Language of document : ECLI:EU:T:1999:156

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

19. Juli 1999 (1)

„Beschluß 94/90/EGKS, EG, Euratom über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten - Versagung des Zugangs - .Urheberregel' - Ausschüsse im Sinne des .Komitologie'-Beschlusses“

In der Rechtssache T-188/97

Rothmans International BV, früher Rothmans Group Holdings BV, Gesellschaft niederländischen Rechts, mit Sitz in Amsterdam, Prozeßbevollmächtigter: Solicitor Scott Crosby, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Victor Elvinger, 31, rue d'Eich, Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Königreich Schweden, zunächst vertreten durch Erik Brattgård, dann durch Anders Kruse, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Schwedische Botschaft, 2, rue Heinrich Heine, Luxemburg,

Streithelfer,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Ulrich Wölker und Carmel O'Reilly, dann durch Ulrich Wölker und Xavier Lewis, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission, mit der der Klägerin der Zugang zu den Protokollen des Ausschusses für den Zollkodex verweigert wird,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy, J. Pirrung, A. W. H. Meij und M. Vilaras,

Kanzler: H. Jung

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 1999,

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1.
    In die Schlußakte des am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrages über die Europäische Union nahmen die Mitgliedstaaten folgende Erklärung (Nr. 17) zum Recht auf Zugang zu Informationen (im folgenden: Erklärung Nr. 17) auf:

„Die Konferenz ist der Auffassung, daß die Transparenz des Beschlußverfahrens den demokratischen Charakter der Organe und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung stärkt. Die Konferenz empfiehlt daher, daß die Kommission dem Rat spätestens 1993 einen Bericht über Maßnahmen vorlegt, mit denen die den Organen vorliegenden Informationen der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden sollen.“

2.
    Die Kommission richtete am 5. Mai 1993 aufgrund der Erklärung Nr. 17 die Mitteilung 93/C 156/05 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, die sich im Besitz der Gemeinschaftsorgane befinden (ABl. C 156, S. 5), an den Rat, das Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß. Am 2. Juni 1993 legte sie die Mitteilung 93/C 166/04 zur Transparenz in der Gemeinschaft vor (ABl. C 166, S. 4).

3.
    Der Rat und die Kommission billigten im Rahmen der vorbereitenden Schritte zur Verwirklichung des Grundsatzes der Transparenz am 6. Dezember 1993 einen Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten (ABl. L 340, S. 41; im folgenden: Verhaltenskodex), durch den die Grundsätze für den Zugang zu den Dokumenten des Rates und der Kommission festgelegt wurden.

4.
    Die Kommission nahm diesen Verhaltenskodex für ihren Zuständigkeitsbereich durch den Beschluß 94/90/EGKS, EG, Euratom vom 8. Februar 1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten (ABl. L 46, S. 58) an.

5.
    In dem von der Kommission angenommenen Verhaltenskodex wird folgender allgemeiner Grundsatz aufgestellt:

„Die Öffentlichkeit erhält möglichst umfassenden Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates.“

6.
    Der Ausdruck „Dokument“ bezeichnet nach dem Verhaltenskodex „unabhängig vom Datenträger jedes im Besitz der Kommission oder des Rates befindliche Schriftstück mit bereits vorhandenen Informationen“.

7.
    Der Verhaltenskodex bestimmt unter dem Titel „Bearbeitung der Erstanträge“ im dritten Absatz (im folgenden: Urheberregel):

„Ist der Urheber des Dokuments, das sich im Besitz eines Organs befindet, eine natürliche oder juristische Person, ein Mitgliedstaat, ein anderes Gemeinschaftsorgan oder eine andere Gemeinschaftsinstitution oder eine sonstige einzelstaatliche oder internationale Organisation, so ist der Antrag direkt an den Urheber des Dokuments zu richten.“

8.
    Die Umstände, auf die sich ein Gemeinschaftsorgan zur Rechtfertigung der Ablehnung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten berufen kann, werden im vierten Titel des Verhaltenskodex, „Regelung der Ausnahmen“, aufgeführt:

