Language of document : ECLI:EU:C:2019:14

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 10. Januar 2019(1)

Rechtssache C136/17

G. C.,

A. F.,

B. H.,

E. D.

gegen

Commission nationale de l’informatique et des libertés (CNIL),

in Anwesenheit von

Premier ministre,

Google Inc.

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Personenbezogene Daten – Datenverarbeitung – Betreiber einer Internet-Suchmaschine – Antrag auf Auslistung – Umfang der Verpflichtung – Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt“






I.      Einleitung

1.        Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist es, das Recht auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten im Internetzeitalter mit dem Recht auf Information und freie Meinungsäußerung in Einklang zu bringen. Daher überrascht es nicht, dass der Gerichtshof im Laufe der letzten Jahre mit einer Reihe von Rechtssachen befasst worden ist, in denen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dieser Problematik aufgeworfen worden sind.

2.        Nachdem eine Frage entschieden und geregelt worden ist, stellen sich neue Fragen. Dieses Phänomen wird noch dadurch verschärft, dass der Rechtsrahmen sehr oft nicht im Hinblick auf das Internetzeitalter erlassen worden ist. Die Ausgangsrechtssache – ebenso wie die Rechtssache C‑507/17, Google (Räumliche Reichweite der Auslistung), in der meine Schlussanträge am selben Tag vorgelegt werden wie in der vorliegenden Rechtssache – ist hierfür ein gutes Beispiel: Wie und in welchem Ausmaß gelten die Verpflichtungen, die durch eine Datenschutzrichtlinie von 1995, nämlich die Richtlinie 95/46/EG(2), auferlegt worden sind, für eine Suchmaschine wie Google, ein im Jahr 1998 gegründetes Unternehmen?

3.        In seinem Grundsatzurteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google(3), hat der Gerichtshof entschieden, dass Einzelpersonen gemäß Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 ein „Recht auf Vergessenwerden“(4) haben, das eine Verpflichtung des Betreibers einer Suchmaschine mit sich bringen kann, Links zu sie betreffenden Informationen zu entfernen(5). Die vorliegende Rechtssache ist vor dem Hintergrund dieses Urteils zu sehen. Infolge des Urteils hat sich nämlich eine Vielzahl neuer Fragen gestellt, die insbesondere die Verarbeitung sogenannter sensibler Daten zur rassischen und ethnischen Herkunft, zu politischen Meinungen sowie zu religiösen oder philosophischen Überzeugungen betreffen.

4.        Aus diesem Grund werde ich bei der Auslegung des bestehenden Rechts auch auf die geltenden Rechtsvorschriften und ihre Auslegung im Urteil Google Spain und Google(6) Bezug nehmen.

5.        Mein Vorschlag an den Gerichtshof ist verkürzt gesagt doppelter Natur: Zum einen sollten Internetlinks zu sensiblen Daten vom Betreiber einer Suchmaschine auf Antrag in aller Regel systematisch entfernt werden; zum anderen muss die Freiheit der Meinungsäußerung gewahrt werden. In diesem Zusammenhang schlage ich dem Gerichtshof vor, sein Urteil Google Spain und Google(7) so auszulegen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung gebührend berücksichtigt wird.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 95/46

6.        Nach ihrem Art. 1 hat die Richtlinie 95/46 den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere des Rechts auf Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die Beseitigung der Hemmnisse für den freien Verkehr dieser Daten zum Gegenstand.

7.        Art. 2 der Richtlinie 95/46 bestimmt: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚personenbezogene Daten‘ alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person (‚betroffene Person‘), wobei eine Person als bestimmbar angesehen wird, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind;

b)      ‚Verarbeitung personenbezogener Daten‘ (‚Verarbeitung‘) jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Speichern, die Organisation, die Aufbewahrung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Benutzung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede andere Form der Bereitstellung, die Kombination oder die Verknüpfung sowie das Sperren, Löschen oder Vernichten;

d)      ‚für die Verarbeitung Verantwortlicher‘ die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Sind die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten in einzelstaatlichen oder gemeinschaftlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften festgelegt, so können der für die Verarbeitung Verantwortliche bzw. die spezifischen Kriterien für seine Benennung durch einzelstaatliche oder gemeinschaftliche Rechtsvorschriften bestimmt werden;

h)      ‚Einwilligung der betroffenen Person‘ jede Willensbekundung, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, dass personenbezogene Daten, die sie betreffen, verarbeitet werden.“

8.        Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.“

9.        Art. 4 („Anwendbares einzelstaatliches Recht“) der genannten Richtlinie sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat wendet die Vorschriften, die er zur Umsetzung dieser Richtlinie erlässt, auf alle Verarbeitungen personenbezogener Daten an,

a)      die im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt werden, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats besitzt. Wenn der Verantwortliche eine Niederlassung im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten besitzt, ergreift er die notwendigen Maßnahmen, damit jede dieser Niederlassungen die im jeweils anwendbaren einzelstaatlichen Recht festgelegten Verpflichtungen einhält;

…“

10.      In Kapitel II Abschnitt I („Grundsätze in Bezug auf die Qualität der Daten“) der Richtlinie 95/46 bestimmt Art. 6:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass personenbezogene Daten

a)      nach Treu und Glauben und auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden;

b)      für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zweckbestimmungen nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden. Die Weiterverarbeitung von Daten zu historischen, statistischen oder wissenschaftlichen Zwecken ist im Allgemeinen nicht als unvereinbar mit den Zwecken der vorausgegangenen Datenerhebung anzusehen, sofern die Mitgliedstaaten geeignete Garantien vorsehen;

c)      den Zwecken entsprechen, für die sie erhoben und/oder weiterverarbeitet werden, dafür erheblich sind und nicht darüber hinausgehen;

d)      sachlich richtig sind und, wenn nötig, auf den neuesten Stand gebracht sind; es sind alle angemessenen Maßnahmen zu treffen, damit im Hinblick auf die Zwecke, für die sie erhoben oder weiterverarbeitet werden, nichtzutreffende oder unvollständige Daten gelöscht oder berichtigt werden;

e)      nicht länger, als es für die Realisierung der Zwecke, für die sie erhoben oder weiterverarbeitet werden, erforderlich ist, in einer Form aufbewahrt werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen ermöglicht. Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Garantien für personenbezogene Daten vor, die über die vorgenannte Dauer hinaus für historische, statistische oder wissenschaftliche Zwecke aufbewahrt werden.

(2)      Der für die Verarbeitung Verantwortliche hat für die Einhaltung des Absatzes 1 zu sorgen.“

11.      In Kapitel II Abschnitt II („Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung von Daten“) der Richtlinie 95/46 bestimmt Art. 7:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich erfolgen darf, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

f)      die Verarbeitung ist erforderlich zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Artikel 1 Absatz 1 geschützt sind, überwie[g]en.“

12.      In Kapitel II Abschnitt III („Besondere Kategorien der Verarbeitung“) der Richtlinie 95/46 sind die Art. 8 und 9 enthalten. Art. 8 („Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten untersagen die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben.

(2)      Absatz 1 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a)      Die betroffene Person hat ausdrücklich in die Verarbeitung der genannten Daten eingewilligt, es sei denn, nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden;

oder

b)      die Verarbeitung ist erforderlich, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist;

oder

c)      die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten erforderlich, sofern die Person aus physischen oder rechtlichen Gründen außerstande ist, ihre Einwilligung zu geben;

oder

d)      die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage angemessener Garantien durch eine politisch, philosophisch, religiös oder gewerkschaftlich ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige Organisation, die keinen Erwerbszweck verfolgt, im Rahmen ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der Voraussetzung, dass sich die Verarbeitung nur auf die Mitglieder der Organisation oder auf Personen, die im Zusammenhang mit deren Tätigkeitszweck regelmäßige Kontakte mit ihr unterhalten, bezieht und die Daten nicht ohne Einwilligung der betroffenen Personen an Dritte weitergegeben werden;

oder

e)      die Verarbeitung bezieht sich auf Daten, die die betroffene Person offenkundig öffentlich gemacht hat, oder ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche vor Gericht erforderlich.

