Language of document : ECLI:EU:T:2023:583

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

3. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Wettbewerb – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Tatbestandsmerkmale – Art. 106 Abs. 2 AEUV – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse – Führung von Postgirokonten für die Erhebung der kommunalen Grundsteuer – Unternehmen, denen von den Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewährt werden – Von dem begünstigten Unternehmen einseitig festgelegte Gebühren – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Art. 102 AEUV – Unzulässigkeit“

In den verbundenen Rechtssachen C‑434/19 und C‑435/19

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidungen vom 21. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 2019, in den Verfahren

Poste Italiane SpA

gegen

Riscossione Sicilia SpA agente riscossione per la provincia di Palermo e delle altre provincie siciliane (C‑434/19)

und

Agenzia delle entrate – Riscossione

gegen

Poste Italiane SpA,

Beteiligte:

Poste italiane SpA – Bancoposta (C‑435/19),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Poste Italiane SpA, vertreten durch A. Fratini und A. Sandulli, avvocati,

–        der Agenzia delle entrate – Riscossione, vertreten durch G. Visentini und A. Papa Malatesta, avvocati,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und P. Rossi als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 2020

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 14, 102, 106 und 107 AEUV.

2        Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Poste Italiane SpA und Riscossione Sicilia SpA agente riscossione per la provincia di Palermo e delle altre provincie siciliane (im Folgenden: Riscossione Sicilia) (Rechtssache C‑434/19) bzw. zwischen der Agenzia delle entrate – Riscossione (Agentur der Einnahmen – Einzug, Italien) (im Folgenden: Agenzia) und Poste Italiane (Rechtssache C‑435/19) wegen Klagen von Poste Italiane gegen die mit der Erhebung der Imposta comunale sugli immobili (kommunale Grundsteuer, im Folgenden: ICI) betrauten Konzessionäre auf Zahlung von Gebühren für die Führung von Postgirokonten, die die Konzessionäre für die Erhebung der ICI von den Steuerpflichtigen verwendeten.

 Italienisches Recht

3        Art. 2 Abs. 18 bis 20 der Legge n. 662 – Misure di razionalizzazione della finanza pubblica (Gesetz Nr. 662 über Maßnahmen zur Rationalisierung der öffentlichen Finanzen) vom 23. Dezember 1996 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 303 vom 28. Dezember 1996, im Folgenden: Gesetz Nr. 662/1996) bestimmt:

„(18)      … [Poste Italiane kann] bei den Inhabern von Postgirokonten Gebühren erheben.

(19)      Die Post- und Zahlungsdienste, für die in den gesetzlichen Bestimmungen ein gesetzliches Monopol nicht ausdrücklich vorgesehen ist, werden von [Poste Italiane] und von den anderen Betreibern im Rahmen des freien Wettbewerbs erbracht. In Bezug auf die genannten Dienste wird jede nach geltendem Recht bestehende Form von tariflichen oder sozialen Verpflichtungen für [Poste Italiane] sowie von Tariferleichterungen für die Kunden des genannten Unternehmens zum 1. April 1997 eingestellt … [Poste Italiane] ist zu einer gesonderten Buchführung verpflichtet und muss dabei insbesondere zwischen den Kosten und Lasten im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen einer gesetzlichen Monopolstellung und solchen, die sich auf Dienstleistungen beziehen, die im Rahmen des freien Wettbewerbs erbracht werden, unterscheiden.

(20)      Ab dem 1. April 1997 werden die Preise für die Dienstleistungen im Sinne von Absatz 19 auch vertraglich von [Poste Italiane] unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kunden und der Nachfragebedingungen sowie dem Erfordernis des Schutzes und der Entwicklung der Verkehrsaufkommen geregelt …“

4        Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo n. 504, Riordino della finanza degli enti territoriali, a norma dell’articolo 4 della legge 23 ottobre 1992, n. 421 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 504 zur Neuordnung der Finanzierung der Gebietskörperschaften in Anwendung von Art. 4 des Gesetzes Nr. 421 vom 23. Oktober 1992), vom 30. Dezember 1992 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 305 vom 30. Dezember 1992, im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 504/1992) bestimmt:

„Die Tilgung der nach Absatz 2 geschuldeten Steuer erfolgt durch direkte Zahlung an den Konzessionär der Steuereinzugsstelle, in dessen Bezirk die Gemeinde im Sinne von Artikel 4 liegt, oder durch Zahlung auf ein bestimmtes, auf den Namen des Konzessionärs lautendes Postgirokonto … Die dem Konzessionär geschuldete Kommission wird von der steuererhebenden Gemeinde getragen und beträgt 1 % der vereinnahmten Beträge, mindestens jedoch 3 500 [italienische] Lire [(ITL) (ca.1,75 Euro)] und höchstens 100 000 [ITL (ca. 50,00 Euro)] für jede Zahlung des Steuerpflichtigen.“

5        Nach den Art. 5 bis 7 des Decreto del Ministro delle Finanze n. 567 – Regolamento di attuazione dell’articolo 78, commi da 27 a 38, della legge 30 dicembre 1991, n. 413, concernente l’istituzione del conto fiscale (Dekret des Finanzministers Nr. 567 – Verordnung zur Durchführung von Art. 78 Abs. 27 bis 38 des Gesetzes Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 zur Einführung des Steuerkontos), vom 28. Dezember 1993 (GURI Nr. 306 vom 31. Dezember 1993), können Inhaber eines Steuerkontos die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer – auch als Substitut –, die lokale Einkommensteuer, die Steuern, die an die Stelle der genannten Steuern treten, sowie die Mehrwertsteuer direkt an den Schaltern des Konzessionärs einzahlen oder ein Kreditinstitut unwiderruflich anweisen, sie an den Konzessionär zu zahlen.

