URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
25. Juni 1998 (1)
„Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 Antrag auf Aufnahme eines rekombinierten
Rindersomatotropins (BST) in das Verzeichnis der Stoffe, für deren Rückstände
keine Höchstmengen gelten Ablehnung durch die Kommission
Nichtigkeitsklage“
In der Rechtssache T-120/96
Lilly Industries Ltd, Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Basingstoke
(Vereinigtes Königreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Denis Waelbroeck,
Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Ernest Arendt, 8-10, rue
Mathias Hardt, Luxemburg,
unterstützt durch
Fédération européenne de la santé animale (Fedesa), Prozeßbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Alexandre Vandencasteele, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Rechtsanwalts Ernest Arendt, 8-10, rue Mathias Hardt, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch den
Juristischen Hauptberater Richard Wainwright und durch Fernando Castillo de la
Torre, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, sodann nur durch Richard
Wainwright, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer
Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission vom 22. Mai 1996
über die Ablehnung eines Antrags der Klägerin auf Aufnahme von Somidobove,
eines rekombinierten Rindersomatotropins (BST), in Anhang II der Verordnung
(EWG) Nr. 2377/90 des Rates vom 26. Juni 1990 zur Schaffung eines
Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für
Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs (ABl. L 224,
S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët und
A. Potocki,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5.
März 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
- Der Rat erließ am 26. Juni 1990 die Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 zur Schaffung
eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für
Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs (ABl. L 224,
S. 1).
- 2.
- Nach dieser Verordnung legt die Kommission für die Rückstände Höchstmengen
fest. Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung definiert „Höchstmengen von
Rückständen“ als die Höchstkonzentration von Rückständen aus der Verwendung
von Tierarzneimitteln, bei der die Gemeinschaft akzeptieren kann, daß sie legal
zugelassen wird, oder die als eine „in oder auf einem Nahrungsmittel“ annehmbare
Konzentration anerkannt wird.
- 3.
- Die Verordnung sieht vier Anhänge vor, in die ein pharmakologisch wirksamer
Stoff aufgenommen werden kann, der in Tierarzneimitteln verwendet werden soll,
die für die Verabreichung an „zur Nahrungsmittelerzeugung genutzte Tiere“
bestimmt sind:
In Anhang I sind die Stoffe aufzuführen, für die nach einer Beurteilung
ihrer Risiken für die menschliche Gesundheit eine Höchstmenge von
Rückständen festgelegt werden kann.
In Anhang II sind die Stoffe aufzuführen, für die keine Höchstmenge von
Rückständen gilt.
In Anhang III sind die Stoffe aufzuführen, für die die endgültige Festlegung
einer Höchstmenge von Rückständen nicht möglich ist, für die jedoch für
einen bestimmten Zeitraum ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit
eine vorläufige Höchstmenge von Rückständen festgelegt werden kann; der
genannte Zeitraum richtet sich danach, wieviel Zeit für die Durchführung
der geeigneten wissenschaftlichen Untersuchungen erforderlich ist, und kann
nur einmal verlängert werden.
In Anhang IV sind die Stoffe aufzuführen, für die keine Höchstmenge von
Rückständen festgelegt werden kann, da diese Stoffe ohne Rücksicht auf
ihre Konzentration eine Gefahr für die Gesundheit des Verbrauchers
darstellen.
- 4.
- Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2377/90 bestimmt:
„Die Aufnahme eines neuen pharmakologisch wirksamen Stoffes, der
in Tierarzneimitteln verwendet werden soll, die für die Verabreichung an
zur Nahrungsmittelerzeugung genutzte Tiere bestimmt sind, und
in einem oder mehreren Mitgliedstaaten, die die Verwendung des
betreffenden Stoffes bei zur Nahrungsmittelerzeugung genutzten Tieren
zuvor nicht zugelassen haben, in den Verkehr gebracht werden soll,
in Anhang I, II oder III wird von dem für die Vermarktung Verantwortlichen bei
der Kommission beantragt ...“
- 5.
- Nach Artikel 6 Absatz 2 leitet die Kommission den Antrag nach der innerhalb von
30 Tagen vorzunehmenden Formalprüfung „unverzüglich“ zur sachlichen Prüfung
an den Ausschuß für Tierarzneimittel weiter.
- 6.
- Gemäß Artikel 6 Absatz 3 erstellt die Kommission innerhalb von 120 Tagen nach
der Weiterleitung des Antrags an den Ausschuß für Tierarzneimittel und unter
Berücksichtigung der Stellungnahmen der Mitglieder des Ausschusses einen
Entwurf der zu ergreifenden Maßnahmen. Reichen die von dem für die
Vermarktung Verantwortlichen übermittelten Angaben zur Ausarbeitung eines
solchen Entwurfs nicht aus, so wird der Antragsteller aufgefordert, dem Ausschuß
zusätzliche Angaben beizubringen.
- 7.
- Gemäß Artikel 6 Absatz 4 erstellt die Kommission innerhalb von 90 Tagen nach
Vorlage dieser zusätzlichen Angaben einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen,
der umgehend den Mitgliedstaaten und dem für die Vermarktung Verantwortlichen
übermittelt wird. Innerhalb weiterer 60 Tage kann der für die Vermarktung
Verantwortliche auf Antrag dem Ausschuß für Tierarzneimittel mündliche oder
schriftliche Erläuterungen unterbreiten.
