Language of document : ECLI:EU:T:2023:350

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

21. Juni 2023(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionsbildmarke VITROMED Germany – Internationale Registrierung der älteren Bildmarke VITROMED – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑514/22,

Vitromed GmbH mit Sitz in Jena (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt M. Linß,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Walicka und E. Nicolás Gómez als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Vitromed Healthcare mit Sitz in Jaipur (Indien), vertreten durch Rechtsanwalt S. Eble,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin K. Kowalik-Bańczyk (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Buttigieg und I. Dimitrakopoulos,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die Vitromed GmbH, die Aufhebung und Abänderung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 2. Juni 2022 (Sache R 1670/2021-2) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 11. März 2020 meldete die Klägerin beim EUIPO eine Unionsmarke für folgendes Bildzeichen an:

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3        Die Marke wurde für folgende Waren der Klassen 5 und 10 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 5: „Biologische Präparate für medizinische Zwecke; Biologische Gewebekulturen für medizinische Zwecke“;

–        Klasse 10: „Pipetten [medizinisch]; Pipettengeräte für medizinische Zwecke; Pipetteninstrumente für medizinische Zwecke; Pipetteninstrumente für chirurgische Zwecke; Kapillarröhrchen für die Verteilung von Reagenzien; Injektionsnadeln für medizinische Zwecke; Injektionshülsen für medizinische Zwecke; Injektionsgeräte ohne Nadeln; Medizinische Injektionsspritzen; Kapillarröhrchen für Blut“.

4        Am 2. Juli 2020 legte die Streithelferin, Vitromed Healthcare, Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für die oben in Rn. 3 genannten Waren ein.

5        Der Widerspruch war zum einen auf die ältere Unionswortmarke Vitromed und zum anderen auf die internationale Registrierung der nachfolgend wiedergegebenen älteren Bildmarke gestützt:

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6        Die ältere Bildmarke erfasst folgende Waren der Klasse 10: „Infusionskanülen, Katheter, Infusionssets, Urinbeutel, Verlängerungsschläuche, Ernährungssonden, chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, alle Waren, soweit sie in dieser Klasse enthalten sind“.

7        Als Widerspruchsgrund wurde das in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) genannte Eintragungshindernis angeführt.

8        Am 4. August 2021 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch statt.

9        Am 27. September 2021 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung beim EUIPO Beschwerde ein.

10      Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Im Einzelnen stellte sie fest, dass u. a. angesichts der Ähnlichkeit oder Identität der durch die ältere Bildmarke und die angemeldete Marke (im Folgenden: einander gegenüberstehende Marken) erfassten Waren und der zumindest hochgradigen Ähnlichkeit dieser beiden Marken die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 bestehe.

 Anträge der Parteien

11      Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

12      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        im Falle der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

13      Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

14      Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Gründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und zweitens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

15      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen. Das EUIPO habe den Widerspruch für unzulässig erachtet, soweit er auf die ältere Bildmarke gestützt gewesen sei. Die Streithelferin habe zwar im Verwaltungsverfahren weiterhin Argumente zu dieser Marke vorgetragen, doch sei sie nicht gegen diese Unzulässigkeit vorgegangen.

16      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

17      Hierzu ist festzustellen, dass das EUIPO der Klägerin mit Schreiben vom 29. Juli 2020 zum einen mitgeteilt hat, dass der Widerspruch „zumindest insoweit, als er auf [die ältere Wortmarke] gestützt ist“, zulässig sei, und zum anderen, dass die Zulässigkeit des Widerspruchs, soweit er auf „andere ältere Rechte“ gestützt sei, später geprüft werde, falls sich dies als erforderlich erweisen sollte. Außerdem vertraten die Widerspruchsabteilung und die Beschwerdekammer in der Folge jeweils die Auffassung, dass der Widerspruch auch insoweit zulässig sei, als er auf die ältere Bildmarke gestützt sei.