6        Art. 59 Abs. 1 Buchst. n des Decreto legislativo n. 446 – Istituzione dell’imposta regionale sulle attività produttive, revisione degli scaglioni, delle aliquote e delle detrazioni dell’Irpef e istituzione di una addizionale regionale a tale imposta, nonché riordino della disciplina dei tributi locali (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 446 zur Einführung der regionalen Steuer auf produktive Tätigkeiten, Neuordnung von Steuerklassen, Steuersätzen und Abzügen im Rahmen der Einkommensteuer und zur Einführung eines regionalen Zuschlags zu dieser Steuer sowie zur Neuordnung des lokalen Steuerwesens) vom 15. Dezember 1997 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 298 vom 23. Dezember 1997) behält den Gemeinden die Regelung der Erhebung der kommunalen Steuern vor, um „die Modalitäten der – sei es freiwillig, sei es im Anschluss an eine Kontrolle – erfolgenden Zahlungen zu rationalisieren, indem er neben oder statt der Zahlung an den mit der Erhebung betrauten Konzessionär die Zahlung auf ein auf den Namen der Steuerverwaltung der Gemeinde eröffnetes Postgirokonto, die direkte Zahlung an die Steuerverwaltung der Gemeinde und die Zahlung über das Bankensystem vorsieht“.

7        Nach Art. 3 Abs. 1 des Decreto del Presidente della Repubblica n. 144 – Regolamento recante norme sui servizi di bancoposta (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 144 über Postbankdienste) vom 14. März 2001 (GURI Nr. 94 vom 23. April 2001, im Folgenden: Präsidialdekret Nr. 144/2001) werden, „soweit in diesem Dekret nichts anderes bestimmt ist, die Beziehungen zu den Kunden und die Führung des Postgirokontos vertraglich unter Einhaltung der Bestimmungen des Codice civile [(Zivilgesetzbuch)] und der Sondergesetze geregelt“.

8        In Art. 7 Abs. 2 Buchst. gg-septies des Decreto-legge n. 70 – Semestre Europeo – Prime disposizioni urgenti per l’economia (Gesetzesdekret Nr. 70 über das europäische Semester – erste Eilbestimmungen zugunsten der Wirtschaft) vom 13. Mai 2011 (GURI Nr. 110 vom 13. Mai 2011), in Gesetzesform umgewandelt, in der durch das Decreto-legge n. 16 (Gesetzesdekret Nr. 16) vom 2. März 2012 (GURI Nr. 52 vom 2. März 2012) geänderten Fassung (im Folgenden: Decreto-legge Nr. 70/2011) heißt es:

„Wird die Erhebung der Einnahmen den in Art. 52 Abs. 5 Buchst. b des Decreto legislativo Nr. 446 vom 15. Dezember 1997 genannten Personen übertragen, erfolgt sie über ein oder mehrere für die Einzahlung bestimmte Post- oder Bankgirokonten, die auf den Namen des Konzessionärs zu eröffnen und dem Einzug der Einnahmen des öffentlichen Auftraggebers vorbehalten sind, auf die sämtliche vereinnahmten Beträge einzuzahlen sind.“

9        Mit dem Tarifbeschluss Nr. 57/1996 des Verwaltungsrats von Poste Italiane (im Folgenden: Tarifbeschluss Nr. 57/1996) wurde eine Gebühr für jede Transaktion eingeführt, die im Rahmen der Führung von Postgirokonten von Konzessionären der Steuereinzugsstelle vorgenommen wurde. Diese Gebühr wurde für den Zeitraum vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 2001 auf 100 ITL (ca. 0,05 Euro) und für den Zeitraum vom 1. Juni 2001 bis zum 31. Dezember 2003 auf 0,23 Euro (ca. 450 ITL) festgesetzt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      In Italien wurde mit dem Decreto legislativo Nr. 504/1992 den Steuerpflichtigen, die die ICI zu entrichten haben, die Verpflichtung auferlegt, den von ihnen geschuldeten Betrag an einen der Konzessionäre des Staates zu zahlen, die für die Erhebung dieser Steuer und die Weiterleitung des entsprechenden Betrags an die begünstigten Gemeinden zuständig sind. Nach dieser Regelung ist die ICI durch eine direkte Zahlung an den Konzessionär des Bezirks, in dem die Empfängergemeinde liegt, oder durch eine Zahlung auf ein auf den Namen dieses Konzessionärs lautendes Postgirokonto zu entrichten.

11      Die Ausgangsverfahren betreffen die Aufforderungen zur Gebührenzahlung, die Poste Italiane an zwei mit der Eintreibung der ICI betraute Konzessionäre, Riscossione Sicilia und Agenzia, richtete.

12      Die Zahlung dieser Gebühren wurde für die von 1997 bis 2011 erfolgte Führung der Girokonten verlangt, die die Konzessionäre bei Poste Italiane haben, um es den Steuerpflichtigen zu ermöglichen, darauf ihre fälligen ICI-Beträge einzuzahlen.

13      Die genannten Gebühren wurden auf der Grundlage des durch den Tarifbeschluss Nr. 57/1996 festgelegten Tarifs berechnet.

14      In dem Rechtsstreit, der der Rechtssache C‑434/19 zugrunde liegt, erhob Poste Italiane beim Tribunale di Palermo (Gericht Palermo, Italien) Klage auf Verurteilung des mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionärs, aus dem in der Folge Riscossione Sicilia wurde, auf Zahlung der Gebühr, die jeweils anfällt, wenn ein Steuerpflichtiger die ICI per Postzahlschein auf das auf diesen Konzessionär lautende Girokonto einzahlt, wobei die Höhe vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 2001 0,05 Euro (ca. 100 ITL) und vom 1. Juni 2001 bis zum 31. Dezember 2003 0,23 Euro (ca. 450 ITL) betrug bzw. sich ab dem 1. Januar 2004 nach den nachfolgenden Tarifänderungen richtete. Mit Urteil vom 7. Juni 2011 wies das Tribunale di Palermo (Gericht Palermo) die bei ihm erhobene Klage ab. Mit Urteil vom 11. Mai 2016 hob die Corte d’appello di Palermo (Berufungsgericht Palermo, Italien) dieses Urteil insofern auf, als sie der Berufung von Poste Italiane stattgab, soweit diese das Bestehen ihrer Ansprüche für den Zeitraum nach dem 1. Juni 2006 nachgewiesen hatte.

