abschnitt 4 – Pauschalreisevertrag zwischen einem Verbraucher und einem Reiseveranstalter – Vertragsparteien mit Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat – Vertrag, der zum Zweck einer Reise ins Ausland geschlossen wurde“






I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wurde vom Amtsgericht Nürnberg (Deutschland) vorgelegt und betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2) (im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung).

2.        Es ergeht im Rahmen einer Klage eines Verbrauchers mit Wohnsitz in Deutschland gegen einen in demselben Staat ansässigen Reiseveranstalter wegen eines Vertrags über eine von diesem Verbraucher gebuchte Pauschalreise ins Ausland. Dem Verbraucher sind insoweit Nachteile entstanden, die angeblich darauf beruhen, dass der Reiseveranstalter seinen rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Brüssel‑Ia-Verordnung auf einen solchen Rechtsstreit anwendbar ist, so dass der Verbraucher sich auf die in dieser Verordnung vorgesehenen zuständigkeitsrechtlichen Schutzvorschriften berufen kann.

3.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist aus zwei Gründen von Bedeutung. Zum einen eröffnet es dem Gerichtshof die Möglichkeit, wertvolle Erläuterungen zum Anwendungsbereich der Brüssel‑Ia-Verordnung und zur Wirkungsweise dieser besonderen Vorschriften zu geben. Zum anderen wird die Antwort des Gerichtshofs für Reisende und Unternehmen im Tourismussektor, in dem solche Rechtsstreitigkeiten häufig entstehen, von Bedeutung sein.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Die BrüsselIa-Verordnung

4.        Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung sieht vor: „Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

B.      Deutsches Recht

5.        § 12 („Allgemeiner Gerichtsstand; Begriff“) der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO) bestimmt: „Das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, ist für alle gegen sie zu erhebenden Klagen zuständig, sofern nicht für eine Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist.“

6.        § 17 („Allgemeiner Gerichtsstand juristischer Personen“) ZPO sieht in Abs. 1 vor: „Der Gerichtsstand der … Gesellschaften … wird durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfrage

7.        JX ist eine Privatperson mit Wohnsitz in Nürnberg (Deutschland). Er schloss am 15. Dezember 2021 über ein in Nürnberg ansässiges Reisebüro mit der FTI Touristik GmbH (im Folgenden: FTI), einem in München (Deutschland) ansässigen Reiseveranstalter, einen Pauschalreisevertrag über eine Reise in ein Drittland.

8.        Später erhob JX beim Amtsgericht Nürnberg Klage gegen FTI. Er trägt vor, nicht ordnungsgemäß über die Einreise- und Visumerfordernisse in dem betreffenden Land aufgeklärt worden zu sein, und macht Schadensersatz in Höhe von 1 499,86 Euro geltend.

9.        Das angerufene Gericht sei, als das Gericht des Ortes, an dem er seinen Wohnsitz habe, gemäß Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung sowohl international als auch (innerstaatlich) örtlich für seine Klage zuständig. FTI rügt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und beantragt, die Klage aus diesem Grund abzuweisen. Die Bestimmungen der Brüssel‑Ia-Verordnung seien auf rein innerstaatliche Sachverhalte nicht anwendbar. Der in Rede stehende Rechtsstreit sei als ein solcher Sachverhalt anzusehen, da beide Parteien in demselben Mitgliedstaat ansässig seien. Vielmehr kämen die Vorschriften der ZPO zur Anwendung, wonach andere Gerichte zuständig seien.

10.      Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Nürnberg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin gehend auszulegen, dass die Vorschrift neben der Regelung der internationalen Zuständigkeit auch eine durch das entscheidende Gericht zu beachtende Regelung über die örtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Reisevertragssachen trifft, wenn sowohl der Verbraucher als Reisender als auch sein Vertragspartner, der Reiseveranstalter, ihren Sitz im gleichen Mitgliedstaat haben, das Reiseziel aber nicht in diesem Mitgliedstaat, sondern im Ausland liegt (sogenannte „unechte Inlandsfälle“), mit der Folge, dass der Verbraucher vertragliche Ansprüche gegen den Reiseveranstalter in Ergänzung nationaler Zuständigkeitsvorschriften an seinem Wohnsitzgericht einklagen kann?

11.      FTI, die tschechische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV.    Würdigung

12.      Hintergrund der vorliegenden Rechtssache ist der Nachteil, den ein Verbraucher in Bezug auf eine Reise erlitten hat, die ihm von einem Reiseanbieter als „Pauschalreise“(3) verkauft worden ist. Leider kommt ein solcher Sachverhalt recht häufig vor. Der Tourismus ist in den vergangenen rund drei Jahrzehnten zu einer Massenindustrie geworden, und diese „Pakete“ machen einen bedeutenden Teil des Reisemarkts aus. Während viele Verbraucher von der Bequemlichkeit angezogen werden, die eine solches „Paket“ in Bezug auf Reiseleistungen bietet, werden die mit einem solchen Paket verbundenen Versprechen nicht immer eingelöst. Allzu häufig sind Reisende (wie offenbar auch JX(4)) während der Reise zu ihrem Urlaubsziel Problemen ausgesetzt, stellen bei der Ankunft fest, dass das Hotel den Anforderungen nicht entspricht, oder, schlimmer noch, erleiden vor Ort Unfälle mit Schadensfolgen, die auf der Fahrlässigkeit schlecht ausgewählter örtlicher Veranstalter beruhen(5).

13.      Um Reisende vor solchen Nachteilen zu schützen, hat der Unionsgesetzgeber die Richtlinie über Pauschalreisen erlassen. Dieser Rechtsakt sieht in Bezug auf solche Pakete wichtige Verbraucherrechte und entsprechende Pflichten für Reiseveranstalter vor. Unter anderem verpflichtet er Reiseveranstalter, Reisenden vor dem Abschluss eines Vertrags Informationen u. a. über Pass- und Visumerfordernisse des vorgesehenen Bestimmungslands zu erteilen(6). Im Ausgangsverfahren ist JX der Ansicht, dass FTI diese Informationspflicht zu seinem Nachteil nicht erfüllt habe, und verlangt Abhilfe. Aus diesem Grund hat er vor dem vorlegenden Gericht, das das Gericht seines Wohnsitzes in Nürnberg ist, Klage erhoben.

14.      Im gegenwärtigen, dem eigentlichen Verfahren vorausgehenden Stadium des Ausgangsverfahrens hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob es für die Entscheidung des Rechtsstreits überhaupt zuständig ist. Es fragt sich, ob Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung insoweit von Bedeutung ist. Diese Bestimmung, die Teil eines Abschnitts dieser Verordnung ist, der Verfahren im Zusammenhang mit bestimmten Verbraucherverträgen betrifft, nämlich Abschnitt 4 des Kapitels II (im Folgenden: Abschnitt 4), enthält zwei Zuständigkeitsvorschriften zugunsten des Verbrauchers, sofern dieser als Kläger handelt. Konkret kann die Klage eines Verbrauchers gegen „den anderen Vertragspartner“ (d. h. gegen den Gewerbetreibenden) nach Art. 18 Abs. 1 entweder (i) „vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat“ (forum rei), erhoben werden oder „vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“ (forum actoris).

15.      Die Frage des vorlegenden Gerichts stellt die Forum-actoris-Regel gemäß Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung in den Mittelpunkt und wirft insoweit zwei Probleme auf. Zunächst möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Regel auf eine Klage wie diejenige anwendbar ist, die JX gegen FTI erhoben hat. Für den Fall, dass dem so ist, fragt das vorlegende Gericht ferner, ob diese Regel nur die (internationale) Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, begründet, während nach den Verfahrensvorschriften dieses Staates bestimmt wird, welches Gericht auf dem Hoheitsgebiet dieses Staates (örtlich) für die Entscheidung über eine solche Klage zuständig ist, oder ob die Regel die (internationale wie auch die örtliche) Zuständigkeit unmittelbar dem Gericht an diesem Wohnsitz zuweist.

16.      Diesen Fragen liegen pragmatische Überlegungen zugrunde. Wenn die streitige Regel auf die von JX gegen FTI erhobene Klage anwendbar ist und sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt, ist das vorlegende Gericht aus diesem Grund für die Entscheidung der Rechtssache zuständig (da es sich, woran erinnert sei, um das Gericht des Wohnsitzes dieses Verbrauchers handelt). Wenn hingegen diese Regel für diese Klage nicht gilt oder wenn sie den deutschen Gerichten nur die (internationale) Zuständigkeit zuweist, ist das vorlegende Gericht unzuständig. In beiden Fällen würden die deutschen Verfahrensvorschriften die (örtliche) Zuständigkeit dem Gericht des Sitzes der Beklagten in München zuweisen(7).

