Language of document : ECLI:EU:T:2018:950

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

13. Dezember 2018(*)

„Staatliche Beihilfen – Chemische Industrie – Beschluss, den Geschäftsbetrieb eines Unternehmens während des Insolvenzverfahrens weiterzuführen – Beschluss, mit dem das Nichtvorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt wird – Nichtigkeitsklage – Individuelle Betroffenheit – Zulässigkeit – Begriff der staatlichen Beihilfe – Vorteil – Kriterium des privaten Gläubigers – Zurechenbarkeit zum Staat – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑284/15

AlzChem AG mit Sitz in Trostberg (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst P. Alexiadis, Solicitor, sowie Rechtsanwälte A. Borsos und I. Georgiopoulos, dann P. Alexiadis, A. Borsos sowie Rechtsanwälte E. Kazili, P. Oravec und K. Csach,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Conte und L. Armati als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

und durch

Fortischem a.s. mit Sitz in Nováky (Slowakei), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Arhold, P. Hodál und M. Staroň,

Streithelferinnen,

wegen einer Klage gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung von Art. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1826 der Kommission vom 15. Oktober 2014 zu der von der Slowakei durchgeführten staatlichen Beihilfe SA.33797 – (2013/C) (ex 2013/NN) (ex 2011/CP) zugunsten von NCHZ (ABl. 2015, L 269, S. 71)

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis sowie des Richters S. Papasavvas und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2018

folgendes

Urteil(1)

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die AlzChem AG, ist ein Unternehmen mit Gesellschaftssitz in Deutschland, das in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Slowakische Republik, auf mehreren Märkten für Waren der Feinchemie tätig ist.

2        Die Novácké chemické závody, a.s. v konkurze (im Folgenden: NCHZ) war ein im Eigentum privater Kapitalgeber stehender Chemieproduzent, der über drei Sparten verfügte. Das Unternehmen betrieb in der Region Trenčín (Slowakei) eine Chemiefabrik. Ihr Haupttätigkeitsfeld war die Produktion von Calciumcarbid und technischen Gasen, von Polyvinylchlorid und seinen Verarbeitungserzeugnissen sowie in zunehmendem Maß von Waren der Schwer- und Feinchemie in geringen Mengen.

3        Nachdem NCHZ am 8. Oktober 2009 erklärt hatte, nicht mehr zur Weiterführung ihres Betriebs in der Lage zu sein, und Insolvenz angemeldet hatte, wurde ein Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet.

4        Am 5. November 2009 erließ die Slowakische Republik den Zákon č. 493/2009 Z.z. o niektorých opatreniach týkajúcich sa strategických spoločností a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Gesetz Nr. 493/2009 über Maßnahmen in Bezug auf strategisch wichtige Unternehmen und zur Änderung bestimmter Gesetze, im Folgenden: Gesetz über strategisch wichtige Unternehmen). Mit diesem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Gesetz wurde dem Staat ein Vorkaufsrecht für strategisch wichtige Unternehmen in Insolvenz eingeräumt und die Bestellung eines Insolvenzverwalters (im Folgenden: Verwalter) vorgeschrieben, um die Weiterführung des strategisch wichtigen Unternehmens während des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten. Am 2. Dezember 2009 wurde NCHZ von den slowakischen Behörden gemäß diesem Gesetz als strategisch wichtiges Unternehmen eingestuft und behielt diesen Status bis zum Außerkrafttreten des Gesetzes am 31. Dezember 2010. NCHZ war das einzige Unternehmen, auf das dieses Gesetz angewandt wurde (im Folgenden: erster Insolvenzzeitraum).