15      In dem Rechtsstreit, der der Rechtssache C‑435/19 zugrunde liegt, erhob Poste Italiane beim Tribunale di Macerata (Gericht Macerata, Italien) Klage auf Verurteilung der Agenzia als mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionärin auf Zahlung der Gebühr, die jeweils anfällt, wenn ein Steuerpflichtiger die ICI per Postzahlschein auf das auf diese Konzessionärin lautende Girokonto einzahlt, wobei die Höhe vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 2001 0,05 Euro (ca. 100 ITL) und vom 1. Juni 2001 bis zum 20. Dezember 2001 0,23 Euro (ca. 450 ITL) betrug. Mit Urteil vom 11. Juni 2009 wies das Tribunale di Macerata (Gericht Macerata) die bei ihm erhobene Klage ab. Mit Urteil vom 10. August 2016 hob die Corte d’appello di Ancona (Berufungsgericht Ancona, Italien) dieses Urteil in vollem Umfang auf. Sie gab der Berufung von Poste Italiane statt und stellte fest, dass diese berechtigt gewesen sei, die fragliche Gebühr zu berechnen und deren Zahlung zu verlangen.

16      Die Ausgangsverfahren sind beim vorlegenden Gericht anhängig, das in der Rechtssache C‑434/19 mit dem Rechtsmittel von Poste Italiane und dem Anschlussrechtsmittel von Riscossione Sicilia und in der Rechtssache C‑435/19 mit dem Rechtsmittel der Agenzia und dem Anschlussrechtsmittel der Poste Italiane SpA – Bancoposta befasst ist.

17      Zur Rechtmäßigkeit der von Poste Italiane berechneten Gebühr stellte das vorlegende Gericht in einem Urteil vom 26. März 2014 fest, dass die Art. 18 bis 20 des Gesetzes Nr. 662/1996 nicht für Tätigkeiten gälten, die – wie der in Art. 10 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 vorgesehene Postgirokontodienst – einer gesetzlichen Monopolregelung unterlägen. Es vertrat die Auffassung, diese gesetzliche Monopolstellung sei durch das Ziel gerechtfertigt, die Steuererhebung durch eine Dienstleistung zu maximieren, die dank der sehr weit verbreiteten Postämter und der damit verbundenen leichteren Erreichbarkeit der Steuerpflichtigen flächendeckend erbracht werde. Diesem Urteil des vorlegenden Gerichts zufolge sehe das Decreto legislativo Nr. 504/1992, das das fragliche gesetzliche Monopol begründe, nicht vor, dass die Dienstleistung der Führung des für die Zahlung der ICI bestimmten Girokontos unentgeltlich sei, so dass diese Dienstleistung unabhängig von der Verpflichtung des Konzessionärs, ein Postgirokonto zu eröffnen, ihrem Wesen nach als entgeltlich anzusehen sei, ebenso wie die gewöhnliche Dienstleistung der Führung eines Girokontos unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs.

18      Da das vorlegende Gericht nun aber mit Rechtsstreitigkeiten befasst ist, die die Verpflichtung zur Zahlung der von Poste Italiane erhobenen Gebühr zwischen 1997 und 2011 betreffen, möchte es wissen, ob es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit den Vorschriften über das Wettbewerbsrecht und die staatlichen Beihilfen, im Einklang steht, dass Art. 10 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 Poste Italiane die Dienstleistung der Führung der für die Erhebung der ICI vorgesehenen Girokonten vorbehält.

19      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat das Vertragsverhältnis zwischen einer Gemeinde und ihrem mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionär die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, nämlich die Steuererhebung, zum Gegenstand, die als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV definiert werden könne. Dieses Verhältnis unterscheide sich von dem privatrechtlichen Verhältnis zwischen Poste Italiane und dem mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionär, das mit der Eröffnung und Führung des Postgirokontos einhergehe. Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 begründe ungeachtet dessen, dass dem Konzessionär dadurch die Möglichkeit genommen werde, sich seinen Vertragspartner, also Poste Italiane, auszusuchen, keinen Unterschied zwischen dem Verhältnis zwischen Poste Italiane und dem Konzessionär und jenem zwischen Poste Italiane und ihren übrigen Postkonto-Kunden.

20      Art. 10 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 könne nur dann als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen werden, wenn die Poste Italiane vorbehaltene Dienstleistung der Girokontoführung unter den Begriff der „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV falle. Es sei zu prüfen, ob trotz des Fehlens einer entsprechenden Rechtsvorschrift in der Regelung über die Erhebung anderer lokaler Steuern als der ICI das Erfordernis, die Effizienz der Erhebung der ICI dank der sehr weit verbreiteten Postämter zu maximieren, das Kriterium einer besonderen Aufgabe erfülle und daher eine Einschränkung der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften der Union im Sinne der Art. 14 und 106 AEUV rechtfertige.

21      Für den Fall, dass die Dienstleistung der Führung des Postgirokontos, das für die Erhebung der ICI bestimmt sei, als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anzusehen sein sollte, möchte das vorlegende Gericht als Erstes wissen, ob die Poste Italiane übertragene Befugnis, die Gebühr festzulegen, angesichts dessen, dass diese Gebühr nach Auffassung des Konzessionärs im Wesentlichen eine gesetzlich vorgeschriebene Steuer oder Abgabe und somit eine aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe darstelle, als „rechtswidrige staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden kann, zumal es sich um eine Maßnahme handle, die bislang noch nicht Gegenstand einer vorherigen Anmeldung bei der Europäischen Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV gewesen sei.

22      Das vorlegende Gericht möchte als Zweites wissen, ob die einseitige Festlegung der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühr durch Poste Italiane nicht als missbräuchlich und damit als nach Art. 102 Abs. 1 AEUV verboten einzustufen ist. Der Konzessionär kann sich dem vorlegenden Gericht zufolge der Zahlung dieser Gebühr nicht entziehen, da er sonst gegen seine Verpflichtungen aus dem gesonderten Rechtsverhältnis zwischen ihm und der lokalen Steuerbehörde, das die Erhebung der ICI zum Gegenstand habe, verstieße.