17.      Wie ich in den folgenden Nummern erläutern werde, besteht kein Zweifel, dass die in Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung vorgesehene Forum-actoris-Regel für Verbraucher die (internationale wie auch die örtliche) Zuständigkeit dem Gericht des Wohnsitzes des Verbrauchers zuweist (Abschnitt A). Jedoch ist diese Regel nur auf Fälle anwendbar, die einen Auslandsbezug aufweisen (Abschnitt B). Darin liegt der Kern der vorliegenden Rechtssache: Es besteht in der Tat Unsicherheit darüber, ob dieses Erfordernis erfüllt ist, wenn beide Parteien (Verbraucher und Gewerbetreibender) ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben und der einzige Auslandsbezug das Reiseziel ist, in Bezug auf das der streitige Pauschalreisevertrag abgeschlossen wurde (Abschnitt C).

A.      Die Forum-actoris-Regel für Verbraucher bestimmt sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit

18.      Die Zweifel des vorlegenden Gerichts in Bezug auf die Funktion der Forum-actoris-Regel für Verbraucher erfordern eine rasche Antwort. Diese ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia‑Verordnung. Ein Vergleich der beiden Regeln, die diese Vorschrift enthält, ist insoweit aufschlussreich. Die Forum-rei-Regel bezieht sich auf die „[Gerichte] des Mitgliedstaats“, in dem der Gewerbetreibende seinen Wohnsitz hat. Hingegen verweist die Forumactoris-Regel auf das „Gericht des Ortes“, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Dieser terminologische Unterschied ist nicht nebensächlich. Er soll gerade zum Ausdruck bringen, dass die erste Regel lediglich dem Gerichtssystem des gewählten Staates – in seiner Gesamtheit – die (internationale) Zuständigkeit zuweist, wohingegen die zweite Regel die (internationale wie auch die örtliche) Zuständigkeit des Gerichts des Wohnsitzes des Verbrauchers begründet, unabhängig von der in den Verfahrensvorschriften dieses Staates im Übrigen vorgesehenen Verteilung der Zuständigkeiten(8).

19.      Entgegen dem Vorbringen von FTI spiegelt diese Auslegung genau die Absicht des Unionsgesetzgebers wider. Dieser wollte es dem Verbraucher mit der streitigen Regelung ermöglichen, „möglichst nah an seinem Wohnsitz“ Klage zu erheben(9). Würde nach den Verfahrensvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, bestimmt, welches Gericht innerhalb dieses Staates für die Entscheidung über die Klage des Verbrauchers zuständig ist, könnte dieses Ziel oft nicht erreicht werden, gerade weil diese Vorschriften in Mitgliedstaaten wie Deutschland auf das Gericht am Sitz des Gewerbetreibenden verweisen würden, das weit vom Wohnsitz des Verbrauchers entfernt sein kann (ein Gesichtspunkt, auf den ich später zurückkommen werde)(10).

B.      Die Forum-actoris-Regel für Verbraucher gilt nur für Rechtssachen, die einen Auslandsbezug aufweisen

20.      Damit die in Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung aufgestellte Forum-actoris-Regel zur Anwendung kommt und die Zuständigkeit für ein bestimmtes Verfahren bestimmt, müssen zwei kumulative Anforderungen erfüllt sein. Erstens muss dieses Verfahren logischerweise in den materiellen Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregelung (im Folgenden: Brüsseler System) fallen, zu dem diese Regel gehört. Zweitens müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die dieser Regel eigen sind.

21.      Die zweite Anforderung ist im vorliegenden Fall nicht streitig. Die betreffenden Voraussetzungen, die sich aus Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung ergeben, sind eindeutig erfüllt: Der Kläger ist ein „Verbraucher“, da seine Klage „ein[en] Vertrag [zum] Gegenstand“ hat(11), den er mit einem Gewerbetreibenden „zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht [seiner] beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit … zugerechnet werden kann“, dieser Vertrag fällt in die in Art. 17 Abs. 1 aufgeführten Kategorien (ein Gesichtspunkt, den ich später eingehend prüfen werde)(12), und bei der Beklagten handelt es sich um „den anderen Vertragspartner“.

22.      Gleichwohl ergibt sich aus dem ersten Erfordernis eine zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung. Konkret schweigt Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung, der den Anwendungsbereich des Brüsseler Systems festlegt, zwar zu dieser Frage(13), doch hat der Gerichtshof, beginnend mit dem Urteil in der Rechtssache Owusu(14), wiederholt entschieden, dass dieses System nur auf Rechtsverhältnisse mit „Auslandsbezug“ Anwendung findet, d. h. auf Rechtsverhältnisse, die Verbindungen zu mehr als einem Land aufweisen(15).

23.      Diese implizierte Bedingung der „Internationalität“ ergibt sich aus (und ist unausweichlich angesichts) der Rechtsgrundlage der Brüssel‑Ia-Verordnung, nämlich Art. 81 Abs. 2 AEUV. Diese Bestimmung ermöglicht es der Europäischen Union, Maßnahmen zur Durchsetzung der Ziele zu erlassen, die in Art. 81 Abs. 1 dieses Vertrags genannt sind, der die justizielle Zusammenarbeit in „Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug“ betrifft. Umgekehrt ist die Europäische Union nicht befugt, die Zuständigkeit für Zivilsachen ohne solche „Auswirkungen“ zu regeln. Entsprechend ist diese Verordnung daher auszulegen.

24.      Diese Voraussetzung steht zudem im Einklang mit dem eigentlichen Zweck der Brüssel‑Ia-Verordnung. Als Rechtsakt des internationalen (Unions‑)Privatrechts ist sie auf den Fall zugeschnitten, dass ein innerstaatliches Gericht angerufen wird, um eine Rechtssache zu entscheiden, die Verbindungen zu einem anderen Land (oder anderen Ländern) als seinem eigenen aufweist. Aufgrund dieser Verbindungen könnten sich nämlich die Gerichte dieses anderen Landes (oder dieser anderen Länder) für zuständig erklären, so dass sich die Frage stellen würde, ob das angerufene Gericht für die Entscheidung der Rechtssache zuständig ist. Der Hauptzweck des Brüsseler Systems besteht darin, solche internationalen Zuständigkeitskonflikte zu lösen. Zwar legen einige ihrer Vorschriften – einschließlich der Forum-actoris-Regel für Verbraucher – sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit fest (siehe oben, Nr. 18), doch entscheiden sie die zweite Frage nur subsidiär für den Fall, dass sich die erste Frage stellt. Es ist nicht ihre Aufgabe, innerstaatliche Zuständigkeitskonflikte in rein innerstaatlichen Sachverhalten zu regeln(16).

25.      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Forumactoris-Regel für Verbraucher – wie die übrigen Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel‑Ia-Verordnung – nur gilt, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats über einen Fall zu entscheiden hat, der einen „Auslandsbezug“ (d. h. eine relevante Verbindung zu einem anderen Land) aufweist. In einem solchen Fall entscheidet diese Regel sowohl über die internationale als auch über die örtliche Zuständigkeit. Hingegen greift sie nicht in die Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit in rein innerstaatlichen Sachverhalten ein.

C.      Zur Frage, ob im vorliegenden Fall ein hinreichender Auslandsbezug besteht

26.      Allerdings gibt es, wie das vorlegende Gericht darlegt, in Deutschland(17) eine lebhafte Debatte über die Frage, ob der für die Anwendung von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung erforderliche „Auslandsbezug“ besteht, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen wird, um einen Streit zwischen einem Verbraucher, der seinen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat, und einem örtlichen Reiseveranstalter über die Erfüllung eines Pauschalreisevertrags, der über eine Reise ins Ausland abgeschlossen wurde (ein Fall, der recht häufig sein dürfte), zu entscheiden(18). Hinter dieser Formfrage verbirgt sich die konkrete Frage, ob der Verbraucher – auch in diesem Fall – nach der in dieser Bestimmung verankerten Forum-actoris-Regel vor dem Gericht seines Wohnorts Klage erheben kann.

27.      Das vorlegende Gericht legt dar, dass die deutsche Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ansichten zu solchen – um es mit den Worten des vorlegenden Gerichts auszudrücken – „unechten Inlandsfällen“ enthalten. Die herrschende Ansicht, der sich FTI und die tschechische Regierung vor dem Gerichtshof anschließen, geht dahin, dass Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung auf solche Fälle nicht anwendbar sei. Das betreffende Vertragsverhältnis weise nicht die erforderliche „Internationalität“ auf, wenn die Parteien (Verbraucher und Gewerbetreibender) ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat hätten. Die Tatsache, dass das Ziel der Reise, über die der Vertrag abgeschlossen worden sei, im Ausland liege, stelle insofern keine maßgebliche Überlegung dar. Nach der Mindermeinung, die vorliegend durch die Kommission gestützt wird, gilt diese Regel selbst dann, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Das ausländische Reiseziel verleihe ihrem Rechtsverhältnis Auslandsbezug.

28.      Meines Erachtens ist die Mindermeinung die zutreffende Auffassung. Für die Zwecke der Brüssel‑Ia-Verordnung ist nämlich eine weite Auslegung des Begriffs „Auslandsbezug“ vorzunehmen (1). In Fällen, die die Erfüllung eines Pauschalreisevertrags betreffen, stellt das ausländische Reiseziel insoweit einen relevanten „Auslandsbezug“ dar (2). Schließlich erfordern weder der Wortlaut noch das Ziel des Abschnitts 4 eine andere Auslegung (3).

