Language of document : ECLI:EU:T:2013:560

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

25. Oktober 2013(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das ein Spiel wiedergibt – Älteres Geschmacksmuster – Nichtigkeitsgründe – Neuheit – Eigenart – Unterscheidung zwischen Erzeugnis und Geschmacksmuster – Art. 3, 4, 6 und 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑231/10

Merlin Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Forchtenberg (Deutschland),

Rolf Krämer, wohnhaft in Forchtenberg,

BLS Basteln Lernen Spielen GmbH mit Sitz in Forchtenberg,

Andreas Hohl, wohnhaft in Künzelsau (Deutschland),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt R. Kramer,

Kläger,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch G. Schneider als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin vor dem Gericht:

Dusyma Kindergartenbedarf GmbH mit Sitz in Schorndorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Zinnecker,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des HABM vom 17. März 2010 (Sache R 879/2009‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Merlin Handelsgesellschaft mbH u. a. und der Dusyma Kindergartenbedarf GmbH

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter G. Berardis (Berichterstatter) und C. Wetter,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 21. Mai 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 1. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 17. August 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der am 19. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Erwiderung,

aufgrund der am 28. Januar 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Gegenerwiderung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von einem Monat nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher auf Bericht des Berichterstatters gemäß Art. 135a der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 8. Mai 2006 meldete die Streithelferin, die Dusyma Kindergartenbedarf GmbH, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Das angemeldete Geschmacksmuster (im Folgenden: streitiges Geschmacksmuster) wird wie folgt wiedergegeben:

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3        Das streitige Geschmacksmuster ist für die Verwendung bei „Spielen (einschließlich erzieherischen Spielen)“ bestimmt, die zur Klasse 21‑01 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung gehören.

4        Das streitige Geschmacksmuster wurde am Tag der Anmeldung unter der Nr. 000526801‑0011 eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 73/2006 vom 27. Juni 2006 veröffentlicht.

5        Am 23. Mai 2007 stellten die Kläger – die Merlin Handelsgesellschaft mbH, Herr Rolf Krämer, die BLS Basteln Lernen Spielen GmbH und Herr Andreas Hohl – nach Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Antrag auf Nichtigerklärung des streitigen Geschmacksmusters.

6        Dieser Antrag wurde auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 6/2002 gestützt, der bestimmt, dass ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig zu erklären ist, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt. In ihrem Antrag auf Nichtigerklärung machten die Kläger im Wesentlichen geltend, dass dem streitigen Geschmacksmuster die Neuheit und Eigenart im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit deren Art. 5 und 6 fehle.

7        Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung legten die Kläger folgende Dokumente vor:

–        einen Auszug aus dem Katalog der Rolf onderwijs BV aus den Jahren 1996 und 1997, bestehend aus der Titelseite, einer Innenseite mit dem Datum des Katalogs und zwei weiteren Innenseiten, den S. 99 und 101, auf denen zwei Bilder dargestellt waren, die folgendermaßen wiedergegeben werden (im Folgenden: Dokument D1 bzw. Dokument D2):

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–        einen Auszug aus dem Onlinekatalog der Firma Haidig Kindergartenbedarf, der einen Kasten mit Holzbausteinen zeigt, der die Bezeichnung „Himmelstreppe“ trägt und wie folgt wiedergegeben wird (im Folgenden: Dokument D3):

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–        einen Auszug aus der Website der Gesellschaft Yatego, die die beiden folgenden Wiedergaben des Spiels „Himmelstreppe“ der Firma Haidig Kindergartenbedarf zeigt (im Folgenden: Dokument D4 bzw. Dokument D5):

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–        einen Auszug aus dem Katalog eines der Kläger, Merlin, mit verschiedenfarbigen „Edelsteinen“, die wie folgt wiedergegeben werden (im Folgenden: Dokument D6):

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8        Mit Entscheidung vom 10. Oktober 2007 (im Folgenden: erste Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung) wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung des streitigen Geschmacksmusters zurück, ohne jedoch die Dokumente D3 bis D5 zu prüfen, die sie als unzulässig ansah.

