Language of document : ECLI:EU:T:2022:597

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

5. Oktober 2022(*)

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Bildmarke airframe – Absolute Eintragungshindernisse – Kein beschreibender Charakter – Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2017/1001 – Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001“

In der Rechtssache T‑539/21,

the airscreen company GmbH & Co. KG mit Sitz in Münster (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt O. Spieker sowie Rechtsanwältinnen A. Schönfleisch und D. Mienert,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch T. Klee und D. Hanf als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Moviescreens Rental GmbH mit Sitz in Damme (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwältin D. Schulz und Rechtsanwalt P. Stelzig,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović, des Richters F. Schalin (Berichterstatter) und der Richterin P. Škvařilová-Pelzl,

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die the airscreen company GmbH & Co. KG, die Aufhebung der Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 1. Juli 2021 (Sache R 63/2021-4) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 28. Mai 2019 stellte die Klägerin beim EUIPO einen Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit der Unionsmarke, die aufgrund einer Anmeldung vom 29. August 2018 für das nachstehende Bildzeichen eingetragen worden war:

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3        Für folgende von der angegriffenen Marke erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 7, 9, 17, 19, 35, 38 und 41 des Abkommens von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung wurde die Erklärung der Nichtigkeit beantragt:

–        Klasse 7: „Gebläse“;

–        Klasse 9: „Kinoleinwände; Geräte zur Aufzeichnung, Aufblasbare Kinoleinwände; Großleinwände; Silberleinwände“;

–        Klasse 17: „Schläuche, nicht aus Metall; Gummifäden, nicht für Textilzwecke; Gummi; Gummiklappen [Gummiventile]; Gummischnüre; Kunststofffasern, nicht für Textilzwecke; Kunststoffe, teilweise bearbeitet; Kunststofffolien, außer für Verpackungszwecke; Kunststoffgarne, nicht für Textilzwecke; Schläuche aus textilem Material; Flexible Schläuche aus textilem Material; Extrudierte Kunststoffe [Halbfabrikate]; Druckschläuche, nicht aus Metall; Extrudierte Kunststoffe in Form von Stäben, Blöcken, Pellets, Stangen, Platten und Röhren für Produktionszwecke; Folien aus Kunststoffen [Halbfabrikate]; Formteile aus Kunststoff; Kunststoffrohre; weichmacherfreie Kunststoffe; flexible PVC‑Folien; Biegsame PVC‑Folien für Projektionszwecke; Elastomerfilme aus Kunststoff; Druckstellenrohre, nicht aus Metall; mit Luft füllbare Rahmen aus Polyvinylchlorid (PVC)“;

–        Klasse 19: „Transportable Bauten, nicht aus Metall; Rahmenkonstruktionen, nicht aus Metall für Gebäude; Stützen [Streben]; Träger, nicht aus Metall; Großbildschirmrahmen, nicht aus Metall; Rahmenkonstruk[ti]onen, nicht aus Metall für Bauzwecke“;

–        Klasse 35: „Werbung“;

–        Klasse 38: „Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild“;

–        Klasse 41: „Vermietung von Projektoren für Kinofilme; Vermietung von Kinoprojektoren; Vermietung von Kinofilmprojektionsapparaten; Vermietung von Kinofilmprojektionsgeräten; Vermietung von Filmprojektorgeräten; Bereitstellung von Multimedia-Unterhaltungsdienstleistungen über eine Website“.

4        Der Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit wurde auf Art. 59 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) gestützt.

5        Am 5. November 2020 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit zurück.

6        Am 5. Januar 2021 reichte die Klägerin beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

7        Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Insbesondere vertrat sie die Ansicht, dass sich die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen an den Fachverkehr richteten, aber auch an die Allgemeinheit der Verbraucher gerichtet sein könnten. Da „airframe“ ein englischer Begriff sei, umfassten die maßgeblichen Verkehrskreise die Verbraucher der Länder mit Englisch als Amtssprache, d. h. Irland und Malta. Zudem sei der Wortbestandteil eine Kombination der beiden Begriffe „air“ und „frame“, die Teil des englischen Standardwortschatzes seien, so dass die Eintragungshindernisse im Hinblick auf alle relevanten Verbraucher in der Europäischen Union mit zumindest Grundkenntnissen der englischen Sprache zu prüfen seien.