1.      Zum weiten Begriff des „Auslandsbezugs“

29.      Zunächst ist festzustellen, dass die Brüssel‑Ia-Verordnung den für die Anwendung ihrer Vorschriften erforderlichen „Auslandsbezug“ zwar nicht definiert, dieser Begriff aber autonom auszulegen ist, wobei die Systematik und die Ziele der Verordnung heranzuziehen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen(19).

30.      In seiner Rechtsprechung seit dem Urteil Owusu verfolgt der Gerichtshof in der Regel einen pragmatischen Ansatz. Nach seiner Auffassung – und im Einklang mit der oben in Nr. 24 gegebenen Erläuterung – weist ein vor ein Gericht eines Mitgliedstaats gebrachter Rechtsstreit einen relevanten „Auslandsbezug“ auf, wenn dieser Rechtsstreit „Fragen hinsichtlich der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte aufwerfen kann“(20). Mit anderen Worten greift das Brüsseler System ein, wenn ein solcher Rechtsstreit eine Verbindung zu einem anderen Land – sei es ein anderer Mitgliedstaat oder ein Drittstaat – aufweist, die ausreicht, damit sich möglicherweise Gerichte dieses anderen Landes für zuständig erklären(21), so dass sich die Frage stellt, ob das angerufene Gericht des Mitgliedstaats überhaupt zuständig ist. In dieser Fallgestaltung ist das Brüsseler System in der Tat notwendig, um den potenziellen Zuständigkeitskonflikt zu lösen.

31.      Dieses Kriterium sollte meines Erachtens großzügig angewandt werden. Um ihren Zweck erfüllen zu können, sollte die Brüssel‑Ia-Verordnung immer dann Anwendung finden(22), wenn sich Fragen der internationalen Zuständigkeit stellen, u. a. um zu vermeiden, dass potenzielle Zuständigkeitskonflikte zu tatsächlichen Konflikten werden. Da die Ziele der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, die mit diesem Rechtsakt verfolgt werden(23), voraussetzen, dass die Parteien leicht vorhersehen können, welche Zuständigkeitsregelung auf ihren Rechtsstreit anwendbar sein wird, und damit die angerufenen Gerichte der Mitgliedstaaten in der Lage sind, ohne Schwierigkeiten über ihre Zuständigkeit zu entscheiden(24), sollte man die Angelegenheit nicht übermäßig verkomplizieren. Es geht nicht um die Frage, ob die Zuständigkeitsvorschriften in dem in Rede stehenden anderen Land den dortigen Gerichten tatsächlich die Zuständigkeit zuweisen(25). Es genügt, dass der Anknüpfungspunkt, der auf dieses Land hinweist, einen plausiblen Grund für die Gerichte dieses Landes darstellt, sich für diese Rechtssache für zuständig zu erklären. Die Vorschriften der Brüssel‑Ia-Verordnung liefern insoweit nützliche Anknüpfungspunkte, und zwar nicht nur in Bezug auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch weltweit, da in diesem Rechtsakt im Wesentlichen Zuständigkeitskriterien verwendet werden, die auf Anknüpfungspunkten beruhen, die allgemein anerkannt sind und in anderen Ländern Anwendung finden.

32.      Die Internationalität einer Rechtssache ergibt sich häufig daraus, dass Kläger und Beklagter ihren Wohnsitz in verschiedenen Staaten haben. Der Umstand, dass eine Partei ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates hat, stellt nämlich einen plausiblen Grund für die Gerichte jedes Staates dar, sich für zuständig zu erklären (wie verschiedene Bestimmungen der Brüssel‑Ia-Verordnung, darunter Art. 18 Abs. 1, zeigen). Dies ist jedoch nicht die einzig mögliche Fallgestaltung. Wie die Kommission geltend macht, kann die Internationalität der Rechtssache in Fällen, in denen die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Staat haben, auf verschiedenen Anknüpfungspunkten beruhen, die u. a. mit dem Gegenstand des Verfahrens zusammenhängen(26).

33.      Auch wenn ich die Anwendung der vorstehend genannten Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache dem nächsten Abschnitt vorbehalten möchte, werde ich an dieser Stelle einige Beispiele anführen. Hat ein Gericht eines Mitgliedstaats z. B. über eine Rechtssache zu entscheiden, die einerseits zwei Parteien betrifft, die ihren Wohnsitz in diesem Staat haben, sich aber andererseits auf ein Delikt bezieht, dass im Ausland begangen wurde, oder auf die Miete oder Pacht einer unbeweglichen Sache, die in einem anderen Land belegen ist, so ist die Brüssel‑Ia-Verordnung anwendbar(27). In beiden Fällen kann der Anknüpfungspunkt, der die Rechtssache mit einem anderen Land verbindet, „Fragen hinsichtlich der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte aufwerfen“. Die Tatsache, dass die unerlaubte Handlung im Hoheitsgebiet dieses Landes begangen wurde oder das streitige Grundstück dort belegen ist, stellt nämlich einen plausiblen Grund dafür dar, dass sich die Gerichte dieses Landes für die Entscheidung dieser Rechtssache für zuständig erklären. Die Brüssel‑Ia-Verordnung bestätigt dies, da diese Anknüpfungspunkte ausdrücklich die in Art. 7 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 genannten Gerichtsstände begründen(28). In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof in seinem Urteil IRnova(29) zutreffend die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsstreit zwischen zwei Parteien, die ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, über das Recht an in Drittländern eingetragenen Patenten einen „Auslandsbezug“ aufweist. Wenn ein Land ein Patent gewährt hat, ist es naheliegend, dass seine Gerichte über Rechtsstreitigkeiten entscheiden wollen, die dieses Patent betreffen(30).

34.      Es trifft zu, dass der Gerichtshof in den Rechtssachen Parking und Interplastics(31), Generalno konsulstvo na Republika Bulgaria(32) und Inkreal(33) hinsichtlich des „Auslandsbezugs“ im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung einen etwas anderen Ansatz verfolgt hat.

35.      In einer der verbundenen Rechtssachen, in denen das erstgenannte Urteil ergangen ist, war vor den Gerichten eines Mitgliedstaats gegen eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Beklagte Klage durch eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Klägerin erhoben worden. Die Kommission äußerte Zweifel am Vorliegen des für die Anwendung des Brüsseler Systems erforderlichen „Auslandsbezugs“. Auch wenn das Vorliegen des „Auslandsbezugs“ im Anschluss an das Urteil Owusu offensichtlich war und der Gerichtshof auf dieses Urteil auch Bezug nahm, fügte er ein ergänzendes Argument hinzu. Er verwies im Wesentlichen auf einen weiteren Unionsrechtsakt, die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens(34), die nur auf „grenzüberschreitende Rechtssache[n]“ anwendbar ist und die diesen Begriff als „[eine Rechtssache, in der] mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat“, definiert. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass sich die Internationalität der Rechtssache im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung mit dieser Definition „grundsätzlich“ feststellen lässt, da die Kohärenz zwischen den gleichwertigen Begriffen dieser beiden Rechtsakte gewährleistet sein muss. Passenderweise hatte der Gerichtshof einige Monate zuvor entschieden, dass der Fall, dass die Klägerin in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts ansässig ist, unter diese Definition fällt(35).

36.      In der zweiten Entscheidung folgte der Gerichtshof rundheraus dem vorangegangenen Urteil und wandte, ohne auf die wesentliche Linie seiner Rechtsprechung Bezug zu nehmen, die Definition für „grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten“ aus der Verordnung Nr. 1896/2006 an, um anzuerkennen, dass die Klage einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Person gegen das Konsulat dieses Staates in einem anderen Land im Zusammenhang mit Dienstleistungen, die diese Person für das Konsulat in dem anderen Land erbracht hat, (offensichtlich) einen „Auslandsbezug“ im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung aufwies. In der dritten Entscheidung schließlich verwies der Gerichtshof zum einen auf diese Definition und zum anderen auf das oben in Nr. 30 wiedergegebene Kriterium, um zu entscheiden, dass der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats durch Parteien, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, einen hinreichenden „Auslandsbezug“ darstellt, um diese Verordnung eingreifen zu lassen(36).

37.      Ich teile die von einigen Autoren geäußerte Kritik an diesem neuen Ansatz zur „Internationalität“(37). Der Wunsch, die Kohärenz des Unionsrechts zu gewährleisten, ist sicherlich lobenswert. Zu diesem Zweck können die Definitionen und die Auslegung eines Unionsrechtsakts bisweilen auf einen anderen übertragen werden. Jedoch ist dies nicht immer der Fall. Insoweit ist Vorsicht geboten, da ähnliche Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen eine (sehr) unterschiedliche Bedeutung haben können. Nur wenn eine hinreichende Nähe zwischen den allgemeinen Regelungen und Zielen der betreffenden Rechtsakte besteht, ist ein solches Vorgehen gerechtfertigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zwar gehören die Brüssel‑Ia-Verordnung und die Verordnung Nr. 1896/2006, wie der Gerichtshof festgestellt hat, zum Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, aber dort endet die Nähe.