5        Nach dem 31. Dezember 2010 wurde der Zákon č. 7/2005 Z.z. o konkurze a reštrukturalizácii a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Gesetz Nr. 7/2005 über Insolvenz und Umstrukturierung sowie zur Änderung bestimmter Gesetze, im Folgenden: Insolvenzgesetz) auf NCHZ angewendet (im Folgenden: zweiter Insolvenzzeitraum). Bei der gemeinsamen Versammlung der im Gläubigerausschuss vertretenen Gläubiger ungesicherter Forderungen (im Folgenden: Gläubigerausschuss) und der betroffenen bevorrechtigten Gläubiger vom 26. Januar 2011 (im Folgenden: Versammlung vom 26. Januar 2011) setzte sie der damalige Verwalter darüber in Kenntnis, dass die Betriebskosten von NCHZ höher als die Betriebseinnahmen waren. Er legte den Gläubigern außerdem seine wirtschaftliche Analyse vom 23. Dezember 2010 (im Folgenden: wirtschaftliche Analyse) vor, die durch eine Präsentation der Geschäftsleitung ergänzt wurde. Die oben genannten Gläubiger entschieden sich daraufhin für die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ (im Folgenden: Beschluss vom 26. Januar 2011). Nachdem dieser Beschluss am 17. Februar 2011 durch einen Beschluss des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín, Slowakei) gebilligt worden war (im Folgenden: Beschluss des Súd v Trenčíne [Gericht Trenčín] oder Beschluss vom 17. Februar 2011), führte der Verwalter den Geschäftsbetrieb weiter. Im vorliegenden Fall setzte sich der zuständige Ausschuss (im Folgenden: zuständiger Ausschuss) gemäß dem Insolvenzgesetz aus dem Gläubigerausschuss, den bevorrechtigten Gläubigern und dem Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) zusammen.

[nicht wiedergegeben]

10      Mit Schreiben vom 2. Juli 2013 teilte die Kommission den slowakischen Behörden ihren Beschluss mit, gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV ein formelles Prüfverfahren einzuleiten (ABl. 2013, C 297, S. 85), und zwar zum einen hinsichtlich der auf dem Gesetz über strategisch wichtige Unternehmen beruhenden Genehmigung des Staates für den Weiterbetrieb von NCHZ von Dezember 2009 bis Dezember 2010 und zum anderen hinsichtlich des Beschlusses der Gläubiger vom Januar 2011, den Geschäftsbetrieb von NCHZ nach dem Außerkrafttreten des Gesetzes über strategisch wichtige Unternehmen weiterzuführen. Die Kommission äußerte außerdem Zweifel daran, dass die Ausschreibung, die den Verkauf von NCHZ ermöglicht hatte, bedingungsfrei gewesen sei, und meinte, dass es deutliche Anzeichen dafür gebe, dass die wirtschaftliche Kontinuität zwischen NCHZ und dem neuen Unternehmen nicht unterbrochen worden sei.

[nicht wiedergegeben]

II.    Angefochtener Beschluss

13      Am 15. Oktober 2014 erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2015/1826 zu der von der Slowakei durchgeführten staatlichen Beihilfe SA.33797 – (2013/C) (ex 2013/NN) (ex 2011/CP) zugunsten von NCHZ (ABl. 2015, L 269, S. 71, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

14      Die Kommission war der Auffassung, dass NCHZ durch die Zuerkennung des Status als strategisch wichtiges Unternehmen an NCHZ (im Folgenden: erste Maßnahme) ein selektiver Vorteil verschafft worden sei, dass die Zuerkennung dem Staat zurechenbar sei, dass dafür staatliche Mittel eingesetzt worden seien und dass der Wettbewerb auf einem für die Mitgliedstaaten offenen Markt verfälscht worden sei. Die Kommission schloss daraus, dass diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle und dass diese Beihilfe rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei (Erwägungsgründe 110 und 114 bis 124 des angefochtenen Beschlusses). Sie bezifferte den Betrag der Beihilfe auf 4 783 424,10 Euro. Die Beihilfe sei von NCHZ zurückzufordern, und die Rückforderung müsse sich auf Fortischem erstrecken, da zwischen dieser und NCHZ wirtschaftliche Kontinuität bestehe (Erwägungsgründe 101 und 174 des angefochtenen Beschlusses).

15      Die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ aufgrund des Beschlusses vom 26. Januar 2011 (im Folgenden: zweite Maßnahme) stelle dagegen keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, da mindestens zwei der kumulativen Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe, nämlich die Zurechenbarkeit zum Staat und das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils, nicht gegeben seien (113. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

16      Im verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses heißt es:

Artikel 2

Die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ nach dem Außerkrafttreten des Gesetzes aufgrund der Entscheidung des Gläubigerausschusses stellte keine Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV dar.

