Language of document : ECLI:EU:C:2015:393

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 11. Juni 2015(1)

Rechtssache C‑408/14

Aliny Wojciechowski

gegen

Office national des pensions (ONP)

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal du travail de Bruxelles [Belgien])

„Ruhestandsbeamter der Europäischen Union – Ruhegehaltsanspruch – Grundsatz der Laufbahneinheit – Kumulierung der Ruhegehaltsansprüche – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Charta der Grundrechte der Europäischen Union“





1.        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten und die Auslegung von Art. 34 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Wojciechowski, ehemalige Unionsbeamtin, und dem belgischen Office national des pensions (Staatliches Rentenamt, im Folgenden: ONP) wegen dessen Weigerung, ihr eine Ruhestandspension zu bewilligen.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

2.        Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII („Versorgungsordnung‟) des Statuts der Beamten der Europäischen Union, das durch die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind(2), errichtet und durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1080/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010(3) geändert wurde (im Folgenden: Statut), bestimmt:

„Ein Beamter, der in den Dienst der Union tritt

nach dem Ausüben einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit,

kann in der Zeit zwischen seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit und dem Zeitpunkt, zu dem er den Anspruch auf ein Ruhegehalt im Sinne des Artikels 77 des Statuts erwirbt, den Kapitalwert der Ruhegehaltsansprüche, die er aufgrund der genannten Tätigkeit erworben hat, an die Union zahlen lassen; zugrunde gelegt wird hierbei der zum Zeitpunkt der tatsächlichen Übertragung bestehende Kapitalwert.

…“

B –    Belgisches Recht

3.        Der Königliche Erlass Nr. 50 vom 24. Oktober 1967 über die Ruhestands- und Hinterbliebenenpension für Lohnempfänger(4) in seiner für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Fassung (im Folgenden: Königlicher Erlass Nr. 50) sieht in Art. 10bis(5) Abs. 1 und 4 vor:

„Wenn ein Lohnempfänger aufgrund des vorliegenden Erlasses Anspruch auf eine Ruhestandspension und aufgrund einer oder mehrerer anderer Regelungen auf eine Ruhestandspension beziehungsweise auf einen anderen als Ruhestandspension geltenden Vorteil erheben kann und wenn die Summe der Brüche, die die Höhe jeder dieser Pensionen ausdrücken, die Einheit überschreitet, wird die für die Berechnung der Ruhestandspension berücksichtigte Berufslaufbahn um so viele Jahre verkürzt, wie für die Reduzierung der genannten Summe auf die Einheit notwendig ist.

Für die Anwendung des vorliegenden Artikels versteht man unter ‚andere Regelung‘ jede andere belgische Regelung in Sachen Ruhestands- und Hinterbliebenenpension mit Ausnahme derjenigen für Selbständige und jede vergleichbare Regelung eines anderen Landes oder eine Regelung, die auf das Personal einer völkerrechtlichen Einrichtung anwendbar ist.“

4.        Nach Art. 3 des Königlichen Erlasses vom 14. Oktober 1983 zur Ausführung von Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 vom 24. Oktober 1967 über die Ruhestands- und Hinterbliebenenpension für Lohnempfänger(6) (im Folgenden: Königlicher Erlass vom 14. Oktober 1983) kann die Anzahl der nach dem oben genannten Art. 10bis abzuziehenden Jahre weder größer sein als 15, noch den auf die nächsthöhere Einheit aufgerundeten Betrag überschreiten, der sich aus der Teilung der Differenz zwischen dem umgerechneten Betrag(7) und dem Pauschalbetrag(8) durch einen Betrag von 10 % dieses Pauschalbetrags ergibt.

5.        Die Verkürzung der Berufslaufbahn betrifft vorrangig die Jahre, die die geringsten Pensionsansprüche begründen(9).

II – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage

6.        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die belgische Staatsangehörige Wojciechowski von 1965 bis 1977 in Belgien als Lohnempfängerin und danach vom 17. Oktober 1977 bis zum 30. November 2011 als Beamtin der Europäischen Kommission tätig war.

7.        Im Mai 2012 prüfte das ONP von Amts wegen den Anspruch von Frau Wojciechowski auf eine Ruhestandspension für Lohnempfänger, denn sie erreichte am 26. April 2013 das gesetzliche Rentenalter in Belgien (65 Jahre).

8.        In dem Erstauskunftsformular, das sie am 21. Mai 2012 ergänzte, erklärte Frau Wojciechowski, dass ihre Berufslaufbahn in Belgien als Lohnempfängerin die Jahre 1965 bis 1977 umfasse, und gab an, dass sie seit dem 1. Dezember 2011 von der Kommission ein Ruhegehalt beziehe. Ferner führte sie aus, dass sie seit diesem Zeitpunkt keine berufliche Tätigkeit mehr ausgeübt habe.

9.        Mit Schreiben vom 12. Juni 2012 ersuchte das ONP die Kommission um Auskunft, ob Frau Wojciechowski die Voraussetzungen für den Bezug eines Ruhegehalts nach der Unionsregelung erfülle. Mit Schreiben vom 17. August 2012 teilte die Kommission dem ONP mit, dass sie der Betroffenen entsprechend ihrer Verwaltungspraxis die Angaben für eine Antwort übermittelt habe.

10.      Mit Schreiben vom 24. August 2012 übermittelte Frau Wojciechowski dem ONP die von der Kommission erhaltene Bestätigung, dass sie seit dem 1. Dezember 2011 ein Ruhegehalt von dieser beziehe, das auf der Grundlage der von ihr vom 17. Oktober 1977 bis zum 30. November 2011 an das Versorgungssystem der Gemeinschaften gezahlten Beiträge berechnet worden sei. Die Höhe dieses Ruhegehalts teilte sie dem ONP nicht mit. In demselben Schreiben bestätigte Frau Wojciechowski dem ONP im Übrigen, dass sie nicht von der Möglichkeit nach Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts Gebrauch gemacht habe, den Kapitalwert ihrer aufgrund der Tätigkeit als Lohnempfängerin erworbenen Pensionsansprüche auf die Union zu übertragen.

11.      Mit Entscheidung vom 11. September 2012 teilte das ONP der Betroffenen unter Hinweis auf Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 mit:

„Sie haben außer Ihrer Laufbahn eine weitere Laufbahn nach Maßgabe einer anderen Regelung zurückgelegt (öffentlicher Dienst, internationale Organisation). Sie können jedoch nicht durch die Kumulierung der Pensionsregelungen die Laufbahneinheit überschreiten, so dass Ihre Laufbahn insgesamt nicht mehr als 45 Jahre umfassen kann. … Ihre Laufbahn ist daher um zehn Jahre zu verkürzen. …“

12.      Dieser Entscheidung zufolge war das ONP der Auffassung, dass Frau Wojciechowski insgesamt 13/45 in ihrer Laufbahn als Lohnempfängerin und 45/45 in ihrer Laufbahn nach Maßgabe einer anderen Regelung erworben habe. In Anwendung der geltenden Berechnungsvorschriften kam es daher zu dem Ergebnis, dass die Betroffene aufgrund ihrer Laufbahn als in Belgien beschäftigter Lohnempfängerin Anspruch auf eine Ruhestandspension in Höhe von 83,05 Euro habe, was einer Berufslaufbahn eines Lohnempfängers in Höhe von 3/45 entspreche(10).