38.      So wurde die Verordnung Nr. 1896/2006 erlassen, um den Schwierigkeiten zu begegnen, denen sich Gläubiger gegenübersehen, die versuchen, unbestrittene Forderungen von Schuldnern in anderen Mitgliedstaaten beizutreiben. Mit der Verordnung soll die Beitreibung solcher Forderungen vereinfacht und beschleunigt werden, indem ein einheitliches Verfahren geschaffen wird, das es einem Gläubiger ermöglicht, von einem Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung über eine solche Forderung zu erwirken, die in dem Mitgliedstaat, in dem sich das Vermögen des Schuldners befindet, einfach vollstreckt werden kann und die zugleich in der gesamten Union gleiche Bedingungen für die Verteidigungsrechte gewährleistet(38). Die in dieser Verordnung vorgenommene Definition der „grenzüberschreitenden Rechtssache“, die sich auf die jeweiligen Wohnsitze der Parteien und auf den Sitz des angerufenen Gerichts konzentriert, folgt in diesem Kontext einer gewissen Logik. Haben die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Staat, so reichen die von den Gerichten dieses Staates nach dessen Verfahrensrecht bereitgestellten Rechtsbehelfe in der Regel aus, um sicherzustellen, dass der Gläubiger seine Forderung rasch beitreiben kann. Das in dieser Verordnung vorgesehene Verfahren ist daher nicht erforderlich.

39.      Demgegenüber zielt die Brüssel‑Ia-Verordnung darauf ab, die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen. Die in Rede stehende Definition ist zu eng gefasst und daher für diesen Zweck ungeeignet. Wie oben in den Nrn. 32 und 33 dargelegt, können sich Fragen der internationalen Zuständigkeit selbst dann ergeben, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben und die Gerichte dieses Mitgliedstaats angerufen werden(39). Darüber hinaus enthält dieser Rechtsakt auch Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung der durch die Gerichte der Mitgliedstaaten erlassenen Entscheidungen. Um ihren Zweck zu erfüllen, müssen diese Vorschriften immer dann Anwendung finden, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats eine durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassene Entscheidung anzuerkennen oder zu vollstrecken haben, selbst wenn diese Entscheidung einen innerstaatlichen Rechtsstreit zwischen zwei Personen betrifft, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben(40). Auch diese Definition passt nicht auf den vorliegenden Sachverhalt.

40.      Gleichwohl können die Urteile Parking und Interplastics(41), Generalno konsulstvo na Republika Bulgaria(42) und Inkreal(43) mit der wesentlichen Linie der Rechtsprechung in Einklang gebracht werden, wenn man sie wie folgt versteht: Da der Begriff „grenzüberschreitende Rechtssache“, wie er in der Verordnung Nr. 1896/2006 definiert ist, enger gefasst ist als der für die Zwecke der Brüssel‑Ia-Verordnung verwendete Begriff „Auslandsbezug“, weist eine Rechtssache, die „grenzüberschreitend“ im Sinne der Verordnung Nr. 1896/2006 ist, erst recht einen „Auslandsbezug“ im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung auf. Jedoch kann eine Streitigkeit sehr wohl einen „Auslandsbezug“ aufweisen, auch wenn sie die Definition einer „grenzüberschreitenden Rechtssache“ nicht erfüllt.

41.      Um jedoch weitere Unsicherheit in Bezug auf den „internationalen“ Anwendungsbereich des Brüsseler Systems zu vermeiden, bitte ich den Gerichtshof dringend, künftig davon abzusehen, in diesem Zusammenhang auf die Verordnung Nr. 1896/2006 Bezug zu nehmen. Sollte sich der Gerichtshof an anderen Rechtsakten zu diesem Thema orientieren und die Kohärenz mit diesen sicherstellen wollen, so sind die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)(44) und die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II)(45) besser geeignet, wie nachstehend dargelegt wird. Diese Rechtsakte sind auf dem Gebiet des Kollisionsrechts die Gegenstücke zu der Brüssel‑Ia-Verordnung, und der Unionsgesetzgeber selbst wollte, dass der materielle Anwendungsbereich dieser drei Verordnungen einheitlich ausgelegt wird(46).

2.      Das Reiseziel als relevanter „Auslandsbezug“

42.      In Anbetracht der Ausführungen im vorstehenden Abschnitt steht meines Erachtens außer Zweifel, dass – wie die Kommission vorträgt – in einem Fall, in dem ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einer Rechtssache befasst wird, an der einerseits Parteien beteiligt sind, die ihren Wohnsitz in diesem Staat haben, die sich aber andererseits auf die Erfüllung eines Pauschalreisevertrags bezieht, der über eine Reise ins Ausland abgeschlossen wurde, das Reiseziel einen relevanten „Auslandsbezug“ darstellt, so dass die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel‑Ia-Verordnung eingreifen(47).

43.      Der Bestimmungsort der Reise ist zugleich der Ort, an dem die (meisten) Dienstleistungen nach dem Pauschalreisevertrag an den Reisenden erbracht wurden oder hätten erbracht werden sollen (die Flugreise endete in der Nähe, das Hotel war vor Ort etc.). Mit anderen Worten, der Vertrag wurde dort im Wesentlichen erfüllt oder hätte dort im Wesentlichen erfüllt werden sollen. Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einem Streit über die Erfüllung eines Vertrags befasst und liegt der Erfüllungsort im Ausland, handelt es sich dabei meines Erachtens um einen Anknüpfungspunkt, der „Fragen hinsichtlich der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte aufwerfen kann“(48). Eine solche Verbindung kann dazu führen, dass sich die Gerichte dieses Landes für zuständig erklären, und einen Zuständigkeitskonflikt auslösen. Insoweit macht mich der Einwand von FTI, diese Verbindung sei „lediglich gegenständlich“ und nicht „normativ“ (was auch immer dieser letzte Begriff bedeuten mag)(49), etwas ratlos. Diese „gegenständliche“ Verbindung ist nämlich gerade der Grund, weshalb die Gerichte dieses Landes plausibel die Streitfrage entscheiden könnten (da sich ihre geografische Nähe zum Erfüllungsort für die Entscheidung eines solchen Rechtsstreits als günstig erweisen könnte, insbesondere im Hinblick auf die Erhebung der einschlägigen Beweise). Genau aus diesem Grund ist der Erfüllungsort – in der Europäischen Union gemäß Art. 7 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung(50) und in vielen Drittstaaten – ein fakultativer Gerichtsstand für vertragliche Streitigkeiten(51).

44.      Das Urteil Owusu stützt diese Auslegung unmittelbar. Es sei daran erinnert, dass Herr Owusu, der seinen Wohnsitz im Vereinigten Königreich (das damals ein Mitgliedstaat war) hatte, in dieser Rechtssache einen Mietvertrag mit Herrn Jackson, der seinen Wohnsitz ebenfalls im Vereinigten Königreich hatte, über ein Ferienhaus in Jamaika abgeschlossen hatte. Herr Owusu erlitt dort einen dramatischen Unfall, der angeblich auf die Gefährlichkeit des Ortes zurückzuführen war, und verklagte Herrn Jackson wegen Vertragsverletzung. Der Gerichtshof stellte ohne Weiteres fest, dass die Rechtssache einen „Auslandsbezug“ im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung aufwies(52). Der Umstand, dass die Rechtssache sich auf die (mangelhafte) Erfüllung eines Vertrags in Jamaika bezog, genügte insoweit, da er eindeutig dazu führen konnte, dass sich die Gerichte dieses Landes für zuständig erklären. Der Sachverhalt, um den es in der vorliegenden Rechtssache geht, ist vergleichbar.

45.      Meines Erachtens kann auch ein Vergleich mit der Rom‑I-Verordnung und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs gezogen werden. In ähnlicher Weise wie die Brüssel‑Ia-Verordnung in Bezug auf die Zuständigkeit bestimmt dieser Rechtsakt das auf einen Vertrag anwendbare Recht für einen Sachverhalt, der „eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweis[t]“(53). Insoweit geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Vorschriften der Rom‑I-Verordnung auf jedes Vertragsverhältnis anwendbar sind, das einen „Auslandsbezug“ aufweist. Nur wenn ein solcher Vertrag Verbindungen zu einem anderen Land (oder zu anderen Ländern) als dem Land des angerufenen Gerichts aufweist, könnte er potenziell anderen, miteinander in Konflikt stehenden nationalen Rechtsvorschriften unterliegen und könnte sich dieses Gericht fragen, welche dieser Rechtsvorschriften es zur Lösung eines Rechtsstreits anzuwenden hat. Nach derselben Rechtsprechung ist der Begriff des „Auslandsbezugs“ nicht auf den jeweiligen Wohnsitz der Vertragsparteien beschränkt. Die Tatsache, dass der Vertrag in einem anderen Land zu erfüllen ist, stellt einen solchen „Bezug“ dar(54). Es ist offensichtlich, dass ein solcher Zusammenhang „eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweis[t]“. Das angerufene Gericht kann die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das Recht des Landes, in dem der Vertrag zu erfüllen ist, anstelle seines eigenen Rechts anwendbar ist(55). Folglich sind die Vorschriften dieser Verordnung zur Lösung dieses Konflikts erforderlich(56).