(4)      Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich angemessener Garantien aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses entweder im Wege einer nationalen Rechtsvorschrift oder im Wege einer Entscheidung der Kontrollstelle andere als die in Absatz 2 genannten Ausnahmen vorsehen.

(5)      Die Verarbeitung von Daten, die Straftaten, strafrechtliche Verurteilungen oder Sicherungsmaßregeln betreffen, darf nur unter behördlicher Aufsicht oder aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, erfolgen, wobei ein Mitgliedstaat jedoch Ausnahmen aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die geeignete besondere Garantien vorsehen, festlegen kann. Ein vollständiges Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf allerdings nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Daten, die administrative Strafen oder zivilrechtliche Urteile betreffen, ebenfalls unter behördlicher Aufsicht verarbeitet werden müssen.

(6)      Die in den Absätzen 4 und 5 vorgesehenen Abweichungen von Absatz 1 sind der Kommission mitzuteilen.

…“

13.      Art. 9 („Verarbeitung personenbezogener Daten und Meinungsfreiheit“) dieser Richtlinie 95/46 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen und Ausnahmen von diesem Kapitel sowie von den Kapiteln IV und VI nur insofern vor, als sich dies als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen.“

14.      Art. 12 („Auskunftsrecht“) der genannten Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten garantieren jeder betroffenen Person das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen Folgendes zu erhalten:

b)      je nach Fall die Berichtigung, Löschung oder Sperrung von Daten, deren Verarbeitung nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht, insbesondere wenn diese Daten unvollständig oder unrichtig sind;

…“

15.      Art. 14 („Widerspruchsrecht der betroffenen Person“) derselben Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten erkennen das Recht der betroffenen Person an,

a)      zumindest in den Fällen von Artikel 7 Buchstaben e) und f) jederzeit aus überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer besonderen Situation ergebenden Gründen dagegen Widerspruch einlegen zu können, dass sie betreffende Daten verarbeitet werden; dies gilt nicht bei einer im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen entgegenstehenden Bestimmung. Im Fall eines berechtigten Widerspruchs kann sich die vom für die Verarbeitung Verantwortlichen vorgenommene Verarbeitung nicht mehr auf diese Daten beziehen;

…“

16.      Art. 28 („Kontrollstelle“) der Richtlinie 95/46 hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen.

(3)      Jede Kontrollstelle verfügt insbesondere über:

–        Untersuchungsbefugnisse, wie das Recht auf Zugang zu Daten, die Gegenstand von Verarbeitungen sind, und das Recht auf Einholung aller für die Erfüllung ihres Kontrollauftrags erforderlichen Informationen;

–        wirksame Einwirkungsbefugnisse, wie beispielsweise … die Befugnis, die Sperrung, Löschung oder Vernichtung von Daten oder das vorläufige oder endgültige Verbot einer Verarbeitung anzuordnen …;

Gegen beschwerende Entscheidungen der Kontrollstelle steht der Rechtsweg offen.

(4)      Jede Person oder ein sie vertretender Verband kann sich zum Schutz der die Person betreffenden Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten an jede Kontrollstelle mit einer Eingabe wenden. Die betroffene Person ist darüber zu informieren, wie mit der Eingabe verfahren wurde.

(6)      Jede Kontrollstelle ist im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats für die Ausübung der ihr gemäß Absatz 3 übertragenen Befugnisse zuständig, unabhängig vom einzelstaatlichen Recht, das auf die jeweilige Verarbeitung anwendbar ist. Jede Kontrollstelle kann von einer Kontrollstelle eines anderen Mitgliedstaats um die Ausübung ihrer Befugnisse ersucht werden.

Die Kontrollstellen sorgen für die zur Erfüllung ihrer Kontrollaufgaben notwendige gegenseitige Zusammenarbeit, insbesondere durch den Austausch sachdienlicher Informationen.

…“

2.      Verordnung 2016/679

17.      Gemäß ihrem Art. 99 Abs. 2 gilt die Verordnung 2016/679 ab dem 25. Mai 2018. Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt, dass die Richtlinie 95/46 mit Wirkung von diesem Datum aufgehoben wird.

18.      Art. 9 („Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten“) der erwähnten Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder [zur] sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2)      Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a)      Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden,

e)      die Verarbeitung bezieht sich auf personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat,

g)      die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich,

…“

19.      Art. 10 („Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten“) der besagten Verordnung lautet:

„Die Verarbeitung personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 darf nur unter behördlicher Aufsicht vorgenommen werden oder wenn dies nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen vorsieht, zulässig ist. Ein umfassendes Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden.“

20.      Art. 17 („Recht auf Löschung [‚Recht auf Vergessenwerden‘]“) ebendieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a)      Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.

b)      Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.

c)      Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein[,] und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d)      Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

e)      Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt.

f)      Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben.

(2)      Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat.

(3)      Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist

a)      zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information;

b)      zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

c)      aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben h und i sowie Artikel 9 Absatz 3;

d)      für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1, soweit das in Absatz 1 genannte Recht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder

e)      zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.“

21.      Art. 18 („Recht auf Einschränkung der Verarbeitung“) der Verordnung 2016/679 bestimmt:

„(1)      Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist:

a)      die Richtigkeit der personenbezogenen Daten von der betroffenen Person bestritten wird, und zwar für eine Dauer, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten zu überprüfen,

b)      die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt;

d)      die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Artikel 21 Absatz 1 eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen.

(2)      Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten – von ihrer Speicherung abgesehen – nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden.

(3)      Eine betroffene Person, die eine Einschränkung der Verarbeitung gemäß Absatz 1 erwirkt hat, wird von dem Verantwortlichen unterrichtet, bevor die Einschränkung aufgehoben wird.“

22.      Art. 21 („Widerspruchsrecht“) Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Die betroffene Person hat das Recht, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben e oder f erfolgt, Widerspruch einzulegen; dies gilt auch für ein auf diese Bestimmungen gestütztes Profiling. Der Verantwortliche verarbeitet die personenbezogenen Daten nicht mehr, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.“

23.      Art. 85 („Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“) der genannten Verordnung lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang.

(2)      Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

(3)      Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit.“

B.      Französisches Recht

24.      Die Richtlinie 95/46 ist mit der Loi n° 78‑17 du 6 janvier 1978 relative à l’informatique, aux fichiers et aux libertés (Gesetz Nr. 78‑17 vom 6. Januar 1978 über Informatik, Dateien und Freiheiten) in französisches Recht umgesetzt worden.

III. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

25.      G. C., A. F., B. H. und E. D. beantragten allesamt bei der Google LLC, mehrere Links zu von Dritten veröffentlichten Websites aus der Liste der Suchergebnisse zu entfernen, die im Anschluss an eine anhand ihres jeweiligen Namens durchgeführte Suche mit der von diesem Unternehmen betriebenen Suchmaschine angezeigt wurden, was das Unternehmen ablehnte.

26.      Insbesondere verlangte G. C. die Auslistung eines Links, der auf eine satirische Fotomontage verweist, die am 18. Februar 2011 auf YouTube unter einem Pseudonym online gestellt worden war. Darin wird sie neben dem Gemeindebürgermeister, dessen Kabinettsdirektorin sie war, dargestellt, und in expliziter Weise werden ihre angebliche intime Beziehung zu ihm sowie die Auswirkungen dieser Beziehung auf ihren eigenen politischen Werdegang geschildert. Die Fotomontage war anlässlich des Wahlkampfs für die Kantonalwahlen online gestellt worden, bei denen G. C. kandidiert hatte. Zum Zeitpunkt der Ablehnung ihres Auslistungsantrags war die Betroffene weder in ein Amt gewählt worden noch Kandidatin für ein lokales Wahlmandat, und sie übte die Aufgaben der Kabinettsdirektorin des Gemeindebürgermeisters nicht mehr aus.