- 8.
- Nach Artikel 6 Absatz 5 legt die Kommission den Entwurf der Maßnahmen
innerhalb einer weiteren Frist von 60 Tagen dem Ausschuß für die Anpassung der
Richtlinien über Tierarzneimittel an den technischen Fortschritt (im folgenden:
Regelungsausschuß) vor.
- 9.
- Nach Artikel 8 Absatz 2 nimmt dieser Ausschuß zu dem Maßnahmenentwurf
binnen einer Frist Stellung, die sein Vorsitzender entsprechend der Dringlichkeit
der Angelegenheit festsetzen kann.
- 10.
- Gemäß Artikel 8 Absatz 3 erläßt die Kommission die geplanten Maßnahmen, wenn
sie der Stellungnahme des Regelungsausschusses entsprechen. Entsprechen die
geplanten Maßnahmen der Stellungnahme des Ausschusses nicht oder ist keine
Stellungnahme ergangen, so schlägt die Kommission dem Rat unverzüglich die zu
treffenden Maßnahmen vor. Dieser beschließt mit qualifizierter Mehrheit. Hat er
nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach seiner Befassung keinen Beschluß
gefaßt, so werden die vorgeschlagenen Maßnahmen von der Kommission erlassen,
es sei denn, daß sich der Rat mit einfacher Mehrheit gegen diese Maßnahmen
ausgesprochen hat.
- 11.
- Artikel 14 bestimmt:
„Ab 1. Januar 1997 ist die Verabreichung von Tierarzneimitteln, die in Anhang I,
II oder III nicht aufgeführte pharmakologisch wirksame Stoffe enthalten, an zur
Nahrungsmittelerzeugung genutzte Tiere in der Gemeinschaft verboten;
ausgenommen sind klinische Versuche ...“
- 12.
- Die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung
von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human-
und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die
Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) sieht ein Verfahren für die
Erteilung einer Gemeinschaftsgenehmigung für das Inverkehrbringen von
Tierarzneimitteln vor.
- 13.
- Aus Artikel 31 Absatz 3 Buchstabe b dieser Verordnung ergibt sich, daß bei
Tierarzneimitteln, die für die Verabreichung an zur Nahrungsmittelerzeugung
genutzte Tiere bestimmt sind, die Einstufung des pharmakologisch wirksamen
Stoffes in einen der Anhänge der Verordnung Nr. 2377/90 eine der
Voraussetzungen für die Erteilung einer Gemeinschaftsgenehmigung für das
Inverkehrbringen ist.
- 14.
- Die Richtlinie 81/851/EWG des Rates vom 28. September 1981 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Tierarzneimittel (ABl. L 317, S. 1)
enthält u. a. Bestimmungen über die Erteilung einer nationalen Genehmigung für
das Inverkehrbringen von Tierarzneimitteln.
- 15.
- Nach Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 93/40/EWG
des Rates vom 14. Juni 1993 zur Änderung der Richtlinie 81/851 (ABl. L 214,
S. 31) darf ein Tierarzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr
gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach der
Richtlinie 81/851 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder
wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung Nr.
2309/93 erteilt wurde.
- 16.
- Nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 81/851 in der geänderten Fassung gestatten
die Mitgliedstaaten ab dem 1. Januar 1997 nicht mehr die Verwendung von
Lebensmitteln von Versuchstieren, sofern nicht maximale Grenzwerte für
Rückstände von der Gemeinschaft entsprechend den Bestimmungen der
Verordnung Nr. 2377/90 festgelegt worden sind.
- 17.
- Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 87/22/EWG des Rates vom 22. Dezember
1986 zur Angleichung der einzelstaatlichen Maßnahmen betreffend das
Inverkehrbringen technologisch hochwertiger Arzneimittel, insbesondere aus der
Biotechnologie (ABl. 1987, L 15, S. 38), konsultieren die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten, sobald sie einen Antrag auf Zulassung eines technologisch
hochwertigen Arzneimittels erhalten, auf Antrag des für das Inverkehrbringen des
Erzeugnisses Verantwortlichen entsprechend der Zuständigkeit entweder den
Ausschuß für Arzneispezialitäten oder den Ausschuß für Tierarzneimittel.
- 18.
- Mit der Entscheidung 90/218/EWG des Rates vom 25. April 1990 über die
Verabreichung von Rindersomatotropin (BST) (ABl. L 116, S. 27), zuletzt geändert
durch die Entscheidung 94/936/EG des Rates vom 20. Dezember 1994 (ABl. L 366,
S. 19), wurde für das Inverkehrbringen von rekombiniertem Rindersomatotropin
(im folgenden: BST), eines Wachstumshormons, ein Moratorium angeordnet.
- 19.
- Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Entscheidung 90/218 in der Fassung der
Entscheidung 94/936 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, daß bis zum 31.
Dezember 1999 in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen zur Vermarktung von
BST und jedwede Verabreichung an Milchkühe nicht zugelassen werden. In Absatz
2 heißt es, daß diese Entscheidung nicht die Herstellung von für die Ausfuhr in
Drittländer bestimmtem BST berührt.
