Language of document : ECLI:EU:C:2021:369

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

6. Mai 2021(*)(i)

„Rechtsmittel – Wirtschafts- und Währungsunion – Bankenunion – Verordnung (EU) Nr. 806/2014 – Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds – Art. 18 – Abwicklungsverfahren – Voraussetzungen – Ausfall oder wahrscheinlicher Ausfall eines Unternehmens – Feststellung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls durch die Europäische Zentralbank (EZB) – Vorbereitende Handlung – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“

In den verbundenen Rechtssachen C‑551/19 P und C‑552/19 P

betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Juli 2019,

ABLV Bank AS mit Sitz in Riga (Lettland) (C‑551/19 P)

und

Ernests Bernis, wohnhaft in Jurmala (Lettland),

Oļegs Fiļs, wohnhaft in Jurmala,

OF Holding SIA mit Sitz in Riga (Lettland),

Cassandra Holding Company SIA mit Sitz in Jurmala (C‑552/19 P),

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte O. Behrends und M. Kirchner, dann Rechtsanwalt O. Behrends,

Rechtsmittelführer,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Zentralbank (EZB), zunächst vertreten durch E. Koupepidou und G. Marafioti als Bevollmächtigte im Beistand von J. Rodríguez Cárcamo, abogado, dann durch E. Koupepidou, G. Marafioti und R. Ugena als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch:

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch D. Triantafyllou, A. Nijenhuis, K.‑P. Wojcik und A. Steiblytė, dann durch D. Triantafyllou, A. Nijenhuis und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

Streithelferin in den Rechtsmittelverfahren,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und F. Biltgen sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2020,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2021

folgendes

Urteil

1        Mit ihren Rechtsmitteln begehren die ABLV Bank AS einerseits sowie Herr Ernests Bernis, Herr Oļegs Fiļs, die OF Holding SIA und die Cassandra Holding Company SIA andererseits die Aufhebung der Beschlüsse des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Mai 2019, ABLV Bank/EZB (T‑281/18, EU:T:2019:296) (Rechtssache C‑551/19 P) bzw. Bernis u. a./EZB (T‑283/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:295) (Rechtssache C‑552/19 P) (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse), mit denen ihre Klagen auf Nichtigerklärung der Handlungen der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 23. Februar 2018, mit denen bei der ABLV Bank und ihrer Tochtergesellschaft, der ABLV Bank Luxembourg SA, ein Ausfall oder wahrscheinlicher Ausfall im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) festgestellt wurde (im Folgenden: streitige Handlungen), als unzulässig abgewiesen wurden.

 Rechtlicher Rahmen

2        In den Erwägungsgründen 8, 11, 24 und 26 der Verordnung Nr. 806/2014 heißt es:

„(8)      Effizientere Abwicklungsmechanismen sind ein unentbehrliches Instrument zur Verhütung von Schäden, die durch Ausfälle von Banken in der Vergangenheit verursacht wurden.

(11)      Für teilnehmende Mitgliedstaaten wird im Zusammenhang mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus eine zentrale Abwicklungsbefugnis auf den gemäß dieser Verordnung eingerichteten Ausschuss für die einheitliche Abwicklung [SRB] und auf die nationalen Abwicklungsbehörden übertragen. …

(24)      Da nur Organe der Union die Abwicklungspolitik der Union festlegen dürfen und da bei der Festlegung jedes spezifischen Abwicklungskonzepts ein Ermessensspielraum verbleibt, ist es notwendig, für die angemessene Einbeziehung des Rates [der Europäischen Union] und der [Europäischen] Kommission als Organe zu sorgen, die gemäß Artikel 291 AEUV Durchführungsbefugnisse ausüben dürfen. Die Bewertung der Aspekte von durch den [SRB] gefassten Abwicklungsbeschlüssen, bei denen ein Ermessensspielraum besteht, sollte durch die Kommission erfolgen. Wegen der beträchtlichen Auswirkungen der Abwicklungsbeschlüsse auf die finanzielle Stabilität der Mitgliedstaaten und der Union als solche sowie auf die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten, ist es wichtig, dass dem Rat Durchführungsbefugnisse zum Erlass bestimmter Beschlüsse im Zusammenhang mit der Abwicklung übertragen werden. Deshalb sollte es dem Rat obliegen, auf Vorschlag der Kommission eine wirksame Kontrolle über die durch den [SRB] vorgenommene Bewertung der Frage auszuüben, ob ein öffentliches Interesse besteht, und etwaige erhebliche Änderungen an dem Betrag aus dem [einheitlichen Abwicklungsfonds] zu bewerten, der im Rahmen einer konkreten Abwicklungsmaßnahme in Anspruch genommen werden soll. …

(26)      Die EZB in ihrer Rolle als Aufsichtsbehörde innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus [SSM] und der [SRB] sollten in der Lage sein zu bewerten, ob ein Kreditinstitut ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt und ob nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht besteht, dass der Ausfall des Instituts innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch alternative Maßnahmen des privaten Sektors oder der Aufsichtsbehörden abgewendet werden kann. Wenn der [SRB] der Auffassung ist, dass alle Kriterien im Zusammenhang mit der Einleitung von Abwicklungen erfüllt sind, sollte er das Abwicklungskonzept festlegen. Das Verfahren im Zusammenhang mit der Festlegung des Abwicklungskonzepts, an dem die Kommission und der Rat beteiligt sind, stärkt die notwendige operative Unabhängigkeit des [SRB], ohne den Grundsatz der Übertragung von Befugnissen auf Einrichtungen entsprechend der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union … anzutasten. Deshalb ist in dieser Verordnung vorgesehen, dass das vom [SRB] angenommene Abwicklungskonzept nur in Kraft tritt, wenn innerhalb einer Frist von 24 Stunden nach Annahme des Konzepts durch den [SRB] weder der Rat noch die Kommission Einwände erhoben haben oder wenn das Abwicklungskonzept durch die Kommission gebilligt wurde. Die Gründe, die es dem Rat gestatten, auf Vorschlag der Kommission Einwände gegen das Abwicklungskonzept des [SRB] zu erheben, sollten strikt auf das Vorliegen eines öffentlichen Interesses und auf erhebliche Änderungen des Betrags der Inanspruchnahme des Fonds, wie er vom [SRB] vorgeschlagen wurde, durch die Kommission beschränkt sein.

…“

3        Art. 7 („Aufteilung der Aufgaben innerhalb des einheitlichen Abwicklungsmechanismus“) der Verordnung Nr. 806/2014 bestimmt:

„(1)      Der [SRB] ist dafür verantwortlich, dass der einheitliche Abwicklungsmechanismus wirkungsvoll und einheitlich funktioniert.

(2)      Der [SRB] ist vorbehaltlich des Artikels 31 Absatz 1 zuständig für die Erstellung der Abwicklungspläne und alle Beschlüsse im Zusammenhang mit einer Abwicklung:

a)      der Unternehmen im Sinne des Artikels 2, die nicht Teil einer Gruppe sind, und von Gruppen,

i)      die im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 [des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63)] als bedeutend gelten oder

ii)      in Bezug auf welche die EZB gemäß Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b der Verordnung … Nr. 1024/2013 beschlossen hat, sämtliche einschlägigen Befugnisse unmittelbar auszuüben, und

b)      anderer grenzüberschreitender Gruppen.

(3)      In Bezug auf andere Unternehmen oder Gruppen als die in Absatz 2 genannten sind die nationalen Abwicklungsbehörden, unbeschadet der Zuständigkeiten des [SRB] für die ihm durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben, zur Wahrnehmung der folgenden Aufgaben verpflichtet und für sie verantwortlich:

(4)      Wenn dies für die kohärente Anwendung hoher Abwicklungsstandards nach dieser Verordnung notwendig ist, kann der [SRB]

b)      jederzeit von sich aus nach Anhörung der betroffenen nationalen Abwicklungsbehörde oder auf deren Ersuchen – insbesondere wenn seine unter Buchstabe a genannte Warnung nicht gebührend beachtet wird – entscheiden, alle dieser nationalen Abwicklungsbehörde durch diese Verordnung übertragenen einschlägigen Befugnisse auch in Bezug auf ein Unternehmen oder eine Gruppe nach Absatz 3 unmittelbar auszuüben.