13.      Mit E-Mail vom 13. November 2012 teilte das ONP Frau Wojciechowski mit, dass es, da es die Höhe des von der Kommission gezahlten Ruhegehalts nicht kenne, davon ausgehe, dass nach einer Laufbahn von 35 Jahren in diesem Organ der Bruch, der die Höhe der nach Art. 10bis zu berücksichtigenden Pension ausdrücke, 70/70 bzw. 45/45 betrage – berücksichtige man, dass ein europäischer Beamter, der vor dem 1. Mai 2004 seinen Dienst angetreten habe, für jedes zurückgelegte Dienstjahr einen Ruhegehaltsanspruch von 2 % jährlich, bezogen auf das letzte im aktiven Dienst gezahlte Gehalt, erwerbe und der höchstmögliche Prozentsatz, den er erwerben könne, auf 70 % seines letzten Grundgehalts begrenzt sei. Somit sei die Laufbahneinheit um 13 Jahre überschritten.

14.      Zur Berechnung der wegen dieser Überschreitung vorzunehmenden Pensionskürzung erklärte das ONP in derselben E‑Mail, dass diese Berechnung, wenn die Höhe der nach der anderen Regelung bezogenen Pension nicht bekannt sei, auf der Grundlage des aus der anderen Regelung resultierenden umgerechneten Betrags vorgenommen werde, dessen Höhe bis zum Nachweis des Gegenteils mit „dem 2,5-Fachen des Pauschalbetrags von 6 506,98 [Euro] beim Index von 138,01“ angesetzt werde(11). Daher könnten entgegen den Feststellungen in der Entscheidung vom 11. September 2012 die Tätigkeitszeiten als Lohnempfängerin nicht berücksichtigt werden. Das ONP übermittelte der Betroffenen keine neue Entscheidung, sondern stellte die Zahlung der Pension ab Juli 2013 ein.

15.      Mit am 11. Dezember 2012 eingereichter Klageschrift erhob Frau Wojciechowski beim Tribunal du travail de Bruxelles (Belgien) Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 11. September 2012 sowie auf Verurteilung des ONP, ihr eine auf 13/45 festgesetzte Ruhestandspension, d. h. annäherungsweise 367,07 Euro pro Monat, zu zahlen(12). Zur Begründung machte Frau Wojciechowski insbesondere geltend, dass, wenn die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern(13), oder die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit(14) auf ihre Situation anwendbar wäre, dies nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(15) zur Folge habe, dass das ONP den genannten Grundsatz der Laufbahneinheit nicht für die Berechnung ihrer belgischen Ruhestandspension heranziehen könne. Im Übrigen sei dem ONP ein Fehler unterlaufen, da ihre Berufslaufbahn in den Organen 34 Jahre und 11 Monate, d. h. 35 Jahre, und nicht 45 Jahre umfasst habe. Daher stelle sich die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage das ONP die Höhe ihres europäischen Ruhegehalts theoretisch festgesetzt habe.

16.      Das ONP vertritt die Auffassung, die von den Organen der Union zu zahlenden Ruhegehälter fielen nicht in den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften über die Kumulierung, da die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 883/2004 nicht anwendbar seien. Der belgische Kassationshof habe im Übrigen die Verfassungsmäßigkeit des Grundsatzes der Laufbahneinheit bejaht. Auch ist das ONP der Auffassung, es habe nach dem Vorsichtsprinzip gehandelt, als es sich bei der Anwendung von Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 auf eine theoretische Grundlage gestützt habe, weil es nicht über die von der Kommission erbetenen Auskünfte verfügt habe.

17.      Das vorlegende Gericht stellt klar, dass der Grundsatz der Laufbahneinheit den Auffangcharakter der Regelung über die Ruhestandspension der Lohnempfänger gegenüber den anderen Regelungen zum Ausdruck bringe und zum Ziel habe, alle anerkannten Laufbahnen, mit Ausnahme derjenigen als Selbständige, zur Laufbahn als Lohnempfänger hinzuzurechnen und in den Fällen, in denen die Summe der Brüche, die die Höhe jeder dieser Pensionen ausdrücke, die Einheit überschreite, die für die Berechnung der Ruhestandspension des Lohnempfängers berücksichtigte Berufslaufbahn um die Zahl von Jahren zu verkürzen, die für die Reduzierung dieser Summe auf die Einheit notwendig sei. Wie der belgische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil vom 20. September 2011 festgestellt habe, solle dieser Art. 10bis sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer mit einer gemischten Berufslaufbahn gleich behandelt würden und dabei das Ziel der Kosteneindämmung im Bereich der Ruhegehälter bei den Ruhestandspensionen nicht außer Acht gelassen werde.

18.      Nach der Feststellung, dass die für das Statutspersonal der Kommission geltende Regelung als eine auf das Personal einer völkerrechtlichen Einrichtung anwendbare Regelung von Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 erfasst werde und sich Frau Wojciechowski angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig weder auf die Art. 45 AEUV und 48 AEUV noch auf die Verordnungen Nrn. 1408/71 oder 883/2004 berufen könne, gibt das Tribunal du travail de Bruxelles längere Auszüge der Vorlageentscheidung der Cour du travail de Bruxelles in der Rechtssache wieder, die zum Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) führte. Auch wenn es der Ansicht ist, dass die Begründung dieser Entscheidung nicht unmittelbar auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen werden könne, da die in Rede stehenden belgischen Regelungen unterschiedlich seien, und auch die in der Rechtssache My (C‑293/03, EU:C:2004:821) entwickelte Lösung ebenfalls nicht unmittelbar auf den von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit übertragbar sei, könnte Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 seiner Meinung nach die Einstellung belgischer Beamter mit einem gewissen Dienstalter durch die Union dennoch erschweren.

19.      Das Tribunal du travail de Bruxelles hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Hindern zum einen der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und Art. 4 Abs. 3 EUV und zum anderen Art. 34 Abs. 1 der Charta einen Mitgliedstaat daran, eine Ruhestandspension, die einem Lohnempfänger nach den im Einklang mit den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats erbrachten Leistungen zusteht, zu kürzen oder gar zu verweigern, wenn die Summe der in diesem Mitgliedstaat und der in den europäischen Organen zurückgelegten Laufbahnjahre die Laufbahneinheit von 45 Jahren nach Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 überschreitet?

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Die belgische Regierung und die Kommission haben in der vorliegenden Rechtssache gemäß Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union schriftliche Erklärungen abgegeben. Nach ihrem Verzicht auf die Abgabe schriftlicher Erklärungen hat Frau Wojciechowski einen Antrag auf mündliche Verhandlung eingereicht. Diesem Antrag wurde gemäß Art. 76 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs stattgegeben.

21.      Mit Beschluss vom 13. März 2015 hat der Gerichtshof dem Antrag von Frau Wojciechowski auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattgegeben.

22.      Frau Wojciechowski, die belgische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 7. Mai 2015 mündlich verhandelt.

IV – Zur Vorlagefrage

A –    Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

1.      Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

a)      Vorbringen der belgischen Regierung

23.      Die belgische Regierung bestreitet in erster Linie die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Vorlagefrage mit dem Argument, dass die Ausgangsrechtssache keine Anknüpfungspunkte zum Unionsrecht aufweise. Zum einen handele es sich bei der Situation von Frau Wojciechowski um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, der weder von den primärrechtlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch von den Verordnungen Nrn. 1408/71 oder 883/2004 erfasst werde. Zum anderen gehe es im Ausgangsrechtsstreit weder um die Verweigerung oder die Kürzung der Ruhestandspension, die Frau Wojciechowski aufgrund der im Dienst der Union zurückgelegten Laufbahn beanspruchen könne, noch um die Weigerung des ONP, die innerhalb einer Einrichtung zurückgelegten Laufbahnjahre zur Bestimmung der Ruhestandspension nach dem belgischen System zu berücksichtigen, denn diese Laufbahn sei im Gegenteil sehr wohl berücksichtigt worden. Der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der eine gegenseitige Verpflichtung der Union und ihrer Mitgliedstaaten begründe, sei nicht auf die vorliegende Rechtssache anzuwenden, die weder mit derjenigen, die zum Urteil Kommission/Belgien (137/80, EU:C:1981:237) noch mit jener, die zum Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821) geführt habe, vergleichbar sei.