- 20.
- Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Entscheidung 90/218 in der geänderten
Fassung können die Mitgliedstaaten abweichend von Artikel 1 in begrenztem
Umfang versuchsweise BST verwenden, um weitere wissenschaftliche Daten zu
erhalten, die vom Rat bei seiner endgültigen Beschlußfassung berücksichtigt werden
können.
Sachverhalt
- 21.
- Die Klägerin entwickelte ein Tierarzneimittel mit der Bezeichnung Optiflex 640 (im
folgenden: Optiflex) mit dem pharmakologischen Wirkstoff Somidobove. Dabei
handelt es sich um ein BST, das Milchkühen zur Förderung der Milchproduktion
verabreicht werden soll.
- 22.
- Am 28. September 1987 konsultierten die zuständigen Behörden des Vereinigten
Königreichs auf Antrag der Klägerin gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 87/22
den Ausschuß für Tierarzneimittel zu Optiflex. In der Zeit von 1987 bis 1991 kam
die Klägerin mehreren Ersuchen des Ausschusses für Tierarzneimittel um
zusätzliche Angaben nach.
- 23.
- Mit Schreiben vom 26. September 1991 teilte die Kommission der Klägerin mit,
daß sie nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2377/90 nicht verpflichtet sei,
einen neuen Antrag auf Aufnahme von Somidobove in Anhang II der Verordnung
Nr. 2377/90 (im folgenden: Anhang II) zu stellen, da der Ausschuß für
Tierarzneimittel bereits gemäß der Richtlinie 87/22 mit dem Vorgang befaßt
worden sei.
- 24.
- Am 27. Januar 1993 gab der Ausschuß für Tierarzneimittel seine Stellungnahme ab.
- 25.
- In dieser Stellungnahme heißt es insbesondere:
„Die Verabreichung von Optiflex 640 an Milchkühe stellt keine Gefahr für die
Gesundheit der Verbraucher des Fleisches oder der Milch behandelter Tiereaufgrund von Somidobove-Rückständen oder des möglichen Vorhandenseins
insulinähnlicher Wachstumsfaktoren im Fleisch oder in der Milch dar. Das Produkt
kann gefahrlos zugelassen werden, ohne daß für Fleisch oder Milch eine Wartezeit
vorzusehen ist ...
Der Ausschuß ist der Ansicht, daß es für den Schutz der öffentlichen Gesundheit
nicht erforderlich ist, für Rückstände von Somidobove, des wirksamen Bestandteils
des Produktes, Höchstgrenzen festzusetzen, und empfiehlt daher, Somidobove in
das Verzeichnis der Stoffe, für die keine Höchstmengen für Rückstände gelten, in
Anhang II ... aufzunehmen.“
- 26.
- Mit Schreiben vom 11. Mai 1995 teilte die Kommission der Klägerin unter
Bezugnahme auf die Stellungnahme des Ausschusses für Tierarzneimittel mit, daß
sie den Entwurf einer Verordnung zur Aufnahme von Somidobove in Anhang II
ausgearbeitet habe und beabsichtige, ihn gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr.
2377/90 dem Regelungsausschuß zu unterbreiten.
- 27.
- Ein Jahr nach der Stellungnahme des Ausschusses für Tierarzneimittel war
Somidobove jedoch immer noch nicht in Anhang II aufgenommen. Daher forderte
die Klägerin die Kommission gemäß Artikel 175 EG-Vertrag förmlich auf, „die
erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit Somidobove ... so früh wie möglich
in das Verzeichnis der Stoffe, für die keine Höchstmengen für Rückstände gelten,
des Anhangs II aufgenommen wird“.
- 28.
- Am 22. Mai 1996 erließ die Kommission die Entscheidung C(96) 1374 final (im
folgenden: streitige Entscheidung).
- 29.
- In dieser Entscheidung heißt es:
„...
Gemäß Artikel 6 der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 des Rates wird ein neuer
pharmakologisch wirksamer Stoff in diese Verzeichnisse nur aufgenommen, wenn
er in Tierarzneimitteln verwendet und in einem oder mehreren Mitgliedstaaten in
den Verkehr gebracht werden soll.
Am 20. Dezember 1994 hat der Rat die Entscheidung 94/936/EG zur Änderung der
Entscheidung 90/218/EWG über des Inverkehrbringen und die Verabreichung von
Rindersomatotropin (BST) erlassen.
Artikel 1 dieser Entscheidung sieht vor: .Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge,
daß bis zum 31. Dezember 1999 in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen zur
Vermarktung von Rindersomatotropin und jedwede Verabreichung an Milchkühe
nicht zugelassen wird'; infolgedessen darf Rindersomatotropin in der Gemeinschaft
weder in den Verkehr gebracht noch verabreicht werden, da es nur an Milchkühe
verabreicht wird.
Da eine der Voraussetzungen für den Antrag auf Aufnahme in die Anhänge der
Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 des Rates nicht erfüllt ist, ist die Kommission der
Ansicht, daß der Antrag nicht weiterzuverfolgen ist
hat folgende Entscheidung erlassen:
Artikel 1
Der Antrag auf Aufnahme von Somidobove (Rindersomatotropin) in Anhang II der
Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 des Rates wird abgelehnt.