8        Laut der Beschwerdekammer erkennt das angesprochene Publikum in „airframe“ ohne Weiteres die Kombination der beiden englischen Substantive „air“ und „frame“, die verschiedene Bedeutungen haben könnten. Mögliche Bedeutungen der Wortzusammensetzung „airframe“ seien „Luftrahmen“, „Luftgestell“ und „Luftgehäuse“.

9        Die Bedeutung von „airframe“ als Fachbegriff der Flugzeugtechnik im Sinne von „Flugwerk, Flugzeugzelle“ stehe in keinerlei Bezug zu den verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen, so dass es auf die Frage, inwieweit sie dem relevanten Publikum bekannt sei, von vornherein nicht ankommen könne.

10      Den von der Klägerin vorgelegten Nachweisen lasse sich nicht entnehmen, dass die englischsprachigen Verbraucher mit diesen möglichen Bedeutungen eine konkrete begriffliche Vorstellung verbänden, die zur Beschreibung der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen geeignet sei. Die Klägerin habe nämlich keinen entsprechenden Sprachgebrauch belegt, und zwar weder für den englischen noch für einen anderen Sprachgebrauch.

11      Tatsächlich gelangte die Beschwerdekammer unter Nennung von Beispielen, die „air“ als Wortbildungselement enthalten („air plane“, „air host“, „air stream“, „air conditioning“, „air cleaner“ oder „air taxi“), zu dem Schluss, dass dieses Wortbildungselement nicht die Bedeutung von „aufblasbar“ habe. Sie verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass der Begriff „airscreen“ in einer Entscheidung des EUIPO als ein erfundener Begriff bewertet worden sei. Dieselben Erwägungen stellte die Beschwerdekammer für den deutschen Begriff „Luft“ an, der, außer wenn er im Begriff „Luftmatratze“ enthalten sei, in Verbindung mit anderen deutschen Begriffen nicht „aufblasbar“ bedeute oder als „aufblasbar“ verstanden werde.

12      Ferner sei es im Fall einer aus zwei bekannten Begriffen zusammengesetzten Marke nicht ausreichend, dass für jeden Bestandteil ein möglicher beschreibender Charakter festgestellt werden könne, vielmehr müsse der beschreibende Charakter auch für die Neuschöpfung insgesamt festgestellt werden können. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht erbracht. Insoweit habe die Beschwerdekammer den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer Verkehrsbefragung als unzulässig gewertet, da die Beschwerdekammer in Nichtigkeitsverfahren auf die von den Parteien vorgebrachten Argumente, Tatsachen und Beweismittel beschränkt sei und es der Klägerin obliege, die beschreibende Bedeutung der angegriffenen Marke nachzuweisen.

13      Fehle es somit an einem beschreibenden Begriffsinhalt in Bezug auf die in Rede stehenden Waren, könne das Zeichen auch nicht zu deren Beschreibung dienen. Dies gelte auch für den Bildbestandteil, der nicht aus einer Darstellung bestehe, die das Publikum ohne Weiteres als Kinoleinwand erkennen würde. Eine Prüfung in Bezug auf die einzelnen Waren und Dienstleistungen erübrige sich damit.