(5)      Unbeschadet des Absatzes 3 dieses Artikels können die teilnehmenden Mitgliedstaaten entscheiden, dass der [SRB] alle ihm durch diese Verordnung übertragenen einschlägigen Befugnisse und Zuständigkeiten in Bezug auf Unternehmen und andere Gruppen als die in Absatz 2 genannten, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, auszuüben hat. …“

4        Art. 18 („Abwicklungsverfahren“) der Verordnung Nr. 806/2014 bestimmt:

„(1)      Der [SRB] legt nur dann ein Abwicklungskonzept gemäß Absatz [6] in Bezug auf Unternehmen und Gruppen nach Artikel 7 Absatz 2 und auf Unternehmen und Gruppen nach Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe b und Absatz 5, sofern die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Absätze erfüllt sind, fest, wenn er in seiner Präsidiumssitzung bei Erhalt einer Mitteilung gemäß Unterabsatz 4 oder von sich aus zu der Einschätzung gelangt, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      Das Unternehmen fällt aus oder fällt wahrscheinlich aus.

b)      Bei Berücksichtigung zeitlicher Zwänge und anderer relevanter Umstände besteht nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht, dass der Ausfall des Unternehmens innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch alternative Maßnahmen des privaten Sektors, einschließlich Maßnahmen durch ein institutsbezogenes Sicherungssystem, oder Maßnahmen der Aufsichtsbehörden (einschließlich Frühinterventionsmaßnahmen oder Herabschreibung oder Umwandlung von relevanten Kapitalinstrumenten gemäß Artikel 21), die in Bezug auf das Unternehmen getroffen werden, abgewendet werden kann.

c)      Eine Abwicklungsmaßnahme ist gemäß Absatz 5 im öffentlichen Interesse erforderlich.

Eine Bewertung der Voraussetzung nach Unterabsatz 1 Buchstabe a erfolgt durch die EZB nach Anhörung des [SRB]. Der [SRB] darf in seiner Präsidiumssitzung eine solche Bewertung erst nach Unterrichtung der EZB über seine Absicht und nur dann vornehmen, wenn die EZB innerhalb von drei Kalendertagen nach Eingang der Unterrichtung die genannte Bewertung nicht vornimmt. Die EZB stellt dem [SRB] unverzüglich alle einschlägigen Informationen zur Verfügung, die er als Grundlage für seine Bewertung anfordert.

Gelangt die EZB zu der Einschätzung, dass die in Unterabsatz 1 Buchstabe a genannte Voraussetzung in Bezug auf ein Institut oder eine Gruppe im Sinne des Unterabsatzes 1 erfüllt ist, teilt sie diese Einschätzung umgehend der Kommission und dem [SRB] mit.

Die Bewertung der in Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Voraussetzung erfolgt durch den [SRB] in seiner Präsidiumssitzung oder gegebenenfalls durch die nationalen Abwicklungsbehörden in enger Zusammenarbeit mit der EZB. Die EZB kann auch den [SRB] oder die betroffenen nationalen Abwicklungsbehörden davon unterrichten, dass sie der Auffassung ist, dass die Voraussetzung nach Buchstabe b erfüllt ist.

(2)      Unbeschadet der Fälle, in denen die EZB beschlossen hat, die Aufsichtsaufgaben in Bezug auf Kreditinstitute durch die EZB nach Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b der Verordnung … Nr. 1024/2013 unmittelbar wahrzunehmen, teilt der [SRB] im Fall des Empfangs einer Unterrichtung nach Absatz 1, oder wenn der [SRB] beabsichtigt, eine Bewertung nach Absatz 1 aus eigener Initiative in Bezug auf ein Unternehmen oder eine Gruppe nach Artikel 7 Absatz 3 vorzunehmen, seine Bewertung der EZB unverzüglich mit.

(4)      Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe a ist das Unternehmen als ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend zu betrachten, wenn eine oder mehrere der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      Das Unternehmen verstößt gegen die an eine dauerhafte Zulassung geknüpften Anforderungen in einer Weise, die den Entzug der Zulassung durch die EZB rechtfertigen würde, oder es liegen objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird, unter anderem weil das Institut Verluste erlitten hat oder voraussichtlich erleiden wird, durch die sein gesamtes Eigenkapital oder ein wesentlicher Teil seines Eigenkapitals aufgebraucht wird.

b)      Die Vermögenswerte des Unternehmens unterschreiten die Höhe seiner Verbindlichkeiten, oder es liegen objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird.

c)      Das Unternehmen ist nicht in der Lage, seine Schulden oder sonstigen Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu begleichen, oder es liegen objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird.

d)      Eine außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln wird benötigt …

(5)      Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe c dieses Artikels ist eine Abwicklungsmaßnahme als im öffentlichen Interesse liegend zu betrachten, wenn sie für das Erreichen eines oder mehrerer der in Artikel 14 genannten Abwicklungsziele notwendig und mit Blick auf diese Ziele verhältnismäßig ist und wenn dies bei einer Liquidation des Unternehmens im Wege eines regulären Insolvenzverfahrens nicht im selben Umfang der Fall wäre.

(6)      Sind die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen erfüllt, legt der [SRB] ein Abwicklungskonzept fest. Durch das Abwicklungskonzept

a)      wird das Unternehmen abgewickelt;

b)      wird bestimmt, die in Artikel 22 Absatz 2 genannten Abwicklungsinstrumente auf das in Abwicklung befindliche Institut anzuwenden, insbesondere etwaige Ausnahmen von der Anwendung des Bail-in gemäß Artikel 27 Absätze 5 und 14;

c)      wird die Inanspruchnahme des Fonds zur Unterstützung der Abwicklungsmaßnahme gemäß Artikel 76 und gemäß einem Beschluss bestimmt, den die Kommission gemäß Artikel 19 gefasst hat.

(7)      Unmittelbar nach der Festlegung des Abwicklungskonzepts übermittelt der [SRB] es der Kommission.

Innerhalb von 24 Stunden ab Übermittlung des Abwicklungskonzepts durch den [SRB] hat die Kommission das Abwicklungskonzept entweder zu billigen oder in den Fällen, die nicht unter Unterabsatz 3 dieses Absatzes fallen, hinsichtlich der Aspekte des Abwicklungskonzepts, bei denen ein Ermessensspielraum besteht, Einwände zu erheben.

Innerhalb von 12 Stunden nach Übermittlung des Abwicklungskonzepts durch den [SRB] kann die Kommission dem Rat vorschlagen,

a)      gegen das Abwicklungskonzept Einwände mit der Begründung zu erheben, dass das vom [SRB] angenommene Abwicklungskonzept nicht das Kriterium des öffentlichen Interesses nach Absatz 1 Buchstabe c erfüllt,

b)      eine erhebliche Änderung des Betrags des Fonds, der im Abwicklungskonzept des [SRB] vorgesehen ist, zu billigen oder Einwände zu erheben.

Für die Zwecke des Unterabsatzes 3 handelt der Rat mit einfacher Mehrheit.

Das Abwicklungskonzept kann nur in Kraft treten, wenn weder der Rat noch die Kommission innerhalb von 24 Stunden nach seiner Übermittlung durch den [SRB] Einwände erheben.

(9)      Der [SRB] sorgt dafür, dass die betreffenden nationalen Abwicklungsbehörden die zur Durchführung des Abwicklungskonzepts notwendigen Abwicklungsmaßnahmen einleiten. Das Abwicklungskonzept ist an die betreffenden nationalen Abwicklungsbehörden gerichtet und weist diese an, gemäß Artikel 29 alle zur Umsetzung dieses Konzepts notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und zu diesem Zweck Abwicklungsbefugnisse auszuüben. Liegt eine staatliche Beihilfe oder eine Unterstützung aus dem Fonds vor, hält sich der [SRB] an eine Entscheidung, die die Kommission über diese Beihilfe bzw. Unterstützung getroffen hat.