24.      Schließlich ist Art. 34 der Charta nach Ansicht der belgischen Regierung im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da nach ihrer Ansicht diese Bestimmung bloß einen Grundsatz und nicht ein Recht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta selbst enthalte und Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 nicht als eine Bestimmung angesehen werden könne, die Unionsrecht umsetze.

b)      Würdigung

25.      Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Beamter der Union die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne von Art. 45 Abs. 1 AEUV, wenn er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht(16). Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Zeit der Beschäftigung in einem internationalen öffentlichen Dienst wie dem der Union einer im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeit nicht gleichgestellt werden kann und daher allein keinen Zusammenhang mit einer der in dieser Vertragsbestimmung genannten Situationen herzustellen vermag(17).

26.      Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung und den Akten zu entnehmen, dass die belgische Staatsangehörige Wojciechowski stets in Belgien gewohnt und gearbeitet hat(18), zunächst als Arbeitnehmerin im Privatsektor, danach im Dienst der Kommission. Sie hat zu keiner Zeit im Laufe ihres Berufslebens die Eigenschaft eines Wanderarbeitnehmers erworben. Daher fällt ihre Situation, bei der es sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt, nicht unter Art. 45 Abs. 1 AEUV(19).

27.      Wie das vorlegende Gericht und die belgische Regierung zutreffend feststellen, fällt im Übrigen die Situation von Frau Wojciechowski während der Zeit, in der sie im Dienst der Kommission war, auch nicht unter die Verordnung Nr. 1408/71 oder die Verordnung Nr. 883/2004. Der Gerichtshof hat hierzu nämlich klargestellt, dass „die Beamten der [Union] nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden [können], weil sie nicht nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit unterliegen, wie es Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung verlangt, der deren persönlichen Geltungsbereich bestimmt“(20).

28.      Außerdem folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Situation eines Beamten nicht allein schon wegen eines gegenwärtigen oder früheren Beschäftigungsverhältnisses bei der Union in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt(21).

29.      Daher kann die Eigenschaft von Frau Wojciechowski als Ruhestandsbeamtin allein nicht automatisch als Anknüpfungspunkt zum Unionsrecht angesehen werden. Denn auch wenn sie als solche in den Anwendungsbereich des Statuts fällt, d. h. eines Rechtsakts, der „in allen [seinen] Teilen verbindlich [ist,] unmittelbar in jedem Mitgliedstaat [gilt]“(22) und die Mitgliedstaaten bindet, „soweit ihre Mitwirkung zu seiner Durchführung notwendig ist“(23), steht gleichwohl fest, dass keine der Bestimmungen des Statuts den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unmittelbar regelt.

30.      Insbesondere lässt sich dem Statut nirgendwo entnehmen, dass es den Mitgliedstaaten verboten ist, das Ruhegehalt, das ein ehemaliger Unionsbeamter von der Union bezieht, für die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift zu berücksichtigen, die zu einer Begrenzung der Pensionsansprüche führt, die dieser Beamte gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats beanspruchen könnte. Vielmehr entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass, auch wenn die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten müssen(24), in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene das Recht eines jeden Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen zum einen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu besteht und zum anderen ein Anspruch auf Leistung gegeben ist(25).

31.      Zwar könnte die Meinung vertreten werden, dass die belgische Regelung dazu führe, dass die Möglichkeit einer Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen gemäß Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts beeinträchtigt werde, da die vor dem Eintritt in den Dienst der Union nach der belgischen Regelung erworbenen Ruhegehaltsansprüche verloren gehen könnten, wenn von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht werde, was diese Möglichkeit de facto unter Verletzung des klaren Wortlauts dieser Bestimmung in eine Verpflichtung verwandele. Frau Wojciechowski rügt im Ausgangsverfahren jedoch, dass ihr keine Ruhestandspension gemäß dem belgischen System für die Zeiten zuerkannt worden sei, in denen sie an dieses System Beiträge geleistet habe, beanstandet aber nicht, dass das Funktionieren des Übertragungsmechanismus beeinträchtigt worden sei, der in der genannten Bestimmung des Statuts vorgesehen ist, die nur eine Umrechnung des Kapitalwerts der nach der nationalen Regelung erworbenen Ruhegehaltsansprüche in Dienstjahre gemäß der Versorgungsordnung der Union ermöglichen soll, worauf Frau Wojciechowski im Übrigen ausdrücklich verzichtet hat.

32.      Somit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit dem ersten Teil seiner Frage wissen möchte, ob die mit den Urteilen Kommission/Belgien (137/80, EU:C:1981:237) und My (C‑293/03, EU:C:2004:821) eingeleitete und vor Kurzem durch das Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) bestätigte Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens anwendbar ist. Nach dieser Rechtsprechung steht die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung, die den Mitgliedstaaten gegenüber der Union obliegt und Ausdruck findet in der in Art. 10 EG (jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV) vorgesehenen Verpflichtung, ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe zu erleichtern, einer nationalen Regelung entgegen, die von der Ausübung einer Berufstätigkeit bei einem Unionsorgan abschrecken kann, indem sie die Einstellung von nationalen Beamten durch dieses erschwert(26).

33.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnten die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung und ihre Anwendung durch das ONP in dem Fall von Frau Wojciechowski gegen diese Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung in der Auslegung und Anwendung dieses Begriffs durch den Gerichtshof in dieser Rechtsprechung verstoßen.

34.      Unter diesen Umständen lässt sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung dieses Teils der Vorlagefrage meiner Meinung nach nicht bestreiten. Diese Zuständigkeit wurde im Übrigen im Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) implizit bejaht, in dem der Gerichtshof eine entsprechende Frage der Cour du travail de Bruxelles zur Anwendung der belgischen Regelung im Bereich des Arbeitslosengelds in einem Rechtsstreit zwischen dem ONP und einem ehemaligen Vertragsbediensteten der Union beantwortete, dem eine Situation zugrunde lag, die wie im Fall von Frau Wojciechowski keine weiteren Anknüpfungspunkte zum Unionsrecht aufwies(27).

35.      Das Vorbringen der belgischen Regierung, dass sich der Ausgangsrechtsstreit von den Rechtsstreitigkeiten, die zu den Urteilen Kommission/Belgien (137/80, EU:C:1981:237) und My (C‑293/03, EU:C:2004:821) geführt hätten, unterscheide, so dass die vom Gerichtshof in diesen Urteilen entwickelten Grundsätze nicht auf die Situation von Frau Wojciechowski übertragbar seien, betrifft die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage in der Sache und kann daher die Zuständigkeit des Gerichtshofs für deren Beantwortung nicht beeinträchtigen.

36.      Was den zweiten Teil der Vorlagefrage anbelangt, die sich auf die Auslegung von Art. 34 der Charta bezieht, bin ich der Ansicht, dass mangels weiterer Anknüpfungspunkte an das Unionsrecht die Anwendung der Charta und damit die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung dieses Teils der Frage nur begründet wären, wenn die oben in Rn. 32 angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Situation von Frau Wojciechowski anwendbar wäre(28).