18      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das EUIPO entgegen dem Vorbringen der Klägerin nie die Auffassung vertreten hat, dass der Widerspruch unzulässig sei, soweit er auf die ältere Bildmarke gestützt sei. Mit seinem Schreiben vom 29. Juli 2020 hat es der Klägerin lediglich mitgeteilt, dass es zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen habe. Folglich kann der Beschwerdekammer nicht vorgeworfen werden, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen zu haben, indem sie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt habe, dass der Widerspruch zulässig sei, soweit er auf diese Marke gestützt sei.

19      Folglich ist der erste Klagegrund der Klägerin zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001

20      Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 verstoßen, indem sie u. a. festgestellt habe, dass in Bezug auf die ältere Bildmarke Verwechslungsgefahr bestehe.

21      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

22      Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ist auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Bildmarke die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit einer älteren Bildmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Bildmarke Schutz genießt. Dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Bildmarke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

23      Eine Verwechslungsgefahr liegt dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Das Vorliegen einer Gefahr der Verwechslung ist nach der Wahrnehmung der betreffenden Zeichen und Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise umfassend und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, zu beurteilen (vgl. Urteil vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, EU:T:2003:199, Rn. 30 bis 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zum Verfall der älteren Marken

24      Die Klägerin macht geltend, die älteren Marken seien verfallen, da die Streithelferin den Gebrauch der angemeldeten Marke für Waren der Klassen 5 und 10 während eines Zeitraums von mehr als fünf Jahren geduldet habe. Sie weist insoweit darauf hin, dass die Streithelferin am 1. Dezember 2015 Widerspruch gegen die Eintragung einer früheren Marke eingelegt habe, die im Wesentlichen mit der im vorliegenden Fall angemeldeten Marke identisch sei, die Klägerin aber erst am 24. Mai 2022 aufgefordert habe, die Benutzung der Marke zu unterlassen.

25      Hierzu genügt der Hinweis, dass die Klägerin nicht die Rechtsgrundlage für den angeblichen Verfall der älteren Marken angibt und dass jedenfalls die bloße Tatsache, dass die Streithelferin Widerspruch gegen eine frühere Anmeldung einer Marke – sei sie auch mit der im vorliegenden Fall angemeldeten Marke identisch – eingelegt hat, nicht den Nachweis ermöglicht, dass die Streithelferin die Benutzung dieser Marke geduldet habe.

26      Folglich kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die älteren Marken, insbesondere die ältere Bildmarke, verfallen seien.

 Zu den maßgeblichen Verkehrskreisen

27      Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der in Frage stehenden Art von Waren abzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers je nach Art der Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann (vgl. Urteil vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR], T‑256/04, EU:T:2007:46, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass sich die maßgeblichen Verkehrskreise aus englischsprachigen Fachleuten der Europäischen Union zusammensetzten, die in der Medizinbranche tätig seien und deren Aufmerksamkeitsgrad erhöht sei.

29      Die Klägerin trägt vor, dass die Streithelferin und sie selbst ihre Waren in unterschiedlichen Verkehrskreisen vertrieben. So macht sie geltend, dass sie ihre Waren nur „hoch spezialisierten“ Biologen und Medizinern aus der In‑Vitro-Reproduktionsbrache anbiete, während die Streithelferin ihre Waren der breiten Öffentlichkeit, Allgemeinärzten und Urologen, insbesondere über Apotheken und Drogerien, anbiete.

30      Insoweit ergibt sich erstens aus der oben in Rn. 27 angeführten Rechtsprechung, dass zur Bestimmung der maßgeblichen Verkehrskreise die von der älteren Bildmarke und der angemeldeten Marke erfassten Waren zu berücksichtigen sind, wie sie in der Eintragungsurkunde der älteren Bildmarke bzw. der Anmeldung der angemeldeten Marke bezeichnet wurden, und nicht die tatsächlich unter diesen Marken vertriebenen Waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2018, Vitromed/EUIPO – Vitromed Healthcare [VITROMED Germany], T‑821/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:912, Rn. 29). Folglich können diese Verkehrskreise nicht allein auf der Grundlage der jeweiligen Kunden der Klägerin und der Streithelferin bestimmt werden.