23      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen unter Berücksichtigung der Entwicklung der staatlichen Regelung über die Steuererhebung, die zumindest seit 1997 Steuerpflichtigen und auch lokalen Steuerbehörden die Möglichkeit gibt, sich für die Modalitäten der Zahlung und der Erhebung der (auch lokalen) Steuern frei des Banksystems zu bedienen, Art. 14 AEUV (Art. 7D des EG-Vertrags, dann Art. 16 EG) und Art. 106 Abs. 2 AEUV (Art. 90 des EG-Vertrags, dann Art. 86 Abs. 2 EG) sowie die Einordnung als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) einer Vorschrift wie Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo (gesetzesvertretendes Dekret) Nr. 504/1992 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 18 bis 20 des Gesetzes Nr. 662/1996 entgegen, wonach – auch infolge der Privatisierung der von Poste Italiane erbrachten „Bancoposta“-Leistungen (Postbankdienste) – Poste Italiane ein Tätigkeitsvorbehalt (gesetzliche Monopolstellung) eingeräumt und weiterhin gewährt wird, der die Führung eines Postgirokontos zum Zwecke der Eintreibung einer kommunalen Steuer (nämlich der ICI) zum Gegenstand hat?

2.      Stehen, sollte – in Beantwortung der ersten Frage – davon auszugehen sein, dass die Einführung des gesetzlichen Monopols die Merkmale der DAWI erfüllt, Art. 106 Abs. 2 AEUV (Art. 90 des EG-Vertrags, dann Art. 86 Abs. 2 EG) und Art. 107 Abs. 1 AEUV (Art. 92 des EG-Vertrags, dann Art. 87 EG) in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Hinblick auf die Anforderungen an die Unterscheidung einer rechtmäßigen Maßnahme – zum Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen – von einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe (Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, C‑280/00, EU:C:2003:415) einer Vorschrift wie Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 18 bis 20 des Gesetzes Nr. 662/1996 und Art. 3 Abs. 1 des Decreto del Presidente della Repubblica (Präsidialdekret) Nr. 144/2001 entgegen, die Poste Italiane die Befugnis zur einseitigen Festlegung der Höhe der vom Konzessionär (Agent) der Steuereinzugsstelle zur Eintreibung der ICI geschuldeten „Gebühr“ einräumt, die für jeden Vorgang auf dem auf den Konzessionär/Agenten lautenden Konto erhoben wird, und zwar unter Berücksichtigung des Umstands, dass Poste Italiane mit Tarifbeschluss Nr. 57/1996 des Verwaltungsrats diese Gebühr für den Zeitraum vom 1. April 1997 bis zum 31. Mai 2001 auf 100 ITL und für den Folgezeitraum ab dem 1. Juni 2001 auf 0,23 Euro festgesetzt hat?

3.      Steht Art. 102 Abs. 1 AEUV (Art. 86 des EG-Vertrags, dann Art. 82 Abs. 1 EG) in seiner Auslegung durch den Gerichtshof (vgl. Urteile vom 13. Dezember 1991, GB‑Inno-BM, C‑18/88, EU:C:1991:474, vom 25. Juni 1998, Dusseldorp u. a., C‑203/96, EU:C:1998:316, und vom 17. Mai 2001, TNT TRACO, C‑340/99, EU:C:2001:281) einer Gesamtregelung, bestehend aus Art. 2 Abs. 18 bis 20 des Gesetzes Nr. 662/1996, Art. 3 Abs. 1 des Präsidialdekrets Nr. 144/2001 und Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992, entgegen, wonach der Konzessionär (Agent) eine „Gebühr“ zu entrichten hat, die von Poste Italiane einseitig festgelegt und/oder geändert werden kann, und er den Girokontovertrag nicht kündigen kann, ohne gegen die Verpflichtung aus Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 zu verstoßen, was die Nichterfüllung der gegenüber der örtlichen Steuerbehörde übernommenen Verpflichtung zur Eintreibung der ICI zur Folge hätte?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

24      Wegen der Gesundheitskrise und der damit verbundenen Ungewissheit, wann der Gerichtshof seiner Rechtsprechungstätigkeit wieder unter normalen Bedingungen nachgehen kann, wurde die für den 22. April 2020 anberaumte mündliche Verhandlung abgesagt und wurden die Fragen, die zur mündlichen Beantwortung gestellt worden waren, in Fragen zur schriftlichen Beantwortung umgewandelt. Poste Italiane, die Agenzia und die Kommission haben die Fragen innerhalb der vom Gerichtshof gesetzten Frist beantwortet.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

 Zur Zulässigkeit der ersten Frage

25      Poste Italiane macht in erster Linie geltend, dass die erste Frage unzulässig sei, weil sie zum einen unverständlich sei, soweit sie sich auf Art. 14 AEUV beziehe, und zum anderen es allein Sache der nationalen Gerichte sei, die in Art. 106 Abs. 2 AEUV festgelegten Voraussetzungen unmittelbar anzuwenden.

26      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 19. Dezember 2019, Darie, C‑592/18, EU:C:2019:1140, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Oktober 2020, Union des industries de la protection des plantes, C‑514/19, EU:C:2020:803, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Als Zweites ist daran zu erinnern, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Sache des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile vom 28. November 2000, Roquette Frères, C‑88/99, EU:C:2000:652, Rn. 18, und vom 19. Dezember 2019, Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers, C‑263/18, EU:C:2019:1111, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 19. Dezember 2019, Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers, C‑263/18, EU:C:2019:1111, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall erwähnt die erste Frage zwar Art. 14 AEUV, bezieht sich aber auch auf Art. 106 AEUV und insbesondere auf den Begriff der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, auf den diese beiden Artikel Bezug nehmen, und ist im Wesentlichen darauf gerichtet, ob eine Tätigkeit, wie sie Poste Italiane vorbehalten ist und die in der Dienstleistung der Führung eines Postgirokontos für die Erhebung der ICI besteht, die Merkmale einer solchen Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse aufweist. Diese Frage betrifft somit die Auslegung des Unionsrechts und ist weder hypothetisch noch steht sie in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit. Der Gerichtshof verfügt außerdem über die zur Beantwortung dieser Frage erforderlichen Angaben.