„Die Organe verweigern den Zugang zu Dokumenten, wenn sich durch deren Verbreitung eine Beeinträchtigung ergeben könnte in bezug auf

-    den Schutz des öffentlichen Interesses (öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen, Währungsstabilität, Rechtspflege, Inspektionstätigkeiten);

-    den Schutz des einzelnen und der Privatsphäre;

-    den Schutz des Geschäfts- und Industriegeheimnisses;

-    den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft;

-    die Wahrung der Vertraulichkeit, wenn dies von der natürlichen oder juristischen Person, die die Information zur Verfügung gestellt hat, beantragt wurde oder aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der die Information bereitgestellt hat, erforderlich ist.

Die Organe können ferner den Zugang verweigern, um den Schutz des Interesses des Organs in bezug auf die Geheimhaltung seiner Beratungen zu gewährleisten.“

Sachverhalt

9.
    Die Klägerin ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts, die zu dem multinationalen Rothmans-Konzern gehört, dessen Haupttätigkeit in der Herstellung, dem Vertrieb und dem Verkauf von Tabakwaren, insbesondere Zigaretten, besteht.

10.
    Die Klägerin ersuchte die Kommission mit Schreiben vom 23. Januar 1997 um Zugang zu bestimmten Dokumenten, u. a. den Protokollen des Ausschusses für den Zollkodex - Abteilung Transit (im folgenden: Ausschuß) ab dem 4. April 1995.

11.
    Am 21. Februar 1997 teilte der Generaldirektor der Generaldirektion Steuern und Zollunion (GD XXI) der Klägerin mit, ihr Antrag werde so schnell wie möglich bearbeitet, aufgrund der Anzahl und Art der erbetenen Dokumente würde bis zu einer Antwort aber wahrscheinlich mehr als ein Monat vergehen.

12.
    Die Klägerin ersuchte den Generaldirektor mit Schreiben vom 26. Februar 1997 um Bestätigung, daß dem Antrag auf Zugang nach Artikel 2 Nr. 2 des Beschlusses 94/90 stattgegeben worden sei und die angekündigte Frist von einem Monat nur notwendig sei, um die Dokumente zusammenzustellen.

13.
    Da sie keine Antwort erhielt, ersuchte die Klägerin den Generalsekretär der Kommission mit Schreiben vom 14. März 1997 um eine Überprüfung im Sinne des Artikels 2 Nr. 2 des Beschlusses 94/90.

14.
    Der Generalsekretär antwortete der Klägerin am 24. April 1997, daß ihr Antrag so bald wie möglich bearbeitet würde, daß bis zu einer Antwort aber wahrscheinlich mehr als ein Monat vergehen würde.

15.
    Die Klägerin machte mit Schreiben vom 25. April 1997 geltend, der Antrag auf Überprüfung müsse als abgelehnt angesehen werden, da der Generalsekretär ihn nicht binnen eines Monats beantwortet habe.

16.
    Der Generalsekretär übermittelte der Klägerin mit Schreiben vom 30. April 1997 einige Dokumente der Kommission, lehnte aber den Antrag auf Übermittlung der Protokolle des Ausschusses ab, da die Kommission nicht deren Urheber sei. Er wies zudem auf die Vertraulichkeit der Arbeiten des Ausschusses nach dessen Geschäftsordnung hin.

17.
    Die Klägerin bat den Generalsekretär am 6. Mai 1997 um Bestätigung, daß es sich bei den übermittelten Dokumenten um alle Unterlagen handele, in die Einsicht genommen werden könne, um Mitteilung, wer Urheber der Protokolle des Ausschusses sei, und um Übermittlung der Geschäftsordnung des Ausschusses.

18.
    Das Generalsekretariat bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 15. Mai 1997, daß es ihr alle der GD XXI vorliegende Dokumente außer den Protokollen des Ausschusses überlassen habe. Diese Protokolle nehme die Kommission zwar als Sekretär auf, der Ausschuß aber nehme sie an und sei daher ihr Urheber. Das Generalsekretariat lehnte es ab, der Klägerin die Geschäftsordnung des Ausschusses auszuhändigen, weil die Kommission nicht deren Urheber sei. Schließlich wiederholte es, daß die Arbeiten des Ausschusses nach dieser Geschäftsordnung vertraulich seien.