27.      A. F. verlangte die Auslistung von Links, die auf einen Artikel in der Tageszeitung Libération vom 9. September 2008 verweisen, der auf der Website des Centre contre les manipulations mentales (CCMM) (Zentrum gegen mentale Manipulationen) wiedergegeben ist. In diesem Artikel geht es um den Selbstmord eines Anhängers der Scientology-Kirche im Dezember 2006. A. F. wird in dem Artikel als Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit der Scientology-Kirche genannt, eine Tätigkeit, der er mittlerweile nicht mehr nachgeht. Darüber hinaus gibt der Verfasser des streitigen Artikels an, dass er A. F. kontaktiert habe, um seine Darstellung der Vorgänge zu erhalten, und gibt seine Ausführungen wieder.

28.      B. H. verlangte die Auslistung von Links, die auf Artikel, hauptsächlich in der Presse, über die im Juni 1995 eingeleitete gerichtliche Voruntersuchung zur Finanzierung der Republikanischen Partei (Parti républicain [PR]) verweisen, in deren Rahmen gegen ihn sowie gegen mehrere Geschäftsleute und Personen des politischen Lebens Anklage erhoben worden war. Das ihn betreffende Verfahren hatte mit einem Einstellungsbeschluss vom 26. Februar 2010 geendet. Die meisten der streitigen Links führen zu Artikeln aus der Zeit, in der die Ermittlungen eingeleitet worden waren, und schildern somit nicht den Ausgang des Verfahrens.

29.      E. D. verlangte die Auslistung von Links, die zu zwei in Nice Matin und in Le Figaro erschienenen Artikeln mit Berichten über die Strafverhandlung führen, in der er wegen sexueller Übergriffe auf 15‑jährige Jugendliche zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und einer Nebenstrafe von zehn Jahren Führungsaufsicht verurteilt worden war. In einer dieser Gerichtsreportagen werden u. a. mehrere E. D. betreffende intime Details erwähnt, die in der Verhandlung zur Sprache gekommen waren.

30.      Nachdem Google es abgelehnt hatte, die betreffenden Links zu entfernen, legten die Kläger bei der Commission nationale de l’informatique et des libertés (CNIL, Nationaler Ausschuss für Informatik und Freiheitsrechte) Beschwerden ein, mit denen sie erreichen wollten, dass dem Unternehmen die Auslistung der Links aufgegeben wird. Mit Schreiben vom 24. April 2015, 28. August 2015, 21. März 2016 und 9. Mai 2016 wurde ihnen von der Vorsitzenden der CNIL mitgeteilt, dass ihre Beschwerden zu den Akten gelegt worden seien.

31.      Die Kläger erhoben daraufhin Klagen, die sich gegen die Weigerung der CNIL richten, Google zur begehrten Auslistung aufzufordern. Diese Klagen wurden vom vorlegenden Gericht verbunden.

IV.    Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

32.      Nachdem der Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) festgestellt hatte, dass die genannten Klagen mehrere ernste Schwierigkeiten bei der Auslegung der Richtlinie 95/46 aufwiesen, entschied er mit Beschluss vom 24. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. März 2017, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist in Anbetracht des speziellen Verantwortungsbereichs, der speziellen Befugnisse und der speziellen Möglichkeiten des Betreibers einer Suchmaschine das den anderen für die Verarbeitung Verantwortlichen auferlegte Verbot, unter Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 fallende Daten – vorbehaltlich der darin vorgesehenen Ausnahmen – zu verarbeiten, auch auf einen solchen Betreiber als Verantwortlichen für die Verarbeitung, die diese Suchmaschine darstellt, anwendbar?

2.      Im Fall der Bejahung der ersten Frage:

–        Sind die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass das somit für den Betreiber einer Suchmaschine, vorbehaltlich der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen, geltende Verbot, unter die genannten Bestimmungen fallende Daten zu verarbeiten, ihn verpflichtet, Anträgen auf Auslistung von Links zu Websites, die solche Daten verarbeiten, systematisch stattzugeben?

–        Wie sind im Hinblick hierauf in Anbetracht des speziellen Verantwortungsbereichs, der speziellen Befugnisse und der speziellen Möglichkeiten des Betreibers einer Suchmaschine die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen auszulegen, wenn sie auf einen solchen Betreiber angewendet werden? Kann ein solcher Betreiber insbesondere einen Auslistungsantrag ablehnen, wenn er feststellt, dass die betreffenden Links zu Inhalten führen, die zwar Daten der in Art. 8 Abs. 1 aufgeführten Kategorien enthalten, aber auch unter die in Art. 8 Abs. 2, insbesondere dessen Buchst. a und e, vorgesehenen Ausnahmen fallen?

–        Sind die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 ferner dahin auszulegen, dass der Betreiber einer Suchmaschine, wenn die Links, deren Auslistung verlangt wird, zu einer allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgten Verarbeitung personenbezogener Daten führen, bei der nach Art. 9 der Richtlinie 95/46 Daten der in Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie genannten Kategorien erhoben und verarbeitet werden dürfen, einen Auslistungsantrag aus diesem Grund ablehnen kann?

3.      Im Fall der Verneinung der ersten Frage:

–        Welche speziellen Anforderungen der Richtlinie 95/46 muss der Betreiber einer Suchmaschine in Anbetracht seines Verantwortungsbereichs, seiner Befugnisse und seiner Möglichkeiten erfüllen?

–        Wenn der Betreiber einer Suchmaschine feststellt, dass die Websites, zu denen die Links, deren Auslistung verlangt wird, führen, Daten enthalten, deren Veröffentlichung auf diesen Seiten rechtswidrig ist, sind die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 dann dahin auszulegen,

–        dass sie den Betreiber der Suchmaschine verpflichten, diese Links aus der Liste der im Anschluss an eine anhand des Namens des Antragstellers durchgeführte Suche angezeigten Ergebnisse zu entfernen, oder

–        dass sie lediglich implizieren, dass er diesen Umstand bei der Beurteilung der Begründetheit des Antrags auf Auslistung der Links zu berücksichtigen hat, oder

–        dass sich dieser Umstand nicht auf die von ihm vorzunehmende Beurteilung auswirkt?

Wie ist darüber hinaus – sollte der genannte Umstand nicht unerheblich sein – die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung der streitigen Daten auf Websites, die von Verarbeitungen außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie 95/46 und folglich der nationalen Rechtsvorschriften zu ihrer Umsetzung stammen, zu beurteilen?

4.      Ungeachtet der Antwort auf die erste Frage:

–        Sind die Bestimmungen der Richtlinie 95/46, unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung personenbezogener Daten auf der Website, zu der der streitige Link führt, dahin auszulegen, dass

–        der Betreiber einer Suchmaschine, wenn der Antragsteller dartut, dass diese Daten unvollständig oder unrichtig geworden oder nicht mehr aktuell sind, dem entsprechenden Auslistungsantrag stattgeben muss?

–        insbesondere der Betreiber einer Suchmaschine, wenn der Antragsteller nachweist, dass in Anbetracht des Verlaufs eines Gerichtsverfahrens die Informationen zu einem früheren Abschnitt dieses Verfahrens nicht mehr seiner aktuellen Situation entsprechen, verpflichtet ist, die Links zu Websites, die solche Informationen enthalten, auszulisten?

–        Sind die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass die Informationen über die Anklageerhebung gegen eine Person oder die Berichterstattung über einen Prozess und die sich daraus ergebende Verurteilung Daten zu Straftaten und strafrechtlichen Verurteilungen darstellen? Fällt allgemein eine Website, die Daten zu Verurteilungen oder Gerichtsverfahren in Bezug auf eine natürliche Person enthält, unter diese Bestimmungen?

33.      A. F., B. H., Google, die französische, die irische, die griechische, die italienische, die österreichische, die polnische und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

34.      B. H., Google, die französische, die irische, die griechische, die österreichische und die polnische Regierung sowie die Kommission sind in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2018 gehört worden.