Artikel 6

Dieser Beschluss ist an die [Slowakische Republik] gerichtet.“

[nicht wiedergegeben]

V.      Rechtliche Würdigung

[nicht wiedergegeben]

B.      Zur Begründetheit

[nicht wiedergegeben]

2.      Zur Frage, ob die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ während des zweiten Insolvenzzeitraums dem Staat zuzurechnen ist (zweiter Klagegrund)

[nicht wiedergegeben]

b)      Zum Verstoß gegen die Begründungspflicht bezogen auf die Frage, ob die zweite Maßnahme aufgrund der Billigung des Beschlusses vom 26. Januar 2011 durch den Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) dem Staat zuzurechnen ist (erster Teil des zweiten Klagegrundes)

97      Die Klägerin beruft sich darauf, sie habe, wie von der Kommission im 46. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, als Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass die Entscheidung, die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ zu billigen, dem Staat zuzurechnen sei, insbesondere weil diese Entscheidung vom Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) bestätigt und für verbindlich erklärt worden sei.

98      Obwohl die Kommission aber in den Erwägungsgründen 14, 33, 35, 36 und 102 des angefochtenen Beschlusses die Beteiligung des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) am Entscheidungsprozess einräume, schweige sie sich in den Erwägungsgründen 103 und 104 des angefochtenen Beschlusses – in denen sie ihre Würdigung der Frage, ob die zweite Maßnahme dem Staat zuzurechnen sei, dargelegt habe – zu der Frage aus, welche Rolle dieses Gericht gespielt habe. Die Kommission habe somit, obgleich Entscheidungen der nationalen Gerichte im Allgemeinen als dem Staat zurechenbar gälten, keine Angaben gemacht, denen sich hätte entnehmen lassen, weshalb die Entscheidung des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) nicht relevant gewesen sei oder – falls sie relevant gewesen sei – nicht für die Feststellung ausgereicht habe, dass die zweite Maßnahme dem Staat zuzurechnen sei.

99      Die Kommission ist der Meinung, dass der angefochtene Beschluss ausreichend begründet ist. Sie habe ihre Begründung klar und eindeutig dargelegt und es der Klägerin somit ermöglicht, diese nachzuvollziehen, und dem Gericht, seine gerichtliche Kontrolle auszuüben. In einer Situation, in der sämtliche Gläubiger, von denen die Mehrheit im Privateigentum stehe, ausdrücklich entschieden, dass es in ihrem wirtschaftlichen Interesse liege, die Geschäftstätigkeit des insolventen Unternehmens aufrechtzuerhalten, könne deren Entscheidung – wie sie bereits klargestellt habe – dem Staat nicht aus dem bloßen Grund zugerechnet werden, dass ein Gericht diese Entscheidung anschließend bestätige und für verbindlich erkläre. Auch wenn es der Klägerin unbenommen bleibe, die Richtigkeit dieses Ansatzes in Zweifel zu ziehen, könne sie nicht behaupten, die der Schlussfolgerung der Kommission zugrunde liegende Logik nicht verstanden zu haben, da der angefochtene Beschlusses insoweit zwar knapp sei, diese Begründung sich aber eindeutig aus ihm ergebe, insbesondere aus seinen Erwägungsgründen 102 bis 104.

100    Zunächst ist der Vortrag der Klägerin dahin zu verstehen, dass sie im Wesentlichen einen Verstoß gegen die Begründungspflicht hinsichtlich der Rolle des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) im Entscheidungsprozess geltend macht.

101    Im 102. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ausgeführt, dass „sich alle im Gläubigerausschuss vertretenen Gläubiger und die [bevorrechtigten] Gläubiger im Januar 2011 darauf [einigten], dass NCHZ seinen Betrieb aufrechterhalten solle“, und dass der „Beschluss [anschließend] nach … Insolvenzrecht vom [Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín)] bestätigt und damit für den [V]erwalter bindend [wurde]“.

102    Im 103. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat sich die Kommission mit der Frage eines etwaigen Vetorechts des Gläubigerausschusses und der bevorrechtigten Gläubiger befasst und ist insoweit zu dem Ergebnis gekommen, dass „[f]olglich … keine staatliche Einrichtung ihr Interesse an einer Beendigung des weiteren Schuldenanstiegs [hätte] durchsetzen können“.

103    Im 104. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission aus, dass „[d]amit … fest[steht], dass die Weiterführung des Betriebs von NCHZ sich auf einen Beschluss stützte, der von den privaten Gläubigern getragen wurde, da die öffentlichen Gläubiger keine Möglichkeit hatten, ein Veto einzulegen“, und dass „[f]olglich … die Entscheidung zur Weiterführung des Betriebs von NCHZ, nachdem das Gesetz außer Kraft getreten war, nicht dem Staat zugerechnet werden [kann]“.

