Language of document : ECLI:EU:C:1998:594

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)

10. Dezember 1998 (1)

„Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen“

In den verbundenen Rechtssachen C-127/96, C-229/96 und C-74/97

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunal Superiorde Justicia Murcia (Spanien) (C-127/96), vom Arbeitsgericht Frankfurt am Main(Deutschland) (C-229/96) und vom Juzgado de lo Social Nr. 1 Pontevedra(Spanien) (C-74/97) in den bei diesen anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Francisco Hernández Vidal SA

gegen

Prudencia Gómez Pérez,

María Gómez Pérez und

Contratas y Limpiezas SL (C-127/96)

und

Friedrich Santner

gegen

Hoechst AG (C-229/96)

und

Mercedes Gómez Montaña

gegen

Claro Sol SA und

Red Nacional de Ferrocarriles Españoles (Renfe) (C-74/97)

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung derRechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen derArbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen(ABl. L 61, S. 26)

erläßt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet (Berichterstatter) sowieder Richter P. Jann, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann und D. A. O. Edward,

Generalanwalt: G. Cosmas


Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

—    der Francisco Hernández Vidal SA, vertreten durch Rechtsanwalt ÁngelHernández Martín, Murcia,

—    von Herrn Santner, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Baier, Frankfurtam Main,

—    der Hoechst AG, vertreten durch Assessor Mathias Becker,Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessene. V., als Bevollmächtigten,

—    der Claro Sol SA, vertreten durch Rechtsanwalt José Antonio Otero Martín,Madrid,

—    der Red Nacional de Ferrocarriles Españoles (Renfe), vertreten durchRechtsanwalt Luis Fernando Díaz-Guerra Alvarez, Madrid,

—    der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado RosarioSilva de Lapuerta, als Bevollmächtigte (C-74/97),

—    der deutschen Regierung, vertreten durch Regierungsrätin zur AnstellungSabine Maass (C-127/96 und C-229/96) und Ministerialrat Ernst Röder(C-229/96 und C-74/97), beide Bundesministerium für Wirtschaft, alsBevollmächtigte,

—    der belgischen Regierung, vertreten durch Jann Devadder,Verwaltungsdirektor im Juristischen Dienst des Ministeriums für AuswärtigeAngelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, alsBevollmächtigten (C-127/96),

—    der französischen Regierung, vertreten durch Jean-François Dobelle,stellvertretender Direktor in der Direktion für Rechtsfragen desMinisteriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Anne de Bourgoing,Chargé de mission in dieser Direktion, als Bevollmächtigte (C-127/96),

—    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch John E. Collins,Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten, Barrister Clive Lewis(C-127/96) und Lindsey Nicoll, Treasury Solicitor's Department, alsBevollmächtigte, sowie Barrister Sarah Moore (C-74/97),

—    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch MariaPatakia (C-127/96, C-229/96 und C-74/97), Juristischer Dienst, alsBevollmächtigte, Isabel Martínez Del Peral (C-127/96 und C-74/97),Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, und Rechtsberater PeterHillenkamp (C-229/96) als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Francisco Hernández Vidal SA,vertreten durch Rechtsanwalt Ángel Hernández Martín, von Prudencia GómezPérez und María Gómez Pérez, beide vertreten durch Rechtsanwalt JoaquínMartínez Jiménez, Murcia, der Hoechst AG, vertreten durch Mathias Becker, derRed Nacional de Ferrocarriles Españoles (Renfe), vertreten durch RechtsanwaltLuis Fernando Díaz-Guerra Alvarez, der spanischen Regierung, vertreten durchRosario Silva de Lapuerta, der französischen Regierung, vertreten durch Jean-François Dobelle und Anne de Bourgoing, und der Kommission, vertreten durchPeter Hillenkamp und Manuel Desantes, zum Juristischen Dienst abgeordneternationaler Beamter, als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 11. Juni 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24.September 1998,

folgendes

Urteil

1.
    Mit Beschlüssen vom 22. Februar 1996 (C-127/96), vom 11. Juni 1996 (C-229/96)und vom 28. Januar 1997 (C-74/97), beim Gerichtshof eingegangen am 22. April1996, am 1. Juli 1996 und am 20. Februar 1997, haben das Tribunal Superior deJusticia Murcia, das Arbeitsgericht Frankfurt am Main und das Juzgado de loSocial Nr. 1 Pontevedra gemäß Artikel 177 EG-Vertrag Fragen nach der Auslegungder Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung derRechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen derArbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen(ABl. L 61, S. 26) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
    Diese Fragen stellen sich in den Rechtsstreitigkeiten erstens Francisco HernándezVidal SA (im folgenden: Hernández Vidal) gegen Prudencia Gómez Pérez, MaríaGómez Pérez und Contratas y Limpiezas SL (im folgenden: Contratas yLimpiezas), zweitens Herr Santner gegen Hoechst AG (im folgenden: Hoechst) unddrittens Gómez Montaña gegen Claro Sol SA (im folgenden: Claro Sol) und RedNacional de Ferrocarriles Españoles (im folgenden: Renfe).