31      Der – hier als erwiesen unterstellte – Umstand, dass die Klägerin und die Streithelferin ihre jeweiligen Waren unterschiedlichen Verkehrskreisen anbieten, vermag somit nichts an der Definition der maßgeblichen Verkehrskreise für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 zu ändern.

32      Zweitens räumt die Klägerin ein, dass die Waren, die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten werden, an Fachleute aus der Medizinbranche vertrieben werden. Außerdem bestreitet die Klägerin nicht, dass diese Fachleute einen erhöhten Grad an Aufmerksamkeit an den Tag legen.

33      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht davon ausgegangen ist, dass sich die maßgeblichen Verkehrskreise aus Fachleuten aus der Medizinbranche zusammensetzen, deren Aufmerksamkeitsgrad erhöht ist.

 Zum Vergleich der in Rede stehenden Waren

34      Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen diesen Waren und Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. Es können auch andere Faktoren wie beispielsweise die Vertriebswege der betreffenden Waren berücksichtigt werden (vgl. Urteil vom 14. Mai 2013, Sanco/HABM – Marsalman [Darstellung eines Huhns], T‑249/11, EU:T:2013:238, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall war die Beschwerdekammer zum einen der Auffassung, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 5 den von der älteren Bildmarke erfassten Waren ähnelten. Diese Waren hätten denselben Verwendungszweck, denselben Ursprung und dieselben Vertriebswege. Zudem könnten die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 5 nur mit Hilfe der von der älteren Bildmarke erfassten medizinischen Apparate und Instrumente verabreicht werden.

36      Zum anderen seien die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 in den von der älteren Bildmarke erfassten chirurgischen, medizinischen, zahn- und tierärztlichen Apparaten und Instrumenten enthalten und daher mit diesen identisch.

37      Die Klägerin trägt vor, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 den von der älteren Bildmarke erfassten Waren nicht ähnlich seien. Sie macht geltend, dass sie ihre Waren selbst herstelle und dass diese „ausschließlich aus einem speziellen Material gefertigt [werden], welches nur durch [sie] selbst verwendet wird“. Ferner würden ihre Waren direkt an Kliniken vertrieben, während die Waren der Streithelferin in Apotheken und Drogerien vertrieben würden. Schließlich habe die Streithelferin die ältere Bildmarke noch nicht benutzt.

38      Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht bestreitet, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 5 den von der älteren Bildmarke erfassten Waren ähnlich sind.

39      Zum anderen ist daran zu erinnern, dass, wenn die von der älteren Marke erfassten Waren die von der Markenanmeldung erfassten Waren einschließen, diese Waren als identisch anzusehen sind (vgl. Urteil vom 7. Juli 2005, Miles International/HABM – Biker Miles [Biker Miles], T‑385/03, EU:T:2005:276, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin nicht, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 in den von der älteren Bildmarke erfassten chirurgischen, medizinischen, zahn- und tierärztlichen Apparaten und Instrumenten enthalten sind.

40      Folglich ist die Beschwerdekammer zu Recht davon ausgegangen, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 mit denen der älteren Bildmarke identisch sind.

41      Das Vorbringen der Klägerin vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen. Zum einen ist nämlich daran zu erinnern, dass das EUIPO im Widerspruchsverfahren nur das Verzeichnis der angemeldeten Waren berücksichtigen kann, wie es sich aus dem Anmeldungsantrag für die betreffende Marke – vorbehaltlich eventueller Änderungen dieses Antrags – ergibt (Urteil vom 22. März 2007, Saint-Gobain Pam/HABM – Propamsa [PAM PLUVIAL], T‑364/05, EU:T:2007:96, Rn. 89). Folglich ist es für die Beurteilung der Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren unerheblich, dass die Klägerin ihre Waren selbst „aus einem speziellen Material [fertigt], welches nur durch [sie] selbst verwendet wird“, und sie direkt an Kliniken vertreibt.

42      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht verlangt hat, dass die Streithelferin gemäß Art. 47 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Bildmarke erbringe. Unter diesen Umständen ist der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass die Streithelferin die ältere Bildmarke nicht benutzt habe, für den Vergleich der in Rede stehenden Waren unerheblich.

