URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
11. März 1999 (1)
„EGKS-Vertrag Wettbewerb Vereinbarungen zwischen Unternehmen
Informationsaustauschsystem Geldbuße Zurechenbarkeit der
Zuwiderhandlung“
In der Rechtssache T-134/94
NMH Stahlwerke GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Sulzbach-Rosenberg, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Paul B. Schäuble, München,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Ernest Arendt, 8-10, rue Mathias
Hardt, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Julian
Currall und Norbert Lorenz, beide Juristischer Dienst, sowie durch
Géraud Sajust de Bergues, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, dann
durch Jean-Louis Dewost, Generaldirektor des Juristischen Dienstes, Julian Currall
und Guy Charrier, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als
Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Heinz-Joachim Freund,
Frankfurt am Main, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
hauptsächlich wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der
Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen
Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters C. W. Bellamy in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten sowie der Richter A. Potocki und J. Pirrung,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23.,
24., 25., 26. und 27. März 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
A Vorbemerkungen
- 1.
- Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS
der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des
EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von
europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1; im folgenden: Entscheidung oder
angefochtene Entscheidung) gerichtet, mit der die Kommission die gegen Artikel 65
§ 1 EGKS-Vertrag verstoßende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen
und einem ihrer Wirtschaftsverbände an einer Reihe von Vereinbarungen,
Beschlüssen und verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Preisen, zur
Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem
Trägermarkt der Gemeinschaft feststellte und gegen vierzehn Unternehmen aus
dieser Branche Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988
und dem 31. Dezember 1990 festsetzte.
- 2.
- Randnummer 11 Buchstabe f der Entscheidung enthält folgende Angaben zur
Klägerin:
„Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH (im folgenden .Neue Maxhütte' genannt)
wurde 1988 gemeinsam vom Freistaat Bayern (der damals 45 % der Anteile hielt),
von der Thyssen Stahl AG (5,5 %), der Thyssen Edelstahlwerke AG (5,5 %), der
Lech-Stahlwerke GmbH (11 %), der Krupp Stahl AG (11 %), der Klöckner Stahl
GmbH (11 %) und der Mannesmannröhren-Werke AG (11 %) gegründet. Die
Gesellschaft übernahm den Hauptteil der Aktiva der am 16. April 1987 in Konkurs
gegangenen Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte mbH. 1991 betrug ihr Umsatz
226 Millionen DM. Das Unternehmen ist jetzt als NMH Stahlwerke GmbH
bekannt.“
- 3.
- Zehn weitere Adressaten der Entscheidung, und zwar Eurofer ASBL (im
folgenden: Eurofer; Rechtssache T-136/94), ARBED SA (im folgenden: ARBED;
Rechtssache T-137/94), Cockerill-Sambre SA (im folgenden: Cockerill-Sambre;
Rechtssache T-138/94), Thyssen Stahl AG (im folgenden: Thyssen; Rechtssache
T-141/94), Unimétal Société française des aciers longs SA (im folgenden:
Unimétal; Rechtssache T-145/94), Krupp Hoesch Stahl AG (im folgenden: Krupp
Hoesch; Rechtssache T-147/94), Preussag Stahl AG (im folgenden: Preussag;
Rechtssache T-148/94), British Steel plc (im folgenden: British Steel; Rechtssache
T-151/94), Siderúrgica Aristrain Madrid SL (im folgenden: Aristrain; Rechtssache
T-156/94) und Empresa Nacional Siderúrgica SA (im folgenden: Ensidesa;
Rechtssache T-157/94) haben ebenfalls vor dem Gericht Klage erhoben.
- 4.
- Da die elf Rechtssachen durch Beschluß des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zu
gemeinsamer Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung verbunden worden
sind, wird im vorliegenden Urteil auf einige in Parallelsachen vorgelegte Unterlagen
Bezug genommen. Ferner wird, da die Klägerinnen in diesen Rechtssachen einige
Argumente im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen
Verhandlung vorgetragen haben, von „Klägerinnen“ gesprochen.
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
- 5.
- Ab 1974 wurde die europäische Stahlindustrie hart von einem Nachfragerückgang
getroffen, der zu einem Überangebot und Überkapazitäten und damit zu niedrigen
Preisen führte. Ab 1977 ergriff die Kommission verschiedene Maßnahmen, um
diese Lage zu meistern (vgl. das Urteil vom heutigen Tag in der Rechtssache
T-141/94, Thyssen/Kommission, Randnrn. 5 bis 7).
- 6.
- Da sich die Lage auf dem Stahlmarkt weiter verschlechterte, erließ die Kommission
die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 zur Einführung eines
Systems von Erzeugungsquoten für Stahl für die Unternehmen der Stahlindustrie
(ABl. L 291, S. 1). In dieser Entscheidung stellte die Kommission eine
offensichtliche Krise im Sinne von Artikel 58 EGKS-Vertrag fest und schrieb für
die meisten Stahlerzeugnisse einschließlich der Träger verbindliche
Produktionsquoten vor.
- 7.
- Dieses Quotensystem wurde sodann u. a. durch die Festsetzung von Mindestpreisen
(Entscheidung Nr. 3715/83/EGKS der Kommission vom 23. Dezember 1983 zur
Festsetzung von Mindestpreisen für bestimmte Stahlerzeugnisse, ABl. L 373, S. 1)
sowie ab 1984 durch eine Politik der Stabilität der herkömmlichen Handelsströme
(vgl. die Entscheidung Nr. 234/84/EGKS der Kommission vom 31. Januar 1984 zur
Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für
bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie, ABl. L 29, S. 1)
vervollständigt. Bei der Bewältigung der Krise stützte sich die Kommission
weitgehend auf Eurofer, eine Wirtschaftsvereinigung, deren Gründung sie 1977
unterstützt hatte. Eurofer war namentlich mit der Aufteilung der von der
Kommission auf Gemeinschaftsebene für jedes Unternehmen festgelegten
Produktions- und Lieferquoten („I-Quoten“) in Lieferquoten für die einzelnen
nationalen Märkte („i-Quoten“) betraut.
- 8.
- Die Kommission bereitete ab 1985 die Beendigung der Krisenregelung und die
Rückkehr zu normalen Marktbedingungen vor. Die Krisenregelung endete bei
Trägern offiziell am 30. Juni 1988 (vgl. Urteil Thyssen/Kommission, Randnrn. 17
bis 31).
- 9.
- Ab diesem Zeitpunkt nahm die Kommission bis zum 30. Juni 1990 eine
Marktüberwachung vor und erließ dazu u. a. die Entscheidung Nr. 2448/88/EGKS
vom 19. Juli 1988 zur Einführung eines Überwachungssystems für bestimmte
Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 212, S. 1). Im Rahmen
dieser Politik gab es weiterhin regelmäßige enge Kontakte zwischen den
Unternehmen und der Generaldirektion Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft
der Kommission (GD III) (vgl. Urteil Thyssen/Kommission, Randnrn. 34 und 35).
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
- 10.
- Am 16., 17. und 18. Januar 1991 ließ die Kommission aufgrund von
Einzelentscheidungen gemäß Artikel 47 des Vertrages in den Geschäftsräumen von
sieben Unternehmen und zwei Unternehmensverbänden Nachprüfungen
vornehmen. Weitere Nachprüfungen wurden am 5., 7. und 25. März 1991
vorgenommen. Von verschiedenen beteiligten Unternehmen und
Unternehmensverbänden wurden zusätzliche Auskünfte erteilt, die die Kommission
gemäß Artikel 47 des Vertrages verlangt hatte.
- 11.
- Die Kommission richtete an die betroffenen Unternehmen und Verbände, zu
denen auch die Klägerin gehörte, am 6. Mai 1992 eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben vom 2. Juli 1992.
- 12.
- Die Parteien hatten außerdem bei einer Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar
1993 in Brüssel stattfand, die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen. Die
Klägerin nahm daran nicht teil.
- 13.
- Am 15. Februar 1994, einen Tag vor dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung,
wurden die Verhandlungen zwischen der Kommission und Vertretern der
Stahlindustrie über die Umstrukturierung dieser Industrie durch freiwillige
Verringerung der Produktionskapazitäten erfolglos abgebrochen.
- 14.
- Nach dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission (Vor- und Nachmittag), das
die Beklagte auf Ersuchen des Gerichts vorgelegt hat, wurde die Entscheidung am
Nachmittag des 16. Februar 1994 endgültig erlassen.
- 15.
- Am Mittag des 16. Februar 1994 veranstaltete Herr Van Miert, das für
Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission, eine Pressekonferenz, bei
der er bekanntgab, daß die Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe,
und die Höhe der gegen die Klägerinnen British Steel, Preussag und ARBED
festgesetzten Geldbußen mitteilte. Diese Angaben entsprachen nicht den in der
Entscheidung genannten Beträgen. Er erläuterte ferner einige bei der Festsetzung
der Geldbußen herangezogene Kriterien und beantwortete Fragen der Journalisten.
Er bestritt u. a. jeden Zusammenhang zwischen dem Erlaß der Entscheidung und
dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die freiwillige Verringerung der
Produktionskapazitäten am Vortag.
- 16.
- Am 24. Februar 1994 warfen bei einer Debatte im Europäischen Parlament einige
Abgeordnete die Frage auf, welche Gründe die Kommission dazu veranlaßt hätten,
die Entscheidung einen Tag nach dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die
Umstrukturierung der Stahlindustrie zu erlassen. Herr Van Miert verteidigte den
Standpunkt der Kommission und wies darauf hin, daß es sich dabei um zwei
getrennte Vorgänge handele.
D Die angefochtene Entscheidung
- 17.
- Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin am 3. März 1994 zusammen mit
einem Begleitschreiben von Herrn Van Miert vom 28. Februar 1994 (im folgenden:
Schreiben vom 28. Februar 1994) zuging, enthält folgenden verfügenden Teil:
„Artikel 1
Die folgenden Unternehmen haben in dem in dieser Entscheidung beschriebenen
Umfang an den jeweils unter ihrem Namen aufgeführten wettbewerbswidrigen
Praktiken teilgenommen, die den normalen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt
verhinderten, einschränkten und verfälschten. Soweit Geldbußen festgesetzt werden,
ist die Dauer des Verstoßes in Monaten angegeben, außer im Fall der
Aufpreisharmonisierung, wo die Teilnahme an dem Verstoß mit .x' angegeben ist.
...
Neue Maxhütte
a) Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der
Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung
(Monitoring-Systeme)
(27)
...
Artikel 2
Eurofer hat gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag verstoßen, indem sie den Austausch
vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern
begangenen Verstößen nach Artikel 1 organisierte.
Artikel 3
Die in den Artikeln 1 und 2 genannten Unternehmen und Unternehmensverbände
stellen die in den Artikeln 1 und 2 genannten Verstöße, soweit noch nicht bereits
geschehen, ab. Zu diesem Zweck unterlassen sie es, die in Artikel 1 bzw. 2
genannten Handlungen oder Verhaltensweisen zu wiederholen oder fortzusetzen
und Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen.
Artikel 4
Wegen der in Artikel 1 genannten und nach dem 30. Juni 1988 (31. Dezember
1988(2) im Fall von Aristrain und Ensidesa) begangenen Verstöße werden folgende
Geldbußen festgesetzt:
...
NMH Stahlwerke GmbH
150 000 ECU
...
Artikel 6
Diese Entscheidung ist an folgende Unternehmen gerichtet:
...
NMH Stahlwerke GmbH
...“
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
- 18.
- Die vorliegende Klage wurde mit Klageschrift erhoben, die am 31. März 1994 bei
der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist.
- 19.
- Mit Schreiben an die Kanzlei vom 7. September 1994 hat Aristrain, die Klägerin
in der Rechtssache T-156/94, die Frage aufgeworfen, ob die Kommission im
vorliegenden Fall ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des
Gerichtshofes (im folgenden: Artikel 23) hinsichtlich der Übersendung der
Vorgänge erfüllt hat. Die zur Stellungnahme zu diesem Ersuchen aufgeforderteKommission hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1994 im wesentlichen geantwortet,
daß sie der Ansicht ist, den Anforderungen von Artikel 23 genügt zu haben.
- 20.
- Die Kanzlei des Gerichts hat die Kommission mit Schreiben vom 25. Oktober 1994
aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus Artikel 23 nachzukommen. Mit
Begleitschreiben vom 24. November 1994 hat die Kommission bei der Kanzlei
insgesamt etwa 11 000 die Entscheidung betreffende Schriftstücke eingereicht; in
diesem Schreiben hat die Kommission u. a. geltend gemacht, daß Schriftstücke, die
Geschäftsgeheimnisse enthielten, sowie ihre eigenen internen Unterlagen den
betroffenen Unternehmen nicht zugänglich gemacht werden sollten.
- 21.
- Im Anschluß an eine informelle Zusammenkunft mit den Parteien am 14. März
1995 hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) die Parteien mit Schreiben der
Kanzlei vom 30. März 1995 ersucht, schriftlich zu den aufgeworfenen Fragen der
Vertraulichkeit sowie zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen Stellung zu
nehmen. In Anbetracht der Unvollständigkeit der Antworten der Parteien hat das
Gericht mit Schreiben der Kanzlei vom 21. Juli 1995 (25. Juli im Fall von British
Steel) einen zweiten Fragenkatalog an sie gerichtet. Ferner hat es die Beklagte
aufgefordert, zu einem neuen Antrag von British Steel vom 14. Juli 1995 Stellung
zu nehmen.
- 22.
- In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts, die zwischen dem 6. und dem 15.
September 1995 eingegangen sind, haben die Klägerinnen u. a. ihre Anträge auf
Einsicht in die internen Unterlagen der Kommission anhand einer Liste dieser
Unterlagen konkretisiert, die einem Schreiben der Kommission an das Gericht vom
25. Juni 1995 beigefügt war.
- 23.
- Durch Beschluß vom 19. Juni 1996 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1996, II-537; im folgenden:
Beschluß vom 19. Juni 1996) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer, der der
Berichterstatter inzwischen zugeteilt worden war) über das Recht der Klägerinnen
auf Einsicht in die von der Beklagten übersandten Aktenstücke entschieden, die
zum einen von den Klägerinnen selbst und zum anderen von nicht an den
vorliegenden Verfahren beteiligten Dritten stammen und in deren Interesse von der
Kommission als vertraulich eingestuft wurden. Das Gericht hat sich dagegen die
Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der
Beklagten als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in diesen Akten sowie
über ihre Anträge auf Beibringung von in diesen Akten nicht enthaltenen
Unterlagen vorbehalten und die Beklagte zugleich aufgefordert, ausführlich und
konkret anzugeben, aus welchen Gründen bestimmte, von ihr als „intern“
eingestufte Schriftstücke in diesen Akten ihrer Ansicht nach den Klägerinnen nicht
übermittelt werden können.
- 24.
- Die Beklagte ist dieser Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 11., 12. und
13. September 1996 nachgekommen. In den gleichen Schreiben hat sie
vorgeschlagen, alle Rechtssachen gemäß Artikel 14 der Verfahrensordnung des
Gerichts an das Plenum des Gerichts zu verweisen. Die um Stellungnahme zu
diesem Antrag ersuchten Klägerinnen haben dem Gericht zwischen dem 4. und
dem 18. Oktober 1996 schriftlich geantwortet. Die Klägerinnen in den
Rechtssachen T-134/94, T-137/94, T-138/94, T-148/94, T-151/94 und T-157/94 haben
sich gegen eine solche Verweisung ausgesprochen.
- 25.
- Durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2293; im folgenden:
Beschluß vom 10. Dezember 1997) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer)
über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als
„intern“ eingestuften Unterlagen entschieden und angeordnet, daß bestimmte dem
Gericht gemäß Artikel 23 übersandte Unterlagen über die Kontakte zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in dem in der Entscheidung bei der Festlegung der
Höhe der Geldbußen herangezogenen Zeitraum der Zuwiderhandlung sowie
bestimmte Unterlagen der Generaldirektion Auswärtige Beziehungen (GD I) über
Kontakte zwischen der Kommission und einigen nationalen skandinavischen
Behörden zu den Akten der Rechtssache genommen werden. Ferner hat das
Gericht die Erhebung einiger Beweise angeordnet und der Kommission aufgegeben,
ihre eigenen Protokolle oder Vermerke über Treffen der GD III mit Vertretern der
Stahlindustrie zwischen Juli 1988 und November 1990 vorzulegen. Schließlich hat
das Gericht die Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer Beweiserhebung
und mündlicher Verhandlung angeordnet, ohne sie an das Plenum zu verweisen.
- 26.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen und den Parteien gemäß Artikel 64 der
Verfahrensordnung einige schriftliche Fragen zu stellen. Mit Schreiben der Kanzlei
vom 26. November 1997 hat es u. a. die Beklagte gebeten, sich zur Berechnung des
in bezug auf die Klägerin angesetzten Zuwiderhandlungszeitraums von 27 Monaten
sowie zu dem genauen Datum zu äußern, ab dem die Eisenwerk-Gesellschaft
Maximilianshütte mbH ihrer Ansicht nach nicht mehr bestand (siehe oben,
Randnrn. 2 ff.). Außerdem hat es die Beklagte gebeten, das endgültige Protokoll
der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 (Vormittag und Nachmittag)
vorzulegen, soweit es den Erlaß der angefochtenen Entscheidung betrifft. Im
gleichen Schreiben hat das Gericht die Kommission ferner gebeten, für jede
Klägerin und für die Unternehmen Norsk Jernverk et Inexa Profil AB anzugeben,
welchen Umsatz sie bei der Festsetzung der Geldbuße jedes Unternehmens
herangezogen hat;
welche unterschiedlichen Prozentsätze sie auf die Umsätze angewandt hat,
um die Geldbuße jedes betroffenen Unternehmens zu berechnen;
welche Argumente oder Erwägungen sie im einzelnen bei jedem
Unternehmen hinsichtlich der verschiedenen erschwerenden oder
mildernden Umstände berücksichtigt hat, um zum Endbetrag der Geldbuße
zu gelangen.
- 27.
- Die Beklagte hat auf diese Fragen des Gerichts mit Schreiben vom 21. Januar 1998
geantwortet, das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist. Mit diesem
Schreiben hat sie dem Gericht zwei Schriftstücke übermittelt, die mit „Projet de
procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel)
le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Protokolls der
1189. Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar
1994 [Vormittag und Nachmittag]) und „Projet de procès-verbal spécial de la
1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16
février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Sonderprotokolls der 1189.
Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar 1994
[Vormittag und Nachmittag]) überschrieben sind, und vorgetragen, diese beiden
Schriftstücke fielen unter das Beratungsgeheimnis und dürften den Klägerinnen
nicht zugänglich gemacht werden.
- 28.
- Am 14. Januar 1998 hat das Gericht eine informelle Sitzung mit den Parteien
durchgeführt, um den reibungslosen Ablauf der mündlichen Verhandlung zu
planen. Es hat den Parteien u. a. mitgeteilt, daß sie in dem in den Beschlüssen vom
19. Juni 1996 und vom 10. Dezember 1997 genannten Umfang und in der von der
Kanzlei festzulegenden Weise Anspruch auf Einsicht in die ihm gemäß Artikel 23
übermittelten Akten haben. Es hat die Parteien überdies gebeten, ihm nach der
Einsichtnahme in die Akten mitzuteilen, auf welche zusätzlichen Unterlagen sie im
einzelnen in der mündlichen Verhandlung eingehen möchten.
- 29.
- Die Klägerinnen ARBED, Aristrain, Cockerill-Sambre, British Steel, Ensidesa,
Preussag und Unimétal haben die genannten Akten des Gerichts eingesehen und
eine Kopie der Unterlagen erhalten, die sie für ihre Verteidigung zu benötigen
glaubten. Mit Schreiben vom 9. Februar 1998 hat Ensidesa zu einigen der
fraglichen Unterlagen Stellung genommen.
- 30.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 30. Januar 1998 hat das Gericht der Kommission
und Eurofer einige zusätzliche Fragen zu dem von Eurofer eingeführten und in der
Entscheidung unter dem Namen „Fast Bookings“ beschriebenen System des
monatlichen Informationsaustauschs über Bestellungen und Lieferungen gestellt.
Sie haben darauf mit Schreiben vom 17. und vom 23. Februar 1998 geantwortet.
- 31.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 6. Februar 1998 hat das Gericht der Beklagten
außerdem einige ergänzende Fragen zu der im vorliegenden Fall angewandten
Berechnungsmethode der Geldbußen gestellt, auf die sie mit Schreiben vom 23.
Februar 1998 geantwortet hat, das am 24. Februar 1998 bei der Kanzlei
eingegangen ist.
- 32.
- Durch Beschluß vom 16. Februar 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte
Kammer) angeordnet, nur das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangene,
mit „Projet de procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à
Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“
überschriebene Schriftstück zu den Akten der Rechtssache zu nehmen und den
Klägerinnen zuzuleiten.
- 33.