V.      Würdigung

A.      Vorbemerkungen

1.      Einschlägiger Rechtsakt: Richtlinie 95/46

35.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich nicht auf die Auslegung der Bestimmungen der Verordnung 2016/679, sondern auf die der Bestimmungen der Richtlinie 95/46. Die Verordnung, die seit dem 25. Mai 2018 gilt(8), hat die Richtlinie jedoch mit Wirkung von diesem Datum aufgehoben(9).

36.      Da das auf einen Rechtsstreit anwendbare Recht im französischen Verwaltungsverfahrensrecht unstreitig das am Tag des Erlasses einer angefochtenen Entscheidung geltende Recht ist, unterliegt es keinem Zweifel, dass die Richtlinie 95/46 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist. Demnach hat der Gerichtshof die Bestimmungen dieser Richtlinie auszulegen.

2.      Hintergrund: Urteil Google Spain und Google

37.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts in der vorliegenden Rechtssache werden vor dem Hintergrund des Grundsatzurteils Google Spain und Google(10) gestellt, in dem der Gerichtshof u. a. – soweit für die vorliegende Rechtssache von Interesse – für Recht erkannt hat,

–        dass die Tätigkeit einer Suchmaschine, sofern die von Dritten ins Internet gestellten oder dort veröffentlichten Informationen personenbezogene Daten enthalten, als „Verarbeitung personenbezogener Daten“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 95/46 einzustufen ist und der Betreiber der Suchmaschine als für diese Verarbeitung „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der genannten Richtlinie anzusehen ist(11);

–        dass der Suchmaschinenbetreiber zur Wahrung der in Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Rechte, sofern die Voraussetzungen dieser Bestimmungen erfüllt sind, dazu verpflichtet ist, von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Websites mit Informationen zu dieser Person zu entfernen, auch wenn der Name oder die Informationen auf diesen Websites nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Websites als solche rechtmäßig ist(12);

–        dass im Rahmen der Beurteilung der Anwendungsvoraussetzungen von Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 u. a. zu prüfen ist, ob die betroffene Person ein Recht darauf hat, dass die Information über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, wobei die Feststellung eines solchen Rechts nicht voraussetzt, dass der betroffenen Person durch die Einbeziehung der betreffenden Information in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht(13), und

–        dass, da die betroffene Person in Anbetracht ihrer Grundrechte aus den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verlangen kann, dass die betreffende Information der breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste zur Verfügung gestellt wird, diese Rechte grundsätzlich nicht nur gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers überwiegen, sondern auch gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu der Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche. Dies wäre jedoch nicht der Fall, wenn sich aus besonderen Gründen – wie der Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben – ergeben sollte, dass der Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch das überwiegende Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, über die Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste Zugang zu der betreffenden Information zu haben, gerechtfertigt ist(14).

38.      Der Sachverhalt der Rechtssache, die zum Urteil Google Spain und Google(15) geführt hat, betraf Daten, die zwar persönlich, aber nicht „sensibel“ im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 95/46 waren. Damit kommen wir zur ersten Frage.

B.      Erste Vorlagefrage

39.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das den anderen für die Verarbeitung Verantwortlichen auferlegte Verbot, unter Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 fallende Daten zu verarbeiten, in Anbetracht des speziellen Verantwortungsbereichs, der speziellen Befugnisse und der speziellen Möglichkeiten des Betreibers einer Suchmaschine auch auf einen solchen Betreiber anwendbar ist.

40.      Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 untersagen die Mitgliedstaaten die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben.

41.      Nach Art. 8 Abs. 5 dieser Richtlinie darf die Verarbeitung von Daten, die Straftaten, strafrechtliche Verurteilungen oder Sicherungsmaßregeln betreffen, nur unter behördlicher Aufsicht oder aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, erfolgen, wobei ein Mitgliedstaat jedoch Ausnahmen aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die geeignete besondere Garantien vorsehen, festlegen kann. Ein vollständiges Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf allerdings nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Daten, die administrative Strafen oder zivilrechtliche Urteile betreffen, ebenfalls unter behördlicher Aufsicht verarbeitet werden müssen.

42.      Festzustellen ist, dass in der Rechtssache, die zum Urteil Google Spain und Google(16) geführt hat, nicht Art. 8 der Richtlinie 95/46 in Rede stand. Diese einfache Feststellung veranlasst mich zu der Annahme, dass sich die Antwort auf die erste Vorlagefrage entgegen dem von Google in ihren Erklärungen angeführten Vorbringen nicht aus diesem Urteil ergeben kann. Die Tatsache, dass jene Rechtssache keine sensiblen Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 betraf, bedeutet nicht, dass eine Suchmaschine dieser Vorschrift nicht unterliegt.

43.      In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Google Spain und Google hat Generalanwalt Jääskinen seine Auffassung (der der Gerichtshof nicht gefolgt ist), wonach ein Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter hinsichtlich personenbezogener Daten, die sich auf Quellenwebsites Dritter befinden, nicht als „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ anzusehen sei, u. a. wie folgt begründet: „Bei Zugrundelegung der entgegensetzten Auffassung müsste man Internetsuchmaschinen nämlich als mit dem Unionsrecht unvereinbar erklären, was ich für ein abwegiges Ergebnis halte. Insbesondere würde, falls Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter hinsichtlich personenbezogener Daten, die sich auf Quellenwebseiten Dritter befinden, als für die Verarbeitung Verantwortliche anzusehen wären und falls eine dieser Seiten besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 8 der Richtlinie [95/46] enthielte (z. B. personenbezogene Daten, aus denen politische Meinungen oder religiöse Überzeugungen hervorgehen, oder Daten über die Gesundheit oder das Sexualleben von Personen), die Tätigkeit des Internetsuchmaschinen-Diensteanbieters automatisch rechtswidrig, sofern nicht die in der genannten Bestimmung festgelegten strengen Voraussetzungen für die Verarbeitung solcher Daten erfüllt sind.“(17)

44.      Diese Passage zeigt sehr gut die Problematik und die Bedeutung der vorliegenden Rechtssache. Da die Richtlinie 95/46, die aus dem Jahr 1995 stammt und deren Verpflichtungen sich grundsätzlich an die Mitgliedstaaten richten, nicht mit Blick auf Suchmaschinen, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt existieren, verfasst worden war, eignen sich ihre Bestimmungen nicht für eine intuitive und rein wörtliche Anwendung auf solche Suchmaschinen. Gerade aus diesem Grund hatten die vorlegenden Gerichte – ebenso wie in der vorliegenden Rechtssache – Zweifel in der Rechtssache, die zum Urteil Google Spain und Google(18) geführt hat, und haben sich an den Gerichtshof gewandt.

45.      Demnach kann in der Frage der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Richtlinie 95/46 auf Suchmaschinen kein „Alles-oder-Nichts“-Ansatz gewählt werden. Meines Erachtens ist jede Bestimmung auf ihre Eignung hin zu prüfen, auf eine Suchmaschine angewandt zu werden.

46.      Eine wörtliche Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 auf eine Suchmaschine hätte zur Folge, dass jede Verarbeitung der dort aufgezählten Daten vorbehaltlich der Ausnahmen von Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie verboten wäre.

47.      Diesbezüglich stelle ich fest, dass sich keiner der Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen vorgelegt haben, für eine derart enge Auslegung ausspricht, und das zu Recht.

48.      Eine wörtliche Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 würde eine Suchmaschine zu einer Kontrolle verpflichten, ob eine im Anschluss an eine Suche anhand des Namens einer natürlichen Person angezeigte Ergebnisliste keinen Link zu Websites enthält, auf denen sich Daten im Sinne dieser Vorschrift befinden, und dies ex ante und eigenmächtig, d. h. auch dann, wenn keine betroffene Person die Auslistung beantragt hat.