3.
    Im Anschluß an die Verkündung des Urteils vom 11. März 1997 in der RechtssacheC-13/95 (Süzen, Slg. 1997, I-1259) ist das Verfahren in den vorliegendenRechtssachen jeweils durch Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18.März 1997 ausgesetzt worden; der Gerichtshof hat die vorlegenden Gerichteaufgefordert, ihm mitzuteilen, ob sie ihre Fragen im Licht dieses Urteils und desUrteils vom 14. April 1994 in der Rechtssache C-392/92 (Schmidt, Slg. 1994, I-1311)aufrechterhalten wollen. Die Gerichte haben dies mit Schreiben an den Gerichtshofvom 6. Mai 1997 (C-127/96), vom 24. Juli 1997 (C-229/96) und vom 22. April 1997(C-74/97) bejaht. Das Verfahren in den vorliegenden Rechtssachen ist durchBeschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 2. Juni 1997 (C-127/96), vom 27.August 1997 (C-229/96) und vom 5. Juni 1997 (C-74/97) wiederaufgenommenworden.

4.
    Die drei Rechtssachen sind durch Beschluß des Präsidenten der Fünften Kammervom 31. März 1998 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidungverbunden worden.

Die Rechtssache C-127/96

5.
    Prudencia und María Gómez Pérez waren mehrere Jahre lang bei demReinigungsunternehmen Contratas y Limpiezas als Reinigungskräfte beschäftigt. Siewurden im Rahmen eines zwischen Contratas y Limpiezas und Hernández Vidal— einem Unternehmen, das Kaugummi und Süßwaren herstellt — geschlossenenReinigungsvertrags zur Reinigung der Räumlichkeiten von Hernández Vidaleingesetzt.

6.
    Der am 1. Januar 1992 in Kraft getretene und jedes Jahr stillschweigendverlängerte Reinigungsvertrag wurde am 28. November 1994 von Hernández Vidal,die künftig selbst für die Reinigung ihrer Räumlichkeiten sorgen wollte, zum 31.Dezember 1994 gekündigt. Keines der beiden Unternehmen wollte vom 2. Januar1995 an die Arbeitsverhältnisse von Prudencia und María Gómez Pérez fortsetzen.

7.
    Diese erhoben daher gegen die beiden Unternehmen beim Juzgado de lo SocialNr. 5 Murcia Klage wegen rechtswidriger Kündigung. Mit Urteil vom 23. März 1995gab dieses Gericht ihrer Klage statt, jedoch nur in bezug auf Hernández Vidal.Diese wurde verurteilt, die Klägerinnen weiterzubeschäftigen oder ihnenAbfindungen zu zahlen sowie ihnen das Arbeitsentgelt für die Zeit von derEntlassung bis zur Zustellung des Urteils zu zahlen.

8.
    Hernández Vidal war der Ansicht, daß kein Übergang eines Unternehmens odereines Betriebsteils vorliege, so daß sie nicht als Erwerber angesehen werden könne,und legte daher gegen das genannte Urteil beim Tribunal Superior de JusticiaMurcia Rechtsmittel ein.

9.
    Dieses Gericht ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von derAuslegung der Richtlinie 77/187 abhängt, und hat daher das Verfahren ausgesetztund dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.    Ist die Arbeitstätigkeit, die im Reinigungsdienst für die Räumlichkeiteneines Unternehmens besteht, dessen hauptsächliche Tätigkeit imvorliegenden Fall nicht die Reinigung ist, sondern die Herstellung vonKaugummi und Süßwaren, das jedoch ständig der genannten Nebentätigkeitbedarf, ein „Betriebsteil“?

2.    Kann ferner der Begriff „vertragliche Übertragung“ die Auflösung eineshandelsrechtlichen Vertrages über die Leistung des Reinigungsdienstes nachdrei Jahren mit jährlicher Verlängerung nach Ablauf des dritten Jahresdurch Entscheidung des dienstberechtigten Unternehmens umfassen, undfalls diese Frage bejaht wird, kann dies davon abhängen, daß dasdienstberechtigte Unternehmen die Reinigung durch seine eigenenArbeitnehmer oder aufgrund eines neuen Vertragsabschlusses durch anderedurchführen läßt?