2.      Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

37.      Für den Fall, dass sich der Gerichtshof für zuständig hält, bestreitet die belgische Regierung die Zulässigkeit der vorgelegten Frage, da diese nach ihrer Ansicht rein hypothetischer Natur ist. Das vorlegende Gericht habe den Gerichtshof aufgrund der nicht durch Tatsachen erhärteten und keinen Bezug zum Ausgangsrechtsstreit aufweisenden Annahme angerufen, dass Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 „die Einstellung von belgischen Beamten mit einem gewissen Dienstalter durch die Europäische Gemeinschaft erschweren könnte“.

38.      Insoweit mag der Hinweis genügen, dass sich die oben in Rn. 32 erwähnte Rechtsprechung im Wesentlichen auf die Feststellung einer Gefahr der Behinderung der Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe durch die Anwendung nationaler Regelungen, die bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern vom Zugang zum europäischen öffentlichen Dienst abschrecken könnten, beschränkt. Mit seiner von der belgischen Regierung abgelehnten Annahme trägt das vorlegende Gericht keineswegs Gesichtspunkte vor, die ohne Bezug zum wirklichen Geschehen des Ausgangssachverhalts sind, sondern stellt sich selbst und dem Gerichtshof lediglich die Frage, ob unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits diese Gefahr gegeben ist und die Voraussetzungen für die Anwendung der oben angeführten Rechtsprechung erfüllt sind.

B –    Zur Beantwortung der Frage

1.      Zum ersten Teil der Vorlagefrage: der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

39.      Mit dem ersten Teil seiner Vorlagefrage will das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit einen Mitgliedstaat daran hindert, eine Ruhestandspension, die einem Lohnempfänger nach den im Einklang mit den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats erbrachten Leistungen zusteht, zu kürzen oder gar zu verweigern, wenn die Summe der in diesem Staat und in den europäischen Organen zurückgelegten Laufbahnjahre die in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegte Laufbahneinheit überschreitet.

a)      Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

40.      Die belgische Regierung macht geltend, der Teil der Frage des vorlegenden Gerichts, der sich auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV beziehe, sei zu verneinen. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in der Auslegung durch den Gerichtshof in den oben in Rn. 32 angeführten Urteilen sei auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar, der nicht die Weigerung nationaler Behörden betreffe, die von einem Arbeitnehmer im Dienst der Union zurückgelegten Laufbahnjahre für die Festsetzung seiner Ruhestandspension gemäß der belgischen Regelung zu berücksichtigen. Diese Laufbahn sei im Fall von Frau Wojciechowski sehr wohl berücksichtigt worden. Art. 4 Abs. 3 EUV begründe eine gegenseitige Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten.

41.      Aber auch wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Ausgangsrechtsstreit anwendbar sein sollte, könne das in den belgischen Rechtsvorschriften vorgesehene Prinzip der Laufbahneinheit diesen Grundsatz nicht beeinträchtigen. Dieser Grundsatz könne nicht dazu führen, dass Personen, die vor der Zurücklegung einer vollständigen Beamtenlaufbahn in der Union Lohnempfänger gewesen seien, gegenüber anderen Arbeitnehmern, insbesondere solchen, die eine gemischte Laufbahn zurückgelegt hätten, bevorzugt würden. Das Prinzip der Laufbahneinheit beruhe auf einem legitimen Grund, nämlich der Eindämmung der Pensionskosten, und auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer, die eine gemischte Laufbahn zurückgelegt hätten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs lasse das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt und in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene sei es Sache eines jeden Mitgliedstaats zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu bestehe und ein Anspruch auf Leistung gegeben sei.

42.      Die Kommission macht geltend, dass die belgischen Behörden, auch wenn die Verordnung Nr. 883/2004 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar gewesen wäre, Frau Wojciechowski nicht den Grundsatz der Laufbahneinheit hätten entgegenhalten dürfen, da dies das Prinzip der Zusammenrechnung der verschiedenen Versicherungszeiten beeinträchtigt habe und dem Sinn und Zweck der Antikumulierungsbestimmungen dieser Verordnung zuwidergelaufen sei(29). Gleiches folge zwingend aus der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit, die Belgien nach Art. 4 Abs. 3 EUV obliege. Zum einen könne der Grundsatz der Laufbahneinheit die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit bei einem Organ der Union hemmen und damit von dieser Tätigkeit abschrecken, da ein Arbeitnehmer, wenn er eine Beschäftigung bei einem solchen Organ annehme, den Schutz gegen die Antikumulierungsregel des belgischen Rechts verlöre. Diese Regel könnte ihm nicht entgegengehalten werden, wenn er sein Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hätte. Zum anderen folge nach der Rechtsprechung aus dem Ziel der Einstellung qualifizierten Personals durch die Organe der Union, bei dessen Verwirklichung die Mitgliedstaaten die Union gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit unterstützten, ein die Rechtsprechung des Gerichtshofs leitender fundamentaler Grundsatz, dem zufolge die Sozialversicherungsansprüche einer Person, die in einem Mitgliedstaat auf nationaler Ebene beschäftigt gewesen sei, sich nicht aufgrund des Umstands verschlechtern dürften, dass diese Person bei den europäischen Organen gearbeitet habe. Nach Ansicht der Kommission lassen die Unterschiede zwischen dem Ausgangsrechtsstreit und dem Rechtsstreit, der zu dem Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821) geführt habe, kein anderes Ergebnis zu als das, zu dem der Gerichtshof in diesem Urteil gekommen sei. Im Übrigen habe die Anwendung von Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 im vorliegenden Fall zur Folge, dass Frau Wojciechowski Sozialbeiträge in das belgische Versorgungssystem gezahlt habe, die verloren seien.

43.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ihren Standpunkt weiter dahin präzisiert, dass die Situation eines Unionsbeamten der eines Wanderarbeitnehmers gleichgestellt werden müsse, auch wenn er nicht von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Die oben in Rn. 32 angeführte Rechtsprechung sei vom Gerichtshof mit dem Ziel entwickelt worden, die Hindernisse zu umgehen, die einer Anwendung der aus den Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer abgeleiteten Grundsätze auf Unionsbeamte eventuell entgegenstünden.

44.      Unter Berufung u. a. auf das Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) und auf die Schlussanträge von Generalanwalt Cruz Villalón in der Rechtssache Časta (C‑166/12, EU:C:2013:443) hat Frau Wojciechowski in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit dem Statut enthalte den Grundsatz, dass die Kontinuität der von einem Unionsbeamten in einem nationalen Sozialversicherungssystem erworbenen Sozialleistungen gewährleistet sein müsse.

b)      Würdigung

45.      Zunächst ist das Vorbringen der belgischen Regierung zurückzuweisen, das sich auf den Gegenseitigkeitscharakter des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit stützt. Wenn ich dieses Vorbringen richtig verstehe, vertritt die Regierung die Ansicht, dass aufgrund dieser Gegenseitigkeit einem Mitgliedstaat weder zum Vorwurf gemacht werden könne, dass er, wie in den Rechtssachen, die zu den Urteilen My (C‑293/03, EU:C:2004:821) und Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) geführt hätten, die Zeit der Beschäftigung eines Arbeitnehmers bei einem Organ der Union für die Festsetzung seiner nach der nationalen Regelung bestehenden Sozialansprüche nicht berücksichtigt habe, noch, dass er diese wie im Ausgangsverfahren berücksichtigt habe.

