Language of document : ECLI:EU:C:2024:176

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

29. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) – Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Art. 7 – Verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen – Verordnung Nr. 1306/2013 – Art. 54 und 56 – Delegierte Verordnung Nr. 640/2014 – Art. 35 – Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge von Personen, die an der Begehung der Unregelmäßigkeit mitgewirkt haben – Begriff ‚Begünstigter‘“

In der Rechtssache C‑437/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland) mit Entscheidung vom 1. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 2022, in dem Strafverfahren gegen

R. M.,

E. M.,

Beteiligte:

Eesti Vabariik (Põllumajanduse Registrite ja Informatsiooni Amet),


erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch C. Maertens als Bevollmächtigte im Beistand von P. Biering, Advokat,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Blanc, E. Randvere und A. Sauka als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Oktober 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312, S. 1), von Art. 54 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 549, berichtigt im ABl. 2016, L 130, S. 13) sowie von Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem und die Bedingungen für die Ablehnung oder Rücknahme von Zahlungen sowie für Verwaltungssanktionen im Rahmen von Direktzahlungen, Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum und der Cross‑Compliance (ABl. 2014, L 181, S. 48).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines in Estland eingeleiteten Strafverfahrens gegen R. M., der beschuldigt wird, Subventionsbetrug in drei Fällen zugunsten der X OÜ (im Folgenden: Gesellschaft X) begangen zu haben, und gegen E. M., die beschuldigt wird, Mittäterin in zwei dieser Fälle von Subventionsbetrug zu sein.

 Rechtlicher Rahmen

 Recht der Europäischen Union

 Verordnung Nr. 2988/95

3        Der vierte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 lautet:

„Um die Bekämpfung des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften wirksam zu gestalten, muss ein allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik gemeinsamer rechtlicher Rahmen festgelegt werden.“

4        Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)      Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.

„(2)      Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“

5        Art. 2 der Verordnung bestimmt:

„(1)      Kontrollen und verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen werden eingeführt, soweit sie erforderlich sind, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Sie müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, um einen angemessenen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu gewährleisten.

(3)      In den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts werden Art und Tragweite der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen in dem für die ordnungsgemäße Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Maß und entsprechend der Art und Schwere der Unregelmäßigkeit, dem gewährten oder erlangten Vorteil und dem Grad des Verschuldens festgelegt.

(4)      Vorbehaltlich des anwendbaren Gemeinschaftsrechts unterliegen die Verfahren für die Anwendung der gemeinschaftlichen Kontrollen, Maßnahmen und Sanktionen dem Recht der Mitgliedstaaten.“

6        In Art. 4 der Verordnung, der die Bedeutung des in Art. 2 der Verordnung verwendeten Begriffs „verwaltungsrechtliche Maßnahmen“ präzisiert, heißt es:

„(1)      Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils

–        durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;

–        durch vollständigen oder teilweisen Verlust der Sicherheit, die für einen Antrag auf Gewährung eines Vorteils oder bei Zahlung eines Vorschusses geleistet wurde.

(4)      Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar.“

7        Art. 5 der Verordnung Nr. 2988/95, der die Bedeutung des in Art. 2 der Verordnung verwendeten Begriffs „verwaltungsrechtliche Sanktionen“ präzisiert, bestimmt in Abs. 1, dass Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, zu den in dieser Bestimmung vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen, insbesondere zur Zahlung einer Geldbuße, führen können.

8        Art. 7 dieser Verordnung sieht vor:

„Verwaltungsrechtliche Maßnahmen oder Sanktionen der Gemeinschaft können gegen die in Artikel 1 genannten Wirtschaftsteilnehmer verhängt werden, d. h. gegen natürliche oder juristische Personen sowie sonstige nach dem einzelstaatlichen Recht anerkannte Rechtssubjekte, die eine Unregelmäßigkeit begangen haben. Sie können auch gegenüber Personen verhängt werden, die an der Begehung einer Unregelmäßigkeit mitgewirkt haben, die für eine Unregelmäßigkeit zu haften haben oder die dafür zu sorgen haben, dass sie nicht begangen wird.“


 Verordnung Nr. 1306/2013

9        Der 39. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1306/2013 lautete:

„Zum Schutz der finanziellen Interessen des Haushalts der [Europäischen] Union sollten die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, um sich davon zu überzeugen, dass die aus [dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)] finanzierten Maßnahmen tatsächlich und korrekt durchgeführt werden. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem Unregelmäßigkeiten oder den Verstoß gegen Verpflichtungen seitens der Begünstigten verhindern, aufdecken bzw. wirksam bekämpfen. Zu diesem Zweck sollte die Verordnung [Nr. 2988/95] Anwendung finden. Bei Verstößen gegen sektorbezogene Agrarvorschriften, für die [in] Unionsrechtsakten keine ausführlichen Bestimmungen zu Verwaltungssanktionen festgelegt sind, sollten die Mitgliedstaaten nationale Sanktionen verhängen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein sollten.“

10      Art. 2 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung definierte den Begriff „Unregelmäßigkeit“ im Sinne dieser Verordnung als Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95.

