Language of document : ECLI:EU:T:2009:519

Rechtssache T-57/01

Solvay SA

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Sodamarkt in der Gemeinschaft (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands) – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 82 EG festgestellt wird – Bezugsvereinbarungen für einen übermäßig langen Zeitraum – Treuerabatt – Verjährung der Befugnis der Kommission, Geldbußen oder Sanktionen zu verhängen – Angemessene Verfahrensdauer – Wesentliche Formvorschriften – Räumlich relevanter Markt – Vorliegen einer beherrschenden Stellung – Missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung – Recht auf Akteneinsicht – Geldbuße – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Mildernde Umstände“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verfolgungsverjährung – Ruhen – Entscheidung der Kommission, die Gegenstand eines Verfahrens vor dem Gerichtshof ist – Tragweite

(Verordnung Nr. 2988/74 des Rates, Art. 3)

2.      Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer – Geltungsbereich – Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Gerichtliches Verfahren – Unterscheidung für die Zwecke der Beurteilung der Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer

(Verordnung Nr. 17 des Rates)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verpflichtungen der Kommission – Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer

(Verordnung Nr. 17 des Rates)

4.      Kommission – Kollegialprinzip –Tragweite – Wettbewerbsrechtliche Entscheidung

(Fusionsvertrag, Art. 17)

5.      Einrede der Rechtswidrigkeit – Tragweite – Handlungen, deren Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden kann – Geschäftsordnung eines Organs

(Art. 241 EG)

6.      Handlungen der Organe – Feststellung der gefassten Beschlüsse – Modalitäten

(Geschäftsordnung der Kommission von 1999, Art. 16 Abs. 1)

7.      Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Geltungsbereich – Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Tragweite des Grundsatzes nach Nichtigerklärung einer ersten Entscheidung der Kommission

(Art. 81 Abs. 1 EG)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Umfang – Zugang zu den Räumlichkeiten der Unternehmen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

9.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Relevanter Markt – Räumliche Abgrenzung

(Art. 82 EG)

10.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Kennzeichnung durch das Innehaben eines besonders hohen Marktanteils

(Art. 82 EG)

11.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Rabatt, der die Abschottung des Marktes bewirkt – Treuerabatt

(Art. 82 EG)

12.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Mengenrabatt – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Missbrauchscharakter des Rabattsystems

(Art. 82 EG)

13.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Alleinbezugsverträge – Treuerabatt

(Art. 82 EG)

14.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Mengenrabatt – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Berechnungsmodalitäten

(Art. 82 Abs. 2 EG)

15.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Umfang – Weigerung, ein Dokument zu übermitteln – Folgen

16.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Akteneinsicht – Zweck – Unterbliebene Offenlegung von Schriftstücken, die sich im Besitz der Kommission befinden – Würdigung durch das Gericht im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte im jeweiligen Fall

17.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verletzung der Verteidigungsrechte – Nicht ordnungsgemäße Akteneinsicht – Gewährung der Einsicht im Gerichtsverfahren – Keine Heilung

18.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt und eine Geldbuße verhängt wird – Nichtigerklärung wegen eines Verfahrensfehlers

(Verordnung Nr. 17 des Rates)

19.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Besonders schwerwiegende Zuwiderhandlungen

(Art. 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

20.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Begriff der Zuwiderhandlungen derselben Art – Keine Zuwiderhandlungen gegen die Art. 81 EG und 82 EG

(Art. 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

21.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Nichtvorliegen eines Wiederholungsfalls – Ausschluss

(Art. 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

22.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit des Unternehmens bei Nachprüfungen durch Bedienstete der Kommission – Ausschluss

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

23.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Bei der Berechnung der Obergrenze der Geldbuße berücksichtigter Umsatz

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

24.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

1.      Nach Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Wettbewerbsrecht ruht die Verfolgungsverjährung, solange wegen einer Entscheidung der Kommission „ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig ist“. Diese Bezugnahme ist so zu verstehen, dass damit seit der Errichtung des Gerichts erster Instanz in erster Linie ein bei diesem anhängiges Verfahren gemeint ist, da Klagen gegen Sanktionen oder Geldbußen im Bereich des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft in seine Zuständigkeit fallen.