19.
    Die Klägerin bat die Zollbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 30. Mai 1997 um Zugang zu den fraglichen Verhandlungsprotokollen. Bei Klageerhebung lagen ihr sieben Antworten vor. Zwei davon bestätigten nur den Erhalt ihrer Anfrage, die fünf anderen lehnten ihr Ersuchen, hauptsächlich unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Arbeiten des Ausschusses, ab.

Verfahren

20.
    Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 24. Juni 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

21.
    Das Königreich Schweden hat mit Schriftsatz, der am 25. November 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, seine Zulassung als Streithelfer zurUnterstützung der Anträge der Klägerin beantragt. Der Präsident der Ersten Kammer hat diesem Antrag mit Beschluß vom 12. Dezember 1997 stattgegeben.

22.
    Das Gericht hat die Rechtssache mit Beschluß vom 11. November 1998 an die Erste erweiterte Kammer verwiesen.

23.
    Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Das Gericht hat die Beklagte und den Rat jedoch im Rahmen der prozeßleitenden Maßnahmen aufgefordert, bestimmte Fragen vor der mündlichen Verhandlung schriftlich zu beantworten. Die Beklagte und der Rat sind dem fristgerecht nachgekommen.

24.
    Die Kommission hat in ihrer Antwort vom 13. November 1998 auf die schriftlichen Fragen des Gerichts bestätigt, daß sie der Klägerin am 20. November 1997 bestimmte Dokumente übermittelt habe, die sie ihr zuvor versehentlich nicht zugesandt habe. Sie hat erklärt, keine weiteren einschlägigen Unterlagen mehr zu besitzen.

25.
    In der Sitzung vom 19. Januar 1999 haben die Parteien mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

26.
    Die Klägerin beantragt,

-    die Entscheidung der Kommission vom 15. Mai 1997, hilfsweise, die Entscheidung der Kommission vom 30. April 1997, mit der diese der Klägerin den Zugang zu bestimmten Dokumenten verweigert hat, für nichtig zu erklären;

-    der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

27.
    Die Kommission beantragt,

-    die Klage abzuweisen;

-    der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

28.
    Das Königreich Schweden als Streithelfer beantragt, die Entscheidung der Kommission vom 15. Mai 1997 für nichtig zu erklären.

Zum Streitgegenstand

29.
    Auf die Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin bestätigt, daß aufgrund der Antwort der Kommission vom 13. November 1998 Streitgegenstand ausschließlich die Protokolle des Ausschusses seien.

30.
    Da die Klägerin beantragt, die Entscheidung vom 15. Mai 1997 und, hilfsweise, die Entscheidung vom 30. April 1997 aufzuheben, ist zu bestimmen, welche der beiden Maßnahmen verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen der Klägerin durch einen Eingriff in ihre Rechtsstellung beeinträchtigen können (siehe z. B. Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-154/94, CSF und CSME/Kommission, Slg. 1996, II-1377, Randnr. 37).

31.
    Das Schreiben vom 15. Mai 1997 bestätigt nur die Entscheidung vom 30. April 1997, mit der die Übermittlung der Protokolle des Ausschusses abgelehnt wurde. In dem Schreiben wird zwar auch erwähnt, daß der Klägerin die Geschäftsordnung des Ausschusses nicht ausgehändigt werde, doch diese gehört nicht zu den streitigen Dokumenten. Schließlich enthält das Schreiben auch einige Erläuterungen und zusätzliche Auskünfte.

32.
    Somit ist allein die Entscheidung vom 30. April 1997 (im folgenden: angefochtene Entscheidung) anfechtbar im Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG).

33.
    Ferner ist weder der Klageschrift noch der Erwiderung zu entnehmen, ob die Klägerin die Rechtwidrigkeit der Urheberregel (siehe oben Randnr. 7) geltend macht. In der mündlichen Verhandlung ist festgestellt worden, daß sie dies nicht tut.