- Mit Schreiben vom 13. und vom 19. Februar 1998 haben die Klägerinnen
gemeinsame Anträge gestellt, mit denen sie die Erhebung von Beweisen,
insbesondere zur Berechnung der Geldbußen, und die Vorlage von Unterlagen
über den Erlaß der Entscheidung begehren. Die Kommission hat darauf mit
Schreiben vom 2. März 1998 geantwortet.
- 34.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 11. März 1998 hat das Gericht die Beklagte
gebeten, ihre Antworten vom 21. Januar 1998 und vom 23. Februar 1998 auf die
Fragen des Gerichts dadurch zu vervollständigen, daß sie für jede Klägerin die
genauen arithmetischen Berechnungen angibt, anhand deren konkret nachvollzogen
werden kann, wie die Bußgeldbeträge ermittelt wurden, und das endgültige
Protokoll der Sitzung der Kommission (Vormittag und Nachmittag), in der die
angefochtene Entscheidung erlassen wurde, sowie dessen Anlagen, soweit sie diese
Entscheidung betreffen, vorzulegen. Die Beklagte hat darauf mit Schreiben vom 19.
März 1998 geantwortet und bei der Kanzlei das endgültige Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 sowie dessen Anlagen eingereicht.
- 35.
- Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Ortún und
Herrn Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Kutscher, einen
ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den Kontakten zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in der Zeit vom 1. Juli 1988 bis Ende 1990 zu
vernehmen, die bei der Bußgeldbemessung als Zeitraum der Zuwiderhandlung
zugrunde gelegt wurde.
- 36.
- In der Sitzung, die vom 23. bis zum 27. März 1998 stattfand, haben die Parteien
mündlich verhandelt und Fragen der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts,
bestehend aus dem Präsidenten A. Kalogeropoulos sowie den Richtern C. P. Briët,
C. W. Bellamy, A. Potocki und J. Pirrung, beantwortet. Die Klägerinnen haben zu
einigen Punkten gemeinsame mündliche Ausführungen gemacht. Das Gericht hat
Professor Steindorff, den ehemaligen Generalsekretär der deutschen Delegation bei
den Verhandlungen vor der Unterzeichnung des EGKS-Vertrags, als
Sachverständigen gehört. Das Gericht hat ferner Herrn Ortún, Herrn
Vanderseypen und Herrn Kutscher sowie auf Antrag von Preussag zwei ihrer
Mitarbeiter, Herrn Mette und Herrn Kröll, als Zeugen vernommen. Dem Gericht
wurde außerdem eine von Aristrain vorgelegte Videoaufzeichnung der
Pressekonferenz von Herrn Van Miert am 16. Februar 1994 vorgeführt.
- 37.
- In der Sitzung wurde, entweder auf Ersuchen des Gerichts oder mit seiner
Zustimmung, eine Reihe neuer Unterlagen eingereicht.
- 38.
- Die mündliche Verhandlung wurde am Ende der Sitzung vom 27. März 1998
geschlossen. Da zwei Mitglieder der Kammer nach dem Ablauf ihrer Amtszeit am
17. September 1998 nicht mehr an den Beratungen teilnehmen konnten, wurden
die Beratungen des Gerichts gemäß Artikel 32 der Verfahrensordnung von den drei
Richtern fortgesetzt, deren Unterschrift das vorliegende Urteil trägt.
- 39.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung in den sie betreffenden Artikeln 1, 3, 4 und 5 aufzuheben;
hilfsweise, die gemäß Artikel 4 der Entscheidung in bezug auf sie
festgesetzte Geldbuße herabzusetzen;
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 40.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
- 41.
- Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
beruft sich die Klägerin in ihrer Klageschrift auf mehrere Argumente, aus denen
sie einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages ableitet. Ferner hat sie in der
mündlichen Verhandlung mehrere Argumente vorgetragen, nach denen im
Verwaltungsverfahren wesentliche Formvorschriften verletzt worden sein sollen.
Zunächst ist das zuletzt genannte Vorbringen zu prüfen.
A Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 42.
- In der mündlichen Verhandlung sind bei einer gemeinsamen Stellungnahme im
Namen aller Klägerinnen folgende Rügen vorgetragen worden, die die Verletzung
wesentlicher Formvorschriften während des Verfahrens zum Erlaß der
Entscheidung betreffen.
- 43.
- Die Klägerinnen weisen zunächst darauf hin, daß Herr Van Miert in der von ihm
am Mittag des 16. Februar 1994 veranstalteten Pressekonferenz fälschlich
behauptet habe, daß die Entscheidung bereits erlassen worden sei, und daß er
überdies in bezug auf einige Geldbußen falsche Zahlen genannt habe (vgl.
Anhang 1 der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94). Die Pressemitteilungen
der Kommission, die vor dem Erlaß der Entscheidung vorbereitet worden seien,
hätten ebenfalls Fehler enthalten, u. a. hinsichtlich der Identität der Unternehmen,
gegen die eine Geldbuße festgesetzt worden sei.
- 44.
- Unter diesen Umständen erheben die Klägerinnen unter Berufung auf das Urteil
des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P
(Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-Urteil) und die
Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89,
T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89,
T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89 (BASF u. a./Kommission,
Slg. 1995, II-729, Randnrn. 114 und 119; im folgenden: LDPE-Urteil) und vom 29.
Juni 1995 in der Rechtssache T-31/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1821,
Randnr. 50) vier Hauptvorwürfe.
- 45.
- Erstens sei das nach Artikel 5 der damals geltenden Geschäftsordnung der
Kommission vom 17. Februar 1993 (93/492/Euratom, EGKS, EWG, ABl. L 230,
S. 15; im folgenden: Geschäftsordnung von 1993) erforderliche Quorum von neun
anwesenden Mitgliedern der Kommission nicht erreicht worden. Auch wenn aus
Seite 2 des Protokolls der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994
hervorzugehen scheine, daß beim Erlaß der Entscheidung am Nachmittag (Punkt
XXV, S. 43) neun Mitglieder anwesend gewesen seien, ergebe sich aus der Liste
der Personen, die „in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission“ an der Sitzung
teilgenommen hätten, auf Seite 40 des Protokolls, daß bei diesem Teil der Sitzung
in Wirklichkeit nur sechs Kommissionsmitglieder anwesend gewesen seien. Wegen
der Nichterreichung des Quorums habe gemäß Artikel 6 der Geschäftsordnung von
1993 keine gültige Abstimmung über den Erlaß der Entscheidung stattfinden
können.
- 46.
- Zweitens sei die Entscheidung von der Kommission nicht in der den Klägerinnen
notifizierten Form erlassen worden. Es sei zumindest nicht möglich, den genauen
Inhalt der Entscheidung zu ermitteln, die die Kommission am 16. Februar 1994
habe erlassen wollen.
- 47.
- Nach dem Protokoll der Sitzung (S. 43) habe die Kommission „die in dem
Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen
Sprachen“ genehmigt, während die den Klägerinnen notifizierte Entscheidung das
Aktenzeichen K(94) 321 endg. trage. Überdies gebe es nach der dem Gericht
gemäß Artikel 23 im Anhang des Schreibens der Kommission vom 27. Juni 1995
übermittelten Liste interner Unterlagen eine weitere Fassung der Entscheidung, die
das Aktenzeichen K(94) 321/4 und das Datum des 25. Februar 1994 trage.
- 48.
- Außerdem bestünden gewisse Zweifel hinsichtlich der verschiedenen Fassungen der
Entscheidung, die im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom 11. März 1998
bei der Kanzlei eingereicht worden seien. Abgesehen davon, daß nur die spanische
und die italienische Fassung die Angabe „verbindliche Fassung“ auf ihrem
Deckblatt trügen, schienen die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 aus
mehreren gesondert ausgearbeiteten Schriftstücken zu bestehen, die
unterschiedliche Schrifttypen aufwiesen und nicht einheitlich durchnumeriert seien.
- 49.
- Nachdem sich die Kommission in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt hat,
die Vertraulichkeit der internen Unterlagen über den Erlaß der Entscheidung
aufzuheben, die sich in den Ordnern 57, 58 und 61 der dem Gericht gemäß Artikel
23 übermittelten Akten befinden, sehen die Rechtsanwälte der Klägerinnen ihre
Zweifel durch die Entdeckung einer Reihe von Unterschieden zwischen den
internen Unterlagen in diesen Ordnern und den Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 bestätigt, die in einer in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt sind. Außerdem bestünden erhebliche Unterschiede zwischen der
Unterlage im Aktenordner 61 der Kommission, bei der es sich um das von der
Kommission in ihrer Vormittagssitzung vom 16. Februar 1994 geprüfte Schriftstück
K(94) 321/1 handele, und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3. Diese
Unterschiede sind in einer zweiten in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt. Schließlich seien an der italienischen Fassung des Schriftstücks
K(94) 321/2 nach dem Eingang eines Telefax des Übersetzungsdienstes der
Kommission am 16. Februar 1994 zwischen 17 Uhr 09 und 17 Uhr 14, also nach
dem Schluß der Sitzung um 16 Uhr 25, einige manuelle Änderungen vorgenommen
worden.
- 50.
- Drittens seien weder die Fassung K(94) 321 endg. noch die Fassungen K(94) 321/2
und K(94) 321/3 der Entscheidung gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung von
1993 festgestellt worden. Keine dieser Fassungen sei dem Protokoll im Sinne dieser
Bestimmung, die eine körperliche Verbindung verlange, beigefügt worden.
Außerdem würden im Protokoll die ihm beigefügten Unterlagen nicht erwähnt.
- 51.
- Von einer Feststellung des Protokolls gemäß den Artikeln 9 und 16 der
Geschäftsordnung von 1993 könne jedenfalls deshalb nicht ausgegangen werden,
weil auf dem Deckblatt die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs fehlten.
- 52.
- Viertens enthalte das Protokoll nicht das Datum, an dem es vom Präsidenten und
vom Generalsekretär der Kommission unterschrieben worden sei, so daß nicht
davon ausgegangen werden könne, daß es zum Zeitpunkt seiner Genehmigung
festgestellt worden sei.
- 53.
- Schließlich bitten die Klägerinnen das Gericht, Beweisbeschlüsse zu erlassen, die
es ihnen ermöglichen sollen, das in den Archiven der Kommission befindliche
Original des Protokolls einzusehen, und mit denen sich, z. B. anhand der
Terminkalender der Kommissionsmitglieder und anderer vergleichbarer Unterlagen,
klären lasse, welche Kommissionsmitglieder beim Erlaß der Entscheidung in der
Nachmittagssitzung des 16. Februar 1994 tatsächlich anwesend gewesen seien.
Würdigung durch das Gericht
Zulässigkeit
- 54.
- Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift nicht geltend gemacht, daß beim Erlaß der
Entscheidung Verfahrensfehler begangen worden seien. Das Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 und seine Anlagen sind jedoch erst während
des Verfahrens im Anschluß an Beweiserhebungen und prozeßleitende
Maßnahmen des Gerichts zutage getreten. Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung
schließt neue Angriffsmittel nicht aus, sofern sie auf solche Gründe gestützt werden.
Folglich ist der vorliegende Klagegrund zulässig.
Die Nichterreichung des Quorums
- 55.
- Der durch Artikel H Nummer 2 des Vertrages über die Europäische Union
eingefügte Artikel 13 Absatz 1 EGKS-Vertrag sieht vor, daß die Beschlüsse der
Kommission mit der Mehrheit der Anzahl ihrer damals 17 Mitglieder gefaßt
werden. Gemäß Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages kann die Kommission nur dann
wirksam tagen, wenn die in ihrer Geschäftsordnung festgesetzte Anzahl von
Mitgliedern anwesend ist.
- 56.
- Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993 lautet: „Die Kommission ist
beschlußfähig, wenn die Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der
Mitglieder anwesend ist.“ Folglich lag das Quorum für die Beschlußfähigkeit der
Kommission in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1994 bei neun anwesenden
Mitgliedern.
- 57.
- In Artikel 6 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Kommission beschließt auf
Vorschlag eines oder mehrerer ihrer Mitglieder. Die Kommission nimmt auf Antrag
eines ihrer Mitglieder eine Abstimmung vor. Dabei wird über den ursprünglichen
Vorschlag oder über einen von dem oder den zuständigen Mitglied(ern) oder dem
Präsidenten geänderten Vorschlag abgestimmt. Die Beschlüsse der Kommission
werden mit der Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder
gefaßt.“ Auch daraus folgt, daß die Beschlüsse der Kommission damals der
Zustimmung von neun ihrer Mitglieder bedurften.
- 58.
- Aus dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel am 16. Februar
1994 (im folgenden: Protokoll), das dem Gericht auf seine Ersuchen vom 27.
November 1997 und vom 11. März 1998 übersandt wurde, geht hervor, daß diese
Sitzung in zwei Teilen am Vormittag und am Nachmittag stattfand. Punkt XVII des
Protokolls, der am Vormittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XVII. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(K[94] 321; SEK[94] 267)
Herr RENAUDIERE, Mitglied des Kabinetts von Herrn VAN MIERT,
nimmt an den Beratungen über diesen Punkt teil.
Herr VAN MIERT erläutert der Kommission die verschiedenen
Gesichtspunkte des ihm vorliegenden Falles. Er weist auf die besondere
Schwere der festgestellten Zuwiderhandlungen hin. Er unterbreitet der
Kommission Vorschläge für die gegen die fraglichen Unternehmen
festzusetzenden Geldbußen.
Die Kommission stimmt der von Herrn VAN MIERT vorgeschlagenen
Entscheidung im wesentlichen zu und erörtert ausführlich die Höhe der
Geldbußen. Es wird vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt der
vorliegenden Sitzung über den von Herrn VAN MIERT vorzulegenden
Entwurf der endgültigen Entscheidung zu befinden.
Die übrigen Beratungen der Kommission über diesen Punkt sind
Gegenstand eines Sonderprotokolls.“
- 59.
- Punkt XXV des Protokolls, der am Nachmittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XXV. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(FORTSETZUNG VON PUNKT XVII) (K[94] 321/2 und 3; SEK[94] 267)
Die Kommission führt ihre am Vormittag begonnenen Beratungen fort. Sie
setzt gegen die fraglichen Unternehmen folgende Geldbußen fest:
ARBED SA:
11 200 000 ECU
British Steel plc:
32 000 000 ECU
Unimétal SA:
12 300 000 ECU
Saarstahl AG:
4 600 000 ECU
Ferdofin SpA:
9 500 000 ECU
Thyssen Stahl AG:
6 500 000 ECU
Preussag AG:
9 500 000 ECU
Empresa Nacional Siderúrgica SA:
4 000 000 ECU
Siderúrgica Aristrain Madrid SL:
10 600 000 ECU
SA Cockerill Sambre:
4 000 000 ECU
Krupp-Hoesch Stahl AG:
13 000 ECU
NMH Stahlwerke GmbH:
150 000 ECU
Norsk Jernverk AS:
750 ECU
Inexa Profil AB:
600 ECU
Die Kommission beschließt ferner, daß Geldbußen, die 20 000 ECU
überschreiten, in Raten bezahlt werden können. Sie genehmigt infolgedessen
die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung
in den verbindlichen Sprachen.
*
* *
Die Sitzung wird um 16 Uhr 25 geschlossen.“
- 60.
- Aus Punkt XVII in Verbindung mit Punkt XXV des Protokolls ergibt sich, daß die
Entscheidung nicht während der Beratung von Punkt XVII am Vormittag endgültig
erlassen wurde, sondern während der Beratung von Punkt XXV am Nachmittag.
- 61.
- Aus der Liste der Anwesenden auf Seite 2 des Protokolls geht ferner hervor, daß
bei der Beratung von Punkt XXV durch die Kommission neun Mitglieder der
Kommission anwesend waren, und zwar Herr Delors, Sir Leon Brittan, Herr Van
Miert, Herr Ruberti, Herr Millan, Herr Van den Broek, Herr Flynn, Herr Steichen
und Herr Paleokrassas. Das nach Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993
erforderliche Quorum war somit erreicht. Die Entscheidung konnte auch nach
Artikel 6 der Geschäftsordnung mit Zustimmung der neun anwesenden Mitglieder
gefaßt werden.
- 62.
- Das Vorbringen der Klägerinnen beruht indessen auf einer Anwesenheitsliste auf
Seite 40 des Protokolls, in der es heißt, daß Herr Budd und Herr Santopinto, die
Kabinettschefs von Sir Leon Brittan und Herrn Ruberti, sowie Frau Evans, ein
Mitglied des Kabinetts von Herrn Flynn, „in Abwesenheit der Mitglieder der
Kommission“ an der Sitzung teilgenommen hätten. Die Klägerinnen folgern daraus,
daß Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn entgegen den Angaben auf
Seite 2 des Protokolls bei dem unter Punkt XXV behandelten Erlaß der
Entscheidung nicht anwesend gewesen seien.
- 63.
- Dem kann nicht gefolgt werden. Wie schon aus dem Wortlaut der Liste auf Seite 2des Protokolls hervorgeht, dient sie einer genauen Aufstellung der An- oder
Abwesenheit der Mitglieder der Kommission bei der betreffenden Sitzung. Diese
Aufstellung betrifft sowohl die Vormittags- als auch die Nachmittagssitzung und ist
somit der Beweis für die Anwesenheit der fraglichen Kommissionsmitglieder bei
diesen beiden Sitzungsteilen, sofern nicht ausdrücklich angegeben ist, daß ein
Mitglied bei der Erörterung eines bestimmten Punktes abwesend war. Die Liste auf
Seite 40 des Protokolls betrifft dagegen nicht die Anwesenheit der
Kommissionsmitglieder, sondern nur die etwaiger anderer Personen wie z. B. der
Kabinettschefs. Unter diesen Umständen können die indirekten Schlüsse, die die
Klägerinnen aus der genannten Liste ziehen zu können glauben, nicht höher
bewertet werden als die ausdrücklichen Angaben zur An- oder Abwesenheit der
Kommissionsmitglieder auf Seite 2 des Protokolls.
- 64.
- Das Gericht ist jedenfalls der Ansicht, daß die Angabe „An der Sitzung nehmen
in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ auf Seite 40 des Protokolls als
Synonym für „An der Sitzung nehmen teil, falls ein Mitglied bei einem bestimmten
Punkt abwesend ist,“ verstanden werden muß.
- 65.
- Diese Angabe ist nämlich im Zusammenhang mit Artikel 8 der Geschäftsordnung
von 1993 zu sehen, in dem es u. a. heißt: „Ist ein Mitglied der Kommission
abwesend, so kann sein Kabinettschef an der Sitzung teilnehmen und auf
Aufforderung des Präsidenten die Meinung des abwesenden Mitglieds vortragen.“
Die Liste auf Seite 40 des Protokolls soll daher die Liste auf Seite 2 nicht ersetzen,
sondern die Personen angeben, die gemäß Artikel 8 zur Teilnahme an der Sitzung
berechtigt sind und dort gegebenenfalls die Meinung des abwesenden Mitglieds
vortragen können.
- 66.
- Die Tatsache, daß ein Kabinettschef in Abwesenheit des von ihm vertretenen
Kommissionsmitglieds dessen Meinung zu einem bestimmten Punkt vortragen kann,
schließt es jedoch nicht aus, daß das betreffende Kommissionsmitglied bei der
Erörterung eines anderen Punktes in die Sitzung zurückkehrt, ohne daß sein
Kabinettschef den Sitzungssaal nach seiner Rückkehr verläßt. Die Angabe auf Seite
40 des Protokolls, daß Herr Budd, Herr Santopinto und Frau Evans der
Nachmittagssitzung beigewohnt hätten, kann deshalb allein damit zu erklären sein,
daß gemäß Seite 2 des Protokolls Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn
bei der Erörterung einiger Punkte der Tagesordnung für den Nachmittag abwesend
waren, und zwar bei den Punkten XXIII.B, XXIII.C und teilweise XXIV (Sir Leon
Brittan) sowie den Punkten XXIII.B und teilweise XXIII.C (Herr Ruberti und Herr
Flynn). Daraus folgt daher nicht, daß diese drei Kommissionsmitglieder bei der
Beratung über Punkt XXV entgegen den ausdrücklichen Angaben auf Seite 2 des
Protokolls abwesend waren.
- 67.
- Diese Auslegung wird durch Seite 7 des Protokolls bestätigt, auf der sich für den
Vormittag entsprechend der Liste auf Seite 40 für den Nachmittag eine Liste
der Personen befindet, die „in Abwesenheit“ der Mitglieder der Kommission an der
Sitzung teilnahmen. Wenn die Auslegung der Formulierung „An der Sitzung
nehmen in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ durch die Klägerinnen
zuträfe, wäre daraus, daß nach dieser Liste Herr Kubosch, ein Mitglied des
Kabinetts von Herrn Bangemann, und Herr Budd, der Kabinettschef von Sir Leon
Brittan, während des gesamten Vormittags anwesend waren, zu folgern, daß die
beiden genannten Kommissionsmitglieder den ganzen Vormittag über abwesend
waren. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, denn gemäß Seite 2 des Protokolls waren
Herr Bangemann am Vormittag bei den Punkten I bis XVIII und Sir Leon Brittan
bei den Punkten XVII bis XXII anwesend.