31      Somit ist die erste Frage zulässig.

 Zur Sache

32      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 106 Abs. 2 und Art. 107 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung nationaler Vorschriften, nach denen die mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionäre verpflichtet sind, über ein auf ihren Namen lautendes Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, um die Zahlung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen zu ermöglichen, und für die Führung dieses Girokontos eine Gebühr zu entrichten, entgegenstehen, wenn diese Vorschriften nicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV bei der Kommission angemeldet worden sind.

33      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, die dabei der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt, zwar ausschließlich dafür zuständig ist, die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 3. September 2020, Vereniging tot Behoud van Natuurmonumenten in Nederland u. a./Kommission, C‑817/18 P, EU:C:2020:637, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung), dies aber nicht ausschließt, dass ein nationales Gericht den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung über die Auslegung des Begriffs „Beihilfe“ ersucht. So kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, aufgrund deren es feststellen kann, ob eine nationale Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV angesehen werden kann (Urteil vom 18. Mai 2017, Fondul Proprietatea, C‑150/16, EU:C:2017:388, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Um die praktische Wirksamkeit der in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Pflicht zur Anmeldung von Vorhaben zur Einführung oder Umgestaltung staatlicher Beihilfen sowie eine angemessene und umfassende Prüfung staatlicher Beihilfen durch die Kommission sicherzustellen, haben die nationalen Gerichte außerdem sämtliche Konsequenzen aus einer Verletzung dieser Pflicht zu ziehen und geeignete Abhilfemaßnahmen zu erlassen, auch wenn der Empfänger der rechtswidrigen Beihilfe ein mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrautes Unternehmen im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2020, Viasat Broadcasting UK, C‑445/19, EU:C:2020:952, Rn. 43).

35      Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung der Frage, ob die betreffende Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV einzustufen ist, was die Kontrolle der Einhaltung der sich aus dem Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), ergebenden Voraussetzungen beinhalten kann, vor der Prüfung einer Beihilfemaßnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV erfolgt. Diese Frage geht nämlich der gegebenenfalls durchzuführenden Überprüfung voraus, ob eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe gleichwohl für die Erfüllung der Aufgabe, die dem durch die fragliche Maßnahme Begünstigen übertragen wurde, nach Art. 106 Abs. 2 AEUV erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. März 2017, Viasat Broadcasting UK/Kommission, C‑660/15 P, EU:C:2017:178, Rn. 34, und vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 102).

36      Für die Beantwortung der ersten und der zweiten Frage ist daher zunächst zu prüfen, ob die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV einzustufen ist.

37      Für die Einstufung als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln, diese Maßnahme muss geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, dem Begünstigten muss durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden, und sie muss den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Was als Erstes die Voraussetzung anbelangt, wonach es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln muss, ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgenommene Unterscheidung zwischen „staatlichen“ und „aus staatlichen Mitteln gewährten“ Beihilfen nicht bedeutet, dass alle von einem Staat gewährten Vorteile unabhängig davon Beihilfen darstellen, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder nicht, sondern nur dazu dient, in den Beihilfebegriff die unmittelbar vom Staat gewährten Vorteile sowie diejenigen, die über eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt werden, einzubeziehen (Urteil vom 21. Oktober 2020, Eco TLC, C‑556/19, EU:C:2020:844, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Folglich müssen Vergünstigungen, damit sie als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, zum einen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein (Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Was erstens die Voraussetzung der Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme zum Staat angeht, so ist zu prüfen, ob die öffentlichen Stellen am Erlass dieser Maßnahme beteiligt waren (Urteil vom 21. Oktober 2020, Eco TLC, C‑556/19, EU:C:2020:844, Rn. 23).

41      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Vorlageentscheidungen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung durch Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen eingeführt wurde. Die Verpflichtung der Konzessionäre, für die Erhebung der ICI über ein Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, wurde durch das Decreto legislativo Nr. 504/1992 eingeführt, während das Recht dieses Unternehmens, eine Gebühr für die Führung dieses Kontos zu erheben, durch das Gesetz Nr. 662/1996 normiert wurde. In diesem – vom vorlegenden Gericht zu überprüfenden – Zusammenhang kann die Regelung, wonach die Konzessionäre über ein auf ihren Namen lautendes Girokonto bei Poste Italiane verfügen müssen, um die Zahlung der ICI durch die Steuerpflichtigen zu ermöglichen, und für die Führung dieses Girokontos eine Gebühr entrichten müssen, dem Staat zugerechnet werden.

42      Was zweitens die Voraussetzung der Übertragung staatlicher Mittel betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „staatliche Mittel“ sämtliche Geldmittel erfasst, die die öffentlichen Stellen tatsächlich zur Unterstützung von Unternehmen verwenden können, ohne dass es darauf ankommt, dass diese Mittel dauerhaft zum Vermögen des Staates gehören. Auch wenn die der Beihilfemaßnahme entsprechenden Beträge nicht auf Dauer dem Staat gehören, genügt der Umstand, dass sie ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen, um sie als staatliche Mittel zu qualifizieren (Urteile vom 21. Oktober 2020, Eco TLC, C‑556/19, EU:C:2020:844, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 10. Dezember 2020, Comune di Milano/Kommission, C‑160/19 P, EU:C:2020:1012, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      In Anbetracht der Angaben des vorlegenden Gerichts und der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ist insoweit darauf hinzuweisen, dass eine Maßnahme, aufgrund deren – öffentliche oder private – Unternehmen eine Abnahmepflicht oder eine Pflicht zum Erwerb von Dienstleistungen aus eigenen finanziellen Mitteln erfüllen müssen, keine staatliche Beihilfe darstellt. Diese Pflicht bewirkt nämlich grundsätzlich keinen Einsatz staatlicher Mittel im Sinne von Art. 107 AEUV. Anders verhielte es sich jedoch, wenn diese Unternehmen als vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragt anzusehen wären, was der Fall wäre, wenn die Mehrkosten, die sich aus dieser Abnahmepflicht oder Pflicht zum Erwerb von Dienstleistungen ergeben, vollständig auf den Endverbraucher abgewälzt würden, für ihre Finanzierung eine vom Mitgliedstaat vorgeschriebene Abgabe erhoben würde oder es einen Mechanismus für ihren vollständigen Ausgleich gäbe (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 26 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 68).