46.      Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV, wie er im Übrigen ausdrücklich in Unterabs. 1 dieser Bestimmung niedergelegt ist(30), eine gegenseitige Unterstützungspflicht der Union und ihrer Mitgliedstaaten umfasst. Daher kann dieser Grundsatz verletzt sein, wenn eine solche Gegenseitigkeit nicht gewährleistet ist, insbesondere dann, wenn eine Pflicht zur Zusammenarbeit einseitig den Mitgliedstaaten obliegt, oder auch, wenn der Inhalt dieser Verpflichtung so definiert ist, dass in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten eingegriffen wird.

47.      Das ist jedoch im Ausgangsverfahren nicht der Fall.

48.      Hierzu ist festzustellen, dass sich die oben in Rn. 32 angeführte Rechtsprechung grundsätzlich auf jede nationale Regelung oder Praxis bezieht, die die Kontinuität der Sozialrechte der Arbeitnehmer, die einen Teil ihrer Laufbahn in einem Organ der Union zurückgelegt haben, nicht gewährleistet und dadurch vom Eintritt in den Dienst des Organs abschreckt und der Union die Einstellung von Personal erschwert. Da eine solche nationale Regelung oder Praxis allein im Hinblick auf ihre Folgen zu beurteilen ist, können von dieser Rechtsprechung sowohl die Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats erfasst werden, die Zeiten, die ein Arbeitnehmer als Beamter eines Organs der Union zurückgelegt hat, für die Begründung eines vom Sozialversicherungssystem dieses Staates vorgesehenen Rechts zu berücksichtigen, als auch, wie im Fall von Frau Wojciechowski, die Berücksichtigung eben dieser Zeiten für die Kürzung oder sogar den Entzug der Rechte, die der Arbeitnehmer gemäß diesem System erworben hat(31). Dieses Ergebnis folgt aus Sinn und Zweck der oben in Rn. 32 angeführten Rechtsprechung und kann nicht als Missachtung des Gegenseitigkeitscharakters der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit verstanden werden.

49.      Andererseits lässt das Unionsrecht, wie von der belgischen Regierung geltend gemacht, zwar tatsächlich die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt, und in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene ist es auch Sache eines jeden Mitgliedstaats zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit zu gewähren sind, doch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht(32) einschließlich der Grundsätze beachten, die der Gerichtshof in der oben in Rn. 32 angeführten Rechtsprechung aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Statut abgeleitet hat.

50.      Ebenso wenig bin ich von der Ansicht der Kommission überzeugt, dass eine Parallelität zwischen den Lösungen, die sich einerseits aus der Anwendung der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 und andererseits aus der oben in Rn. 32 erwähnten Rechtsprechung des Gerichtshofs über die Anwendung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit ergeben, gewahrt sein müsse(33).

51.      Erstens hat nämlich der Gerichtshof, worauf die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen hat, im Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 42) ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Zeit der Beschäftigung in einem internationalen öffentlichen Dienst wie dem der Union einer im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeit für die Zwecke von Art. 45 AEUV gleichgestellt werden kann, und somit die Situation eines Wanderarbeitnehmers von derjenigen eines Beamten, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, klar unterschieden.

52.      Zweitens entspricht es, wie ich oben in Nr. 27 ausgeführt habe, ständiger Rechtsprechung, dass die Situation von Unionsbeamten nicht unter die auf der Grundlage von Art. 48 AEUV erlassenen Verordnungen zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit fällt, selbst wenn diese Beamten ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben.

53.      Drittens haben, wie der Gerichtshof in den Urteilen Kommission/Luxemburg (315/85, EU:C:1987:569, Rn. 21) und Časta (C‑166/12, EU:C:2013:792, Rn. 30) zu Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts ausgeführt hat, die Bestimmungen des Statuts weder eine Harmonisierung noch eine Koordinierung der verschiedenen nationalen Bestimmungen auf dem Gebiet der Ruhegehälter zum Ziel.

54.      Viertens: Indem die oben in Rn. 32 angeführte Rechtsprechung den Grundsatz aufstellt, dass der Mitgliedstaat, der eine Regelung erlässt, die von der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in einem Organ der Union abschrecken kann, gegen seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, wie sie im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Beamtenstatuts zu verstehen ist, verstößt, zielt diese Rechtsprechung darauf ab, die Hindernisse zu beseitigen, die solche nationalen Regelungen für die Union bei der Einstellung von Personal gemäß dem in Art. 27 Abs. 1 des Statuts(34) genannten Ziel bilden können. Daher kann bei der Anwendung dieser Rechtsprechung in Anbetracht ihres Sinns und Zwecks nicht von einer Prüfung abgesehen werden, die zeigen soll, ob die in Rede stehende Regelung konkret geeignet ist, eine solche Einstellung zu „erschweren“(35).

55.      Nach dieser Feststellung ist nun zu prüfen, ob die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Regelung von der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in einem Organ der Union im Sinne der oben in Rn. 32 angeführten Rechtsprechung abschrecken kann.

56.      Der Gerichtshof hat dazu bekanntlich bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Einstellung von Arbeitnehmern mit einem gewissen Dienstalter durch ein Organ der Union erschweren kann(36), sowie eine nationale Regelung, die die Einstellung von Zeitbediensteten durch eines dieser Organe behindern kann(37), dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen des Statuts zuwiderläuft.

57.      In den Ausgangsverfahren, die zu diesen Entscheidungen geführt haben, wurden die Beschäftigungszeiten im Dienst der Organe der Union für die Begründung eines Rechts auf Leistungen nach dem Sozialversicherungssystem des betreffenden Mitgliedstaats, auf die die betreffende Person einen Anspruch gehabt hätte, wenn sie während dieser Zeiten diesem System angeschlossen gewesen wäre, nicht berücksichtigt. In dem Vorabentscheidungsverfahren, das uns beschäftigt, wurde dagegen die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Union zurückgelegte Laufbahn für die Berechnung ihrer belgischen Ruhestandspension sehr wohl berücksichtigt. Dies allein kann jedoch keine andere Lösung rechtfertigen, sofern diese Berücksichtigung zu demselben Ergebnis führt, nämlich der Herabsetzung oder gar dem Entzug der Pensionsansprüche, die Frau Wojciechowski zulasten des belgischen Systems hätte geltend machen können, wenn sie nicht für ein Organ der Union gearbeitet hätte.

58.      Die Aussicht, diese Vorteile zu verlieren, kann jedoch grundsätzlich einen Arbeitnehmer mit einem nach der belgischen Versorgungsregelung erworbenen gewissen Dienstalter davon abschrecken, eine Beschäftigung bei einem Organ der Union anzunehmen, oder ihn dazu bewegen, aus dem Dienst dort auszuscheiden, bevor er bei diesem Organ eine vollständige Laufbahn zurückgelegt hat. Daher verstößt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung ebenso gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Beamtenstatut wie die Regelungen, um die es in den Rechtssachen ging, die zum Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821) und zum Beschluss Ricci und Pisaneschi (C‑286/09 und C‑287/09, EU:C:2010:420) geführt haben.