Artikel 2
Diese Entscheidung ist an Elanco Animal Health Product Registration, Lilly
Industries Limited, Kingsclere Road, Basingstoke, GB ... gerichtet.“
Verfahren und Anträge der Parteien
- 30.
- Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 31. August 1996 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
- 31.
- Mit Schriftsatz, der am 24. Januar 1997 in das Register der Kanzlei des Gerichts
eingetragen worden ist, hat die Fédération européenne de la santé animale (im
folgenden: Fedesa) beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der
Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluß des Präsidenten der Dritten Kammer
des Gerichts vom 28. Mai 1997 ist die Streithilfe zugelassen worden.
- 32.
- Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die
mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat
jedoch beschlossen, der Kommission zwei schriftliche Fragen zu stellen, die diese
innerhalb der gesetzten Frist beantwortet hat.
- 33.
- Die Klägerin beantragt,
die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 34.
- Die Fedesa, Streithelferin, unterstützt die Anträge der Klägerin. Sie beantragt
außerdem, der Kommission die mit ihrer Streithilfe verbundenen Kosten
aufzuerlegen.
- 35.
- Die Kommission beantragt,
die Klage als unzulässig abzuweisen;
hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zulässigkeit
Vorbringen der Parteien
- 36.
- Die Kommission ist der Ansicht, die Klage sei unzulässig.
- 37.
- Erstens sei die streitige Entscheidung keine anfechtbare Handlung.
- 38.
- Diese Entscheidung entfalte keine endgültigen Rechtswirkungen. Sie habe den
Antrag auf Aufnahme von Somidobove in Anhang II nur „eingefroren“ oder
„blockiert“. Die Kommission habe nie die Absicht gehabt, für die Zukunft jede
Aufnahme von Somidobove in Anhang II auszuschließen. Falls das Moratorium für
BST aufgehoben werden sollte, müsse die Klägerin nicht erneut die Aufnahme von
Somidobove in dieses Verzeichnis beantragen. Daher blieben ihre Rechte und
Verpflichtungen unberührt, und ihre Rechtsstellung werde durch die Entscheidung
nicht beeinträchtigt (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. November 1992 in der
Rechtssache T-16/91, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2417, Randnrn. 45 ff.).
- 39.
- Zweitens sei die Klägerin von der streitigen Entscheidung nicht im Sinne des
Urteils des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62
(Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 238 f.) individuell betroffen. Sie sei in
gleicher Weise berührt wie jeder andere tatsächliche oder potentielle Hersteller von
Somidobove, das durch kein Patent geschützt sei.
- 40.
- Beantrage ein einzelner bei der Kommission den Erlaß einer Verordnung und
lehne die Kommission dies ab, so sei die negative Entscheidung, die diese
Ablehnung zum Ausdruck bringe, für die Zwecke der Nichtigerklärung als eine
normative Handlung mit allgemeiner Geltung anzusehen, auch wenn die Ablehnung
nur an die betreffende Person gerichtet sei (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 8.
März 1972 in der Rechtssache 42/71, Nordgetreide/Kommission, Slg. 1972, 105, vom
17. Mai 1990 in der Rechtssache C-87/89, Sonito u. a./Kommission, Slg. 1990,
I-1981, und vom 24. November 1992 in den Rechtssachen C-15/91 und C-108/91,
Buckl u. a./Kommission, Slg. 1992, I-6061).
- 41.
- Drittens könne eine negative Handlung nur angefochten werden, wenn die
Handlung, deren Vornahme das Gemeinschaftsorgan abgelehnt habe, selbst
anfechtbar sei.
- 42.
- Die Handlung, deren Erlaß abgelehnt worden sei, sei aber der Entwurf einer
Verordnung zur Änderung des Anhangs II, den die Kommission gemäß Artikel 8
Absatz 2 der Verordnung Nr. 2377/90 dem Regelungsausschuß unterbreiten müsse.
Als vorbereitende Maßnahme sei ein solcher Entwurf keine anfechtbare Handlung
(vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81,
IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Randnrn. 9 bis 12).
- 43.
- Außerdem müsse die Aufnahme von Somidobove in Anhang II zwingend durch
eine Verordnung der Kommission oder des Rates erfolgen (siehe Artikel 8 Absatz
3 der Verordnung Nr. 2377/90), also durch eine allgemeine Handlung. Die Klägerin
könnte gegen eine solche Handlung aber keine Klage erheben, da sie von ihr nicht
unmittelbar und individuell betroffen werde.
- 44.
- Viertens habe die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse.
- 45.
- Insbesondere hindere die Nichtaufnahme von Somidobove in Anhang II die
Klägerin in keiner Weise an klinischen Versuchen. Hinzu komme, daß die
Kommission nicht verpflichtet sei, dem Regelungsausschuß einen
Verordnungsentwurf allein zu dem Zweck zu unterbreiten, das Inverkehrbringen
der von den entsprechenden Versuchstieren stammenden Nahrungsmittel zu
ermöglichen.
- 46.