Die Verjährung ruht auch während der Dauer eines Rechtsmittelverfahrens vor dem Gerichtshof. Da Art. 60 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben, kann der Umstand, dass ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, Art. 3 der genannten Verordnung, der Situationen betrifft, in denen die Kommission die Entscheidung des Gemeinschaftsrichters abwarten muss, nicht jede Wirksamkeit nehmen. Außerdem schützt Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 die Kommission vor dem Eintritt der Verjährung in Situationen, in denen sie im Rahmen von Verfahren, deren Ablauf sie nicht steuern kann, die Entscheidung des Gemeinschaftsrichters abwarten muss, bevor sie erfährt, ob die angefochtene Handlung rechtswidrig ist. Das Argument, dass die Errichtung von zwei Rechtszügen es nicht erlaube, den Zeitraum des Ruhens der Verjährung auszudehnen, greift daher nicht durch. Das Ruhen der Verjährung ermöglicht der Kommission nur, eventuell eine neue Entscheidung zu erlassen, falls das Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts, mit dem eine Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt wird, zurückgewiesen wird. Es wirkt sich in keiner Weise auf die Entscheidung aus, die mit dem Urteil des Gerichts für nichtig erklärt worden ist. Im Fall der Einlegung eines Rechtsmittels ist die Kommission zwar formell nicht daran gehindert, nach der Nichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung durch das Gericht tätig zu werden und eine neue Entscheidung zu erlassen. Jedoch ruht bei einer Klage gegen eine mit Sanktionen verbundene Entscheidung die Verfolgungsverjährung, bis der Gemeinschaftsrichter endgültig über diese Klage entschieden hat. Müsste die Kommission nach der Nichtigerklärung einer Entscheidung durch das Gericht eine neue Entscheidung erlassen, ohne das Urteil des Gerichtshofs abzuwarten, bestünde die Gefahr, dass zwei Entscheidungen mit demselben Gegenstand nebeneinander bestehen, falls der Gerichtshof das Urteil des Gerichts aufheben sollte. Es widerspricht offensichtlich den Erfordernissen der Ökonomie des Verwaltungsverfahrens, die Kommission, nur um den Eintritt der Verjährung zu verhindern, zum Erlass einer neuen Entscheidung zu verpflichten, bevor sie weiß, ob die ursprüngliche Entscheidung rechtswidrig ist.

Schließlich kann, da die Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/74 während der gesamten Dauer des Rechtsmittelverfahrens vor dem Gerichtshof ruht, der Kommission eine Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer nicht allein deswegen vorgeworfen werden, weil sie das Urteil des Gerichtshofs im Rahmen dieses Rechtsmittels abwartet, bevor sie eine neue Entscheidung erlässt.

(vgl. Randnrn. 90, 97-98, 102-103, 105-108, 121)

2.      Im Rahmen der Prüfung der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer ist zwischen dem im Bereich des Wettbewerbs gemäß der Verordnung Nr. 17 eingeleiteten Verwaltungsverfahren und dem gerichtlichen Verfahren im Fall einer Klage gegen die Entscheidung der Kommission zu unterscheiden. Der Zeitraum, in dem der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit der Entscheidung und, im Fall des Rechtsmittels, die Gültigkeit des Urteils im ersten Rechtszug geprüft hat, kann bei der Bestimmung der Dauer des Verfahrens vor der Kommission nicht berücksichtigt werden.

(vgl. Randnr. 124)

3.      Ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer beim Erlass einer Entscheidung nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens im Bereich des Wettbewerbs rechtfertigt die Nichtigerklärung einer von der Kommission erlassenen Entscheidung nur, soweit damit auch die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens verletzt wurden. Wenn nämlich nicht erwiesen ist, dass die übermäßig lange Verfahrensdauer die Möglichkeit für die betroffenen Unternehmen, sich wirksam zu verteidigen, beeinträchtigt hat, wirkt sich die Nichtbeachtung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die Rechtsgültigkeit des Verwaltungsverfahrens aus.

(vgl. Randnr. 132)

4.      Das Kollegialprinzip beruht auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und bedeutet insbesondere, dass die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und dass alle Mitglieder des Kollegiums für sämtliche erlassenen Entscheidungen politisch gemeinsam verantwortlich sind. Die Beachtung dieses Prinzips und insbesondere das Erfordernis, dass die Entscheidungen gemeinsam beraten werden, ist für die von den Rechtswirkungen dieser Entscheidungen betroffenen Rechtssubjekte zwangsläufig insoweit von Interesse, als sie die Gewähr dafür haben müssen, dass die Entscheidungen tatsächlich vom Kollegium getroffen sind und dessen Willen genau entsprechen. Dies gilt insbesondere für die ausdrücklich als Entscheidungen gekennzeichneten Rechtsakte, die die Kommission gegenüber Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Interesse der Einhaltung der Wettbewerbsregeln erlässt und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber diesen Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können.