Die Rechtssache C-229/96

10.
    Herr Santner war seit 1980 als Reinigungskraft beschäftigt, zunächst bei derDörhöffer + Schmitt GmbH (im folgenden: Dörhöffer + Schmitt), dann bei derB + S GmbH (im folgenden: B + S), die durch eine Betriebsaufspaltung ausDörhöffer + Schmitt hervorgegangen war. Er reinigte im Rahmen seinesArbeitsverhältnisses ausschließlich Badehäuser von Hoechst, die mit den beidenvorgenannten Unternehmen aufeinanderfolgende Reinigungsverträge geschlossenhatte.

11.
    Hoechst kündigte jedoch ihren Vertrag mit B + S und organisierte dieReinigungsarbeiten in ihren Badehäusern um. Sie werden nunmehr teils von ihreneigenen Arbeitnehmern, teils in Kooperation mit anderen Fremdfirmen geleistet.

12.
    B + S kündigte am 27. April 1995 den Arbeitsvertrag mit Herrn Santner.

13.
    Da nach dessen Ansicht ein Unternehmensübergang erfolgt ist und dasArbeitsverhältnis deshalb mit Hoechst fortgesetzt werden muß, erhob er beimArbeitsgericht Frankfurt am Main Klage gegen Hoechst.

14.
    Dieses Gericht ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von derAuslegung der Richtlinie 77/187 abhängt, und hat daher das Verfahren ausgesetztund dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.    Können die Reinigungsaufgaben einzelner Betriebsteile eines Betriebes,wenn sie nach Kündigung der vertraglichen Übertragung auf eineFremdfirma wieder vom Unternehmer selbst ausgeführt werden, einemBetriebsteil im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG gleichgestellt werden?

2.    Gilt dies auch dann, wenn diese Reinigungsaufgaben einzelner Betriebsteiledes Betriebes nach Rückübertragung auf den Unternehmer wieder in denReinigungsaufgaben des gesamten Betriebes aufgehen?

Die Rechtssache C-74/97

15.
    Die Renfe hatte das Reinigungsunternehmen Claro Sol für die Zeit vom 16.Oktober 1994 bis 15. Oktober 1996 mit der Reinigung und dem Unterhalt desBahnhofs Pontevedra beauftragt.

16.
    Claro Sol übernahm aufgrund des Vertrages Frau Gómez Montaña undbeschäftigte sie mit der Reinigung und dem Unterhalt des genannten Bahnhofs.Vorher hatte Frau Gómez Montaña mehrere Jahre lang dieselbe Arbeit alsArbeitnehmerin der verschiedenen Dienstleistungsunternehmen ausgeübt, die denReinigungsauftrag vor Claro Sol übernommen hatten.

17.
    Nach Ablauf des Vertrages entschloß sich die Renfe, ihren Vertrag mit Claro Solnicht zu erneuern und künftig selbst für die Reinigung und den Unterhalt desBahnhofs von Pontevedra zu sorgen. Am 1. Oktober 1996 teilte Claro Sol Frau

Gómez Montaña mit, daß ihr Arbeitsvertrag aufgrund dieses Auftragsverlustes am15. Oktober 1996 ablaufe.

18.
    Frau Gómez Montaña erhob daraufhin gegen Claro Sol und die Renfe beimJuzgado de lo Social Nr. 1 Pontevedra Klage wegen rechtswidriger Kündigung.

19.
    Dieses Gericht ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von derAuslegung der Richtlinie 77/187 abhängt, und hat daher das Verfahren ausgesetztund dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Wird die Beendigung eines Subunternehmervertrags mit einemReinigungsunternehmen, die Grund für die Entlassung der vom Subunternehmenbeschäftigten Arbeitnehmerin war, und die Übernahme der Reinigungstätigkeitdurch das Hauptunternehmen, ein Eisenbahntransportunternehmen, mit seineneigenen Beschäftigten vom Geltungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG vom 14.Februar 1977 erfaßt?

Die Vorabentscheidungsfragen

20.
    Die vorlegenden Gerichte möchten mit ihren zweckmäßigerweise gemeinsam zuuntersuchenden Fragen wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen dieRichtlinie 77/187 auf einen Fall anwendbar ist, in dem ein Unternehmen, das einanderes Unternehmen mit der Reinigung seiner Räumlichkeiten oder eines Teilsderselben beauftragt hat, beschließt, den Vertrag mit diesem Unternehmen zukündigen und fortan selbst für die Durchführung der fraglichen Arbeiten zu sorgen.

