Language of document : ECLI:EU:C:2022:916

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

24. November 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit – Art. 45 AEUV – Gleichbehandlung – Soziale Vergünstigungen – Verordnung (EU) Nr. 492/2011 – Art. 7 Abs. 2 – Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat – Wohnsitzerfordernis – Alternative Voraussetzung einer sozialen Eingliederung für gebietsfremde Studierende – Situation eines Studierenden, der die Staatsangehörigkeit des die Unterstützung gewährenden Staates hat, aber von Geburt an in dem Staat wohnt, in dem er studiert“

In der Rechtssache C‑638/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Överklagandenämnd för studiestöd (Beschwerdestelle für Studienbeihilfen, Schweden) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 2020, in dem Verfahren

MCM

gegen

Centrala studiestödsnämnden

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von MCM,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch H. Eklinder, C. Meyer‑Seitz, A. Runeskjöld, M. Salborn Hodgson, R. Shahsavan Eriksson, H. Shev, J. Lundberg und O. Simonsson als Bevollmächtigte,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann‑Lindegren und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, E. Samoilova und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Carlin und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

–        der norwegischen Regierung, vertreten durch E. S. Eikeland und T. H. Aarthun als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. April 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MCM und dem Centrala studiestödsnämnd (Zentralstelle für Studienbeihilfen, Schweden, im Folgenden: Zentralstelle) wegen des Anspruchs von MCM auf eine vom schwedischen Staat gewährte finanzielle Unterstützung für ein Studium in Spanien.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2)      Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.“

4        Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.“

 Schwedisches Recht

5        Gemäß Kapitel 3 § 23 Abs. 1 Studiestödslagen (1999:1395) (Gesetz [1999:1395] über Studienbeihilfen) hängt der Anspruch von Studierenden auf die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums außerhalb Schwedens davon ab, dass er/sie in den letzten fünf Jahren vor Beantragung der Beihilfe für mindestens zwei Jahre ununterbrochen in Schweden gewohnt hat (im Folgenden: Wohnsitzerfordernis).

6        Die Regierung oder die von dieser benannte Behörde kann jedoch besondere Bestimmungen erlassen, die eine Ausnahme von diesem Wohnsitzerfordernis erlauben, und ergänzende Regelungen betreffend die Beihilfen vorsehen, die im Ausland Studierenden gewährt werden.

7        Daher wurde das Gesetz über Studienbeihilfen durch die Centrala studiestödsnämndens föreskrifter och allmänna råd om beviljning av studiemedel (CSNFS 2001:1) (Vorschriften und allgemeine Leitlinien für die Zentralstelle über die Bewilligung von Beihilfen zur Finanzierung eines Studiums [CSNFS 2001:1], im Folgenden: Vorschriften und allgemeine Leitlinien für die Zentralstelle) präzisiert. Diese Vorschriften und allgemeinen Leitlinien bestimmen in Kapitel 12 § 6, dass das Wohnsitzerfordernis von Kapitel 3 § 23 des Gesetzes über Studienbeihilfen keine Anwendung auf Personen findet, die diese Voraussetzung zum Beginn ihres Auslandsstudiums erfüllten, dabei eine Studienbeihilfe im Sinne dieses Gesetzes oder ein Stipendium für Doktoranden erhielten und ihr Studium ohne Unterbrechung fortsetzen, wobei sie weiterhin diese Unterstützung erhalten. Kapitel 12 § 6a sieht vor, dass das Wohnsitzerfordernis auch auf schwedische Staatsangehörige, die sich wegen Krankheit im Ausland aufhalten, keine Anwendung findet, wenn sie zuvor in Schweden gewohnt haben. Schließlich führt Kapitel 12 § 6b aus, dass die Studienbeihilfe auch Studierenden, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen, gewährt werden kann, wenn außergewöhnliche Gründe dies rechtfertigen.

8        Die Zentralstelle gewährt in besonderen Fällen, in denen sie das Wohnsitzerfordernis für mit dem Unionsrecht unvereinbar hält, eine Ausnahme von diesem, verlangt dann aber eine gesellschaftliche Anbindung des/der Begünstigten an Schweden. Daher heißt es in den Centrala studiestödsnämndens rättsliga ställningstaganden dnr 2013‑113‑9290 samt dnr 2014‑112‑8426 (Interne Dienstanweisungen Nr. 2013‑113‑9290 und Nr. 2014‑112‑8426 der Zentralstelle für Studienbeihilfen), dass die Zentralstelle das Wohnsitzerfordernis aus Kapitel 3 § 23 Abs. 1 des Gesetzes über Studienbeihilfen Personen, die in Schweden als Wanderarbeitnehmer anerkannt sind, oder deren Familienangehörigen aufgrund von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 nicht entgegenhält. Bei diesen Personen muss aber, wenn es sich nicht um Kinder handelt, für die Gewährung der Studienbeihilfe eine gesellschaftliche Anbindung an Schweden vorliegen.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9        MCM ist schwedischer Staatsangehöriger, der seit seiner Geburt in Spanien wohnt.