- 68.
- Demnach war das erforderliche Quorum anwesender Mitglieder beim Erlaß der
Entscheidung am Nachmittag des 16. Februar 1994 erfüllt.
- 69.
- Im übrigen sieht Artikel 6 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die Kommission
auf Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder beschließt und nur auf Antrag eines
ihrer Mitglieder eine Abstimmung vornimmt. Mangels eines solchen Antrags
brauchte die Kommission in der Nachmittagssitzung keine förmliche Abstimmung
vorzunehmen. Da gemäß Artikel 6 die Beschlüsse der Kommission mit der
Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Mitgliederzahl gefaßt werden, die damals
neun Mitglieder betrug, waren die am Nachmittag des 16. Februar 1994
anwesenden neun Mitglieder jedenfalls nicht daran gehindert, einstimmig den Erlaß
der Entscheidung zu beschließen.
- 70.
- Folglich ist die erste Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der
Klägerin notifizierten Entscheidung
- 71.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen der verfügende Teil und die
Begründung der ihrem oder ihren Adressaten notifizierten Entscheidung
abgesehen von rein orthographischen oder grammatikalischen Anpassungen, die
am Wortlaut eines Rechtsakts noch nach seiner endgültigen Verabschiedung durch
das Kommissionskollegium vorgenommen werden dürfen mit der vom Kollegium
erlassenen Entscheidung übereinstimmen (PVC-Urteil, Randnrn. 62 bis 70).
- 72.
- Nach Punkt XXV des Protokolls hat die Kommission „die in dem Schriftstück
K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen“
erlassen.
- 73.
- Folglich ist der maßgebliche Vergleich zwischen der Fassung K(94) 321/2 in
Verbindung mit der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der
Kommission am Nachmittag des 16. Februar 1994 erlassen wurden, und den
verschiedenen, den Klägerinnen in den verbindlichen Sprachen notifizierten
Fassungen der Entscheidung anzustellen.
- 74.
- Ein sachlicher Unterschied zwischen der Fassung K(94) 321/2 in Verbindung mit
der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der Kommission in den vier
verbindlichen Sprachen bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden sind, und
den Fassungen der Entscheidung, die den Klägerinnen notifiziert wurden, ist aber
von den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden und für das Gericht nicht
ersichtlich. Daß die Entscheidung in Form von zwei Schriftstücken K(94) 321/2
und K(94) 321/3 erlassen wurde, wobei im zweiten mehrere, zum Teil
handschriftliche Änderungen am ersten vorgenommen wurden, spielt unter diesen
Umständen keine Rolle, zumal diese Änderungen im wesentlichen nur die
Ratenzahlung der Geldbußen und den Beschluß betreffen, keine Geldbußen unter
100 ECU festzusetzen. Auch die Tatsache, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 in einigen Sprachfassungen nicht durchgehend paginiert sind oder
unterschiedliche Schrifttypen aufweisen, ist unerheblich, da das intellektuelle und
das formelle Element dieser Schriftstücke zusammen genommen der den
Klägerinnen notifizierten Fassung der Entscheidung entsprechen (PVC-Urteil,
Randnr. 70).
- 75.
- Die Unterschiede zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 zeugen
vielmehr vom Bestreben der Kommission, die Entscheidung erst förmlich zu
erlassen, nachdem alle vom Kollegium beschlossenen Änderungen, insbesondere
hinsichtlich der Ratenzahlung der Geldbußen und der Nichtfestsetzung von
Geldbußen unter 100 ECU, in alle Sprachfassungen eingefügt worden waren.
- 76.
- Aus dem Vorstehenden folgt ferner, daß die auf einem eingehenden Vergleich
zwischen einigen in den Aktenordnern 57, 58 und 61 der Kommission befindlichen
Unterlagen und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 beruhenden
Argumente fehl gehen. Wie oben ausgeführt, ist der maßgebliche Vergleich
zwischen den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 einerseits und der den Klägerinnen notifizierten Fassung andererseits
anzustellen und nicht zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3
einerseits und einigen Entwürfen und anderen möglicherweise älteren Unterlagen
in den Akten der Kommission andererseits. Es gibt insbesondere keinen Beweis
dafür, daß das im Ordner 61 enthaltene Schriftstück B, das ein Arbeitsdokument
zu sein scheint, das Schriftstück K(94) 321 darstellt oder dem von der Kommission
in der Vormittagssitzung des 16. Februar 1994 geprüften Schriftstück entspricht.
Dem Schriftstück K(94) 321 kommt ohnehin keine Bedeutung zu, da die von der
Kommission erlassene endgültige Fassung der Entscheidung aus den Schriftstücken
K(94) 321/2 und K(94) 321/3 besteht.
- 77.
- Auch etwaige Unklarheiten hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem die
Übersetzung einiger geringfügiger Änderungen der italienischen Fassung der
Entscheidung übersandt wurde, sind unerheblich, zumal sich die italienische
Fassung der Entscheidung nicht an die Klägerin richtet.
- 78.
- Schließlich ist unstreitig, daß das Schriftstück K(94) 321/4 nur eine nicht
vertrauliche Fassung des Schriftstücks K(94) 321 endg. ist, in der einige Zahlen, bei
denen es sich um Geschäftsgeheimnisse der Adressaten handelt, zum Zweck der
Notifizierung der Entscheidung an andere Adressaten entfernt wurden.
- 79.
- Folglich ist die zweite Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
- 80.
- Zur dritten Rüge der Klägerinnen, nach der die Fassungen K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 der Entscheidung nicht in der in Artikel 16 Absatz 1 der
Geschäftsordnung von 1993 vorgesehenen Weise festgestellt worden seien, ist
darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung folgendes vorsieht:
„Die von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefaßten
Beschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich
sind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsse
angenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse
werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der
ersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“
- 81.
- Ferner sieht Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die
Protokolle der Kommission „durch die Unterschrift des Präsidenten und des
Generalsekretärs festgestellt“ werden.
- 82.
- In Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 war nicht festgelegt, in
welcher Weise die in einer Sitzung gefaßten Beschlüsse dem Protokoll „beigefügt“
werden mußten, während sie z. B. gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung der
Kommission in der Fassung des Beschlusses 95/148/EG, Euratom, EGKS vom 8.
März 1995 (ABl. L 97, S. 82) „untrennbar mit dem Protokoll ... verbunden“ sein
müssen.
- 83.
- Im vorliegenden Fall ist dem Gericht das Protokoll mit den verschiedenen
verbindlichen Sprachfassungen der Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 in
demselben Behältnis und so zugegangen, wie es die Prozeßvertreter der
Kommission nach ihren Angaben im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom
11. März 1998 vom Generalsekretariat der Kommission erhalten haben. Daher ist
davon auszugehen, daß diese Schriftstücke dem Protokoll in der Weise „beigefügt“
waren, daß sie mit ihm zusammen aufbewahrt wurden, ohne körperlich mit ihm
verbunden zu sein.
- 84.
- Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 soll sicherstellen, daß die
Kommission den dem Adressaten notifizierten Beschluß ordnungsgemäß erlassen
hat. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber keinen sachlichen Unterschied
zwischen der ihr notifizierten Fassung der Entscheidung und der Fassung dargetan,
die der Kommission zufolge dem Protokoll „beigefügt“ war.
- 85.
- Unter diesen Umständen hat die Klägerin angesichts der Gültigkeitsvermutung für
Gemeinschaftshandlungen (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der
Rechtssache T-35/92, Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnr. 31) nicht
nachgewiesen, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 dem Protokoll
nicht im Sinne von Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993 „beigefügt“ waren.
Daher ist davon auszugehen, daß diese Schriftstücke durch die Unterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite des Protokolls
festgestellt wurden.
- 86.
- Zu der Tatsache, daß das dem Gericht vorgelegte Protokoll seinerseits eine
Fotokopie ist, die nicht die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs trägt, ist festzustellen, daß die erste Seite des Protokolls mit dem
Stempel „Beglaubigte Ausfertigung, Der Generalsekretär, Carlo Trojan“ versehen
ist und daß dieser Stempel die Originalunterschrift von Herrn Trojan, dem
derzeitigen Generalsekretär der Kommission, trägt. Diese Beglaubigung durch den
derzeitigen Generalsekretär der Kommission ist als rechtlich hinreichender Beweis
dafür anzusehen, daß das Original des Protokolls die Originalunterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission trägt.
- 87.
- Folglich ist die dritte Rüge nicht begründet.
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
- 88.
- Zur vierten Rüge der Klägerinnen, daß auf dem Protokoll das Datum seiner
Unterzeichnung durch den Präsidenten und den Generalsekretär der Kommissionfehle, genügt die Feststellung, daß die erste Seite des dem Gericht vorgelegten
Protokolls die Angabe „Brüssel, den 23. Februar 1994“ und den Satz enthält: „Das
vorliegende Protokoll wurde von der Kommission in ihrer 1190. Sitzung in Brüssel
am 23. Februar 1994 angenommen.“ Es folgen die Unterschriften des Präsidenten
und des Generalsekretärs sowie die Beglaubigung der Übereinstimmung der
Ausfertigung des Protokolls mit dem Original durch Herrn Trojan. Somit wurde das
Protokoll vom Präsidenten und vom Generalsekretär am 23. Februar 1994 in
Einklang mit der Geschäftsordnung von 1993 ordnungsgemäß unterzeichnet.
- 89.
- Auch die vierte Rüge der Klägerinnen ist folglich unbegründet.
- 90.
- Schließlich haben die unzutreffenden Angaben von Herrn Van Miert in seiner
Pressekonferenz am Mittag des 16. Februar 1994, bei der er bekanntgab, daß die
Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe, und einige Bußgeldbeträge
nannte, die nicht den in der Entscheidung festgesetzten Beträgen entsprachen, als
solche keine Auswirkungen auf den ordnungsgemäßen Erlaß der Entscheidung
durch das Kommissionskollegium, da sich die gerichtliche Kontrolle nur auf die von
der Kommission erlassene Entscheidung erstrecken kann (vgl. Urteil des Gerichts
vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991,
II-1439, Randnr. 136).
- 91.
- Nach alledem sind die verschiedenen Argumente, mit denen geltend gemacht wird,
daß die Kommission im Verwaltungsverfahren wesentliche Formvorschriften
verletzt habe, in vollem Umfang zurückzuweisen, ohne daß die von den
Klägerinnen beantragten Beweisaufnahmen angeordnet zu werden brauchen.
B Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
- 92.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
verstoßen. Sie erhebt insoweit mehrere Vorwürfe, die wie folgt zusammengefaßt
werden können. Erstens lehnt sie jede Verantwortung für Handlungen bis zum 30.
Juni 1990 ab. Zweitens wendet sie sich gegen die Ermittlung des in ihrem Fall
herangezogenen Referenzzeitraums. Drittens streitet sie die ihr zur Last gelegte
Zuwiderhandlung grundsätzlich ab, wobei sie zum einen jede Beteiligung an den
angeblichen Vereinbarungen über den Austausch von Informationen leugnet und
zum anderen geltend macht, daß der streitige Informationsaustausch keine
Zuwiderhandlung dargestellt habe. Zum zuletzt genannten Punkt führt sie u. a. aus,
die Kommission habe die Merkmale der ausgetauschten Daten in wettbewerblicher
Hinsicht falsch gewürdigt und zu Unrecht die aus Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
abgeleiteten Rechtsanschauungen angewandt, obwohl der EGKS-Vertrag einen
völlig anderen rechtlichen Rahmen habe.
- 93.
- Im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung
haben die Klägerinnen überdies geltend gemacht, daß die ihnen zur Last gelegten
Verhaltensweisen der GD III bekannt gewesen und von ihr sogar unterstützt oder
zumindest toleriert worden seien, so daß im vorliegenden Fall nicht gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages verstoßen worden sei. Darauf wird später in Abschnitt C
eingegangen.
Zur Verantwortlichkeit der Klägerin für Handlungen bis zum 30. Juni 1990
- 94.
- Wie aus Artikel 1 der Entscheidung hervorgeht, hat die Kommission gegen die
Klägerin eine Geldbuße festgesetzt, weil diese 27 Monate lang am Austausch
vertraulicher Informationen im Rahmen der Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung teilgenommen haben soll. In Randnummer 314 der Entscheidung heißt
es, die Kommission sei der Auffassung, daß „wegen wettbewerbswidrigen
Verhaltens nach dem 1. Juli 1988“ Geldbußen festgesetzt werden sollten.
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
- 95.
- Die Klägerin führt aus, die Kommission habe unabhängig davon, auf welchen
Zeitraum sich die in Artikel 1 der Entscheidung genannten 27 Monate bezögen, zu
Unrecht wegen angeblicher wettbewerbswidriger Handlungen bis zum 30. Juni 1990
gegen sie eine Geldbuße festgesetzt. Nur die am 16. April 1987 in Konkurs
gegangene Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte mbH (im folgenden:
Eisenwerk-Gesellschaft, gegebenenfalls mit dem Zusatz „i. K.“) und nicht die
Klägerin hätte für die in dieser Zeit angeblich begangenen Zuwiderhandlungen
verantwortlich gemacht werden dürfen.
- 96.
- Die Klägerin trägt folgenden Sachverhalt vor, den die Kommission nicht in Abrede
gestellt hat.
- 97.
- Nach der Eröffnung des Konkursverfahrens im Jahr 1987 habe die Eisenwerk-Gesellschaft weiterhin Stahlerzeugnisse und insbesondere Träger hergestellt und
vermarktet.
- 98.
- Am 4. November 1987 hätten dann die späteren Gründungsgesellschafter der
Klägerin (siehe Randnr. 11 Buchstabe f der Entscheidung) eine
Rahmenvereinbarung zur Gründung der Klägerin als „Auffanggesellschaft“
geschlossen. Unter Nummer 3 dieser Vereinbarung heiße es:
„Die Auffanggesellschaft verfolgt das Ziel, den Stahlstandort Mittlere Oberpfalz
durch den Erwerb und die Fortführung von Betriebsteilen der [Eisenwerk-Gesellschaft] i. K. mit einem Teil der Arbeitnehmerschaft zu sichern und zu
erhalten.
Die von der Auffanggesellschaft nicht fortgeführten Betriebsteile werden
schnellstmöglich stillgelegt.
...“
- 99.
- Die neue Gesellschaft habe mit einer kleineren Belegschaft (tausend Personen) und
geringeren Kapazitäten (Maximalkapazität bei warmgewalzten Produkten: 386 000
Tonnen/Jahr statt 780 000 Tonnen/Jahr) arbeiten sollen. Sie habe einen von drei
Hochöfen, zwei von drei Stranggießanlagen sowie ein Block- und eines von zwei
Profilwalzwerken übernehmen sollen. Das in die Eisenwerk-Gesellschaft i. K.
integrierte Rohrwerk habe von einer selbständigen Gesellschaft betrieben werden
sollen.
- 100.
- Im Januar 1988 sei die Klägerin unter dem Namen „NMH Stahlwerke GmbH
(Vorgesellschaft Neue Maxhütte)“ errichtet worden. Ihr damaliger
Unternehmensgegenstand habe in der Klärung und Vorbereitung der zur Gründung
einer Auffanggesellschaft für die Eisenwerk-Gesellschaft i. K. in technischer,
finanzieller und personeller Hinsicht erforderlichen Maßnahmen bestanden.
- 101.
- Ab Oktober 1988 habe diese Gesellschaft einem Teil der Beschäftigten der
Eisenwerk-Gesellschaft Einstellungsangebote unterbreitet, in denen angegeben
worden sei, daß die Betreffenden nach der derzeitigen Planung ab 1. Juli 1990 für
die NMH Stahlwerke GmbH arbeiten würden.
- 102.
- Am 23. Oktober 1989 habe die Klägerin mit der Eisenwerk-Gesellschaft i. K. zwei
Vereinbarungen geschlossen. In einer „Überleitungsvereinbarung“ habe sie sich
verpflichtet, von dieser Gesellschaft das notwendige Anlagevermögen für eine nach
dem Konzept einer Auffanggesellschaft reduzierte Fortführung der Produktion zu
erwerben. Nach dem „Anlagepachtvertrag“ habe sie der Eisenwerk-Gesellschaft
i. K. das gesamte durch die Überleitungsvereinbarung übertragene
Sachanlagevermögen bis zum 30. Juni 1990 zur Nutzung überlassen. Nach diesem
Vertrag sei die Eisenwerk-Gesellschaft i. K. ferner berechtigt gewesen, den Betrieb
im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu führen.
- 103.
- Am Ende der Pachtzeit habe die Eisenwerk-Gesellschaft i. K. der Klägerin das
übertragene Anlagevermögen zurückgegeben. Am 1. Juli 1990 habe die Klägerin
mit der Herstellung und Vermarktung von Eisen- und Stahlprodukten begonnen.
Am 4. Juli seien ihre Firma und ihr Unternehmensgegenstand entsprechend
geändert worden. Seither führe sie den Namen NMH Stahlwerke GmbH.
- 104.
- Das Konkursverfahren für die Eisenwerk-Gesellschaft habe am 5. September 1994
geendet, aber sie sei nicht im Handelsregister gelöscht worden.
- 105.
- Aufgrund dieser Gesichtspunkte macht die Klägerin unter Berufung auf die Urteile
des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73,
50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73 (Suiker Unie
u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 84 bis 87) und vom 28. März 1984 in
den Rechtssachen 29/83 und 30/83 (CRAM und Rheinzink/Kommission, Slg. 1984,
1679, Randnrn. 6 bis 9) sowie die Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in
der Rechtssache T-6/89 (Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623,
Randnrn. 236 bis 238) und vom 28. April 1994 in der Rechtssache T-38/92 (AWS
Benelux/Kommission, Slg. 1994, II-211, Randnrn. 26 bis 30) geltend, sie könne für
die Zeit bis zum 30. Juni 1990 weder als rechtliche noch als wirtschaftliche
Nachfolgerin der Eisenwerk-Gesellschaft für deren Verhalten verantwortlich
gemacht werden.
- 106.
- Im vorliegenden Fall sei die Klägerin nicht aus einer Änderung der Rechtsform der
Eisenwerk-Gesellschaft i. K. hervorgegangen, sondern neu gegründet worden. Im
Gegensatz zu dieser Gesellschaft sei sie bis zum 30. Juni 1990 nicht auf dem
allgemeinen Stahlmarkt tätig gewesen. Darüber hinaus seien die beiden
Gesellschaften nie von denselben Personen geleitet worden. Die Klägerin habe
auch nicht sämtliche Rechte und Pflichten der Eisenwerk-Gesellschaft i. K.
übernommen. Vielmehr habe die Überleitungsvereinbarung ihre jeweiligen
Verpflichtungen bezogen auf den Stichtag der Betriebsaufnahme durch die Klägerin
abgegrenzt.
- 107.
- Außerdem habe die Eisenwerk-Gesellschaft während des gesamten
Verwaltungsverfahrens fortbestanden und existiere auch heute noch, da sie weder
liquidiert noch im Handelsregister gelöscht worden sei. In diesem Zusammenhang
ergebe sich aus einem Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
20. Dezember 1993, daß mangels eines Mißbrauchs oder einer Umgehung die
angeblich von der Eisenwerk-Gesellschaft begangenen Zuwiderhandlungen der
Klägerin nicht zugerechnet werden könnten.
- 108.
- Im vorliegenden Fall handele es sich bei den Führungskräften der Klägerin um
andere Personen als jene, die bei der Eisenwerk-Gesellschaft i. K. ähnliche
Funktionen wahrgenommen hätten und noch wahrnähmen. Im übrigen habe die
Klägerin nicht den „Hauptteil der Aktiva“ dieser Gesellschaft übernommen,
sondern nur 14,25 % ihres Sachanlagevermögens (63 199 401 DM von 443 339 291
DM). Entsprechend dem Konzept einer Auffanggesellschaft sei nur ein Teil der
Maschinen und technischen Anlagen übernommen worden, so daß die jährliche
Produktionskapazität bei warmgewalzten Erzeugnissen von 780 000 Tonnen auf
386 000 Tonnen gesunken sei. Die Grundstücke der Eisenwerk-Gesellschaft i. K.
seien im Rahmen des Konkursverfahrens auf Dritte übergegangen. Außerdem
bestehe der Bilanzwert der technischen Anlagen und Maschinen der Klägerin zur
Hälfte aus Investitionen, die sie selbst getätigt habe.
- 109.