21.
    Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 ist die Richtlinie 77/187 auf den Übergang vonUnternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durchvertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

22.
    Die Richtlinie 77/187 soll gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes dieKontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehendenArbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten.Entscheidend für einen Übergang im Sinne der Richtlinie ist daher, ob die fraglicheEinheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn derBetrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird (Urteil vom 18.März 1986 in der Rechtssache 24/85, Spijkers, Slg. 1986, 1119, Randnrn. 11 f., undzuletzt Urteil Süzen, Randnr. 10).

23.
    Was die Modalitäten einer solchen Übertragung angeht, ist es unstreitig, daß dieRichtlinie 77/187 in allen Fällen anwendbar ist, in denen die natürliche oderjuristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigtendes Unternehmens eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt (vgl.insbesondere Urteil vom 7. März 1996 in den Rechtssachen C-171/94 und C-172/94,Merckx und Neuhuys, Slg. 1996, I-1253, Randnr. 28).

24.
    Nach Ansicht des Gerichtshofes können daher ein Fall, in dem ein Unternehmendurch Vertrag einem anderen Unternehmen die Verantwortung für dieDurchführung der Reinigungsarbeiten überträgt, die es vorher unmittelbarausgeführt hatte (Urteil Schmidt, Randnr. 14), und ein Fall, in dem einAuftraggeber, der die Reinigung seiner Räumlichkeiten einem ersten Unternehmeranvertraut hatte, den Vertrag mit diesem Unternehmer kündigt und zurDurchführung ähnlicher Arbeiten einen neuen Vertrag mit einem zweitenUnternehmer schließt (Urteil Süzen, Randnrn. 11 f.), unter die Richtlinie 77/187fallen.

25.
    Die Richtlinie 77/187 muß außerdem in dem Fall angewendet werden können, daßein Unternehmen — wie in den vorliegenden Fällen — ein anderes Unternehmen mitder Reinigung seiner Räumlichkeiten oder eines Teils derselben beauftragt hat undbeschließt, den Vertrag mit diesem Unternehmen zu kündigen und fortan selbst fürdie Durchführung dieser Arbeiten zu sorgen.

26.
    Die Anwendbarkeit der Richtlinie 77/187 setzt jedoch voraus, daß es um denÜbergang einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit geht, deren Tätigkeitnicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist (Urteil vom19. September 1995 in der Rechtssache C-48/94, Rygaard, Slg. 1995, I-2745,Randnr. 20). Der Begriff „Einheit“ bezieht sich dabei auf eine organisierteGesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichenTätigkeit mit eigener Zielsetzung (Urteil Süzen, Randnr. 13).

27.
    Eine solche Einheit muß zwar hinreichend strukturiert und selbständig sein, umfaßtaber nicht notwendigerweise bedeutsame materielle oder immaterielleBetriebsmittel. In bestimmten Wirtschaftszweigen wie dem Reinigungsgewerbetreten diese Betriebsmittel nämlich oft nur in ihrer einfachsten Form inErscheinung, und es kommt dort im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraftan. Daher kann eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, denen einegemeinsame Aufgabe eigens auf Dauer zugewiesen ist, eine wirtschaftliche Einheitdarstellen, ohne daß weitere Betriebsmittel vorhanden sind.

28.
    Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, anhand der vorstehendenAuslegungskriterien festzustellen, ob der Unterhalt der Räumlichkeiten desauftraggebenden Unternehmens bis zur Übernahme dieser Tätigkeit durch dasauftraggebende Unternehmen selbst in Form einer wirtschaftlichen Einheit in denaußenstehenden Reinigungsunternehmen organisiert war.

29.
    Bei der anschließenden Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Übergang einerEinheit erfüllt sind, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnendenTatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art desbetreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellenBetriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellenAktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaftdurch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad

der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeitenund die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. DieseUmstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung unddürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (u. a. Urteile Spijkers, Randnr. 13,und Süzen, Randnr. 14).

30.
    Der bloße Umstand, daß die vom Reinigungsunternehmen und danach von demUnternehmen, dem die Räumlichkeiten gehören, selbst ausgeführtenReinigungsarbeiten einander ähnlich sind, läßt somit nicht auf den Übergang einerwirtschaftlichen Einheit vom ersten auf das zweite Unternehmen schließen. EineEinheit darf nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identitätergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihrenFührungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden undgegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (Urteil Süzen,Randnr. 15).