49.      Meiner Meinung nach ist eine Kontrolle ex ante und eigenmächtig weder möglich noch wünschenswert.

50.      Im Urteil Google Spain und Google(19) hat der Gerichtshof festgestellt: „Durch die Tätigkeit einer Suchmaschine können die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten … erheblich beeinträchtigt werden, und zwar zusätzlich zur Tätigkeit der Herausgeber von Websites; als derjenige, der über die Zwecke und Mittel dieser Tätigkeit entscheidet, hat der Suchmaschinenbetreiber daher in seinem Verantwortungsbereich im Rahmen seiner Befugnisse und Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Tätigkeit den Anforderungen der Richtlinie 95/46 entspricht, damit die darin vorgesehenen Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten können und ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Personen, insbesondere ihres Rechts auf Achtung ihres Privatlebens, tatsächlich verwirklicht werden kann.“(20)

51.      Aus dieser Passage lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Zunächst geht die Richtlinie 95/46, wie die Kommission in ihren Erklärungen vorträgt, von dem Grundsatz aus, dass jeder für die Verarbeitung Verantwortliche sämtliche in dieser Richtlinie gestellten Anforderungen, einschließlich der in ihrem Art. 8 vorgesehenen, erfüllen muss.

52.      Sodann kann der Betreiber einer Suchmaschine – auch wenn diese Passage wie eine ihm obliegende Verpflichtung formuliert ist(21) – nur in seinem Verantwortungsbereich im Rahmen seiner Befugnisse und Möglichkeiten handeln. Mit anderen Worten ist ein solcher Betreiber möglicherweise gerade deshalb nicht in der Lage, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie 95/46 zu sorgen, weil sein Verantwortungsbereich, seine Befugnisse und seine Möglichkeiten beschränkt sind.

53.      Art. 8 der Richtlinie 95/46 ist somit unter Berücksichtigung des Verantwortungsbereichs, der Befugnisse und der Möglichkeiten eines Suchmaschinenbetreibers auszulegen.

54.      In diesem Zusammenhang ist eine Ex-ante-Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 auf einen Suchmaschinenbetreiber auszuschließen. Eine Ex-ante-Kontrolle von Websites, die als Ergebnis einer Suche angezeigt werden, gehört weder zum Verantwortungsbereich noch zu den Möglichkeiten(22) einer Suchmaschine. Die Aufgabe eines Suchmaschinenbetreibers besteht, wie seine Bezeichnung vermuten lässt, darin, zu suchen, zu finden, hervorzubringen und zur Verfügung zu stellen, und dies dank eines Algorithmus, mit dem sich die Informationen am wirksamsten aufspüren lassen. Dagegen ist es nicht Sache des Suchmaschinenbetreibers, zu kontrollieren oder gar zu zensieren. Der Betreiber einer Suchmaschine agiert bei der Suche und reagiert bei der Auslistung eines Suchergebnisses. So verstehe ich das Urteil Google Spain und Google(23) jedenfalls.

55.      In ähnlicher Weise können die Verbote und Beschränkungen von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46, wie die Kommission ebenfalls hervorhebt, für einen Suchmaschinenbetreiber nicht gelten, als wenn er die sensiblen Daten auf den in der Ergebnisliste angezeigten Websites selbst sichtbar gemacht hätte. Logischerweise erfolgt die Tätigkeit einer Suchmaschine erst nach dem Einstellen (sensibler) Daten und hat sekundären Charakter.

56.      Für eine Suchmaschine können die Verbote und Beschränkungen von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 folglich nur aufgrund dieser Anzeige – und damit mittels einer Ex-post-Überprüfung – auf der Grundlage eines Auslistungsantrags der betroffenen Person gelten.

57.      Ich schlage daher vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 im Rahmen des Verantwortungsbereichs, der Befugnisse und der Möglichkeiten eines Suchmaschinenbetreibers grundsätzlich für die Tätigkeiten eines solchen Betreibers gilt.

58.      Auf die Modalitäten einer solchen Geltung wird in der zweiten Vorlagefrage eingegangen.

C.      Zweite Vorlagefrage

59.      Die zweite Frage, die für den Fall gestellt wird, dass der Gerichtshof die Anwendbarkeit von Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 auf die Verarbeitung durch einen Suchmaschinenbetreiber feststellt, besteht aus drei Teilen.

60.      Das vorlegende Gericht möchte nämlich

–        wissen, ob das für einen Suchmaschinenbetreiber geltende Verbot, unter Art. 8 Abs. 1 und 5 dieser Richtlinie fallende Daten zu verarbeiten, ihn vorbehaltlich der in der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen verpflichtet, Anträgen auf Auslistung von Links zu Websites, auf denen sich solche Daten befinden, systematisch stattzugeben,

–        wissen, wie die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der Richtlinie 95/46 vorgesehenen spezifischen Ausnahmen auf die Verarbeitung durch einen Suchmaschinenbetreiber angewendet werden, insbesondere, ob dieser einen Auslistungsantrag auf der Grundlage der genannten Ausnahmen ablehnen kann, und

–        Erläuterungen zu den in Art. 9 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen für allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgten Verarbeitungen erhalten, die nur insoweit gelten, als sich dies als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Betreiber einer Suchmaschine einen Auslistungsantrag ablehnen kann, wenn er feststellt, dass sich die Daten auf der Website, zu der der betreffende Link führt, dort rechtmäßig befinden, weil die diesbezügliche Verarbeitung durch den Herausgeber der Website von der genannten Ausnahme erfasst ist.

61.      Ich werde auf diese Unterfragen in der Reihenfolge eingehen, in der sie gestellt werden.

1.      Systematische Auslistung

62.      Ausgangspunkt ist, dass eine Weigerung des Betreibers einer Suchmaschine, eine Website auszulisten, ohne eine Rechtfertigung im Sinne der Art. 8 und 9 der Richtlinie 95/46 gegen Art. 8 Abs. 1 oder 5 dieser Richtlinie verstößt.

63.      Google sowie die irische, die österreichische und die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, hierbei handele es sich um einen wichtigen, aber nicht entscheidenden Faktor im Rahmen der Abwägung der Rechte und Interessen, die der Betreiber der Suchmaschine bei jedem einzelnen Auslistungsantrag vornehmen müsse, auch bei einem Antrag, der sich auf Links zu Websites beziehe, die besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 1 oder 5 der Richtlinie 95/46 verarbeiteten.

64.      Dagegen vertreten die französische, die italienische und die polnische Regierung sowie die Kommission die Auffassung, das in Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 aufgestellte Verarbeitungsverbot bedeute, dass der Betreiber der Suchmaschine, wenn er mit einem Auslistungsantrag befasst werde, diesem systematisch stattzugeben habe, d. h. ohne andere Elemente als das Fehlen einer Rechtfertigung prüfen zu müssen oder zu können.

65.      Ich teile die letztgenannte Position.

66.      Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 lässt nämlich keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Verpflichtung zum Erlass eines Verbots der Verarbeitung der dort aufgezählten sensiblen Daten handelt. In der Tat vermag ich nicht zu erkennen, inwiefern diese Verpflichtung in einem solchen Fall als ein Element neben anderen im Rahmen der Prüfung eines Auslistungsantrags zu berücksichtigenden Elementen angesehen werden könnte.

67.      Ein solcher Ansatz stellt eine logische Weiterentwicklung der Rechtssache dar, die zum Urteil Google Spain und Google(24) geführt hat. Zur Erinnerung: Diese Rechtssache betraf ausschließlich Daten, deren Veröffentlichung als solche rechtmäßig war. Daher durfte der Gerichtshof in einem ersten Schritt feststellen, dass der Suchmaschinenbetreiber dazu verpflichtet ist, von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Websites mit Informationen zu dieser Person zu entfernen – auch wenn diese Veröffentlichung als solche rechtmäßig ist(25) –, bevor er in einem zweiten Schritt eine Abwägung der Rechte der betroffenen Person mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers und dem Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der betreffenden Information vorgenommen hat(26).