…“

5        Art. 86 („Klagen vor dem Gerichtshof“) der Verordnung Nr. 806/2014 bestimmt:

„(1)      Im Einklang mit Artikel 263 AEUV kann vor dem Gerichtshof Klage gegen eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses oder – in Fällen, in denen keine Beschwerde beim Beschwerdeausschuss eingereicht werden kann – des [SRB] erhoben werden.

(2)      Im Einklang mit Artikel 263 AEUV können die Mitgliedstaaten und die Organe der Union sowie jede natürliche oder juristische Person Klage vor dem Gerichtshof gegen Beschlüsse des [SRB] erheben.

(3)      Fasst der [SRB] trotz der Verpflichtung, tätig zu werden, keinen Beschluss, so kann vor dem Gerichtshof eine Untätigkeitsklage nach Artikel 265 AEUV erhoben werden.

(4)      Der [SRB] ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um dem Urteil des Gerichtshofs nachzukommen.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

6        ABLV Bank, die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C‑551/19 P, ist ein in Lettland ansässiges Kreditinstitut. Sie ist die Muttergesellschaft des ABLV-Konzerns. ABLV Bank Luxembourg ist ein in Luxemburg ansässiges Kreditinstitut. Sie ist eine der Tochtergesellschaften des ABLV-Konzerns. Ihre Alleinaktionärin ist ABLV Bank.

7        Herr Bernis, Herr Fiļs, die OF Holding und die Cassandra Holding Company, die Rechtsmittelführer in der Rechtssache C‑552/19 P, sind unmittelbare und mittelbare Aktionäre von ABLV Bank.

8        ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg wurden gemäß Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1024/2013 als bedeutend betrachtet. Sie unterlagen deshalb im Rahmen des SSM der Aufsicht durch die EZB.

9        Das United States Department of the Treasury (Finanzministerium der Vereinigten Staaten von Amerika) gab am 13. Februar 2018 über das Financial Crimes Enforcement Network seine Absicht bekannt, besondere Maßnahmen zu treffen, um dem ABLV-Konzern den Zugang zum US-Dollar-Finanzsystem zu verwehren.

10      Am 18. Februar 2018 ersuchte die EZB die Finanšu un kapitāla tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission, Lettland) (im Folgenden: FKTK), die nationale Abwicklungsbehörde (NRA) Lettlands, darum, die Zahlungen zur Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen von ABLV Bank auszusetzen. Die Commission de surveillance du secteur financier (Aufsichtsbehörde für den Finanzsektor, Luxemburg), die NRA Luxemburgs, wurde darum ersucht, in Bezug auf ABLV Bank Luxembourg vergleichbare Maßnahmen zu treffen.

11      Am 22. Februar 2018 übermittelte die EZB dem SRB einen Entwurf der Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls von ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg, um ihn hierzu gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 anzuhören.

12      Am 23. Februar 2018 gelangte die EZB zu der Einschätzung, dass ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 ausfielen oder wahrscheinlich ausfielen. Die von der EZB vorgenommenen Bewertungen betreffend ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg wurden dem SRB noch am selben Tag übermittelt. Sie stellen die streitigen Handlungen dar.

13      Ebenfalls noch an diesem Tag gelangte der SRB in zwei Beschlüssen zu ABLV Bank bzw. ABLV Bank Luxembourg zu dem Schluss, dass für diese Kreditinstitute trotz der von der EZB vorgenommenen Bewertungen ihres Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls kein Abwicklungskonzept festzulegen sei. Zur Begründung führte der SRB aus, dass in Anbetracht der besonderen Merkmale der betreffenden Kreditinstitute und ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Situation gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Art. 18 Abs. 5 der Verordnung Nr. 806/2014 eine Abwicklungsmaßnahme im öffentlichen Interesse nicht erforderlich sei.

14      Die Beschlüsse des SRB wurden den jeweiligen Adressaten, nämlich der FKTK und der Commission de surveillance du secteur financier, noch am selben Tag zugestellt.

15      Am 26. Februar 2018 leiteten die Anteilseigner von ABLV Bank ein Verfahren zur Selbstliquidation ein und beantragten bei der FKTK die Genehmigung ihres freiwilligen Liquidationsplans.

16      Mit Entscheidung der EZB vom 11. Juli 2018 wurde ABLV Bank auf Vorschlag der FKTK die Zulassung entzogen.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtene Beschlüsse

17      Mit Klageschriften, die am 3. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C‑551/19 P und die Rechtsmittelführer in der Rechtssache C‑552/19 P jeweils Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlungen. Die beiden Klagen wurden unter den Aktenzeichen T‑281/18 und T‑283/18 in das Register eingetragen.

18      Mit Klageschriften, die ebenfalls am 3. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C‑551/19 P und die Rechtsmittelführer in der Rechtssache C‑552/19 P jeweils zudem Klagen auf Nichtigerklärung der in Rn. 13 des vorliegenden Urteils genannten Beschlüsse des SRB vom 23. Februar 2018. Diese beiden Klagen wurden unter den Aktenzeichen T‑280/18 und T‑282/18 in das Register eingetragen. Sie sind noch beim Gericht anhängig.

19      Die Rechtsmittelführer machten zur Stützung der oben in Rn. 17 genannten Klagen identische Klagegründe geltend: unrichtige Beurteilung des Kriteriums des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls (erster Klagegrund); Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und anderer, damit zusammenhängender Rechte (zweiter Klagegrund); Verstoß gegen die Begründungspflicht (dritter Klagegrund); Fehlen einer vollständigen und unparteiischen Prüfung sämtlicher relevanter Aspekte des Falles (vierter Klagegrund); Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (fünfter Klagegrund); Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (sechster Klagegrund); Verletzung des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit (siebter Klagegrund); Verstoß gegen den nemo-auditur-Grundsatz (achter Klagegrund); Ermessensmissbrauch (neunter Klagegrund); Verstoß gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (zehnter Klagegrund).

20      Mit gesondertem Schriftsatz erhob die EZB gegen die Klagen jeweils eine aus zwei Teilen bestehende Einrede der Unzulässigkeit.

21      Als Erstes machte die EZB geltend, dass die streitigen Handlungen lediglich vorbereitende Handlungen darstellten und dass die in ihnen enthaltene Bewertung der Tatsachen nicht verbindlich sei. Die Verordnung Nr. 806/2014 sehe eine Nichtigkeitsklage gegen die Bewertung, dass ein Unternehmen ausfalle oder wahrscheinlich ausfalle, nicht vor. Die Rechtsmittelführer hätten gegen die Beschlüsse des SRB Nichtigkeitsklagen erhoben. Sie könnten die Rechtsmängel, unter denen die streitigen Handlungen nach ihrer Auffassung litten, im Rahmen dieser Klagen geltend machen. Dadurch würde ihnen ein ausreichender gerichtlicher Rechtsschutz gewährt.

22      Als Zweites machte die EZB geltend, dass die streitigen Handlungen die Rechtsmittelführer nicht unmittelbar beträfen.

23      Mit den angefochtenen Beschlüssen gab das Gericht dieser Einrede der Unzulässigkeit statt und wies die beiden Klagen entsprechend als unzulässig ab.

24      Zur Begründung führte das Gericht aus, dass nur solche Handlungen Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könnten, die bindende rechtliche Wirkung entfalteten, so dass sie die Interessen des Klägers beeinträchtigten, indem sie dessen rechtliche Situation in qualifizierter Weise veränderten. Bei Handlungen, die in mehreren Phasen eines internen Verfahrens ergingen, liege eine anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei den Maßnahmen vor, die den Standpunkt des Organs bei Abschluss des Verfahrens endgültig festlegten, nicht aber bei Zwischenmaßnahmen, die dazu dienten, die abschließende Entscheidung vorzubereiten. Das Gericht ist deshalb zu dem Schluss gelangt, dass die streitigen Handlungen vorbereitende Handlungen in dem Verfahren, das dazu gedient habe, es dem SRB zu ermöglichen, eine positive oder negative Entscheidung über die Abwicklung der in Rede stehenden Banken zu treffen, darstellten und daher nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könnten.