Die bloße Tatsache, dass in einer Pressemitteilung, die nicht von der Kommission stammt und keinerlei offiziellen Charakter hat, eine Erklärung eines Sprechers der Kommission erwähnt wird, in der der Zeitpunkt des Erlasses einer Wettbewerbsentscheidung und ihr Inhalt angekündigt werden, kann nicht genügen, um davon auszugehen, dass die Kommission gegen das Kollegialprinzip verstoßen hat. Da eine solche Erklärung das Kollegium der Mitglieder der Kommission nicht bindet, kann es nach einer gemeinsamen Beratung den Beschluss fassen, keine solche Entscheidung zu erlassen.

(vgl. Randnrn. 151-155)

5.      Art. 241 EG ist u. a. auf die Bestimmungen einer Geschäftsordnung eines Organs anzuwenden, die zwar nicht die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung bilden und keine gleichartigen Wirkungen wie die Bestimmungen einer Verordnung im Sinne dieses Artikels entfalten, aber die wesentlichen Formvorschriften festlegen, deren Beachtung für den Erlass dieser Entscheidung erforderlich ist und die deshalb die Rechtssicherheit für die Adressaten dieser Entscheidung gewährleisten. Jeder Adressat einer Entscheidung kann nämlich inzidenter die Rechtswidrigkeit des Rechtsakts geltend machen, von dem die formelle Gültigkeit dieser Entscheidung abhängt, auch wenn der betreffende Rechtsakt nicht die Rechtsgrundlage der Entscheidung ist, sofern der Betroffene nicht die Möglichkeit hatte, die Nichtigerklärung dieses Rechtsakts vor der Mitteilung der streitigen Entscheidung zu beantragen. Infolgedessen kann gegenüber den Bestimmungen der Geschäftsordnung der Kommission eine Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben werden, sofern sie dem Schutz des Einzelnen dienen. Die Einrede der Rechtswidrigkeit ist auf das zu beschränken, was für die Entscheidung des Rechtsstreits unerlässlich ist. Da Art. 241 EG nicht den Zweck hat, einer Partei zu gestatten, die Unanwendbarkeit eines Rechtsakts allgemeinen Charakters mit jeder beliebigen Klage geltend zu machen, muss der allgemeine Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird, zudem unmittelbar oder mittelbar auf den streitgegenständlichen Fall anwendbar sein, und es muss ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der angegriffenen Einzelfallentscheidung und dem betreffenden allgemeinen Rechtsakt bestehen.

(vgl. Randnrn. 165-167)

6.      Art. 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Kommission von 1999 sieht vor, dass die von der Kommission in einer Sitzung gefassten Beschlüsse in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, untrennbar mit der Zusammenfassung verbunden werden müssen, die unmittelbar nach dem Ende der Kommissionssitzung, in der sie angenommen wurden, erstellt wird, und dass diese Beschlüsse durch die Unterschrift des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der letzten Seite der Zusammenfassung festgestellt werden. Diese Bestimmung ist nicht rechtswidrig. Die darin festgelegten Förmlichkeiten stehen mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit im Einklang.

(vgl. Randnrn. 170, 175-176)

7.      Wenn die Kommission nach der Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der Sanktionen gegen Unternehmen verhängt wurden, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben, wegen eines Verfahrensfehlers, der ausschließlich die Modalitäten ihrer endgültigen Annahme durch das Kollegium der Mitglieder der Kommission betrifft, aufgrund der gleichen Beschwerdepunkte eine neue Entscheidung mit einem im Wesentlichen identischen Inhalt erlässt, ist sie nicht verpflichtet, eine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen durchzuführen.

Sie ist auch nicht verpflichtet, eine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen durchzuführen, auch wenn zwischen der Anhörung dieses Ausschusses und dem Erlass der neuen Entscheidung mehrere Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beigetreten sind und sich die Zusammensetzung des Ausschusses deshalb geändert hat. Eine Änderung in der Zusammensetzung eines Organs lässt nämlich die Kontinuität des Organs selbst unberührt, dessen endgültige oder vorbereitende Handlungen grundsätzlich alle ihre Wirkungen beibehalten. Außerdem gibt es im Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Grundsatz der Kontinuität der Zusammensetzung des Verwaltungsorgans, das mit einer Sache befasst ist, die zur Verhängung einer Geldbuße führen kann.

Die übrigen Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Anwendung von Art. 233 EG stellen können – wie die Fragen nach dem Zeitablauf, der Möglichkeit weiterer Verfolgungsmaßnahmen, einer mit der Wiederaufnahme des Verfahrens verbundenen Akteneinsicht, dem Tätigwerden des Anhörungsbeauftragten sowie etwaigen Auswirkungen von Art. 20 der Verordnung Nr. 17 –, machen ebenfalls keine erneuten Anhörungen erforderlich, da sie den Inhalt der Beschwerdepunkte nicht ändern, die allein gegebenenfalls Gegenstand einer späteren gerichtlichen Überprüfung sein können.