14      Aus den genannten Gründen wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Sie stellte zum einen fest, dass der auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 gestützte Beschwerdegrund unbegründet sei. Zum anderen wies sie den auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 gestützten Beschwerdegrund mit der Begründung zurück, dass die Klägerin kein Argument vorgetragen habe, um die fehlende Unterscheidungskraft der angegriffenen Marke nachzuweisen.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

16      Das EUIPO und die Streithelferin, die Moviescreens Rental GmbH, beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen auf zwei Klagegründe, indem sie erstens einen Verstoß gegen Art. 59 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 und zweitens einen Verstoß gegen Art. 59 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 59 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001

18      Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass die angegriffene Marke als eine Kombination der englischen Begriffe „air“ und „frame“ („Luft“ und „Rahmen“) zu verstehen sei. Der Bedeutungsinhalt der angegriffenen Marke sei daher „Luftgestell“ oder „Luftrahmen“. Es bestehe keinerlei Unterschied zwischen dem Gesamtbegriff und der Summe seiner Elemente. Zudem sei die Kombination „airframe“ auch nicht ungewöhnlich für die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen. Der dem Wortbestandteil vorangestellte Bildbestandteil stelle eine stilisierte Darstellung dieses Wortbestandteils in seiner Gesamtheit dar. Die maßgeblichen Verkehrskreise verständen die angegriffene Marke in Gänze als Hinweis auf einen „Luftrahmen“, und zwar erst recht im Hinblick auf den Bildbestandteil, der eine grafische Darstellung einer Kinoleinwand oder – allgemeiner – einer Projektionsfläche zeige. Die angegriffene Marke sei beschreibend, da es sich bei den in Rede stehenden Waren um mit Luft befüllte Rahmenkonstruktionen bzw. um damit ausgestattete Waren handele (ein Teil der Waren der Klassen 9 und 17 und die Waren der Klasse 19), sie untrennbare Bestandteile von mit Luft befüllten Rahmen bildeten (ein Teil der Waren der Klasse 17) oder sie hiermit jedenfalls in unmittelbarem Zusammenhang ständen (Waren der Klasse 7, ein Teil der Waren der Klassen 9 und 17 und die Dienstleistungen der Klasse 35).

19      Das EUIPO, unterstützt von der Streithelferin, tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

20      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 sind „Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können“, von der Eintragung ausgeschlossen.

