Language of document : ECLI:EU:C:2015:286

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

29. April 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Direktversicherung (Lebensversicherung) – Richtlinie 92/96/EWG – Art. 31 Abs. 3 – Dem Versicherungsnehmer zu erteilende Informationen – Verpflichtung des Versicherers, aufgrund allgemeiner Grundsätze des nationalen Rechts dem Versicherungsnehmer zusätzliche Informationen über die Kosten und Risikoprämien zu erteilen“

In der Rechtssache C‑51/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Rotterdam (Niederlande) mit Entscheidung vom 28. November 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2013, in dem Verfahren

Nationale-Nederlanden Levensverzekering Mij NV

gegen

Hubertus Wilhelmus Van Leeuwen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Nationale-Nederlanden Levensverzekering Mij NV, vertreten durch B. M. Jonk-van Wijk und G. van der Wal, advocaten,

–        von Herrn Van Leeuwen, vertreten durch D. Beljon und P. Boeken, advocaten,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Wilman und K.‑P. Wojcik als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Juni 2014

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) (ABl. L 360, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nationale Nederlanden Levensverzekering Mij NV (im Folgenden: NN) und Herrn Van Leeuwen über die Höhe der Kosten und der Prämien für die Todesfallrisikodeckung, die zu der von Herrn Van Leeuwen bei NN abgeschlossenen Lebensversicherungspolice gehört.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Dritte Richtlinie Lebensversicherung wurde durch die Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. L 345, S. 1) aufgehoben und ersetzt, die wiederum durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335, S. 1) mit Wirkung vom 1. November 2012 aufgehoben und ersetzt wurde. Aufgrund des Zeitpunkts, zu dem der im Ausgangsverfahren streitige Lebensversicherungsvertrag geschlossen wurde, sind jedoch noch die Bestimmungen der Dritten Richtlinie Lebensversicherung für die Entscheidung dieses Rechtsstreits maßgebend.

4        In den Erwägungsgründen 9 und 23 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung heißt es:

„(9)      In einigen Artikeln dieser Richtlinie sind nur Mindestvorschriften festgelegt. Der Herkunftsmitgliedstaat kann für die von seinen zuständigen Behörden zugelassenen Versicherungsunternehmen strengere Regelungen erlassen.

(23)      Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts wird dem Verbraucher eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muss er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Da die Dauer der Verpflichtungen sehr lang sein kann, ist diese Information für den Verbraucher noch wichtiger. Folglich sind die Mindestvorschriften zu koordinieren, damit er klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte und über die Stellen erhält, an die etwaige Beschwerden der Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten des Vertrages zu richten sind.“

5        Art. 31 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Vor Abschluss des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.

(2)      Der Versicherungsnehmer muss während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in Anhang II Buchstabe B aufgeführten Angaben auf dem Laufenden gehalten werden.

(3)      Der Mitgliedstaat der Verpflichtung kann von den Versicherungsunternehmen nur dann die Vorlage von Angaben zusätzlich zu den in Anhang II genannten Auskünften verlangen, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind.

(4)       Die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel und zu Anhang II werden von dem Mitgliedstaat der Verpflichtung erlassen.“

6        In Anhang II („Informationen für die Versicherungsnehmer“) dieser Richtlinie heißt es insoweit:

„Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluss des Vertrages oder (B) während der Laufzeit des Vertrages mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen.

Diese Informationen können jedoch in einer anderen Sprache abgefasst werden, sofern der Versicherungsnehmer dies wünscht und es nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist oder sofern der Versicherungsnehmer das maßgebende Recht frei wählen kann.