11      Art. 54 („Gemeinsame Bestimmungen“) der Verordnung sah vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten fordern Beträge, die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen zu Unrecht gezahlt wurden, von dem Begünstigten innerhalb von 18 Monaten nach dem Zeitpunkt zurück, zu dem ein Kontrollbericht oder ähnliches Dokument, in dem festgestellt wird, dass eine Unregelmäßigkeit stattgefunden hat, gebilligt wurde und gegebenenfalls der Zahlstelle oder der für die Wiedereinziehung zuständigen Stelle zugegangen ist. Die betreffenden Beträge werden zeitgleich mit dem Wiedereinziehungsbescheid im Debitorenbuch der Zahlstelle verzeichnet.

(3)      In hinreichend begründeten Fällen können die Mitgliedstaaten beschließen, die Wiedereinziehung nicht fortzusetzen. Dieser Beschluss kann nur in folgenden Fällen getroffen werden:

b)      wenn die Wiedereinziehung wegen nach nationalem Recht des betreffenden Mitgliedstaats festgestellter Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder der für die Unregelmäßigkeit rechtlich verantwortlichen Personen unmöglich ist.

…“

12      Art. 56 („Besondere Bestimmungen für den ELER“) Abs. 1 der Verordnung bestimmte:

„Werden Unregelmäßigkeiten und Versäumnisse bei den Vorhaben oder den Programmen zur Entwicklung des ländlichen Raums aufgedeckt, so nehmen die Mitgliedstaaten die finanziellen Berichtigungen vor, indem sie die betreffende finanzielle Beteiligung der Union ganz oder teilweise streichen. Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die Art und Schwere der festgestellten Unregelmäßigkeiten sowie die Höhe des finanziellen Verlustes für den ELER.“

13      Art. 58 („Schutz der finanziellen Interessen der Union“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 sah vor:

„Die Mitgliedstaaten erlassen im Rahmen der GAP alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie alle sonstigen Maßnahmen, um einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, insbesondere um

e)      zu Unrecht gezahlte Beträge zuzüglich Zinsen wiedereinzuziehen und wenn notwendig entsprechende rechtliche Schritte einzuleiten.“

14      Art. 92 („Betroffene Begünstigte“) Abs. 1 dieser Verordnung sah vor:

„Artikel 91 gilt für Begünstigte, die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 608)], Zahlungen gemäß den Artikeln 46 und 47 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. 2013, L 347, S. 671)] und die jährlichen Prämien gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstaben a und b sowie den Artikeln 28 bis 31, 33 und 34 der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 487)] erhalten.“

 Delegierte Verordnung Nr. 640/2014

15      In Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 wurde der Begriff „Begünstigter“ definiert als „ein Betriebsinhaber, wie er in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der [Verordnung Nr. 1307/2013] definiert und in Artikel 9 derselben Verordnung genannt ist, ein Begünstigter, der der Cross-Compliance nach Maßgabe von Artikel 92 der [Verordnung Nr. 1306/2013] unterliegt, und/oder ein Begünstigter, der im Sinne von Artikel 2 Nummer 10 der [Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 320)] Unterstützung im Rahmen der Entwicklung des ländlichen Raums erhält.“

16      Art. 35 („Nichteinhaltung anderer Förderkriterien als Größe der Fläche bzw. Zahl der Tiere, von Verpflichtungen oder sonstigen Auflagen“) Abs. 6 der Delegierten Verordnung sah vor:

„Wird festgestellt, dass der Begünstigte falsche Nachweise vorgelegt hat, um die Förderung zu erhalten, oder hat er verabsäumt, die erforderlichen Informationen zu liefern, so wird die Förderung abgelehnt oder vollständig zurückgenommen. Darüber hinaus wird der Begünstigte im Kalenderjahr der Feststellung und dem darauf folgenden Kalenderjahr von derselben Maßnahme oder Vorhabenart ausgeschlossen.“

 Verordnung Nr. 1303/2013

17      Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1303/13 in der durch die Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 (ABl. 2018, L 193, S. 1) geänderten Fassung lautet:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

10.      ‚Begünstigter‘ eine Einrichtung des öffentlichen oder privaten Rechts oder eine natürliche Person, die mit der Einleitung oder mit der Einleitung und Durchführung von Vorhaben betraut ist, und

a)      im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen die Stelle, die die Beihilfe erhält, es sei denn, die Beihilfe je Unternehmen beträgt weniger als 200 000 [Euro], wobei der betreffende Mitgliedstaat in diesem Fall beschließen kann, dass der Begünstigte die Stelle ist, die die Beihilfe gewährt, unbeschadet der Verordnungen (EU) Nr. 1407/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De‑minimis‑Beihilfen (ABl. 2013, L 352, S. 1)], (EU) Nr. 1408/2013 [der Kommission vom 18. Dezember 2013, über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. 2013, L 352, S. 9)] und (EU) Nr. 717/2014 der Kommission [vom 27. Juni 2014 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 (AEUV) auf De‑minimis‑Beihilfen im Fischerei‑ und Aquakultursektor (ABl. 2014, L 190, S. 45)]; und

b)      im Zusammenhang mit den in Teil Zwei Titel IV dieser Verordnung genannten Finanzinstrumenten bezeichnet der Ausdruck die Stelle, die das Finanzinstrument oder gegebenenfalls den Dachfonds einsetzt;