46.      Anders als FTI suggeriert, wird diese Auslegung meines Erachtens durch das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Maletic(57) nicht in Frage gestellt, auch wenn ich einräume, dass der Gerichtshof insoweit eine gewisse Ungewissheit geschaffen hat.

47.      In dieser Rechtssache buchten Verbraucher, die ein Ehepaar waren und ihren Wohnsitz in Österreich hatten, bei einem in Österreich ansässigen Reiseveranstalter über die Website eines in Deutschland ansässigen Reisebüros eine Pauschalreise nach Ägypten. Aufgrund eines Mangels, der ihr ägyptisches Hotel betraf, verklagten die Reisenden sowohl den Reisevermittler als auch den Reiseveranstalter wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten nach der (damals) in Art. 16 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung niedergelegten Forum-actoris-Regel vor den Gerichten ihres Wohnorts. Das vorlegende Gericht fragte, ob diese Regel in Bezug auf den Reiseveranstalter anwendbar sei, da dieser in demselben Staat ansässig sei wie die Verbraucher.

48.      Der Gerichtshof antwortete darauf, dass die streitige Regel in Bezug auf die beiden Beklagten anwendbar war, doch legte er – was entscheidend ist – insoweit eine etwas komplizierte Argumentation zugrunde. Er stellte fest: „Selbst wenn sich ein einheitlicher Vorgang, wie derjenige, mit dem [die Verbraucher] ihre Pauschalreise auf der Internetseite [des Reisebüros] gebucht und bezahlt haben, in zwei verschiedene Vertragsverhältnisse, zum einen mit dem Online-Reisebüro … und zum anderen mit dem Reiseveranstalter …, unterteilen ließe, könnte das letztgenannte Vertragsverhältnis nämlich nicht als ‚rein intern‘ qualifiziert werden, da es untrennbar mit dem erstgenannten Vertragsverhältnis verbunden ist, denn es wurde über das genannte Reisebüro begründet, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.“(58)

49.      Viele Autoren haben darauf hingewiesen, dass diese Argumentation umständlich sei, und waren überrascht, dass der Gerichtshof das ausländische Reiseziel nicht erwähnt hat, da die „Internationalität“ der Rechtssache mit diesem Anknüpfungspunkt evident nachgewiesen worden wäre(59). Das Schweigen des Gerichtshofs zu diesem Punkt sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass es suggeriert, dass dieser Anknüpfungspunkt nach Auffassung des Gerichtshofs keinen relevanten „Auslandsbezug“ darstellt. Es gibt eine einfache Erklärung dafür, warum der Gerichtshof sich stattdessen auf den „unteilbaren“ Charakter der Verbindungen zwischen den Verbrauchern, dem Reisebüro und dem Reiseveranstalter konzentriert hat. In dieser Rechtssache ging es nämlich um zwei voneinander getrennte Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Forumactoris-Regel für Verbraucher, und zwar erstens darum, ob die Ansprüche gegen die beiden Beklagten „international“ waren, und zweitens darum, ob man jede der Beklagten als „den anderen Vertragspartner“ im Sinne dieser Regelung ansehen konnte(60). Mit seiner Argumentation beantwortete der Gerichtshof beide Fragen pauschal: Es bestand nur ein einziges, internationales Vertragsverhältnis, und das Reisebüro sowie der Reiseveranstalter konnten als der „[andere] [P]artner“ bzw. die „anderen [P]artner“ dieses Rechtsverhältnisses nach der Forum-actoris-Regel gemeinsam vor den Gerichten des Wohnsitzes der Verbraucher verklagt werden. Hingegen hätte die Bezugnahme auf das Reiseziel die erste Frage beantwortet, aber die zweite offengelassen. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof diesen Anknüpfungspunkt in seiner Entscheidung nicht „aktiviert“.

50.      Die Behauptung der tschechischen Regierung, dass die in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagene Auslegung darauf hinausliefe, dass Reiseveranstalter – entgegen dem mit der Brüssel‑Ia-Verordnung verfolgten Ziel der Vorhersehbarkeit – unerwartet vor den Gerichten des Wohnorts ihrer Kunden verklagt werden könnten, überzeugt mich ebenfalls nicht. Ein Unternehmen, das in einem internationalen Sektor wie dem Tourismus tätig ist, kann eindeutig „vernünftigerweise vorhersehen“, dass es einer Zuständigkeitsregelung für Streitigkeiten mit Auslandsbezug unterworfen sein kann, wenn es Reisen ins Ausland organisiert und verkauft(61).

51.      Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es meines Erachtens nicht erforderlich ist, danach zu unterscheiden, ob sich der Anspruch des Reisenden konkret auf einen Unfall bezieht, den er am Zielort der Reise erlitten hat (in vollständiger Entsprechung zu der Rechtssache Owusu), auf die Zimmer des dortigen Hotels, die den Anforderungen nicht entsprechen, oder, wie im Ausgangsverfahren, auf die Tatsache, dass der Reisende seine Reise nicht angetreten hat, weil ihm nicht mitgeteilt wurde, dass er ein Visum benötigt, oder weil er seine Flugtickets nicht erhalten hat (usw.). Während die Verbindung zwischen dem Anspruch und dem Ausland in manchen Fällen enger sein mag als in anderen, weise ich darauf hin, dass die Prüfung der Internationalität der Streitigkeit nicht übermäßig kompliziert sein sollte (siehe oben, Nr. 31). Das angerufene Gericht des Mitgliedstaats braucht keine umfassende Prüfung der Begründetheit der Klage vorzunehmen, um solch eine einfache Frage zu klären. Bei jeder Rechtssache, die den Anspruch eines Reisenden gegen einen Reiseveranstalter in Bezug auf Nachteile – gleich welcher Art im konkreten Fall – betrifft, die der Reisende in Bezug auf eine durch den Reiseveranstalter als „Pauschalreise“ organisierte und verkaufte Auslandsreise erlitten hat, sollte man aus den oben dargelegten Gründen davon ausgehen, dass sie einen Auslandsbezug im Sinne der Brüssel‑Ia-Verordnung aufweist. Das Reiseziel ist ein einfach zu überprüfender Anknüpfungspunkt, und es macht – wie in der vorstehenden Nummer dargelegt – die anwendbaren Zuständigkeitsregelungen für die Parteien vorhersehbar.

3.      Weder der Wortlaut noch der Zweck von Abschnitt 4 verlangen eine andere Auslegung

52.      Entgegen der Behauptung von FTI wird die in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagene Auslegung nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Forum-actoris-Regel von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist(62).

53.      Zunächst möchte ich in Erinnerung rufen, dass das (implizite) Erfordernis eines „Auslandsbezugs“, das den Kern der vorliegenden Rechtssache bildet, den Anwendungsbereich der Brüssel‑Ia-Verordnung allgemein bestimmt. Als solches gehört dieses Erfordernis streng genommen zu ihrem Art. 1 Abs. 1 (siehe oben, Nr. 22), nicht zu Art. 18 Abs. 1. Logischerweise sollte es auf alle Zuständigkeitsvorschriften dieser Verordnung, unabhängig von der Art der konkreten Bestimmung, nach den gleichen Kriterien angewandt werden(63).

54.      Abgesehen von dieser Vorbemerkung liegt es meiner Auffassung nach auf der Hand, dass die Auslegung dieses Erfordernisses dahin gehend, dass die Forum-actoris-Regel von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung auf Rechtssachen anwendbar ist, an denen ein Verbraucher und ein Gewerbetreibender beteiligt sind, die ihre Wohnsitze in demselben Staat haben, und in denen es um einen Vertrag geht, der in einem anderen Staat erfüllt wurde oder zu erfüllen war, nicht im Widerspruch zum Wortlaut des Abschnitts 4 steht.

55.      Beginnend mit Art. 17 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung weise ich darauf hin, dass diese Vorschrift für die Anwendung des Abschnitts 4 voraussetzt, dass ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossen wird und dass dieser Vertrag in eine der in den Buchst. a bis c dieser Vorschrift genannten Kategorien fällt. Die Buchst. a und b nehmen auf verschiedene Arten von Verträgen Bezug (Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung bzw. Darlehensverträge), ohne in irgendeiner Form auf den jeweiligen Wohnsitz der Vertragsparteien zu verweisen. Buchst. c verlangt für alle anderen Verträge (also auch Pauschalreiseverträge), dass der Gewerbetreibende „in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt“. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht weder ausdrücklich noch implizit in irgendeiner Weise hervor, dass der Verbraucher und der Gewerbetreibende ihre Wohnsitze zwingend in unterschiedlichen Staaten haben müssen(64). Ein Gewerbetreibender kann offensichtlich „in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüb[en]“, und zugleich seinen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben.