44      Im Übrigen können Mittel öffentlicher Unternehmen auch dann als staatliche Mittel angesehen werden, wenn der Staat durch die Ausübung seines beherrschenden Einflusses auf diese Unternehmen in der Lage ist, die Verwendung dieser Mittel zu steuern, um gegebenenfalls Vorteile zugunsten anderer Unternehmen zu finanzieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Im vorliegenden Fall geht aus der nationalen Regelung, auf die in den Vorlageentscheidungen Bezug genommen wird, hervor, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme eine Verpflichtung zum Erwerb von Dienstleistungen beinhaltet, da die Konzessionäre nach Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 verpflichtet sind, für die Erhebung der ICI von den Steuerpflichtigen über ein Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, und Poste Italiane nach Art. 2 Abs. 18 des Gesetzes Nr. 662/1996 von den Konzessionären Gebühren für die Führung dieses Kontos verlangen kann.

46      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die bloße Tatsache, dass die Konzessionäre im Jahr 2006 zu öffentlichen Unternehmen wurden, nicht den Schluss zulässt, dass die Verpflichtung dieser Konzessionäre zum Erwerb von Dienstleistungen aus staatlichen Mitteln finanziert wird.

47      Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts geht nämlich nicht hervor, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme darauf zurückzuführen ist, dass der Staat seinen beherrschenden Einfluss auf diese Unternehmen genutzt hat, um die Verwendung ihrer Mittel im Sinne der in Rn. 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu steuern, da sich die Verpflichtung, für die Erhebung der ICI von den Steuerpflichtigen über ein Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, aus Rechtsvorschriften und nicht aus einem staatlichen Eingriff in die Geschäftspolitik dieser Konzessionäre ergibt und diese Verpflichtung auf die Konzessionäre vor 2006 in ähnlicher Weise angewandt worden war wie danach, als sie staatlicher Kontrolle unterstellt wurden.

48      Es ist jedoch entsprechend den Ausführungen in Rn. 43 des vorliegenden Urteils zu prüfen, ob die mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionäre vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel beauftragte Unternehmen sind, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn ein Mechanismus zum vollständigen Ausgleich der sich aus dieser Verpflichtung ergebenden Mehrkosten bestünde.

49      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen ergibt sich nicht mit Sicherheit, dass es einen solchen Mechanismus gibt.

50      Aus den Vorlageentscheidungen geht zwar hervor, dass die steuererhebenden Gemeinden nach Art. 10 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 504/1992 verpflichtet sind, den Konzessionären für die Erhebung der ICI eine Kommission zu zahlen. Auch wenn diese Beträge eindeutig öffentlichen Ursprungs sind, deutet jedoch nichts darauf hin, dass sie die Mehrkosten ausgleichen sollen, die sich für die Konzessionäre aus ihrer Verpflichtung ergeben können, über ein Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, und dass der Staat damit die vollständige Deckung dieser Mehrkosten sicherstellt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies der Fall ist.

51      Im Übrigen ergibt sich weder aus den Vorlageentscheidungen noch aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte, dass etwaige Mehrkosten, die durch die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Verpflichtung zum Erwerb von Dienstleistungen von Poste Italiane entstehen, vollständig von den Steuerpflichtigen getragen werden müssten oder dass sie durch eine andere staatlich vorgeschriebene Abgabe finanziert würden.

52      Selbst wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat, dass die von den Konzessionären an Poste Italiane für die Eröffnung und Führung der von ihnen dort einzurichtenden Konten gezahlten Gebühren als unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt angesehen werden können, obliegt es allerdings dem vorlegenden Gericht, dies zu überprüfen, da der Gerichtshof keine unmittelbare Prüfung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens vornehmen kann.

53      Was als Zweites die Voraussetzung betrifft, dass dem Begünstigten durch die Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt werden muss, ist daran zu erinnern, dass als staatliche Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art gelten, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 83 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Insoweit kann die einem Unternehmen durch eine nationale Regelung verliehene Befugnis, für die Erbringung einer Dienstleistung, für die es das gesetzliche Monopol innehat, Gebühren zu erheben, grundsätzlich als ein ausschließlich diesem Unternehmen gewährter selektiver Vorteil angesehen werden.

55      Aus den Vorlageentscheidungen und den übrigen dem Gerichtshof vorliegenden Aktenbestandteilen geht jedoch hervor, dass die Verpflichtung der Konzessionäre, für die Erhebung der ICI von den Steuerpflichtigen bei Poste Italiane ein Girokonto auf ihren Namen zu eröffnen, durch das Decreto legislativo Nr. 504/1992, mit dem zugunsten von Poste Italiane ein gesetzliches Monopol geschaffen wurde, eingeführt wurde. Bis zum Decreto-Legge Nr. 70/2011 kam nur Poste Italiane in den Genuss dieses Vorteils, der mit den sehr weit verbreiteten Postämtern und der damit verbundenen leichteren Erreichbarkeit der Steuerpflichtigen gerechtfertigt worden war.

56      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht angesichts der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umstände den Gerichtshof insbesondere zu den im Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), angeführten Kriterien befragt, die die Fälle betreffen, in denen ein Unternehmen für die Übernahme gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen einen Ausgleich erhält.

57      Hierzu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine staatliche Maßnahme nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugutekommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen (Urteile vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, C‑280/00, EU:C:2003:415, Rn. 87, vom 8. März 2017, Viasat Broadcasting UK/Kommission, C‑660/15 P, EU:C:2017:178, Rn. 25, sowie vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 100).

58      Nach den Rn. 88 bis 93 des Urteils vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), muss eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine solche Maßnahme nicht als „staatliche Beihilfe“ eingestuft wird. Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufzustellen. Drittens darf der gewährte Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken. Wenn viertens die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut ist, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, durch das derjenige Bewerber ausgewählt werden soll, der diesen Dienst zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, so ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte.