- Unter diesen Umständen rechtfertige weder der Sanktions- noch der
Präventionscharakter der Geldbußen die von der Kommission vorgenommene
Zurechnung. Zudem seien der Klägerin aus dem beanstandeten Verhalten keine
Vorteile zugeflossen. Sowohl das nationale deutsche Recht (§ 30 des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten) als auch die Grundsätze „nulla poena sine lege“ und
„nullum crimen sine lege“, die im deutschen Grundgesetz und Strafgesetzbuch, in
den Verfassungen anderer Mitgliedstaaten sowie in Artikel 7 der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert seien,
stünden der Zurechnung durch die Kommission entgegen.
- 110.
- Im übrigen gehe weder aus den einschlägigen Abschnitten der Begründung noch
aus dem verfügenden Teil der Entscheidung hervor, aus welchen Gründen ihr die
Kommission die Zuwiderhandlungen zugerechnet habe, die die Eisenwerk-Gesellschaft bis zum 30. Juni 1990 begangen habe. Die Kommission sei
insbesondere auf das detaillierte Vorbringen in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung
der Beschwerdepunkte nicht eingegangen.
- 111.
- Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinzugefügt, die
Kommission erlange durch ihre Vorgehensweise einen ungerechtfertigten Vorteil
gegenüber anderen Gläubigern der Eisenwerk-Gesellschaft.
- 112.
- Die Kommission vertritt unter Bezugnahme auf Randnummer 11 Buchstabe f der
Entscheidung sowie den von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalt und vor allem
die besonderen tatsächlichen Umstände, unter denen diese die Aktiva der
Eisenwerk-Gesellschaft übernommen hat, die Ansicht, die Klägerin sei die
wirtschaftliche Nachfolgerin dieser Gesellschaft und müsse als solche für deren bis
zum 30. Juni 1990 begangene Zuwiderhandlungen einstehen.
Würdigung durch das Gericht
- 113.
- Zu prüfen ist zunächst die Begründung der angefochtenen Entscheidung für die
Zurechnung der Zuwiderhandlung in der Zeit bis zum 30. Juni 1990 und sodann
die Stichhaltigkeit dieser Zurechnung.
Zur Begründung der Entscheidung
- 114.
- Nach der Rechtsprechung muß die durch Artikel 15 des Vertrages vorgeschriebene
Begründung es dem Betroffenen ermöglichen, herauszufinden, was die erlassene
Maßnahme rechtfertigt, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und
die Begründetheit der Entscheidung prüfen kann, und außerdem denGemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Das
Begründungserfordernis ist nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen, zu denen insbesondere der Inhalt der fraglichen Maßnahme, die Art der
angeführten Gründe und der Kontext zählen, in dem sie erlassen wurde (Urteil des
Gerichts vom 24. September 1996 in der Rechtssache T-57/91,
NALOO/Kommission, Slg. 1996, II-1019, Randnrn. 298 und 300).
- 115.
- Im vorliegenden Fall heißt es in Randnummer 11 Buchstabe f der Entscheidung
(siehe oben, Randnr. 2), die Klägerin, die „Neue Maxhütte“, sei 1988 vom Freistaat
Bayern, der damals 45 % der Anteile gehalten habe, und von einigen deutschen
Stahlunternehmen gegründet worden und habe „den Hauptteil der Aktiva der ...
in Konkurs gegangenen Eisenwerk-Gesellschaft“ übernommen.
- 116.
- Aus Randnummer 11 Buchstabe f ist zu entnehmen, daß der Klägerin die
Verantwortung für die der „Neuen Maxhütte“ in der Entscheidung zur Last gelegte
Teilnahme an dem beanstandeten Informationsaustausch in der Zeit bis zum 30.
Juni 1990 (siehe vor allem Randnrn. 10, 39, 41, 213, 263 und 314) auferlegt werden
soll. Auch die Angabe, daß die Klägerin den „Hauptteil“ der Aktiva der Eisenwerk-Gesellschaft i. K. übernommen habe, zeigt, daß die Kommission sie als
wirtschaftliche Nachfolgerin dieser Gesellschaft und aus diesem Grund als
verantwortlich für deren Zuwiderhandlungen ansieht.
- 117.
- Diese wenngleich knappen Angaben enthalten die wesentlichen Elemente, mit
denen die Kommission die streitige Zurechnung rechtfertigt.
- 118.
- Die Klägerin hat sowohl in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte als auch in ihren Schriftsätzen alle tatsächlichen und rechtlichen
Aspekte angegeben, die ihres Erachtens die Widerlegung der These der
Kommission ermöglichen; dazu gehören insbesondere die tatsächlichen Aspekte,
anhand deren das Gericht nachvollziehen kann, unter welchen Umständen die
Klägerin einen Teil der Aktiva der Eisenwerk-Gesellschaft übernahm.
- 119.
- In Anbetracht dessen war die Kommission nicht daran gehindert, dem Gericht die
in der Entscheidung enthaltene Begründung unter Bezugnahme auf den von der
Klägerin selbst geschilderten tatsächlichen Rahmen für die Übernahme der Aktiva
der Eisenwerk-Gesellschaft zu erläutern (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 12.
Dezember 1996 in der Rechtssache T-16/91 RV, Rendo u. a./Kommission, Slg.
1996, II-1827, Randnr. 55).
- 120.
- Die Begründung der Entscheidung ermöglicht es der Klägerin folglich, ihre Rechte
zu verteidigen, und versetzt den Gemeinschaftsrichter in die Lage, seine Kontrolle
auszuüben.
- 121.
- Das auf eine unzureichende Begründung der Entscheidung gestützte Vorbringen
der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Zur Stichhaltigkeit der streitigen Zurechnung
- 122.
- Gemäß Artikel 65 § 5 des Vertrages kann die Kommission gegen Unternehmen,
die eine nichtige Vereinbarung getroffen haben oder zu den Bestimmungen des § 1
im Widerspruch stehende Praktiken anwenden, Geldbußen festsetzen.
- 123.
- Im vorliegenden Fall soll die der Klägerin zur Last gelegte Zuwiderhandlung gegen
Artikel 65 § 1 des Vertrages zum Teil bis zum 30. Juni 1990 und zum Teil danach
begangen worden sein.
- 124.
- Die Klägerin hat nicht bestritten, daß sie für den nach dem 30. Juni 1990
begangenen Teil der Zuwiderhandlung einstehen muß. Ab diesem Zeitpunkt setzte
sie nämlich unstreitig die zuvor von der Eisenwerk-Gesellschaft i. K. betriebene
Trägerproduktion im eigenen Namen fort.
- 125.
- Für die Zeit bis zum 30. Juni 1990 hat die Kommission die Behauptung der
Klägerin, daß die Eisenwerk-Gesellschaft i. K. die in der fraglichen
Trägerproduktion bestehende wirtschaftliche Tätigkeit fortgesetzt habe, nicht in
Abrede gestellt.
- 126.
- Ferner ist unstreitig, daß die Klägerin nach nationalem Recht nicht sämtliche
Rechte und Pflichten der Eisenwerk-Gesellschaft übernommen hat und somit nicht
die Rechtsnachfolgerin dieser Gesellschaft ist. Folglich liegt die Voraussetzung der
rechtlichen Kontinuität zweier juristischer Personen, wie sie der Gerichtshof in
seinen Urteilen Suiker Unie u. a./Kommission (Randnr. 84) und CRAM und
Rheinzink/Kommission (Randnr. 9) definiert hat, hier nicht vor. Außerdem hat die
Kommission im Gegensatz zur Situation in der Rechtssache Suiker Unie (vgl.
Randnr. 85 des Urteils) nicht bestritten, daß die Führungskräfte der Klägerin und
der Eisenwerk-Gesellschaft nicht identisch sind (vgl. hierzu die Schlußanträge des
zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf zum Urteil des Gerichts vom 24.
Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991,
II-867, II-921 gemeinsame Schlußanträge zu den „Polypropylen-Urteilen“ vom 24.
Oktober 1991 in den Rechtssachen T-2/89 und T-3/89, Slg. 1991, II-1087 und
II-1177, vom 17. Dezember 1991 in den Rechtssachen T-4/89, T-6/89, T-7/89 und
T-8/89, Slg. 1991, II-1523, II-1623, II-1711 und II-1833, und vom 10. März 1992 in
den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89, Slg. 1992, II-499, II-629, II-757, II-907,
II-1021, II-1155 und II-1275).
- 127.
- Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts ergibt sich jedoch, daß
eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln unter bestimmten Umständen
dem wirtschaftlichen Nachfolger der juristischen Person, die sie begangen hat,
zugerechnet werden kann, damit die praktische Wirksamkeit dieser Regeln nicht
durch Änderungen insbesondere an der Rechtsform der betreffenden Unternehmen
in Frage gestellt wird (vgl. die Urteile Suiker Unie u. a./Kommission und CRAM
und Rheinzink/Kommission des Gerichtshofes sowie die Urteile Enichem
Anic/Kommission und AWS Benelux/Kommission des Gerichts).
- 128.
- Insoweit ist außerdem unstreitig, daß die Klägerin im Januar 1988 also schon vor
Beginn des Zeitraums der Zuwiderhandlung speziell deshalb gegründet wurde,
um die Fortführung von Betriebsteilen der Eisenwerk-Gesellschaft zu sichern und
zu erhalten. Ihr Unternehmensgegenstand bestand genauer gesagt in der Klärung
und Vorbereitung der zur Gründung einer Auffanggesellschaft erforderlichen
Maßnahmen.
- 129.
- Zu diesem Zweck unterbreitete die Klägerin im Oktober 1988 einem Teil der
Beschäftigten der Eisenwerk-Gesellschaft Einstellungsangebote für die Zeit ab dem
1. Juli 1990. Durch die „Überleitungsvereinbarung“ und den „Anlagepachtvertrag“
vom 23. Oktober 1989 verpflichtete sich die Klägerin ferner zum einen, von der
Eisenwerk-Gesellschaft das notwendige Anlagevermögen für eine reduzierte
Fortführung der Produktion zu erwerben, und überließ der Eisenwerk-Gesellschaft
zum anderen das gesamte in Rede stehende Sachanlagevermögen bis zum 30. Juni
1990 zur Nutzung.
- 130.
- Darüber hinaus steht außer Streit, daß auf die Klägerin, auch wenn sie nicht alle
Aktiva und das gesamte Personal der Eisenwerk-Gesellschaft übernahm, doch die
wesentlichen zur Trägerherstellung dienenden und somit an der Begehung der
fraglichen Zuwiderhandlung beteiligten materiellen und personellen Faktoren
übergingen (vgl. Urteil Enichem Anic/Kommission, Randnr. 237).
- 131.
- Die Klägerin hat auch nicht behauptet, daß sich das Verhalten des fraglichen
Unternehmens nach dem 30. Juni 1990 geändert hätte. Aus den in den Anhängen I
und II der Entscheidung aufgeführten Unterlagen geht im übrigen hervor, daß sich
die Monitoring-Zahlen der Träger-Kommission, um die es hier geht (siehe oben),
sowohl vor als auch nach dem 30. Juni 1990 auf die „Maxhütte“ beziehen, ohne
daß zwischen der Eisenwerk-Gesellschaft und der Klägerin unterschieden wird.
- 132.
- Unter diesen Umständen und insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß die
Klägerin gerade deshalb gegründet wurde, um den Stahlstandort Mittlere Oberpfalz
durch die Sicherung der Fortführung der Eisenwerk-Gesellschaft zu erhalten, ist die
Klägerin als wirtschaftliche Nachfolgerin der Eisenwerk-Gesellschaft anzusehen und
muß als solche für die Zuwiderhandlungen einstehen, die diese in der Zeit bis zum
30. Juni 1990 begangen hat.
- 133.
- Da die besondere Tragweite der Wettbewerbsregeln darin besteht, daß sie sich an
wirtschaftliche Einheiten richten, und da die Klägerin im vorliegenden Fall die
wirtschaftliche Tätigkeit, auf die sich die Zuwiderhandlungen bezogen, im
wesentlichen übernommen hat, ist nämlich davon auszugehen, daß Artikel 65 § 5
des Vertrages die Kommission nicht daran hindert, gegen die Klägerin nicht nur
wegen des in ihrem eigenen Namen ab dem 1. Juli 1990 begangenen Teils der
Zuwiderhandlung, sondern auch wegen des Teils der Zuwiderhandlung, der zuvor
von derselben, unter dem Namen Eisenwerk-Gesellschaft auftretenden
wirtschaftlichen Einheit begangen wurde, eine Sanktion zu verhängen. Dies gilt um
so mehr, da die Klägerin im vorliegenden Fall schon vor Beginn der
Zuwiderhandlung speziell als wirtschaftliche Nachfolgerin der Eisenwerk-Gesellschaft gegründet wurde und die Fortführung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit
bis zum 30. Juni 1990 erleichterte.
- 134.
- Da bei der Suche nach der Lösung des Problems ausschließlich die Vorschriften
des Gemeinschaftsrechts zugrunde zu legen sind (vgl. die Schlußanträge von
Generalanwältin Rozès zum Urteil CRAM und Rheinzink/Kommission, S. 1718),
kommt es auf die nationalen Rechtsvorschriften über die Haftung von
Gesellschaften für Handlungen ihrer Organe hier nicht an. Aus den genannten
Gründen hat die Kommission auch nicht gegen die Grundsätze „nulla poena sine
lege“ und „nullum crimen sine lege“ verstoßen.
- 135.
- Der Umstand, daß die Eisenwerk-Gesellschaft i. K. zum Zeitpunkt des Erlasses der
Entscheidung noch bestand, ändert an diesem Ergebnis nichts.
- 136.
- Wenn die juristische Person, die zum Zeitpunkt der Begehung der
Zuwiderhandlung die Kontrolle über das Unternehmen ausübte, noch bestand, als
die Entscheidung erlassen wurde, in der diese Zuwiderhandlung festgestellt wird,
das Unternehmen aber zum zuletzt genannten Zeitpunkt von einer anderen Person
kontrolliert wurde, ist zwar nach dem Urteil Enichem Anic/Kommission (Randnr.
238) die Zuwiderhandlung in der Regel der zuerst genannten Person zuzurechnen,
die sie begangen hat, und nicht der zuletzt genannten Person, die das Unternehmen
dann betreibt (vgl. auch Urteil AWS Benelux/Kommission, Randnrn. 25 bis 36);
dies schließt jedoch nicht aus, daß in einem konkreten Fall aufgrund besonderer
Umstände eine andere Lösung gerechtfertigt sein kann.
- 137.
- Selbst wenn man im vorliegenden Fall unterstellt, daß das Konkursverfahren der
Eisenwerk-Gesellschaft erst am 5. September 1994 abgeschlossen war, während die
Entscheidung am 16. Februar 1994 erlassen wurde, und daß die Gesellschaft nicht
im Handelsregister gelöscht wurde, steht fest, daß zum 1. Juli 1990 die wesentlichen
materiellen und personellen Faktoren, die der Eisenwerk-Gesellschaft die
Fortsetzung ihrer Tätigkeiten im Stahlbereich ermöglichten, auf die Klägerin
übergingen. Ab diesem Zeitpunkt stellte die Eisenwerk-Gesellschaft ihre
wirtschaftlichen Tätigkeiten ein und beschränkte sich auf die Abwicklung ihres
Konkurses.
- 138.
- Da erstens der Begriff des Unternehmens im Sinne von Artikel 65 des Vertrages
wirtschaftlich zu verstehen ist, zweitens zum Zeitpunkt des Erlasses der
Entscheidung die Klägerin die von den Zuwiderhandlungen betroffene
wirtschaftliche Tätigkeit ausübte und drittens zu diesem Zeitpunkt derjenige, der
die Zuwiderhandlungen formal begangen hat, jede wirtschaftliche Tätigkeit
eingestellt hatte, war die Kommission unter diesen Umständen berechtigt, der
Klägerin die streitige Zuwiderhandlung zuzurechnen, obwohl zum Zeitpunkt des
Erlasses der Entscheidung sieben Jahre nach der Eröffnung des
Konkursverfahrens der Eisenwerk-Gesellschaft und vier Jahre nach dem Verkauf
ihrer wesentlichen Aktiva diese Gesellschaft rechtlich fortbestand.
- 139.
- Aus den gleichen Gründen ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, die
Kommission habe dadurch, daß sie ihr die beanstandeten Zuwiderhandlungen
zugerechnet habe, einen Vorteil gegenüber den anderen Gläubigern der in Konkurs
geratenen Gesellschaft erlangt. Durch den Verzicht auf die Festsetzung einer
Geldbuße gegen diese Gesellschaft hat sie vielmehr die den übrigen Gläubigern zur
Verfügung stehende Konkursmasse erhöht und zugleich das Interesse der
Gemeinschaft gewahrt, daß das von den Zuwiderhandlungen betroffene
Unternehmen für diese einsteht.
- 140.
- Dem ist hinzuzufügen, daß die Geldbuße nicht anhand des Umsatzes der
Eisenwerk-Gesellschaft, sondern anhand des Umsatzes der Klägerin berechnet
wurde, so daß die Berechnungsgrundlage auch für die Zeit vor dem 1. Juli 1990 an
die wirtschaftlichen Auswirkungen der von einem Unternehmen ihrer Größe, die
geringer ist als die der Eisenwerk-Gesellschaft, begangenen Zuwiderhandlungen
anknüpft.
- 141.
- Aus all diesen Gründen sind die Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der
Zurechnung durch die Kommission zurückzuweisen.
Zur Dauer der Zuwiderhandlung
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
- 142.
- Die Klägerin trägt vor, der Entscheidung sei nicht eindeutig zu entnehmen,
zwischen welchen Daten der in Artikel 1 genannte Zeitraum von 27 Monaten liege.
Eine solche Angabe fehle insbesondere in den Randnummern 39 bis 48 der
Entscheidung. Der Wortlaut von Randnummer 39 („Neue Maxhütte und Hoesch
nahmen an dem System [des Auftragsmonitoring] mindestens seit dem ersten
Quartal 1988 bzw. dem ersten Quartal 1989 teil.“) lasse nicht erkennen, ob der ihr
zur Last gelegte Zeitraum 1988 oder 1989 beginne. In der mündlichen Verhandlung
hat die Klägerin die Ansicht vertreten, das Fehlen einer schlüssigen Begründung
müsse zur Nichtigerklärung der gesamten Entscheidung führen, soweit sie sich auf
sie beziehe.
- 143.
- Die Kommission hat in ihren Schriftsätzen ausgeführt, die Entscheidung beziehe
sich nach ihrem Wortlaut auf die Zeit vom Ende des ersten Quartals 1988 bis Mitte
1990. In Beantwortung einer Frage des Gerichts und in der mündlichen
Verhandlung hat sie jedoch hinzugefügt, sie hätte auch von einem Zeitraum von
30 Monaten Juli 1988 (vgl. Randnrn. 311 und 314 der Entscheidung) bis Ende
1990 ausgehen können, habe es aber bei 27 Monaten belassen.
Würdigung durch das Gericht
- 144.
- Aus den Randnummern 263 bis 265 der Entscheidung geht in Verbindung mit
Randnummer 272 hervor, daß sich die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung über 30 Monate erstreckt, wovon 24 Monate auf das Monitoring
in der Träger-Kommission (Randnr. 263) und 6 Monate auf den
Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung entfallen. In
Artikel 1 der Entscheidung ist somit irrtümlich von einem Zeitraum der
Zuwiderhandlung von 27 Monaten die Rede, da die in der Begründung der
Entscheidung behandelten Zeiträume insgesamt 30 Monate betragen.
- 145.
- Dieser Irrtum kann jedoch nicht zur Nichtigerklärung der Entscheidung führen.
- 146.
- Zum einen beschwert er die Klägerin nicht, da die Geldbuße tatsächlich anhand
eines geringeren als des Zeitraums errechnet wurde, den die Kommission hätte
heranziehen können.
- 147.
- Zum anderen beeinträchtigt eine etwaige Unsicherheit hinsichtlich der drei Monate,
die von den insgesamt 30 Monaten bei der Berechnung der Geldbuße
unberücksichtigt blieben, nicht die Rechtssicherheit. Bei dieser Berechnung wurde
nämlich nicht zwischen den in die Laufzeit der Zuwiderhandlung fallenden
Quartalen unterschieden, so daß der Endbetrag der Geldbuße durch die Wahl des
außer acht gebliebenen Zeitraums nicht beeinflußt worden sein kann.
- 148.
- Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
- 149.
- Unter diesen Umständen ist das gesamte Vorbringen der Klägerin zur Auslegung
und Begründung der Entscheidung hinsichtlich der verschiedenen ihr zur Last
gelegten Zeiträume der Zuwiderhandlung zurückzuweisen.
Zur Zuwiderhandlung als solcher
1. Das Vorliegen einer Vereinbarung über den Informationsaustausch
Die Entscheidung
- 150.