68.      In diesem Zusammenhang gestatte ich mir noch eine Bemerkung zur Rechtssache Google Spain und Google. Da gemeinhin anerkannt wird, dass, wenn eine Information rechtmäßig ist, die sie ausgebende Person jedenfalls die in Art. 11 der Charta verankerte Freiheit der Meinungsäußerung genießt, wäre es zweckdienlich gewesen, wenn der Gerichtshof dieses Grundrecht ausdrücklich erwähnt hätte. Dies hätte deutlicher zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur eine Abwägung zwischen den Art. 7 und 8 der Charta einerseits und der Informationsfreiheit andererseits vorzunehmen ist, sondern auch die Freiheit der Meinungsäußerung berücksichtigt werden muss. Bei der Würdigung von Art. 9 der Richtlinie 95/46 werde ich auf diesen Punkt zurückkommen.

69.      Im Rahmen von Art. 8 der Richtlinie 95/46 sehe ich hingegen keinen Raum für eine solche Abwägung. Sofern feststeht, dass eine Verarbeitung sensibler Daten erfolgt, ist einem Auslistungsantrag stattzugeben.

70.      Ich bin mir des von der „Artikel‑29-Datenschutzgruppe“(27) in ihren „Leitlinien für die Umsetzung des Urteils [Google Spain und Google(28)]“ vom 26. November 2014(29) (im Folgenden: Leitlinien) eingenommenen Standpunkts bewusst, wonach erstens in den meisten Fällen eines Auslistungsantrags mehr als ein Kriterium berücksichtigt werden muss, um zu einer Entscheidung zu gelangen, zweitens kein einzelnes Kriterium allein ausschlaggebend ist(30) und drittens, was speziell Art. 8 der Richtlinie 95/46 angeht, „Datenschutzbehörden … eher eingreifen [werden], wenn Ersuchen auf Entfernung von Links aus der Ergebnisliste verweigert werden“(31).

71.      In diesem Zusammenhang liegt es für mich auf der Hand, dass mehrere Kriterien berücksichtigt werden müssen, um zu einer Entscheidung über einen Auslistungsantrag zu gelangen. Die Behauptung, dass eine Datenschutzbehörde eher eingreifen werde, erscheint mir hingegen nicht hinreichend affirmativ und klar. Ist erwiesen, dass Daten in die in Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 genannten sensiblen Bereiche fallen, so ist ihre Verarbeitung verboten.

72.      Folglich ist meines Erachtens auch die Verhinderung einer möglichen Vervielfältigung solcher Daten durch eine Suchmaschine vom Normzweck des Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 erfasst. Da der Gesetzgeber nach dieser Vorschrift davon ausgeht, dass die Verarbeitung bestimmter Daten unrechtmäßig ist, ergibt sich nach meinem Dafürhalten daraus, dass die gesonderte Verarbeitung durch einen Suchmaschinenbetreiber ebenfalls unrechtmäßig ist, zumindest ab dem Zeitpunkt, zu dem dieser Betreiber einen Auslistungsantrag abgelehnt hat.

73.      Mit Art. 8 der Richtlinie 95/46 hat der Unionsgesetzgeber anders ausgedrückt bereits in dem Sinne über die Frage der sensiblen Daten entschieden, dass eine Abwägung nicht erfolgen darf. Diese Auslegung wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Verordnung 2016/679 nicht nur am Verbot(32) einer Verarbeitung sensibler Daten festgehalten, sondern diese Kategorien sogar ausgeweitet hat(33).

74.      Das für einen Suchmaschinenbetreiber geltende Verbot, unter Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 fallende Daten zu verarbeiten, verpflichtet ihn vorbehaltlich der in dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen daher dazu, Anträgen auf Auslistung von Links zu Websites, auf denen sich solche Daten befinden, systematisch stattzugeben.

2.      Spezifische Ausnahmen von Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der Richtlinie 95/46

75.      Das vorlegende Gericht möchte lediglich zu zwei der fünf in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen Klarstellungen erhalten.

76.      Nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46 findet Abs. 1 keine Anwendung, wenn die betroffene Person ausdrücklich in die Verarbeitung der genannten Daten eingewilligt(34) hat, es sei denn, nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats kann das Verbot nach Abs. 1 durch die Einwilligung der besagten Person nicht aufgehoben werden. In Art. 8 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 95/46 heißt es, dass Abs. 1 dieses Artikels keine Anwendung findet, wenn sich die Verarbeitung auf Daten bezieht, die die betroffene Person offenkundig öffentlich gemacht hat, oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche vor Gericht erforderlich ist.

77.      Da ich nach der Lösung, die ich dem Gerichtshof vorschlage, davon ausgehe, dass die Verarbeitungsverbote von Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 gelten, sind meines Erachtens grundsätzlich auch die in Art. 8 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen anwendbar, auch wenn mir einige der Ausnahmen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf eine Suchmaschine eher theoretisch als praktisch erscheinen(35). Somit kann der Betreiber einer Suchmaschine einen Auslistungsantrag ablehnen, wenn die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie erfüllt sind.

3.      Verarbeitung personenbezogener Daten und Meinungsfreiheit (Art. 9 der Richtlinie 95/46)

78.      Gemäß Art. 9 der Richtlinie 95/46 sehen die Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen und Ausnahmen u. a. von Art. 8 der Richtlinie 95/46 insofern vor, als sich dies als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen.

79.      Es stellt sich die Frage, ob der Betreiber einer Suchmaschine einen Auslistungsantrag ablehnen kann, wenn er feststellt, dass die Anzeige der sensiblen Daten auf der Seite, zu der der betreffende Link führt, rechtmäßig ist, weil die diesbezügliche Verarbeitung durch den Herausgeber der Website von Art. 9 der Richtlinie 95/46 erfasst ist.

80.      Nach dem Urteil Google Spain und Google(36) kann es vorkommen, dass ein Auslistungsantrag gegen den Betreiber einer Suchmaschine Erfolg hat, aber auf der Grundlage von Art. 9 der Richtlinie 95/46 gegen den Herausgeber der angezeigten Website scheitert. Der Gerichtshof hat nämlich die Auffassung vertreten, dass „die vom Herausgeber einer Website in Form der Veröffentlichung von Informationen zu einer natürlichen Person ausgeführte Verarbeitung gegebenenfalls ‚allein zu journalistischen … Zwecken‘ erfolgen [kann], so dass für sie nach Art. 9 der Richtlinie 95/46 Ausnahmen von den Erfordernissen der Richtlinie gelten, während dies bei einer vom Betreiber einer Suchmaschine ausgeführten Verarbeitung nicht der Fall ist. Mithin ist nicht auszuschließen, dass die betroffene Person unter bestimmten Umständen die Rechte gemäß Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 gegen den Suchmaschinenbetreiber, aber nicht gegen den Herausgeber der Website geltend machen kann“(37).

81.      Diese Schlüsselpassage des Urteils Google Spain und Google(38) bildet den harten Kern der Ausführungen, mit denen die Begründung eines „Rechts auf Vergessenwerden“ gerechtfertigt werden soll: Um die Privatsphäre und das Recht auf die Daten der betroffenen Person zu schützen, kann man „den Überbringer der Botschaft erschießen“, (auch) wenn eine „Berichtigung an der Quelle“ aufgrund des Rechts des Herausgebers einer Website auf freie Meinungsäußerung unmöglich ist.

82.      Die Versuchung ist groß, diese Passage dahin auszulegen, dass Art. 9 für den Betreiber einer Suchmaschine nicht gilt.

83.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, einer solchen Versuchung zu widerstehen.

84.      Erstens ist es ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: Straßburger Gerichtshof), dass „Websites … dank ihrer Zugänglichkeit und ihrer Fähigkeit, große Datenmengen zu speichern und zu verbreiten, in hohem Maße zur Verbesserung des Zugangs der Öffentlichkeit zur Aktualität und allgemein zur Erleichterung der Informationsvermittlung bei[tragen]“(39). Insbesondere in einer Rechtssache, in der es um eine Website ging, die einen der weltweit wichtigsten Filesharing-Dienste im Internet darstellt(40), hat der Straßburger Gerichtshof festgestellt, dass „Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(41) … nicht nur den Inhalt der Informationen, sondern auch die Übertragungs- oder Erfassungsmittel [betrifft]“(42).