59.      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nicht die Anwendung des in Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 vorgesehenen Grundsatzes der Laufbahneinheit an sich ist, die zum Verlust sämtlicher Pensionsansprüche geführt hat, die Frau Wojciechowski hätte geltend machen können, wenn sie während ihrer gesamten Laufbahn der belgischen Versorgungsordnung für Lohnempfänger angeschlossen geblieben wäre, sondern es ist vielmehr die Art und Weise, wie das ONP den Bruch berechnete, der die Höhe des von der Union zu leistenden Ruhegehalts ausdrückt, indem es eine Laufbahn von 35 Jahren in einem Organ der Union einer vollständigen Laufbahn (45/45) im belgischen System gleichstellte. Die Pensionsansprüche der Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß dem belgischen System wären in keiner Weise beeinträchtigt worden, wenn das ONP davon ausgegangen wäre, dass die 35 Jahre, die sie im Dienst der Kommission zurückgelegt hatte, einem Bruch von 35/45 entsprachen, und demzufolge zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass ihre Gesamtlaufbahn 48/45 betrug, so dass die Laufbahneinheit um nur drei Jahre überschritten war. Daher wird der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Beamtenstatut nicht durch das Prinzip der Laufbahneinheit, sondern durch die Methode verletzt, die die belgischen Behörden zur Ermittlung der Entsprechung von belgischer Pension und Ruhegehalt der Union angewandt haben.

60.      In der mündlichen Verhandlung hat die belgische Regierung mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass ein Beamter, der in den Dienst der Union eintrete, gemäß Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts die Möglichkeit habe, in der Zeit zwischen seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit und dem Zeitpunkt, zu dem er den Anspruch auf ein Ruhegehalt im Sinne von Art. 77 des Statuts erwerbe, den bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Übertragung aktualisierten Kapitalwert der Ruhegehaltsansprüche, die er aufgrund der genannten Tätigkeit erworben habe, an die Union zahlen zu lassen. Der Umstand, dass Frau Wojciechowski von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, habe zu dem Verlust ihrer Pensionsansprüche nach dem belgischen System geführt.

61.      Hierzu hat der Gerichtshof, worauf auch die belgische Regierung hingewiesen hat, in dem Urteil Kommission/Belgien (137/80, EU:C:1981:237) zwar festgestellt, dass die Einführung eines Systems der Übertragung von Versorgungsansprüchen zugunsten von Beamten durch die oben genannte Bestimmung des Anhangs VIII des Statuts bezweckte, „das Überwechseln von Tätigkeiten im öffentlichen oder privaten nationalen Bereich zur Gemeinschaftsverwaltung zu erleichtern und so den Gemeinschaften möglichst gute Möglichkeiten zu eröffnen, qualifiziertes und bereits ausreichend berufserfahrenes Personal einzustellen“(38). Jedoch erlaubt die Inanspruchnahme einer solchen Möglichkeit nur, die Zeiten, während deren Beiträge an ein nationales System erbracht wurden, in Dienstjahre nach der Versorgungsordnung der Union umzurechnen. Daraus folgt, dass einem Beamten, der, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, während einer signifikanten Anzahl von Jahren vor der Zurücklegung einer vollständigen Laufbahn in einem Organ der Union Beiträge an das nationale Versorgungssystem geleistet hat, eine solche Übertragung zwar den Vorteil bietet, früher die Höchststufe des von der Union zu zahlenden Ruhegehalts zu erreichen; ihm aber auch die Möglichkeit nimmt, zusätzlich zu diesem Ruhegehalt eine Pension zulasten des nationalen Systems auf der Grundlage der von ihm an dieses System geleisteten Beiträge zu erhalten. Daher kann die Möglichkeit einer solchen Übertragung zwar den Wechsel von einer nationalen Arbeitsstelle zu einer Stelle bei der Union erleichtern, beseitigt aber nicht die Nachteile, die sich für einem solchen Beamten aus der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ergeben. Wie die Kommission zu Recht in der mündlichen Verhandlung angemerkt hat, sieht Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts im Übrigen lediglich eine Möglichkeit zugunsten des Beamten vor, und es ist nicht möglich, den Verlust von Ansprüchen, die der Beamte infolge der an das nationale Sozialversicherungssystem geleisteten Beiträge erworben hat, dem Umstand zuzurechnen, dass er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat.

62.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass auf die Vorlagefrage des Tribunal du travail de Bruxelles, soweit sie sich auf Art. 4 Abs. 3 EUV bezieht, zu antworten ist, dass diese Bestimmung in Verbindung mit dem Statut einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der die Ruhestandspension, die einem Lohnempfänger aufgrund der nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats geleisteten Beiträge zusteht, gekürzt oder gar entzogen wird, wenn die Summe der von diesem Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat und als in diesem Mitgliedstaat verwendeter europäischer Beamter zurückgelegten Laufbahnjahre die Laufbahneinheit überschreitet, weil wegen der Methode zur Berechnung des Bruchs, der die Höhe des von der Union zu zahlenden Ruhegehalts ausdrückt, diese Kürzung größer ist als diejenige, die vorgenommen worden wäre, wenn die Laufbahn dieses Arbeitnehmers in ihrer Gesamtheit von ihm als Lohnempfänger in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat zurückgelegt worden wäre.

63.      Zum Einwand der Kommission wegen der Möglichkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens, sich gegenüber den belgischen Behörden auf die Verpflichtung zu berufen, die den Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Statut obliegt, nämlich der Union die Erfüllung ihrer Aufgabe dadurch zu erleichtern, dass sie nicht durch die Anwendung ihrer Regelungen im Bereich der sozialen Sicherheit von der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in einem der Organe der Union abschrecken, ist zu bemerken, dass der Gerichtshof in den Urteilen My (C‑293/03, EU:C:2004:821) und Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54) implizit anerkannt hat, dass diese Verpflichtung unmittelbare rechtliche Folgen für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Bürgern haben kann. Im Übrigen verweise ich auf die Fußnote auf Seite 26 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Melchior (C‑647/13, EU:C:2014:2301).

2.      Zum zweiten Teil der Vorlagefrage: Art. 34 der Charta

64.      Bei der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die Vorlagefrage ist es, soweit sie den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit betrifft, nicht erforderlich, diese Frage auch im Licht von Art. 34 Abs. 1 der Charta zu prüfen.

65.      Im Übrigen wäre, wenn der Gerichtshof entgegen dem Vorschlag in diesen Schlussanträgen die Auffassung vertreten sollte, dass dieser Grundsatz auf den Ausgangsrechtsstreit keine Anwendung findet, auch die Charta nicht anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung finden die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung(39). Wie der Gerichtshof im Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105) festgestellt hat, sind keine Fallgestaltungen denkbar, die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass diese Grundrechte anwendbar wären. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst daher die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte(40). Wird dagegen eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst, ist der Gerichtshof nicht zuständig, um über sie zu entscheiden, und die eventuell angeführten Bestimmungen der Charta können als solche nicht diese Zuständigkeit begründen(41). Im vorliegenden Fall steht fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, die die Regeln für die Berechnung der Pensionsleistungen für Lohnempfänger festlegt, nicht einen Rechtsakt des sekundären Unionsrechts umsetzt. Darüber hinaus folgt aus den vorstehenden Erwägungen, dass die rechtliche Situation von Frau Wojciechowski einen rein innerstaatlichen Sachverhalt darstellt und nicht unmittelbar von einer Bestimmung des Beamtenstatuts erfasst wird(42). Die Situation von Frau Wojciechowski unterläge also nur dann dem Unionsrecht mit der Folge, dass die Charta anwendbar wäre, wenn der Gerichtshof meinem Vorschlag entsprechend zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit dem Statut auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.