9        Am 21. November 2007 legten die Kläger nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim HABM Beschwerde gegen die erste Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

10      Mit Entscheidung vom 10. Februar 2009 bestätigte die Dritte Beschwerdekammer die in der ersten Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung aufgrund der Dokumente D1, D2 und D6 vorgenommene Prüfung der Neuheit und Eigenart des streitigen Geschmacksmusters. Im Gegensatz zur Nichtigkeitsabteilung stellte die Beschwerdekammer jedoch fest, dass auch die Dokumente D3, D4 und D5 zulässig und damit für die genannte Prüfung zu berücksichtigen seien. Die Beschwerdekammer hob daraufhin die erste Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und verwies die Sache an diese zurück.

11      Nachdem die Nichtigkeitsabteilung alle von den Klägern vorgelegten Dokumente geprüft hatte, wies sie den Antrag auf Nichtigerklärung des streitigen Geschmacksmusters mit Entscheidung vom 26. Juni 2009 erneut zurück, da das streitige Geschmacksmuster Neuheit und Eigenart im Sinne der Art. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 6/2002 besitze.

12      Am 24. Juli 2009 legten die Kläger beim HABM Beschwerde gegen die neue Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

13      Mit Entscheidung vom 17. März 2010 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer diese Beschwerde zurück und erlegte den Klägern die Kosten auf. Dabei wies sie erstens auf die Merkmale des streitigen Geschmacksmusters hin, wobei sie davon ausging, dass dieses aus einem Kasten ohne Deckel, dessen Vorderseite eine ovale Aussparung aufweise, sowie einer großen Zahl von Holzbausteinen mit quadratischer oder rechteckiger Grundfläche bestehe, die an der Deckfläche, jeweils auf dem Mittelpunkt der Quadrate oder der Rechteckhälften, kreisförmige Vertiefungen zeigten; in jeder Vertiefung seien helle oder dunkle Dekorationsscheiben – möglicherweise aus Glas – eingelassen, die transparent seien und das Licht reflektierten und deren ebene Oberfläche mit Ausnahme des Randes die gleiche Höhe wie die Deckfläche des Holzsteins erreiche. Zweitens führte die Beschwerdekammer aus, zwischen den Parteien sei unstreitig, dass die Dokumente D1, D2 und D6 nicht zum Nachweis der fehlenden Neuheit und Eigenart des streitigen Geschmacksmusters geeignet seien. Drittens stellte sie fest, dass die in den Dokumenten D3 bis D5 wiedergegebenen Bausteine die Form einer Treppe hätten und mit kreisrunden Dekorationselementen von unterschiedlicher Größe versehen seien, die viele kleinflächige Facetten aufwiesen und deren Fläche weder kreisförmig sei noch mit der Deckfläche des Bausteins auf einer Ebene liege. Viertens wies die Beschwerdekammer die These der Kläger zurück, wonach an den in den Dokumenten D3 bis D5 wiedergegebenen Bausteinen zwei verschiedene Geschmacksmuster verwirklicht seien, die die Form der Bausteine bzw. ihre Dekorationselemente zum Gegenstand hätten und von denen das zweite vom streitigen Geschmacksmuster identisch übernommen worden sei. Hierzu stellte die Beschwerdekammer im Wesentlichen fest, dass für den Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster die Form der Bausteine nicht weniger wichtig sei als deren Dekorationselemente.

 Anträge der Parteien

14      Die Kläger beantragen,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das streitige Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren an die Beschwerdekammer zurückzuverweisen;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

15      Das HABM beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

16      Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die angefochtene Entscheidung aufrechtzuerhalten;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen;

–        hilfsweise, falls den ersten beiden Anträgen nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Kläger stützen ihre Klage im Wesentlichen auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie rügen, die Beschwerdekammer habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass sie die Prüfung der Neuheit und Eigenart des streitigen Geschmacksmusters nicht auf die bloßen Dekorationselemente der Spiele beschränkt habe, deren Erscheinungsform die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster charakterisiere.