…“

 Verordnung Nr. 1307/13

18      Art. 4 („Begriffsbestimmungen und damit zusammenhängende Bestimmungen“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/13 bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Betriebsinhaber‘ eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder juristischer Personen, unabhängig davon, welchen rechtlichen Status diese Vereinigung und ihre Mitglieder aufgrund nationalen Rechts haben, deren Betrieb sich im räumlichen Geltungsbereich der Verträge im Sinne des Artikels 52 EUV in Verbindung mit den Artikeln 349 und 355 AEUV befindet und die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt;

…“

 Estnisches Recht

19      Nach § 381 Abs. 2 des Kriminaalmenetluse seadustik (Strafprozessordnung) kann eine Behörde im Rahmen eines Strafverfahrens eine Klage auf Zuerkennung einer öffentlich-rechtlichen Forderung erheben, wenn der diese Forderung begründende Tatbestand im Wesentlichen die Erfüllung derselben objektiven Tatbestandsmerkmale voraussetzt wie die strafrechtlich verfolgte Straftat.

20      § 111 („Wiedereinziehung von Finanzhilfen“) Abs. 1 des Euroopa Liidu ühise põllumajanduspoliitika rakendamise seadus (Gesetz zur Umsetzung der GAP, RT I 2014, 3) sieht vor:

„Stellt sich nach Auszahlung einer Finanzhilfe heraus, dass die Finanzhilfe aufgrund von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen zu Unrecht gezahlt wurde, und insbesondere, dass sie nicht für den vorgesehenen Zweck verwendet wurde, so wird die gesamte oder ein Teil der Finanzhilfe gemäß den in den [Verordnungen Nrn. 1303/2013 und 1306/2013] sowie in sonstigen einschlägigen Unionsverordnungen festgelegten Voraussetzungen und Fristen vom Begünstigten der Finanzhilfe wieder eingezogen, insbesondere von demjenigen Begünstigten der Finanzhilfe, der in einem Auswahlverfahren ausgewählt worden ist.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21      Die Gesellschaft X wurde am 7. November 2005 in Estland ins Handelsregister eingetragen und am 20. Juni 2019 infolge ihrer Fusion mit der Y OÜ (im Folgenden: Gesellschaft Y) daraus gelöscht. R. M. war bis zum 18. Dezember 2015 Geschäftsführer der Gesellschaft X und wurde dann deren Vertreter. E. M., seine Ehefrau, wurde am 18. Dezember 2015 Geschäftsführerin dieser Gesellschaft bis zu deren Löschung aus dem Handelsregister.

22      Mit Urteil des Viru Maakohus (Gericht erster Instanz Viru, Estland) vom 15. März 2021 wurde R. M. u. a. des Subventionsbetrugs in drei Fällen für schuldig befunden. Nach den Feststellungen dieses Gerichts hatte R. M. als Vertreter der Gesellschaft X dem Põllumajanduse Registrite ja Informatsiooni Amet (Landwirtschaftliches Register‑ und Informationsamt, Estland, im Folgenden: PRIA) vorsätzlich falsche Angaben gemacht, um Beihilfen im Rahmen der Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums Estlands für die Jahre 2007 bis 2013 und für die Jahre 2014 bis 2020 zu erhalten (im Folgenden: in Rede stehende Beihilfen). Folglich habe das PRIA der Gesellschaft X zu Unrecht die in Rede stehenden Beihilfen in Höhe von insgesamt 143 737,38 Euro gezahlt. Neben der Verurteilung von R. M. wurde auch E. M. in zwei dieser Fälle von Subventionsbetrug als Mittäterin verurteilt.

23      Außerdem verurteilte dieses Gericht R. M. und E. M. im Rahmen der von der Republik Estland, vertreten durch das PRIA, erhobenen Klage auf Zuerkennung einer öffentlich-rechtlichen Forderung, an diesen Mitgliedstaat den Betrag der in Rede stehenden Beihilfen zu zahlen, die die Gesellschaft X zu Unrecht erhalten hatte. In diesem Zusammenhang wurde R. M. zur Zahlung von 87 340 Euro und E. M. gesamtschuldnerisch mit R. M. zur Zahlung der verbleibenden 56 397,38 Euro verurteilt.

24      R. M. und E. M. legten gegen dieses Urteil sowohl insoweit Berufung ein, als sie des Subventionsbetrugs für schuldig befunden wurden, als auch insoweit, als der Klage auf Anerkennung einer öffentlich-rechtlichen Forderung stattgegeben wurde.

25      Mit Urteil des Tartu Ringkonnakohus (Berufungsgericht Tartu, Estland) vom 15. September 2021 wurde das Urteil des Viru Maakohus (Gericht erster Instanz Viru) aufrechterhalten.