(vgl. Randnrn. 184-185, 202, 207-209)

8.      Sowohl aus dem Zweck der Verordnung Nr. 17 als auch aus der Aufzählung der den Bediensteten der Kommission eingeräumten Befugnisse ergibt sich, dass die Nachprüfungen sehr weit gehen können.

Dabei kommt dem Recht, alle Räumlichkeiten, Grundstücke oder Transportmittel der Unternehmen zu betreten, insofern besondere Bedeutung zu, als es der Kommission damit ermöglicht werden soll, das Beweismaterial für Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln an den Orten zu sammeln, an denen es sich normalerweise befindet, d. h. in den Geschäftsräumen der Unternehmen.

Dieses Betretungsrecht wäre nutzlos, wenn sich die Bediensteten der Kommission darauf beschränken müssten, die Vorlage von Unterlagen oder Akten zu verlangen, die sie schon vorher genau bezeichnen können. Es impliziert vielmehr die Befugnis, nach anderen Informationsquellen zu suchen, die noch nicht bekannt oder vollständig bezeichnet sind. Ohne eine solche Befugnis wäre es der Kommission unmöglich, die für die Nachprüfung erforderlichen Informationen einzuholen, falls die betroffenen Unternehmen die Mitwirkung verweigern oder eine obstruktive Haltung einnehmen.

Die Ausübung der weitreichenden Ermittlungsbefugnisse, über die die Kommission verfügt, unterliegt jedoch Bedingungen, die die Wahrung der Rechte der betroffenen Unternehmen gewährleisten sollen. Insoweit stellt die Verpflichtung der Kommission zur Angabe von Gegenstand und Zweck einer Nachprüfung ein grundlegendes Erfordernis dar, mit dem nicht nur die Berechtigung des beabsichtigten Eingriffs in den betroffenen Unternehmen aufgezeigt werden soll, sondern auch diese Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren.

Daher kann der Umfang der Pflicht zur Begründung der Nachprüfungsentscheidungen nicht aufgrund von Erwägungen eingeschränkt sein, die die Wirksamkeit der Untersuchung betreffen. Zwar braucht die Kommission weder dem Adressaten einer Nachprüfungsentscheidung alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln, noch muss sie eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen; sie hat aber klar anzugeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt.

Da die Kommission keine strenge rechtliche Qualifizierung der Zuwiderhandlungen vornehmen muss, kann der Umstand, dass in einer Nachprüfungsentscheidung nur auf Art. 81 EG verwiesen und Art. 82 EG nicht ausdrücklich genannt wird, für sich allein nicht zu der Schlussfolgerung führen, die Kommission habe gegen Art. 14 der Verordnung Nr. 17 verstoßen. Auch wenn aus dem Wortlaut der Nachprüfungsentscheidung hervorgeht, dass die Kommission ausdrücklich nur prüfen will, ob ein Unternehmen an Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt war, und es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass auch der Verdacht des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung bestand, überschreitet die Beschlagnahme von Unterlagen nicht den von der Nachprüfungsentscheidung gebildeten Legalitätsrahmen, wenn ein Teil der Fakten, hinsichtlich deren die Vertreter der Kommission beauftragt waren, Beweise für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG zu erlangen, dieselben sind wie diejenigen, auf die der Vorwurf des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung durch das betreffende Unternehmen gestützt wird, und wenn die Nachprüfungsentscheidung die wesentlichen Elemente enthält, die von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 gefordert werden.

(vgl. Randnrn. 218-222, 225-226)

9.      Nach der Systematik von Art. 82 EG kann der räumliche Markt als das Gebiet definiert werden, in dem für alle Wirtschaftsteilnehmer in Bezug auf die betreffenden Produkte Wettbewerbsbedingungen gelten, die einander gleichen. Es ist keineswegs erforderlich, dass die objektiven Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaftsteilnehmer völlig homogen sind. Es genügt, wenn sie einander gleichen oder hinreichend homogen sind. Somit können nur Gebiete, in denen die objektiven Wettbewerbsbedingungen heterogen sind, nicht als einheitlicher Markt angesehen werden.

Der Gemeinschaftsrichter nimmt zwar grundsätzlich eine umfassende Prüfung der Frage vor, ob die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsregeln erfüllt sind; seine Überprüfung der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission muss sich jedoch darauf beschränken, ob die Verfahrensregeln und die Vorschriften über die Begründung eingehalten wurden, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

(vgl. Randnrn. 249-250)

10.    Mit der beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 82 EG ist die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder wenigstens merklich zu beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne dass ihr dies zum Schaden gereichte.