A. Vor Abschluss des Vertrages mitzuteilende Informationen

Informationen über das Versicherungsunternehmen

Informationen über die Versicherungspolicen

a.4      Beschreibung jeder Garantie und jeder Option

a.5      Laufzeit der Police

a.6      Einzelheiten der Vertragsbeendigung

a.7      Prämienzahlungsweise und Prämienzahlungsdauer

a.8      Methoden der Gewinnberechnung und Gewinnbeteiligung

a.9      Angabe der Rückkaufswerte und beitragsfreien Leistungen und das Ausmaß, in dem diese Leistungen garantiert sind

a.10      Informationen über die Prämien für jede Leistung, und zwar sowohl Haupt- als auch Nebenleistungen, wenn sich derartige Informationen als sinnvoll erweisen

…“


7        Anhang II Buchst. B dieser Richtlinie nennt die dem Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Vertrags mitzuteilenden Informationen. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Versicherungsnehmer zusätzlich zu den allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen zum einen im Fall eines Zusatzvertrags oder einer Änderung der für den Vertrag geltenden Rechtsvorschriften alle Angaben gemäß a.4 bis a.12 von Teil A dieses Anhangs und zum anderen alljährlich Informationen über den Stand der Gewinnbeteiligung erhalten muss.

 Niederländisches Recht

8        Mit Art. 2 der Regelung von 1998 für die Erteilung von Informationen an Versicherungsnehmer (Regeling informatieverstrekking aan verzekeringsnemers 1998, im Folgenden: RIAV 1998) wurde Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung in das nationale Recht umgesetzt. In der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung lautet diese Bestimmung wie folgt:

„1.      Ein Versicherer, der einem Versicherungsnehmer, der in den Niederlanden wohnt oder dort niedergelassen ist, einen Versicherungsvertrag anbietet, hat sich zu vergewissern, dass der Versicherungsnehmer über die allgemeinen und die besonderen Versicherungsbedingungen verfügt.

2.       Soweit sich diese Informationen nicht aus den allgemeinen oder den besonderen Versicherungsbedingungen ergeben, hat der Versicherer dafür Sorge zu tragen, dass der Versicherungsnehmer schriftlich über folgende Informationen verfügt:

q.      die Auswirkungen von Kosten und Einbehaltungen zu Lasten des Versicherungsnehmers auf die Rendite und die vertragsgemäße Leistung;

r.      gegebenenfalls über die Kosten, die neben der Bruttoprämie in Rechnung gestellt werden;

…“

9        Nach der Erläuterung zum RIAV 1998 bestimmt sich dessen Anwendung nach dem Gesetz von 1993 über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Wet toezicht verzekeringsbedrijf 1993, im Folgenden: WTV 1993) und nach dem geltenden innerstaatlichen Zivilrecht, worunter die Erfordernisse von Angemessenheit und Billigkeit (Art. 2 des Sechsten Buches des Zivilgesetzbuchs) zu verstehen sind.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      Im Laufe des Jahres 1999 schloss Herr Van Leeuwen bei NN eine Versicherung ab, die Teil eines Anlageplans („Flexibel versichertes Anlegen“) war. Es handelte sich um eine Lebensversicherung, in deren Rahmen der akkumulierte Kapitalwert im Zeitpunkt des Ablaufs der Versicherung nicht garantiert wird, sondern von den Ergebnissen der Investitionen abhängt. Außerdem ist während der Laufzeit des Versicherungsvertrags die Leistung eines Fixbetrags für den Todesfall des Versicherungsnehmers vor Ablauf des Vertrags vorgesehen.

11      Aus den von NN in ihrer schriftlichen Stellungnahme vorgelegten Angaben ergibt sich, dass gemäß dem Versicherungsvertrag eine Prämie, deren Höhe im Voraus vereinbart wird („Bruttoprämie“), im Voraus und periodisch gezahlt wird. Diese Prämie wird in vom Versicherungsnehmer ausgewählten Anlagefonds angelegt. Von dem so bestimmten Wert werden periodisch Kosten sowie Prämien für die darin enthaltene Deckung des Todesfalls abgezogen. Letztere Prämien werden daher nicht gesondert berücksichtigt, sondern sind, wie die Kosten, integraler Bestandteil der Bruttoprämie.