104    In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles und gemäß den Bestimmungen des Insolvenzgesetzes steht außer Frage, dass der Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) dem zuständigen Ausschuss angehörte, der über die Weiterführung des Geschäftsbetriebs von NCHZ zu entscheiden hatte, und dass der Verwalter gemäß Art. 83 Abs. 4 des Insolvenzgesetzes durch den Beschluss vom 17. Februar 2011 gebunden war.

105    Allerdings hat die Kommission im angefochtenen Beschluss nicht klar ausgeführt, wie sie die Rolle des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) im Entscheidungsprozess verstanden hat. In den Erwägungsgründen 14, 26 und 32 sowie in Art. 2 des Beschlusses hat sie lediglich den Beschluss vom 26. Januar 2011 genannt, ohne auf das Eingreifen des Gerichts hinzuweisen (siehe oben, Rn. 78). In den Erwägungsgründen 33, 35, 36 und 102 des angefochtenen Beschlusses wiederum hat sie den Beschluss dieses Gerichts genannt, ohne dessen genaue Rolle im vorliegenden Fall mit Bezug auf Art. 83 Abs. 4 des Insolvenzgesetzes zu erläutern, so dass der Eindruck entstand, das Gericht sei nur tätig geworden, um den Beschluss vom 26. Januar 2011 zu billigen und für verbindlich zu erklären (vgl. insbesondere den 33. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

106    Des Weiteren hat die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung der Entscheidung, den Geschäftsbetrieb von NCHZ im zweiten Insolvenzzeitraum weiterzuführen, zwar im 102. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Existenz des Beschlusses vom 17. Februar 2011 erwähnt, allerdings ist dieser Beschluss in keinem der Erwägungsgründe 103 bis 112 des angefochtenen Beschlusses genannt, insbesondere nicht in den Erwägungsgründen 103 und 104. Die Kommission hat somit nur den Beschluss vom 26. Januar 2011 angeführt.

107    Zudem kann, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nicht ausgeschlossen werden, dass eine Maßnahme infolge einer Entscheidung eines nationalen Gerichts als dem Staat zurechenbar im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Oktober 2016, DEI und Kommission/Alouminion tis Ellados, C‑590/14 P, EU:C:2016:797, Rn. 59, 77 und 81, sowie vom 3. März 2016, Simet/Kommission, T‑15/14, EU:T:2016:124, Rn. 38, 44 und 45).

108    Die Kommission hätte daher im angefochtenen Beschluss die Gründe erläutern müssen, aus denen sie zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass die Entscheidung, den Geschäftsbetrieb von NCHZ weiterzuführen, dem Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) nicht zuzurechnen gewesen sei.

109    Insoweit ist zum Vortrag der Kommission, sie habe ihre Begründung klar und eindeutig dargestellt, festzustellen, dass sich ihre oben in Rn. 99 genannten Erläuterungen mitnichten aus dem angefochtenen Beschluss ergeben, sondern aus ihren Schriftsätzen im Verfahren vor dem Gericht, und dass sie so – entgegen ihrem Vortrag – die Begründung des angefochtenen Beschlusses ergänzt hat. Die Begründung muss jedoch nach der oben in Rn. 74 angeführten Rechtsprechung im angefochtenen Beschluss selbst enthalten sein und kann nicht zum ersten Mal und nachträglich vor dem Unionsrichter erläutert werden.

110    Folglich hat es die Kommission entsprechend dem Vorbringen der Klägerin versäumt, im angefochtenen Beschluss die Gründe darzustellen, aus denen der Beschluss des Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) keinerlei Einfluss auf ihre Beurteilung der Zurechenbarkeit der geprüften Maßnahme hatte.

111    Das Gericht hat die Kommission zudem in der mündlichen Verhandlung befragt, um hinsichtlich der Bestimmungen des Insolvenzgesetzes zu klären, ob ein gemäß dessen Art. 83 Abs. 4 tätiges Gericht, wie im vorliegenden Fall der Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín), lediglich die Einhaltung der Formalien der Entscheidung der Gläubiger zu prüfen hat oder ob es auch die Begründetheit dieser Entscheidung zu prüfen hat und gegebenenfalls zu einer anderen Entscheidung gelangen kann. Die Kommission war insoweit allerdings zu einer Antwort außerstande. Sie hat sich auf den Vortrag beschränkt, dass der Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) im vorliegenden Fall keine andere Wahl gehabt habe, als den Beschluss vom 26. Januar 2011 zu bestätigen, ohne sich jedoch darauf zu berufen, dass die Prüfung durch das genannte Gericht rechtlich beschränkt gewesen sei.