56.      Überdies begrenzt der Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung die Forum-actoris-Regel nicht auf Fälle, in denen Verbraucher und Gewerbetreibender ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben. Vielmehr heißt es in dieser Bestimmung ausdrücklich, dass die betreffende Regel „ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners“ gilt. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass die Hinzufügung dieser Klauseln – wie FTI hervorhebt – Verbraucher in die Lage versetzen sollte, sich gegenüber Gewerbetreibenden, die ihren Wohnsitz in Drittstaaten haben, auf diese Regelung zu berufen(65). Gleichwohl ist dieser Wortlaut – wie die Kommission ausführt – weit genug gefasst, um auch den Fall zu erfassen, dass der Gewerbetreibende seinen Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat hat wie der Verbraucher.

57.      Schließlich lässt Art. 19 der Brüssel‑Ia-Verordnung, der dem Rückgriff auf Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbrauchersachen Grenzen setzt, solche Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zu, wenn sie zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden getroffen werden, „die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben“ (Art. 19 Abs. 3). Der Unionsgesetzgeber hat es offensichtlich für möglich gehalten, dass die Vorschriften von Abschnitt 4 – einschließlich Art. 18 Abs. 1 – sogar in dieser Fallgestaltung anwendbar sind (sofern diese Rechtssache einen weiteren bedeutsamen Auslandsbezug aufweist).

58.      Die Anwendung der Forum-actoris-Regel von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung auf Rechtssachen, in denen Verbraucher und Gewerbetreibender ihren Wohnsitz in demselben Staat haben, aber der streitige Vertrag im Ausland erfüllt wurde oder zu erfüllen war, geht auch nicht über das hinaus, was der spezifische Zweck von Abschnitt 4 erfordert.

59.      Es sei darauf hingewiesen, dass die Vorschriften von Abschnitt 4 den Verbraucher als diejenige Partei, die als wirtschaftlich schwächer und in Rechtsfragen weniger erfahren gilt als der Gewerbetreibende, schützen sollen(66). Hierzu erleichtert die in Rede stehende Forumactoris-Regel den Verbrauchern insbesondere den Zugang zu den Gerichten (erheblich), damit sie nicht davon abgehalten werden, ihre Rechte geltend zu machen(67).

60.      FTI trägt im Einklang mit der oben angeführten herrschenden Meinung hierzu vor, dass die einzige Fallgestaltung, die der Unionsgesetzgeber mit dieser Regel habe verhindern wollen, diejenige sei, in der der Verbraucher gezwungen werde, seine Klage vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zu erheben. Der Gesetzgeber habe den Verbraucher davor schützen wollen, sich einer ihm unbekannten Rechtsordnung mit einer für ihn gegebenenfalls unbekannten Sprache unterwerfen zu müssen, sowie vor der „lästigen Entfernung“, die den Verbraucher von diesen ausländischen Gerichten trennen könne. Dieser besondere Schutz sei nicht gerechtfertigt, wenn der Verbraucher und der Gewerbetreibende ihren Wohnsitz in demselben Staat hätten. In diesem Fall seien die Gerichte dieses Staates zwingend zuständig.

61.      Meines Erachtens stellt der Umstand, dass der Verbraucher durch die Schwierigkeiten, die mit einer Klage gegen einen Gewerbetreibenden im Ausland verbunden sind, von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird, zwar den Hauptfall dar, den der Gesetzgeber im Sinn hatte, aber nicht den einzigen Fall(68). Anderenfalls hätte sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, es dem Verbraucher zu gestatten, Klage vor den Gerichten des Mitgliedstaats zu erheben, in dem er seinen Wohnsitz hat. Die Tatsache, dass Art. 18 Abs. 1 der Brüssel-Ia-Verordnung einen Schritt weiter geht und es dem Verbraucher gestattet, das konkrete Gericht seines Wohnsitzes anzurufen, zeigt, dass bei den Verfassern die Besorgnis bestand, dass dem Verbraucher die gerichtliche Wahrnehmung seiner Rechte auch dann erschwert werden könnte, wenn sich das zuständige Gericht zwar innerhalb des Mitgliedstaats, in dem er lebt, befände, es sich dabei aber nicht um das Gericht seines Wohnsitzes handeln würde. Wie der Gerichtshof bereits in einem anderen Zusammenhang festgestellt hat(69), können auch die Entfernungen, die den Verbraucher von dem zuständigen Gericht innerhalb eines Mitgliedstaats trennen, „lästig“ sein (z. B. wenn das Gericht am Wohnsitz des Gewerbetreibenden in einer weit entfernten Stadt wäre) – manchmal mehr noch als die Entfernungen zwischen zwei Mitgliedstaaten(70) –, was es dem Verbraucher erschweren könnte, vor Gericht zu erscheinen(71). Eindeutig wollte der Gesetzgeber auch dieses Szenario vermeiden.

62.      Der Einwand von FTI, wonach die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten das persönliche Erscheinen des Verbrauchers nicht immer erfordern würden oder manchmal eine mündliche Verhandlung im Wege der Videoübertragung zuließen, so dass solche Unannehmlichkeiten in der Praxis nicht entstehen könnten, ist nicht überzeugend. Man könnte auch einwenden, dass sich das zuständige Gericht nach diesen Verfahrensvorschriften manchmal zufällig relativ nah am Wohnsitz des Verbrauchers befindet(72). In anderen Fällen könnte der Verbraucher jedoch persönlich zu erscheinen haben, und das zuständige Gericht könnte weit entfernt sein. In gleicher Weise könnte der Verbraucher, der in einem anderen Mitgliedstaat Klage zu erheben hätte, zufällig die Sprache kennen und sich mit dem Verfahren vor den Gerichten dieses Staates, die sich zudem in der Nähe befinden könnten, auskennen. In anderen Fällen hingegen könnte ihm das gesamte Verfahren vollkommen fremd sein. Alles in allem kann die Forumactoris-Regel von Art. 18 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung – wie die Kommission vorträgt – nicht von einer solchen Einzelfallprüfung der praktischen Schwierigkeiten abhängen, mit denen der Verbraucher im jeweiligen Fall tatsächlich konfrontiert wäre. Anderenfalls wäre der Anwendungsbereich dieser Regel unvorhersehbar. Man kann davon ausgehen, dass diese Schwierigkeiten in der Mehrzahl der Fälle bestehen und entsprechend behandelt werden.

V.      Ergebnis

63.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Amtsgericht Nürnberg (Deutschland) vorgelegte Vorabentscheidungsfrage wie folgt zu beantworten:

Art. 1 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

sind dahin auszulegen, dass die in Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung getroffene Zuständigkeitsregelung zugunsten der Gerichte des Wohnsitzes des Verbrauchers auf Klagen anwendbar ist, die ein Verbraucher mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gegen einen Reiseveranstalter mit Wohnsitz in demselben Staat in Bezug auf einen Pauschalreisevertrag über eine Reise ins Ausland erhebt. Diese Regelung weist diesen Gerichten sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit zu, ohne auf die in diesem Mitgliedstaat geltenden Vorschriften über die Verteilung der örtlichen Zuständigkeit zu verweisen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 (ABl. 2012, L 351, S. 1).


3      Eine „Pauschalreise“ bezeichnet eine Kombination aus mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen (z. B. einem Flug und einer Unterkunft) für den Zweck derselben Reise, die im Allgemeinen in einer einzigen Vertriebsstelle erworben werden und/oder zu einem Pauschalpreis angeboten werden oder unter der Bezeichnung „Pauschalreise“ beworben werden (vgl. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie [EU] 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung [EG] Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates [ABl. 2015, L 326, S. 1] [im Folgenden: Richtlinie über Pauschalreisen]).


4      Aus dem Vorlagebeschluss geht nicht hervor, was JX zugestoßen ist. Wenn er nicht über die erforderlichen Visa verfügte, konnte er sein Urlaubsziel zweifellos nicht erreichen.


5      Vgl. Latil, C., „L’exécution défectueuse du contrat de vente de voyages à forfait en droit international privé“, Revue critique de droit international privé, 2017, S. 199.


6      Vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie über Pauschalreisen.


7      Siehe oben, Nrn. 5, 6 und 9.


8      Vgl. u. a. Mankowski, P., Nielsen, P. A., „Article 18“, in Magnus, U., und Mankowski, P., Brussels Ibis Regulation – Commentary, Otto Schmidt, Köln, 2016, S. 512 bis 513, § 10, und Dickinson, A., Lein, E., The Brussels I Regulation Recast, Oxford University Press, Oxford, 2015, § 6.67. Vgl. entsprechend Urteile vom 3. Mai 2007, Color Drack (C‑386/05, EU:C:2007:262, Rn. 30), vom 15. Juli 2021, Volvo u. a. (C‑30/20, EU:C:2021:604, Rn. 33), und vom 30. Juni 2022, Allianz Elementar Versicherung (C‑652/20, EU:C:2022:514, Rn. 38).


9      Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM[1999] 348 endgültig) (ABl. 1999, C 376E, S. 1), Begründung, S. 17.