21      Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass Zeichen oder Angaben, die die Waren oder Dienstleistungen beschreiben, für die die Eintragung beantragt wird, von jedermann frei verwendet werden können. Die Bestimmung erlaubt es daher nicht, dass solche Zeichen oder Angaben durch ihre Eintragung als Marke einem einzigen Unternehmen vorbehalten werden (vgl. Urteil vom 27. Juni 2017, Aldi Einkauf/EUIPO – Fratelli Polli [ANTICO CASALE], T‑327/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:439, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Folglich fällt ein Zeichen unter das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 aufgestellte Verbot, wenn es zu den fraglichen Waren oder Dienstleistungen einen hinreichend direkten und konkreten Bezug aufweist, der es dem betreffenden Publikum ermöglicht, unmittelbar und ohne weitere Überlegung eine Beschreibung der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen oder eines ihrer Merkmale zu erkennen (vgl. Urteil vom 27. Juni 2017, ANTICO CASALE, T‑327/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:439, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Der beschreibende Charakter ist daher zum einen im Hinblick auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen nach dem Verständnis des Zeichens aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise zu beurteilen (vgl. Urteil vom 27. Juni 2017, ANTICO CASALE, T‑327/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:439, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Nach der Rechtsprechung müssen die Dienststellen des EUIPO für die Prüfung, ob die absoluten Eintragungshindernisse gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 der Eintragung einer Marke entgegenstehen oder die Erklärung der Nichtigkeit einer zuvor eingetragenen Marke zur Folge haben müssen, auf den Anmeldetag abstellen (vgl. Urteile vom 21. November 2013, Heede/HABM [Matrix-Energetics], T‑313/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:603, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 8. Mai 2019, VI.TO./EUIPO – Bottega [Form einer vergoldeten Flasche], T‑324/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:297, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Diese Verpflichtung hindert die Dienststellen des EUIPO jedoch nicht daran, gegebenenfalls Nachweise zu berücksichtigen, die zwar aus der Zeit nach der Anmeldung stammen, aber Rückschlüsse auf die Situation zu diesem Zeitpunkt zulassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2014, Pi-Design u. a./Yoshida Metal Industry, C‑337/12 P bis C‑340/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:129, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Insoweit ist klarzustellen, dass die Beschwerdekammer im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens nicht verpflichtet sein kann, die von den zuständigen Dienststellen des EUIPO zum Zeitpunkt der Eintragung durchgeführte Ermittlung des relevanten Sachverhalts von Amts wegen erneut vorzunehmen. Aus den Bestimmungen der Art. 59 und 60 der Verordnung 2017/1001 geht nämlich hervor, dass die Unionsmarke so lange als gültig angesehen wird, bis sie vom EUIPO nach einem Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt wird. Ihr kommt somit eine Vermutung der Gültigkeit zugute, die die logische Folge der vom EUIPO im Rahmen der Prüfung einer Anmeldung durchgeführten Kontrolle darstellt (vgl. Urteil vom 10. Juni 2020, Louis Vuitton Malletier/EUIPO – Wisniewski [Darstellung eines Schachbrettmusters], T‑105/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:258, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Diese Gültigkeitsvermutung beschränkt die sich aus Art. 95 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 ergebende Verpflichtung des EUIPO, den relevanten Sachverhalt, der es zu der Feststellung veranlassen könnte, dass ein absolutes Eintragungshindernis vorliegt, von Amts wegen zu ermitteln, auf die Prüfung der Unionsmarkenanmeldung, die von den Dienststellen des EUIPO im Verfahren zur Eintragung dieser Marke durchgeführt wurde. Da die Gültigkeit der eingetragenen Unionsmarke im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens vermutet wird, ist es Sache des die Erklärung der Nichtigkeit begehrenden Antragstellers, vor dem EUIPO die konkreten Gesichtspunkte darzulegen, die die Gültigkeit der Marke in Frage stellen sollen. So beschränkt das EUIPO nach dem Wortlaut von Art. 95 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung 2017/1001 in Nichtigkeitsverfahren nach Art. 59 der Verordnung seine Prüfung auf die von den Beteiligten angeführten Gründe und Argumente (vgl. Urteil vom 10. Juni 2020, Darstellung eines Schachbrettmusters, T‑105/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:258, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Auch wenn diese Vermutung der Gültigkeit der Eintragung die Verpflichtung des EUIPO, die relevanten Tatsachen zu prüfen, beschränkt, kann sie jedoch das EUIPO nicht daran hindern, sich insbesondere in Anbetracht der Umstände, die von der Partei geltend gemacht werden, die die Gültigkeit der angegriffenen Marke in Frage stellt, nicht nur auf diese Argumente und auf etwaige Nachweise, die diese Partei ihrem Nichtigkeitsantrag beigefügt hat, zu stützen, sondern auch auf offenkundige Tatsachen, die das EUIPO im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens ermittelt hat. Hat daher eine Partei gegen die Gültigkeit einer eingetragenen Marke Umstände eingewandt, auf die ihr Nichtigkeitsantrag gestützt ist, obliegt es der Beschwerdekammer, diese Umstände zu prüfen und etwaige offenkundige Tatsachen, die der Prüfer im Rahmen des Eintragungsverfahrens außer Acht gelassen hat, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 10. Juni 2020, Darstellung eines Schachbrettmusters, T‑105/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:258, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zu den maßgeblichen Verkehrskreisen

29      In Bezug auf die maßgeblichen Verkehrskreise ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Beschwerdekammer in Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung festzustellen, dass die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen sich an die Allgemeinheit richten, aber auch an den Fachverkehr, etwa im Bereich der Filmvorführung. Da die angegriffene Marke aus Begriffen besteht, die aus der englischen Sprache stammen, hat die Beschwerdekammer in Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung außerdem zu Recht festgestellt, dass die Beurteilung ihres beschreibenden Charakters im Hinblick auf die englischsprachigen Verbraucher und alle anderen Verbraucher in der Union mit Grundkenntnissen der englischen Sprache zu prüfen ist, was im Übrigen von der Klägerin nicht bestritten wird.