 Anträge der Parteien

25      Die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C‑551/19 P beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        festzustellen, dass die Nichtigkeitsklage zulässig ist;

–        die Sache zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der EZB die Kosten des ersten Rechtszugs und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

26      Die Rechtsmittelführer in der Rechtssache C‑552/19 P beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        festzustellen, dass die Nichtigkeitsklage zulässig ist;

–        die Sache zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der EZB die Kosten des ersten Rechtszugs und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

27      Die EZB beantragt, die Rechtsmittel in vollem Umfang als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, sie als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen, und den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.

28      Die Kommission, die dem Rechtsstreit auf Seiten der EZB beigetreten ist, beantragt, die Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen und in Rn. 34 der angefochtenen Beschlüsse die Begründung zu ersetzen „und klarzustellen, dass die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls, die vom SRB und der Kommission zugrunde zu legen ist, wenn nach der von dem SRB, der Kommission und gegebenenfalls dem Rat vorgenommenen Bewertung der übrigen Voraussetzungen der Abwicklung am Ende eine Abwicklungsmaßnahme getroffen wird, bindend ist“.

29      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. September 2019 sind die Rechtssachen C‑551/19 P und C‑552/19 P zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zum Rechtsmittel

30      Die beiden Rechtsmittelgründe, die die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache C‑551/19 P geltend macht, sind mit den beiden Rechtsmittelgründen, die die Rechtsmittelführer in der Rechtssache C‑552/19 P geltend machen, identisch.

31      Die Rechtsmittelführer machen geltend, dass das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen und gegen Art. 263 AEUV verstoßen habe, dass es beim Erlass der angefochtenen Beschlüsse nicht auf die Beschlüsse abgestellt habe, die die EZB tatsächlich erlassen habe, obwohl für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klagen das Wesen der von der EZB im vorliegenden Fall vorgenommenen Bewertung maßgeblich gewesen sei (erster Rechtsmittelgrund) und dass die angefochtenen Beschlüsse zudem auf einer unrichtigen Auslegung von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 beruhten (zweiter Rechtsmittelgrund).

32      Bevor auf diese Rechtsmittelgründe jeweils im Einzelnen eingegangen werden wird, ist vorab festzustellen, dass die EZB geltend macht, dass die Rechtsmittel in vollem Umfang offensichtlich unbegründet seien, da die geltend gemachten Rechtsmittelgründe ins Leere gingen. Das Gericht habe in den angefochtenen Beschlüssen lediglich ergänzend festgestellt, dass die in den streitigen Handlungen enthaltenen Bewertungen des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls nicht verbindlich seien. Die EZB führt insoweit vier Argumente an. Erstens habe das Gericht festgestellt, dass die streitigen Handlungen vorbereitende Handlungen darstellten. Die Rechtsmittelführer hätten sich nicht gegen diese Beurteilung gewandt. Für die Anwendung von Art. 263 AEUV komme es daher nicht darauf an, ob die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens für den SRB bindend sei. Zweitens wendeten sich die Rechtsmittelführer nicht gegen die Beurteilung des Gerichts, dass ihre rechtliche Situation durch die streitigen Handlungen nicht verändert worden sei. Drittens sei die Frage, ob die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens für den SRB bindend sei, im vorliegenden Fall eine rein theoretische Frage, die für den Ausgang des Rechtsstreits nicht entscheidend sei. Viertens habe das Gericht die Klagen gemäß Art. 263 AEUV auch unter Berücksichtigung der von den Rechtsmittelführern in den Rechtssachen T‑280/18 und T‑282/18 erhobenen Klagen als unzulässig abgewiesen, ohne dass die Rechtsmittelführer diese Beurteilung beanstandet hätten.

33      Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 49 der angefochtenen Beschlüsse festgestellt hat, dass die streitigen Handlungen vorbereitende Handlungen darstellten, durch die die rechtliche Situation der Rechtsmittelführer nicht verändert werde, da es sich bei ihnen um eine Bewertung des Sachverhalts durch die EZB zur Frage des Ausfalls oder des wahrscheinlichen Ausfalls von ABLV Bank und ihrer Tochtergesellschaft handele, die keineswegs bindend sei, sondern im vorliegenden Fall die Grundlage für die Annahme von Beschlüssen des SRB darstelle, mit denen festgestellt werde, dass eine Abwicklung nicht im öffentlichen Interesse sei. Die Feststellung, dass die von der EZB vorgenommenen Bewertungen des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls für den SRB nicht bindend seien, ist mithin entgegen dem Vorbringen der EZB eindeutig eine tragende Erwägung der Beschlüsse.

34      Folglich ist das Rechtsmittel nicht als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen, weil die geltend gemachten Rechtsmittelgründe ins Leere gingen. Die Rechtsmittelgründe sind deshalb nun einer nach dem anderen zu prüfen.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

35      Im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes (siehe oben, Rn. 31) machen die Rechtsmittelführer geltend, dass das Gericht die Frage, ob die EZB befugt gewesen sei, eine verbindliche Bewertung vorzunehmen, nicht von derjenigen unterschieden habe, ob die Bewertung, die die EZB im vorliegenden Fall in den streitigen Handlungen vorgenommen habe, dazu bestimmt gewesen sei, verbindliche Wirkungen zu entfalten. Die Rechtsmittelführer sind im Wesentlichen der Ansicht, dass das Gericht die Klagen in den angefochtenen Beschlüssen nicht wegen des Wesens der streitigen Handlungen, wie sie von der EZB vorgenommen worden seien, als unzulässig abgewiesen habe, sondern wegen des Wesens der Handlungen, die die EZB nach der von ihm für richtig gehaltenen Auslegung von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 hätte vornehmen müssen. Nach der Auslegung der letztgenannten Bestimmung durch die Rechtsmittelführer ist, wenn eine Behörde eine verbindliche Handlung vornehme, weil sie davon ausgehe, dass die Verbindlichkeit der Handlung den einschlägigen Rechtsvorschriften entspreche, eine Nichtigkeitsklage gegen diese Handlung zulässig, da die Frage, ob die Vornahme einer solchen Handlung rechtmäßig sei, eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit einer solchen Klage sei.

36      Um darzutun, dass die EZB mit der Vornahme der streitigen Handlungen im vorliegenden Fall unabhängig von der richtigen Auslegung von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 in Wirklichkeit verbindliche Handlungen vorgenommen habe, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könnten, berufen sich die Rechtsmittelführer auf verschiedene Gesichtspunkte wie die Tatsache, dass sich die EZB nicht darauf beschränkt habe, Informationen zum Sachverhalt mitzuteilen, um eine spätere Entscheidung des SRB vorzubereiten, die Tatsache, dass die EZB sowohl in den streitigen Handlungen als auch in der entsprechenden Verlautbarung selbst angegeben habe, dass sie die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 vorgenommen habe, die Tatsache, dass die von der EZB vorgenommene Bewertung den betreffenden Kreditinstituten mitgeteilt worden sei, und die vom Gericht vorgenommene Analyse des Urteils des Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg) vom 9. März 2018, auf das in den angefochtenen Beschlüssen eingegangen wird.

37      Die EZB tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführer entgegen. Sie hält den ersten Rechtsmittelgrund für unzulässig, da die beanstandeten Punkte der angefochtenen Beschlüsse nicht genau bezeichnet würden. Hilfsweise macht sie geltend, dass der erste Rechtsmittelgrund unbegründet sei. Auch die Kommission hält den ersten Rechtsmittelgrund für unbegründet. Sie macht geltend, dass die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens eine vorbereitende Handlung darstelle.