85.      Das Recht der Öffentlichkeit, im Internet verfügbare Informationen zu empfangen und zu senden, ist durch Art. 11 der Charta geschützt(43). Dies gilt sowohl für Informationen auf den Quellenwebsites als auch für Informationen, die von Internetsuchmaschinen zur Verfügung gestellt werden(44).

86.      Zweitens lässt sich aus der vorerwähnten Passage des Urteils Google Spain und Google(45) lediglich die Schlussfolgerung ziehen, dass Art. 9 der Richtlinie 95/46 als solcher nicht unmittelbar für die Tätigkeit des Betreibers der Suchmaschine gilt. Da die Tätigkeit eines solchen Betreibers im Verhältnis zur (Haupt‑)Tätigkeit des Ausgebers der Information sekundär ist, zielt Art. 9 der Richtlinie 95/46 logischerweise in erster Linie auf diesen Ausgeber ab. Die Tatsache, dass die Daten auf der betreffenden Website im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 95/46 zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken verarbeitet werden, kann jedoch nicht dazu führen, dass der Betreiber einer Suchmaschine – der, wie ich weiter oben festgestellt habe, den in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen unterliegt – daran gehindert ist, sich auf Art. 9 der Richtlinie 95/46 zu berufen.

87.      Die Tatsache, dass die Daten einer Website unter Art. 9 dieser Richtlinie fallen, muss einen Umstand darstellen, der die Ablehnung eines Auslistungsantrags ermöglicht.

88.      Art. 9 der Richtlinie 95/46 stellt eine Konkretisierung der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit sowie der Freiheit der Medien, die in Art. 11 der Charta verankert sind, auf der Ebene des abgeleiteten Rechts dar. Anders ausgedrückt: Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung der Privatsphäre und dem Recht auf Datenschutz nach den Art. 7 und 8 der Charta einerseits und dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zur fraglichen Information andererseits ist die Tatsache, dass diese Information aus der Feder eines Journalisten stammt oder zu künstlerischen oder literarischen Zwecken verarbeitet worden ist, ein Element, das es zu berücksichtigen gilt.

89.      Zusammenfassend ist, auch wenn bestimmte Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil Google Spain und Google(46) klarer hätten formuliert werden können, nicht ausgeschlossen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung bei der in diesem Urteil erfolgten Prüfung, ob die Voraussetzungen von Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 erfüllt waren, nicht berücksichtigt worden ist. Nach meinem Dafürhalten ist bei der Abwägung zwischen dem Interesse von Internetnutzern, die potenziell daran interessiert sind, über eine Suche anhand des Namens der betroffenen Person Zugang zu einer Website zu erhalten, und den Grundrechten dieser Person nach den Art. 7 und 8 der Charta auch die durch Art. 11 der Charta garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit der Herausgeber und Internetnutzer zu berücksichtigen.

90.      Ich sehe mich in dieser Analyse durch die Leitlinien bestätigt, wonach „[d]ie Datenschutzbehörden [an]erkennen …, dass es je nach Inhalt wichtig sein kann, zu überlegen, ob die Informationen für einen journalistischen Zweck veröffentlicht wurden. Die Tatsache, dass Informationen von einem Journalisten veröffentlicht werden, dessen Aufgabe es ist, die Öffentlichkeit zu informieren, ist ein Faktor, der bei dem Ausgleich berücksichtigt werden muss. Dieses Kriterium allein bietet jedoch keine ausreichende Grundlage, das Ersuchen abzulehnen, da das Urteil eindeutig zwischen einer Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung durch die Medien und einer Rechtsgrundlage für Suchmaschinen unterscheidet, die Suchergebnisse anhand des Namens einer Person organisieren“(47).

91.      Schließlich ist festzustellen, dass Art. 17 der Verordnung 2016/679, der nunmehr das „Recht auf Vergessenwerden“ kodifiziert, in seinem Abs. 3 Buchst. a eine Ausnahme von diesem Recht vorsieht, wenn die Verarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist. Diese Ausnahme gilt für alle in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 aufgezählten Gründe, die ein Recht auf Vergessenwerden begründen können, und daher beispielsweise sogar für den Fall, dass die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet worden sind (Abs. 1 Buchst. d). Die Verordnung 2016/679 erkennt somit eine Einschränkung des Auslistungsrechts aus Gründen im Zusammenhang mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit an, auch wenn sich die Verarbeitung auf sensible Daten bezieht.

92.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass ein Suchmaschinenbetreiber gemäß Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 verpflichtet ist, Anträgen auf Auslistung von Links, die zu Websites führen, auf denen sich sensible Daten im Sinne dieser Vorschrift befinden, vorbehaltlich der in der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Ausnahmen wie denen von Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der genannten Richtlinie systematisch stattzugeben. Die Tatsache, dass die Daten der betreffenden Website unter Art. 9 der Richtlinie 95/46 fallen, stellt jedoch einen Umstand dar, der die Ablehnung eines Auslistungsantrags ermöglicht. In einem solchen Fall ist der Betreiber einer Suchmaschine gehalten, eine Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung der Privatsphäre und dem Recht auf Datenschutz nach den Art. 7 und 8 der Charta einerseits und dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zur fraglichen Information und dem Recht der Person, von der die Information stammt, auf freie Meinungsäußerung nach Art. 11 der Charta andererseits vorzunehmen.

D.      Dritte Vorlagefrage

93.      Da die dritte Vorlagefrage „[i]m Fall der Verneinung“ der ersten Frage gestellt wird, braucht sie angesichts der positiven Antwort, die ich auf diese Frage zu geben vorschlage, nicht beantwortet zu werden.

E.      Vierte Vorlagefrage

94.      Die vierte Vorlagefrage besteht aus zwei Teilen.

95.      Mit dem ersten Teil dieser Frage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob der Betreiber einer Suchmaschine, wenn der Antragsteller dartut, dass die personenbezogenen Daten, die auf der Website, zu der der streitige Link führt, veröffentlicht worden sind, unvollständig oder unrichtig geworden oder nicht mehr aktuell sind, dem Auslistungsantrag stattgeben muss.

96.      Das vorlegende Gericht möchte daher wissen, ob eine solche Verpflichtung besteht, wenn der Antragsteller nachweist, dass die Informationen zu einem früheren Abschnitt eines Gerichtsverfahrens in Anbetracht des Verlaufs dieses Verfahrens nicht mehr seiner aktuellen Situation entsprechen.

97.      Mit dem zweiten Teil der vierten Frage, der sich insbesondere auf die Ausgangsrechtssachen betreffend B. H. und E. D. bezieht, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Informationen über die Anklageerhebung gegen eine Person oder die Berichterstattung über einen Prozess und die sich daraus ergebende Verurteilung Daten zu Straftaten und strafrechtlichen Verurteilungen im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 darstellen und insbesondere, ob eine Website, die Daten zu Verurteilungen oder Gerichtsverfahren in Bezug auf eine natürliche Person enthält, unter diese Bestimmung fällt.

98.      Vor dem ersten ist auf den zweiten Teil einzugehen.

99.      Gemäß Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 darf die Verarbeitung von Daten, die Straftaten, strafrechtliche Verurteilungen oder Sicherungsmaßregeln betreffen, nur unter behördlicher Aufsicht oder aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, erfolgen, wobei ein Mitgliedstaat jedoch Ausnahmen aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die geeignete besondere Garantien vorsehen, festlegen kann. Ein vollständiges Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf allerdings nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Daten, die administrative Strafen oder zivilrechtliche Urteile betreffen, ebenfalls unter behördlicher Aufsicht verarbeitet werden müssen.

100. Meiner Ansicht nach stellen auf Websites veröffentlichte Informationen über Gerichtsverfahren wie die in den Rechtssachen betreffend B. H. und E. D. in Rede stehenden Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 dar. Auch wenn ein Strafverfahren nicht zu einer Verurteilung geführt hat, handelt es sich dennoch um Daten, die eine Straftat betreffen.