Das Vorliegen einer beherrschenden Stellung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen. Um festzustellen, ob eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt vorliegt, sind zunächst die Unternehmensstruktur und sodann die Wettbewerbssituation auf diesem Markt zu untersuchen.

Besonders hohe Marktanteile erbringen – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – als solche den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung. Ein Unternehmen, das längere Zeit einen besonders hohen Marktanteil besitzt, befindet sich allein durch den Umfang seiner Produktion und seines Angebots – ohne dass die Inhaber erheblich geringerer Anteile imstande wären, die Nachfrage, die sich von dem Unternehmen mit dem größten Anteil abwenden will, rasch zu befriedigen – in einer Position der Stärke, die es zu einem nicht zu übergehenden Geschäftspartner macht und ihm bereits deswegen, jedenfalls während relativ langer Zeit, die Unabhängigkeit des Verhaltens sichert, die für eine beherrschende Stellung kennzeichnend ist.

So stellt ein Marktanteil von 70 % bis 80 % für sich genommen bereits ein klares Indiz für eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt dar. Ebenso liefert ein Marktanteil von 50 % – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – ohne Weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung.

(vgl. Randnrn. 275-279)

11.    In einem Rabattsystem, das die Abschottung des Marktes bewirkt, wird ein Verstoß gegen Art. 82 EG gesehen, wenn es von einem Unternehmen in beherrschender Stellung angewandt wird. Dies trifft auf einen Treuerabatt zu, der als Gegenleistung dafür gewährt wird, dass sich der Kunde verpflichtet, ausschließlich oder fast ausschließlich bei einem Unternehmen in beherrschender Stellung einzukaufen. Ein solcher Rabatt dient nämlich dazu, die Kunden durch die Gewährung finanzieller Vorteile vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abzuhalten.

(vgl. Randnrn. 316-317)

12.    Bei Mengenrabattsystemen, die ausschließlich an den Umfang der bei einem Unternehmen in beherrschender Stellung getätigten Käufe anknüpfen, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass sie keine nach Art. 82 EG verbotene Abschottungswirkung haben. Wenn die Erhöhung der Liefermenge zu einer Kostensenkung für den Lieferanten führt, darf dieser die Senkung nämlich durch einen günstigeren Preis an seinen Kunden weitergeben. Bei den Mengenrabatten wird also angenommen, dass sie den Zugewinn an Effizienz und Größenvorteile widerspiegeln, die vom Unternehmen in beherrschender Stellung erzielt werden.

Folglich verstößt ein Rabattsystem, bei dem sich die Höhe des Nachlasses nach Maßgabe der Abnahmemenge erhöht, nicht gegen Art. 82 EG, es sei denn, die Kriterien und Modalitäten, nach denen der Rabatt gewährt wird, lassen erkennen, dass das System nicht auf einer wirtschaftlich gerechtfertigten Gegenleistung beruht, sondern wie ein Treue- und Zielrabatt die Kunden vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abhalten soll.

Um zu bestimmen, ob ein Mengenrabattsystem missbräuchlich ist, müssen mithin sämtliche Umstände, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, berücksichtigt werden, und es ist zu prüfen, ob die Rabatte darauf abzielen, dem Abnehmer durch die Gewährung eines Vorteils, der nicht auf einer ihn rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruht, die Wahlmöglichkeit hinsichtlich seiner Bezugsquellen zu nehmen oder einzuschränken, den Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verwehren, gegenüber Handelspartnern bei gleichwertigen Leistungen unterschiedliche Bedingungen anzuwenden oder die beherrschende Stellung durch einen verfälschten Wettbewerb zu stärken.

(vgl. Randnrn. 318-320)

13.    Ein Unternehmen, das auf einem Markt eine beherrschende Stellung einnimmt und Abnehmer, sei es auch auf deren Wunsch, durch die Verpflichtung oder Zusage, ihren gesamten Bedarf oder einen beträchtlichen Teil desselben ausschließlich bei ihm zu beziehen, an sich bindet, nutzt seine Stellung im Sinne des Art. 82 EG missbräuchlich aus, ohne dass es darauf ankäme, ob die fragliche Verpflichtung ohne Weiteres oder gegen eine Rabattgewährung eingegangen worden ist. Das gleiche gilt, wenn ein solches Unternehmen die Abnehmer nicht durch eine förmliche Verpflichtung bindet, sondern kraft Vereinbarung mit den Abnehmern oder einseitig Treuerabatte gewährt, also Nachlässe, deren Gewährung voraussetzt, dass der Kunde seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt. Sowohl ausschließliche Bezugsverpflichtungen dieser Art, unabhängig davon, ob sie gegen eine Rabattgewährung eingegangen wurden, als auch die Gewährung von Treuerabatten, die die Abnehmer zum ausschließlichen Bezug bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung veranlassen soll, sind mit dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, da sie nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung beruhen, die die Belastung oder den Vorteil rechtfertigt, sondern darauf abzielen, dem Abnehmer die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren und anderen Herstellern den Zugang zum Markt zu verwehren.