Zur Begründetheit

34.
    Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Klagegründe: Verletzung des Artikels 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG) und Verletzung des Beschlusses 94/90.

Zum ersten Klagegrund: Verletzung des Artikels 190 EG-Vertrag

35.
    Die Klägerin macht geltend, die angefochtene Entscheidung weise einen Begründungsfehler auf, der zur Aufhebung der Entscheidung führen müsse.

36.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen die tragenden Gründe der getroffenen Maßnahme erkennen und so ihre Rechte wahrnehmen können und daß dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Rechtmäßigkeit ermöglicht wird (siehe Urteil des Gerichts vom 6. Februar 1998 in der Rechtssache T-124/96, Interporc/Kommission, Slg. 1998, II-231, Randnr. 53).

37.
    Im vorliegenden Fall begründete die Kommission die angefochtene Entscheidung mit der Urheberregel sowie damit, daß sich daraus die Unzulässigkeit des Antrags der Klägerin ergebe, da ein Dritter Urheber der erbetenen Dokumente sei. Diese Begründung weist dem Betroffenen mit hinreichender Klarheit auf, warum die Kommission ihm die streitigen Dokumente nicht übermittelt hat.

38.
    Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Verletzung des Beschlusses 94/90

Vorbringen der Parteien

39.
    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe dadurch, daß sie den Zugang zu den Protokollen des Ausschusses unter Berufung auf die Urheberregel abgelehnt habe, die Bestimmungen des Beschlusses 94/90 verletzt.

40.
    Die Kommission nehme die Protokolle des Ausschusses auf und sei mit dieser redaktionellen Arbeit inhaltlich und geistig Urheber dieser Dokumente. Daß der Ausschuß diese Dokumente annehme, mache ihn noch nicht zum Urheber.

41.
    Außerdem diene die Urheberregel dazu, Unterlagen Dritter zu schützen. Vorsitzender des Ausschusses sei ein Beamter der Kommission. Weiterhin berufe ein Vertreter der Kommission den Ausschuß ein, stelle die Tagesordnung auf, verteile die Dokumente an die Mitglieder und nehme die Sekretariatsaufgaben wahr. Schließlich sei der Schriftverkehr für den Ausschuß an die Kommission zu Händen des Ausschußvorsitzenden zu richten.

42.
    Die Kommission bestreitet, der Klägerin den Zugang zu den Protokollen des Ausschusses verweigert zu haben. Sie habe der Klägerin in ihrem Schreiben vom 30. April 1997 lediglich mitgeteilt, daß es sich bei den Protokollen des Ausschusses nicht um „Dokumente der Kommission“ handele.

43.
    Kraft der Urheberregel werde zwischen dem Inhaber eines Dokuments und seinem Urheber unterschieden. Der Beschluß 94/90 sei nur auf Dokumente anwendbar, deren Urheber die Kommission sei. Es handele sich um eine conditio sine qua non für die Zulässigkeit eines Antrags auf Zugang. Im vorliegenden Fall habe die Kommission nur die Unzulässigkeit des Antrags auf Zugang zu den Protokollen des Ausschusses festgestellt.

44.
    Die Kommission bestreitet, Urheber der Protokolle zu sein. Zwar nehme sie die Sekretariatsaufgaben des Ausschusses wahr und nehme in dieser Eigenschaft den Sitzungsinhalt in die Protokolle auf. Jedoch mache sie diese technische Arbeit allein nicht zum Urheber. Dieser werde vielmehr durch die „geistige Inhaberschaft“ des Schriftstücks bestimmt. Der Ausschuß nehme die Protokolle an und sei, auch nach Auffassung der Klägerin, allein für sie verantwortlich. Die Kommission könne daher nicht geistiger Urheber dieser Dokumente sein.

45.
    Außerdem stelle der Ausschuß nicht nur eine Einrichtung der Kommission dar. Diese Auffassung verkenne Rolle, Funktion und Stellenwert der Ausschüsse im Sinne des „Komitologie“-Beschlusses im institutionellen Rahmen der Gemeinschaft.