10      Im März 2020 beantragte MCM bei der Zentralstelle eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in Spanien. MCM gab an, dass sein Vater, der ebenfalls schwedischer Staatsangehöriger ist, seit November 2011 in Schweden lebe und arbeite, zuvor aber 20 Jahre lang als Wanderarbeitnehmer in Spanien tätig gewesen sei.

11      Die Zentralstelle lehnte den von MCM gestellten Antrag mit dem Hinweis darauf ab, dass er nicht das in Kapitel 3 § 23 Abs. 1 des Gesetzes über Studienbeihilfen vorgesehene Erfordernis eines Wohnsitzes in Schweden erfülle und bei ihm auch nicht die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Beihilfe nach einer der Ausnahmen aus Kapitel 12 §§6, 6a und 6b der Vorschriften und allgemeinen Leitlinien für die Zentralstelle vorlägen, auf deren Grundlage ihm eine solche Beihilfe hätte gewährt werden können. Außerdem könne MCM sich bei der Beantragung einer solchen Beihilfe nicht auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger eines Wanderarbeitnehmers berufen, da sein Vater inzwischen in seinem Herkunftsmitgliedstaat Schweden berufstätig sei und er selbst die alternative Voraussetzung einer gesellschaftlichen Eingliederung in Schweden nicht erfülle, die ein Absehen vom Wohnsitzerfordernis erlauben würde.

12      Gegen diese Entscheidung legte MCM bei der Överklagandenämnd för studiestöd (Beschwerdestelle für Studienbeihilfen), dem vorlegenden Gericht, Rechtsbehelf ein. Die Zentralstelle hielt in ihren Schriftsätzen an ihrer Einschätzung fest. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass die Entscheidung, MCM die Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums zu versagen, dessen Vater von der Auswanderung nach Spanien hätte abhalten können, und dass sie daher eine Behinderung der Freizügigkeit des Vaters darstelle. Allerdings fragte sich die Zentralstelle insoweit, ob die geschilderte Situation weiterhin unter das Unionsrecht fällt, da der Vater von MCM bereits seit 2011 keinen Gebrauch mehr von seiner Freizügigkeit als Wanderarbeitnehmer mache. Sie äußerte auch Zweifel, ob ein in sein Herkunftsland zurückgekehrter Wanderarbeitnehmer sich gegenüber diesem Land zeitlich unbegrenzt auf den Schutz berufen kann, der sowohl ihm als auch seinen Familienangehörigen durch die Verordnung Nr. 492/2011 gewährt wird.

13      Das vorlegende Gericht erklärt, dass die Studienbeihilfen sowohl schwedischen Staatsangehörigen als auch den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zur Finanzierung eines Auslandsstudiums gewährt werden können.

14      Gemäß Kapitel 3 § 23 Abs. 1 des Gesetzes über Studienbeihilfen hänge der Anspruch auf eine solche Beihilfe, der sich weder nach dem Einkommen der Eltern noch nach deren sozialer Situation im Übrigen richte, davon ab, dass der studierende Antragsteller in den letzten fünf Jahren mindestens zwei Jahre lang ununterbrochen in Schweden gewohnt habe. Könne das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllt werden, sei die Gewährung einer Beihilfe dennoch möglich, wenn außergewöhnliche Gründe im Sinne von Kapitel 12 § 6b der Vorschriften und allgemeine Leitlinien für die Zentralstelle vorlägen.

15      Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 bei Wanderarbeitnehmern oder ihren Familienangehörigen nicht am Wohnsitzerfordernis festgehalten werde. Allerdings verlangt die Zentralstelle, wenn es sich beim Antragsteller nicht um das Kind eines Wanderarbeitnehmers handelt, entsprechend ihren internen Dienstanweisungen für die Gewährung der Studienbeihilfe eine Anbindung an die schwedische Gesellschaft.

16      Überdies werde auch bei Personen, die nicht in Schweden wohnen – einschließlich der schwedischen Staatsangehörigen – und Beihilfe zur Finanzierung eines Auslandsstudiums in einem anderen Mitgliedstaat der Union beantragen, nicht am Wohnsitzerfordernis festgehalten. In diesem Fall verlange die Zentralstelle für die Bewilligung einer solchen Beihilfe eine Anbindung an die schwedische Gesellschaft und stütze sich dabei auf das Urteil des Gerichtshofs vom 18. Juli 2013, Prinz und Seeberger (C‑523/11 und C‑585/11, EU:C:2013:524, Rn. 38).