26      R. M. und E. M. legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerden beim Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland), dem vorlegenden Gericht, ein. Zur Stützung dieser Rechtsmittel machen sie insbesondere geltend, dass die von der Republik Estland erhobene Klage auf Anerkennung einer öffentlich-rechtlichen Forderung für unzulässig zu erklären sei, da die Wiedereinziehung einer zu Unrecht erhaltenen Beihilfe wirksam nur zulasten des Begünstigten erfolgen könne. Zwar sei die Gesellschaft X aus dem Handelsregister gelöscht worden, doch folge die Gesellschaft Y ihr aufgrund der Fusion dieser beiden Gesellschaften in ihren Rechten und Pflichten nach. Die Republik Estland habe die in Rede stehenden Beihilfen aber nicht von der Gesellschaft Y zurückgefordert.

27      Am 20. Mai 2022 erließ das vorlegende Gericht ein Teilurteil, mit dem die Urteile des Tartu Ringkonnakohus (Berufungsgericht Tartu) und des Viru Maakohus (Gericht erster Instanz Viru) u. a. insoweit endgültig bestätigt wurden, als R. M. und E. M. durch diese Urteile des Subventionsbetrugs für schuldig befunden worden waren.

28      Was hingegen die Frage betrifft, ob die in Rede stehenden, von der Gesellschaft X zu Unrecht erhaltenen Beihilfen von R. M. und E. M. zurückgefordert werden können, hält es das vorlegende Gericht in zweierlei Hinsicht für erforderlich, den Gerichtshof zu befragen.

29      Erstens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es angesichts der schwierigen finanziellen Situation der Gesellschaft Y, die der Rückerstattung der von der Gesellschaft X zu Unrecht erhaltenen Beihilfen durch die Gesellschaft Y wohl entgegenstehe, eine Rechtsgrundlage dafür gebe, diese Beihilfen von R. M. und E. M. zurückzufordern.

30      Im vorliegenden Fall hat nach den Angaben des vorlegenden Gerichts der ELER für die Jahre 2007 bis 2013 sowie für die Jahre 2014 bis 2020, in deren Rahmen die in Rede stehenden Beihilfen gewährt worden waren, zur Finanzierung der Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums der Republik Estland beigetragen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass die Verordnung Nr. 1306/2013 die Grundlage für die Wiedereinziehung solcher Beihilfen darstelle, und zwar auch dann, wenn die Beihilfen vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung gewährt und ausgezahlt worden seien.

31      Genauer gesagt finde die Wiedereinziehung der in Rede stehenden Beihilfen, die die Gesellschaft X zu Unrecht erhalten habe, ihre Rechtsgrundlage in Art. 56 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 in Verbindung mit deren Art. 54 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung Nr. 640/2014. Obwohl diese Bestimmungen nicht ausdrücklich die Möglichkeit vorsähen, die Beihilfen von anderen Personen als dem Begünstigten zurückzufordern, sei eine solche Möglichkeit in Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehen.

32      Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass die Antwort auf die Frage, ob die in Rede stehenden Beihilfen von R. M. und E. M. zurückgefordert werden könnten, davon abhänge, ob Art. 56 Abs. 1 und Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 sowie Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung Nr. 640/2014 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin ausgelegt werden könnten, dass die Verpflichtung zur Rückerstattung dieser Beihilfen unter den Umständen des vorliegenden Falles auch für Personen gelten könne, die zwar nicht die Begünstigten dieser Beihilfen seien, die aber an der Unregelmäßigkeit, die zu ihrer rechtsgrundlosen Zahlung geführt habe, mitgewirkt hätten. Die Antwort auf diese Frage hänge wiederum davon ab, ob Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 insoweit unmittelbare Rechtswirkung entfalte.

33      Jedoch ließen sich hierzu weder aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 2988/95 noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 dieser Verordnung eindeutige Schlüsse ziehen.

34      Zwar habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 28. Oktober 2010, SGS Belgium u. a. (C‑367/09, EU:C:2010:648), der Verordnung Nr. 2988/95 in Anbetracht des Wortlauts dieser Bestimmung und ihres Art. 7 jede unmittelbare Rechtswirkung hinsichtlich der in ihrem Art. 5 vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Sanktionen abgesprochen. Zudem gehe aus den Rn. 44 bis 62 dieses Urteils hervor, dass Sanktionen wegen Schädigung der finanziellen Interessen der Union gegen die in Art. 7 der Verordnung genannten Personen nur dann verhängt werden könnten, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage auf Ebene der Europäischen Union oder im Recht eines Mitgliedstaats beruhten. Die Pflicht zur Rückerstattung des zu Unrecht erhaltenen Beihilfebetrags stelle jedoch keine „verwaltungsrechtliche Sanktion“ im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 2988/95 dar, sondern eine „verwaltungsrechtliche Maßnahme“ im Sinne von Art. 4 dieser Verordnung. Denn diese Pflicht sei lediglich die Folge der Feststellung, dass die Voraussetzungen für den Erhalt des unionsrechtlich vorgesehenen Vorteils nicht beachtet worden seien und die Beihilfe somit rechtsgrundlos gewährt worden sei. Dennoch habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Dezember 2014, Somvao (C‑599/13, EU:C:2014:2462), entschieden, dass die Wiedereinziehung einer rechtsgrundlos erhaltenen Beihilfe, da die Verordnung Nr. 2988/95 lediglich allgemeine Regeln für Kontrollen und Sanktionen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union aufstelle, auf der Grundlage anderer, gegebenenfalls sektorbezogener Bestimmungen, zu erfolgen habe.