10      Vgl. u. a. Mankowski, P., Nielsen, P. A., a. a. O., S. 512 bis 513, § 10. Siehe auch unten, Nr. 61.


11      Das ist selbst dann der Fall, wenn der Anspruch nicht auf den Verbrauchervertrag selbst gestützt wird, sondern auf die Verletzung einer rechtlichen Verpflichtung (siehe oben, Nr. 13). Es genügt nämlich, dass dieser Anspruch im Zusammenhang mit einem solchen Vertrag entstanden ist (vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, Gabriel, C‑96/00, EU:C:2002:436, Rn. 58).


12      Siehe unten, Nr. 55. Ferner schließt Art. 17 Abs. 3 der Brüssel‑Ia-Verordnung zwar Beförderungsverträge vom Anwendungsbereich des Abschnitts 4 aus, doch gilt dieser Ausschluss nicht für Pauschalreiseverträge.


13      Was den materiellen Anwendungsbereich dieses Systems betrifft, so bestimmt diese Vorschrift nur, dass es auf „Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden ist.


14      Urteil vom 1. März 2005 (C‑281/02, EU:C:2005:120, im Folgenden: Urteil Owusu). Dieses Urteil betrifft das am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichnete Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1978, L 304, S. 36), das später durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) ersetzt wurde, die ihrerseits durch die Brüssel‑Ia-Verordnung ersetzt wurde. Gleichwohl muss eine Kontinuität bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der durch diese Rechtsakte festgelegten Zuständigkeitsregelung sichergestellt werden (vgl. u. a. Urteil vom 8. September 2022, IRnova, C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 29). Daher werde ich in den vorliegenden Schlussanträgen auf Entscheidungen zu diesen verschiedenen Rechtsakten verweisen, ohne zwischen ihnen zu unterscheiden.


15      Vgl. u. a. Urteile Owusu (Rn. 25 und 26), vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 39), und vom 8. September 2022, IRnova (C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 27). Vgl. auch, implizit, Erwägungsgründe 3 und 26 der Brüssel‑Ia-Verordnung. Vgl. ferner den erläuternden Bericht zum Brüsseler Übereinkommen, erstellt von Herrn P. Jenard (ABl. 1979, C 59, S. 1) (im Folgenden: Jenard-Bericht), S. 8. Im Urteil Owusu hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass der Fall nicht zwei Mitgliedstaaten mit einbeziehen muss. Der internationale Charakter der in Rede stehenden Beziehung kann sich aus Verbindungen zu einem Drittstaat ergeben (vgl. Urteil Owusu, Rn. 24 bis 26).


16      Ich möchte betonen, dass die Forum-actoris-Regel für Verbraucher – anders als die tschechische Regierung meint – in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Parteien nur über die Frage streiten, welches Gericht innerhalb eines Mitgliedstaats für die Entscheidung der Rechtssache zuständig ist, durchaus angewandt werden kann, um einen solchen Konflikt hinsichtlich der (örtlichen) Zuständigkeit zu lösen, sofern der Fall einen „Auslandsbezug“ aufweist.


17      Diese Streitfrage war Gegenstand von nicht weniger als fünf Vorabentscheidungsersuchen deutscher Gerichte. Zwei Fälle (C‑317/20 und C‑62/22) wurden zurückgenommen, bevor der Gerichtshof eine Entscheidung erlassen konnte. Zwei Fälle (C‑108/23 und C‑648/23) sind anhängig und bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache ausgesetzt worden.


18      Verbraucher kaufen Reisen üblicherweise von örtlichen Reiseanbietern (vgl. Latil, C., a. a. O.).


19      Vgl. u. a. Urteil vom 14. September 2023, Club La Costa u. a. (C‑821/21, EU:C:2023:672, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20      Vgl. u. a. Urteile Owusu (Rn. 26), vom 17. November 2011, Hypoteční banka (C‑327/10, EU:C:2011:745, Rn. 30 und 35), und vom 8. September 2022, IRnova (C‑399/21,  EU:C:2022:648, Rn. 28).


21      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. November 2011, Hypoteční banka (C‑327/10, EU:C:2011:745, Rn. 32 und 33). Vgl. auch Rogerson, P., „Article 1“, in Magnus, U., und Mankowski, P., a. a. O., S. 59, § 6. Daher stellt nicht jede Verbindung zu einem anderen Land einen Auslandsbezug dar. Der Anknüpfungspunkt, um den es geht, muss hinreichende Bedeutung haben, um derartige Fragen aufzuwerfen.


22      Sofern die übrigen Voraussetzungen dieses Rechtsakts erfüllt sind.


23      Vgl. 15. Erwägungsgrund der Brüssel‑Ia-Verordnung.


24      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Dies könnte ein schwieriges und umstrittenes Unterfangen sein, wenn es sich bei dem betreffenden Land nicht um einen Mitgliedstaat handelt und die Brüssel‑Ia-Verordnung deshalb nicht anwendbar ist.


26      Vgl. u. a. Urteile Owusu (Rn. 26), und vom 8. September 2022, IRnova (C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 28). Vgl. auch den Jenard-Bericht, S. 8, und Mankowski, P., Nielsen, P. A., „Introduction to Articles 17-19“, in Magnus, U., und Mankowski, P., a. a. O., S. 448, §§ 23 und 24.


27      Vgl. Urteile Owusu (Rn. 26), und vom 26. März 1992, Reichert und Kockler  (C‑261/90, EU:C:1992:149, Rn. 3), sowie Hartley, T., a. a. O., § 2.05.


28      Art. 24 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung nimmt sogar ausdrücklich auf die Fallgestaltung Bezug, dass beide Parteien ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, während die unbewegliche Sache in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist.


29      Vgl. Urteil vom 8. September 2022 (C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 28).


30      Daher findet das Brüsseler System nur dann keine Anwendung, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Staat haben, die Gerichte dieses Staates angerufen werden und alle für die Zuständigkeit vernünftigerweise relevanten Anknüpfungspunkte diesem Staat zuzuordnen sind, da es in diesem Fall unmöglich einen internationalen Zuständigkeitskonflikt geben kann. Vgl. Urteil vom 14. Juli 2022, EPIC Financial Consulting (C‑274/21 und C‑275/21, EU:C:2022:565, Rn. 56 bis 59). Vgl. auch Briggs, A., Civil Jurisdiction and Judgments, Informa Law, Oxon, 2015, 6. Aufl., S. 56, und Hartley, T., a. a. O, §§ 2.02. und 2.03.


31      Urteil vom 7. Mai 2020 (C‑267/19 und C‑323/19, EU:C:2020:351).


32      Urteil vom 3. Juni 2021 (C‑280/20, EU:C:2021:443).


33      Urteil vom 8. Februar 2024 (C‑566/22, EU:C:2024:123).


34      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. 2006, L 399, S. 1), Art. 3 Abs. 1.


35      Vgl. Urteil vom 7. Mai 2020, Parking und Interplastics (C‑267/19 und C‑323/19, EU:C:2020:351, Rn. 27 bis 36).


36      Urteil vom 8. Februar 2024, Inkreal (C‑566/22, EU:C:2024:123, Rn. 19 bis 24).


37      Vgl. u. a. Nuyts. A, „Chronique de DIP“, Journal de droit européen, 2023, Bd. 74, und Pailler, L., „Commentaire de CJUE, 7 mai 2020, aff. C‑267/19 et C‑323/19“, Journal du droit international (Clunet), 2021.


38      Erwägungsgründe 4 bis 10 sowie Art. 1 Abs. 1 und Art. 18 bis 22 der Verordnung Nr. 1896/2006.


39      Wäre die Brüssel‑Ia-Verordnung auf diese Fallgestaltung nicht anwendbar, würde einigen ihrer Vorschriften die praktische Wirksamkeit genommen. Insbesondere weist Art. 24 für bestimmte Angelegenheiten den Gerichten eines bestimmten Mitgliedstaats selbst dann die ausschließliche Zuständigkeit zu, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Werden die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Parteien ihren Wohnsitz haben, ungeachtet von Art. 24 angerufen, muss diese Vorschrift offensichtlich gelten, und diese Gerichte müssen sich für unzuständig erklären.


40      Der Gläubiger in einem solchen „innerstaatlichen“ Rechtsstreit kann versuchen, das von seinem örtlichen Gericht erlassene Urteil in einem anderen Mitgliedstaat anerkennen und/oder vollstrecken zu lassen, wenn z. B. der Schuldner sein Vermögen in diesen anderen Mitgliedstaat transferiert hat.


41      Urteil vom 7. Mai 2020 (C‑267/19 und C‑323/19, EU:C:2020:351).


42      Urteil vom 3. Juni 2021 (C‑280/20, EU:C:2021:443).


43      Urteil vom 8. Februar 2024 (C‑566/22, EU:C:2024:123).


44      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. 2008, L 177, S. 6) (im Folgenden: Rom‑I-Verordnung).


45      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 (ABl. 2007, L 199, S. 40) (im Folgenden: Rom‑II-Verordnung).


