Language of document : ECLI:EU:C:2008:489

Rechtssache C‑11/07

Hans Eckelkamp u. a.

gegen

Belgische Staat

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van beroep te Gent)

„Freier Kapitalverkehr – Art. 56 EG und 58 EG – Erbschaftsteuer − Nationale Regelung zur Berechnung der Vermögensübergangsteuer auf Immobilien, nach der der Abzug der auf einer Immobilie ruhenden hypothekarischen Belastungen vom Wert dieser Immobilie nicht erlaubt ist, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt hat − Beschränkung − Keine Rechtfertigung“

Leitsätze des Urteils

1.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Zuständigkeit des nationalen Gerichts

(Art. 234 EG)

2.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Offensichtlich unerhebliche Fragen und hypothetische Fragen, die in einem eine zweckdienliche Antwort ausschließenden Zusammenhang gestellt werden

(Art. 234 EG)

3.        Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Erbschaftsteuer

(Art. 56 EG und 58 EG)

1.        In einem Verfahren nach Art. 234 EG, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, fällt jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts. Der Gerichtshof ist also nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom vorlegenden Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift zu äußern. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen.

(vgl. Randnrn. 27, 52)

2.        In einem Verfahren nach Art. 234 EG kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann abgelehnt werden, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

(vgl. Randnr. 28)

3.        Die Bestimmungen von Art. 56 EG in Verbindung mit Art. 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Berechnung der Erbschaftsteuer und der Vermögensübergangsteuer auf eine in einem Mitgliedstaat belegene Immobilie betrifft und nicht die Möglichkeit vorsieht, auf der Immobilie lastende Schulden abzuziehen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes nicht in diesem Staat, sondern in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft war, während eine solche Abzugsmöglichkeit vorgesehen ist, wenn er zum Zeitpunkt seines Todes in dem Staat wohnhaft war, in dem die vererbte Immobilie belegen ist.

Da eine derartige Regelung nämlich die Abzugsfähigkeit bestimmter auf der Immobilie lastender Schulden vom Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes abhängig macht, stellt die höhere Besteuerung, der der Nachlass Gebietsfremder demzufolge unterliegt, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

Diese unterschiedliche Behandlung kann nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, dass sie sich auf Situationen beziehe, die nicht objektiv miteinander vergleichbar seien. Wenn eine nationale Regelung für die Zwecke der Besteuerung einer im Wege der Erbfolge erworbenen Immobilie, die in dem betreffenden Mitgliedstaat belegen ist, die Erben einer zum Zeitpunkt ihres Todes gebietsansässigen Person und die Erben einer zu diesem Zeitpunkt gebietsfremden Person auf die gleiche Stufe stellt, kann sie die Erben im Rahmen dieser Besteuerung in Bezug auf die Abzugsfähigkeit der auf der Immobilie ruhenden Belastungen nicht unterschiedlich behandeln, ohne eine Diskriminierung zu schaffen. Indem der nationale Gesetzgeber die Erbanfälle dieser beiden Personengruppen für die Zwecke der Erbschaftbesteuerung – außer beim Abzug der Schulden – gleich behandelt, hat er anerkannt, dass zwischen ihnen im Hinblick auf die Modalitäten und die Voraussetzungen dieser Besteuerung kein Unterschied in der objektiven Situation besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte.

Der Mitgliedstaat, in dem die Immobilie, um die es bei der Erbschaft geht, belegen ist, kann sich zur Rechtfertigung einer sich aus seiner Regelung ergebenden Beschränkung des freien Kapitalverkehrs auch nicht darauf berufen, dass es – unabhängig von seinem Willen – die Möglichkeit gebe, von einem anderen Mitgliedstaat, z. B. von dem, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes gebietsansässig war, eine Steuergutschrift zu erhalten, die ganz oder teilweise den Schaden ausgleichen könnte, der den Erben dieser Person dadurch entstanden ist, dass sie die auf der fraglichen Immobilie lastenden Schulden in dem Mitgliedstaat, in dem die vererbte Immobilie belegen ist, bei der Berechnung der Vermögensübergangsteuer nicht in Abzug bringen können.

(vgl. Randnrn. 46, 60, 63, 68, 71 und Tenor)