- Außerdem ergebe sich ein Rechtsschutzinteresse nicht aus dem Wunsch der
Klägerin, die Aufnahme von Somidobove in das Verzeichnis des Anhangs II zu
erreichen, um nach der Aufhebung des Moratoriums für BST binnen kürzester Zeit
eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Optiflex zu erhalten. Unter dem
Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheit sei es nämlich besser, daß die
Entscheidung über die Höchstmenge von Rückständen im zeitlichen
Zusammenhang mit dem Erlaß der Entscheidung über die Erteilung einer
Genehmigung für das Inverkehrbringen getroffen werde.
- 47.
- Die Klägerin, unterstützt durch die Streithelferin, bestreitet die von der
Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgründe.
Würdigung durch das Gericht
- 48.
- Für die Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage ist zunächst zu prüfen,
ob die streitige Entscheidung eine nach Artikel 173 des Vertrages anfechtbare
Handlung darstellt; falls dies zu bejahen ist, ist sodann zu prüfen, ob die Klägerin
nach diesem Artikel klagebefugt ist und ob sie ein Rechtsschutzinteresse hat.
Zu der Frage, ob die streitige Entscheidung eine nach Artikel 173 des Vertrages
anfechtbare Handlung darstellt
- 49.
- Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Maßnahmen, die verbindliche
Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in
seine Rechtsstellung beeinträchtigen können, Handlungen oder Entscheidungen,
gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist (vgl.
z. B. Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-154/94, CSF
und CSME/Kommission, Slg. 1996, II-1377, Randnr. 37).
- 50.
- Im vorliegenden Fall hat die Klägerin gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 2377/90
die Aufnahme von Somidobove in Anhang II beantragt.
- 51.
- Die Kommission hat die streitige Entscheidung erlassen, nachdem sie von der
Klägerin gemäß Artikel 175 des Vertrages aufgefordert worden war, tätig zu
werden.
- 52.
- In Artikel 1 dieser Entscheidung heißt es, daß der Antrag auf Aufnahme von
Somidobove (Rindersomatotropin) in Anhang II abgelehnt wird.
- 53.
- Soweit die streitige Entscheidung den Antrag der Klägerin ablehnt, stellt sie den
letzten Schritt des von der Klägerin auf der Grundlage der Verordnung Nr. 2377/90
eingeleiteten Verfahrens dar.
- 54.
- Zwar könnte die Kommission, falls das Moratorium für BST aufgehoben wird,
beschließen, ihre Entscheidung zu überdenken; bis dahin legt die Entscheidung
jedoch den Standpunkt der Kommission endgültig fest.
- 55.
- Daraus folgt, daß die streitige Entscheidung verbindliche Rechtswirkungen erzeugt,
die die Interessen der Klägerin beeinträchtigen können, und daß sie in deren
Rechtsstellung eingreift.
- 56.
- Infolgedessen stellt die Entscheidung eine Handlung dar, gegen die die
Nichtigkeitsklage gegeben ist.
Zur Klagebefugnis der Klägerin
- 57.
- Nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages kann jede natürliche oder juristische
Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen
Entscheidungen Nichtigkeitsklage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als
eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar
und individuell betreffen.
- 58.
- Die streitige Entscheidung ist an die Klägerin gerichtet. Es handelt sich um eine
Entscheidung, die den Abschluß eines Verfahrens bildet, das die Klägerin nach der
Verordnung Nr. 2377/90 selbst eingeleitet hat.
- 59.
- Außerdem unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von den Rechtssachen,
die zu den von der Beklagten genannten Urteilen (siehe oben, Randnr. 40) geführt
haben. Im vorliegenden Fall hat die Kommission nämlich kein Ermessen, um unter
dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit zu entscheiden, ob über den Antrag der
Klägerin nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2377/90 entschieden zu
werden braucht. Da sie eine ausschließliche Zuständigkeit für die Behandlung der
nach diesem Artikel gestellten Anträge besitzt, war sie vielmehr verpflichtet, über
den Antrag der Klägerin zu entscheiden.
- 60.
- Somit ist die Klägerin zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage befugt.
- 61.
- Diese Schlußfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Kommission entkräftet,
wonach die vorliegende Klage unzulässig sei, weil die Klägerin keine
Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages gegen die Handlung erhebenkönnte, die anstelle der streitigen Entscheidung hätte ergehen können, nämlich
gegen einen von der Kommission nach Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr.
2377/90 zu erstellenden Verordnungsentwurf oder eine von der Kommission oder
dem Rat nach Artikel 8 Absatz 3 dieser Verordnung zu erlassende endgültige
Verordnung (siehe oben, Randnrn. 41 bis 43).
- 62.
- Die Kommission bezieht sich insoweit auf die Rechtsprechung, der zufolge eine
ablehnende Entscheidung der Kommission nach der Art des Antrags zu beurteilen
ist, der durch diese Entscheidung beschieden wird. Insbesondere ist eine Weigerung
eine im Wege der Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages anfechtbare
Maßnahme, wenn die Handlung, deren Vornahme das Gemeinschaftsorgan ablehnt,
nach dieser Vorschrift hätte angefochten werden können (vgl. Urteil des Gerichts
vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-330/94, Salt Union/Kommission, Slg.