- In bezug auf das Auftrags- und Liefermonitoring in der Träger-Kommission wird
in den Randnummern 264 und 265 der Entscheidung folgendes ausgeführt:
„264. Das System für den Austausch von Informationen über die
Auftragseingänge ist das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den
Teilnehmern. Die Entstehung des Liefermonitoring geht auf eine
Vereinbarung zurück, die erstmals am 18. Oktober 1988 (siehe
Randnummer 41) getroffen und dann verschiedentliche Male anläßlich von
Trägersitzungen (ausdrücklich oder stillschweigend) verlängert wurde. Daß
die aktiv in der Träger-Kommission mitwirkenden Unternehmen (also alle
an diesem Informationsaustausch teilnehmenden Unternehmen außer
Hoesch und Neue Maxhütte) von diesem Informationsaustausch wußten und
ihm zustimmten, ist hinlänglich belegt. Daß Hoesch und Neue Maxhütte von
der Vereinbarung wußten und ihr zustimmten, ist dadurch belegt, daß alle
Unternehmen, die Zahlen zu diesem Monitoring beisteuerten, eine
Ausfertigung der von Usinor Sacilor auf der Grundlage dieser
Informationen erstellten Aufstellungen erhielten.
265. Alle Unternehmen, die Zahlen zu diesem Informationsaustausch
beisteuerten, wußten folglich, daß ihre Zahlen an ihre Wettbewerber
weitergegeben wurden. Es ist nicht denkbar, daß sie ihre Zahlen zur
Verfügung gestellt hätten, wenn sie mit deren Weitergabe an Wettbewerber
nicht einverstanden gewesen wären.“
- 151.
- In bezug auf den Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung
heißt es in Randnummer 272 der Entscheidung:
„Die vorstehenden Überlegungen gelten sinngemäß auch für den
Informationsaustausch, an dem Thyssen, Peine-Salzgitter, Hoesch, Neue Maxhütte,
Saarstahl und TradeARBED über die Walzstahl-Vereinigung zumindest im dritten
und vierten Quartal 1990 beteiligt waren (siehe Randnummern 47 bis 48). Es ist
nicht denkbar, daß die Walzstahl-Vereinigung die Zahlen über die
Auftragseingänge und Lieferungen der teilnehmenden Unternehmen ohne deren
Wissen und Zustimmung hätte erhalten und weitergeben können. Der einzige
Unterschied zwischen diesem Informationsaustausch und dem Monitoring-System
des Sekretariats der Träger-Kommission bestand in der kleineren Teilnehmerzahl.“
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 152.
- Die Klägerin leugnet das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen ihr und den
übrigen betroffenen Unternehmen über den Austausch von Informationen über
Aufträge und Lieferungen.
- 153.
- In bezug auf das Auftrags- und Liefermonitoring (Randnr. 264 der Entscheidung)
weist die Klägerin darauf hin, daß sie in der Träger-Kommission und insbesondere
am Abschluß der Vereinbarung vom 18. Oktober 1988 über das Liefermonitoring
nicht aktiv mitgewirkt habe. Daß sie möglicherweise von einer solchen, zwischen
Dritten geschlossenen Vereinbarung gewußt oder in den betreffenden Bereichen
Zahlenangaben vorgelegt und erhalten habe, lasse nicht den Schluß zu, daß sie
daran beteiligt gewesen sei. Die Übermittlung ihrer Angaben bedeute insbesondere
nicht, daß sie mit deren Weitergabe an ihre Konkurrenten einverstanden gewesen
sei.
- 154.
- Im übrigen werde ihr in der Entscheidung nicht vorgeworfen, ihr künftiges
Marktverhalten mit anderen Unternehmen auf der Grundlage der ausgetauschten
Informationen abgesprochen zu haben. Sie habe insbesondere weder an den in
Randnummer 268 der Entscheidung beschriebenen Erörterungen über die
Handelsströme noch an einem „Solidaritäts- und Kooperationssystem, das dazu
bestimmt war, die Geschäftstätigkeiten zu koordinieren“ (Randnr. 269),
teilgenommen. Etwaige Handlungen Dritter, die unter die eine oder andere dieser
Kategorien fielen, könnten ihr weder zugerechnet werden noch Auswirkungen auf
die Beurteilung ihres eigenen Verhaltens haben.
Würdigung durch das Gericht
- 155.
- Von den verschiedenen der Klägerin zur Last gelegten Tätigkeiten, die den
Austausch von Informationen betreffen, hat die Kommission nur beim
Liefermonitoring materielle Beweise für das Vorliegen einer Vereinbarung finden
können, die am 18. Oktober 1988 in der Träger-Kommission getroffen worden sein
soll (vgl. Randnrn. 41 und 264 der Entscheidung).
- 156.
- Die Kommission ist jedoch in den Randnummern 264 und 265 der Entscheidung
zu Recht zu dem Schluß gekommen, daß auch das Auftragsmonitoring sowie der
Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung (vgl. Randnr. 272)
auf eine Vereinbarung zurückzuführen sein müssen. In der Anwendung eines
derartigen Systems, für das hinsichtlich der Art der ausgetauschten Informationen,
deren Aktualität und der Häufigkeit ihrer Erhebung und Verbreitung sowie der
Einzelheiten seiner Abwicklung genaue Regeln gelten, ist nämlich mangels
entgegenstehender Anhaltspunkte eine Willensübereinstimmung zwischen den
Teilnehmern zu sehen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 27. Oktober
1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg.
1994, II-905, und in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnrn. 52, 66 und 87).
- 157.
- Sobald ein auf dem Trägermarkt tätiges Unternehmen wie die Klägerin an einem
der streitigen Systeme teilnahm, stimmte es der fraglichen Vereinbarung zu. Es
steht insbesondere außer Streit, daß die Klägerin und ihre Vorgängerin, die
Eisenwerk-Gesellschaft, über die Walzstahl-Vereinigung Tabellen erhielten, die das
Sekretariat der Träger-Kommission auf der Grundlage der von der Klägerin und
ihren Konkurrenten mitgeteilten Zahlen erstellt hatte. Diese Tabellen enthielten
nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselte Auftrags- und Lieferdaten aller
am System teilnehmenden Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehörte.
Unter diesen Umständen läßt sich die fortgesetzte Übermittlung der Zahlen der
Klägerin oder der Eisenwerk-Gesellschaft nur damit erklären, daß sie mit der
Weiterleitung dieser Zahlen an ihre Konkurrenten und generell mit einem
gegenseitigen Austausch mit den anderen an diesen Systemen mitwirkenden
Unternehmen einverstanden waren.
- 158.
- Die Klägerin nahm zwar der Entscheidung zufolge (Randnr. 38) nicht an den
Sitzungen der Träger-Kommission teil, so daß mangels gegenteiliger Anhaltspunkte
die Erörterungen, die dort auf der Grundlage der aus dem Monitoring-System
hervorgegangenen Zahlen stattfanden (vgl. Randnrn. 268 und 49 bis 60 der
Entscheidung), kein Bestandteil des an sie gerichteten Vorwurfs sind. Die Tatsache,
daß die Klägerin kein aktives Mitglied der Träger-Kommission war, beweist jedoch
nicht, daß sie der beanstandeten Vereinbarung nicht zugestimmt hat. Denn zum
einen ist ihre tatsächliche Teilnahme an einem System gegenseitigen Austauschs,
dessen Wirkungsweise sie kannte, ein ausreichender Beweis dafür, daß sie der
dieses System betreffenden Vereinbarung zugestimmt hat. Zum anderen hat die
Klägerin nicht bestritten, daß sie ebenso wie die Eisenwerk-Gesellschaft von der
Walzstahl-Vereinigung über alle Vorgänge in der Träger-Kommission informiert
wurde (vgl. Randnr. 33 der Entscheidung).
- 159.
- Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie das Vorliegen einer
Vereinbarung bestreitet, zurückzuweisen.
2. Die Einstufung des Informationsaustauschs als Zuwiderhandlung
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
- 160.
- Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission den Informationsaustausch zu
Unrecht als Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 des Vertrages eingestuft. Zur
Stützung dieser These beruft sie sich auf zwei Gruppen von Argumenten, die die
Auslegung dieses Artikels und die Merkmale der ausgetauschten Daten betreffen.
- 161.
- Zum ersten Punkt führt die Klägerin aus, der genannte Artikel 65 und Artikel 85
EG-Vertrag müßten im Licht ihres Wortlauts und ihrer Zielsetzung sowie unter
Beachtung ihrer systematischen Stellung angewandt werden.
- 162.
- So setze Artikel 65 EGKS-Vertrag im Gegensatz zu Artikel 85 EG-Vertrag voraus,
daß das fragliche Kartell eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecke („die darauf
abzielen würden, ... den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder
zu verfälschen“). Die beiden streitigen Monitoring-Systeme hätten aber nur dazu
gedient, die Transparenz und damit den Wettbewerb zu erhöhen.
- 163.
- Da eines der dem EGKS-Vertrag zugrunde liegenden politischen Ziele darin
bestehe, die gleichmäßige Versorgung aller europäischen Abnehmer sicherzustellen,
sei das Kartellverbot in den Vertrag aufgenommen worden, um zu verhindern, daß
die Unternehmen verbotene Marktaufteilungen vornähmen. Ferner sei damals die
Notwendigkeit anerkannt worden, die Besonderheiten der Branche und vor allem
ihre schwer bewegliche Struktur zu berücksichtigen.
- 164.
- Insbesondere dürften Handlungen von Unternehmen, die zu der mit den Artikeln
46 bis 48 und 60 des Vertrages angestrebten Markttransparenz beitragen könnten,
nicht als wettbewerbsbeschränkend angesehen werden.
- 165.
- Artikel 60 verbiete die Anwendung ungleicher Bedingungen auf vergleichbare
Geschäfte und schreibe die Veröffentlichung von Preistafeln weithin zwingend vor.
Damit verhindere er den Geheimwettbewerb, den das im Rahmen von Artikel 85
EG-Vertrag bestehende Verbot bestimmter Formen des Informationsaustauschs
schützen solle. Im vorliegenden Fall habe der Austausch von Informationen über
die Tonnagen, die nur nach Globalmärkten gegliedert worden seien, ohne Angaben
zu enthalten, die die Ermittlung der verschiedenen Erzeugnisse oder der Kunden
ermöglichten, keinen im System des EGKS-Vertrags erheblichen
Wettbewerbsparameter beeinträchtigt. Die Klägerin habe sich insbesondere nicht
mit ihren Konkurrenten über ihre künftigen Preise abgestimmt.
- 166.
- Die Artikel 46 und 47 EGKS-Vertrag verpflichteten die Kommission, die
Marktentwicklung zu beobachten und umfassende Informationen einzuholen und
zu erteilen. Die Auslegung von Artikel 65 durch die Kommission sei mit demGrundsatz der Markttransparenz unvereinbar, der besonders in der
Veröffentlichungspflicht gemäß Artikel 47 Absatz 2 zum Ausdruck komme. Soweit
dieser die Wahrung des Berufsgeheimnisses vorschreibe, handele es sich um eine
Verpflichtung, die der Kommission im Interesse der Unternehmen obliege. Die
Kommission könne sich dagegen nicht auf sie berufen, um Daten als
Geschäftsgeheimnis zu behandeln, wenn die Unternehmen diese nicht als solches
ansähen oder zulässigerweise auf den Schutz des Geheimnisses verzichtet hätten.
- 167.
- Die Verfasser des EGKS-Vertrags hätten im übrigen einer Entwicklung, durch die
sich die oligopolistische Struktur des Marktes verstärke, nicht entgegentreten
wollen, sofern zwischen großen Einheiten das Mindestmaß an Wettbewerb
unangetastet bleibe, das notwendig sei, um den fundamentalen Anforderungen von
Artikel 2 des Vertrages zu genügen (Urteil des Gerichtshofes vom 18. Mai 1962 in
der Rechtssache 13/60, Geitling u. a./Hohe Behörde, Slg. 1962, 179, 227). Eine
solche Struktur könne nicht dazu führen, daß die vom EGKS-Vertrag gewollte
Transparenz und die zu ihrer Erreichung eingesetzten Mittel als
Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Artikel 65 dieses Vertrages angesehen
würden.
- 168.
- Die Klägerin geht sodann auf drei Merkmale der ausgetauschten Daten ein, aus
denen sie ableitet, daß die beanstandeten Systeme nicht rechtswidrig gewesen seien.
- 169.
- Erstens seien nur vergangenheitsbezogene Daten ausgetauscht worden. Der
Austausch solcher „historischer“ Daten erlaube es den beteiligten Unternehmen
nicht, sich eine Meinung über das künftige Verhalten ihrer Konkurrenten zu bilden,
und sei deshalb nicht geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen.
- 170.
- Zweitens gehe aus diesen Informationen weder die Art der verschiedenen
Erzeugnisse noch die Identität der Kunden hervor. Die Kommission habe nicht
erläutert, inwiefern ein Austausch derartiger Informationen den Wettbewerb
einschränken könne.
- 171.
- Drittens habe die Kommission ihre Behauptung, daß die Unternehmen derartige
Informationen als streng vertraulich betrachteten, nicht untermauert. Nach der
deutschen Rechtsprechung werde eine Information nur dann als
Geschäftsgeheimnis einer bestimmten Person angesehen, wenn diese zu ihrer
Geheimhaltung gewillt und daran interessiert sei und wenn die Information nicht
offenkundig sei. Im vorliegenden Fall hätten die Unternehmen die fraglichen
Angaben aber bewußt ihren Konkurrenten mitgeteilt. Es sei ohne weiteres möglich,
daß sie bestimmte Informationen in bezug auf eine Personengruppe (im
vorliegenden Fall die Abnehmer) als geheim betrachteten, nicht aber in bezug auf
eine andere (im vorliegenden Fall ihre Konkurrenten). Im übrigen könnten die
ausgetauschten Daten „nach objektiven Kriterien“ nicht als vertraulich angesehen
werden, denn die Praxis zeige, daß etliche Unternehmen mit ihrer Marktstellung
würben.
- 172.
- Im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung
haben die Klägerinnen u. a. vorgetragen, daß der im EG-Vertrag enthaltene
Grundsatz der Marktwirtschaft dem Grundsatz der Planwirtschaft des EGKS-Vertrags gegenüberzustellen sei. Sie haben in diesem Zusammenhang auf das Werk
von Professor Paul Reuter mit dem Titel La Communauté européenne du charbon
et de l'acier (Paris, LGDJ, 1953) verwiesen, in dem es heißt: „Der durch den
Vertrag geschaffene Wettbewerb ist kein freier Wettbewerb und kann es nicht sein,
sondern nur ein fairer und geregelter Wettbewerb“ (S. 143), der nach Regeln
abläuft, mit denen die „Arbeitsbedingungen [der Unternehmen] denen öffentlicher
Stellen angeglichen werden“ (S. 205). Der „normale“ Wettbewerb des EGKS-Vertrags habe nur untergeordneten Charakter, wie die Vorschriften über die
Veröffentlichung von Preistafeln anhand bestimmter Frachtbasen (Artikel 60 § 2),
die Transparenzpflicht (Artikel 46 bis 48) und die Möglichkeit zur Aussetzung des
Wettbewerbs (Artikel 61, 53 und 58) zeigten. Im Rahmen dieses Vertrages stelle
der Wettbewerb nur ein Instrument neben anderen dar (vgl. Urteil vom 13. April
1994 in der Rechtssache C-128/92, Banks, Slg. 1994, I-1209). Da die Kommission
die Aufgabe habe, die Ziele des Vertrages miteinander in Einklang zu bringen und
so über die Anwendung und den Inhalt der Wettbewerbsregeln zu bestimmen (vgl.
den Zwanzigsten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 120), müsse sie eng mit den
Unternehmen zusammenarbeiten.
- 173.
- Diese Darstellung wurde in der mündlichen Verhandlung durch ein Referat von
Professor Steindorff ergänzt. Er kam zu dem Ergebnis, daß Artikel 65 angesichts
des gesamten, durch bestimmte mit den Besonderheiten des Sektors
zusammenhängende politische Ziele gekennzeichneten EGKS-Vertrags eng
auszulegen sei. Gespräche zwischen Unternehmen im Rahmen des in den Artikeln
46 bis 48 des Vertrages vorgesehenen Systems seien nie als Zuwiderhandlung gegen
Artikel 65 angesehen worden (vgl. den Bericht der französischen Delegation über
den EGKS-Vertrag und das Abkommen über die Übergangsbestimmungen, 1951,
sowie das vorerwähnte Werk von Professor Paul Reuter). Sie seien Teil des
normalen Wettbewerbs, sofern die Kommission sie leite oder die Unternehmen,
wenn sie aus eigener Initiative tätig würden, in gutem Glauben und zur
Vorbereitung ihrer Gespräche mit der Kommission handelten. Artikel 60 des
Vertrages sei so konzipiert worden, daß er Unterbietungen einschränke und die
vorhandenen Beziehungen zwischen den Herstellern und ihren Kunden schütze. Im
Rahmen des EG-Vertrags wäre ein solches System mit dessen Artikel 85
unvereinbar. Angesichts der mit der Durchführung von Artikel 60 des Vertrages
verbundenen und von der Kommission anerkannten Schwierigkeiten verstoße ein
Informationsaustausch über Preise, die ohnehin veröffentlicht werden sollten, nicht
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages.
- 174.
- Nach Ansicht der Kommission war der im vorliegenden Fall von den Unternehmen
vorgenommene Informationsaustausch aus den in den Randnummern 263 bis 272
der Entscheidung genannten Gründen mit Artikel 65 des Vertrages unvereinbar.
- 175.
- In ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat
die Kommission indessen geltend gemacht, daß die streitigen
Informationsaustauschsysteme keine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages dargestellt hätten, sondern Bestandteil umfassenderer
Zuwiderhandlungen gewesen seien, die insbesondere in Preisfestsetzungs- und
Marktaufteilungsabsprachen bestanden hätten. Sie hätten daher insofern gegen
Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen, als sie die Begehung dieser anderen
Zuwiderhandlungen erleichtert hätten. In der mündlichen Verhandlung hat die
Kommission Zweifel an der unmittelbaren Übertragbarkeit der „Traktor-Urteile“
des Gerichtshofes und des Gerichts (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Mai 1998 in
der Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnrn. 88 bis
90; Urteil des Gerichts in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnr. 51) auf den
EGKS-Vertrag geäußert und zugleich vorgetragen, es handele sich hier nicht nur
um einen Informationsaustausch, sondern wie vor allem aus den Randnummern
49 bis 60 der Entscheidung hervorgehe auch um die Verwendung dieser
Informationen zu unerlaubten Zwecken.
- 176.
- Speziell in bezug auf die Klägerin trägt die Kommission vor, auch wenn die
Klägerin an den Sitzungen der Träger-Kommission und folglich an den in den
Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung behandelten Erörterungen nicht
teilgenommen habe, habe sie gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen, indem sie
die von anderen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlungen erleichtert habe.
In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission darauf hingewiesen, daß die
Klägerin von der Walzstahl-Vereinigung die Protokolle der Träger-Kommission
erhalten hat (Randnr. 33 der Entscheidung). Sie sei daher über die Nutzung der
Daten informiert gewesen, die den von ihr und den anderen beteiligten
Unternehmen übermittelten Zahlen entnommen worden seien.
Würdigung durch das Gericht
a) Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
- 177.
- In Anbetracht des Vorbringens der Kommission in ihrer schriftlichen Antwort vom
21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist zunächst festzustellen, ob
es sich bei der Zuwiderhandlung, die der Klägerin in den Randnummern 263 bis
272 der Entscheidung zur Last gelegt wird, um eine eigenständige Zuwiderhandlung
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages handelt oder ob die streitigen
Informationsaustauschsysteme deshalb eine Zuwiderhandlung darstellen, weil sie
die Begehung der übrigen in der Entscheidung aufgeführten Zuwiderhandlungen
erleichterten. Dies ist nicht nur für die rechtliche Bewertung der fraglichen
Verhaltensweisen von Bedeutung, sondern auch für die Frage, ob zur Ahndung
dieser Verhaltensweisen eine gesonderte Geldbuße festgesetzt werden durfte.
- 178.
- In Randnummer 267 der Entscheidung vertritt die Kommission die Ansicht, daß die
fraglichen Unternehmen über das zulässige Maß eines Informationsaustauschs
hinausgegangen seien, da erstens die ausgetauschten Informationen über die
Lieferungen und die auf den einzelnen Märkten auszuliefernden Aufträge jedes
Unternehmens gewöhnlich als streng vertraulich betrachtet würden und zweitens
die Zahlen über die Auftragseingänge wöchentlich fortgeschrieben und rasch an die
Teilnehmer weitergegeben worden seien, während die Zahlen über die Lieferungen
kurz nach Ende des jeweiligen Quartals weitergegeben worden seien. Die
Kommission zieht daraus folgenden Schluß: „Jedes teilnehmende Unternehmen
kannte somit in umfassender und detaillierter Weise die von seinen Wettbewerbern
geplanten Lieferungen und deren tatsächliche Lieferungen. Damit waren die
Unternehmen in der Lage, das von ihren Wettbewerbern beabsichtigte bzw.
tatsächliche Marktverhalten zu erkennen und ihr eigenes Handeln
dementsprechend einzurichten.“
- 179.