18      Im Einzelnen werfen die Kläger der Beschwerdekammer vor, sie habe den Begriff des Geschmacksmusters in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 mit dem Begriff des Erzeugnisses in deren Art. 3 Buchst. b verwechselt, denn sie sei davon ausgegangen, dass das streitige Geschmacksmuster in dem oben in Randnr. 2 wiedergegebenen Spiel als Ganzem – d. h. einem Kasten und Holzbausteinen mit Dekorationselementen aus Glas – bestehe und nicht nur in einem Teil dieses Spiels, und zwar den in die Oberfläche der Bausteine eingelassenen Dekorationselementen. Die Steine als solche und der Kasten, der sie enthalte, seien nämlich nicht Teil des streitigen Geschmacksmusters, weil es zahlreiche andere Bauspiele aus Holzbausteinen in einem Kasten aus demselben Material gebe, wie durch die Dokumente D1 und D2 belegt werde.

19      In ähnlicher Weise habe die Beschwerdekammer dadurch einen Fehler begangen, dass sie hinsichtlich des in den Dokumenten D3 bis D5 wiedergegebenen Spiels nicht zwischen zwei verschiedenen Geschmacksmustern unterschieden habe, von denen das erste in der Treppenform der Bausteine bestehe und das zweite in den Dekorationselementen, die in die Bausteine eingelassen seien. Für die Prüfung, ob das streitige Geschmacksmuster neu sei und keine Eigenart habe, hätte allein das letztgenannte Geschmacksmuster herangezogen werden müssen.

20      Das HABM und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Kläger entgegen.

 Vorbemerkungen

21      Es ist darauf hinzuweisen, dass es in Art. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet:

a)      ‚Geschmacksmuster‘ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt;

b)      ‚Erzeugnis‘ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – unter anderem – der Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, graphischen Symbolen und typographischen Schriftbildern; ein Computerprogramm gilt jedoch nicht als ‚Erzeugnis‘;

…“

22      Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 kann ein Geschmacksmuster nur dann für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung nicht erfüllt.

23      Gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster nur durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

24      Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gilt ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.

25      Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei ihm hervorruft, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist.

26      Dabei setzt nach der Rechtsprechung die Benutzereigenschaft voraus, dass die betreffende Person das durch das Geschmacksmuster verkörperte Produkt zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt (Urteil des Gerichts vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, Slg. 2010, II‑2517, Randnr. 46). Außerdem setzt die Bezeichnung „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne ein Designer oder technischer Sachverständiger zu sein, die verschiedenen Geschmacksmuster kennt, die es in dem betreffenden Wirtschaftszweig gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er die fraglichen Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (Urteil des Gerichtshofs vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, Slg. 2011, I‑10153, Randnr. 59, und Urteil Fernmeldegeräte, Randnr. 47).

27      Somit kann der Begriff des informierten Benutzers als Bezeichnung eines Benutzers verstanden werden, dem keine durchschnittliche Aufmerksamkeit, sondern eine besondere Wachsamkeit eigen ist, sei es wegen seiner persönlichen Erfahrung oder seiner umfangreichen Kenntnisse in dem betreffenden Bereich (Urteil PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, Randnr. 53, und Urteil des Gerichts vom 25. April 2013, Bell & Ross/HABM – KIN [Gehäuse einer Armbanduhr], T‑80/10, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 103).

28      Im Übrigen geht aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 sowie aus einer ständigen Rechtsprechung hervor, dass die Prüfung der Eigenart eines Geschmacksmusters von dem Gesamteindruck abhängt, den es beim informierten Benutzer hervorruft (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 2011, Industrias Francisco Ivars/HABM – Motive [mechanisches Untersetzungsgetriebe], T‑246/10, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 14).

 Zur Begründetheit der Klage

29      Zwar ist es, wie aus Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 hervorgeht, zum einen möglich, dass ein Geschmacksmuster in der Erscheinungsform nur eines Teils eines Erzeugnisses und nicht des gesamten Erzeugnisses besteht, und zum anderen, dass sich dieser Teil auf die Verzierung des Erzeugnisses beschränkt, doch ändert dies nichts daran, dass für die Ermittlung der in einer bestimmten Rechtssache einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen sind.