 Würdigung durch den Gerichtshof

38      Zur Zulässigkeit des ersten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass aus den verschiedenen Argumenten, die im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes vorgebracht werden (siehe oben, Rn. 35 und 36), entgegen dem Vorbringen der EZB eindeutig hervorgeht, welchen Rechtsfehler die Rechtsmittelführer rügen. Der erste Rechtsmittelgrund ist mithin zulässig.

39      Die erhobenen Rügen sind jedoch nicht stichhaltig. Wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat, können gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV nach der Rechtsprechung von einer natürlichen oder juristischen Person nur Handlungen angefochten werden, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die geeignet sind, die Interessen der betreffenden Person durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 54, und vom 31. Januar 2019, International Management Group/Kommission, C‑183/17 P und C‑184/17 P, EU:C:2019:78, Rn. 51). Danach stellen Maßnahmen, die beim Abschluss eines Verwaltungsverfahrens den Standpunkt der Kommission endgültig festlegen und verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen, die geeignet sind, die Interessen des Klägers zu beeinträchtigen, grundsätzlich anfechtbare Handlungen dar, nicht jedoch Zwischenmaßnahmen, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen und keine solchen verbindlichen Rechtswirkungen erzeugen (Urteil vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zwischenmaßnahmen, die eine vorläufige Meinung des Organs zum Ausdruck bringen und der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen, sind daher grundsätzlich keine Handlungen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 50, und vom 15. März 2017, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C‑415/15 P, EU:C:2017:216, Rn. 44).

40      Bei der Beantwortung der Frage, ob die streitigen Handlungen vorbereitende Handlungen darstellen, wie das Gericht in den angefochtenen Beschlüssen angenommen hat, oder, wie die Rechtsmittelführer geltend machen, anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV, ist auf ihr Wesen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung) und auf die mit ihnen verfolgte Absicht – hier die Absicht der EZB – abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2008, Athinaïki Techniki/Kommission, C‑521/06 P, EU:C:2008:422, Rn. 42, und vom 26. Januar 2010, Internationaler Hilfsfonds/Kommission, C‑362/08 P, EU:C:2010:40, Rn. 52).

41      Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass das Abstellen auf das Wesen einer Handlung bedeutet, dass deren Wirkungen anhand objektiver Kriterien beurteilt werden, wie z. B. des Inhalts der Handlung, wobei gegebenenfalls der Kontext, in dem die Handlung vorgenommen worden ist, und die Befugnisse des Organs, der Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union, das bzw. die die Handlung vorgenommen hat, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 2014, Ungarn/Kommission, C‑31/13 P, EU:C:2014:70, Rn. 55, und vom 9. Juli 2020, Tschechische Republik/Kommission, C‑575/18 P, EU:C:2020:530, Rn. 47). Letztere sind nicht abstrakt zu beurteilen, sondern als ein Anhaltspunkt im Rahmen der konkreten Analyse des Inhalts der Handlung, die von zentraler Bedeutung ist und unbedingt vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Rumänien/Kommission, C‑599/15 P, EU:C:2017:801, Rn. 49, 51, 52 und 55).

42      Soweit die Rechtsmittelführer die Absicht, die die EZB ihrer Auffassung nach mit den streitigen Handlungen verfolgt hat, zu einem der zentralen Elemente des ersten Rechtsmittelgrundes machen, ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass nach der Rechtsprechung zwar das subjektive Kriterium der Absicht berücksichtigt werden kann, die das Organ, die Einrichtung oder die sonstige Stelle der Union, die die angefochtene Handlung vorgenommen hat, verfolgt hat, diesem subjektiven Kriterium gegenüber den in der vorstehenden Randnummer genannten objektiven Kriterien jedoch lediglich eine ergänzende Rolle zukommen kann. Dem subjektiven Kriterium kann daher weder eine größere Bedeutung beigemessen werden als diesen objektiven Kriterien noch vermag es, die auf Letzteren beruhende Beurteilung der Wirkungen der angefochtenen Handlung zu entkräften (Urteil vom 21. Januar 2021, Deutschland/Esso Raffinage, C‑471/18 P, EU:C:2021:48, Rn. 65).

43      Das Gericht ist dieser Rechtsprechung aber ganz offensichtlich gefolgt. Es hat in den Rn. 33 bis 36 der angefochtenen Beschlüsse eingehend geprüft, welches Wesen die streitigen Handlungen haben, und dabei als Anhaltspunkt im Rahmen der konkreten Analyse des Inhalts der Handlung u. a. berücksichtigt, welche Befugnisse die EZB hat, wenn sie die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 vorzunehmen hat – im Vergleich zu denen, die der SRB nach dieser Bestimmung hat, wenn ihm eine solche Bewertung vorgelegt wird. Darüber hinaus ist das Gericht in Rn. 47 der angefochtenen Beschlüsse zu der Einschätzung gelangt, dass die Absicht, die die EZB mit den streitigen Handlungen verfolgt habe, nichts daran ändere, dass es sich dabei um vorbereitende Handlungen handele. Diese Herangehensweise des Gerichts steht im Einklang mit der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung, wonach der Absicht, die mit einer Handlung verfolgt wird, die Gegenstand einer Klage ist, bei der Prüfung der Frage, ob die Handlung anfechtbar ist, lediglich eine ergänzende Rolle zukommt.

44      Folglich rügen die Rechtsmittelführer zu Unrecht, dass das Gericht abstrakt auf die nicht verbindliche Handlung abgestellt habe, die die EZB nach seinem Verständnis von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 hätte vornehmen müssen, und nicht auf die Handlungen, die die EZB tatsächlich vorgenommen habe.

45      Die Rechtsmittelführer versuchen, die oben in Rn. 43 dargestellten Ausführungen des Gerichts zu entkräften, indem sie sich auf eine Vermutung berufen, wonach eine Beurteilung einer Behörde stets verbindliche Wirkungen habe, sofern dies von der Behörde nicht eindeutig ausgeschlossen worden sei. Die EZB habe aber sowohl in den streitigen Handlungen als auch in der entsprechenden Verlautbarung selbst angegeben, dass sie die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 vorgenommen habe. Die Rechtsmittelführer führen darüber hinaus mehrere weitere Umstände an, nämlich die von der EZB vorgenommene Beurteilung der Verhältnismäßigkeit, die voraussetze, dass die Entscheidung, mit der eine solche Bewertung vorgenommen werde, verbindliche Rechtswirkungen erzeuge, die öffentliche Bekanntgabe der streitigen Handlungen und die Mitteilung an die betreffenden Kreditinstitute oder die öffentliche Behauptung, dass die Liquidation dieser Kreditinstitute unvermeidbar sei. Die Rechtsmittelführer machen weiter geltend, dass das Gericht bei seiner Analyse des Urteils des Tribunal d’arrondissement de Luxembourg vom 9. März 2018 den Ausdruck „bindend“ nicht richtig aufgefasst habe. Im Zusammenhang mit Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 sei damit in Wirklichkeit gemeint, dass die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls für den SRB insoweit bindend sei, als dieser keine Abwicklungsmaßnahme treffen könne, wenn die EZB zu der Einschätzung gelangt sei, dass das betreffende Kreditinstitut nicht ausfalle oder wahrscheinlich ausfalle, und er umgekehrt verpflichtet sei, eine Abwicklungsmaßnahme zu treffen, wenn die EZB festgestellt habe, dass das Kreditinstitut ausfalle oder wahrscheinlich ausfalle.