(vgl. Randnr. 365)

14.    Ein marktbeherrschendes Unternehmen darf seinen Kunden Mengenrabatte gewähren, die ausschließlich an den Umfang der bei ihm getätigten Käufe anknüpfen. Die Berechnung dieser Rabatte darf jedoch nicht durch die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern zu einem Verstoß gegen Art. 82 Abs. 2 Buchst. c EG führen.

Es ist das Wesen von Mengenrabatten, dass den bedeutendsten Käufern oder Nutzern eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung die niedrigsten Stückpreise zugute kommen oder dass sie, was auf das Gleiche hinausläuft, höhere Ermäßigungen erhalten, als sie weniger bedeutenden Käufern oder Nutzern dieses Erzeugnisses oder dieser Dienstleistung gewährt werden. Außerdem steigt der durchschnittliche Ermäßigungssatz (oder sinkt der durchschnittliche Preis) selbst bei einem linear ansteigenden Mengenrabatt mit einem Höchstrabatt rechnerisch zunächst stärker und später geringer als die Zunahme der Käufe, bevor er sich tendenziell in Annäherung an den Rabatthöchstsatz stabilisiert. Der bloße Umstand, dass Mengenrabatte im Ergebnis dazu führen, dass bestimmten Kunden bei bestimmten Mengen ein im Verhältnis zum unterschiedlichen Umfang der jeweiligen Käufe höherer Ermäßigungssatz zugute kommt als anderen, ist Teil eines solchen Systems und lässt für sich allein nicht den Schluss zu, dass das System diskriminierend ist.

Gleichwohl bringen Mengenrabatte die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen mit sich, sofern die Schwellen für die Auslösung der unterschiedlichen, an die festgelegten Sätze geknüpften Rabattstufen dazu führen, die Inanspruchnahme der Rabatte oder von Zusatzrabatten bestimmten Handelspartnern vorzubehalten und ihnen einen durch den Umfang der von ihnen erbrachten Tätigkeit und durch die möglichen Größenvorteile, die der Lieferant gegenüber ihren Mitbewerbern erzielen kann, nicht gerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen.

Eine hohe Schwelle zur Auslösung des Rabattes, die nur einige besonders bedeutende Partner des Unternehmens mit beherrschender Stellung erreichen können, oder das Fehlen eines gleichmäßigen Anstiegs der Rabatte mit den Mengen können – sofern keine objektiven Gründe vorliegen – Anzeichen einer diskriminierenden Behandlung sein.

(vgl. Randnr. 396)

15.    Als Ausfluss des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte bedeutet das Recht auf Akteneinsicht in einem Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit gibt, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Zu ihnen gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen

In Bezug auf belastende Elemente muss das betroffene Unternehmen dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste. Bei entlastenden Elementen muss das betroffene Unternehmen nachweisen, dass das Unterbleiben ihrer Offenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte. Es genügt, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass das Unternehmen, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer etwaigen Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf Schwere und Dauer des dem Unternehmen zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können. Die Möglichkeit, dass ein nicht übermitteltes Schriftstück Einfluss auf den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission hätte haben können, kann nur nach einer vorläufigen Prüfung bestimmter Beweismittel nachgewiesen werden, die zeigt, dass die nicht übermittelten Schriftstücke eine Bedeutung – für diese Beweismittel – hätten haben können, die nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen.

Ein Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht könnte nur dann eine völlige oder teilweise Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission nach sich ziehen, wenn die nicht ordnungsgemäße Einsicht in die Ermittlungsakte im Verwaltungsverfahren das betroffene oder die betroffenen Unternehmen daran gehindert hätte, Unterlagen, die für ihre Verteidigung hätten nützlich sein können, zur Kenntnis zu nehmen, und auf diese Weise ihre Verteidigungsrechte verletzt hätte. Dies wäre der Fall, wenn durch die Offenlegung eines Schriftstücks eine, sei es auch nur entfernte, Möglichkeit bestanden hätte, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, falls das betroffene Unternehmen das Schriftstück in diesem Verfahren hätte heranziehen können.