12      Herrn Van Leeuwen wurde vor Abschluss der Lebensversicherung von NN ein „Vorschlag für flexibel versichertes Anlegen“ unterbreitet. Darin sind auf der Grundlage unterschiedlicher Renditen und Verwaltungskosten von 0,3 % drei Beispiele für Kapitalanlagen aufgeführt. Unter der Überschrift „Produktrendite“ heißt es: „Die Differenz zwischen Fondsrendite und Produktrendite hängt von den versicherten Risiken, den geschuldeten Kosten sowie von etwaigen Nebenleistungen ab.“

13      Nach Abschluss des Versicherungsvertrags entstand zwischen NN und Herrn Van Leeuwen ein Streit über die Höhe der Kosten und der Todesfall-Risikoprämien, die vom Versicherer in Abzug gebracht wurden.

14      Ein Teil des Ausgangsrechtsstreits betrifft die Frage, ob NN vor Abschluss des Versicherungsvertrags ausreichend über diese Kosten und Risikoprämien informiert hat. Insbesondere geht es darum, dass Herr Van Leuuwen keine Zusammenfassung oder Übersicht über die konkreten und/oder absoluten Kosten und über deren Zusammensetzung erhalten haben soll.

15      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist davon auszugehen, dass NN den Verpflichtungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst q und r RIAV 1998 nachgekommen ist, dem Versicherungsnehmer gegenüber aber gegen die „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“ des niederländischen Rechts (worunter im vorliegenden Verfahren die Fürsorgepflicht des Versicherungsunternehmens, Treu und Glauben im vorvertraglichen Verkehr sowie die Angemessenheit und Billigkeit zu verstehen seien) verstoßen hat, weil sie ihm lediglich Informationen über die Auswirkungen von Kosten und Risikoprämien auf die Rendite erteilt habe.

16      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannten Angaben würden nicht unter die in Anhang II der Dritten Richtlinie Lebensversicherung genannten Auskünfte fallen. NN hingegen meint, Versicherungsunternehmen könnten nach Unionsrecht, insbesondere nach Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie, nicht dazu verpflichtet werden, dem Versicherungsnehmer aufgrund dieser offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften Informationen zu erteilen.

17      Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Rotterdam das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Steht das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, dem entgegen, dass Lebensversicherer aufgrund offener und/oder ungeschriebener Vorschriften des niederländischen Rechts, wie der Angemessenheit und Billigkeit, die für das (vor-)vertragliche Verhältnis zwischen einem Lebensversicherer und einem potenziellen Versicherungsnehmer gelten, und/oder einer allgemeinen und/oder besonderen Fürsorgepflicht verpflichtet sind, Versicherungsnehmern mehr Auskünfte über Kosten und Risikoprämien der Versicherung zu erteilen, als es die niederländischen Vorschriften, mit denen die Dritte Richtlinie Lebensversicherung umgesetzt wurde (insbesondere Art. 2 Abs. 2 Buchst. q und r RIAV 1998), im Jahr 1999 vorschrieben?

2.      Ist es für die Beantwortung von Frage 1 erheblich, wie sich die Nichterteilung dieser Auskünfte nach niederländischem Recht auswirkt bzw. auswirken kann?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

18      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Versicherungsunternehmen aufgrund allgemeiner Grundsätze des nationalen Rechts, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“, verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer gewisse Angaben zusätzlich zu den in Anhang II dieser Richtlinie genannten Informationen mitzuteilen.

19      Dem 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung ist zu entnehmen, dass mit ihr u. a. der Zweck verfolgt wird, die Mindestvorschriften zu koordinieren, damit der Verbraucher klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte erhält. Wie es in demselben Erwägungsgrund heißt, muss der Verbraucher, um die ihm im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts zur Verfügung stehende größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen und den verstärkten Wettbewerb voll nutzen zu können, im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen zu können.

20      Zu diesem Zweck sieht Art. 31 der Richtlinie in Abs. 1 vor, dass dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrags mindestens die in Buchst. A von Anhang II der Richtlinie aufgeführten Informationen mitzuteilen sind, und bestimmt in Abs. 2, dass der Betroffene während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in Buchst. B von Anhang II aufgeführten Angaben auf dem Laufenden gehalten werden muss. Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, die einzige Vorschrift, auf die sich das Vorabentscheidungsersuchen bezieht, sieht vor, dass der Mitgliedstaat der Verpflichtung von den Versicherungsunternehmen nur dann die Mitteilung von Angaben zusätzlich zu den in Anhang II dieser Richtlinie genannten Auskünften verlangen kann, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind.