112    In Anbetracht des besonderen Zusammenhangs, in dem der Súd v Trenčíne (Gericht Trenčín) im vorliegenden Fall tätig geworden ist, da er dem zuständigen Ausschuss angehörte, ist der angefochtene Beschluss folglich nicht ausreichend begründet, soweit es um die Frage geht, ob die Entscheidung, den Geschäftsbetrieb von NCHZ im zweiten Insolvenzzeitraum weiterzuführen, dem Staat zurechenbar ist.

[nicht wiedergegeben]

3.      Zum Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils aufgrund des Beschlusses, den Geschäftsbetrieb von NCHZ im zweiten Insolvenzzeitraum weiterzuführen (erster Teil des ersten Klagegrundes)

[nicht wiedergegeben]

c)      Zur fehlerhaften Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers (erster Unterteil)

[nicht wiedergegeben]

3)      Zur Vergleichbarkeit der Situation öffentlicher und privater Gläubiger

[nicht wiedergegeben]

i)      Zur Berücksichtigung des Staates als einheitlicher Gläubiger

[nicht wiedergegeben]

184    Wie die Kommission, unterstützt von der Slowakischen Republik und Fortischem geltend macht, beruht der Vortrag der Klägerin insoweit auf der Prämisse, dass die Kommission nicht jeden öffentlichen Gläubiger einzeln hätte berücksichtigen dürfen, sondern die Slowakische Republik als einheitlichen öffentlichen Gläubiger hätte berücksichtigen müssen, der alle betroffenen öffentlichen Gläubiger vertrete.

185    Allerdings machen sowohl die Kommission als auch die Streithelferinnen geltend, diese Prämisse sei falsch, da sich aus dem Kriterium des privaten Gläubigers ergebe, dass jeder öffentliche Gläubiger in Ansehung der Besonderheiten seiner Forderungen gegen den betreffenden Schuldner zu entscheiden habe und dass die Entscheidung jedes öffentlichen Gläubigers mit der zu vergleichen sei, die ein privater Gläubiger in derselben Situation getroffen hätte.

186    Zunächst ist festzustellen, dass sich die Klägerin zur Stützung ihres Vorbringens auf keine Rechtsprechung beruft und sich auf den Einwand beschränkt, die von der Kommission angeführte Rechtsprechung könne deren Ansicht nicht stützen. Die Klägerin meint, diese Frage sei nicht behandelt worden, wohingegen die Kommission geltend macht, sie habe nicht behandelt werden müssen, da sie zum Kernbereich der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers gehöre.

187    Erstens war der Unionsrichter in dem von der Kommission angeführten Urteil vom 11. Juli 2002, HAMSA/Kommission (T‑152/99, EU:T:2002:188), der Auffassung, dass die Kommission für jede der fraglichen öffentlichen Stellen zu ermitteln hat, ob der gewährte Schuldenerlass offensichtlich größer war als derjenige, den ein hypothetischer privater Gläubiger gewährt hätte, der sich gegenüber der Klägerin in einer vergleichbaren Situation wie die betreffende Stelle befand und die ihm geschuldeten Beträge zurückzuerlangen suchte. Jeder Gläubiger muss eine Entscheidung treffen zwischen dem Betrag, der ihm im Rahmen der vorgeschlagenen Vereinbarung angeboten wird, und dem Betrag, den er nach einer etwaigen Liquidation des Unternehmens erlösen zu können glaubt, wobei seine Entscheidung durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst wird, und zwar dadurch, ob seine Forderung bevorrechtigt oder ungesichert ist, durch Art und Umfang etwaiger ihm zustehender Sicherheiten, durch seine Beurteilung der Sanierungsaussichten des Unternehmens und durch den ihm im Fall der Liquidation zufließenden Erlös (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2002, HAMSA/Kommission, T‑152/99, EU:T:2002:188, Rn. 168 und 170).