- Sodann führt die Kommission in den Randnummern 267 und 268 der Entscheidung
aus, dies sei der Grund für den Austausch gewesen, da die ausgetauschten
Informationen als Grundlage für die in den Randnummern 49 bis 60 der
Entscheidung beschriebenen Erörterungen über die Handelsströme gedient hätten.
Die Unternehmen hätten diese Zahlen sehr genau verfolgt und nachgeprüft, ob sich
die Lieferungen mit den angekündigten Aufträgen gedeckt hätten. Den Parteien sei
es bei den Erörterungen gelungen, einen „beachtlichen Grad an Transparenz
untereinander zustandezubringen“. Die Kommission fügt hinzu, wenn es sich um
einen auf Zahlen von rein historischem Wert beschränkten Austausch ohne
mögliche Auswirkung auf den Wettbewerb gehandelt hätte, wären solche
Erörterungen nicht zu erklären.
- 180.
- In Randnummer 269 der Entscheidung kommt die Kommission zu dem Ergebnis,
daß die Parteien ein „Solidaritäts- und Kooperationssystem, das dazu bestimmt war,
[ihre] Geschäftstätigkeiten zu koordinieren“, geschaffen und damit „an die Stelle
der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit, in deren Zuge
Wettbewerbsbedingungen entstanden, die von jenen in einer normalen
Marktsituation verschieden waren“, gesetzt hätten.
- 181.
- In den Randnummern 270 und 271 der Entscheidung weist die Kommission darauf
hin, daß der Austausch individueller Informationen, die das Marktverhalten der
Unternehmen beeinflussen könnten, durch ihre am 29. Juli 1968 veröffentlichte
Bekanntmachung über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl.
C 75, S. 3, berichtigt im ABl. C 84, S. 14; im folgenden: Bekanntmachung von
1968), nicht gedeckt sei. Aus ihren im Rahmen des EWG-Vertrags erlassenen
Entscheidungen (Entscheidungen 87/1/EWG vom 2. Dezember 1986 betreffend ein
Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/31.128 Fettsäuren, ABl. 1987, L 3,
S. 17; im folgenden: Fettsäuren-Entscheidung] und 92/157/EWG vom 17. Februar
1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/31.370 und 31.446
UK Agricultural Tractor Registration Exchange, ABl. L 68, S. 19; im folgenden:
Entscheidung „UK Agricultural Tractor Registration Exchange“]) ergebe sich, daß
der vorliegende Informationsaustausch, der genaue und aktuelle Informationen
über die Auftragseingänge und die Lieferungen der Hersteller umfaßt habe, mit
denen sich in einem engen Oligopol das Verhalten der einzelnen Unternehmen
ermitteln lasse, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen habe.
- 182.
- Die Kommission hat ihre rechtliche Würdigung in den Randnummern 263 bis 272
der Entscheidung demnach auf die in den Randnummern 49 bis 60 der
Entscheidung geschilderten Merkmale des Monitoring und des
Informationsaustauschs im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung gestützt, zu denen
auch die Erörterungen über die Handelsströme gehörten, die auf der Grundlage
der ausgetauschten Informationen stattfanden.
- 183.
- Auch wenn aus der Entscheidung ferner hervorgeht, daß das Monitoring einige
andere den betreffenden Unternehmen zur Last gelegte Zuwiderhandlungen
tatsächlich erleichterte, gibt es in der Entscheidung keinen Anhaltspunkt dafür, daß
dies bei der rechtlichen Würdigung des streitigen Informationsaustauschsystems im
Hinblick auf Artikel 65 § 1 des Vertrages berücksichtigt wurde.
- 184.
- Im Ergebnis wurden die streitigen Informationsaustauschsysteme somit in den
Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung als eigenständige Zuwiderhandlungen
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages angesehen. Das Vorbringen der Kommission
in ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist
daher zurückzuweisen, soweit es auf die Änderung dieser rechtlichen Würdigung
abzielt.
- 185.
- Die Tatsache, daß die Klägerin an den Erörterungen nicht teilnahm, die in den
Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung behandelt werden, läßt die Art der ihr
zur Last gelegten Zuwiderhandlung unberührt. Ihre besondere Situation ändert
nichts daran, daß der Austausch der streitigen Informationen den wesentlichen
Bestandteil der Zuwiderhandlung darstellt. Unbeschadet der Prüfung der Schwere
ihrer Zuwiderhandlung durch das Gericht sind diese Erörterungen für die
Beurteilung ihres Falles nur insofern von Interesse, als sie wie am Ende von
Randnummer 268 der Entscheidung ausgeführt Aufschluß über den
wettbewerbswidrigen Charakter des Austauschs geben.
b) Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring
- 186.
- Der wettbewerbswidrige Charakter des Monitoring ist unter Berücksichtigung der
Zielsetzung von Artikel 65 § 1 und des rechtlichen Rahmens des Vertrages zu
beurteilen.
- 187.
- In seiner Stellungnahme 1/61 vom 13. Dezember 1961 (Slg. 1961, 527) hat der
Gerichtshof ausgeführt, daß der Zweck von Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages
darin besteht, die Unternehmen daran zu hindern, mit Hilfe von einschränkenden
Praktiken eine Stellung zu erlangen, die ihnen eine Aufteilung oder Ausbeutung der
Märkte gestattet. Dieses durch Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzte Verbot gilt
nach Ansicht des Gerichtshofes in ganzer Strenge und ist für die vom Vertrag
geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend (S. 566). Überdies hat der
Gerichtshof zu der in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen Regelung über die
Veröffentlichung der Preise (siehe unten) ausgeführt: „Der Vertrag geht davon aus,
daß die freie Preisbildung durch das Recht der einzelnen Unternehmen
gewährleistet ist, ihre Preise selbst festzusetzen und, wenn sie dieselben abändern
wollen, neue Preislisten zu veröffentlichen. Wenn sich die Marktlage ändert, sind
die Erzeuger gezwungen, ihre Preislisten dem anzupassen; auf diese Weise .bildet
der Markt den Preis'“ (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Dezember 1954 in der
Rechtssache 1/54, Frankreich/Hohe Behörde, Slg. 1954, 7, 32). Aus der
Rechtsprechung des Gerichtshofes geht ferner hervor, daß auch wenn der
Stahlmarkt ein oligopolistischer Markt ist, der durch die Regelung in Artikel 60 des
Vertrages gekennzeichnet ist, die sicherstellt, daß infolge der Pflicht zur
Veröffentlichung der Preistafeln und Transporttarife die von den einzelnen
Unternehmen angewandten Preise transparent bleiben die daraus resultierende
Unbeweglichkeit oder Parallelität der Preise als solche nicht in Widerspruch zum
Vertrag steht, falls sie nicht die Folge einer wenn auch nur stillschweigenden
Vereinbarung der Parteien, „sondern des freien Spiels der Kräfte auf dem Markt
und der Strategie unabhängiger Wirtschaftseinheiten mit entgegengesetzten
Interessen ist“ (Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 66/63,
Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1964, 1149, 1180).
- 188.
- Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, daß die Vorstellung, wonach jedes
Unternehmen die Politik, die es auf dem Markt verfolgen möchte, eigenständig und
ohne Absprache mit seinen Konkurrenten zu bestimmen hat, dem EGKS-Vertrag
und insbesondere dessen Artikeln 4 Buchstabe d und 65 § 1 zu entnehmen ist.
- 189.
- Nach dem Wortlaut von Artikel 65 § 1 des Vertrages sind im übrigen „alle
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von
Unternehmen und alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf
dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu
verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen“, verboten. Dieses Verbot gilt für
jedes Kartell, das „die Tendenz hat“ oder „geeignet ist“, den normalen Wettbewerb
zu beeinträchtigen, ohne daß zur Feststellung einer Zuwiderhandlung eine
tatsächliche und konkrete Wettbewerbsbeeinträchtigung nachgewiesen zu werden
braucht. Der Gerichtshof hat im übrigen in seinem Urteil vom 20. März 1957 in der
Rechtssache 2/56 (Geitling u. a./Hohe Behörde, Slg. 1957, 11) ausgeführt (S. 40),
daß es für die Feststellung einer Verfälschung oder Einschränkung des
Wettbewerbs durch eine Vereinbarung keiner Würdigung ihrer konkreten
Auswirkungen bedarf, da sich diese Feststellung bereits aus dem abstrakten
Tatbestand von Artikel 65 § 1 des Vertrages ergibt.
- 190.
- Im vorliegenden Fall waren die weitergegebenen Angaben über die Aufträge und
Lieferungen der Teilnehmer auf den wichtigsten Märkten der Gemeinschaft nach
Unternehmen und Mitgliedstaat aufgeschlüsselt. Sie erlaubten es somit, die Position
jedes Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtabsatz der Teilnehmer auf allen
betroffenen räumlichen Märkten in Erfahrung zu bringen. Dies gilt auch für die in
den Randnummern 46, letzter Satz, und 48 der Entscheidung beanstandete
Weitergabe von Zahlen im zweiten Halbjahr 1990. Sowohl die bei der
Wiederaufnahme des Monitoring im Dezember 1990 erstellten Tabellen (Randnr.
46) als auch die Aufstellungen der Walzstahl-Vereinigung vom 1. Oktober und vom
23. November 1990 (Randnr. 48) waren nach Unternehmen aufgeschlüsselt.
- 191.
- Die Klägerin beruft sich zu Unrecht darauf, daß die Weitergabe der ausgetauschten
Daten den Wettbewerb nicht habe beeinflussen können, da sie nur „historischen“
Charakter gehabt hätten. Denn dank der Aktualität der Daten und der Häufigkeit
ihrer Übermittlung waren die Unternehmen in der Lage, jeden Schritt bei der
Entwicklung der Anteile der Teilnehmer an den fraglichen Märkten genau zu
verfolgen.
- 192.
- So wurden die Zahlen über die in einem bestimmten Quartal auszuliefernden
Aufträge (Auftragsmonitoring) vom Sekretariat der Träger-Kommission wöchentlich
zusammengestellt und weitergegeben (Randnr. 40 der Entscheidung). Aus den in
Anhang 1 der Entscheidung genannten Unterlagen geht ferner hervor, daß
zwischen dem Bezugszeitpunkt einer Übersicht und dem Zeitpunkt, zu dem sie
erstellt oder den Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, normalerweise
weniger als drei Wochen lagen. Ebenso wurden die in Anhang 1 der Entscheidung
aufgeführten Liefertabellen mit einer Ausnahme (und zwar der in Nr. 26 des
Anhangs genannten Tabelle, die etwa zwei Monate nach dem Bezugsquartal
datiert) entweder vor dem Ende des Bezugsquartals bisweilen sogar mehrere
Wochen davor oder einige Tage danach verbreitet.
- 193.
- Die Lieferzahlen wurden stets weniger als drei Monate nach dem Ende des
betreffenden Quartals verbreitet.
- 194.
- Die gesamte so gestaltete Zusammenarbeit beschränkte sich allein auf die
teilnehmenden Hersteller unter Ausschluß der Verbraucher und der übrigen
Konkurrenten.
- 195.
- Es ist im übrigen unstreitig, daß der Austausch homogene Produkte betraf (vgl.
Randnr. 269 der Entscheidung), so daß der Wettbewerb anhand der Merkmale der
Produkte nur eine begrenzte Rolle spielte. Es gibt in den Akten keinen
Anhaltspunkt dafür, daß es wie die Klägerin andeutet genauerer Informationen
über die Art der Erzeugnisse oder über die Identität der Kunden bedurft hätte, um
das Interesse der Teilnehmer an der Kenntnis der Marktstellung ihrer
Konkurrenten zu befriedigen.
- 196.
- Zur Marktstruktur ist festzustellen, daß 1989 auf zehn der am Monitoring der
Träger-Kommission teilnehmenden Unternehmen zwei Drittel des sichtbaren
Verbrauchs entfielen (Randnr. 19 der Entscheidung). Bei einer solchen
oligopolistischen Struktur des Marktes, die selbst schon den Wettbewerb verringern
kann, ist es um so notwendiger, die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und
den verbleibenden Wettbewerb zu schützen.
- 197.
- Die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung genannten Anhaltspunkte
bestätigen, daß die streitigen Systeme in Anbetracht aller Umstände des
vorliegenden Falles, insbesondere der Aktualität und der Aufschlüsselung der allein
für die Hersteller bestimmten Daten, der Produktmerkmale und des
Konzentrationsgrads des Marktes, die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer
erheblich beeinflußten.
- 198.
- Im allgemeinen waren die verbreiteten Informationen Gegenstand regelmäßiger
Erörterungen in der Träger-Kommission. Wie vor allem die in Randnummer 268
der Entscheidung wiedergegebenen Anhaltspunkte zeigen, wurden als überhöht
angesehene Auftragseingänge (Randnr. 51) und Lieferungen der Betroffenen,
insbesondere in andere Mitgliedstaaten (Randnrn. 51, 53 und 60), kritisiert, wobei
in einigen Fällen die Lieferungen zwischen zwei Ländern oder Zonen analysiert
wurden (Randnrn. 53, 55 und 57). In diesem Zusammenhang nahmen die
Unternehmen regelmäßig auf Zahlen aus der Vergangenheit Bezug (Randnrn. 51,
53, 57 und 58), wobei sie den Begriff „traditionelle Handelsströme“ verwandten
(Randnr. 57). Bei den Erörterungen wurden wegen als überzogen angesehener
Verhaltensweisen Drohungen ausgesprochen (Randnr. 58), und die kritisierten
Unternehmen versuchten mehrfach, ihr Verhalten zu erklären (Randnrn. 52 und
56). Schließlich diente die Verbreitung der Lieferzahlen offenbar auch zur
Aufdeckung etwaiger Abweichungen von den angekündigten Aufträgen (Randnr.
54). Auf diese Weise verbesserte das Liefermonitoring die Effektivität des
Auftragsmonitoring (vgl. Randnr. 268 der Entscheidung).
- 199.
- Folglich waren die Informationen, die die Unternehmen im Rahmen der streitigen
Systeme erhielten, geeignet, ihr Verhalten spürbar zu beeinflussen, und zwar
sowohl deshalb, weil sich jedes Unternehmen der genauen Überwachung durch
seine Konkurrenten bewußt war, als auch deshalb, weil es selbst gegebenenfalls auf
deren Verhalten anhand erheblich aktuellerer und genauerer Daten reagieren
konnte, als auf anderem Weg zur Verfügung standen (vgl. den in Randnr. 59 der
Entscheidung zitierten Briefingvermerk von Peine-Salzgitter vom 10. September
1990, in dem es heißt: „Ein Zahlenaustausch nur der aggregierten Zahlen ist für
uns (Meinungsbildung der deutsch-luxemburgischen Gruppe am 30.08.90) (fast)
wertlos, da das Marktverhalten der einzelnen Anbieter nicht mehr nachvollzogen
werden kann.“).
- 200.
- Aus dem gleichen Grund war die Kommission in Randnummer 267 der
Entscheidung zu der Annahme berechtigt, daß solche Informationen normalerweise
als streng vertraulich betrachtet werden. Entgegen den Behauptungen der Klägerin
sind derartige Angaben, aus denen die jüngsten Marktanteile der Teilnehmer
hervorgehen und die nicht öffentlich verfügbar sind, ihrem Wesen nach
vertraulicher Art; dies wird dadurch bestätigt, daß interessierte Unternehmen die
vom Sekretariat verbreiteten Angaben nur auf Gegenseitigkeit erhalten konnten
(vgl. Randnr. 45 der Entscheidung).
- 201.
- Im übrigen fand die mit dem Informationsaustausch verbundene gegenseitige
Kontrolle zumindest stillschweigend unter Heranziehung der Zahlen aus der
Vergangenheit in einem Zusammenhang statt, in dem die Politik der Kommission
bis Januar 1987 auf die Aufrechterhaltung der „traditionellen Handelsströme“
eines von den Teilnehmern ausdrücklich verwendeten Begriffs gerichtet war.
Der Austausch diente somit zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme auf
die traditionellen Handelsströme.
- 202.
- Auch wenn die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung beschriebenen
Erörterungen in der Träger-Kommission den Informationswert der vom Sekretariat
der Träger-Kommission verbreiteten Angaben zutreffend widerspiegelten, besteht
die Wettbewerbswidrigkeit des beanstandeten Austauschs überdies im Charakter
der verbreiteten Angaben selbst, bei denen es sich um vertrauliche und aktuelle,
nach Ländern und Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen über Bestell- und
Liefermengen auf einem oligopolistisch strukturierten Markt handelte. Die
Tatsache, daß die Klägerin an den Erörterungen in der Träger-Kommission nicht
teilnahm, ändert somit nichts am Charakter der ihr zur Last gelegten
Zuwiderhandlung.
- 203.
- Die im Rahmen des von der Walzstahl-Vereinigung organisierten Systems
verbreiteten Angaben, die ebenfalls die auszuliefernden Aufträge und die
ausgeführten Lieferungen betrafen, waren mit den soeben geprüften Angaben
sowohl hinsichtlich ihrer Aufschlüsselung als auch hinsichtlich ihrer Aktualität
vergleichbar (vgl. Randnr. 48 der Entscheidung). Dieses System kam im dritten und
im vierten Quartal 1990 zum Einsatz und verschaffte den Mitgliedern der
Walzstahl-Vereinigung nach Unternehmen aufgeschlüsselte Aufstellungen, als sie
vom Sekretariat der Träger-Kommission nur noch globale Angaben erhielten (vgl.
Randnr. 48 der Entscheidung).
- 204.
- Folglich verringerten die streitigen Informationsaustauschsysteme spürbar die
Entscheidungsfreiheit der teilnehmenden Hersteller, indem sie an die Stelle der
normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit der Hersteller
setzten.
- 205.
- Das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten war folglich auch nicht durch
Abschnitt II Nr. 1 der Bekanntmachung von 1968 gedeckt, der schon nach seinem
Wortlaut nicht für einen Austausch von Informationen gilt, der die
Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer einschränkt oder geeignet ist, ein
koordiniertes Marktverhalten zu erleichtern. Im übrigen handelte es sich vorliegend
um einen Austausch individualisierter Daten im Rahmen eines oligopolistischen
Marktes homogener Produkte, der zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme
auf die traditionellen Handelsströme diente.
- 206.
- Soweit die Klägerin zur Rechtfertigung der streitigen Systeme und ihrer Mitwirkung
an ihnen auf Artikel 60 des Vertrages oder allgemeiner auf das Ziel der
gleichmäßigen Versorgung aller europäischen Abnehmer Bezug nimmt, kann ihremVorbringen nicht gefolgt werden. Zum einen beschränkt sich diese Bestimmung auf
den Preisbereich und bezieht sich nicht auf Informationen über die auf den Markt
gebrachten Mengen. Zum anderen sollen von der in Artikel 60 § 2 des Vertrages
vorgesehenen Veröffentlichung der Preise u. a. die Verbraucher profitieren (vgl.
insbesondere das Urteil Frankreich/Hohe Behörde, S. 23), während die streitigen
Systeme nur den teilnehmenden Herstellern zugute kamen. Desgleichen gestattet
es Artikel 47 des Vertrages der Kommission ebensowenig wie Artikel 46,
Informationen über das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen bei den Mengen
bekanntzugeben, die allein den Herstellern nutzen. Aus den gleichen Gründen kann
sich die Klägerin nicht auf einen im EGKS-Vertrag enthaltenen allgemeinen
Grundsatz der Transparenz berufen, zumal es sich vorliegend um vertrauliche
Angaben handelt, die ihrem Wesen nach Geschäftsgeheimnisse darstellen.
- 207.
- Zu der auf die Artikel 5 und 46 bis 48 des Vertrages sowie die Entscheidung Nr.
2448/88 gestützten Argumentation, daß der Austausch von Informationen im
Rahmen der Zusammenarbeit mit der Kommission erforderlich gewesen sei, ist
festzustellen, daß keine dieser Bestimmungen ausdrücklich einen Austausch von
Informationen der vorliegenden Art zwischen Unternehmen erlaubt. Die Frage, ob
ein solcher Austausch durch das Verhalten der GD III stillschweigend gestattet
wurde, wird in Abschnitt C behandelt.
- 208.