46.
    Nach den Bestimmungen des Beschlusses 87/373/EWG des Rates vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 197, S. 33, im folgenden: Komitologiebeschluß) unterstützten die nach diesem Beschluß eingerichteten Ausschüsse die Kommission, wenn sie Maßnahmen zur Durchführung der ihr vom Rat übertragenen Befugnisse erlasse. Aus der Verwendung des Wortes „unterstützen“ folge, daß diese Ausschüsse nicht als Teil der Kommission selbst angesehen werden könnten.

47.
    Der Ausschuß für den Zollkodex bestehe aus Vertretern der Mitgliedstaaten; er sei nicht von der Kommission, sondern durch die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) eingesetzt worden. Die Anrufung dieses Ausschusses sei eine wesentliche Verfahrensvoraussetzung, deren Verletzung einen Verfahrensfehler darstelle, der die Aufhebung der so angenommenen Maßnahmen rechtfertigen könne.

48.
    Nach Auffassung der schwedischen Regierung kann der Beschluß 94/90 Dritten Rechte verleihen, die die Kommission zu beachten habe (Urteil des Gerichts vom 5. März 1997 in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313, Randnr. 55).

49.
    Die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse unterstützten die Kommission bei der Ausübung der ihr vom Rat übertragenen Zuständigkeiten. Sie seien daher unter dem Gesichtspunkt der Organisation und Verwaltung als Teil der Kommission anzusehen.

50.
    Betrachte man die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse als völlig eigenständige Einrichtungen, fielen die Dokumente dieser Ausschüsse außerdem nicht in den Anwendungsbereich der Regelungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten der Kommission und des Rates. Ein einzelner, der Zugang zu den Arbeiten dieser Ausschüsse begehre, wäre ohne Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung auf deren Ermessen angewiesen. Diese Auslegung vereitele den Grundsatz der Transparenz und widerspreche daher der Absicht der Unterzeichner der Erklärung Nr. 17 sowie der Verfasser der Erklärungen des Europäischen Rates von Birmingham und Edinburgh 1992 (Bull. EG 10-1992, S. 9, und Bull. EG 12-1992, S. 7) und von Kopenhagen 1993 (Bull. EG 6-1993, S. 16).

51.
    Die Aufnahme der Protokolle des Ausschusses gehöre zu den Tätigkeiten der Kommission. Somit müsse diese das Ersuchen der Klägerin auf seine Begründetheit prüfen und entscheiden, ob die erbetenen Dokumente übermittelt werden könnten.

52.
    Die Klägerin trägt hilfsweise vor, aus den Schreiben vom 30. April 1997 und 15. Mai 1997 ergebe sich, daß die Kommission den Beschluß 94/90 und den Verhaltenskodex dadurch verletzt habe, daß sie diesen Zugang unter Berufung auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Ausschusses über die Vertraulichkeit seiner Arbeiten versagt habe, ohne die jeweiligen Interessen der Parteien zu prüfen.

Würdigung des Gerichts

53.
    Die Erklärung Nr. 17 und der Verhaltenskodex legen den allgemeinen Grundsatz fest, daß die Öffentlichkeit weitestmöglichen Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates haben soll; der Beschluß 94/90 verleiht den Bürgern das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates (Urteil WWF UK/Kommission, Randnr. 55).

54.
    Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz müssen eng ausgelegt und angewandt werden, um Raum für die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes zu lassen (siehe die Urteile WWF UK/Kommission, Randnr. 56, und Interporc/Kommission, Randnr. 49).

55.
    Die Urheberregel stellt, unabhängig von ihrer Qualifizierung, eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz der Transparenz des Beschlusses 94/90 dar. Sie muß folglich eng ausgelegt und angewandt werden, um Raum für die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes zu lassen.

56.
    Im Licht dieser Erwägungen ist das Vorbringen zu prüfen, die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse seien vollkommen eigenständig und unabhängig, so daß die streitigen Dokumente keine Dokumente der Kommission darstellten.