1996, II-1475, Randnr. 32, und die zitierte Rechtsprechung).
- 63.
- Diese Rechtsprechung ist aber nicht anwendbar, wenn die Entscheidung der
Kommission, wie im vorliegenden Fall, in einem durch eine
Gemeinschaftsverordnung genau geregelten Verfahren ergeht, in dessen Rahmen
die Kommission verpflichtet ist, über einen gemäß dieser Verordnung gestellten
Antrag eines einzelnen zu entscheiden.
- 64.
- Das betreffende Vorbringen der Kommission ist daher zurückzuweisen.
Zum Rechtsschutzinteresse der Klägerin
- 65.
- Wie die Klägerin zutreffend bemerkt, ist nach Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung
90/218 die Verwendung von BST in klinischen Versuchen zwar grundsätzlich
erlaubt, doch gestatten die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie
81/851 ab 1. Januar 1997 nicht mehr die Verwendung von Lebensmitteln von
Versuchstieren, sofern nicht maximale Grenzwerte für Rückstände von der
Gemeinschaft entsprechend den Bestimmungen der Verordnung Nr. 2377/90
festgelegt worden sind.
- 66.
- Daraus folgt, daß ohne eine Höchstmenge von Rückständen für Somidobove
Nahrungsmittel (Milch, Fleisch) von Tieren, denen das Produkt der Klägerin im
Rahmen klinischer Versuche verabreicht wurde, nicht zum Verzehr verwendet
werden dürfen, was den Interessen der Klägerin schaden kann.
- 67.
- Die Klägerin hat außerdem ein Interesse an der Aufnahme von Somidobove in
Anhang II, damit sie in möglichst kurzer Zeit eine Genehmigung für das
Inverkehrbringen ihres Produktes erhalten kann, wenn das Moratorium für BST
aufgehoben wird.
- 68.
- Folglich hat sie für die Nichtigerklärung ein Interesse.
- 69.
- Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Klage zulässig ist.
Begründetheit
- 70.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf sechs Gründe. Mit dem ersten Klagegrund macht
sie einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 2377/90 geltend, mit dem zweiten
einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes, mit dem dritten einen Verstoß gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, mit dem vierten einen Ermessensmißbrauch, mit dem fünften
einen Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 90/218 und mit dem
sechsten einen Verstoß gegen die Schlußakte über die Ergebnisse der
Multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde.
Zum Klagegrund des Verstoßes gegen die Verordnung Nr. 2377/90
Vorbringen der Parteien
- 71.
- Die Klägerin macht geltend, falls die Stellungnahme des Ausschusses für
Tierarzneimittel die Aufnahme eines Stoffes in Anhang II befürworte, sei die
Kommission, wenn sie über alle erforderlichen Angaben verfüge, nach den Artikeln
6 Absatz 5 und 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2377/90 verpflichtet, dem
Regelungsausschuß einen Entwurf der vorgesehenen Maßnahmen zu unterbreiten.
Da die Kommission dem Regelungsausschuß keinen solchen Entwurf vorgelegt
habe, habe sie gegen die Verordnung Nr. 2377/90 verstoßen.
- 72.
- Mit der streitigen Entscheidung habe die Kommission den Antrag der Klägerin mit
der Begründung abgelehnt, daß nach Artikel 6 der Verordnung Nr. 2377/90 nur
Stoffe in die Anhänge dieser Verordnung aufgenommen werden dürften, die in der
Gemeinschaft in den Verkehr gebracht und verabreicht werden „könnten“. In
diesem Artikel heiße es aber nur, daß der für die Vermarktung Verantwortliche,
der die Aufnahme von Stoffen, die in Tierarzneimitteln verwendet und in den
Verkehr gebracht „werden sollten“, in die Anhänge I, II oder III erreichen wolle,
bei der Kommission einen Antrag zu stellen habe, der die in der Verordnung
erwähnten Angaben enthalte. Somidobove habe aber stets im Sinne von Artikel 6
verwendet und in den Verkehr gebracht „werden sollen“, auch wenn dies wegen
des Moratoriums gegenwärtig nicht möglich sei.
- 73.
- Die von der Kommission vertretene Auslegung des Artikels 6 der Verordnung Nr.
2377/90 werde nicht durch den Zweck der Verordnung bestätigt, der im „Schutz
der Volksgesundheit“ (siehe dritte Begründungserwägung) bestehe. Die
Kommission dürfe sich nicht aus anderen als aus Gründen der Volksgesundheit
weigern, für Rückstände Höchstmengen festzusetzen. Die streitige Entscheidung sei
aber nicht mit der Volksgesundheit begründet worden, sondern einzig und allein
mit dem für BST bestehenden Moratorium, das aus anderen Gründen als dem
Schutz der Volksgesundheit angeordnet worden sei.
- 74.