- Unter diesem Vorbehalt und insbesondere in Anbetracht des Grundprinzips des
Vertrages, wonach der dort angestrebte Wettbewerb im Spiel unabhängiger und
entgegengesetzter Kräfte und Wirtschaftsstrategien auf dem Markt besteht (Urteil
Niederlande/Hohe Behörde), hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen,
als sie in Randnummer 271 der angefochtenen Entscheidung auf einige frühere
Entscheidungen verwies, die sie im Bereich des EWG-Vertrags in bezug auf
oligopolistische Märkte getroffen hatte. Speziell zur Entscheidung „UK Agricultural
Tractor Registration Exchange“ haben sowohl das Gericht als auch der Gerichtshof
ausgeführt, daß der Austausch von Marktinformationen auf einem hochgradig
konzentrierten oligopolistischen Markt geeignet ist, den Unternehmen Aufschluß
über die Marktposition und die Verkaufsstrategie ihrer Konkurrenten zu geben und
damit den noch bestehenden Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern
spürbar zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichts in der Rechtssache
Deere/Kommission, Randnr. 51; Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache
Deere/Kommission, Randnrn. 88 bis 90).
- 209.
- Schließlich konnten die fraglichen Unternehmen angesichts der Art der
Erörterungen in der Träger-Kommission, von denen die Klägerin durch die ihr von
der Walzstahl-Vereinigung zur Verfügung gestellten Protokolle ständig informiert
wurde, sowie des Wortlauts der Bekanntmachung von 1968 keinen vernünftigen
Zweifel daran haben, daß der betreffende Austausch darauf abzielte, den normalen
Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, und daß er folglich
nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten war. Dies geht im übrigen auch aus den
in Abschnitt C dargelegten Erwägungen hervor. Angebliche Schwierigkeiten bei der
Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens haben jedenfalls keinen Einfluß
auf das Verbot selbst, das objektiven Charakter hat. Im übrigen hat die
Kommission ihren Standpunkt, daß die streitigen Systeme dem normalen
Wettbewerb widersprochen hätten, in den Randnummern 266 bis 271 der
Entscheidung rechtlich hinreichend begründet.
- 210.
- Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin zum Informationsaustausch in der
Träger-Kommission und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung vorbehaltlich der
in Abschnitt C getroffenen Feststellungen in vollem Umfang zurückzuweisen.
C Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung
- 211.
- Die Frage, ob die Kommission selbst in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung verwickelt war, ist nicht in deren Schriftsätzen aufgeworfen
worden, sondern im Rahmen der gemeinsamen Ausführungen der Klägerinnen in
der mündlichen Verhandlung, auf die die Klägerin dort ausdrücklich Bezug
genommen hat.
- 212.
- Es ist jedoch festzustellen, daß die Klägerin, nachdem die vorliegende Rechtssache
mit den Parallelsachen, die sich gegen die Entscheidung richten, zu gemeinsamer
Beweiserhebung und mündlicher Verhandlung verbunden worden war, von einigen
Unterlagen über Treffen der GD III mit Vertretern der Stahlindustrie zwischen
Oktober 1988 und Mitte 1990 Kenntnis erlangen konnte, die andere Klägerinnen
vorgelegt haben. Es ist nicht sicher, daß die Klägerin vor der Erhebung ihrer Klage
von diesen Unterlagen hätte Kenntnis erlangen können. Ferner wurden nach dem
Beschluß des Gerichts vom 12. Dezember 1997 neue Unterlagen über die
fraglichen Sitzungen vorgelegt, und das Gericht hat Herrn Ortún und Herrn
Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Kutscher, einen ehemaligen
Beamten der GD III, als Zeugen vernommen.
- 213.
- Bei dieser Sachlage hindert Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung die Klägerin
nicht daran, auf der Grundlage der somit während des Verfahrens vor dem Gericht
zutage getretenen Umstände geltend zu machen, daß die Kommission von der ihr
zur Last gelegten Tätigkeit der Sammlung und des Austauschs von Informationen,
insbesondere über Aufträge und Lieferungen, gewußt und sie sogar unterstützt
habe.
- 214.
- In der Sache hat das Gericht in seinem Urteil vom heutigen Tag in der
Rechtssache T-141/94 (Thyssen/Kommission, Randnrn. 490 bis 565) jedoch
festgestellt, daß die angebliche Beteiligung der Kommission an den
Zuwiderhandlungen, die den Klägerinnen in der Entscheidung zur Last gelegt
werden, im vorliegenden Fall nicht erwiesen ist. Ferner hat das Gericht festgestellt,
daß den Klägerinnen zumindest nach dem 30. Juni 1988 die Rechtswidrigkeit der
betreffenden Zuwiderhandlungen bekannt sein mußte und daß die Kommission den
EGKS-Vertrag nicht in rechtswidriger Weise an den EG-Vertrag „angepaßt“ hat.
- 215.
- Speziell in bezug auf den Austausch von Informationen über Aufträge und
Lieferungen in der Träger-Kommission geht aus den Akten nicht nur hervor, daß
die Kommission davon keine Kenntnis hatte, sondern daß Eurofer sowohl der
GD III als auch der Generaldirektion Wettbewerb (GD IV) die Existenz von
Informationsaustauschsystemen, die sich auf individualisierte Daten erstreckten,
verheimlichte.
- 216.
- Bei dem Treffen im kleinen Kreis vom 21. März 1989, an dem Vertreter der
GD III und der Industrie teilnahmen (vgl. das Protokoll dieses Treffens,
Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 24), teilte Herr
von Hülsen, der Generaldirektor von Eurofer, der GD III mit, daß im Rahmen
dieser Vereinigung ein System beschleunigter statistischer Erhebungen eingeführt
worden sei, das sich auf die zusammengefaßten monatlichen Auftrags- und
Lieferdaten erstrecke; er teilte aber nicht mit, daß das Auftrags- und
Liefermonitoring eingeführt worden war, obwohl dessen erste Ergebnisse von den
beteiligten Unternehmen in der Sitzung der Träger-Kommission vom 9. Februar
1989 erstmals erörtert worden waren.
- 217.
- Herr Vanderseypen, der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommen
worden ist, hat bestätigt, daß die fraglichen Schnellstatistiken auf
Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen
Zielmärkten aufgeschlüsselt waren, so daß kein Unternehmen den Marktanteil
seiner Konkurrenten ermitteln konnte. Er hat hinzugefügt, die Kommission habe
von Eurofer nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten und keine
Kenntnis davon gehabt, daß bei Eurofer solche Zahlen in Umlauf gewesen seien.
- 218.
- Aus den in den Anhängen I und II der Entscheidung aufgeführten Unterlagen
ergibt sich aber, daß in der Träger-Kommission im Rahmen des in den
Randnummern 39 bis 60 und 263 bis 271 der Entscheidung beschriebenen
Monitoring nach Unternehmen und nationalen Märkten aufgeschlüsselte Auftrags-
und Lieferstatistiken ausgetauscht wurden.
- 219.
- Im Schreiben vom 22. Juni 1990 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang
4, Schriftwechsel 1) sprach Herr Temple Lang, der Leiter der Direktion D
„Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige
Wettbewerbsverzerrungen III“ der GD IV, u. a. das allgemeine Problem der
Sammlung und des Austauschs von Informationen und statistischen Angaben im
Rahmen von Eurofer an. Er wies darauf hin, daß es die Kommission in einer
Sitzung des Statistischen Ausschusses Stahl vom 11. Juni 1990 „angesichts der
ungewöhnlichen Lösung bei der Sammlung von Informationen für erforderlich hielt,
die Mitglieder des Ausschusses und insbesondere den Vertreter von Eurofer auf
die Anwendbarkeit von Artikel 65 EGKS-Vertrag aufmerksam zu machen“. Er wies
ferner auf den „Standpunkt der Kommission in der Frage der gemeinsamen
Erstellung von Statistiken und des Informationsaustauschs ... unter Unternehmen
oder im Rahmen einer dritten Stelle“ hin, wobei er den Unterschied „zwischen
einer Vereinbarung über die Sammlung allgemein bekannter und nicht aktueller
Informationen einerseits und der Sammlung aktueller und detaillierter Statistiken,
die den Konkurrenten sonst nicht zugänglich wären, andererseits“ hervorhob. Er
fügte hinzu, daß die Mitglieder des Ausschusses bereits in der Sitzung vom 7. Juli
1989 durch die Übersendung einer Kopie der Bekanntmachung von 1968 informiert
worden seien. Er ersuchte den Generaldirektor von Eurofer deshalb um eine Reihe
von Auskünften, um „prüfen zu können, ob [seine] Aktivitäten im Bereich der
gemeinsamen Erstellung von Statistiken den wirksamen Wettbewerb
beeinträchtigen können“, und insbesondere um eine „Beschreibung der Methode
zur Sammlung und Verteilung von Statistiken innerhalb [seiner] Vereinigung“.
- 220.
- Aus der Antwort des Generaldirektors von Eurofer vom 24. Juli 1990 (Klageschrift
in der Rechtssache T-151/94, Anhang 4, Schriftwechsel 1) geht jedoch hervor, daß
die GD IV trotz ihrer ausdrücklichen Bitte nicht genau über Art und Umfang des
Informationsaustauschs im Rahmen von Eurofer sowie unter den Mitgliedern der
Träger-Kommission d. h. darüber, daß es sich um individuelle, nach Unternehmen
und Ländern aufgeschlüsselte Auftrags- und Lieferdaten handelte informiert
wurde.
- 221.
- Zugleich richtete die Verwaltung von Eurofer am 30. Juli 1990, also weniger als
eine Woche nach der Antwort von Eurofer auf das Auskunftsverlangen der GD IV,
u. a. an den Vorsitzenden und das Sekretariat der Träger-Kommission ein
Schreiben mit der Überschrift „Austausch und Verteilung von Statistiken“ (S. 1681
der Akten der Kommission), dessen Wortlaut in Randnummer 44 der Entscheidung
wie folgt wiedergegeben wird:
„Die jüngste Entscheidung der Kommission in der Sache nichtrostende
Flacherzeugnisse und verschiedentliche Kontakte zwischen der GD IV und dem
Eurofer-Vorstand haben die Aufmerksamkeit auf die Frage des Austauschs bzw.
der Verteilung von Statistiken durch uns oder die Ausschußsekretariate und deren
Vereinbarkeit mit Artikel 65 des EGKS-Vertrags gelenkt.
Bis zu einer eingehenden rechtlichen Prüfung der Frage haben wir beschlossen, die
Weitergabe von Statistiken mit individualisierten Produktions-, Liefer- oder
Auftragszahlen auszusetzen, und bitten Sie, auch im Rahmen Ihres Ausschusses
einstweilen von einer derartigen Weitergabe abzusehen.
Von diesem Ersuchen nicht betroffen sind natürlich die Erfassung individualisierter
Zahlen durch eine neutrale Stelle, d. h. Eurofer, und die Weitergabe globaler
Ergebnisse ohne individualisierte Zahlen, wie wir dies gewöhnlich tun. Solche
Statistiken sind rechtlich absolut unbedenklich, da mit ihnen nur überschlägige
Informationen über die Wirtschafts- und Marktentwicklung vermittelt werden
sollen. Diese Statistiken werden von uns wie bisher fortgeführt, wobei Sie in
gleicher Weise verfahren können.“
- 222.
- Somit ist festzustellen, daß Eurofer trotz des an sie gerichteten ausdrücklichen
Auskunftsverlangens der GD IV der Kommission den Austausch und die
Verteilung individueller Statistiken, die mit ihrem Wissen in ihren
Produktausschüssen und insbesondere in der Träger-Kommission stattfanden,
bewußt verheimlichte und die Ausschüsse zugleich bat, davon künftig abzusehen.
- 223.
- Im übrigen ist erwiesen, daß die Mitgliedsunternehmen der Träger-Kommission,
nachdem sie der Bitte von Eurofer vom 30. Juli 1990 zunächst nachgekommen
waren, den Austausch nach Unternehmen aufgeschlüsselter Daten mit Billigung der
Verwaltung von Eurofer rasch wieder aufnahmen (im Fall der Klägerin zumindest
im Dezember 1990); nur British Steel weigerte sich, solche Informationen zur
Verfügung zu stellen (vgl. Randnrn. 44 bis 46 der Entscheidung).
- 224.
- Es wird im übrigen nicht geltend gemacht, daß die Kommission vom
Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung Kenntnis hatte, der
im zweiten Halbjahr 1990 stattfand und auf den sich Randnummer 272 der
Entscheidung bezieht.
- 225.
- In bezug auf die Frage, ob die der Klägerin zur Last gelegten Handlungen
insbesondere im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages erlaubt waren, hat
das Gericht bereits festgestellt, daß diese Bestimmungen die hier relevanten
Vereinbarungen und verabredeten Praktiken nicht zuließen.
- 226.
- Im übrigen haben die Klägerinnen insbesondere in ihrem gemeinsamen Vorbringen
unter Bezugnahme auf die Auffassung von Professor Reuter selbst eingeräumt, daß
die von der Kommission im Rahmen dieser Artikel in „Zusammenarbeit“ mit den
Beteiligten und mit ihrem Einverständnis getroffenen Maßnahmen, auch wenn sie
„offensichtlich verabredete Praktiken darstellen“, nur dann nicht unter Artikel 65
des Vertrages fallen, wenn „die Hohe Behörde selbst mitspielt und sogar dirigiert“.
- 227.
- Desgleichen hat Professor Steindorff in seinen Ausführungen, die er in der
mündlichen Verhandlung im Namen der Klägerinnen gemacht hat, in bezug auf
den Austausch von Informationen unter Unternehmen zur Vorbereitung der
Treffen mit der Kommission erklärt, ein solcher vorheriger Austausch sei nur dann
nicht nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten, wenn die Kommission ihn leite.
Die Unternehmen müßten in gutem Glauben handeln und diesen Austausch als
bloße Vorbereitung für die Gespräche mit der Kommission ansehen, die ihrerseits
im Rahmen von Artikel 46 des Vertrages tätig werde.
- 228.
- Aus den bereits genannten Gründen ist das Gericht der Ansicht, daß dies hier nicht
der Fall war.
- 229.
- Demnach ist das Vorbringen der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen.
D Zum Ermessensmißbrauch
- 230.
- Im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben die
Klägerinnen einen Ermessensmißbrauch gerügt, der darin bestehen soll, daß die
Kommission, statt ihre Befugnisse aufgrund des Vertrages und insbesondere dessen
Artikel 58 auszuüben, die Hersteller habe „zwingen“ wollen, die von ihr als
unabdingbar angesehenen Umstrukturierungen vorzunehmen, und deren Weigerung
durch die Verhängung hoher Geldbußen in der Entscheidung „geahndet“ habe, die
am Tag nach dem Abbruch der mit Vertretern der Stahlindustrie geführten
Verhandlungen erlassen worden sei.
- 231.
- Die Klägerin hat sich jedoch in ihren Schriftsätzen nicht auf den Klagegrund eines
Ermessensmißbrauchs berufen. Da während des Verfahrens vor dem Gericht kein
neuer Gesichtspunkt zutage getreten ist, aus dem sich das Vorliegen eines solchen
Ermessensmißbrauchs ergeben könnte, ist diese Rüge in bezug auf die Klägerin als
unzulässig zurückzuweisen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest
auf Herabsetzung der Geldbuße
A Vorbemerkungen
- 232.
- In Artikel 4 der Entscheidung wird wegen der in Artikel 1 geschilderten
Zuwiderhandlungen eine Geldbuße von 150 000 ECU gegen die Klägerin
festgesetzt. Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der
Höhe der individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien sind in den
Randnummern 298 bis 317 und 319 bis 324 der Entscheidung zu finden.
- 233.
- In Beantwortung von Fragen des Gerichts hat die Kommission die
Berechnungsweise der Geldbußen näher erläutert und mehrere Übersichten
vorgelegt, aus denen sich die Berechnung für jedes einzelne Unternehmen ergibt
(vgl. Anlage 6 ihrer Antwort vom 21. Januar 1998, ihre Antwort vom 23. Februar
1998 und die am 19. März 1998 vorgelegten Übersichten).
- 234.
- Daraus geht hervor, daß die Kommission die Geldbuße anhand eines „Grundtarifs“
von 7,5 % des Trägerumsatzes des betreffenden Unternehmens in der
Gemeinschaft im Jahr 1990 ermittelte. Dieser Prozentsatz verteilt sich nach
folgendem Schlüssel auf die in Randnummer 300 der Entscheidung genannten drei
Arten von Zuwiderhandlungen: Preisfestsetzung 3 %, davon 2,5 % für die
Absprachen über die Basispreise und 0,5 % für die Absprachen über die
Aufpreisharmonisierung; Marktaufteilung 3 %; Informationsaustausch 1,5 %.
- 235.
- Die Kommission gewichtete diese Prozentsätze insbesondere nach der Dauer und
der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung.
- 236.
- So wandte die Kommission zur Differenzierung der Geldbußen nach Maßgabe der
Dauer jeder Zuwiderhandlung außer bei den Absprachen über die
Aufpreisharmonisierung den Quotienten aus der Zahl der als Zeitraum der
Zuwiderhandlung tatsächlich angesetzten Monate und der Höchstzahl von 30
Monaten an. Da sich manche Zuwiderhandlungen nur auf einen oder einige
nationale Märkte erstreckten, wandte sie ferner zur Differenzierung der Geldbußen
nach Maßgabe der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung einen
Prozentsatz an, der dem Anteil des fraglichen Marktes oder der fraglichen Märkte
am sichtbaren Gesamtverbrauch in der Gemeinschaft entsprach (Deutschland
21 %, Frankreich 17 %, Vereinigtes Königreich 17 %, Spanien 15 %, Italien 14 %,
Niederlande 7 %, belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion 6 %, Dänemark 2 %).
- 237.
- Bei jeder Zuwiderhandlung wurden sodann gegebenenfalls gewisse Zu- oder
Abschläge vorgenommen, um etwaigen erschwerenden oder mildernden Umständen
Rechnung zu tragen.
- 238.
- Schließlich wurde der Gesamtbetrag, der sich aus der obigen Berechnung ergab, bei
Thyssen, British Steel und Unimétal wegen des Vorliegens eines
„Wiederholungsfalls“ um ein Drittel erhöht.
- 239.
- Im Fall der Klägerin verfügte die Kommission nur über Angaben zum Absatz von
Trägern in der Gemeinschaft im zweiten Halbjahr 1990. Sie rechnete diese
Angaben daher durch Verdoppelung auf das gesamte Jahr hoch. Nach der Antwort
der Kommission vom 19. März 1998 wurde die Geldbuße der Klägerin auf der
Grundlage eines relevanten Umsatzes von 13,03 Millionen ECU wie folgt
errechnet:
Informationsaustausch
Millionen ECU
13,03 x 1,5 % x 27/30 =
0,1759
Für die Differenz zwischen der auf diese Weise errechneten Zahl und der
tatsächlichen Geldbuße von 150 000 ECU wurde keine Erklärung gegeben.
B Zum fehlenden Verschulden der Klägerin
- 240.
- Die Klägerin trägt in ihrer Erwiderung vor, nach einem in allen Rechtsordnungen
anerkannten Prinzip setze die Verhängung einer Sanktion ein Verschulden voraus.
Der Entscheidung lasse sich jedoch nicht entnehmen, inwiefern sie schuldhaft
gehandelt haben solle.
- 241.
- Wie oben ausgeführt, mußte der Klägerin oder ihrer Vorgängerin zumindest nach
dem 30. Juni 1988 die Rechtswidrigkeit der betreffenden Verhaltensweisen bekannt
sein.
- 242.
- Ein Verschulden ist somit gegeben, so daß über die Zulässigkeit der vorliegenden
Rüge nicht entschieden zu werden braucht.
C Zur Unzulänglichkeit der Begründung, zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße
und zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 243.
- Die Klägerin führt aus, die Kommission habe nicht erläutert, wie sie im Hinblick
auf die verschiedenen Angaben zum Umsatz der Klägerin, die ihr mit Schreiben
vom 24. Juni 1992 übermittelt worden seien, die Höhe der Geldbuße bestimmt
habe. Eine solche Erläuterung wäre um so erforderlicher gewesen, als die Klägerin
erst ab 1. Juli 1990 ihre eigentliche wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen habe.
- 244.
- Außerdem sei der in ihrem Fall gewählte Betrag in Anbetracht der in Artikel 1 der
Entscheidung herangezogenen Umstände namentlich der Dauer der den
verschiedenen Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen sowie der
Informationen über die Unternehmen selbst (Randnr. 11 der Entscheidung)
weder nachvollziehbar noch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar.
Dieser Einwand betreffe insbesondere das Verhältnis zwischen diesem Betrag und
den gegen die Krupp Hoesch Stahl AG und gegen Norsk Jernverk AS festgesetzten
Geldbußen. Auch wenn die Kommission keinen Bußgeldkatalog zu erstellen
brauche, müsse sie die Parameter und Kriterien angeben, die sie bei der
Festsetzung der verschiedenen Geldbußen angewandt habe.
- 245.
- Im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung
haben die Klägerinnen überdies u. a. folgendes geltend gemacht:
a) Die Kommission habe nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die streitigen
Verhaltensweisen eine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt hätten, obwohl
Artikel 65 des Vertrages den Beweis für eine solche Wirkung verlange.