17      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob von dem in der Union wohnenden Kind eines Wanderarbeitnehmers, der den Aufnahmemitgliedstaat, in dem er beruflich tätig war, verlassen hat, um in seinem Herkunftsmitgliedstaat zu leben, verlangt werden kann, dass es eine Anbindung zum Herkunftsmitgliedstaat hat. Eine solche Voraussetzung verstoße möglicherweise gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 und könne bestimmte Eltern oder künftige Eltern davon abhalten, von ihrer in Art. 45 AEUV verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen.

18      Eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit müsse durch fiskalische Interessen des Herkunftsmitgliedstaats gerechtfertigt werden können. Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob die Rechtsprechung, nach der Beschränkungen der Freizügigkeit im Sinne der Art. 20 und 21 AEUV gerechtfertigt werden können, im vorliegenden Fall entsprechend angewandt werden darf.

19      Unter diesen Umständen hat die Överklagandenämnden för studiestöd (Beschwerdestelle für Studienbeihilfen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann ein Mitgliedstaat (Herkunftsland) – ohne dabei gegen Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 zu verstoßen – mit Blick auf seine fiskalischen Interessen vom Kind eines zurückgekehrten Wanderarbeitnehmers verlangen, dass dieses Kind eine Anbindung an das Herkunftsland hat, damit ihm Studienbeihilfe für ein Auslandsstudium in dem anderen Mitgliedstaat der EU bewilligt werden kann, in dem ein Elternteil des Kindes früher gearbeitet hat (Aufnahmeland), wenn

1.      der Elternteil des Kindes nach seiner Rückkehr aus dem Aufnahmeland seit mindestens acht Jahren in seinem Herkunftsland lebt und arbeitet,

2.      das Kind nicht mit seinem Elternteil in das Herkunftsland zurückgekehrt ist, sondern seit seiner Geburt immer noch im Aufnahmeland lebt und

3.      das Herkunftsland dasselbe Anbindungserfordernis auch für seine anderen Staatsangehörigen, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen und Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat der EU beantragen, vorsieht?

 Zur Vorlagefrage

20      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 und Art. 45 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach für das Kind einer Person, die in einem Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet, diesen aber verlassen hat, um wieder in dem erstgenannten Mitgliedstaat zu wohnen, dessen Staatsangehörige sie ist, eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums im Aufnahmemitgliedstaat nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass beim Kind eine Anbindung an den Herkunftsmitgliedstaat vorliegt, wenn zum einen das Kind seit seiner Geburt im Aufnahmemitgliedstaat wohnt und zum anderen der Herkunftsmitgliedstaat die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat auch für seine anderen Staatsangehörigen, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen und eine solche Beihilfe beantragen, von einer Anbindung abhängig macht.

21      Art. 45 Abs. 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Außerdem stellt Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 nur eine besondere Ausprägung dieses Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar und ist daher ebenso auszulegen wie Art. 45 AEUV (Urteile vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken, C‑514/12, EU:C:2013:799, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Mai 2021, CAF, C‑27/20, EU:C:2021:383, Rn. 24).

22      Überdies ist Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011, wonach ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer genießt, eine besondere Ausprägung des in Art. 45 AEUV verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf dem spezifischen Gebiet der Gewährung sozialer Vergünstigungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juni 2013, Giersch u. a., C‑20/12, EU:C:2013:411, Rn. 35, sowie vom 2. April 2020, PF u. a., C‑830/18, EU:C:2020:275, Rn. 29).

23      Der Begriff der „sozialen Vergünstigung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 umfasst alle Vergünstigungen, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen gewährt werden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland (Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld, C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 41).

24      Nach ständiger Rechtsprechung stellt eine Beihilfe, die für den Lebensunterhalt und für die Ausbildung zur Durchführung eines mit einer beruflichen Qualifikation abgeschlossenen Hochschulstudiums gewährt wird, eine soziale Vergünstigung im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Aubriet, C‑410/18, EU:C:2019:582, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass es sich bei der in Rede stehenden Leistung um eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 handelt.

26      Allerdings ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut von Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011, wonach der Wanderarbeitnehmer im Hoheitsgebiet „der anderen Mitgliedstaaten“ nicht anders behandelt werden darf, als auch aus dem Wortlaut von Art. 10 der Verordnung, wonach die Kinder des Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet „eines anderen Mitgliedstaats“ unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt werden, dass durch diese beiden Artikel Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen vor Diskriminierungen geschützt werden sollen, denen sie im Aufnahmemitgliedstaat ausgesetzt sein könnten.

27      Wie auch die Generalanwältin in den Nrn. 56 und 57 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können sich der Wanderarbeitnehmer und seine Familienangehörigen zwar gegenüber den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats auf das Recht auf Gleichbehandlung berufen, doch ist dies nicht der Fall, wenn die möglicherweise eine Diskriminierung darstellende Situation den Herkunftsmitgliedstaat des Arbeitnehmers betrifft.