30      Im vorliegenden Fall ging die Beschwerdekammer in Randnr. 11 der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass das streitige Geschmacksmuster flache quaderförmige Bausteine mit quadratischer oder rechteckiger Grundfläche und Dekorationselementen umfasse, und in Randnr. 13 dieser Entscheidung, dass das in den Dokumenten D3 bis D5 wiedergegebene ältere Geschmacksmuster insbesondere in Bausteinen in Form einer symmetrischen Treppe bestehe, die kreisrunde Dekorationselemente unterschiedlicher Größe aufwiesen.

31      Als Erstes ist hierzu im Einklang mit dem zutreffenden Hinweis des HABM und der Streithelferin festzustellen, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster sich sowohl in der Anmeldung des streitigen Geschmacksmusters als auch in den Dokumenten D3 bis D5 nicht auf die bloße Erscheinungsform der in den Bausteinen, aus denen die zum einen in der genannten Anmeldung und zum anderen in diesen Dokumenten wiedergegebenen Spiele bestehen, eingelassenen Dekorationselemente beschränken.

32      Zum streitigen Geschmacksmuster ist festzustellen, dass das oben in Randnr. 2 wiedergegebene Bild belegt, dass die Streithelferin durch ihre Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters keine bloße Verzierung schützen lassen wollte, sondern das auf dem genannten Bild gezeigte Spiel als Ganzes. Wie das HABM zu Recht ausführt, stellt sich dieses Spiel nämlich insofern als eine Einheit dar, als die Bausteine zwar nicht körperlich miteinander verbunden, aber ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und durch die gemeinsame Funktion, aus mehreren Steinen bestehende Strukturen zu bauen, in Zusammenhang stehen.

33      Dass sich das streitige Geschmacksmuster nicht auf Dekorationselemente beschränkt, wird dadurch bestätigt, dass es für Waren der Klasse 21 des Abkommens von Locarno angemeldet wurde, bei denen es sich um Spiele handelt, und nicht für Waren der Klasse 32 dieses Abkommens, bei denen es sich um Verzierungen handelt.

34      Zum älteren Geschmacksmuster ist im Einklang mit der Streithelferin festzustellen, dass die Dokumente D3 bis D5 Bilder mit einer Gesamtansicht der treppenförmigen Bausteine enthalten, die zwar Dekorationselemente aufweisen, ohne dass diese jedoch besonders hervorgehoben sind und damit verhindern, dass die Bausteine als ein Ganzes aufgefasst werden.

35      Daher lässt nichts darauf schließen, dass die Dekorationselemente, die in die auf den Dokumenten D3 bis D5 abgebildeten Bausteine eingelassen sind, ein eigenes, von dem in der Form dieser Steine bestehenden getrenntes Geschmacksmuster darstellen. Hierzu ist festzustellen, dass es, da die genannten Elemente kein gesondertes Geschmacksmuster bilden, entgegen dem Vorbringen der Kläger keine Rolle spielt, dass Art. 11 der Verordnung Nr. 6/2002 für nicht eingetragene Geschmacksmuster eine Schutzdauer von drei Jahren ab dem Tag vorsieht, an dem sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die genannten Dekorationselemente stellen nämlich weder ein eingetragenes noch ein nicht eingetragenes Geschmacksmuster dar.

36      Als Zweites ist festzustellen, dass es, wie die Beschwerdekammer in Randnr. 16 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, zwar nicht ausgeschlossen ist, dass beim Vergleich von Geschmacksmustern der von jedem Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck durch bestimmte Merkmale der betreffenden Erzeugnisse oder von Teilen dieser Erzeugnisse geprägt werden kann. Die Beschwerdekammer hat aber zu Recht hervorgehoben, dass zur Klärung der Frage, ob ein bestimmtes Merkmal ein Erzeugnis oder einen Teil von ihm prägt, der mehr oder weniger starke Einfluss bewertet werden muss, den die verschiedenen Merkmale des Erzeugnisses oder des betreffenden Teils auf die Erscheinungsform dieses Erzeugnisses oder Teils haben.