59      Zur ersten im Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), aufgestellten Voraussetzung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass mit ihr ein Ziel der Transparenz und der Rechtssicherheit verfolgt wird, das die Erfüllung von Mindestkriterien erfordert, die vom Vorliegen eines oder mehrerer Hoheitsakte abhängen, die hinreichend genau zumindest die Art, die Dauer und die Tragweite der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen definieren, die den mit der Erfüllung dieser Verpflichtungen betrauten Unternehmen obliegen. In Ermangelung einer klaren Definition solcher objektiven Kriterien wäre es nicht möglich, zu kontrollieren, ob eine bestimmte Tätigkeit unter den Begriff der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse fallen kann (Urteil vom 20. September 2018, Spanien/Kommission, C‑114/17 P, EU:C:2018:753, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Ausgangsverfahren nicht die von Poste Italiane angebotenen Postdienstleistungen betreffen und dass das vorlegende Gericht hinsichtlich der Erhebung der ICI zwischen dem Verhältnis, das die Gemeinde als Steuerbehörde durch eine per Vergabeverfahren erteilte Verwaltungskonzession mit dem mit dieser Erhebung betrauten Konzessionär verbindet, einerseits und dem privatrechtlichen Verhältnis, das diesen Konzessionär und Poste Italiane aufgrund der Verpflichtung, für die Erhebung der ICI ein Postgirokonto zu führen und hierfür eine Gebühr zu entrichten, verbindet, andererseits unterscheidet. Die Ausgangsverfahren betreffen nur das zweite dieser beiden Verhältnisse.

61      Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nicht ersichtlich, dass Poste Italiane gegenüber den Konzessionären formell verpflichtet ist, bestimmte Leistungen als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen unter Bedingungen, die ihre Art und Tragweite hinreichend genau definieren, zu erbringen.

62      Wenngleich die Eröffnung und Führung der auf die Konzessionäre lautenden Postgirokonten zu den Tätigkeiten gehören, mit denen die Modalitäten der Organisation und Durchführung der dem Konzessionär übertragenen gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung der Erhebung der ICI umgesetzt werden, so geht aus den Vorlageentscheidungen und den übrigen Angaben in der dem Gerichtshof vorliegenden Akte vielmehr hervor, dass Poste Italiane abgesehen von der Verpflichtung, mit allen Konzessionären Verträge abzuschließen, nicht mehr Verpflichtungen unterliegt als denen, die für den Sektor der Bankdienstleistungen gelten.

63      Insbesondere kann Poste Italiane ihre Tarife frei festlegen, und abgesehen von der Verpflichtung, mit den Konzessionären Verträge abzuschließen, unterscheidet sich ihr Verhältnis zu diesen durch nichts von ihrem Verhältnis zu ihren übrigen Postgirokonto-Kunden. Poste Italiane wies darauf hin, dass sie zu den Konzessionären in einem gewöhnlichen Girokontoverhältnis stehe und seit jeher ein einziges Postgirokonto anbiete, dessen Grundausstattung für alle ihre Kunden gleich sei. Auch die Agenzia bestätigte, dass Poste Italiane hinsichtlich der Girokonten den Konzessionären die gleichen wirtschaftlichen Konditionen biete wie ganz allgemein allen anderen juristischen Personen.

64      Unter diesen Umständen ist die erste im Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), genannte Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt und sind die übrigen in diesem Urteil genannten Voraussetzungen nicht zu prüfen, da es sich um kumulative Voraussetzungen handelt.

65      Daraus folgt, dass das Poste Italiane durch die einschlägige nationale Regelung verliehene Recht, Gebühren für die Führung der Postgirokonten zu erheben, die die Konzessionäre aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung auf ihren Namen eröffnen mussten, um die ICI von den Steuerpflichtigen zu erheben, als ein selektiver Vorteil angesehen werden kann, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist.

66      Was als Drittes die Voraussetzungen betrifft, wonach die Maßnahme geeignet sein muss, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen muss, so kann – wenngleich die Vorlageentscheidungen hierzu keine Angaben enthalten – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht davon ausgegangen werden, dass sie im vorliegenden Fall erfüllt sind.

67      Erstens ist es nämlich zweckmäßig, darauf hinzuweisen, dass es für die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der fraglichen Beihilfe auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung bedarf, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen (Urteil vom 29. Juli 2019, Azienda Napoletana Mobilità, C‑659/17, EU:C:2019:633, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Außerdem ist, wenn eine von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe die Stellung bestimmter Unternehmen gegenüber anderen, konkurrierenden Unternehmen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten stärkt, dieser Handel als durch die Beihilfe beeinflusst anzusehen. Insoweit brauchen die begünstigten Unternehmen nicht selbst am Handel zwischen den Mitgliedstaaten teilzunehmen. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Tätigkeit dadurch beibehalten oder verstärkt werden, so dass sich dadurch die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, in den Markt dieses Mitgliedstaats einzudringen, verringern (Urteil vom 29. Juli 2019, Azienda Napoletana Mobilità, C‑659/17, EU:C:2019:633, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Im vorliegenden Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende italienische Regelung dadurch, dass sie die Konzessionäre verpflichtet, für die Erhebung der ICI von den Steuerpflichtigen über ein Postgirokonto zu verfügen und für dessen Führung eine Gebühr an Poste Italiane zu entrichten, geeignet ist, die Stellung dieses öffentlichen Unternehmens im Verhältnis zu den anderen konkurrierenden Unternehmen im Bereich der Bank- und Finanzdienstleistungen zu stärken und zudem den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

70      Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Auswirkungen auf die Tätigkeit von Poste Italiane und den anderen Bankinstituten zu beurteilen, die von der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme ausgingen, die zumindest bis zum Decreto-legge Nr. 70/2011 Poste Italiane den Vorteil vorbehielt, der sich aus der Verpflichtung der Konzessionäre ergab, bei diesem Unternehmen über ein auf ihren Namen lautendes Girokonto zu verfügen, um die ICI von den Steuerpflichtigen – die auch die Möglichkeit hatten, diese direkt an die Konzessionäre zu zahlen – zu erheben.