46      Die Vermutung, für die sich die Rechtsmittelführer aussprechen, wäre jedoch nicht damit vereinbar, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine bestimmte Handlung verbindlich ist, nach der oben in den Rn. 40 bis 42 dargestellten Rechtsprechung auf das Wesen der Handlung und die mit ihr verfolgte Absicht abzustellen ist. Außerdem würde Art. 263 AEUV durch eine solche Vermutung weitgehend ausgehöhlt, da der Unionsrichter dann von dem Grundsatz auszugehen hätte, dass sämtliche Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union Entscheidungscharakter haben, sofern dies von Letzteren für eine bestimmte Handlung nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Im Übrigen wäre eine solche Vermutung, da sie es den betreffenden Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union überlässt, selbst zu entscheiden, ob ihre Handlungen Entscheidungscharakter haben oder nicht, und postuliert, dass die Handlungen, wenn nichts anderes bestimmt ist, verbindlich sind und damit Entscheidungen darstellen, auch nicht mit der oben in Rn. 39 dargestellten Rechtsprechung vereinbar, wonach es unerheblich ist, ob eine Handlung von den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union als „Entscheidung“ bezeichnet worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Weiter ist festzustellen, dass, auch wenn jede Handlung eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union, die Entscheidungscharakter hat, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu beachten hat, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zählt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2009, Nijemeisland, C‑170/08, EU:C:2009:369, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), und rechtlich verbindliche Handlungen daher oft eine Verhältnismäßigkeitsprüfung enthalten, aus dem Vorliegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht im Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass eine Handlung verbindlich wäre. In einem mehrstufigen Verwaltungsverfahren kann die betreffende Behörde nämlich durchaus prüfen, ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist, ohne dass dadurch das Wesen einer Handlung, die eine vorbereitende Handlung sein soll, verändert würde.

48      Auch das Vorbringen der Rechtsmittelführer zur öffentlichen Bekanntgabe der streitigen Handlungen und der Mitteilung an die betreffenden Kreditinstitute ist zurückzuweisen. Wie sich aus Rn. 45 der angefochtenen Beschlüsse ergibt, hat das Gericht angenommen, dass die streitigen Handlungen „nicht veröffentlicht wurden, sondern dass die EZB zwei Pressemitteilungen veröffentlicht hat, die keinesfalls den [streitigen] Handlungen entsprechen“. Eine solche Erwägung gehört jedoch zu den Tatsachenfeststellungen des Gerichts, die – außer im Fall einer Verfälschung der Tatsachen, die von den Rechtsmittelführern nicht behauptet wird – einer Überprüfung im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens entzogen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. Februar 2015, Griechenland/Kommission, C‑296/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:72, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Jedenfalls ist festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Veröffentlichung von Pressemitteilungen zur Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls nicht bedeutet, dass die EZB der Bewertung einen verbindlichen Charakter hätte verleihen wollen oder dass die Bewertung an sich schon verbindlich wäre.

49      Zu dem Vorbringen, die öffentliche Behauptung der EZB, dass die Liquidation der betreffenden Kreditinstitute unvermeidbar sei, bestätige, dass die streitigen Handlungen verbindlich gewesen seien, ist festzustellen, dass es sich weder auf das Wesen der streitigen Handlungen noch auf die mit Letzteren verfolgte Absicht bezieht. Außerdem wurden die betreffenden Kreditinstitute – ABLV Bank nach lettischem Recht – nicht aufgrund der streitigen Handlungen liquidiert, sondern aufgrund einer Entscheidung der Aktionäre der ABLV Bank, die getroffen wurde, nachdem der SRB entschieden hatte, dass bei ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg gemäß der Verordnung Nr. 806/2014 Abwicklungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse nicht erforderlich seien.

50      Schließlich ist das Vorbringen zurückzuweisen, dass das Gericht, wie sich insbesondere aus Rn. 48 der angefochtenen Beschlüsse ergebe, im Zusammenhang mit Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 von einem unrichtigen Verständnis des Begriffs „bindend“ ausgegangen sei. In dieser Randnummer hat das Gericht nämlich lediglich einen Auszug aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Tribunal d’arrondissement de Luxembourg vom 9. März 2018 wiedergegeben, in denen ausdrücklich erwähnt wird, dass „sich die Parteien darüber einig sind, dass die Bewertungen und Feststellungen der EZB und des SRB im Rahmen der Verordnung für das mit der vorliegenden Klage befasste Gericht nicht verbindlich sind“, um darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführer selbst eingeräumt hätten, dass die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls nur eine einfache Beurteilung des Sachverhalts darstelle, die keine Rechtswirkungen erzeuge.

51      Der erste Rechtsmittelgrund ist somit zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

52      Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, dass die angefochtenen Beschlüsse auf einer unrichtigen Auslegung von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 beruhten. Das Vorbringen der Rechtsmittelführer bezieht sich zum einen auf die eigentliche Auslegung von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014, aufgrund derer das Gericht zu dem Schluss gelangt ist, dass die streitigen Handlungen keine anfechtbaren Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV darstellten, und zum anderen auf einen Fehler, der dem Gericht bei der Feststellung unterlaufen sei, dass die Situation von ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg durch die streitigen Handlungen nicht verändert worden sei.

53      Die EZB macht geltend, dass der zweite Rechtsmittelgrund unbegründet sei. Sie wird hierbei durch die Kommission unterstützt.

 Würdigung durch den Gerichtshof

54      Bevor im Einzelnen auf die beiden Gesichtspunkte der Argumentation, die die Rechtsmittelführer im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes vorbringen, eingegangen werden wird, sind zunächst einige Vorbemerkungen vorauszuschicken.

–       Vorbemerkungen

55      Als Erstes ist zu bedenken, dass die Verordnung Nr. 806/2014 auf den Willen des Unionsgesetzgebers zurückgeht, Krisen wie die sogenannte Suprime-Krise des Jahres 2008 zu verhindern. Wie es in ihrem achten Erwägungsgrund heißt, sollen mit der Verordnung Nr. 806/2014 effizientere Abwicklungsmechanismen geschaffen werden, die ein unentbehrliches Instrument zur Verhütung von Schäden sein sollen, die durch Ausfälle von Banken in der Vergangenheit verursacht wurden. Die Erreichung dieses Ziels setzt jedoch eine rasche Entscheidungsfindung voraus, wie die kurzen Fristen zeigen, die in Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehen sind, damit die Finanzstabilität nicht gefährdet wird. Bei der Auslegung von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 darf das genannte Ziel bei der Prüfung der Frage, ob die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens im Rahmen des Abwicklungsverfahrens eine anfechtbare Handlung darstellt, daher nicht außer Acht gelassen werden. Durch die Anerkennung des Entscheidungscharakters einer solchen Bewertung könnte die zügige Durchführung des Abwicklungsverfahrens nämlich erheblich beeinträchtigt werden.

56      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 86 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 die Mitgliedstaaten und die Organe der Union sowie jede natürliche oder juristische Person im Einklang mit Art. 263 AEUV gegen Beschlüsse des SRB Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union erheben können. Es ist in diesem Zusammenhang nur von Beschlüssen des SRB die Rede, nicht aber von Beschlüssen eines anderen Organs, einer anderen Stelle oder einer anderen Einrichtung der Union, mithin auch nicht von Beschlüssen der EZB, insbesondere auch nicht von der Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens, die die EZB unter Umständen vorzunehmen hat. Dies scheint zu bestätigen, dass der Unionsgesetzgeber der EZB in diesem Bereich keine Entscheidungsbefugnis einräumen wollte. Im Übrigen können die Festlegung eines Abwicklungskonzepts durch den SRB gemäß Art. 18 Abs. 6 der Verordnung Nr. 806/2014 oder die Entscheidung, ein solches Konzept nicht festzulegen, Gegenstand einer Klage vor den Unionsgerichten sein, in deren Rahmen die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens gerichtlich überprüft werden kann.

57      Die beiden Gesichtspunkte des Vorbringens der Rechtsmittelführer sind im Lichte dieser Erwägungen zu prüfen.

–       Zum ersten Gesichtspunkt: Auslegung von Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014

58      Die Rechtsmittelführer machen im Wesentlichen geltend, dass das Gericht bei seiner Auslegung von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 den zweiten Absatz dieses Artikels nicht berücksichtigt habe, so dass es zu Unrecht angenommen habe, dass Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 lediglich eine einfache Mitteilung tatsächlicher Umstände durch die EZB an den SRB vorsehe und dass allein der SRB dafür zuständig sei, zu prüfen, ob die Voraussetzung des ersten Absatzes dieses Artikels erfüllt sei. Nach der Definition in Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 806/2014 setze ein Ausfall oder wahrscheinlicher Ausfall eine rechtliche Prüfung und rechtliche Schlussfolgerungen voraus.