Insbesondere die Erläuterungen in den Randnummern 302 und 303 der
Entscheidung zu den angeblich infolge der vereinbarten Preiserhöhungen
erlangten zusätzlichen Erlösen stünden in Widerspruch zur Zeugenaussage
von Herrn Kutscher. Nach seinen Angaben hätten sich derartige
Erhöhungen aus der damaligen konjunkturellen Lage ergeben können.
b) Die Kommission hätte die Tatsache, daß die streitigen Verhaltensweisen
nicht auf die Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung
oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des Vertrages abgezielt
hätten, und die Unterschiede zwischen dem EGKS-Vertrag und dem EG-Vertrag als mildernde Umstände berücksichtigen müssen.
c) Die Kommission habe zu Unrecht wegen der Informationsaustauschsysteme
eine gesonderte Geldbuße festgesetzt, denn vor dem Gericht habe sie diese
als akzessorisch zu anderen Zuwiderhandlungen eingestuft.
d) Die Kommission habe ohne Rechtfertigung Geldbußen mit einem höheren
allgemeinen Niveau als in ihrer Entscheidung 90/417/EGKS in einem
Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend eine
Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von
europäischen Herstellern von kaltgewalzten, nichtrostenden flachen
Stahlerzeugnissen (ABl. L 220, S. 28; im folgenden: Entscheidung
„nichtrostender Flachstahl“) und ihrer Entscheidung 94/815/EG vom 30.
November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache
IV/33.126 und 33.322 Zement, ABl. L 343, S. 1; im folgenden: Zement-Entscheidung oder Rechtssache „Zement“) festgesetzt.
Würdigung durch das Gericht
Zum Vorbringen der Klägerin
Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße
- 246.
- Nach der Rechtsprechung muß die durch Artikel 15 des Vertrages vorgeschriebene
Begründung es dem Betroffenen ermöglichen, herauszufinden, was die erlassene
Maßnahme rechtfertigt, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und
die Begründetheit der Entscheidung prüfen kann, und außerdem den
Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Das
Begründungserfordernis ist nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen, zu denen insbesondere der Inhalt der fraglichen Maßnahme, die Art der
angeführten Gründe und der Zusammenhang zählen, in dem sie erlassen wurde
(Urteil NALOO/Kommission, Randnrn. 298 und 300).
- 247.
- Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen
einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen
festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht
insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand
einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen
Umstände der Rechtssache, ihr Zusammenhang und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von
Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des
Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO
u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54). Außerdem verfügt die
Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein
Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel
anzuwenden (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89,
Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).
- 248.
- Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung in den Randnummern 300 bis 312,
314 und 315 eine ausreichende und sachgerechte Darstellung der Faktoren, die bei
der allgemeinen Beurteilung der Schwere der verschiedenen festgestellten
Zuwiderhandlungen herangezogen wurden. Diese Angaben werden im übrigen in
bezug auf den in Randnummer 300 behandelten Informationsaustausch durch die
Ausführungen in den Randnummern 49 bis 60 und 266 bis 272 der Entscheidung
ergänzt.
- 249.
- Die Kommission ist überdies in Randnummer 314 der Entscheidung zu dem als
solchem von der Klägerin nicht in Abrede gestellten Ergebnis gelangt, daß es sich
um eine Zuwiderhandlung von langer Dauer gehandelt habe. In Artikel 1 der
Entscheidung wird für jede Zuwiderhandlung angegeben, wie lange sie gedauert
haben soll, und damit der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß die den
verschiedenen Zuwiderhandlungen entsprechenden Teilbeträge der Geldbußen
nach der Dauer der Zuwiderhandlungen aufgeschlüsselt sind. Dies stellt eine
ausreichende Begründung dar.
- 250.
- Wie das Gericht in seinem Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89
(Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) ausgeführt hat, ist es
wünschenswert, daß die Unternehmen um ihren Standpunkt in voller Kenntnis
der Sachlage festlegen zu können nach jedem von der Kommission als
angemessen betrachteten System die Berechnungsweise der wegen einer
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch Entscheidung gegen sie
verhängten Geldbuße in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweckgerichtlich gegen die Entscheidung vorgehen zu müssen.
- 251.
- Dies gilt erst recht, wenn die Kommission wie hier zur Berechnung der
Geldbußen genaue mathematische Formeln benutzt hat. In einem solchen Fall ist
es wünschenswert, daß die betroffenen Unternehmen und gegebenenfalls das
Gericht prüfen können, ob die von der Kommission angewandte Methode und ihre
Vorgehensweise fehlerfrei und mit den für Geldbußen geltenden Bestimmungen
und Grundsätzen, zu denen insbesondere das Diskriminierungsverbot zählt,
vereinbar sind.
- 252.
- Solche Zahlenangaben, die auf Verlangen einer Partei oder des Gerichts gemäß
den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung vorgelegt werden, stellen jedoch
keine zusätzliche und nachträgliche Begründung der Entscheidung dar, sondern die
zahlenmäßige Umsetzung der in der Entscheidung genannten Kriterien, sofern
diese selbst quantifizierbar sind.
- 253.
- Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung zwar keine Angaben zur Berechnung
der Geldbuße, doch hat die Kommission im Lauf des Verfahrens auf Verlangen des
Gerichts u. a. Zahlenangaben zur Aufschlüsselung der Geldbuße nach den
verschiedenen den Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen vorgelegt.
- 254.
- Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß in
der Entscheidung genaue Angaben zur Berechnung der Geldbuße fehlten.
Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlung
- 255.
- Zum Vorbringen in den gemeinsamen mündlichen Ausführungen, wonach die
Kommission nicht hinreichend dargelegt habe, inwiefern die streitigen
Verhaltensweisen eine wettbewerbswidrige Wirkung gezeigt hätten, hat das Gericht
bereits in Randnummer 185 ausgeführt, daß es zur Feststellung einer
Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht des Nachweises bedarf,
daß das fragliche Verhalten eine wettbewerbswidrige Wirkung hatte. Gleiches gilt
für die Festsetzung einer Geldbuße gemäß Artikel 65 § 5 des Vertrages.
- 256.
- Folglich ist die mögliche Auswirkung einer Vereinbarung oder einer verabredeten
Praktik auf den normalen Wettbewerb bei der Beurteilung der angemessenen Höhe
der Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium. Wie die Kommission zu Recht
ausgeführt hat, können Gesichtspunkte, die die Intention und damit den
Gegenstand eines Verhaltens betreffen, größere Bedeutung haben als solche, die
dessen Wirkungen betreffen (vgl. die Schlußanträge des zum Generalanwalt
bestellten Richters Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1022 f.).
- 257.
- Die Kommission räumt jedoch ein, daß die Beurteilung der Auswirkungen einer
Zuwiderhandlung für die Geldbußen relevant sein kann, wenn sie sich ausdrücklich
auf eine bestimmte Auswirkung beruft und nicht in der Lage ist, diese
nachzuweisen oder gute Gründe für ihre Berücksichtigung anzugeben (in diesem
Sinne auch die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters
Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1023).
- 258.
- Insoweit hat die Kommission in Randnummer 222 der Entscheidung u. a.
ausgeführt, daß es sich bei den fraglichen Unternehmen um die führenden
Trägerhersteller in der EGKS gehandelt habe und daß die Auswirkung der
Zuwiderhandlungen alles andere als unbedeutend gewesen sei.
- 259.
- Unter diesen Umständen war die Kommission berechtigt, die erheblichen
wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf den Markt bei der
Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen.
- 260.
- Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zwar einen zahlenmäßigen
Überblick über die genaueren wirtschaftlichen Auswirkungen gegeben hat, die die
Preisfestsetzungen in der Träger-Kommission haben konnten (Randnrn. 302 und
303); sie war jedoch keineswegs verpflichtet, zur wirtschaftlichen Auswirkung des
der Klägerin zur Last gelegten Informationsaustauschs ähnliche Ausführungen zu
machen.
- 261.
- Auch wenn angesichts des Überwachungssystems und in Zusammenhang mit den
regelmäßigen Treffen der GD III mit der Stahlindustrie nicht auszuschließen ist,
daß die Kommission insbesondere in Randnummer 303 der Entscheidung die
wettbewerbswidrigen Wirkungen der Preisfestsetzungsvereinbarungen überbewertet
hat, so daß die entsprechende Geldbuße herabzusetzen ist (vgl. Randnrn. 640 bis
646 und 670 des Urteils vom heutigen Tag in der Rechtssache
Thyssen/Kommission), besteht kein Anlaß, die gegen die Klägerin festgesetzte
Geldbuße in ähnlicher Weise zu verringern. Mit dieser Geldbuße wird nämlich der
Austausch nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselter Informationen über
Aufträge und Lieferungen geahndet, der auf die Abschottung der Märkte abzielte
und mit den Erörterungen über die Preise, die von der GD III im Rahmen des
Überwachungssystems geführt wurden, nichts zu tun hatte.
Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen
gegen sie festgesetzten Geldbuße
- 262.
- Wie bereits festgestellt, ist die Teilnahme der Klägerin an den
Informationsaustauschsystemen, die in den Randnummern 263 bis 272 der
Entscheidung beschrieben sind, als eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages anzusehen. Folglich hat die Kommission zu Recht die Ansicht
vertreten, daß diese Zuwiderhandlung als solche mit einer Geldbuße zu belegen
war.
Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen im
Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der Kommission und zu den
Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des Vertrages
- 263.
- Die Klägerinnen haben sich in ihren gemeinsamen Ausführungen in der
mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Entscheidung „nichtrostender
Flachstahl“ gegen das allgemeine Niveau der Geldbußen gewandt. Dem kann nicht
gefolgt werden.
- 264.
- Erstens waren alle Zuwiderhandlungen, die bei der Festsetzung der Geldbuße in
der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ berücksichtigt wurden, in der Zeit der
offensichtlichen Krise begangen worden. Zweitens haben die Unternehmen im
vorliegenden Fall nicht nachgewiesen, daß die Beamten der GD III von den in der
Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen wußten, so daß der entsprechende
mildernde Umstand, der in der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bejaht
wurde, hier nicht herangezogen werden kann. Drittens kommt angesichts der
Warnung, die insbesondere die in Randnummer 305 der angefochtenen
Entscheidung erwähnte Pressemitteilung darstellte, anders als zur Zeit des Erlasses
der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ das Vorliegen eines
Mißverständnisses über die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht in
Betracht.
- 265.
- Auch dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, daß das allgemeine Niveau
der Geldbußen im Hinblick auf die Unterschiede zwischen dem EG-Vertrag und
dem EGKS-Vertrag überhöht sei, kann nicht gefolgt werden. Zwar schränken
einige Bestimmungen des EGKS-Vertrags, insbesondere Artikel 60, selbst den
freien Wettbewerb ein, doch stimmt die in Artikel 65 § 5 des Vertrages für
schwerste Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehene absolute Obergrenze von 10 %
des Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens mit der absoluten Obergrenze
in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962,
Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl.
1962, Nr. 13, S. 204), überein. Außerdem erlaubt es Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag
im vorliegenden Fall, Geldbußen bis zum Doppelten des mit den betreffenden
Erzeugnissen erzielten Umsatzes festzusetzen.
- 266.
- Die von den Klägerinnen in ihren gemeinsamen Ausführungen angesprochene
Tatsache, daß die Zuwiderhandlungen nicht auf die Beschränkung der Produktion,
der technischen Entwicklung oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des
Vertrages abgezielt hätten, hat die Kommission zu Recht nicht als mildernden
Umstand herangezogen. Solche Beschränkungen sollen es nach dem Aufbau von
Artikel 65 § 5 des Vertrages als erschwerende Umstände erlauben, über die
normale Obergrenze des Doppelten des Umsatzes mit dem betreffenden Erzeugnis
hinauszugehen. Im vorliegenden Fall liegt die Geldbuße aber weit darunter.
Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit den
Geldbußen in der Zement-Entscheidung
- 267.
- Im Rahmen der gemeinsamen Ausführungen ist ferner geltend gemacht worden,
die Kommission habe in der Zement-Entscheidung für Zuwiderhandlungen, die sie
als schwerwiegend angesehen habe und die sich über sechs Jahre erstreckt hätten,
Geldbußen von etwa 4 % des Umsatzes festgesetzt. Daraus sei nach einer kürzlich
veröffentlichten Bekanntmachung der Kommission (Leitlinien für das Verfahren zur
Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr.
17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. C 9 vom
14. Januar 1998, S. 3; im folgenden: Leitlinien) abzuleiten, daß die Kommission in
der Rechtssache „Zement“ vor der Erhöhung aufgrund der Dauer der
Zuwiderhandlungen eine Basisgeldbuße von 2 % angewandt habe. Nach der
gleichen Berechnung betrage der Basissatz im vorliegenden Fall 6 %. Die
Geldbußen müßten daher auf ein Drittel herabgesetzt werden.
- 268.
- Zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbußen in der angefochtenen
Entscheidung und in der Zement-Entscheidung kann kein direkter Vergleich
angestellt werden.
- 269.
- Erstens wurde die Berechnung in der angefochtenen Entscheidung vor der
Bekanntmachung der Leitlinien und ohne Rückgriff auf die dort vorgesehene
Methode vorgenommen, die eine Basisgeldbuße und Aufschläge nach Maßgabe der
Dauer umfaßt.
- 270.
- Zweitens erging auch die Zement-Entscheidung vor der Bekanntmachung der
Leitlinien, und sie enthält keinen Hinweis darauf, daß die dort vorgesehene
Methode angewandt wurde.
- 271.
- Drittens weichen Sachverhalt und Rechtslage im vorliegenden Fall so stark von der
Rechtssache „Zement“ ab, daß ein detaillierter Vergleich zwischen beiden
Entscheidungen für die Beurteilung der vorliegend gegen die Klägerin zu
verhängenden Geldbuße nicht sachdienlich ist.
Zur Gleichbehandlung
- 272.
- Die Prüfung der tatsächlichen Umstände des vorliegenden Falles und speziell der
von der Kommission übermittelten Zahlenangaben hat keinen Anhaltspunkt dafür
ergeben, daß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Klägerin mit den
Unternehmen Krupp Hoesch und Norsk Jernverk verstoßen wurde, die als einzige
zum Vergleich angeführt werden.
- 273.
- Insbesondere hat die Kommission für die Berechnung der an die Teilnahme dieser
Unternehmen am Informationsaustausch anknüpfenden Geldbuße das gleiche
Schema benutzt, wobei sie auf den Umsatz der Unternehmen einen Faktor von
1,5 % anwandte und das Verhältnis zwischen dem bei der Geldbuße
herangezogenen Zeitraum und der Höchstdauer von 30 Monaten berücksichtigte.
- 274.
- Daß der im Fall der Klägerin angewandte Faktor in Wirklichkeit nicht bei den
oben genannten 1,5 % lag, sondern wie eine aufmerksame Prüfung der Angaben
der Kommission zeigt nur 1,35 % betrug, stellt keine Benachteiligung dar,
aufgrund deren die Klägerin verlangen könnte, daß die Entscheidung ihr gegenüber
für nichtig erklärt wird.
- 275.
- Hinsichtlich des herangezogenen Umsatzes hat die Klägerin nicht bestritten, daß
die von der Kommission angewandte Methode der Extrapolation der Angaben für
das zweite Halbjahr 1990 ihr keinen Nachteil brachte, da der Umsatz der
Unternehmen im ersten Halbjahr im allgemeinen höher ist als im zweiten Halbjahr.
- 276.
- Deshalb ist vorbehaltlich der folgenden Ausführungen das gesamte Vorbringen
der Klägerin zur Höhe der Geldbußen zurückzuweisen.
Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Höhe der
Geldbuße durch das Gericht
- 277.
- Wie bereits ausgeführt, beteiligten sich die Klägerin und ihre wirtschaftliche
Vorgängerin, die Eisenwerk-Gesellschaft, zwar tatsächlich am Austausch
zahlenmäßiger Informationen, auch soweit er von der Träger-Kommission
organisiert wurde; sie nahmen aber an den Sitzungen dieser Kommission und
folglich auch an den dort auf der Grundlage der ausgetauschten Zahlen geführten
Erörterungen nicht teil.
- 278.
- Diese Erörterungen zeugten nicht nur von der wettbewerbswidrigen Natur des
Austauschs, sondern verstärkten sie noch, indem sie die mit dem Austausch
verbundene gegenseitige Kontrolle erhöhten. Die in den Sitzungen verschiedentlich
geäußerte Kritik erlaubte es zum einen deren Urhebern, ihre Konkurrenten in
konkreten Fällen an Verhaltensweisen zu hindern, die als zu weitgehend angesehen
wurden, und erinnerten zum anderen die Konkurrenten an die Existenz einerständigen Kontrolle und die Möglichkeit gezielter Vergeltungsmaßnahmen.
- 279.
- Ist der von der Kommission benutzte Faktor von 1,5 % im Fall eines mit derartigen
regelmäßigen Erörterungen verbundenen Austauschs gerechtfertigt, so kann jedoch
nicht der gleiche Prozentsatz angewandt werden, wenn ein Unternehmen wie die
Klägerin nicht an diesen Erörterungen teilnahm, sondern sich auf den Austausch
von Zahlen beschränkte, ohne bei irgendeiner der fraglichen Sitzungen anwesend
zu sein.
- 280.
- Das Gericht ist daher im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter
Nachprüfung gemäß Artikel 36 Absatz 2 des Vertrages der Ansicht, daß der
genannte Faktor im Fall der Klägerin auf 1 % ihres Umsatzes verringert werden
muß. Dieser Faktor ist auf einen Zeitraum von 27 der theoretisch in Frage
kommenden 30 Monate anzuwenden. Die Geldbuße der Klägerin ist entsprechend
herabzusetzen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Artikel 3 und 5 der Entscheidung
- 281.
- Die Klägerin hat speziell zu Artikel 3 der Entscheidung nichts vorgetragen. Unter
diesen Umständen braucht in Anbetracht der Tatsache, daß Artikel 3 nur dazu
dient, die praktische Wirksamkeit von Artikel 1 sicherzustellen, und daß seine
Tragweite daher von diesem abhängt, über den insoweit gestellten Antrag nicht
gesondert entschieden zu werden. Gleiches gilt für den Antrag auf Nichtigerklärung
von Artikel 5 der Entscheidung, der nicht durch Klagegründe oder Argumente
gestützt wird.
Kosten
- 282.
- Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen
oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils
obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das
Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten,
der Klägerin ihre eigenen Kosten und die Hälfte der Kosten der Beklagten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Höhe der in Artikel 4 der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission
vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von
europäischen Trägerherstellern gegen die Klägerin verhängten Geldbuße
wird auf 110 000 EURO festgesetzt.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der Kosten der
Beklagten. Die Beklagte trägt die andere Hälfte ihrer eigenen Kosten.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. März 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
C. W. Bellamy
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II - 2
A Vorbemerkungen
II - 2
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
II - 3
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
II - 4
D Die angefochtene Entscheidung
II - 5
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
II - 7
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
II - 11
A Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
II - 12
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 12
Würdigung durch das Gericht
II - 14
Zulässigkeit
II - 14
Die Nichterreichung des Quorums
II - 14
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der
Klägerin notifizierten Entscheidung
II - 18
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
II - 20
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
II - 21
B Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
II - 22
Zur Verantwortlichkeit der Klägerin für Handlungen bis zum 30. Juni 1990
II - 22
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
II - 22
Würdigung durch das Gericht
II - 25
Zur Begründung der Entscheidung
II - 26
Zur Stichhaltigkeit der streitigen Zurechnung
II - 27
Zur Dauer der Zuwiderhandlung
II - 30
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
II - 30
Würdigung durch das Gericht
II - 31
Zur Zuwiderhandlung als solcher
II - 31
1. Das Vorliegen einer Vereinbarung über den Informationsaustausch
II - 31
Die Entscheidung
II - 31
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 32
Würdigung durch das Gericht
II - 33
2. Die Einstufung des Informationsaustauschs als Zuwiderhandlung
II - 34
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
II - 34
Würdigung durch das Gericht
II - 38
a) Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
II - 38
b) Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring
II - 40
C Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung
II - 45
D Zum Ermessensmißbrauch
II - 49
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest auf
Herabsetzung der Geldbuße
II - 49
A Vorbemerkungen
II - 49
B Zum fehlenden Verschulden der Klägerin
II - 51
C Zur Unzulänglichkeit der Begründung, zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße und
zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
II - 51
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 51
Würdigung durch das Gericht
II - 52
Zum Vorbringen der Klägerin
II - 52
Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße
II - 52
Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlung
II - 54
Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den
Informationsaustauschsystemen gegen sie festgesetzten Geldbuße
II - 55
Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten
Geldbußen im Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der
Kommission und zu den Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des
Vertrages
II - 55
Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit
den Geldbußen in der Zement-Entscheidung
II - 56
Zur Gleichbehandlung
II - 57
Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Höhe der
Geldbuße durch das Gericht
II - 58
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Artikel 3 und 5 der Entscheidung
II - 58
Kosten
II - 59