28      Da aber im Ausgangsverfahren des Recht auf Gleichbehandlung gegenüber den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats geltend gemacht wird, ist Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 nicht anwendbar.

29      Auch wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation nicht unter Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 fällt, ist sie jedoch im Hinblick auf Art. 45 AEUV zu prüfen, der nicht nur jegliche auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung zwischen den Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten verbietet, sondern auch jede andere Maßnahme, die geeignet ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu beschränken.

30      Insoweit sollen sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit sowie die Bestimmungen der Verordnung Nr. 492/2011 den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die diese Angehörigen der Mitgliedstaaten benachteiligen könnten, wenn sie eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah, C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      In diesem Zusammenhang haben die Angehörigen der Mitgliedstaaten insbesondere das unmittelbar aus dem Vertrag abgeleitete Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten. Folglich steht Art. 45 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der durch diese Vorschrift verbürgten Grundfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah, C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausführt, kann Art. 45 AEUV von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gegenüber diesem in Bezug auf Maßnahmen geltend gemacht werden, die geeignet sind, diese Staatsangehörigen am Verlassen ihres Herkunftslandes zu hindern oder davon abzuhalten.

33      Im Ausgangsverfahren hat der betroffene Arbeitnehmer seinen Herkunftsmitgliedstaat zunächst verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten und dort mit seiner Familie zu wohnen, und kehrte dann in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurück, um dort zu leben und zu arbeiten. Sein Kind wohnte dagegen nie im Herkunftsland des Vaters, sondern lebt von Geburt an im Aufnahmemitgliedstaat. Bei Anwendung der Regelung des Herkunftsmitgliedstaats kann dem Kind eines solchen Arbeitnehmers von diesem Staat nur dann eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums im Aufnahmemitgliedstaat gewährt werden, wenn eine Anbindung an den Herkunftsmitgliedstaat besteht.

34      In Bezug auf die Frage, ob eine solche Regelung geeignet ist, die Ausübung der Freizügigkeit, einer durch Art. 45 AEUV verbürgten Grundfreiheit, für den betroffenen Arbeitnehmer zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, ist – wie dies die Generalanwältin in den Nrn. 49 und 50 ihrer Schlussanträge getan hat – festzustellen, dass die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Auslandsstudiums, wenn der Arbeitnehmer von seiner Freizügigkeit Gebrauch machen möchte, nicht ausschließlich von dessen Entscheidungen abhängen würde, sondern auch von etwaigen künftigen Entscheidungen seines Kindes und einer Reihe von künftigen hypothetischen und ungewissen Ereignissen, insbesondere davon, ob der Arbeitnehmer tatsächlich irgendwann ein Kind haben wird, sein Kind sich auch bei einer Rückkehr eines Elternteils in seinen Herkunftsmitgliedstaat für den Verbleib im Aufnahmemitgliedstaat entscheiden wird, sein Kind dort nicht gesellschaftlich eingegliedert ist und es sich gegebenenfalls für die Aufnahme eines Studiums entscheidet.

35      Folglich kann eine solche Situation, die auf einer Gesamtheit von Umständen beruht, die zu ungewiss und zu indirekt sind, die Entscheidung des Arbeitnehmers, von seiner Freizügigkeit Gebrauch zu machen, nicht beeinflussen und stellt keine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2019, Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach, C‑437/17, EU:C:2019:193, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Demzufolge kann eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht als eine nach Art. 45 AEUV verbotene Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit eingestuft werden.

37      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 dahin auszulegen sind, dass diese Bestimmungen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach für das Kind einer Person, die in einem Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet, diesen aber verlassen hat, um wieder im erstgenannten Mitgliedstaat zu wohnen, dessen Staatsangehöriger sie ist, eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums im Aufnahmemitgliedstaat nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass beim Kind eine Anbindung an den Herkunftsmitgliedstaat vorliegt, wenn zum einen das Kind seit seiner Geburt im Aufnahmemitgliedstaat wohnt und zum anderen der Herkunftsmitgliedstaat die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat auch für seine anderen Staatsangehörigen, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen und eine solche Beihilfe beantragen, von einer Anbindung abhängig macht.

 Kosten

38      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union

sind dahin auszulegen, dass

diese Bestimmungen den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach für das Kind einer Person, die in einem Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet, diesen aber verlassen hat, um wieder in dem Mitgliedstaat zu wohnen, dessen Staatsangehöriger sie ist, eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums im Aufnahmemitgliedstaat nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass beim Kind eine Anbindung an den Herkunftsmitgliedstaat vorliegt, wenn zum einen das Kind seit seiner Geburt im Aufnahmemitgliedstaat wohnt und zum anderen der Herkunftsmitgliedstaat die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat auch für seine anderen Staatsangehörigen, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen und eine solche Beihilfe beantragen, von einer Anbindung abhängig macht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Schwedisch.