(vgl. Randnrn. 405-407)

16.    Die Akteneinsicht gehört zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen sollen, und die Verletzung des Rechts auf Einsicht in die Akten der Kommission im Verfahren vor dem Erlass der Entscheidung kann grundsätzlich deren Nichtigerklärung nach sich ziehen, wenn die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens beeinträchtigt worden sind.

Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist anhand der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu prüfen, da ihre Verletzung im Wesentlichen von den Rügen abhängt, die die Kommission bei der Feststellung der dem betroffenen Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlung erhoben hat. Daher sind die Sachrügen kurz zu prüfen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der angefochtenen Entscheidung geltend gemacht hat, wobei das konkrete Vorbringen des betroffenen Unternehmens gegen die angefochtene Entscheidung zu berücksichtigen ist.

In einem Fall, in dem die Kommission im Verwaltungsverfahren, das dem Erlass der Entscheidung, mit der gegen ein Unternehmen eine Sanktion verhängt wurde, vorausging, kein Verzeichnis der Schriftstücke, die zur Akte gehören, erstellt hat und dem betreffenden Unternehmen nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Aktenstücke, sondern nur die belastenden Schriftstücke übermittelt hat, ohne das Unternehmen aufzufordern, in ihren Räumlichkeiten alle Schriftstücke einzusehen, ist das Verwaltungsverfahren rechtswidrig. Die Endentscheidung ist jedoch nicht für nichtig zu erklären, wenn nicht erwiesen ist, dass das Unternehmen nicht die Möglichkeit hatte, sämtliche Schriftstücke in der Akte, die für seine Verteidigung sachdienlich sein konnten, zu prüfen, auch wenn sich im Rahmen der Klage gegen diese Entscheidung im Anschluss an prozessleitende Maßnahmen zur Gewährleistung einer vollständigen Akteneinsicht herausstellt, dass ein Teil der Akten fehlt.

(vgl. Randnrn. 450, 454, 456, 458, 465, 467-468, 481-482)

17.    Es steht dem Gericht frei, im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission, mit der gegen ein Unternehmen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Sanktionen verhängt werden, prozessleitende Maßnahmen zur Gewährleistung einer vollständigen Akteneinsicht anzuordnen, um zu klären, ob die Weigerung der Kommission, ein Schriftstück offenzulegen oder zu übermitteln, die Verteidigung des betreffenden Unternehmens beeinträchtigen konnte. Da sich diese Prüfung auf eine gerichtliche Kontrolle der geltend gemachten Klagegründe beschränkt, wird mit ihr ein Ersatz für die umfassende Sachverhaltsermittlung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens weder bezweckt noch bewirkt. Die verspätete Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken versetzt das Unternehmen, das Klage erhoben hat, nicht in die Lage, in der es sich befunden hätte, wenn es sich bei der Abgabe seiner schriftlichen und mündlichen Erklärungen gegenüber dem Gemeinschaftsorgan auf diese Schriftstücke hätte berufen können. Wurde darüber hinaus die Akteneinsicht im Stadium des Gerichtsverfahrens gewährt, so braucht das betroffene Unternehmen nicht zu beweisen, dass die Entscheidung der Kommission anders gelautet hätte, wenn es Einsicht in die nicht übermittelten Unterlagen erhalten hätte, sondern lediglich, dass es die fraglichen Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können.

(vgl. Randnrn. 458-459)

18.    Wird eine Wettbewerbsentscheidung der Kommission wegen eines Verfahrensfehlers für nichtig erklärt, so ist die Kommission ohne Einleitung eines neuen Verwaltungsverfahrens zum Erlass einer neuen Entscheidung berechtigt. Ist der Inhalt der neuen Entscheidung nahezu identisch mit dem der früheren Entscheidung, und stützen sich die beiden Entscheidungen auf die gleichen Gründe, so unterliegt die neue Entscheidung bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße den Regeln, die beim Erlass der früheren Entscheidung galten. Die Kommission nimmt nämlich das Verfahren in dem Stadium wieder auf, in dem der Verfahrensfehler begangen wurde, und erlässt, ohne den Fall im Licht der Regeln, die beim Erlass der ersten Entscheidung nicht existierten, neu zu beurteilen, eine neue Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 492-494)