 Zur Bedeutung des Wortbestandteils des streitigen Zeichens

30      Zur Frage, ob die maßgeblichen Verkehrskreise die angegriffene Marke im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen als beschreibend wahrnehmen, ist in Übereinstimmung mit der Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung festzustellen, dass diese Marke aus dem Wortbestandteil „airframe“ in fettgedruckten schwarzen Kleinbuchstaben besteht, dem ein Bildbestandteil in Form eines schwarzen, sich nach rechts leicht verjüngenden rechteckigen Rahmens mit seitlich doppelter Linienführung vorangestellt ist.

31      Die Beschwerdekammer hat in Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass die Kombination der beiden englischen Substantive „air“ und „frame“ im Wortbestandteil „airframe“ ohne Weiteres zu erkennen sei. Die Beschwerdekammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Begriff „air“ in der englischen Sprache u. a. „the invisible gaseous substance surrounding the earth, a mixture mainly of oxygen and nitrogen“ (auf Deutsch: Luft), „an impression of a quality or manner given by someone or something“ (auf Deutsch: Aussehen, Auftreten) oder „a tune or short melodious song“ (auf Deutsch: Lied) bedeute. Ebenfalls zutreffend ist ihre Feststellung, dass der Begriff „frame“ in den englischen Wörterbüchern u. a. als „a rigid structure that surrounds something such a picture, door, or windowpane“ (auf Deutsch: Rahmen, Gehäuse), „a person’s body with reference to its size or build“ (auf Deutsch: Körper), „a basic structure that underlies or supports a system, concept or text“ (auf Deutsch: Gestell, Gerüst) definiert werde. Diese Bedeutungen werden im Übrigen von den Parteien nicht bestritten.

32      Im Zusammenhang mit den verfahrensgegenständlichen Waren sind die möglichen Bedeutungen der Wortzusammensetzung „airframe“ daher „Luftrahmen“, „Luftgestell“ und „Luftgehäuse“. Zu Recht geht die Beschwerdekammer in Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass es sich um einen Begriff handele, der im allgemeinen Sprachgebrauch nicht existiere, um die verfahrensgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen zu beschreiben. Der Begriff existiert nur in der Fachsprache der Flugzeugtechnik, in der „airframe“ „Flugwerk, Flugzeugzelle“ bedeutet. Ebenso zutreffend ist die Schlussfolgerung in Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung, dass der Begriff „air“ (auf Deutsch: Luft) nicht „aufblasbar“ bedeute, wie die oben in Rn. 31 angeführten Bedeutungen dieses Begriffs bestätigen.

33      Somit kann entgegen dem Vorbringen der Klägerin keine der oben genannten Bedeutungen mit der von ihr geltend gemachten Bedeutung „mit Luft befüllte Rahmen“ gleichgesetzt werden. Die Beschwerdekammer konnte nämlich frei von Fehlern feststellen, dass die Klägerin keinen Nachweis erbracht hatte, der diese Annahme untermauern könnte.