21      Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung selbst, ihrem Anhang II und ihrem 23. Erwägungsgrund zu entnehmen ist, dass die zusätzlichen Angaben, die die Mitgliedstaaten nach Art. 31 verlangen können, klar, genau und für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Merkmale der dem Versicherungsnehmer angebotenen Versicherungsprodukte notwendig sein müssen (Urteil Axa Royale Belge, C‑386/00, EU:C:2002:136, Rn. 24).

22      Eine Verpflichtung zur Mitteilung zusätzlicher Informationen kann also nur vorgesehen werden, wenn sie zur Information des Versicherungsnehmers notwendig ist und wenn die geforderten Angaben genau und klar genug sind, um dieses Ziel zu erreichen und so insbesondere den Versicherungsunternehmen ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu bieten (vgl. in diesem Sinne Urteil Parlament/Rat, C‑48/14, EU:C:2015:91, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie die Generalanwältin in Nr. 60 ihrer Schlussanträge ausführt, handelt es sich, wenn die verlangten Informationen allgemein und vage gehalten sind, nicht um „notwendige Informationen“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung.

23      Der Unionsgesetzgeber wollte zwar auf diese Weise die Art der zusätzlichen Angaben begrenzen, die die Mitgliedstaaten im Interesse der Verbraucher von den Versicherungsunternehmen verlangen können, damit Verbraucher die ihnen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts zur Verfügung stehende Auswahl von Versicherungsprodukten voll nutzen können, die Art und Weise, in der die Mitgliedstaaten diese Befugnis ausüben können, wurde aber mit Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie weder festgelegt noch beschränkt.

24      In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Versicherungsunternehmen vorzuschreiben, gewisse Angaben zusätzlich zu den Auskünften mitzuteilen, die den Versicherungsnehmern nach Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung mitgeteilt werden müssen und in Buchst. A von Anhang II dieser Richtlinie aufgeführt sind, sondern Abs. 3 dieses Artikels eine Befugnis enthält, von der die Mitgliedstaaten Gebrauch machen können oder auch nicht.

25      Außerdem folgt aus Art. 31 Abs. 4 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, dass die Durchführungsvorschriften für die Verpflichtung zur Mitteilung der vom innerstaatlichen Recht vorgesehenen zusätzlichen Informationen von dem Mitgliedstaat der Verpflichtung erlassen werden.

26      Die Richtlinie führt zwar eine Mindestharmonisierung der Versicherungsnehmern mitzuteilenden Angaben herbei, schränkt jedoch in ihrem Art. 31 Abs. 3 die in Rn. 24 des vorliegenden Urteils genannte Befugnis ein, indem sie klarstellt, dass diese Angaben dem Versicherungsnehmer ein Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Verpflichtung ermöglichen müssen. Ferner beschränkt diese Vorschrift die zusätzlichen Angaben, die der Mitgliedstaat der Verpflichtung von Versicherungsunternehmen verlangen kann, auf das, was zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist.

27      Daher ist es Aufgabe des jeweiligen Mitgliedstaats, nach den Eigenheiten seiner Rechtsordnung und den Besonderheiten der Situation, die er regeln möchte, die rechtliche Grundlage der Verpflichtung zur Erteilung zusätzlicher Informationen festzulegen, um sicherzustellen, dass der Versicherungsnehmer die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Versicherungsprodukte tatsächlich versteht, und gleichzeitig ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu garantieren.

28      Die Rechtsgrundlage für eine solche Verpflichtung zur Mitteilung zusätzlicher Angaben und insbesondere die Frage, ob sich diese Verpflichtung aus allgemeinen Grundsätzen des nationalen Rechts, wie den „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, ergibt, ist grundsätzlich unerheblich für ihre Vereinbarkeit mit der Richtlinie, sofern diese Verpflichtung den in den Rn. 21 und 27 des vorliegenden Urteils aufgeführten Anforderungen von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung genügt.