19.    Somit kann die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der einem Unternehmen zuzurechnenden Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zur Bestimmung der Höhe einer Geldbuße, die dazu in einem angemessenen Verhältnis steht, folgende Gesichtspunkte berücksichtigen: die besonders lange Dauer bestimmter Zuwiderhandlungen, Zahl und Vielfalt der Zuwiderhandlungen, die alle oder nahezu alle Produkte des in Rede stehenden Unternehmens betrafen und von denen einige alle Mitgliedstaaten berührten, die besondere Schwere der Zuwiderhandlungen, die Teil einer planmäßigen und zusammenhängenden Strategie waren, die darauf abzielte, durch verschiedene Verdrängungspraktiken gegenüber den Wettbewerbern und durch eine Politik der Bindung der Kunden die beherrschende Stellung des Unternehmens auf Märkten, auf denen der Wettbewerb bereits eingeschränkt war, künstlich aufrechtzuerhalten oder zu verstärken, die besonders schädlichen Auswirkungen der Missbräuche im Bereich des Wettbewerbs und den Vorteil, den das Unternehmen aus seinen Zuwiderhandlungen gezogen hat.

Die Kommission ist berechtigt, Verhaltensweisen eines Unternehmens, die darin bestehen, dass es durch die Gewährung von Rabatten für Spitzenmengen an seine Abnehmer und durch den Abschluss von Anbindungsvereinbarungen mit ihnen seine beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt, auf dem der Wettbewerb bereits eingeschränkt war, künstlich aufrechterhält oder verstärkt, als besonders schwerwiegend einzustufen.

(vgl. Randnrn. 498-500)

20.    Bei der Prüfung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft muss ein etwaiger Wiederholungsfall berücksichtigt werden. Der Begriff des Wiederholungsfalls wird in einigen nationalen Rechtsordnungen so verstanden, dass jemand neue Zuwiderhandlungen begeht, nachdem ähnliche von ihm begangene Zuwiderhandlungen geahndet worden waren. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, gehen in dieselbe Richtung, indem sie auf einen „gleichartigen Verstoß“ verweisen. Die Kommission kann daher einem Unternehmen, das seine beherrschende Stellung auf einem Markt im Sinne von Art. 82 EG missbräuchlich ausnutzt, nicht wegen früherer Absprachen, die gegen Art. 81 EG verstießen und die sich im Übrigen erheblich von den gegen Art. 82 EG verstoßenden Verhaltensweisen unterschieden, einen erschwerenden Umstand in Form eines Wiederholungsfalls zur Last legen.

(vgl. Randnrn. 507-511)

21.    Bei der Prüfung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft muss ein etwaiger Wiederholungsfall berücksichtigt werden, da dieser eine Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen kann. Dagegen kann das Nichtvorliegen eines Wiederholungsfalls keinen mildernden Umstand darstellen, da ein Unternehmen grundsätzlich nicht gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verstoßen darf.

(vgl. Randnrn. 522-523)

22.    Die Zusammenarbeit eines Unternehmens mit der Kommission bei Besuchen in seinen Geschäftsräumen gehört zu den Pflichten des Unternehmens und kann daher keinen mildernden Umstand darstellen, der eine Herabsetzung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verhängten Geldbuße rechtfertigt.

(vgl. Randnrn. 527, 529)

23.    Bei der Festsetzung der Höhe von Geldbußen in Wettbewerbssachen ist unter dem Umsatz, auf den sich Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 zur Bestimmung der Obergrenze, bis zu der eine Geldbuße verhängt werden kann, bezieht, der Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens zu verstehen, da nur dieser einen ungefähren Anhaltspunkt für die Größe und den Einfluss dieses Unternehmens auf den Markt liefern kann. Die genannte Bestimmung der Verordnung Nr. 17 sieht keine räumliche Grenze für den erzielten Umsatz vor. Innerhalb der durch diese Bestimmung gezogenen Grenze kann die Kommission den Umsatz, den sie hinsichtlich des geografischen Gebiets und der betroffenen Produkte als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Geldbuße heranziehen will, frei wählen.

(vgl. Randnr. 548)

24.    Bei der Ermittlung des Betrags der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft muss die Kommission nicht nur die Schwere der Zuwiderhandlung und die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und sicherstellen, dass ihr Vorgehen vor allem in Bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, abschreckende Wirkung hat. Somit kann eine Geldbuße ihren Sanktionscharakter und ihre abschreckende Wirkung nicht verlieren, wenn erwiesen ist, dass das betroffene Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat, insbesondere wenn es sich um einen äußerst schweren Verstoß handelt; dies gilt auch dann, wenn die Geldbuße mit einer Entscheidung verhängt wird, die nach gewisser Zeit im Anschluss an die Nichtigerklärung einer ersten Entscheidung ergeht.

(vgl. Randnrn. 554-555)