101. Bleibt der erste Teil der vierten Vorlagefrage, der sich auf die Schlussfolgerungen bezieht, die aus dieser Feststellung in Bezug auf Artikel, hauptsächlich in der Presse, in denen über einen früheren Abschnitt eines Gerichtsverfahrens berichtet wird und die per Definition nicht mehr aktuell sind, gezogen werden müssen.

102. In Anbetracht der im Rahmen des dritten Teils der zweiten Frage vorgeschlagenen Antwort müsste bei einem Presseartikel meines Erachtens ein differenzierter Ansatz gewählt werden, da es sich um personenbezogene Daten handelt, über die allein zu journalistischen Zwecken berichtet wird.

103. In den Leitlinien heißt es insoweit: „Die EU-Mitgliedstaaten können unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die öffentliche Verfügbarkeit von Informationen über Straftäter und ihre Straftaten haben. Es bestehen möglicherweise spezielle rechtliche Bestimmungen, die sich auf die Verfügbarkeit solcher Informationen im Laufe der Zeit beziehen. Die Datenschutzbehörden werden solche Fälle in Übereinstimmung mit den einschlägigen nationalen Grundsätzen und Ansätzen behandeln. In der Regel ist es wahrscheinlicher, dass Datenschutzbehörden die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste mit Bezug auf relativ geringfügige Straftaten erwägen, die sich vor langer Zeit ereignet haben, als die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste im Falle schwererer Straftaten, die sich erst vor Kurzem ereignet haben. Diese Fragen bedürfen jedoch einer sorgfältigen Prüfung und werden von Fall zu Fall behandelt.“(48)

104. In ähnlicher Weise bin ich der Ansicht, dass eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden sollte, in deren Rahmen der Betreiber einer Suchmaschine gehalten wäre, eine Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung der Privatsphäre und dem Recht auf Datenschutz nach den Art. 7 und 8 der Charta einerseits und dem Recht der Öffentlichkeit am Zugang zur fraglichen Information andererseits vorzunehmen und dabei der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Information zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken verarbeitet worden ist.

VI.    Ergebnis

105. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

1.      Im Rahmen des Verantwortungsbereichs, der Befugnisse und der Möglichkeiten eines Suchmaschinenbetreibers gilt Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr grundsätzlich für die Tätigkeiten eines solchen Betreibers.

2.      Die Anzeige eines Links zu einer Website, die Daten zur Begehung einer Straftat und zu Strafverfolgungsmaßnahmen enthält, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 95/46.

3.      Gemäß Art. 8 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 95/46 ist ein Suchmaschinenbetreiber vorbehaltlich der in dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen wie denen von Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und e der genannten Richtlinie verpflichtet, Anträgen auf Auslistung von Links, die zu Websites führen, auf denen sich sensible Daten im Sinne der erstgenannten Vorschrift befinden, systematisch stattzugeben.

4.      Die Tatsache, dass die Daten einer bestimmten Website unter Art. 9 der Richtlinie 95/46 fallen, stellt jedoch einen Umstand dar, der die Ablehnung eines Auslistungsantrags ermöglicht. In einem solchen Fall ist der Betreiber einer Suchmaschine gehalten, eine Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung der Privatsphäre und dem Recht auf Datenschutz nach den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einerseits und dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zur fraglichen Information und dem Recht der Person, von der die Information stammt, auf freie Meinungsäußerung nach Art. 11 der Charta andererseits vorzunehmen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31).


3      C‑131/12, EU:C:2014:317.


4      Auch wenn in diesem Urteil ein solcher Begriff an keiner Stelle erwähnt wird, ist er heute in der Praxis üblich und sogar in das abgeleitete Recht übernommen worden: vgl. Art. 17 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46 (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1) und Berichtigungen (ABl. 2016, L 127, S. 2 und ABl. 2018, L 127, S. 2).


5      Auf dieses Urteil werde ich in der rechtlichen Würdigung im Einzelnen zurückkommen.


6      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


7      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


8      Gemäß Art. 99 Abs. 2 der Verordnung 2016/679.


9      Vgl. Art. 94 Abs. 1 der Verordnung 2016/679.


10      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


11      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Nr. 1 des verfügenden Teils).


12      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Nr. 3 des verfügenden Teils).


13      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Nr. 4 des verfügenden Teils).


14      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Nr. 4 des verfügenden Teils).


15      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


16      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


17      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2013:424, Nr. 90).


18      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


19      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


20      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 38). Hervorhebung nur hier. Diese Passage wird in Rn. 83 desselben Urteils im Wesentlichen aufgegriffen.


21      Wie die Wendung „hat … dafür zu sorgen“ zeigt.


22      Google bringt nämlich – nach meinem Dafürhalten zu Recht – vor, nicht in der Lage zu sein, jede untersuchte und indexierte Website Seite für Seite zu prüfen, um sicherzustellen, dass ihr Inhalt im Einklang mit dem geltenden Recht steht, oder um festzustellen, ob sie personenbezogene Daten enthält, die in der Europäischen Union als sensibel, nichtzutreffend, unvollständig, unrechtmäßig veröffentlicht oder Straftaten bzw. strafrechtliche Verurteilungen betreffend eingestuft werden könnten.


23      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


24      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


25      Vgl. Rn. 88 dieses Urteils und Nr. 3 des verfügenden Teils.


26      Vgl. Rn. 99 des genannten Urteils und Nr. 4 des verfügenden Teils.


27      Mit dem Inkrafttreten der Verordnung 2016/679 ist diese Arbeitsgruppe durch den Europäischen Datenschutzausschuss ersetzt worden (vgl. Art. 68 und 94 Abs. 2 der Verordnung 2016/679).


28      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


29      Verfügbar unter folgender Adresse: https://ec.europa.eu/justice/article-29/documentation/opinion-recommendation/files/2014/wp225_de.pdf.


30      Vgl. S. 14 der Leitlinien.


31      Vgl. S. 22 der Leitlinien.


32      Auch wenn die Ausnahmen zahlreicher als die in Art. 8 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen sind. Vgl. Art. 9 Abs. 2 der Verordnung 2016/679.


33      Vgl. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679. Dort ist jetzt auch die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person und Daten zur sexuellen Orientierung einer natürlichen Person aufgeführt.


34      Gemäß Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46 bezeichnet der Ausdruck „Einwilligung der betroffenen Person“ jede Willensbekundung, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, dass personenbezogene Daten, die sie betreffen, verarbeitet werden.


35      Beispielsweise dürfte die Ausnahme unter Buchst. a einen eher theoretischen Fall darstellen, da ein Auslistungsantrag logischerweise voraussetzt, dass die Person, die sich auf sie beruft, zumindest zum Zeitpunkt dieses Antrags nicht mehr in die Verarbeitung durch den Suchmaschinenbetreiber einwilligt. Außerdem scheinen mir die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (Arbeitsrecht) und d (Tätigkeiten einer Stiftung et al.) aufgezählten Ausnahmen nicht auf eine Suchmaschine angewandt werden zu können. Jedenfalls beziehen sich die Vorlagefragen nicht auf sie.


36      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


37      Vgl. Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 85).


38      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


39      Vgl. EGMR, 10. März 2009, Times Newspapers Ltd/Vereinigtes Königreich (Nrn. 1 und 2), CE:ECHR:2009:0310JUD000300203, § 27, und EGMR, 10. Januar 2013, Ashby Donald u. a./Frankreich, CE:ECHR:2013:0110JUD003676908, § 34.


40      Hierbei handelt es sich um die Website „The Pirate Bay“. Zur Funktionsweise dieser Seite vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Stichting Brein (C‑610/15, EU:C:2017:99).


41      Der die Entsprechung von Art. 11 der Charta ist.


42      Vgl. Urteil des EGMR vom 19. Februar 2013, Neij und Sunde/Schweden, Beschwerde Nr. 40397/12, § 10.


43      Vgl. Urteil vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 48).


44      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2013:424, Nr. 121).


45      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


46      Urteil vom 13. Mai 2014 (C‑131/12, EU:C:2014:317).


47      Vgl. S. 23 der Leitlinien.


48      Vgl. S. 24 der Leitlinien.