29      Daraus folgt, dass die Rechtsgrundlage, auf deren Basis der betroffene Mitgliedstaat von der von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung vorgesehenen Befugnis Gebrauch machen möchte, dergestalt sein muss, dass sie den Versicherungsunternehmen im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit ermöglicht, mit hinreichender Vorhersehbarkeit die zusätzlichen Angaben zu identifizieren, die sie dem Versicherungsnehmer zu übermitteln haben und mit denen dieser rechnen kann.

30      Insoweit kann das nationale Gericht, wenn es zu beurteilen hat, welche Anforderungen an die Vorhersehbarkeit einer solchen Verpflichtung zur Mitteilung zusätzlicher Angaben zu stellen sind, berücksichtigen, dass das Versicherungsunternehmen die Art und die Eigenheiten der von ihm angebotenen Versicherungsprodukte festlegt und dass es daher grundsätzlich in der Lage sein müsste, die Eigenheiten dieser Produkte zu erkennen, die es notwendig machen, dem Versicherungsnehmer zusätzliche Angaben mitzuteilen.

31      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anwendung des RIAV 1998 nach der Erläuterung zu dieser Regelung u. a. nach dem geltenden nationalen Zivilrecht, wie beispielsweise den „Erfordernissen von Angemessenheit und Billigkeit“ (Art. 2 des Sechsten Buches des Zivilgesetzbuchs), bestimmt.

32      Das vorlegende Gericht hat jedoch gegenüber dem Gerichtshof weder nähere Angaben über die konkrete Ausgestaltung der Verpflichtung zur Mitteilung zusätzlicher Angaben im niederländischen Recht noch über die Rolle und die genaue Tragweite, die „offene und/oder ungeschriebene Vorschriften“ des niederländischen Rechts im innerstaatlichen Recht haben, gemacht, sondern nur die dem Versicherungsunternehmen obliegende Sorgfaltspflicht sowie den Grundsatz von Treu und Glauben im vorvertraglichen Verkehr und/oder die Erfordernisse der Angemessenheit und Billigkeit, die für den Abschluss von Versicherungsverträgen gelten müssen, angeführt.

33      In jedem Fall ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die im vorliegenden Fall in Rede stehenden „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“ den Anforderungen von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung genügen.

34      Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen ist, dass er nicht dem entgegensteht, dass ein Versicherungsunternehmen auf Grundlage allgemeiner Grundsätze des nationalen Rechts, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“, verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer gewisse Angaben zusätzlich zu den in Anhang II genannten Auskünften mitzuteilen, sofern die verlangten Angaben klar, genau und für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind und eine ausreichende Rechtssicherheit bieten, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 Zur zweiten Frage

35      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es für die Beantwortung der ersten Frage erheblich ist, wie sich die Nichterteilung der zusätzlichen Auskünfte im Sinne von Art. 31 Abs. 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung nach nationalem Recht auswirkt bzw. auswirken kann.

36      Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass es für die Vereinbarkeit der Mitteilungspflicht mit Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie grundsätzlich unerheblich ist, welche Auswirkungen die Nichterteilung dieser Auskünfte nach innerstaatlichem Recht hat.

 Kosten

37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) ist dahin auszulegen, dass er nicht dem entgegensteht, dass ein Versicherungsunternehmen auf Grundlage allgemeiner Grundsätze des nationalen Rechts, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften“, verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer gewisse Angaben zusätzlich zu den in Anhang II genannten Auskünften mitzuteilen, sofern die verlangten Angaben klar, genau und für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind und eine ausreichende Rechtssicherheit bieten, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

2.      Welche Auswirkungen die Nichterteilung dieser Auskünfte nach innerstaatlichem Recht hat, ist für die Vereinbarkeit der Mitteilungspflicht mit Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 92/96 grundsätzlich unerheblich.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.