35      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sprechen mehrere Anhaltspunkte dafür, dass Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 in Verbindung mit der einschlägigen sektorbezogenen Regelung über die Wiedereinziehung einer zu Unrecht gezahlten Beihilfe unter den Umständen des vorliegenden Falles eine einschlägige Rechtsgrundlage für die Rückerstattung der in Rede stehenden Beihilfen durch R. M. und E. M. darstelle. Zum einen betreffe die vorliegende Rechtssache eine Situation, in der die Unregelmäßigkeit, die zur Gewährung der Beihilfe geführt habe, darauf zurückzuführen sei, dass die Personen, von denen die Wiedereinziehung verlangt werde, den nationalen Behörden vorsätzlich falsche Angaben gemacht hätten. Zum anderen sei es aufgrund der Tatsache, dass der Begünstigte nicht mehr existiere, nicht möglich, die Beihilfe von ihm zurückzufordern, da die Gesellschaft X aufgelöst worden sei, und die Aussicht auf eine Wiedereinziehung der Beihilfe vom Nachfolger des Beihilfebegünstigten auf den ersten Blick ungewiss sei. Unter den Umständen des vorliegenden Falles könnten R. M. und E. M. als Personen angesehen werden, die an der Begehung der von der Gesellschaft X begangenen Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 mitgewirkt hätten.

36      Der Unionsgesetzgeber scheine selbst davon auszugehen, dass es in bestimmten Fällen möglich sei, eine infolge von Unregelmäßigkeiten in den von dem ELER kofinanzierten Programmen gezahlte Beihilfe auch von Personen zurückzufordern, die nicht selbst die erklärten Begünstigten seien, wie sich insbesondere aus Art. 54 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1306/2013 ergebe.

37      Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass es den finanziellen Interessen der Union schwer schaden würde, eine Situation zu akzeptieren, in der die Auflösung oder Zahlungsunfähigkeit einer begünstigten juristischen Person die Wiedereinziehung einer infolge einer vorsätzlich begangenen Unregelmäßigkeit zu Unrecht gezahlten Beihilfe im Wesentlichen immer unmöglich machen würde.

38      Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass R. M. und E. M. nicht nur Vertreter der Gesellschaft X, sondern darüber hinaus in dem Zeitpunkt, in dem der Betrug in mehreren Fällen begangen worden seien, abwechselnd auch alleinige Gesellschafter dieser Gesellschaft gewesen seien, wobei R. M. vom 10. November 2005 bis 18. Dezember 2015 deren alleiniger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer gewesen sei und E. M. am letztgenannten Tag diese beiden Rollen übernommen und bis zur Löschung der Gesellschaft X aus dem Handelsregister behalten habe. R. M. habe seine Tätigkeit im Namen dieser Gesellschaft aber auch nach der Übertragung der Anteile und dem Ausscheiden aus der Geschäftsführung der Gesellschaft in Vollmacht von E. M. fortgesetzt. Zu berücksichtigen sei auch, dass R. M. und E. M. in dem Zeitraum, in dem die Gesellschaft X die in Rede stehenden Beihilfen erhalten habe, miteinander verheiratet gewesen seien, so dass davon auszugehen sei, dass R. M. und E. M. die wirtschaftlich Berechtigten dieser Gesellschaft gewesen seien, deren Geschäfte sie geleitet und kontrolliert hätten.

39      Es stelle sich daher die Frage, ob diese Gesichtspunkte als ausreichend angesehen werden könnten, um nicht nur die Gesellschaft X, sondern auch R. M. und E. M. als Begünstigte der in Rede stehenden Beihilfen einzustufen. In diesem Fall sei es nicht erforderlich, sich bei deren Rückforderung zusätzlich auf Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 zu stützen.

40      Unter diesen Umständen hat der Riigikohus (Oberstes Gericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ergibt sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens aus Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 in Verbindung mit Art. 56 Abs. 1 und Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 sowie mit Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 eine Grundlage mit unmittelbarer Rechtswirkung dafür, eine durch Betrug erlangte, aus dem ELER finanzierte Beihilfe von den Vertretern einer begünstigten juristischen Person zurückzufordern, die vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um die Beihilfe betrügerisch zu erlangen?

2.      Können unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wo eine aus dem ELER zu finanzierende Beihilfe infolge eines Betrugs festgesetzt und an eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (estnische Gesellschaft) ausgezahlt wurde, als Begünstigte im Sinne von Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 und Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 auch die Vertreter der begünstigten Gesellschaft angesehen werden, die den Betrug ausgeführt haben und die zur Zeit der betrügerischen Erlangung der Beihilfe zugleich wirtschaftlich Berechtigte dieser Gesellschaft waren?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

41      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Aus diesem Blickwinkel obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, die ihm gestellten Fragen umzuformulieren. Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das einzelstaatliche Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 21. September 2023, Juan, C‑164/22, EU:C:2023:684, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 im Fall einer zu Unrecht erhaltenen Beihilfe jede Unregelmäßigkeit in der Regel die Verpflichtung zur Rückerstattung dieser Beihilfe bewirkt. In Art. 7 dieser Verordnung ist vorgesehen, dass solche verwaltungsrechtlichen Maßnahmen auch gegenüber Personen verhängt werden können, die an der Begehung der in Rede stehenden Unregelmäßigkeit mitgewirkt haben, die für eine Unregelmäßigkeit zu haften haben oder die dafür zu sorgen haben, dass sie nicht begangen wird.