37      Zu den Bausteinen hat die Beschwerdekammer in den Randnrn. 17 und 18 der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt, dass zu ihren Merkmalen die Form gehört, die eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt wie die in diesen Steinen eingelassenen Dekorationselemente. Im Übrigen nennt Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 die Gestalt als eines der Merkmale eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die bei der Bestimmung seiner Erscheinungsform, die zu einem Geschmacksmuster führt, zu berücksichtigen sind.

38      Wie die Beschwerdekammer in Randnr. 19 der angefochtenen Entscheidung zu Recht hervorgehoben hat, werden nämlich dem in Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 im Zusammenhang mit der Beurteilung der Eigenart eines Geschmacksmusters herangezogenen informierten Benutzer (siehe oben, Randnr. 25) die Unterschiede in der Form der Bausteine auffallen, da ihre Verwendung in Spielen von ihrer Form abhängt. Beispielsweise lassen sich Bausteine mit einfachen geometrischen Formen vielfältiger einsetzen als solche mit komplexeren Formen.

39      Dass dem informierten Benutzer die genannten Unterschiede auffallen werden, wird durch dessen Definition in der oben in den Randnrn. 26 bis 28 angeführten Rechtsprechung bestätigt. Angesichts dieser Rechtsprechung gibt es nämlich im Prinzip keinen Grund zu der Annahme, dass der informierte Benutzer sich nur auf bestimmte Elemente eines Geschmacksmusters konzentriert.

40      Als Drittes ist das Argument der Kläger zurückzuweisen, wonach der in der angefochtenen Entscheidung verfolgte Ansatz auf eine Schwächung des Schutzes der Geschmacksmuster durch die Verordnung Nr. 6/2002 hinauslaufe, weil sie – so die Kläger – zur Herbeiführung der Nichtigkeit eines zu einem späteren Zeitpunkt offenbarten Geschmacksmusters nur noch geltend gemacht werden könnten, wenn die von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern erfassten Erzeugnisse insgesamt gesehen identisch seien.

41      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Geschmacksmuster nicht nur für nichtig erklärt werden kann, weil es die in Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehene Voraussetzung der Neuheit aufgrund seiner Identität mit einem bereits offenbarten Geschmacksmuster nicht erfüllt, sondern auch, weil sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, nicht von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein bereits offenbartes Geschmacksmuster bei einem solchen Benutzer hervorruft, und weil es deshalb nicht über die in Art. 6 der genannten Verordnung geforderte Eigenart verfügt.

42      Nach alledem ist, ohne dass geklärt zu werden braucht, ob die Kästen, die die Bausteine enthalten, Teil der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster sind – was die Kläger bestreiten –, festzustellen, dass die Beschwerdekammer die Verordnung Nr. 6/2002 korrekt angewandt hat, als sie die Prüfung der Neuheit und der Eigenart des streitigen Geschmacksmusters nicht auf die bloßen Dekorationselemente der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster beschränkt hat.

43      Aus den gesamten oben angestellten Erwägungen ergibt sich, dass die Kläger mit ihrem einzigen Klagegrund nicht durchdringen können.

 Ergebnis

44      Angesichts aller vorstehenden Erwägungen ist die vorliegende Klage abzuweisen, ohne dass über die Zulässigkeit des Antrags der Kläger auf Nichtigerklärung des streitigen Geschmacksmusters entschieden zu werden braucht.

45      Im Übrigen ist, da mit der Abweisung der Klage der Fortbestand der angefochtenen Entscheidung verbunden ist, dem Hauptantrag der Streithelferin stattgegeben worden, so dass über ihren Hilfsantrag nicht entschieden zu werden braucht.

 Kosten

46      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

47      Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen gemäß den Anträgen des HABM und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Merlin Handelsgesellschaft mbH, Herr Rolf Krämer, die BLS Basteln Lernen Spielen GmbH und Herr Andreas Hohl tragen die Kosten.

Kanninen

Berardis

Wetter

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Oktober 2013.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.