66.      Wenn der Gerichtshof schließlich im Einklang mit dem Vorbringen der Kommission der Ansicht sein sollte, dass dieser Artikel zwar auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, aber von Frau Wojciechowski nicht vor Gericht geltend gemacht werden kann, so ergibt sich aus dem Urteil Association de médiation sociale (C‑176/12, EU:C:2014:2), dass die Charta trotzdem zur Anwendung käme(43). Zu beachten ist allerdings, dass der Gerichtshof in diesem Urteil entgegen seinen Feststellungen in dem Urteil Kücükdeveci (C‑555/07, EU:C:2010:21) zu dem in Art. 21 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatz des Verbots der Diskriminierung wegen Alters die Auffassung vertreten hat, dass Art. 27 der Charta nicht eigenständig vor Gericht geltend gemacht werden kann, da dieser Artikel nur dann seine Rechtswirkungen vollständig entfalten kann, nachdem er durch unionsrechtliche Bestimmungen oder durch nationales Recht präzisiert worden ist.

67.      Zur Beantwortung der Frage verweise ich mutatis mutandis auf meine Erwägungen in den Nrn. 60 bis 62 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Melchior (C‑647/13, EU:C:2014:2301). Ohne die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit Mechanismen zur Begrenzung der Leistungen oder Antikumulierungsregeln vorzusehen, in Frage zu stellen, ist eine nationale Regelung, die in Situationen wie derjenigen des Ausgangsverfahrens dazu führt, dass die Pensionsansprüche, die von einem Lohnempfänger aufgrund der von ihm an das nationale System geleisteten Beiträge erworben wurden, allein deshalb entzogen werden, weil er eine vollständige Laufbahn in einem Organ der Union zurückgelegt hat, die ihm einen Ruhegehaltsanspruch zu dessen Lasten für einen anderen Zeitraum als den eröffnet, in dem er an das nationale System Beiträge geleistet hat, meines Erachtens mit den in Art. 34 der Charta niedergelegten Grundsätzen nicht vereinbar.

V –    Ergebnis

68.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Tribunal du travail de Bruxelles wie folgt zu antworten:

Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit dem Statut der Beamten der Europäischen Union, das durch die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind, errichtet und durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1080/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 geändert wurde, steht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach der die Ruhestandspension, die einem Lohnempfänger aufgrund der nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats geleisteten Beiträge zusteht, gekürzt oder gar entzogen wird, wenn die Summe der von diesem Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat und als in diesem Mitgliedstaat verwendeter europäischer Beamter zurückgelegten Laufbahnjahre die Laufbahneinheit überschreitet, weil wegen der Methode zur Berechnung des Bruchs, der die Höhe des von der Union zu zahlenden Ruhegehalts ausdrückt, diese Kürzung größer ist als diejenige, die vorgenommen worden wäre, wenn die Laufbahn dieses Arbeitnehmers in ihrer Gesamtheit von ihm als Lohnempfänger in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat zurückgelegt worden wäre.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 56, S. 1.


3 – ABl. L 311, S. 1, berichtigt im ABl. 2012, L 144, S. 48.


4Moniteur belge vom 27. Oktober 1967, S. 11246.


5 –      Eingefügt durch Art. 2 des Königlichen Erlasses Nr. 205 vom 29. August 1983 zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Ruhestandspensionen im Sozialbereich (Moniteur belge vom 6. September 1983, S. 11096).


6Moniteur belge vom 27. Oktober 1983, S. 13650.


7 – Im Sinne von Art. 1 Buchst. b des Königlichen Erlasses vom 14. Oktober 1983 ergibt sich der umgerechnete Betrag aus der Multiplikation der aufgrund einer anderen Regelung gewährten Pension mit der Umkehrung des Bruchs gemäß Art. 10bis Abs. 2 des Königlichen Erlasses Nr. 50, d. h. der Umkehrung des Bruchs, der die Höhe der aufgrund der anderen Regelung bezogenen Pension ausdrückt. Wenn die Höhe dieser Pension nicht bekannt ist, wird gemäß einer Verwaltungspraxis bis zum Nachweis des Gegenteils angenommen, dass der umgerechnete Betrag dem 2,5-Fachen des Pauschalbetrags entspricht.


8 – Unter Pauschalbetrag sind 75 % des neu bewerteten Pauschallohns zu verstehen, der für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer während eines Jahres vor dem 1. Januar 1955 (Art. 1 Buchst. c des Königlichen Erlasses vom 14. Oktober 1983) berücksichtigt wurde.


9 – Art. 10bis Abs. 1 und Art. 3 Abs. 4 des Königlichen Erlasses vom 14. Oktober 1983.


10 – Den Akten ist zu entnehmen, dass im Jahr 2006 und im Jahr 2007 auf Ersuchen von Frau Wojciechowski verschiedene belgische Auskunftsdienste die ihr im Falle einer Nichtanwendung von Art. 10bis des Königlichen Erlasses Nr. 50 zustehende Pension auf ungefähr 200 Euro veranschlagt hatten.


11 – Gemäß Königlichem Erlass vom 14. Oktober 1983.


12 – Frau Wojciechowski erhob ebenfalls eine als Widerklage qualifizierte Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Verlusts von 10/45 ihrer Pension seit deren Gewährung und von 13/45 seit Juli 2013 wegen Fehlverhaltens des ONP.


13 – ABl. 1971, L 149, S. 2.


14 – ABl. L 166, S. 1.


15 – Sie stützt sich insbesondere auf die Urteile Lustig (C‑244/97, EU:C:1998:619, Rn. 30 und 31), Larsy (C‑118/00, EU:C:2001:368), Tomaszewska (C‑440/09, EU:C:2011:114, Rn. 30 und 31) sowie Bourgès-Maunoury und Heintz (C‑558/10, EU:C:2012:418, Rn. 33).


16 – Vgl. insbesondere Urteile Echternach und Moritz (389/87 und 390/87, EU:C:1989:130, Rn. 11), Schmid (C‑310/91, EU:C:1993:221, Rn. 20) und Ferlini (C‑411/98, EU:C:2000:530, Rn. 42).


17 – Vgl. Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 42).


18 –      In der mündlichen Verhandlung erklärte der Vertreter von Frau Wojciechowski, dass sie während der ersten zwei Jahre ihrer Laufbahn bei der Kommission in Luxemburg eingesetzt gewesen sei. Da dieser Umstand nicht in der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts enthalten ist und sich auch nicht aus den nationalen Akten ergibt, kann er vom Gerichtshof in seiner Antwort auf die Vorlagefrage nicht berücksichtigt werden.


19 – Vgl. Urteil Uecker und Jacquet (C‑64/96 und C‑65/96, EU:C:1997:285, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20 – Vgl. Urteile Ferlini (C‑411/98, EU:C:2000:530, Rn. 41), My (C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 35) und Beschluss Ricci und Pisaneschi (C‑286/09 und C‑287/09, EU:C:2010:420, Rn. 26).


21 – Vgl. In diesem Sinne Urteil Johannes (C‑430/97, EU:C:1999:293, Rn. 26 bis 29). In diesem Fall ging es um die Feststellung, ob das Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 6 des EG-Vertrags dem entgegensteht, dass das Recht eines Mitgliedstaats, das die Folgen der Scheidung eines Beamten der Gemeinschaften und seiner ehemaligen Ehefrau regelt, dazu führt, dass dieser Beamter aufgrund seiner Staatsangehörigkeit höhere Belastungen zu tragen hat als ein Beamter mit einer anderen Staatsangehörigkeit in derselben Situation. Der Gerichtshof wies daraufhin, dass sich dieses Verbot auf den Anwendungsbereich des Vertrags beschränkt, und kam zu dem Ergebnis, dass weder die nationalen Bestimmungen des internationalen Privatrechts, die das auf die Ehescheidungsfolgen anwendbare nationale materielle Recht bestimmen, noch die nationalen privatrechtlichen Bestimmungen, die die materiell-rechtliche Regelung der Scheidungsfolgen enthalten, in diesen Anwendungsbereich fallen. Der Gerichtshof hat sich jedoch für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht für unzuständig erklärt, sondern hat diese Frage verneint.