 Zum Vergleich der einander gegenüberstehenden Marken

43      Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken in Bild, Klang oder Bedeutung ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Waren oder Dienstleistungen wirkt. Der Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten (vgl. Urteil vom 12. Juni 2007, HABM/Shaker, C‑334/05 P, EU:C:2007:333, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

–       Zu den kennzeichnungskräftigen und dominierenden Bestandteilen der einander gegenüberstehenden Marken

44      Um die Unterscheidungskraft eines Markenbestandteils zu beurteilen, ist zu prüfen, ob er geeignet ist, die von dieser Marke erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und damit diese Waren und Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Bei dieser Beurteilung sind insbesondere die Eigenschaften des Bestandteils darauf zu prüfen, ob er in Bezug auf die von dieser Marke erfassten Waren und Dienstleistungen beschreibend ist oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2010, Companhia Muller de Bebidas/HABM – Missiato Industria e Comercio [61 A NOSSA ALEGRIA], T‑472/08, EU:T:2010:347, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Im vorliegenden Fall wendet sich die Klägerin zum einen nicht gegen die Beurteilung der Beschwerdekammer, wonach der Wortbestandteil „vitromed“ insofern kennzeichnungsschwach sei, als die maßgeblichen Verkehrskreise den Bestandteil „vitro“ mit dem Ausdruck „in vitro“ in Verbindung brächten, der die Bedeutung „in einem Reagenzglas durchgeführt oder stattfindend“ habe, und den Bestandteil „med“ als Abkürzung des englischen Wortes „medical“ (medizinisch) wahrnähmen. Sie räumt im Übrigen ein, dass dieser Bestandteil das allein „prägende“ Element der älteren Bildmarke ist.

46      Zum anderen beanstandet die Klägerin auch nicht die Beurteilung der Beschwerdekammer, wonach das englische Wort „Germany“ der angegriffenen Marke nicht kennzeichnungskräftig sei, da es als Hinweis auf die geografische Herkunft der von dieser Marke erfassten Waren, nämlich Deutschland, wahrgenommen werde.

47      Die Klägerin macht dagegen geltend, dass der Bildbestandteil und die Farben der angemeldeten Marke Kennzeichnungskraft hätten.

48      Einerseits bestreitet die Klägerin jedoch nicht, dass der Bildbestandteil der angemeldeten Marke die Buchstaben „v“ und „m“ darstellen kann. Folglich ist die Beschwerdekammer zu Recht davon ausgegangen, dass zumindest ein Teil der maßgeblichen Verkehrskreise diese Buchstaben als ein Akronym der Begriffe „vitro“ und „med“ wahrnehmen würde.

49      Andererseits können die Farben Blau und Grau der angemeldeten Marke für sich allein den Bild- und Wortbestandteilen dieser Marke keine Kennzeichnungskraft verleihen.

50      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer im Wesentlichen zu Recht angenommen hat, dass der Wortbestandteil „vitromed“ der wichtigste Bestandteil jeder der beiden einander gegenüberstehenden Marken ist.

–       Zur bildlichen Ähnlichkeit

51      Die Beschwerdekammer war im Wesentlichen der Auffassung, dass die einander gegenüberstehenden Marken eine hochgradige bildliche Ähnlichkeit aufwiesen. Zwar unterscheide sich die angemeldete Marke von der älteren Bildmarke durch ihre Farben, ihre Schriftart und das Vorhandensein eines Bildbestandteils, jedoch stimmten diese beiden Marken in ihrem wichtigsten Bestandteil, nämlich dem Wortbestandteil „vitromed“, überein.

52      Die Klägerin trägt vor, dass die einander gegenüberstehenden Marken keine bildliche Ähnlichkeit aufwiesen. Sie macht geltend, dass die einander gegenüberstehenden Marken unterschiedliche Schriftarten und Farben verwendeten. Die ältere Bildmarke enthalte ein Kreuz in der Mitte des Buchstabens „o“, und die angemeldete Marke enthalte einen Bildbestandteil sowie das Wort „Germany“.