43      Es geht jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Verordnung Nr. 2988/95 lediglich allgemeine Regeln für Kontrollen und Sanktionen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union aufstellt. Eine Rückforderung nicht richtig verwendeter Mittel hat auf der Grundlage anderer, gegebenenfalls sektorbezogener Bestimmungen zu erfolgen (Urteil vom 26. Mai 2016, Județul Neamț und Județul Bacău, C‑260/14 und C‑261/14, EU:C:2016:360, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Es ergibt sich auch aus dieser Rechtsprechung, dass die Wiedereinziehung von Beträgen, die im Rahmen eines für den Programmplanungszeitraum 2007‑2013 bewilligten und aus dem ELER kofinanzierten Beihilfeprogramms zu Unrecht gezahlt wurden, auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1306/2013 vorzunehmen ist, wenn sie nach Ende dieses Programmplanungszeitraums, d. h. nach dem 1. Januar 2014, erfolgt (Urteil vom 18. Januar 2024, Askos Properties, C‑656/22, EU:C:2024:56, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Da im vorliegenden Fall die in Rede stehenden Beihilfen aus dem ELER finanziert wurden, ist ihre Wiedereinziehung auf Art. 56 der Verordnung Nr. 1306/2013 zu stützen, der, wie aus seiner Überschrift hervorgeht, besondere Bestimmungen für den ELER vorsieht.

46      Diese Bestimmung, die in Bezug auf den ELER vorsieht, dass die Mitgliedstaaten, wenn Unregelmäßigkeiten und Versäumnisse bei den Vorhaben oder den Programmen zur Entwicklung des ländlichen Raums aufgedeckt werden, die finanziellen Berichtigungen vornehmen, indem sie die betreffende finanzielle Beteiligung der Union ganz oder teilweise streichen, ist zum einen in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1 dieser Verordnung zu lesen, der allgemein bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Beträge, die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen zu Unrecht gezahlt wurden, von dem Begünstigten zurückfordern, und zum anderen in Verbindung mit Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014, wonach die Förderung vollständig zurückgenommen wird, wenn festgestellt wird, dass der Begünstigte falsche Nachweise vorgelegt hat, um die Förderung zu erhalten.

47      Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 56 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 in Verbindung mit Art. 54 dieser Verordnung und Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 sowie im Licht von Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass die Wiedereinziehung einer durch betrügerische Handlungen zu Unrecht erhaltenen, aus dem ELER finanzierten Beihilfe nicht nur zulasten des Begünstigten dieser Beihilfe, sondern auch zulasten von Personen fortgesetzt werden kann, die, ohne als Begünstigte dieser Beihilfe angesehen werden zu können, vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um sie zu erlangen.

48      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 13. Juli 2023, G GmbH, C‑134/22, EU:C:2023:567, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Was erstens den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1306/2013 und der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 betrifft, ist festzustellen, dass dieser allein nicht die Feststellung ermöglicht, ob die in diesen Bestimmungen genannte Rückerstattung einer zu Unrecht gewährten Beihilfe von anderen Personen als den Wirtschaftsteilnehmern, die die in Rede stehende Unregelmäßigkeit begangen haben, verlangt werden kann.

50      Während Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 bestimmt, dass Beträge, die infolge von Unregelmäßigkeiten zu Unrecht gezahlt wurden, „von dem Begünstigten“ zurückzufordern sind, gibt Art. 56 dieser Verordnung lediglich die Verwendung der von den Mitgliedstaaten wieder eingezogenen Beträge vor, ohne jedoch die Personen anzugeben, von denen die Beträge zurückzufordern sind. Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 bezieht sich zwar auf den „Begünstigten“ der Förderung, enthält aber ebenfalls keine solche Angabe.

51      Was zweitens den Zusammenhang, in den sich die einschlägigen Bestimmungen einfügen, betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach dem 39. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1306/2013 die Mitgliedstaaten Unregelmäßigkeiten verhindern, aufdecken bzw. wirksam bekämpfen sollten und dass sie zu diesem Zweck die Verordnung Nr. 2988/95 anwenden sollten. Daher sind die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1306/2013, wie die dänische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, im Einklang mit den allgemeinen Regelungen der Verordnung Nr. 2988/95 auszulegen.

52      Zum anderen ist, soweit Art. 54 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1306/2013 es den Mitgliedstaaten gestattet, die Wiedereinziehung einer infolge einer Unregelmäßigkeit zu Unrecht erhaltenen Beihilfe nicht fortzusetzen, wenn die Wiedereinziehung wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners „oder der für die Unregelmäßigkeit rechtlich verantwortlichen Personen“ unmöglich ist, darauf hinzuweisen, dass dieser Bestimmung in Bezug auf die letztgenannten Personen die praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn es nicht möglich wäre, die Wiedereinziehung der betreffenden Beihilfe auch zulasten dieser Personen fortzusetzen.