22 – Vgl. Art. 11 der Verordnung Nr. 259/68.


23 – Vgl. insbesondere Urteile Kommission/Belgien (137/80, EU:C:1981:237, Rn. 8) und Kristiansen (C‑92/02, EU:C:2003:652, Rn. 32).


24 – Vgl. insbesondere Urteil Kommission/Portugal (C‑255/09, EU:C:2011:695, Rn. 47 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25 – Vgl. u. a. Urteil Kristiansen (C‑92/02, EU:C:2003:652, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54, Rn. 26).


27 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in dieser Rechtssache (C‑647/13, EU:C:2014:2301, Nrn. 15 ff.).


28 – Ich darf insoweit auf die Nrn. 57 bis 59 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Melchior (C‑647/13, EU:C:2014:2301) verweisen.


29 – Die Kommission stützt sich insbesondere auf das Urteil Larsy (C‑118/00, EU:C:2001:368).


30 – Dieser Absatz stellt eine Neuerung gegenüber Art. 10 EG dar. Bereits im Rahmen dieser Bestimmung und zuvor des Art. 5 EG-Vertrag hatte der Gerichtshof jedoch den Gegenseitigkeitscharakter der Verpflichtung der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und Einrichtungen der Union anerkannt; vgl. in diesem Sinne Beschluss Zwartveld u. a. (C‑2/88 IMM, EU:C:1990:440, Rn. 17 bis 21), Urteile First und Franex (C‑275/00, EU:C:2002:711, Rn. 49), Irland/Kommission (C‑339/00, EU:C:2003:545, Rn. 71) und Deutschland/Kommission (C‑344/01, EU:C:2004:121, Rn. 79 bis 81). Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Tizzano in der Rechtssache Irland/Kommission (C‑339/00, EU:C:2003:70, Nr. 73).


31 – Die belgische Regierung kann sich zur Stützung ihrer Argumentation nicht auf das Urteil Časta (C‑166/12, EU:C:2013:792) – das u. a. die Auslegung des Grundsatzes der Zusammenarbeit in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts betraf – und insbesondere nicht auf dessen Rn. 36 berufen, wo der Gerichtshof feststellte, dass nur dann, wenn die Modalitäten der Berechnung des Kapitalwerts der im nationalen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüche, die gemäß diesem Artikel auf das System der Union zu übertragen sind, „in erheblichem Maß zum Vorteil oder zum Nachteil des Beamten von der Natur der Grundsätze und der Bestimmungen des nationalen Rentensystems abweichen, … die Gefahr [besteht], dass die Regelung des betreffenden Mitgliedstaats ein Hemmnis für die durch Art. 45 AEUV gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer bildet oder die Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt“ (Hervorhebung nur hier). Denn abgesehen davon, dass sich schwerlich begreifen lässt, inwiefern die Anwendung der Berechnungsmodalitäten, die dem Arbeitnehmer bei seinem Wechsel in den Dienst der Union zum Vorteil gereichen, die Freizügigkeit behindern könnte oder als Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit angesehen werden könnte, kann diese Randnummer nach meiner Meinung nicht in dem von der belgischen Regierung gewünschten Sinne als ein Verweis auf den Gegenseitigkeitscharakter der Pflicht zu der in Art. 4 Abs. 3 EUV vorgeschriebenen loyalen Zusammenarbeit und als Beschränkung der Anwendung der oben in Rn. 32 angeführten Rechtsprechung verstanden werden. In Wirklichkeit wird in diesem Urteil diese Rechtsprechung wegen des fehlenden Nachweises, dass die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Berechnungsmodalitäten den Unionsbeamten diskriminieren, als nicht einschlägig angesehen (vgl. insbesondere neben der vorgenannten Rn. 36 die Rn. 38 des Urteils Časta, C‑166/12, EU:C:2013:792).


32 – Vgl. insbesondere in diesem Sinne Urteile Kristiansen (C‑92/02, EU:C:2003:652, Rn. 31), Elchinov (C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 40) und Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54, Rn. 21).


33 – Zu beachten ist jedoch, dass die Übernahme dieser Ansicht den unbestreitbaren Vorteil hätte, dass die Lage eines Unionsbeamten, der auf einem Dienstposten in einem anderen Mitgliedstaat als in seinem Herkunftsstaat verwendet wird, derjenigen eines Beamten, der zu keiner Zeit seinen Herkunftsstaat verlassen hat, angeglichen wird.


34 – Gemäß dieser Bestimmung ist „[b]ei der Einstellung … anzustreben, dem Organ die Mitarbeit von Beamten zu sichern, die in Bezug auf Befähigung, Leistung und Integrität höchsten Ansprüchen genügen; sie sind unter den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union auf möglichst breiter geografischer Grundlage auszuwählen“.


35 – Vgl. zuletzt Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54, Rn. 27).


36 – In Fällen, in denen aufgrund der Anwendung dieser Regelung ein Arbeitnehmer, der früher einem nationalen Versorgungssystem angeschlossen war, durch die Annahme einer Stelle bei einem Organ der Union Gefahr liefe, eine Altersleistung nach diesem System nicht mehr in Anspruch nehmen zu können, auf die er einen Anspruch gehabt hätte, wenn er diese Stelle nicht angenommen hätte, vgl. Urteil My (C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 45 bis 48) und Beschluss Ricci und Pisaneschi (C‑286/09 und C‑287/09, EU:C:2010:420, Rn. 28 bis 34).


37 – Vgl. Urteil Melchior (C‑647/13, EU:C:2015:54, Rn. 27). In dem Urteil Thitier (C‑333/88, EU:C:1990:131, Rn. 16) hat es der Gerichtshof dagegen ausgeschlossen, dass der Verlust einer in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Steuervergünstigung, auf die die Bediensteten und die Beamten der Gemeinschaft keinen Anspruch haben, vom Eintritt in den Dienst der Gemeinschaftsorgane oder vom weiteren Verbleib in diesem Dienst abhalten und damit die Arbeit dieser Organe beeinträchtigen könnte. In gleicher Weise habe ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Gysen (C‑449/06, EU:C:2007:663, Nrn. 54 bis 61) eine solche Abschreckungswirkung einer nationalen Regelung verneint, nach der bei der Gewährung von Familienzulagen für die unterhaltsberechtigten Kinder eines Selbständigen durch die zuständige innerstaatliche Stelle ein Kind dieses Selbständigen, für das Familienzulagen aufgrund des Statuts gezahlt wurden, für die Bestimmung des Rangs der anderen Kinder dieses Selbständigen, der nach dieser Vorschrift die Höhe der für diese Letzteren zu zahlenden Familienzulagen beeinflusste, nicht berücksichtigt wurde.


38 – Vgl. Rn. 11.


39 – Vgl. Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19). Vgl. auch Urteil Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 33).


40 – Vgl. Urteile Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 21) und Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 34).


41 – Vgl. Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 22).


42 – Vgl. oben, Nrn. 26 bis 31.


43 – Vgl. Rn. 30 bis 41 des Urteils.