53      Wie oben in Rn. 45 ausgeführt, räumt die Klägerin jedoch ein, dass der Wortbestandteil „vitromed“ das allein „prägende“ Element der älteren Bildmarke darstellt, so dass das Kreuz in der Mitte des Buchstabens „o“ die Wahrnehmung dieser Marke nicht wesentlich verändern kann. Außerdem hat die Beschwerdekammer, wie oben in Rn. 50 ausgeführt, zu Recht angenommen, dass dieser Wortbestandteil der wichtigste Bestandteil der einander gegenüberstehenden Marken ist. Schließlich ist dieser Bestandteil in jeder dieser Marken nur geringfügig stilisiert.

54      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass die einander gegenüberstehenden Marken einen hohen Grad an bildlicher Ähnlichkeit aufweisen.

–       Zur klanglichen Ähnlichkeit

55      Die Beschwerdekammer war der Ansicht, dass der Wortbestandteil „vitromed“ der einzige Bestandteil sei, der von den maßgeblichen Verkehrskreisen bei jeder der einander gegenüberstehenden Marken ausgesprochen werde, so dass diese Marken klanglich identisch seien.

56      Die Klägerin macht geltend, dass die angemeldete Marke im Unterschied zur älteren Bildmarke das Wort „Germany“ enthalte. So enthalte die angemeldete Marke sechs Silben, während die ältere Bildmarke nur drei enthalte.

57      Zum einen bestreitet die Klägerin jedoch nicht, dass die im Bildbestandteil der angemeldeten Marke dargestellten Buchstaben „v“ und „m“ von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht ausgesprochen werden. Zum anderen hat die Beschwerdekammer angesichts des beschreibenden Charakters und der relativen geringen Größe des Wortes „Germany“ zu Recht angenommen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise es nicht aussprechen.

58      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass die maßgeblichen Verkehrskreise nur den Wortbestandteil „vitromed“ jeder der einander gegenüberstehenden Marken aussprechen, so dass diese Marken klanglich identisch sind.

–       Zur begrifflichen Ähnlichkeit

59      Die Beschwerdekammer war im Wesentlichen der Auffassung, dass die einander gegenüberstehenden Marken einen hohen Grad an begrifflicher Ähnlichkeit aufwiesen. Sie wies darauf hin, dass der Wortbestandteil „vitromed“ von den maßgeblichen Verkehrskreisen mit den Begriffen „in vitro“ und dem englischen Wort „medical“ in Verbindung gebracht werde. Sie hat ferner daran erinnert, dass sich das Wort „Germany“ der angemeldeten Marke auf die geografische Herkunft der in Rede stehenden Waren beziehe.

60      Die Klägerin trägt vor, dass die einander gegenüberstehenden Marken sich begrifflich nicht ähnlich seien. Die angemeldete Marke beziehe sich auf die „Bereitstellung von Waren ausschließlich für den medizinischen Bereich der In‑Vitro-Fertilisation“, während die ältere Bildmarke, ohne nähere Präzisierung, für den Handel mit „allgemeinen medizinischen Waren“ stehe. Außerdem verweise das Wort „Germany“ der angemeldeten Marke auf die geografische Herkunft der in Rede stehenden Waren.

61      Die Klägerin erläutert jedoch nicht, warum der Wortbestandteil „vitromed“ für die maßgeblichen Verkehrskreise eine unterschiedliche Bedeutung haben könnte, je nachdem, ob es sich um die eine oder die andere der einander gegenüberstehenden Marken handelt. Insbesondere erläutert sie nicht, warum diese Verkehrskreise diesen Wortbestandteil der älteren Bildmarke nicht mit dem Ausdruck „in vitro“ in Verbindung bringen sollten, während sie im Übrigen in Rn. 46 der Klageschrift das Gegenteil behauptet.

62      Außerdem hat die Beschwerdekammer berücksichtigt, dass das Wort „Germany“ der angemeldeten Marke auf die geografische Herkunft der in Rede stehenden Waren verweist, und folglich festgestellt, dass die einander gegenüberstehenden Marken begrifflich nicht identisch seien.

