Language of document : ECLI:EU:T:2017:277

Vorläufige Fassung

BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTS

10. April 2017(*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Energie – Entscheidung der ACER, mit der ein Antrag auf Zulassung zur Streithilfe in der Sache A‑001‑2017 (consolidated) abgewiesen wurde – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung – Fehlende Dringlichkeit“

In der Rechtssache T-123/17 R

EXAA Abwicklungsstelle für Energieprodukte AG mit Sitz in Wien (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B. Rajal,

Antragstellerin,

gegen

Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), vertreten durch P. Martinet und E. Tremmel als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

wegen eines auf die Art. 278 und 279 AEUV gestützten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung der ACER vom 17. Februar 2017, mit der der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung zur Streithilfe in der Sache A‑001‑2017 (consolidated) abgewiesen wurde,

erlässt

DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTS

in Vertretung des Präsidenten des Gerichts gemäß Art. 157 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Gerichts

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren und Anträge der Parteien

1        Die Antragstellerin, die EXAA Abwicklungsstelle für Energieprodukte AG, betreibt in Österreich eine Strombörse. Da Deutschland und Österreich eine einheitliche Preiszone bilden, ist es ihr u. a. möglich, gemeinsame Auktionen für diese beiden Länder zu veranstalten.

2        Mit ihrer Entscheidung Nr. 06/2016 vom 17. November 2016 zur Festlegung von Netzkapazitätsberechnungsregionen (capacity calculation regions, CCR) forderte die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) die Übertragungsnetzbetreiber auf, an der deutsch-österreichischen Grenze ein Kapazitätsvergabeverfahren einzuführen (im Folgenden: CCR-Entscheidung).

3        Der österreichische Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid AG (APG) legte am 17. Januar 2017 beim Beschwerdeausschuss der ACER Beschwerde gegen die CCR-Entscheidung ein (Beschwerdesache A‑003‑2017). E‑Control (Beschwerdesache A‑001‑2017), die Verbund AG (Beschwerdesache A‑002‑2017) und die Vorarlberger Übertragungsnetz GmbH (Beschwerdesache A‑004‑2017) legten ebenfalls Beschwerden gegen diese Entscheidung ein.

4        Am 27. Januar 2017 beantragte die Antragstellerin, in der Beschwerdesache A‑003‑2017 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von APG zugelassen zu werden.

5        Am 31. Januar 2017 entschied der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses, die Beschwerdesachen A‑001‑2017, A‑002‑2017, A‑003‑2017 und A‑004‑2017 im Rahmen eines konsolidierten Verfahrens A‑001‑2017 (consolidated) zu verbinden.

6        Mit Entscheidung vom 17. Februar 2017 wies der Beschwerdeausschuss den Streithilfeantrag der Antragstellerin ab (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

7        Mit Klageschrift, die am 28. Februar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben.

8        Mit gesondertem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, mit dem sie beantragt,

–        der ACER aufzutragen, das Beschwerdeverfahren in der Sache A‑001‑2017 (consolidated) oder, in eventu, ausschließlich in der Sache A‑003‑2017 auszusetzen;

–        jede andere oder zusätzliche Anordnung zu treffen, die erforderlich oder angemessen erscheint;

–        dem Antrag ohne Stellungnahme der Antragsgegnerin gemäß Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts stattzugeben;

–        die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.

9        Die ACER beantragt in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den Antrag der Antragstellerin abzuweisen und die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.

 Rechtliche Würdigung

10      Nach den Art. 278 und 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung einer vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. In Art. 278 AEUV wird jedoch der Grundsatz aufgestellt, dass Klagen keine aufschiebende Wirkung haben, weil für die Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union eine Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt. Daher kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nur ausnahmsweise die Aussetzung der Vollziehung einer beim Gericht angefochtenen Handlung anordnen oder einstweilige Anordnungen erlassen (vgl. Beschluss vom 11. November 2013, CSF/Kommission, T‑337/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:599, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

11      Ferner bestimmt Art. 156 Abs. 4 der Verfahrensordnung, dass Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen müssen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung der Vollziehung anordnen und andere einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass ihr Erlass in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt ist (fumus boni iuris) und dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen bestehen kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist, wenn eine von ihnen fehlt (vgl. Beschluss vom 11. November 2013, CSF/Kommission, T‑337/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:599, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12      Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge der Prüfung frei bestimmen, da keine Rechtsvorschrift ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (vgl. Beschluss vom 11. November 2013, CSF/Kommission, T‑337/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:599, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

13      Die Akten enthalten alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Informationen, so dass kein Anlass zu einer vorherigen mündlichen Anhörung der Parteien besteht.

14      Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt ist.