71      Als Viertes ist festzustellen, dass aus den Vorlageentscheidungen hervorgeht, dass die durch das Decreto legislativo Nr. 504/1992 eingeführte Maßnahme, mit der Poste Italiane das Monopol für die Führung der auf die mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionäre lautenden Girokonten übertragen werden sollte, nicht gemäß Art. 108 AEUV bei der Kommission angemeldet wurde.

72      Sollte das vorlegende Gericht im Licht der Ausführungen in den Rn. 37 bis 70 des vorliegenden Urteils zu dem Schluss gelangen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstellt, wäre es daher nach der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Sache des vorlegenden Gerichts, alle Konsequenzen aus dem Verstoß – im vorliegenden Fall gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV – zu ziehen.

73      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die erste im Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), aufgestellte Voraussetzung, wonach das begünstigte Unternehmen mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein muss, die klar definiert sein müssen, auch in dem Fall gilt, dass die in Art. 106 Abs. 2 AEUV vorgesehene Ausnahmeregelung geltend gemacht worden ist (Urteil vom 20. Dezember 2017, Comunidad Autónoma del País Vasco u. a./Kommission, C‑66/16 P bis C‑69/16 P, EU:C:2017:999, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Deshalb kann Art. 106 Abs. 2 AEUV in den Ausgangsverfahren keine Anwendung finden, da ja in Rn. 64 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, dass diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist. Da die Kommission, wie sich aus der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt ausschließlich zuständig ist, ist das vorlegende Gericht jedenfalls nicht befugt, zu prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale von Art. 106 Abs. 2 AEUV erfüllt sind.

74      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 107 AEUV dahin auszulegen ist, dass die nationale Maßnahme, aufgrund deren die mit der Erhebung der ICI betrauten Konzessionäre verpflichtet sind, bei Poste Italiane über ein auf ihren Namen lautendes Girokonto zu verfügen, um den Steuerpflichtigen die Zahlung der ICI zu ermöglichen, und eine Gebühr für die Führung dieses Girokontos zu entrichten, eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne der genannten Bestimmung darstellt, sofern diese Maßnahme dem Staat zugerechnet werden kann, Poste Italiane aus staatlichen Mitteln einen selektiven Vorteil verschafft und geeignet ist, den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu verfälschen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

 Zur dritten Frage

75      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 102 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Konzessionäre, die mit der Erhebung der ICI betraut sind, verpflichtet sind, Poste Italiane für die Führung des bei ihr zu eröffnenden Postgirokontos die von ihr einseitig festgelegte Gebühr zu zahlen.

76      Poste Italiane hält diese Frage für unzulässig, da das vorlegende Gericht weder geprüft noch erläutert habe, warum die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht mit Art. 102 AEUV vereinbar sein solle. Sollte sich die Vorlagefrage auf die Auslegung von Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV beziehen, wäre diese Frage ebenfalls unzulässig. Das vorlegende Gericht habe keine klaren Angaben zum Markt der betreffenden Dienstleistungen, zum relevanten geografischen Gebiet sowie zur Zahl der die in Rede stehenden Dienstleistungen erbringenden Unternehmer und ihren jeweiligen Marktanteilen gemacht.

77      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Dieses Erfordernis gilt ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (Urteile vom 12. Dezember 2013, Ragn-Sells, C‑292/12, EU:C:2013:820, Rn. 39, und vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

78      In den Ausgangsverfahren soll mit der dritten Frage nicht nur geklärt werden, ob die dort in Rede stehende nationale Regelung bewirkt hat, dass Poste Italiane besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV gewährt wurden, sondern auch, ob diese Regelung möglicherweise zu einem Missbrauch einer beherrschenden Stellung geführt hat.

79      Wie der Generalanwalt in Nr. 92 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hätte das vorlegende Gericht jedoch genaue Angaben zu den Merkmalen des relevanten Markts, seiner räumlichen Ausdehnung oder dem möglichen Vorhandensein gleichwertiger Dienste machen müssen.

80      Die Vorlageentscheidungen enthalten insbesondere keine Angaben, anhand deren sich feststellen lässt, dass in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten die Tatbestandsmerkmale einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV verwirklicht sind. Hierzu ist festzustellen, dass es trotz der Angaben, die die Beteiligten des Verfahrens vor dem Gerichtshof in Beantwortung der vom Gerichtshof gestellten Fragen gemacht haben, weder möglich ist, den relevanten Markt im Hinblick auf die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen und seine räumliche Ausdehnung sowie die Marktanteile der verschiedenen auf diesem Markt tätigen Unternehmen hinreichend genau zu bestimmen, noch, mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Verpflichtung der Konzessionäre, für die Erhebung der ICI über ein Girokonto bei Poste Italiane zu verfügen, Poste Italiane auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts eine beherrschende Stellung verschaffen würde.

81      In den Vorlageentscheidungen wird auch nicht erläutert, weshalb die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende italienische Regelung dazu führen könnte, dass Poste Italiane ihre Stellung missbraucht.

82      Da der Gerichtshof nicht über die für eine zweckdienliche Antwort erforderlichen Angaben verfügt, ist festzustellen, dass die dritte Frage unzulässig ist.

 Kosten

83      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 107 AEUV ist dahin auszulegen, dass die nationale Maßnahme, aufgrund deren die mit der Erhebung der Imposta comunale sugli immobili (kommunale Grundsteuer) betrauten Konzessionäre verpflichtet sind, bei Poste Italiane SpA über ein auf ihren Namen lautendes Girokonto zu verfügen, um den Steuerpflichtigen die Zahlung dieser Steuer zu ermöglichen, und eine Gebühr für die Führung dieses Girokontos zu entrichten, eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne der genannten Bestimmung darstellt, sofern diese Maßnahme dem Staat zugerechnet werden kann, Poste Italiane aus staatlichen Mitteln einen Vorteil verschafft und geeignet ist, den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu verfälschen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.