31.
    Wie in Randnummer 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat das innerstaatlicheGericht bei der Bewertung der maßgeblichen Tatsachen u. a. die Art desbetroffenen Unternehmens oder Betriebes zu berücksichtigen. Den für dasVorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie 77/187 maßgeblichen Kriterienkommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach denProduktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen,Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu. Daeine wirtschaftliche Einheit insoweit in bestimmten Branchen ohne relevantematerielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein kann, kann die Wahrung derIdentität einer solchen Einheit über ihren Übergang hinaus nicht von derÜbertragung von Betriebsmitteln abhängen (Urteil Süzen, Randnr. 18).

32.
    Soweit in bestimmten Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschlicheArbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch einegemeinsame Tätigkeit dauerhaft miteinander verbunden sind, eine wirtschaftlicheEinheit darstellt, kann eine solche Einheit ihre Identität über ihren Überganghinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffendeTätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichenTeil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeiteingesetzt hatte. Denn in diesem Fall erwirbt der neue Unternehmensinhaber eineorganisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeitenoder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt(Urteil Süzen, Randnr. 21).

33.
    Der Umstand schließlich, daß die Reinigungstätigkeit für das Unternehmen, das fürderen Durchführung fortan selbst sorgen will, nur von untergeordneter Bedeutungist und nicht in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Unternehmenszwecksteht, kann nicht zum Ausschluß dieses Vorgangs aus dem Anwendungsbereich derRichtlinie 77/187 führen (Urteil vom 12. November 1992 in den Rechtssachen

C-209/91, Watson Rask und Christensen, Slg. 1992, I-5755, Randnr. 17, und UrteilSchmidt, Randnr. 14).

34.
    Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, anhand aller vorstehendenAuslegungskriterien festzustellen, ob in den Ausgangsverfahren ein Übergangstattgefunden hat.

35.
    Somit ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 derRichtlinie 77/187 dahin auszulegen ist, daß diese Richtlinie auf einen Fall, in demein Unternehmen, das ein anderes Unternehmen mit der Reinigung seinerRäumlichkeiten beauftragt hat, beschließt, den Vertrag mit diesem Unternehmenzu kündigen und fortan selbst für die Durchführung der fraglichen Arbeiten zusorgen, anwendbar ist, sofern der Vorgang mit dem Übergang einer wirtschaftlichenEinheit zwischen den beiden Unternehmen einhergeht. Der Begriff derwirtschaftlichen Einheit bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheit vonPersonen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenerZielsetzung. Der bloße Umstand, daß die erst vom Reinigungsunternehmen unddanach von dem Unternehmen, dem die Räumlichkeiten gehören, ausgeführtenWartungsarbeiten einander ähnlich sind, läßt nicht auf den Übergang einer solchenEinheit schließen.

Kosten

36.
    Die Auslagen der spanischen, der deutschen, der belgischen und der französischenRegierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission,die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit indem jeweils bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; dieKostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunal Superior de Justicia Murcia, vom ArbeitsgerichtFrankfurt am Main und vom Juzgado de lo Social Nr. 1 Pontevedra mitBeschlüssen vom 22. Februar 1996, vom 11. Juni 1996 und vom 28. Januar 1997vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zurAngleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung vonAnsprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder

Betriebsteilen ist dahin auszulegen, daß diese Richtlinie auf einen Fall, in dem einUnternehmen, das ein anderes Unternehmen mit der Reinigung seinerRäumlichkeiten beauftragt hat, beschließt, den Vertrag mit diesem Unternehmenzu kündigen und fortan selbst für die Durchführung der fraglichen Arbeiten zusorgen, anwendbar ist, sofern der Vorgang mit dem Übergang einerwirtschaftlichen Einheit zwischen den beiden Unternehmen einhergeht. Der Begriffder wirtschaftlichen Einheit bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheitvon Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit miteigener Zielsetzung. Der bloße Umstand, daß die erst vom Reinigungsunternehmenund danach von dem Unternehmen, dem die Räumlichkeiten gehören, ausgeführtenUnterhaltsarbeiten einander ähnlich sind, läßt nicht auf den Übergang einersolchen Einheit schließen.

Puissochet                Jann
Moitinho de Almeida

        Gulmann                Edward

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Dezember 1998.

Der Kanzler

Der Präsident der Fünften Kammer

R. Grass

J.-P. Puissochet


1: Verfahrenssprache: Spanisch und Deutsch.