34      Wie die Beschwerdekammer in Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, würde man einen mit Luft befüllten oder befüllbaren Rahmen in Wirklichkeit in der englischen Sprache üblicherweise mit den Ausdrücken „air filled frame“ oder „inflatable frame“ (mit Luft befüllter Rahmen oder aufblasbarer Rahmen) bezeichnen. Eine Prüfung der von der Klägerin vorgelegten Nachweise, insbesondere der Auszüge aus Online-Wörterbüchern, lässt nicht den Schluss zu, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Wortzusammensetzung „airframe“ und mit Luft befüllte Rahmen gleichsetzen würden. Die für die Begriffe „air“ und „frame“ vorgelegten Wörterbuchauszüge enthalten insoweit keinerlei Anhaltspunkte. Gleiches gilt für die Bezugnahme der Klägerin auf eine Verwendung des Begriffs „airscreen“ auf einer Internetseite und insbesondere auf den Text, wonach „Alexander T. … sofort klar [war], dass sich dieses Konzept auch über Damme und Deutschland hinaus durchsetzen könnte“ und dass „[d]er Begriff ‚Luftbildschirm‘ (Luftbildschirm) zu sperrig und international nicht verständlich war, [weshalb] er ihn einfach mit ‚airscreen‘ [übersetzte]“. Insoweit ist klarzustellen, dass die Art und Weise, in der die Klägerin die angegriffene Marke übersetzt oder verstanden wissen möchte, für das tatsächliche Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise nicht ausschlaggebend ist. Im Übrigen betrifft dieses Beispiel nicht die angegriffene Marke. Zudem hat das Gericht entschieden, dass sich aus der Kombination der beiden Begriffe „air“ (Luft) und „screen“ (Bildschirm) für das englischsprachige Publikum kein eindeutiger Begriffsinhalt ergibt und nichts darauf hindeutet, dass der Begriff „airscreen“ im Sinne von „Luftbildschirm“ als Bezeichnung für eine „aufblasbare Kinoleinwand“ verstanden wird (Urteil vom 22. September 2021, Moviescreens Rental/EUIPO – the airscreen company [AIRSCREEN], T‑250/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:602, Rn. 40). Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in dem sich der begriffliche Inhalt von „airframe“ in einem Hinweis auf einen Luftrahmen oder ein Luftgestell erschöpft, andere Begriffe, mit denen die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen beschrieben werden können, jedoch nicht anklingen.

35      Die anderen von der Klägerin vorgelegten Nachweise betreffen nur allgemein das Verständnis der englischen Sprache in Europa und die Bedeutung von „airframe“ im Bereich der Flugzeugtechnik, die, wie die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat, im vorliegenden Fall nicht relevant ist.

36      Folglich konnte die Beschwerdekammer in den Rn. 28 und 29 der angefochtenen Entscheidung beurteilungsfehlerfrei berücksichtigen, dass die gebräuchlichen Wortzusammensetzungen mit dem Begriff „air“ in der englischen Sprache oder dem Begriff „Luft“ in der deutschen Sprache keinen Hinweis auf aufblasbare Gegenstände enthielten; zudem hat sie ohne Beurteilungsfehler festgestellt, dass sich aus den von der Klägerin vorgelegten Nachweisen nicht ergebe, dass sich den maßgeblichen Verkehrskreisen mit den potenziellen Bedeutungen der angegriffenen Marke ein klarer Aussagegehalt erschließe. Ähnlich wie in der Entscheidung in Bezug auf den Begriff „airscreen“ fehlt nämlich in den von der Klägerin im vorliegenden Fall vorgelegten Nachweisen jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff „airframe“ auf den Begriff eines mit Luft befüllten Rahmens oder eines aufblasbaren Rahmens oder andere Begriffe hinweist, mit denen die verfahrensgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen beschrieben werden könnten. Insoweit ist hinzuzufügen, dass zwar für bestimmte Waren der Begriff „air“ in der englischen Sprache mit dem Begriff „aufblasbar“ gleichgesetzt werden kann, weil diese üblicherweise mit Luft befüllt werden, so z. B. Matratzen („air mattress“ auf Englisch, „Luftmatratze“ auf Deutsch und „luftmadrass“ auf Schwedisch). Auf die verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen trifft dies jedoch nicht zu. Es ist nämlich nicht nachgewiesen worden, dass die maßgeblichen Verkehrskreise den Begriff „airframe“ unmittelbar mit einem aufblasbaren oder mit Luft befüllten Rahmen oder Gestell in Verbindung bringen würden.