15      Hierzu trägt die Antragstellerin vor, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden ergebe sich aus der Gefahr des Wegfalls eines ihrer Kernprodukte, nämlich der deutsch-österreichischen Auktion um 10:15 Uhr. Dadurch würde sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht oder müsste zumindest einen Verlust in der Größenordnung von 200 000 Euro jährlich in Kauf nehmen. Daher sei die Aussetzung des Verfahrens erforderlich, damit sie ihre Argumente zur Unterstützung der Anträge von APG vorbringen könne, insbesondere angesichts dessen, dass die Frist von zwei Monaten, innerhalb deren der Beschwerdeausschuss entscheiden müsse, in Kürze ablaufe. Auch im Hinblick auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bestehe dringender Handlungsbedarf, zum einen, weil die Verfahrensordnung des Beschwerdeausschusses keine Aussetzung des Verfahrens im Fall eines Rechtsmittels gegen die Ablehnung eines Antrags auf Zulassung zur Streithilfe vorsehe, und zum anderen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache.

16      Unter diesen Umständen sei die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt.

17      Die ACER ist hingegen der Ansicht, die Antragstellerin habe die Dringlichkeit nicht dargetan.

18      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich nach ständiger Rechtsprechung die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung anhand der Notwendigkeit bemisst, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, damit der Antragsteller keinen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, dass er die Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne persönlich einen solchen Schaden zu erleiden. Auch wenn nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen zu werden braucht, dass der geltend gemachte Schaden unmittelbar bevorsteht, muss dessen Eintritt doch mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sein (vgl. Beschluss vom 17. Dezember 2015, Lysoform Dr. Hans Rosemann u. a./ECHA, T‑543/15 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:1008, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Im vorliegenden Fall ist sogleich festzustellen, dass der von der Antragstellerin befürchtete Schaden rein finanzieller Art ist.

20      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein finanzieller Schaden – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – nicht als irreparabel angesehen werden kann, da in der Regel ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand. Für einen solchen Schaden könnte insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage gemäß den Art. 268 und 340 AEUV Ersatz erlangt werden (vgl. Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Die Antragstellerin führt keinen außergewöhnlichen Umstand an, abgesehen von einer hypothetischen Gefahr für ihre wirtschaftliche Existenz, die sie nicht belegt hat und für die sie auch nicht den geringsten Nachweis erbracht hat. Wie die ACER zutreffend hervorhebt, hat die Antragstellerin auch keine Beweise in Bezug auf die behauptete Gefahr eines finanziellen Verlusts in Höhe von 200 000 Euro jährlich einerseits und eine etwaige Unterstützung durch ihre Anteilseigner andererseits vorgelegt, so dass nicht beurteilt werden kann, ob der behauptete Schaden insbesondere im Hinblick auf ihre Größe und ihren Umsatz sowie auf die Merkmale des Konzerns, dem sie angehört, als schwer eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. April 2009, Nycomed Danmark/EMEA, T‑52/09 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:117, Rn. 77). In diesem Kontext ist der Hinweis angebracht, dass die Aussetzung der Vollziehung und die übrigen einstweiligen Anordnungen aufgrund ihres Ausnahmecharakters nur gewährt werden können, wenn das Vorbringen des Antragstellers auf schlüssige Beweise gestützt wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 27. April 2010, Parlament/U, T‑103/10 P[R], EU:T:2010:164, Rn. 39).

22      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin keinen Kausalzusammenhang zwischen dem angeführten Schaden und der angefochtenen Entscheidung dargetan hat. Diese betrifft nämlich die Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Zulassung zur Streithilfe im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss und nicht die CCR-Entscheidung selbst. Wie die ACER zutreffend hervorgehoben hat, enthalten die Akten aber nichts, was zumindest darauf hindeuten könnte, dass die Streithilfe der Antragstellerin Folgen für die Endentscheidung des Beschwerdeausschusses in dem von APG gegen die CCR-Entscheidung eingeleiteten Verfahren haben könnte.

23      Überdies geht aus den Akten hervor, dass die Bundesnetzagentur (Deutschland) schon im Oktober 2016 die Schaffung eines Auktionsmechanismus an der deutsch-österreichischen Grenze gefordert hat.

24      Somit kann der von der Antragstellerin angeführte Schaden nicht als ein im Sinne der Rechtsprechung nicht wiedergutzumachender Schaden angesehen werden.

25      Aus alledem ist zu schließen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt ist. Dabei handelt es sich aber, wie oben in Rn. 11 ausgeführt, um eine der kumulativen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter einstweilige Anordnungen erlassen kann.

26      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist daher mangels Dringlichkeit zurückzuweisen, ohne dass die den fumus boni iuris betreffende Voraussetzung geprüft zu werden braucht und ohne dass es einer Abwägung der bestehenden Interessen bedarf.

27      Nach Art. 158 Abs. 5 der Verfahrensordnung bleibt die Kostenentscheidung der Entscheidung zur Hauptsache vorbehalten.

Aus diesen Gründen hat

DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 10. April 2017

Der Kanzler

 

      Der Vizepräsident

E. Coulon

 

      M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.