59      Außerdem habe das Gericht in Rn. 46 der angefochtenen Beschlüsse der „funktionalen Äquivalenz“, die zwischen der Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens und dem Entzug der Zulassung bestehe, nicht die gebotene Bedeutung beigemessen. Mit der Weigerung, anzuerkennen, dass die von der Aufsichtsbehörde vorzunehmende Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens verbindlich sei, stelle das Gericht die Kohärenz des Systems der Bankenaufsicht und der Abwicklung in Frage, da Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 dahin auszulegen sei, dass die von der Aufsichtsbehörde vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens die Abwicklungsbehörde binde.

60      Hierzu ist erstens festzustellen, dass der SRB nach Art. 18 Abs. 1 und 6 der Verordnung Nr. 806/2014 für die Festlegung eines Abwicklungskonzepts zuständig ist, das dann gemäß Art. 18 Abs. 7 der Verordnung Nr. 806/2014 von der Kommission oder gegebenenfalls vom Rat gebilligt werden muss, so dass es nur in Kraft treten kann, wenn von den letztgenannten Organen keine Einwände erhoben werden. Nach Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis c der Verordnung Nr. 806/2014 kann ein Abwicklungskonzept nur festgelegt werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Das Unternehmen fällt aus oder fällt wahrscheinlich aus (1), es besteht nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht, dass der Ausfall des Unternehmens innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch alternative Maßnahmen abgewendet werden kann (2), und eine Abwicklungsmaßnahme ist gemäß Art. 18 Abs. 5 der Verordnung Nr. 806/2014 im öffentlichen Interesse erforderlich (3).

61      Danach ist mit der EZB und der Kommission vorab darauf hinzuweisen, dass die Festlegung eines Abwicklungskonzepts von der Erfüllung der drei in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen abhängt und dass die durch die EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens nur die erste dieser Voraussetzungen betrifft, so dass sie dem Ausgang des Abwicklungsverfahrens, der auch von den beiden anderen Voraussetzungen abhängt, nicht vorgreifen kann.

62      Zur ersten Voraussetzung ist festzustellen, dass Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 der EZB eine vorrangige, wenn auch nicht ausschließliche Rolle zuerkennt. Es ist in der Regel Aufgabe der EZB, die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens vorzunehmen. Zwar kann auch der SRB eine solche Bewertung vornehmen, jedoch erst nach Unterrichtung der EZB über seine Absicht und nur dann, wenn die EZB die Bewertung nicht innerhalb von drei Kalendertagen nach Eingang der Unterrichtung vornimmt. Der EZB wird daher eine vorrangige Zuständigkeit für die Vornahme einer solchen Bewertung zuerkannt, die, wie die Kommission hervorhebt, mit dem Fachwissen zusammenhängt, über das die EZB als Aufsichtsbehörde verfügt. Die EZB hat als Aufsichtsbehörde Zugang zu allen für die Aufsicht relevanten Informationen über das betreffende Unternehmen. Sie ist daher am besten in der Lage, im Hinblick auf die Definition des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls in Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 806/2014, in der insbesondere auf für die Aufsicht relevante Informationen wie die Zulassungsvoraussetzungen, das Verhältnis der Vermögenswerte zur Höhe der Verbindlichkeiten oder die gegenwärtige oder zukünftige Verschuldung abgestellt wird, zu beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.

63      Diese Auslegung wird durch die der EZB durch Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 auferlegte Verpflichtung bestätigt, dem SRB, wenn dieser die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens selbst vornehmen will, unverzüglich alle einschlägigen Informationen zur Verfügung zu stellen, die er anfordert. Bei den beiden übrigen Voraussetzungen gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 ist der SRB hingegen ausschließlich für die Entscheidung darüber zuständig, ob sie erfüllt sind.

64      Im Übrigen bestätigt der 26. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 806/2014 sowohl die geteilte Zuständigkeit der EZB als Aufsichtsbehörde innerhalb des SSM und des SRB als Abwicklungsbehörde für die Beurteilung der Frage, ob ein Kreditinstitut ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt, als auch die ausschließliche Zuständigkeit des SRB für die Beurteilung der Frage, ob die übrigen Voraussetzungen für die Festlegung eines Abwicklungskonzepts erfüllt sind.

65      Die Aufgabe der EZB beschränkt sich somit darauf, zu beurteilen, ob die erste der in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 genannten Voraussetzungen erfüllt ist, und dem SRB diese Bewertung mitzuteilen, oder, falls dieser sie über seine Absicht unterrichtet hat, selbst eine solche Bewertung vorzunehmen, ihn bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen.

66      Somit ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die von der EZB vorgenommene Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls von ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg als solche keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt hat, die geeignet gewesen wären, die Interessen der Rechtsmittelführer durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Erst die Festlegung und dann das Inkrafttreten des Abwicklungskonzepts und die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten im Sinne von Art. 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 waren geeignet, die Rechtsstellung der Rechtsmittelführer zu verändern. Das Abwicklungsverfahren stellt mithin ein komplexes Verwaltungsverfahren dar, an dem mehrere Behörden mitwirken und bei dem allein das Endergebnis, das dadurch zustande kommt, dass der SRB seine Befugnisse ausübt, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung gemäß Art. 86 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 sein kann.

67      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer handelt es sich bei der von der EZB vorgenommenen Bewertung der Voraussetzung gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 nicht um eine verbindliche Handlung. Insbesondere ist diese Bewertung für den SRB nicht bindend. Denn entweder gelangt die EZB in ihrer Bewertung zu der Einschätzung, dass das Unternehmen ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt, was zur Einleitung des Verfahrens gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 führt, oder sie gelangt zu der Einschätzung, dass dies nicht der Fall ist, was dazu führt, dass das Verfahren nicht eingeleitet wird. Der Wortlaut der Bestimmung bietet keinen Ansatzpunkt dafür, dass der SRB in einem dieser beiden Fälle nicht mehr befugt wäre, zu beurteilen, ob das betreffende Unternehmen ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt.

68      Gelangt die EZB nämlich zu der Einschätzung, dass das betreffende Unternehmen ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt, ist durchaus denkbar, dass der SRB, dem die Bewertung der EZB und die entsprechenden Unterlagen vorliegen, den Standpunkt der EZB nicht oder nicht in vollem Umfang teilt, oder einen Rechtsverstoß feststellt, den er beheben muss, damit er nicht gegebenenfalls später vom Unionsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 86 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 geahndet wird. Insoweit darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass der SRB, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 62), wenn er es möchte, für die Bewertung der ersten der in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 genannten Voraussetzungen zuständig ist und die ihm von der EZB zur Verfügung gestellten Unterlagen daher zu diesem Zweck auswerten kann.

69      Wegen des Fachwissens und der für die Aufsicht relevanten Informationen über das betreffende Unternehmen, über die die EZB verfügt, wird sich der SRB der Bewertung der EZB zwar in den meisten Fällen anschließen. Wie der Generalanwalt in Nr. 111 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann man „ohne Weiteres damit einverstanden [sein], dass die Bewertung der EZB von auctoritas im klassischen Sinne des Wortes geprägt ist und der SRB sie nicht außer Acht lassen oder ihren Inhalt ohne stichhaltige Argumente zurückweisen könnte … Dies bedeutet aber nicht, dass sie auch die potestas besitzt, die juristischen Entscheidungen zukommt, die Beziehungen zwischen Organen prägen, wenn eines dieser Organe von dem, was das andere beschlossen oder entschieden hat, inhaltlich nicht abweichen könnte.“

70      Auch wenn die EZB zu der Einschätzung gelangt, dass das betreffende Unternehmen nicht ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt, ist ihre Bewertung für den SRB rechtlich nicht bindend. In diesem Fall wird dem SRB keine Bewertung übermittelt und somit auch kein Abwicklungsverfahren eingeleitet. Nach Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 806/2014 muss die EZB der Kommission und dem SRB ihre Bewertung nämlich nur dann mitteilen, wenn sie zu der Einschätzung gelangt, dass das Unternehmen ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt.