53      Drittens ist zu den Zielen der in Rede stehenden Regelung festzustellen, dass die Art. 54 und 56 der Verordnung Nr. 1306/2013 sowie Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014, wie Art. 58 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1306/2013 bestätigt, das Ziel verfolgen, die finanziellen Interessen der Union zu schützen, indem sie eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsehen, die Wiedereinziehung einer infolge einer Unregelmäßigkeit zu Unrecht erhaltenen Beihilfe vorzunehmen, sofern keine berechtigten Gründe dafür vorliegen, eine solche Wiedereinziehung nicht fortzusetzen. Die Möglichkeit, die Wiedereinziehung einer zu Unrecht erhaltenen Beihilfe nicht nur zulasten des Begünstigten fortzusetzen, sondern gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 auch zulasten von „Personen …, die an der Begehung einer Unregelmäßigkeit mitgewirkt haben, die für eine Unregelmäßigkeit zu haften haben oder die dafür zu sorgen haben, dass sie nicht begangen wird“, ist jedoch offensichtlich geeignet, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen, insbesondere wenn der Begünstigte eine juristische Person ist, die nicht mehr existiert oder nicht über ausreichende Mittel verfügt, um die Beihilfe zurückzuzahlen. Diese Auslegung ist insbesondere im Licht des im vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 genannten Ziels der wirksamen Betrugsbekämpfung gerechtfertigt.

54      Daraus folgt, dass die Auslegung von Art. 56 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1 dieser Verordnung und Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014, im Licht von Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 sowie unter Berücksichtigung des Ziels der Regelung, zu der er gehört, zu dem Schluss führt, dass dieser Artikel es zulässt, dass die Wiedereinziehung einer durch betrügerische Handlungen zu Unrecht erhaltenen, aus dem ELER finanzierten Beihilfe nicht nur zulasten des Begünstigten fortgesetzt werden kann, sondern auch zulasten von Personen, die, ohne als Begünstigte dieser Beihilfe angesehen werden zu können, vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um sie zu erlangen.

55      Es ist jedoch zu prüfen, ob eine solche Auslegung den Grundsatz der Rechtssicherheit wahrt, da der Gerichtshof entschieden hat, dass die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge im Einklang mit diesem Grundsatz zu erfolgen hat, wonach eine Unionsregelung den Betroffenen ermöglichen muss, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2014, Somvao, C‑599/13, EU:C:2014:2462, Rn. 50 und 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Insoweit geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass im Rahmen der GAP in den Fällen, in denen der Unionsgesetzgeber Voraussetzungen für die Gewährung einer Beihilfe festlegt, der Ausschluss, den die Nichtbeachtung einer dieser Voraussetzungen mit sich bringt, keine Sanktion darstellt, sondern die bloße Folge der Nichteinhaltung der gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen ist (Urteil vom 13. Dezember 2012, FranceAgriMer, C‑670/11, EU:C:2012:807, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Die Pflicht, einen durch eine regelwidrige Praxis zu Unrecht erlangten Vorteil zurückzugewähren, läuft somit dem Legalitätsgrundsatz nicht zuwider. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für den Erhalt des unionsrechtlich vorgesehenen Vorteils künstlich geschaffen worden sind, führt nämlich jedenfalls dazu, dass der erlangte Vorteil rechtsgrundlos gewährt wurde, und rechtfertigt daher die Pflicht, ihn zurückzuerstatten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2012, FranceAgriMer, C‑670/11, EU:C:2012:807, Rn. 63 bis 65 und 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Insoweit bestimmt Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 ausdrücklich, dass die in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen – darunter u. a. die Verpflichtung zur Rückerstattung der zu Unrecht erhaltenen Beihilfe – keine Sanktionen darstellen.

59      Was jedoch die in Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 genannten Personen betrifft, die nicht die Begünstigten sind, stellt die Verpflichtung zur Rückerstattung der in Rede stehenden Beihilfe eine gesonderte Verpflichtung dar, die zu der dem Begünstigten obliegenden Verpflichtung zur Rückerstattung hinzutritt.

60      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die im vorliegenden Fall einschlägige Regelung hinreichend klar ist, was die Verpflichtung zur Rückerstattung der Beihilfe für Personen betrifft, die, ohne die Begünstigten einer aus dem ELER finanzierten Beihilfe zu sein, vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um diese zu erlangen, und zwar insbesondere dann, wenn der Begünstigte der betreffenden Beihilfe oder sein etwaiger Rechtsnachfolger nicht in der Lage ist, den in Rede stehenden Betrag zurückzuzahlen.