 Zum Bildbestandteil

37      Hinsichtlich der Bedeutung des Bildbestandteils im Rahmen der Prüfung, ob die angegriffene Marke beschreibenden Charakter hat, ist nach ständiger Rechtsprechung bei einem zusammengesetzten Zeichen auf den von ihm hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht zunächst die einzelnen Gestaltungselemente der Marke nacheinander geprüft werden könnten (Urteile vom 25. Oktober 2007, Develey/HABM, C‑238/06 P, EU:C:2007:635, Rn. 82, und vom 15. März 2018, Hermann Bock/EUIPO [Push and Ready], T‑279/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:149, Rn. 27).

38      Das angegriffene Zeichen enthält einen Bildbestandteil in Form eines schwarzen, sich nach rechts leicht verjüngenden rechteckigen Rahmens mit seitlich doppelter Linienführung. Das Ganze stellt eine einfache geometrische Form dar. In begrifflicher Hinsicht ist es schwierig, eine Bedeutung dieses Bildbestandteils festzustellen. A priori handelt es sich um ein ästhetisches Element ohne Bedeutung. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Verbraucher darin einen Bildschirm als Computerbildschirm, Fernsehbildschirm oder, wie es die Klägerin geltend macht, Kinoleinwand sehen. Der Bildbestandteil steht jedoch für keinen klaren Begriffsinhalt. Zudem hat die Klägerin keinen Nachweis zur Stützung ihres Vorbringens vorgelegt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise den Bildbestandteil unmittelbar als Kinoleinwand wahrnähmen. Eine solche Auslegung ist angesichts des Wortbestandteils „airframe“, der nicht die Vorstellung einer Kinoleinwand hervorruft, sondern lediglich „Luftrahmen“ oder „Luftgestell“ bedeutet, noch weniger plausibel und führt dazu, dass die etwaige Bedeutung des Bildbestandteils in den Augen der maßgeblichen Verkehrskreise noch unklarer wird.

39      Die Klägerin ist daher den Nachweis schuldig geblieben, dass die Kombination aus den in einem zusammengesetzten erfundenen Begriff enthaltenen Bestandteilen „air“ und „frame“ mit einem schwarzen, sich nach rechts leicht verjüngenden rechteckigen Rahmen mit seitlich doppelter Linienführung eine klare Aussage enthält. In Übereinstimmung mit der Beschwerdekammer ist festzustellen, dass es sich nicht um eine Kinoleinwand handelt, sondern um eine einfache geometrische Form ohne klaren Begriffsinhalt.

 Zum hinreichend direkten und konkreten Zusammenhang zwischen der angegriffenen Marke und den verfahrensgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen

40      Da die Klägerin den Nachweis im Einklang mit der oben in Rn. 27 angeführten Rechtsprechung schuldig geblieben ist, dass die angegriffene Marke eine konkrete begriffliche Darstellung verkörpert, mit der die verfahrensgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen beschrieben werden können, ist festzustellen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise nicht unmittelbar und ohne weitere Überlegung eine Beschreibung dieser Waren und Dienstleistungen erkennen werden.

41      Folglich ist die Beschwerdekammer zu Recht davon ausgegangen, dass es mangels Nachweises des Begriffsinhalts der angegriffenen Marke auch nicht möglich ist, deren beschreibenden Charakter im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 festzustellen.

42      Infolgedessen ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 59 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001

43      Die Klägerin macht geltend, dass die angegriffene Marke beschreibend sei, und trägt insoweit zugunsten der fehlenden Unterscheidungskraft der angegriffenen Marke dieselben Argumente vor wie im Rahmen des ersten Klagegrundes.

44      Das EUIPO, unterstützt von der Streithelferin, tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

45      Da sich das Vorbringen der Klägerin zur angeblich fehlenden Unterscheidungskraft der angegriffenen Marke nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ausschließlich auf ihren angeblich beschreibenden Charakter stützt und im Rahmen des ersten Klagegrundes festgestellt worden ist, dass die angegriffene Marke für die in Rede stehenden Waren nicht beschreibend ist, kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden.

46      Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

47      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

48      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die the airscreen company GmbH & Co. KG trägt die Kosten.

Tomljenović

Schalin

Škvařilová-Pelzl

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Oktober 2022.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.