46      Vgl. siebter Erwägungsgrund der Rom‑I- und Rom‑II-Verordnungen.


47      Vgl. u. a. Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich), 5. November 2008, Nr. 07-18.064, FR:CCASS:2008:C101090; Mankowski, P., Nielsen, P. A., „Introduction to Articles 17-19“, in Magnus, U., und Mankowski, P., a. a. O., S. 448, §§ 23 und 24; Latil, C., a. a. O.; Ancel, M.‑E., „Commerce électronique-Un an de droit international privé du commerce électronique“, Communication Commerce électronique, 2014, Bd. 1; Bogdanov, S., „Arrêt Maletic: un pas supplémentaire dans la protection des consommateurs face au commerce électronique des voyages à forfait“, European Journal of Consumer Law, 2015, S. 433 bis 442, insbesondere S. 439; Chalas, C., „Compétence en matière de contrat conclu avec une agence de voyages“, Revue critique de droit international privé, 2014, S. 639.


48      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts de la Tour in der Rechtssache Inkreal (C‑566/22, EU:C:2023:768, Nr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


49      FTI verweist auf die Erwägungen einiger deutscher Gerichte, wonach eine Nichterfüllung der vertraglich übernommenen Pflichten – einschließlich einer Nichterfüllung im Ausland – nur in einem bereits bestehenden, rein innerstaatlichen Vertragsverhältnis wirken soll. Die Tatsache, dass der Erfüllungsort im Ausland liege, stelle lediglich eine Folge dieses Verhältnisses dar und beeinflusse nicht dessen Rechtsnatur. Bei allem Respekt sollte der Auslandsbezug eines Verhältnisses für die Zwecke der Brüssel‑Ia-Verordnung meines Erachtens anhand des oben in Nr. 30 dargelegten, weit gefassten und pragmatischen Kriteriums bestimmt werden und nicht anhand derart komplizierter Erwägungen.


50      Vgl. u. a. Urteil vom 24. November 2020, Wikingerhof (C‑59/19, EU:C:2020:950, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Entgegen dem Vorbringen der tschechischen Regierung ist der Umstand, dass der Erfüllungsort nach der Brüssel‑Ia-Verordnung keinen Gerichtsstand für die spezifischen Unterkategorien der unter Abschnitt 4 fallenden Verträge darstellt, unerheblich. Man darf die Frage, ob eine Rechtssache Fragen der internationalen Zuständigkeit aufwirft, nicht mit der Antwort verwechseln, die die Verordnung in der vorliegenden Rechtssache auf diese Fragen gibt (vgl. Urteil vom 17. November 2011, Hypoteční banka, C‑327/10, EU:C:2011:745, Rn. 31). Wie oben in Nr. 31 dargelegt, tragen die Vorschriften der Verordnung nur insoweit zur Bestimmung der Internationalität einer Rechtssache bei, als sie Aufschluss darüber geben, welche verbindenden Anknüpfungspunkte plausible Gerichtsstände darstellen und daher zur Zuständigkeit ausländischer Gerichte führen können. Der Erfüllungsort fällt in diese Kategorie. Der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber diesen Gerichtsstand für bestimmte Verbraucherverträge nicht vorgesehen hat, ändert daran nichts. Das Vorbringen der tschechischen Regierung könnte auch zu dem bizarren Ergebnis führen, dass der gleiche Pauschalreisevertrag als „innerstaatlich“ zu beurteilen wäre und damit unter Abschnitt 4 fiele, wenn er von einem Verbraucher abgeschlossen wurde, aber als „international“ beurteilt würde und unter Art. 7 Abs. 1 fiele, wenn er von einem Reisenden abgeschlossen wurde, der zum Zweck seiner beruflichen Tätigkeit handelte.


51      Vgl. Hartley, T., a. a. O., § 7.06. Soweit der Einwand von FTI bedeuten soll, dass ein solcher Fall enger mit dem Mitgliedstaat verbunden ist, in dem beide Vertragspartner ihren Wohnsitz haben, weise ich darauf hin, dass dies zwar zutreffend sein mag, aber für die Entscheidung der Frage der Internationalität unerheblich ist. Entscheidend ist das Vorliegen einer Verbindung zu dem Bestimmungsland, die potenziell für die Zuständigkeit von Bedeutung ist, und nicht die jeweilige Intensität der Verbindungen, die die Rechtssache mit unterschiedlichen Ländern aufweist.


52      Vgl. Urteil Owusu (Rn. 26).


53      Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung. Vgl. ähnlich Art. 1 Abs. 1 der Rom‑II-Verordnung.


54      Vgl. Urteil vom 14. September 2023, Diamond Resorts Europe u. a. (C‑632/21, EU:C:2023:671, Rn. 51 bis 53).


55      Vgl. Calster (van), G., European Private International Law, Hart Publishing, Oxford, 2016, S. 240.


56      Der Erfüllungsort ist ein relevanter Anknüpfungspunkt, da bei vernünftiger Betrachtung die Möglichkeit besteht, dass ein Staat die auf seinem Hoheitsgebiet erfüllten Verträge regeln möchte. Dies wird von verschiedenen Bestimmungen der Rom‑I-Verordnung ausdrücklich in Betracht gezogen (vgl. u. a. Art. 5 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 Buchst. d und e, Art. 6 Abs. 4 Buchst. a, Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3). Auch hier ist der Umstand, dass ein solcher Vertrag für die Zwecke der Bestimmung des anwendbaren Rechts eine engere Verbindung zu dem gemeinsamen Wohnsitz der Parteien aufweisen kann, im Rahmen der vorangehenden Bestimmung der Internationalität des Sachverhalts unerheblich. Entscheidend ist das Bestehen einer Verbindung zu einem anderen Land, die für die Rechtswahl von Bedeutung sein kann, nicht die Intensität der jeweiligen Verbindung zu unterschiedlichen Ländern.


57      Urteil vom 14. November 2013 (C‑478/12, EU:C:2013:735).


58      Urteil vom 14. November 2013, Maletic (C‑478/12, EU:C:2013:735, Rn. 29).


59      Siehe die oben in Fn. 47 angeführte Literatur.


60      Verbraucher können sich nämlich nicht auf die Forum-actoris-Regel stützen, um Klage gegen einen Dritten zu erheben, der nicht Partei des Verbrauchervertrags ist (siehe oben, Nr. 21).


61      Ich vermag auch nicht zu erkennen, warum – wie die tschechische Regierung meint – eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vorläge, wenn derselbe deutsche Reiseanbieter durch denselben deutschen Verbraucher vor einem anderen Gericht in Deutschland verklagt werden könnte, je nachdem, ob die Streitigkeit einen Vertrag über eine Reise nach Berlin (Deutschland) oder einen Vertrag über eine Reise nach Gibraltar (Spanien) beträfe. Diese Ungleichbehandlung beruht offensichtlich auf dem Unterschied zwischen den auf diese beiden Verträge anwendbaren Zuständigkeitsregelungen, der seinerseits dadurch gerechtfertigt ist, dass sich aus dem zweiten Vertrag aufgrund von dessen Internationalität Fragen der Zuständigkeit ergeben, die der erste Vertrag unmöglich aufwerfen kann.


62      Das Brüsseler System steht dem forum actoris im Übrigen „feindlich“ gegenüber (vgl. u. a. Urteil vom 20. Januar 2005, Gruber, C‑464/01, EU:C:2005:32, Rn. 33).


63      So auch Mankowski, P., Nielsen, P. A., „Introduction to Articles 17-19“, in Magnus, U., und Mankowski, P., a. a. O., S. 448, § 23.


64      Vgl. Urteil vom 30. September 2021, Commerzbank (C‑296/20, EU:C:2021:784, Rn. 42 bis 44).


65      Vgl. Dickinson, A., und Lein, E., a. a. O., § 6.68; Hartley, T., a. a. O., § 11.12.


66      Vgl. 18. Erwägungsgrund der Brüssel Ia-Verordnung.


67      Vgl. u. a. Dickinson, A., und Lein, E., a. a. O., §§ 6.56 und 6.64.


68      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 14. September 2023, Club La Costa u. a. (C‑821/21, EU:C:2023:672, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


69      Vgl. Urteil vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, EU:C:2000:346, Rn. 22 und 23).


70      Die Kommission nennt das Beispiel eines Verbrauchers mit Wohnsitz in Passau (Deutschland), der Klage in Flensburg (Deutschland) (etwa zehn Stunden entfernt) erheben müsste, während er, wenn er Klage in Linz (Österreich) erheben müsste, nur zwei Autostunden entfernt wäre.


71      Zudem sollte dieser Schutz mit Sicherheit Verbraucher zum Konsum außerhalb der Grenzen des eigenen Staates, im Binnenmarkt, veranlassen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Sánchez-Bordona in der Rechtssache Commerzbank, C‑296/20, EU:C:2021:733, Nr. 26). Jedoch kann die Anwendung dieser Bestimmung – wie die Kommission geltend macht – nicht auf diese Fallgestaltung begrenzt sein (wie die Tatsache, dass sie auf Gewerbetreibende aus Drittstaaten anwendbar ist, zeigt). Sie zielt generell darauf ab, Verbraucher bei internationalen Verträgen zu schützen.


72      Tatsächlich ist dies im Ausgangsverfahren der Fall, da Nürnberg zwei Autostunden von München entfernt ist.