63      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass die einander gegenüberstehenden Marken eine hochgradige begriffliche Ähnlichkeit aufweisen.

 Zur Kennzeichnungskraft der älteren Bildmarke

64      Wie aus dem elften Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001 hervorgeht, hängt das Vorliegen von Verwechslungsgefahr von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere vom Bekanntheitsgrad der Marke auf dem fraglichen Markt. Da die Verwechslungsgefahr um so größer ist, je höher sich die Kennzeichnungskraft der Marke darstellt, genießen Marken, die, von Haus aus oder wegen ihrer Bekanntheit auf dem Markt, eine hohe Kennzeichnungskraft besitzen, einen umfassenderen Schutz als Marken, deren Kennzeichnungskraft geringer ist (vgl. entsprechend Urteile vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 24; vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 18, und vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 20).

65      Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdekammer davon ausgegangen, dass die ältere Bildmarke kennzeichnungsschwach sei, was von der Klägerin nicht beanstandet wird.

 Zur umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr

66      Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteil vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 17, und vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca (VENADO mit Rahmen u. a.), T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, EU:T:2006:397, Rn. 74).

67      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass angesichts der Identität oder Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren, der klanglichen Identität der einander gegenüberstehenden Marken und der hochgradigen bildlichen und begrifflichen Ähnlichkeit dieser Marken Verwechslungsgefahr bestehe.

68      Insoweit macht die Klägerin erstens geltend, dass den maßgeblichen Verkehrskreisen allein ihre Marke bekannt sei, da die ältere Bildmarke nicht benutzt werde. Es genügt jedoch die Feststellung, dass dieser Umstand für die Beurteilung einer Verwechslungsgefahr nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 nicht relevant ist.

69      Zweitens macht die Klägerin geltend, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die „entsprechende Expertise“ besäßen, um die einander gegenüberstehenden Marken zu unterscheiden. Zum einen erläutert die Klägerin jedoch nicht, inwiefern die „Expertise“ der maßgeblichen Verkehrskreise von Bedeutung sein soll, um diesen zu ermöglichen, die einander gegenüberstehenden Marken zu vergleichen und gegebenenfalls zu unterscheiden.

70      Zum anderen ist, auch wenn die Klägerin angesichts des erhöhten Aufmerksamkeitsgrads der maßgeblichen Verkehrskreise in Wirklichkeit das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr bestreiten will, darauf hinzuweisen, dass der Aufmerksamkeitsgrad der betroffenen Verkehrskreise nur einer der verschiedenen Gesichtspunkte ist, die im Rahmen der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind (Urteil vom 21. November 2013, Equinix [Germany]/HABM – Acotel [ancotel.], T‑443/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:605, Rn. 53).

71      Im vorliegenden Fall war die Beschwerdekammer in Anbetracht der Identität oder Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren, der klanglichen Identität der einander gegenüberstehenden Marken und der hochgradigen bildlichen und begrifflichen Ähnlichkeit dieser Marken zu Recht der Auffassung, dass trotz der geringen Kennzeichnungskraft der älteren Bildmarke und des erhöhten Aufmerksamkeitsgrads der maßgeblichen Verkehrskreise Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 besteht.

72      Drittens kann die Feststellung der Verwechslungsgefahr in Bezug auf die ältere Bildmarke nicht durch den von der Klägerin behaupteten Umstand in Frage gestellt werden, dass diese Gefahr in Bezug auf die ältere Wortmarke nicht bestehe.

73      Nach alledem ist der zweite Klagegrund der Klägerin zurückzuweisen und folglich die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

74      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

75      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Streithelferin deren Kosten aufzuerlegen. Da das EUIPO hingegen nur beantragt hat, die Klägerin im Falle der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zur Tragung der Kosten zu verurteilen, ist mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden, dass das EUIPO seine eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Vitromed GmbH trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten von Vitromed Healthcare.

3.      Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) trägt seine eigenen Kosten.

Kowalik-Bańczyk

Buttigieg

Dimitrakopoulos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Juni 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.