71      Somit ist festzustellen, dass die durch die EZB vorgenommene Bewertung der Voraussetzung gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 für den SRB nicht bindend ist, zumal dieser, sobald ihm diese Bewertung vorliegt, im Rahmen der Prüfung der Voraussetzung gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 806/2014 selbst zu beurteilen hat, ob nach vernünftigem Ermessen keine Aussicht besteht, dass der Ausfall des betreffenden Unternehmens durch alternative Maßnahmen abgewendet werden kann.

72      Zweitens ist zu dem Vorbringen der Rechtsmittelführer, mit dem auf die Unterscheidung zwischen der Aufsicht und der Abwicklung von Kreditinstituten abgestellt wird, festzustellen, dass die EZB zu Recht darauf hinweist, dass sie als die für die Aufsicht über die in Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1024/2013 genannten bedeutenden Kreditinstitute und Gruppen – wie hier ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg – zuständige Behörde grundsätzlich am besten in der Lage ist, die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 62, 68 und 70), wird der EZB durch Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 insoweit aber keine ausschließliche Zuständigkeit übertragen. Auch der SRB kann die Bewertung nach Unterrichtung der EZB über seine entsprechende Absicht vornehmen, wenn die EZB die Bewertung nicht innerhalb von drei Kalendertagen nach Eingang der Unterrichtung vornimmt.

73      Außerdem hängt die Mitwirkung der EZB im Verfahren gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 806/2014 weniger mit der Trennung der Aufgaben der Aufsicht und der Abwicklung als vielmehr mit dem besonderen Fachwissen zusammen, über das die EZB als Aufsichtsbehörde verfügt. Auch wenn in den Rechtsvorschriften über die Banken zwischen der Aufsicht über die Kreditinstitute und deren Abwicklung unterschieden und zu diesem Zweck eine Trennung der Aufgaben der EZB und des SRB eingeführt wird, wirkt sich diese Zweiteilung mithin nicht auf das Wesen der von der EZB vorgenommenen Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens aus, die unabhängig davon eine vorbereitende Handlung darstellt.

74      Zu dem Vorbringen, zwischen der Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens und dem Entzug der Zulassung bestehe eine funktionale Äquivalenz, ist festzustellen, dass das Gericht hierzu in Rn. 46 der angefochtenen Beschlüsse ausgeführt hat, dass diese Handlungen keinesfalls gleichwertig seien, auch wenn sich die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens auf die tatsächliche Feststellung stützen mag, dass die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Zulassung gemäß Art. 18 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 nicht mehr erfüllt seien.

75      Hierzu ist festzustellen, dass ein Unternehmen nach Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 806/2014 als ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend zu betrachten ist, wenn eine oder mehrere der dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens setzt aber nicht formal voraus, dass darüber entschieden wird, ob die Zulassung des betreffenden Unternehmens zu entziehen ist. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer ist die Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls eines Unternehmens also keineswegs zwangsläufig ausschließlich von der EZB als Aufsichtsbehörde vorzunehmen. Sie kann auch vom SRB als Abwicklungsbehörde vorgenommen werden.

–       Zu dem zweiten Gesichtspunkt des Vorbringens der Rechtsmittelführer: Veränderung der Rechtsstellung von ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg

76      Die Rechtsmittelführer machen insoweit dreierlei geltend.

77      Sie machen erstens geltend, dass durch die Veröffentlichung der von der EZB vorgenommenen Bewertung des Ausfalls oder wahrscheinlichen Ausfalls von ABLV Bank und ABLV Bank Luxembourg die Situation dieser Unternehmen verändert worden sei. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Rechtsmittelführer dies nicht weiter ausführen. Jedenfalls ist aber festzustellen, dass die Veröffentlichung der Bewertung, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich auf die Situation dieser Unternehmen ausgewirkt hat, insbesondere auf deren wirtschaftliche Situation, deren Rechtsstellung nicht verändert hat.

78      Soweit sich das Vorbringen der Rechtsmittelführer zweitens auf Rn. 47 der angefochtenen Beschlüsse bezieht, ist festzustellen, dass es auf einem unrichtigen Verständnis dieser Randnummer beruht. Das Gericht hat dort zur Zurückweisung des Vorbringens der Rechtsmittelführer, dass sich die Veröffentlichung auf der Website der EZB und die streitigen Handlungen hinsichtlich ihres Wortlauts unterschieden, lediglich darauf hingewiesen, dass sich aus den Rn. 32 bis 36 der angefochtenen Beschlüsse ergebe, dass die angefochtenen Handlungen ihrem Wesen nach als vorbereitende Handlungen einzustufen seien.

79      Drittens machen die Rechtsmittelführer geltend, dass sich das Gericht zu Unrecht auf eine Rechtsprechung berufen habe, die nicht einschlägig sei. Sie betreffe ausschließlich Fälle, in denen die betreffende Handlung nicht verbindlich sei, was hier gerade nicht der Fall sei.

80      Hierzu ist festzustellen, dass die Rechtsprechung, auf die sich dieses Vorbringen der Rechtsmittelführer bezieht, auch wenn sie, wie die Rechtsmittelführer geltend machen, zu anders gelagerten Fällen ergangen ist, für die Beantwortung der Frage relevant ist, ob es sich bei den streitigen Handlungen um anfechtbare Handlungen handelt. Insbesondere trifft die Prämisse, auf der das Vorbringen der Rechtsmittelführer beruht, nämlich, dass die streitigen Handlungen verbindlich seien, nicht zu, wie oben im Zusammenhang mit der Prüfung des ersten Gesichtspunkts des zweiten Rechtsmittelgrundes festgestellt wurde.

–       Ergebnis zum zweiten Rechtsmittelgrund

81      Da die Rechtsmittelführer mit beiden Gesichtspunkten des zweiten Rechtsmittelgrundes nicht durchdringen konnten, ist dieser zurückzuweisen.

 Ergebnis

82      Da die beiden Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind, sind die Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.

83      Zu dem Antrag der Kommission, in Rn. 34 der angefochtenen Beschlüsse zwei Punkte klarzustellen, ist festzustellen, dass sich aus Art. 40 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und den Art. 129 und 132 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, die nach deren Art. 190 auf das Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof anwendbar sind, eindeutig ergibt, dass die Anträge des Streithelfers nur auf die vollständige oder teilweise Unterstützung der Anträge einer Partei gerichtet sein können. Mit ihrem Antrag, Rn. 34 der angefochtenen Beschlüsse klarzustellen, geht die Kommission aber über die Anträge der EZB hinaus, die lediglich darauf gerichtet sind, die Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen. Der Antrag der Kommission ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

 Kosten

84      Nach der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist (Art. 184 Abs. 2), ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen (Art. 138 Abs. 1, nach Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar) und tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten (Art. 140 Abs. 1, nach Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar).

85      Da die Rechtsmittelführer mit ihren Rechtsmittelgründen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der EZB neben ihren eigenen Kosten die der EZB aufzuerlegen. Die Kommission, die dem Rechtsstreit auf Seiten der EZB beigetreten ist, trägt ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

2.      Der Antrag der Europäischen Kommission, in Rn. 34 der mit den Rechtsmitteln angefochtenen Beschlüsse des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Mai 2019, ABLV Bank/EZB (T281/18, EU:T:2019:296), und vom 6. Mai 2019, Bernis u. a./EZB (T283/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:295), die Begründung zu ersetzen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

3.      In der Rechtssache C551/19 P trägt die ABLV Bank AS die Kosten.

4.      In der Rechtssache C552/19 P tragen Ernests Bernis, Oļegs Fiļs, die OF Holding SIA und die Cassandra Holding Company SIA die Kosten.

5.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.


i      Die vorliegende Sprachfassung ist in Rn. 45 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.