57.
    Die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse beruhen auf Artikel 145 EG-Vertrag (jetzt Artikel 202 EG), wonach der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der vom Rat erlassenen Vorschriften übertragen kann. Diese Ausschüsse setzen sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen; Vorsitzender ist ein Vertreter der Kommission.

58.
    Nach dem Komitologiebeschluß unterstützen die danach eingerichteten Ausschüsse, wie der Ausschuß über den Zollkodex, die Kommission bei Ausübung der ihr übertragenen Aufgaben. Die Kommission nimmt nach dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Ausschusses dessen Sekretariatsaufgaben wahr und damit die Protokolle des Ausschusses auf, die dieser annimmt. Außerdem verfügt dieser Ausschuß, wie die anderen nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse, weder über eine Verwaltung noch über ein Budget, Archive, Räumlichkeiten oder auch nur eine eigene Anschrift.

59.
    Daher kann der Ausschuß nicht als ein „anderes Gemeinschaftsorgan oder eine andere Gemeinschaftsinstitution“ im Sinne des durch den Beschluß 94/90 angenommenen Verhaltenskodex angesehen werden. Da der Ausschuß auch keine natürliche oder juristische Person, kein Mitgliedstaat und keine sonstige einzelstaatliche oder internationale Organisation darstellt, gehört er nicht zu den im Kodex aufgezählten Urhebergruppen.

60.
    Der Rat hat auf Frage des Gerichts bestätigt, daß die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse keine Arbeitsgruppen zu seiner Unterstützung seien, sondern vielmehr der Kommission bei der Ausübung der ihr übertragenen Zuständigkeiten helfen sollen. Außerdem verfüge er nur ausnahmsweise über Abschriften der Dokumente dieser Ausschüsse. Folglich seien die Protokolle eines nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschusses keine Dokumente des Rates. Er sei daher nicht dafür zuständig, Zugang zu den Protokollen zu gewähren. Schließlich sei ein Ersuchen um Zugang zu den Protokollen eines nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschusses an die Kommission zu richten, da diese ihm vorstehe und die Sekretariatsaufgaben wahrnehme.

61.
    Außerdem würde das Recht auf Zugang zu Dokumenten, dessen Bedeutung der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-58/94 (Niederlande/Rat, Slg. 1996, I-2169) und das Gericht zuletzt in seinem Urteil vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache T-174/95 (Svenska Journalistförbundet/Rat, Slg. 1998, II- 2289) bekräftigt haben, beträchtlich eingeschränkt, wenn der Zugang zu den Protokollen der zahlreichen nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse abgelehnt würde. Eine solche Einschränkung ist mit dem Zweck des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten nicht vereinbar.

62.
    Aus diesen Gründen sind die nach dem Komitologiebeschluß eingerichteten Ausschüsse im Hinblick auf die Gemeinschaftsregelung über den Zugang zu Dokumenten als Teil der Kommission anzusehen. Damit hat die Kommission über Anträge auf Zugang zu den Dokumenten dieser Ausschüsse, wie den streitigen Protokollen, zu entscheiden.

    

63.
    Die Kommission durfte den Zugang zu den Protokollen des Ausschusses im vorliegenden Fall folglich nicht unter Berufung auf die Urheberregel des Verhaltenskodex des Beschlusses 94/90 ablehnen. Mit der angefochtenen Entscheidung hat sie somit diesen Beschluß verletzt.

64.
    Folglich ist dem zweiten Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne daß der Hilfsantrag der Klägerin geprüft werden müßte.

Kosten

65.
    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

66.
    Nach Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich trägt das Königreich Schweden, das dem Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Klägerin beigetreten ist, seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Entscheidung der Kommission vom 30. April 1997, mit der der Zugang zu den Protokollen des Ausschusses über den Zollkodex abgelehnt wird, wird für nichtig erklärt.

2.    Die Kommission trägt außer ihren eigenen Kosten die Kosten der Klägerin.

3.    Das Königreich Schweden trägt seine eigenen Kosten.

Vesterdorf
Bellamy
Pirrung

            Meij                    Vilaras

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Juli 1999.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf


1: Verfahrenssprache: Englisch.