- Die streitige Entscheidung sei das Ergebnis einer Vermengung der Begriffe
„Höchstmengen von Rückständen“ und „Genehmigung für das Inverkehrbringen“
sowie einer falschen Auslegung des Moratoriums für BST. Die Tatsache, daß
aufgrund des Moratoriums das Inverkehrbringen des Produktes vorübergehend
verboten sei, dürfe bei der Prüfung eines Antrags auf Aufnahme des Produktes in
einen Anhang der Verordnung Nr. 2377/90 nicht berücksichtigt werden. Nach
dieser Verordnung sei die Festsetzung von Höchstmengen von Rückständen nicht
an die Bedingung geknüpft, daß der betreffende Stoff in der Gemeinschaft
unmittelbar vermarktet werden könne.
- 75.
- Die Streithelferin trägt vor, das Moratorium für BST sei zwar eine Lex specialis,
betreffe aber nur die Vermarktung von BST. Insbesondere bilde das Moratorium
keine Ausnahme von dem allgemeinen Verfahren für die Festsetzung von
Höchstmengen von Rückständen nach der Verordnung Nr. 2377/90; dies sei auch
nicht erforderlich, um das mit dem Moratorium verfolgte Ziel zu erreichen.
- 76.
- Die Kommission trägt vor, sie habe die Begriffe „Höchstmengen von Rückständen“
und „Genehmigung für das Inverkehrbringen“ nicht miteinander vermengt. Sie
habe nie verlangt, daß ein Produkt, für dessen Rückstände die Festsetzung von
Höchstmengen beantragt werde, unmittelbar für den Absatz bestimmt sei. Die
Kriterien für die Festsetzung von Höchstmengen von Rückständen und für die
Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen seien zwar nicht die
gleichen. Jedoch sei unbestreitbar, daß zwischen den beiden Begriffen ein
Zusammenhang bestehe. Die Klägerin habe den Antrag auf Aufnahme von
Somidobove in das Verzeichnis des Anhangs II im Rahmen ihres Antrags auf
Genehmigung für das Inverkehrbringen von Optiflex, bei dem Somidobove der
pharmakologisch wirksame Stoff sei, gestellt.
- 77.
- Im vorliegenden Fall sei die Entscheidung über die Versagung der Genehmigung
für das Inverkehrbringen ausnahmsweise vor der Entscheidung über die
Höchstmengen von Rückständen ergangen, die im Verfahren zur Erteilung einer
Gemeinschaftsgenehmigung für das Inverkehrbringen sonst vorab getroffen werde.
- 78.
- Die Situation von BST auf Gemeinschaftsebene sei außergewöhnlich. Es handele
sich um ein Produkt, dessen Inverkehrbringen und Verabreichung verboten seien.
Daher sei jede unmittelbare Verwendung verboten. Während also üblicherweise die
Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen ungewiß, aber stets möglich
sei, seien vorliegend sowohl das Inverkehrbringen als auch die Verabreichung des
Stoffes nach dem Gemeinschaftsrecht verboten.
- 79.
- Unter diesen Umständen seien die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 2377/90 nicht erfüllt, wonach der betreffende Stoff in
Tierarzneimitteln, die für die Verabreichung an zur Nahrungsmittelerzeugung
genutzte Tiere bestimmt seien, verwendet und in den Verkehr gebracht werden
solle.
- 80.
- Folge man der von der Klägerin vertretenen Auslegung des Artikels 6, verliere
dessen Absatz 1 zweiter Gedankenstrich seinen Sinn.
- 81.
- Schließlich könnte die Aufnahme von Somidobove in Anhang II dahin ausgelegt
werden, daß sie die Verwendung des Stoffes in der Gemeinschaft erlaube. Auch
wenn ein Fachmann nicht zu einer solchen Auslegung gelange, so sei die Situation
doch unklar. Angesichts der aller Wahrscheinlichkeit nach negativen Reaktion der
Verbraucher auf die Zulassung von BST (vgl. auch Urteil des Gerichtshofes vom
13. November 1990 in der Rechtssache C-331/88, Fedesa u. a., Slg. 1990, I-4023,
Randnr. 9) und da der Klägerin jedes Interesse abzusprechen sei, würde die
Festsetzung von Höchstmengen für Somidobove-Rückstände eine unnötige
Unsicherheit in dem Sektor schaffen.
Würdigung durch das Gericht
- 82.
- Das Ermessen, über das die Kommission bei der Bearbeitung der nach der
Verordnung Nr. 2377/90 eingereichten Anträge auf Festsetzung von Höchstmengen
von Rückständen verfügt, ist eingeschränkt. Außer in bestimmten Fällen (vgl. Urteil
des Gerichts vom 17. Februar 1998 in der Rechtssache T-105/96,
Pharos/Kommission, Slg. 1998, II-0000, Randnrn. 69 und 70) hat die Kommission
das in dieser Verordnung vorgesehene Verfahren strikt einzuhalten.
- 83.
- Insbesondere wenn der Ausschuß für Tierarzneimittel unter Zugrundelegung aller
erforderlichen Angaben eine befürwortende Stellungnahme zu einem nach Artikel
6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2377/90 eingereichten Antrag auf Aufnahme eines
Stoffes in Anhang II abgegeben hat, ist die Kommission nach den Absätzen 4 und
5 dieses Artikels verpflichtet, den Entwurf einer Verordnung zur Aufnahme dieses
Stoffes in den Anhang auszuarbeiten und ihn dem Regelungsausschuß zur
Genehmigung vorzulegen.