188    Somit ergibt sich aus dem Urteil vom 11. Juli 2002, HAMSA/Kommission (T‑152/99, EU:T:2002:188), insbesondere aus dessen Rn. 166 bis 172, dass der Unionsrichter eine Prüfung der individuellen Situation der öffentlichen Gläubiger, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Eigenschaft als ungesicherter oder bevorrechtigter Gläubiger, befürwortet hat, um im Kern festzustellen, ob ihre Entscheidung über das aufgrund wirtschaftlicher Erfordernisse gerechtfertigte Maß hinausging oder damit erklärt werden konnte, dass dem betreffenden Unternehmen ein Vorteil gewährt werden sollte. Der Unionsrichter war folglich der Auffassung, dass die öffentlichen Gläubiger nicht als Einheit angesehen werden dürfen, sondern dass ihre besonderen Eigenschaften zu berücksichtigen sind.

189    Im Übrigen ist der Vortrag der Klägerin zurückzuweisen, das Urteil vom 11. Juli 2002, HAMSA/Kommission (T‑152/99, EU:T:2002:188), sei nicht einschlägig, da sämtliche öffentlichen Gläubiger in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, der Empfängerin der fraglichen Beihilfe einen Schuldenerlass gewährt hätten, während im vorliegenden Fall die Interessen der Sozialversicherungsgesellschaft bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers offensichtlich nicht berücksichtigt worden seien. Deren Interessen sind nämlich als Interessen einer Gläubigerin mit nach Insolvenzeintritt entstandenen Forderungen berücksichtigt worden (110. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) (siehe oben, Rn. 161 bis 163).

190    Abschließend ist festzustellen, dass die Erwägungen des Urteils vom 11. Juli 2002, HAMSA/Kommission (T‑152/99, EU:T:2002:188, Rn. 168 und 170), im Urteil vom 17. Mai 2011, Buczek Automotive/Kommission (T‑1/08, EU:T:2011:216, Rn. 84), wieder aufgegriffen wurden.

191    Zweitens ist das von der Kommission ebenfalls angeführte Urteil vom 11. September 2012, Corsica Ferries France/Kommission (T‑565/08, EU:T:2012:415, Rn. 85 bis 94), entsprechend dem Vorbringen der Klägerin im vorliegenden Fall nicht einschlägig. In der betreffenden Rechtssache ging es nämlich darum, ob die Kommission die wirtschaftlichen Tätigkeiten des französischen Staates, für die eventuell die Notwendigkeit des Imageschutzes bestehen könnte, eindeutig festgelegt hatte, und nicht darum, ob der Staat als ein einheitlicher Gläubiger hätte angesehen werden müssen.

192    Drittens hat der Gerichtshof u. a. in den oben in Rn. 61 angeführten Urteilen auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei der Anwendung des Grundsatzes des privaten Gläubigers auf einen privaten Gläubiger abzustellen, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der öffentliche Gläubiger und von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht. Dies bedeutet, dass der Staat nicht als ein einheitlicher Gläubiger, unter dem alle betreffenden öffentlichen Gläubiger zusammengefasst werden, angesehen werden darf.

193    Viertens ist nach der Rechtsprechung zu staatlichen Beihilfen, wie die Kommission zu Recht geltend macht, in bestimmten Situationen zwischen der Rolle des Staates als Wirtschaftsteilnehmer und seiner Rolle als Träger öffentlicher Gewalt zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. September 1994, Spanien/Kommission, C‑278/92 bis C‑280/92, EU:C:1994:325, Rn. 22). Daraus ergibt sich, dass der Staat im Bereich der staatlichen Beihilfen nicht zwingend als eine einzige Einheit zu betrachten ist.

[nicht wiedergegeben]

196    Nach alledem könnte ein Verständnis des Staates als einheitlicher Gläubiger zu der Annahme führen, dass bestimmte öffentliche Gläubiger eine ihren Interessen zuwiderlaufende Entscheidung treffen müssen und kein ähnliches Verhalten an den Tag legen dürfen wie ein privater Gläubiger in derselben Situation, was im Widerspruch zu der oben in Rn. 61 angeführten Rechtsprechung stünde. Folglich ist der Vortrag der Klägerin zur Berücksichtigung des Staates als einheitlicher Gläubiger zurückzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1826 der Kommission vom 15. Oktober 2014 zu der von der Slowakei durchgeführten staatlichen Beihilfe SA.33797 – (2013/C) (ex 2013/NN) (ex 2011/CP) zugunsten von NCHZ wird für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission wird verurteilt, neben ihren eigenen Kosten die Kosten der AlzChem AG zu tragen.

3.      Die Slowakische Republik und die Fortischem a.s. tragen ihre eigenen Kosten.

Berardis

Papasavvas

Spineanu-Matei

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Dezember 2018.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.


1      Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.