61      Zwar sieht Art. 56 der Verordnung Nr. 1306/2013 eine solche Verpflichtung nicht ausdrücklich vor, doch ist er im Licht des 39. Erwägungsgrundes dieser Verordnung zu lesen, in dem es eindeutig heißt, dass die Mitgliedstaaten Unregelmäßigkeiten seitens der Begünstigten verhindern, aufdecken bzw. wirksam bekämpfen und dass zu diesem Zweck die Verordnung Nr. 2988/95 Anwendung findet. Außerdem verweist Art. 2 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 1306/2013 hinsichtlich der Definition des Begriffs „Unregelmäßigkeit“ ausdrücklich auf die Verordnung Nr. 2988/95. Nach Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 kann aber, wie aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Rückerstattung der Beihilfe auch von Personen verlangt werden, die an der Begehung der in Rede stehenden Unregelmäßigkeit mitgewirkt haben.

62      Daraus folgt, dass Personen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht insoweit vorzunehmenden Prüfungen – für den Bezug einer aus dem ELER finanzierten Beihilfe vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, damit rechnen müssen, dass diese Beihilfe von ihnen zurückgefordert werden kann. Daher verstößt es nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn von diesen Personen eine solche zu Unrecht erhaltene Beihilfe zurückgefordert wird.

63      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 56 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1 dieser Verordnung und Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 sowie im Licht von Art. 7 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass die Wiedereinziehung einer durch betrügerische Handlungen zu Unrecht erhaltenen, aus dem ELER finanzierten Beihilfe nicht nur zulasten des Begünstigten dieser Beihilfe, sondern auch zulasten von Personen fortgesetzt werden kann, die, ohne als Begünstigte dieser Beihilfe angesehen werden zu können, vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um sie zu erlangen.

 Zur zweiten Frage

64      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 und Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 dahin auszulegen sind, dass die Vertreter einer juristischen Person, wenn diese juristische Person infolge eines ihren Vertretern zuzurechnenden Betrugs eine Agrarbeihilfe erhalten hat, als „Begünstigte“ der Beihilfe im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden können, sofern die von der juristischen Person erwirtschafteten Gewinne tatsächlich ihnen zufließen.

65      Der Begriff „Begünstigter“ wird in Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014, die die Verordnung Nr. 1306/2013 ergänzt, definiert als Betriebsinhaber, wie er in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1307/2013 definiert ist, Begünstigter, der der Cross-Compliance nach Maßgabe von Art. 92 der Verordnung Nr. 1306/2013 unterliegt, und/oder Begünstigter, der im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 1303/2013 Unterstützung im Rahmen der Entwicklung des ländlichen Raums erhält.

66      Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen ist festzustellen, dass R. M. und E. M. als Vertreter der Gesellschaft X, die die in Rede stehende Beihilfe erhalten hat, zu keiner dieser drei Personengruppen gehören.

67      Zwar kann, wie sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, die Wiedereinziehung einer aus dem ELER finanzierten Beihilfe, die eine juristische Person infolge eines ihren Vertretern zuzurechnenden Betrugs zu Unrecht erhalten hat, auch zulasten dieser Vertreter fortgesetzt werden; aus dieser Antwort lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Vertreter als „Begünstigte“ dieser Beihilfe im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 1 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 angesehen werden können, wenn die in dieser Bestimmung hierfür vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Vielmehr können diese Vertreter, wie sich insbesondere aus Rn. 62 des vorliegenden Urteils ergibt, zur Rückerstattung einer solchen Beihilfe auch dann verpflichtet sein, wenn sie im Namen der juristischen Person gehandelt haben, ohne die Eigenschaft eines „Begünstigten“ zu haben.

68      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 dahin auszulegen ist, dass die Vertreter einer juristischen Person, wenn diese juristische Person infolge eines ihren Vertretern zuzurechnenden Betrugs eine Agrarbeihilfe erhalten hat, dennoch nicht als „Begünstigte“ der Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 1 der Delegierten Verordnung angesehen werden können, wenn sie zu keiner der drei in dieser Bestimmung genannten Personengruppen gehören, und zwar auch dann nicht, wenn die von der juristischen Person erwirtschafteten Gewinne tatsächlich ihnen zufließen.

 Kosten

69      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 56 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1 dieser Verordnung und Art. 35 Abs. 6 Satz 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem und die Bedingungen für die Ablehnung oder Rücknahme von Zahlungen sowie für Verwaltungssanktionen im Rahmen von Direktzahlungen, Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum und der Cross-Compliance sowie im Licht von Art. 7 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften

ist dahin auszulegen, dass

die Wiedereinziehung einer durch betrügerische Handlungen zu Unrecht erhaltenen, aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums finanzierten Beihilfe nicht nur zulasten des Begünstigten dieser Beihilfe, sondern auch zulasten von Personen fortgesetzt werden kann, die, ohne als Begünstigte dieser Beihilfe angesehen werden zu können, vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben, um sie zu erlangen.

2.      Art. 35 Abs. 6 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014

ist dahin auszulegen, dass

die Vertreter einer juristischen Person, wenn diese juristische Person infolge eines ihren Vertretern zuzurechnenden Betrugs eine Agrarbeihilfe erhalten hat, dennoch nicht als „Begünstigte“ der Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 1 der Delegierten Verordnung angesehen werden können, wenn sie zu keiner der drei in dieser Bestimmung genannten Personengruppen gehören, und zwar auch dann nicht, wenn die von der juristischen Person erwirtschafteten Gewinne tatsächlich ihnen zufließen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Estnisch.