- 84.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission, anstatt den Entwurf einer Verordnung
zur Aufnahme von Somidobove in Anhang II auszuarbeiten und ihn dem
Regelungsausschuß vorzulegen, den Antrag der Klägerin mit der Begründung
abgelehnt, daß das Inverkehrbringen von Somidobove aufgrund des Moratoriums
für BST verboten sei und daß damit die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1
der Verordnung Nr. 2377/90 nicht erfüllt seien.
- 85.
- Ein auf diese Vorschrift gestützter Antrag muß einen neuen pharmakologisch
wirksamen Stoff betreffen, der in Tierarzneimitteln verwendet werden soll, die für
die Verabreichung an zur Nahrungsmittelerzeugung genutzte Tiere bestimmt sind
(Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich), und in einem oder mehreren
Mitgliedstaaten, die die Verwendung des betreffenden Stoffes bei zur
Nahrungsmittelerzeugung genutzten Tieren zuvor nicht zugelassen haben, in den
Verkehr gebracht werden soll (Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich).
- 86.
- Wie die Klägerin zutreffend geltend gemacht hat, knüpft Artikel 6 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 2377/90 die Aufnahme eines Stoffes in einen Anhang dieser
Verordnung jedoch nicht an die Bedingung, daß das Produkt, das diesen Stoff
enthält, unmittelbar verwendet und in den Verkehr gebracht werden kann.
- 87.
- Insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Inverkehrbringen
eines Produktes aufgrund eines begriffsnotwendig vorläufigen Moratoriums
verboten ist, erfüllt der Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Aufnahme eines
pharmakologisch wirksamen Stoffes in einen der Anhänge der Verordnung Nr.
2377/90 die Voraussetzung des Artikels 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich dieser
Verordnung, wenn, wie sich vorliegend aus den Akten ergibt, offensichtlich ist, daß
der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Absicht hat, das Produkt in den Verkehr
zu bringen, falls das Moratorium aufgehoben wird.
- 88.
- Was speziell den in der streitigen Entscheidung enthaltenen Hinweis auf das durch
das Moratorium für BST eingeführte Verbot des Inverkehrbringens angeht, so ist
außerdem, wie die Kommission selbst einräumt, das Verfahren zur Festsetzung von
Höchstmengen von Rückständen nach der Verordnung Nr. 2377/90 ein
eigenständiges Verfahren, das sich von den Verfahren zur Erteilung der
Genehmigungen für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie 81/851 und der
Verordnung Nr. 2309/93 unterscheidet.
- 89.
- Die beiden letztgenannten Regelungen, die die Erteilung der nationalen und
gemeinschaftlichen Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Tierarzneimitteln
zum Gegenstand haben, sehen ausdrücklich vor, daß die Genehmigung für das
Inverkehrbringen eines Produktes versagt wird, wenn seine Verwendung aufgrund
anderer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verboten ist (siehe Artikel 11 Absatz
1 Nummer 3 der Richtlinie 81/851 und Artikel 33 Absatz 1 Nummer 3 der
Verordnung Nr. 2309/93). Nach diesen Regelungen kann somit die Genehmigungfür das Inverkehrbringen versagt werden, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein
Moratorium angeordnet wurde.
- 90.
- Die Verordnung Nr. 2377/90, die die Festsetzung von Höchstmengen für
Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs regelt, enthält
dagegen keine Vorschrift, die die Kommission ermächtigt, ein Verbot des
Inverkehrbringens zu berücksichtigen, um die Festsetzung von Höchstmengen von
Rückständen zu versagen.
- 91.
- Die Verordnung Nr. 2377/90 bezweckt den Schutz der Volksgesundheit (siehe dritte
Begründungserwägung dieser Verordnung), während das Moratorium für BST, wie
aus den Akten hervorgeht, aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen angeordnet
wurde.
- 92.
- Folglich durfte die Kommission im vorliegenden Fall die streitige Entscheidung
nicht auf das für BST bestehende Moratorium stützen.
- 93.
- Bezüglich der Befürchtung der Kommission, daß die Aufnahme von Somidobove
in Anhang II zu einer für die Verbraucher unklaren Situation geführt hätte, genügt
die Bemerkung, daß es der Kommission ein leichtes gewesen wäre, die
Öffentlichkeit auf jedem geeigneten Weg darüber zu informieren, daß das
Inverkehrbringen eines Produktes wie Optiflex ungeachtet der Aufnahme in
Anhang II verboten bleibt, solange das Moratorium für BST in Kraft ist.
- 94.
- Aus dem Vorstehenden folgt, daß die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären
ist, ohne daß eine Prüfung der weiteren Klagegründe erforderlich wäre.
Kosten
- 95.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
- 96.
- Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den
Anträgen der Klägerin und der Streithelferin die Kosten des Verfahrens
einschließlich der Kosten der Streithelferin aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung der Kommission vom 22. Mai 1996 über die Ablehnung
des Antrags auf Aufnahme von Somidobove (Rindersomatotropin) in
Anhang II der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 des Rates vom 26. Juni 1990
zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von
Höchstmengen für Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln
tierischen Ursprungs wird für nichtig erklärt.
2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten
der Streithelferin.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Juni 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili