Language of document : ECLI:EU:T:2024:26

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

24. Januar 2024(*)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokument, das im Rahmen eines EU-Pilotverfahrens zur Erstattung der Mehrwertsteuer übermittelt wurde – Aus einem Mitgliedstaat stammendes Dokument – Verweigerung des Zugangs – Vorherige Zustimmung des Mitgliedstaats – Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑602/22,

Veneziana Energia Risorse Idriche Territorio Ambiente Servizi SpA (Veritas) mit Sitz in Venedig (Italien), vertreten durch Rechtsanwalt A. Pasqualin,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A.‑C. Simon und A. Spina als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, Avvocato dello Stato,

Streithelferin,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos, des Richters S. Gervasoni (Berichterstatter) und der Richterin N. Półtorak,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und der Entscheidung gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

aufgrund des Beschlusses vom 20. September 2023, mit dem der Kommission aufgegeben wurde, das Dokument vorzulegen, zu dem sie der Klägerin den Zugang verweigert hatte, und auf die Vorlage dieses Dokuments durch die Kommission am 26. September 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, Veneziana Energia Risorse Idriche Territorio Ambiente Servizi SpA (Veritas), die Nichtigerklärung der Entscheidung C(2022) 5221 final der Kommission vom 15. Juli 2022, mit der ihr der Zugang zu dem Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 verweigert wurde, das im Rahmen des EU-Pilotverfahrens 9456/19/TAXUD versandt wurde. Dieses Verfahren betrifft die Erstattung der Mehrwertsteuer, die zu Unrecht auf die italienische Umwelthygienegebühr (die durch Art. 49 des Decreto legislativo n. 22 [Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 22] vom 5. Februar 1997 eingeführte Tariffa di igiene ambientale, im Folgenden: TIAI-Gebühr) erhoben wurde.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 4 Abs. 2, 4 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) bestimmt:

„(2)      Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

–        der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(4)      Bezüglich Dokumente Dritter konsultiert das Organ diese, um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen der Absätze 1 oder 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

(5)      Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

3        Das EU-Pilotverfahren ist ein Verfahren der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, das es der Kommission ermöglichen soll, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob in einer bestimmten Frage das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten beachtet und richtig angewandt wird. Diese ab 2008 an die Stelle der informellen Phase der vorprozessualen Phase eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV getretene Art von Verfahren dient der effizienten Bereinigung etwaiger Verstöße gegen das Unionsrecht, indem nach Möglichkeit die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vermieden wird, kann aber auch zur Einleitung eines solchen Verfahrens führen (vgl. Urteil vom 9. Oktober 2018, Pint/Kommission, T‑634/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:662, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

4        Im Rahmen des EU-Pilotverfahrens 9456/19/TAXUD, das im vorliegenden Fall insbesondere auf die Beschwerde der Klägerin hin eingeleitet wurde (im Folgenden: EU-Pilotverfahren), ersuchte die Kommission die italienischen Behörden um Klarstellungen zu den Modalitäten der Erstattung der zu Unrecht auf die TIAI-Gebühr erhobenen Mehrwertsteuer.

5        Mit Schreiben vom 2. August 2021 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie die Antwort der italienischen Behörden erhalten und beschlossen habe, kein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtbeachtung des Unionsrechts durch diese Behörden einzuleiten.

6        Am 21. Oktober 2021 ersuchte die Klägerin die Kommission um eine Kopie der Antwort der italienischen Behörden, die im Schreiben vom 2. August 2021 zusammengefasst war.

7        Die Kommission antwortete mit Schreiben vom 15. November 2021 (im Folgenden: ursprüngliche Antwort). Sie stellte zunächst fest, dass es sich bei dem angeforderten Dokument um das Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 handele, das im Rahmen des EU-Pilotverfahrens versandt worden sei, und verweigerte sodann den Zugang dazu mit der Begründung, dass seine Verbreitung den Schutz in Italien anhängiger Gerichtsverfahren nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigen würde.

8        Am 30. November 2021 richtete die Klägerin einen Zweitantrag an die Kommission und ersuchte sie um eine Überprüfung ihres Standpunkts.

9        Am 15. Juli 2022 bestätigte die Kommission die Verweigerung des Zugangs zum Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019, nachdem diese gemäß Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 seiner Verbreitung widersprochen hatten, auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Ausnahme vom Zugangsrecht (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt,

–        der Kommission als prozessleitende Maßnahme aufzugeben, das Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 vorzulegen;

–        der Kommission als prozessleitende Maßnahme aufzugeben, die Antwort dieser Behörden auf ihre Konsultation vor Erlass der angefochtenen Entscheidung vorzulegen;

–        jegliche etwaige andere für sachdienlich erachtete prozessleitende Maßnahme anzuordnen;

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

11      Nachdem die Kommission als Anlage zur Klagebeantwortung ihren auf die ursprüngliche Antwort und den Zweitantrag der Klägerin folgenden Schriftwechsel mit den italienischen Behörden übermittelt hatte, hat die Klägerin ihren Antrag auf Vorlage der Antwort der italienischen Behörden auf die dem Zweitantrag vorausgehende Antwort (siehe oben, Rn. 10 zweiter Gedankenstrich) beschränkt.

12      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

13      Die Italienische Republik beantragt, die Klage abzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

14      Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund macht sie im Wesentlichen einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 und die Begründungspflicht geltend. Mit dem zweiten Klagegrund rügt sie im Wesentlichen einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung in Verbindung mit Abs. 5 dieses Artikels, die Pflicht zur sorgfältigen Prüfung und die Begründungspflicht.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 und die Begründungspflicht

15      Die Klägerin macht erstens geltend, dass sie nicht feststellen könne, welches Verfahren angewandt worden sei und ob dies zu Recht erfolgt sei, weil die ursprüngliche Antwort keinen Hinweis auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 und den danach zulässigen Widerspruch der italienischen Behörden enthalte, die angefochtene Entscheidung diese Bestimmung und diesen Widerspruch aber erwähne, so dass sie einander widersprächen. In der Erwiderung erläutert die Klägerin, dass sie der Kommission nicht vorwerfe, dass die ursprüngliche Antwort und die angefochtene Entscheidung voneinander abwichen, sondern dass diese Entscheidung unrichtig sei, da darin fälschlicherweise angegeben worden sei, dass die ursprüngliche Antwort auf Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt gewesen sei.

16      Die Klägerin leitet daraus zweitens ab, dass eine umfassende Prüfung des Antrags auf Zugang erforderlich sei, weil sich aus dem Verfahren vor der Kommission keine frühere Willensäußerung der italienischen Behörden ergebe. Anders verhalte es sich im Fall des tatsächlichen Widerspruchs eines Mitgliedstaats, in dem nach der Rechtsprechung eine Prima-facie-Prüfung des Widerspruchs durch die Kommission zulässig sei. Vorliegend habe die Kommission jedoch die eingehende Prüfung und die eigenständige Beurteilung, die erforderlich seien, weil die italienischen Behörden von der in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätten, nicht vorgenommen.

17      Als Erstes ist zum Vorwurf eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht festzustellen, dass sich die Klägerin in Wirklichkeit darauf beschränkt, geltend zu machen, dass sich die Kommission zu Unrecht auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 berufen habe.

18      Bei der Begründungspflicht handelt es sich nämlich um ein wesentliches Formerfordernis, das von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (Urteile vom 22. März 2001, Frankreich/Kommission, C‑17/99, EU:C:2001:178, Rn. 35, und vom 15. September 2016, Philip Morris/Kommission, T‑796/14, EU:T:2016:483, Rn. 28). Ein Rechtsakt ist im Sinne der förmlichen Begründungspflicht unzureichend begründet, wenn er nicht erkennen lässt, warum, auf welcher Grundlage oder aus welchem Grund er erlassen wurde. Es kann sein, dass die Begründung eines Rechtsakts, die die Gründe und die Rechtfertigung für seinen Erlass angibt, zwar hinreichend bekannt und verständlich ist, aber nicht ausreicht, um den Rechtsakt rechtlich zu rechtfertigen, da sie nicht substantiiert, schlüssig oder mit den geltenden Bestimmungen vereinbar ist.

19      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihr Vorbringen in der Erwiderung dahin präzisiert, dass sie der Kommission nicht vorwerfe, dass die ursprüngliche Antwort und die angefochtene Entscheidung voneinander abwichen und sie dieser Entscheidung deshalb nicht die Gründe für ihren Erlass entnehmen, sie nachvollziehen und somit anfechten könne – was einer formellen Beanstandung entsprochen hätte –, sondern dass sie vielmehr die fehlerhafte Berufung auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 beanstande, da die italienischen Behörden – insbesondere vor der ursprünglichen Antwort – der Verbreitung nicht tatsächlich widersprochen hätten (siehe oben, Rn. 15). Die Klägerin macht somit geltend, dass die angefochtene Entscheidung nicht mit den geltenden Bestimmungen vereinbar sei.

20      Jedenfalls kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die angefochtene Entscheidung es durch die Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 der Klägerin ermöglicht, ihr die Gründe für ihren Erlass zu entnehmen, und dem Gericht ermöglicht, sie auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen, wie es die Rechtsprechung zur Einhaltung der Begründungspflicht verlangt (vgl. Urteil vom 24. Mai 2011, NLG/Kommission, T‑109/05 und T‑444/05, EU:T:2011:235, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung). Aus der angefochtenen Entscheidung geht nämlich eindeutig hervor, dass die italienischen Behörden nach Art. 4 Abs. 4 dieser Verordnung konsultiert wurden und dass sie gemäß deren Art. 4 Abs. 5 der Verbreitung ihres Schreibens vom 17. Oktober 2019 widersprochen haben. Insbesondere führt die Kommission im einleitenden Teil (Nr. 1) aus, dass sie in ihrer ursprünglichen Antwort die Verbreitung des Schreibens im Anschluss an die Konsultation der italienischen Behörden gemäß Art. 4 Abs. 4 und 5 der Verordnung verweigert habe, und widmet einen Teil der angefochtenen Entscheidung (Nr. 2.1) der Darstellung der Gründe für den Widerspruch der italienischen Behörden.

21      Es trifft zu, dass Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 in der ursprünglichen Antwort nicht erwähnt wurde. Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet ist. Zum einen wird nämlich in der ursprünglichen Antwort, auch wenn diese Bestimmung nicht genannt wird, klar auf den Widerspruch der italienischen Behörden gegen die Verbreitung ihres Schreibens vom 17. Oktober 2019 hingewiesen. Zum anderen ist die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen von Art. 296 AEUV genügt, zwar anhand seines Kontexts zu beurteilen, aber vor allem anhand seines Wortlauts, der im vorliegenden Fall klar ist (siehe oben, Rn. 20), sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63, und vom 15. September 2016, Philip Morris/Kommission, T‑796/14, EU:T:2016:483, Rn. 29). Im vorliegenden Fall sehen die Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 1049/2001, wie die Kommission und die Italienische Republik hervorheben, ein zweistufiges Verfahren vor, das es dem betreffenden Organ ermöglicht, Erstanträge zügiger zu bearbeiten, bevor es gegebenenfalls im Fall eines Zweitantrags einen fundierten und damit umfassenderen Standpunkt zur Ablehnung dieses Antrags einnimmt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 2010, Internationaler Hilfsfonds/Kommission, C‑362/08 P, EU:C:2010:40, Rn. 54, und vom 11. Dezember 2018, Arca Capital Bohemia/Kommission, T‑440/17, EU:T:2018:898, Rn. 18). Aus der fehlenden Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 in der ursprünglichen Antwort lassen sich daher keine Zweifel daran ableiten, dass die angefochtene Entscheidung tatsächlich auf diese Bestimmung gestützt war, die in der Entscheidung angeführt ist.

22      Solche Zweifel sind umso weniger zulässig, als aus den Schriftsätzen der Klägerin hervorgeht, dass sie anhand der Begründung der angefochtenen Entscheidung erkennen konnte, dass diese auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt war, weil sie nämlich genau dies rügt, und zwar mit der Begründung, dass die italienischen Behörden von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätten.

23      Was als Zweites die angeblich rechtswidrige Stützung der angefochtenen Entscheidung auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 betrifft, ist entschieden worden, dass es für die Erhebung eines Widerspruchs weder nach dieser Bestimmung noch nach der Rechtsprechung erforderlich ist, dass der Mitgliedstaat, der das fragliche Dokument verfasst hat, zuvor ein spezielles förmliches Ersuchen an das betreffende Organ stellt, und dass es auch nicht erforderlich ist, dass sich der Mitgliedstaat ausdrücklich auf diese Bestimmung beruft. Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, bei dem es sich um eine verfahrensrechtliche Bestimmung handelt, die das Verfahren für den Erlass einer Entscheidung der Union betrifft (Urteile vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 78 und 81, und vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 53), enthält nichts, was darauf hindeutete, dass der Mitgliedstaat ein förmliches Ersuchen stellen muss, ohne das der von ihm geäußerte Widerspruch beim Erlass dieser Entscheidung nicht berücksichtigt werden könnte (Urteil vom 8. Februar 2018, POA/Kommission, T‑74/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:75, Rn. 32 bis 34). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin muss der Mitgliedstaat somit nicht, um der Verbreitung eines seiner Dokumente zu widersprechen, in zwei Schritten vorgehen, nämlich zunächst die Kommission auffordern, das fragliche Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten, und dann die Zustimmung verweigern.

24      Daraus folgt auch, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerin der Umstand, dass der betreffende Mitgliedstaat gemäß Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 konsultiert wird, die anschließende Anwendung von Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung nicht ausschließt. Diese beiden Bestimmungen sind nicht als einander ausschließend konzipiert worden, sondern vielmehr, wie sich aus den Vorarbeiten zu dieser Verordnung ergibt (vgl. geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. 2001, 240 E, S. 165, Punkt 2.4), als eine Bestimmung, die Dritte im Allgemeinen betrifft (Abs. 4), und eine Bestimmung, die für bestimmte Dritte, nämlich die Mitgliedstaaten, gilt und die dem Vertrag von Amsterdam beigefügte Erklärung Nr. 35 wieder aufnimmt (Abs. 5) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2018, Malta/Kommission, T‑653/16, EU:T:2018:241, Rn. 98 und 99, sowie Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:433, Nr. 48).

25      Ferner muss der betreffende Mitgliedstaat, um die wirksame Anwendung von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 sicherzustellen, insbesondere um ihm die Möglichkeit zu geben, zu verlangen, dass seine vorherige Zustimmung zur Verbreitung eines von ihm stammenden Dokuments eingeholt wird, darüber informiert werden, dass ein Antrag auf Zugang zu diesem Dokument gestellt wurde, was gerade Zweck der in Art. 4 Abs. 4 dieser Verordnung vorgesehenen Konsultation ist.

26      Daher kann vorliegend davon ausgegangen werden, dass die Einwände, die die italienischen Behörden, nachdem sie konsultiert worden waren, gegen die Verbreitung ihres Schreibens vom 17. Oktober 2019 vorgebracht haben und die sich aus den der Kommission am 31. März, 5. April und 6. Mai 2022 übersandten E‑Mails ergeben, erkennen lassen, dass die italienischen Behörden eine Verbreitung dieses Schreiben ohne ihre vorherige Zustimmung ablehnten und dann die Zustimmung zu dieser Verbreitung nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigerten. Im Einzelnen teilten sie am 31. März 2022 mit, dass sie ihre Zustimmung zur Gewährung des Zugangs zu diesem Schreiben nicht erteilen könnten, bevor die erforderlichen Informationen vorlägen. Am 5. April 2022 bestätigten sie diese Verweigerung und übermittelten am 6. Mai 2022 nähere Erläuterungen dazu. Daraus ergibt sich, dass die italienischen Behörden im vorliegenden Fall vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich ihren Willen bekundet haben, der Verbreitung zu widersprechen, was ausreicht, weil in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 außer dem Erfordernis einer „vorherigen“ Zustimmung zur Verbreitung kein besonderes zeitliches Erfordernis festgelegt ist.

27      Es ist daher unerheblich, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die italienischen Behörden ihre Weigerung bereits vor der Versendung der ursprünglichen Antwort zum Ausdruck gebracht haben, wie dies von ihr in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wurde, ohne dass es von der Italienischen Republik in ihrem Streithilfeschriftsatz bestätigt worden wäre.

28      Daraus folgt, dass sich die Kommission zu Recht auf Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt hat und dass es entsprechend der Prüfung der Gründe, die der von dieser Bestimmung erfasste Mitgliedstaat für die Ablehnung der Verbreitung angeführt hat (siehe unten, Rn. 40), nicht ihre Sache war, die Gründe für die Entscheidung der italienischen Behörden, der Verbreitung zu widersprechen, umfassend zu würdigen.

29      Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen, ohne dass die Kommission aufgefordert werden müsste, den Schriftwechsel vorzulegen, den sie vor der Versendung der ursprünglichen Antwort mit den italienischen Behörden geführt hat.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich in Verbindung mit Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, die Pflicht zur sorgfältigen Prüfung und die Begründungspflicht

30      Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe gegen ihre auch im Fall einer Prima-facie-Bewertung des Widerspruchs gegen die Verbreitung bestehende Pflicht verstoßen, zu prüfen und zu erläutern, inwiefern der Zugang zu dem angeforderten Dokument das geschützte Interesse, hier das auf den Schutz von Gerichtsverfahren nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützte Interesse, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Sie stützt sich insoweit auf die erforderliche enge Auslegung der Ausnahmen vom Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten sowie auf die hypothetischen Formulierungen in der angefochtenen Entscheidung, auf die Erwähnung nur eines einzigen laufenden nationalen Gerichtsverfahrens, auf das im Übrigen nicht näher eingegangen worden sei, und das Fehlen von Erläuterungen zur Beeinträchtigung der Waffengleichheit vor dem Gericht in Bezug auf sie selbst als Antragstellerin im vorliegenden Fall. In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz weist sie darauf hin, dass der von den italienischen Behörden zur Rechtfertigung der Zugangsverweigerung angeführte Grund, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass in den fraglichen nationalen Gerichtsverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt werde, unzureichend sei. Außerdem seien die in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Gründe unzureichend, vage und inhaltslos.

31      Die Klägerin hebt in der Erwiderung unter Berufung auf die Rechtsprechung hervor, dass im Rahmen eines eindeutig bestimmten Rechtsstreits ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen dem beantragten Zugang und der Störung des prozeduralen Gleichgewichts erforderlich sei, während im vorliegenden Fall das einzige Verfahren, an dem sie beteiligt gewesen sei, vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung endgültig abgeschlossen gewesen sei. Ferner habe die Kommission die italienischen Behörden entgegen ihrem Vorbringen im vorliegenden Verfahren davon in Kenntnis gesetzt, dass erläutert werden müsse, inwiefern die Verbreitung des angeforderten Dokuments das in Rede stehende geschützte Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen würde, zumal dieses Dokument ihrer eigenen Beurteilung nach verbreitet werden könne. Jedenfalls sei die Kommission ihrer Pflicht nicht nachgekommen, zu prüfen, ob der Mitgliedstaat seinen Standpunkt ordnungsgemäß begründet habe, indem sie sich vergewissere, dass eine solche Begründung vorliege und in der angefochtenen Entscheidung darauf hinweise.

32      Vorab ist daran zu erinnern, dass die Verordnung Nr. 1049/2001, wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund und Art. 1 ergibt, der Öffentlichkeit ein größtmögliches Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe gewähren soll (Urteile vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 33, und vom 25. September 2014, Spirlea/Kommission, T‑669/11, EU:T:2014:814, Rn. 40). Nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung erstreckt sich dieses Recht nicht nur auf die von einem Organ erstellten Dokumente, sondern auch auf die Dokumente, die das Organ von Dritten erhalten hat, zu denen – wie Art. 3 Buchst. b der Verordnung ausdrücklich klarstellt – auch die Mitgliedstaaten zählen.

33      Das Zugangsrecht unterliegt gleichwohl Schranken aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses (Urteile vom 1. Februar 2007, Sison/Rat, C‑266/05 P, EU:C:2007:75, Rn. 62, und vom 25. September 2014, Spirlea/Kommission, T‑669/11, EU:T:2014:814, Rn. 41). Insbesondere bestimmt Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, dass ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen kann, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

34      Im vorliegenden Fall hat die Italienische Republik, wie sich aus der Prüfung des ersten Klagegrundes ergibt, von der ihr durch Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Kommission ersucht, das Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 nicht zu verbreiten.

35      Die Ausübung der Befugnis, die Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 dem betreffenden Mitgliedstaat einräumt, wird durch die in den Abs. 1 bis 3 dieses Artikels aufgezählten materiellen Ausnahmen eingegrenzt, so dass dieser Mitgliedstaat insoweit nur einen Anspruch auf Beteiligung an der Entscheidung des Organs hat. Die vorherige Zustimmung des Mitgliedstaats, auf die Art. 4 Abs. 5 Bezug nimmt, ist somit nicht mit einem Vetorecht, das nach freiem Ermessen ausgeübt werden kann, sondern mit einer Art von Zustimmung zum Fehlen von Ausnahmegründen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 bis 3 vergleichbar. Der durch Art. 4 Abs. 5 in dieser Weise geregelte Entscheidungsprozess verlangt also, dass sich das betreffende Organ und der betreffende Mitgliedstaat an die materiellen Ausnahmen von Art. 4 Abs. 1 bis 3 halten (vgl. Urteil vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Wenn die Durchführung von Bestimmungen des Unionsrechts auf diese Weise dem Organ und dem Mitgliedstaat, der von der ihm nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemeinsam übertragen worden ist und damit von dem zwischen ihnen zu führenden Dialog abhängt, müssen beide gemäß der Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV so handeln und zusammenarbeiten, dass die genannten Vorschriften tatsächlich zur Anwendung kommen können (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 85).

37      Die Beteiligung des betreffenden Mitgliedstaats ändert jedoch für den Antragsteller nichts daran, dass es sich bei der Entscheidung, die das Organ letztlich ihm gegenüber auf den an das Organ gerichteten Antrag auf Zugang zu einem in seinem Besitz befindlichen Dokument hin erlässt, um eine Handlung der Union handelt (Urteile vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 94, und vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 60).

38      Aus der oben in den Rn. 32 bis 37 dargestellten Rechtsprechung ergibt sich erstens, dass der betreffende Mitgliedstaat, der nach dem Dialog mit dem Organ der Verbreitung des fraglichen Dokuments widerspricht, diesen Widerspruch anhand der in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen begründen muss. Das Organ kann nämlich dem Widerspruch eines Mitgliedstaats gegen die Verbreitung eines von ihm stammenden Dokuments nicht stattgeben, wenn dieser völlig unbegründet ist oder in der vorgetragenen Begründung nicht auf diese Ausnahmen Bezug genommen wird. Wenn der Mitgliedstaat trotz einer entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung des Organs seinen Widerspruch weiterhin nicht begründet, muss das Organ Zugang zu dem angeforderten Dokument gewähren, sofern es seinerseits der Auffassung ist, dass keine dieser Ausnahmen vorliegt (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 87 und 88).

39      Wie darüber hinaus insbesondere aus den Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 hervorgeht, ist das Organ selbst verpflichtet, die Ablehnung gegenüber dem Antragsteller zu begründen. Gemäß dieser Verpflichtung muss das Organ in seiner Entscheidung nicht nur auf den Widerspruch des betreffenden Mitgliedstaats gegen die Verbreitung des angeforderten Dokuments hinweisen, sondern auch auf die Gründe, die der Mitgliedstaat für die Anwendung einer der Ausnahmeregelungen bezüglich des Zugangsrechts gemäß Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung angeführt hat. Solche Angaben ermöglichen es nämlich dem Antragsteller, den Ursprung und die Gründe der Ablehnung in Erfahrung zu bringen, und dem zuständigen Gericht, gegebenenfalls die ihm übertragene Kontrolle auszuüben (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 89).

40      Daraus folgt zweitens, dass es nicht dem Organ obliegt, in Bezug auf das Dokument, dessen Verbreitung verweigert wird, die vom Mitgliedstaat auf der Grundlage der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geltend gemachten Widerspruchsgründe umfassend zu würdigen (Urteile vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 65, und vom 5. April 2017, Frankreich/Kommission, T‑344/15, EU:T:2017:250, Rn. 45). Somit findet die sich aus dem Grundsatz der Transparenz ergebende Pflicht zu einer konkreten und individuellen Prüfung keine Anwendung, wenn sich der Zugangsantrag auf ein aus einem Mitgliedstaat stammendes Dokument nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 bezieht (Urteile vom 25. September 2014, Spirlea/Kommission, T‑669/11, EU:T:2014:814, Rn. 81, und vom 8. Februar 2018, POA/Kommission, T‑74/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:75, Rn. 61). Eine solche umfassende Würdigung zu verlangen, könnte nämlich dazu führen, dass das befasste Organ nach erfolgter Würdigung das fragliche Dokument ungeachtet des ordnungsgemäß begründeten Widerspruchs des Mitgliedstaats, aus dem dieses Dokument stammt, übermittelt (Urteil vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 64).

41      Dagegen muss das Organ aufgrund seiner Pflicht zur sorgfältigen Prüfung untersuchen, ob ihm die von dem Mitgliedstaat gegebenen Erklärungen, mit denen er der Verbreitung seiner Dokumente entgegentritt, prima facie begründet erscheinen. Es obliegt dem Organ, zu prüfen, ob die von dem Mitgliedstaat für seinen Widerspruch vorgetragenen Gründe in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls und der anwendbaren Rechtsvorschriften auf den ersten Blick geeignet sind, eine solche Verweigerung zu rechtfertigen, und ob sie es folglich dem Organ ermöglichen, die ihm durch Art. 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 übertragene Verantwortung wahrzunehmen. Es geht darum, den Erlass einer Entscheidung durch das Organ zu vermeiden, die es für nicht vertretbar hält, obwohl es die Stelle ist, die sie erlässt und daher für ihre Rechtmäßigkeit die Verantwortung trägt (vgl. Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Mit dem vorliegenden Klagegrund stellt die Klägerin gerade die Einhaltung sowohl der Begründungspflicht (erste Rüge) als auch der Pflicht zur sorgfältigen Prüfung (zweite Rüge) in Abrede und beanstandet das Ergebnis dieser Prüfung (dritte Rüge).

43      Erstens ist zur Einhaltung der Begründungspflicht im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Kommission in Nr. 2.1 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, dass die italienischen Behörden ihre Ablehnung der Verbreitung unter Berufung auf Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 darauf gestützt hätten, dass die Integrität der die Mehrwertsteuererstattung betreffenden anhängigen Gerichtsverfahren, zu denen sie die entsprechenden Angaben übermittelt hätten, sowie die Waffengleichheit im Fall des Zugangs der gegnerischen Partei in diesen Verfahren zu ihrem Schreiben vom 17. Oktober 2019, das den Unionsbehörden im Rahmen des EU-Pilotverfahrens zur Erstattung der zu Unrecht auf die TIAI-Gebühr erhobenen Mehrwertsteuer vertraulich übermittelt worden sei, beeinträchtigt würden. Die italienischen Behörden hätten auch darauf hingewiesen, dass es zu Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof kommen könne, weil die Mehrwertsteuer, die Gegenstand der in Rede stehenden nationalen Verfahren sei, harmonisierten europäischen Vorschriften unterliege.

44      Daraus folgt, dass sich die Kommission vergewissert hat, dass die italienischen Behörden den Widerspruch begründet haben, und dass sie in der angefochtenen Entscheidung die insoweit vorgebrachten Gründe angeführt hat. Damit wurde es der Klägerin ermöglicht, die Gründe nachzuvollziehen, aus denen die italienischen Behörden die Verbreitung ihres Schreibens vom 17. Oktober 2019 ablehnten.

45      Die erste Rüge, mit der ein Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen.

46      Zweitens ist zur Frage, ob die Kommission ihrer Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Ablehnung der Verbreitung durch die italienischen Behörden nachgekommen ist, festzustellen, dass die Kommission in Nr. 2.2 („Prima-facie-Bewertung der Kommission“) der angefochtenen Entscheidung nach einem Hinweis auf die anwendbaren Bestimmungen, insbesondere Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, sowie die dazu ergangene Rechtsprechung ausgeführt hat, dass die italienischen Behörden darauf hingewiesen hätten, dass ihr Schreiben vom 17. Oktober 2019 ihren Standpunkt zur Frage der Erstattung der auf die TIAI-Gebühr erhobenen Mehrwertsteuer enthalte, dass es in den anhängigen Verfahren vor den italienischen Gerichten, für die die entsprechenden Angaben vorgelegt worden seien, um diese Frage gehe und dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof kommen würde. Die Kommission hat weiter ausgeführt, dass die Verbreitung dieses Schreibens die italienischen Behörden in eine deutlich nachteilige Position gegenüber den gegnerischen Parteien brächte, da diese im Voraus den Standpunkt der Behörden kennen würden und ihre Argumente anpassen und verfeinern könnten, was für sie zu einem systematischen Vorteil führen würde. Daraus sei zu schließen, dass eine tatsächliche und nicht nur eine hypothetische Gefahr bestehe, dass die in Italien anhängigen Gerichtsverfahren nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 gefährdet und ernsthaft beeinträchtigt würden.

47      Eine solche Analyse entspricht der Prima-facie-Bewertung, die nach der oben in den Rn. 40 und 41 angeführten Rechtsprechung erforderlich ist.

48      Die Kommission muss nämlich nur prüfen, ob die Angaben der italienischen Behörden es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Schutz von Gerichtsverfahren im Sinne von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigt würde. Eine solche Wahrscheinlichkeitskontrolle impliziert naturgemäß die Verwendung von Formulierungen, mit denen keine eindeutige Feststellung getroffen wird, was der Kommission daher nicht vorgeworfen werden kann.

49      Dagegen muss sich die Kommission nicht vergewissern, dass der Schutz von Gerichtsverfahren in Italien konkret und tatsächlich beeinträchtigt würde. Insoweit hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerin mit dem Hinweis an die italienischen Behörden, dass erläutert werden müsse, inwiefern die Verbreitung des angeforderten Dokuments das in Rede stehende geschützte Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen würde, diese Behörden lediglich an ihre Pflicht erinnert, eine solche Prüfung durchzuführen, aber nicht die Auffassung vertreten, dass sie diese Prüfung selbst vornehmen müsse.

50      Schließlich wird auch dadurch, dass die Kommission den italienischen Behörden nach dem Zweitantrag mitgeteilt hat, dass deren Schreiben vom 17. Oktober 2019 ihrer Ansicht nach verbreitet werden könne, belegt, dass vorliegend eine sorgfältige Prüfung durchgeführt wurde, da dieser Mitteilung ein Ersuchen um weitere Erläuterungen und ein Hinweis auf die in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für den Schutz des in Rede stehenden Interesses beigefügt waren, was der oben in Rn. 41 angeführten Rechtsprechung und dem Dialog, der zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zu führen ist, entspricht (siehe oben, Rn. 36).

51      Daraus folgt, dass auch die zweite Rüge, mit der geltend gemacht wird, dass die Kommission ihrer Pflicht zur sorgfältigen Prüfung des Widerspruchs der italienischen Behörden nicht nachgekommen sei, zurückzuweisen ist.

52      Drittens ist in Bezug auf die Frage, ob die Verbreitung des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 zu Recht aus Gründen des Schutzes von Gerichtsverfahren nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert wurde, zunächst darauf hinzuweisen, dass, wenn sich ein Mitgliedstaat auf Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung beruft und in den Abs. 1 bis 3 dieses Artikels angeführte Verweigerungsgründe geltend macht, der Unionsrichter dafür zuständig ist, auf Antrag des Betroffenen, dem das mit der Sache befasste Organ den Zugang verweigert hat, und zur Gewährleistung des gerichtlichen Rechtsschutzes des Betroffenen zu prüfen, ob die Verweigerung wirksam auf diese Ausnahmen gestützt werden konnte, was unabhängig davon gilt, ob sie auf die Beurteilung der Ausnahmen durch das Organ selbst oder durch den betreffenden Mitgliedstaat zurückzuführen ist (Urteile vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 72, und vom 24. Mai 2011, Batchelor/Kommission, T‑250/08, EU:T:2011:236, Rn. 67). Wird der Zugang gemäß Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert, nimmt der Unionsrichter somit eine umfassende Kontrolle der ablehnenden Kommissionsentscheidung vor, die auf der materiellen Beurteilung der Anwendbarkeit der Ausnahmen in Art. 4 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung durch den betreffenden Mitgliedstaat beruht, und zwar auch dann, wenn die Kommission den Zugang zu einem aus einem Mitgliedstaat stammenden Dokument verweigert hat, nachdem sie auf der Grundlage einer Prima-facie-Prüfung zu der Auffassung gelangt war, dass der Mitgliedstaat seine Widerspruchsgründe nicht offensichtlich unangemessen geltend gemacht habe (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 70 bis 72).

53      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Organe gemäß Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, verweigern, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

54      Der Schutz von Gerichtsverfahren erfordert insbesondere, dass sowohl der Grundsatz der Waffengleichheit als auch die geordnete Rechtspflege und die Integrität des Gerichtsverfahrens gewahrt bleiben (Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 38).

55      Zum einen ist zur Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit anzumerken, dass, wenn der Inhalt von Dokumenten, die den Standpunkt eines Organs in einem Rechtsstreit darlegen, Gegenstand einer öffentlichen Erörterung werden sollte, die Gefahr bestünde, dass die an den Dokumenten geübte Kritik den von dem Organ oder dem Mitgliedstaat vor den betreffenden Gerichten vertretenen Standpunkt in unzulässiger Weise beeinflusst. Überdies könnte durch den Zugang einer anderen Partei zu Dokumenten, die sich auf den Standpunkt eines Organs oder eines Mitgliedstaats in einem laufenden Gerichtsverfahren beziehen, das unerlässliche Gleichgewicht zwischen den Parteien eines Rechtsstreits – das dem Grundsatz der Waffengleichheit zugrunde liegt – gestört werden, da nur das Organ oder der Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt wird, nicht aber alle Verfahrensbeteiligten der Freigabepflicht unterlägen. Die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit ist jedoch unerlässlich, da er eine logische Folge aus dem Begriff des „fairen Verfahrens“ ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 86 und 87 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑404/10 P, EU:C:2012:393, Rn. 132).

56      Zum anderen ist hinsichtlich der geordneten Rechtspflege und der Integrität des Gerichtsverfahrens darauf hinzuweisen, dass sich der Ausschluss der Rechtsprechungstätigkeit vom Geltungsbereich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten damit rechtfertigen lässt, dass während des gesamten Gerichtsverfahrens sichergestellt sein muss, dass die Erörterungen zwischen den Parteien sowie die Beratungen des Gerichts über die anhängige Rechtssache in aller Ruhe und ohne Druck von außen auf die Rechtsprechungstätigkeit ablaufen. Bei einer Verbreitung von Dokumenten, in denen der von einem Organ oder einem Mitgliedstaat in einem anhängigen Gerichtsverfahren vertretenen Standpunkt dargelegt ist, könnte auf die Rechtsprechungstätigkeit – und sei es auch nur in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit – Druck von außen ausgeübt und die Ruhe der Erörterungen beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 92 und 93).

57      Daher steht nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 das öffentliche Interesse der Verbreitung des Inhalts von Dokumenten entgegen, die nur für ein bestimmtes Gerichtsverfahren erstellt wurden. Zu diesen Dokumenten gehören Schriftsätze oder Schriftstücke, die im Lauf eines Gerichtsverfahrens eingereicht wurden, interne Dokumente, die die Bearbeitung einer anhängigen Rechtssache betreffen, der Schriftwechsel über die Rechtssache zwischen der betreffenden Generaldirektion und dem Juristischen Dienst oder einer Anwaltskanzlei (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 steht auch der Verbreitung von Dokumenten entgegen, die nicht nur für einen bestimmten Rechtsstreit erstellt wurden, deren Verbreitung jedoch geeignet ist, im Rahmen eines bestimmten Rechtsstreits den Grundsatz der Waffengleichheit zu beeinträchtigen. Die Anwendbarkeit dieser Ausnahme setzt allerdings voraus, dass die angeforderten Dokumente zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der der Zugang zu den Dokumenten verweigert wird, einen relevanten Bezug zu einem anhängigen Gerichtsverfahren aufweisen. In diesem Fall könnte es, auch wenn die besagten Dokumente nicht im Rahmen eines bestimmten Gerichtsverfahrens erstellt wurden, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Integrität des betreffenden Gerichtsverfahrens und des Grundsatzes der Waffengleichheit zwischen den Parteien kommen, wenn Beteiligten ein privilegierter Zugang zu internen Informationen der gegnerischen Partei gewährt würde, die mit den rechtlichen Fragen in einem anhängigen oder einem potenziellen, aber unmittelbar bevorstehenden Rechtsstreit eng verbunden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass das Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 nicht allein für die Zwecke eines bestimmten Rechtsstreits verfasst wurde. Es handelt sich um eine Antwort dieser Behörden auf ein Informationsersuchen der Kommission im Rahmen des EU-Pilotverfahrens, das gegen sie aufgrund von Beschwerden über die Modalitäten der Erstattung der zu Unrecht auf die TIAI-Gebühr erhobenen Mehrwertsteuer eingeleitet wurde. Es sei daran erinnert, dass das Ziel von EU-Pilotverfahren darin besteht, zu überprüfen, ob das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten beachtet und richtig angewandt wird (siehe oben, Rn. 3). Zu diesem Zweck stellt die Kommission gewöhnlich Auskunfts- und Informationsersuchen, die sich sowohl an die in Rede stehenden Mitgliedstaaten als auch an die betroffenen Bürger und Unternehmen richten (Urteil vom 25. September 2014, Spirlea/Kommission, T‑669/11, EU:T:2014:814, Rn. 64). Es handelt sich somit um ein Verwaltungsverfahren, das zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens einschließlich der Erhebung einer Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof führen kann, was hier jedoch nicht der Fall war, da die Kommission beschlossen hat, kein solches Verfahren einzuleiten (siehe oben, Rn. 5).

60      Dennoch machten die italienischen Behörden gegenüber der Kommission geltend, dass die Verbreitung ihres Schreibens vom 17. Oktober 2019 den Standpunkt der zuständigen Verwaltungen als Parteien in einer Reihe von bei den italienischen Gerichten anhängigen Verfahren beeinträchtigen könnte und übermittelten eine Übersichtstabelle aller betroffenen Gerichtsverfahren (im Folgenden: Tabelle), die die Kommission als Anlage zur Klagebeantwortung vorgelegt hat.

61      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass aus der Tabelle entgegen dem Vorbringen der Klägerin hervorgeht, dass mehrere Verfahren und nicht nur eines anhängig sind. In Anbetracht der Tabelle und der mehrfachen Erwähnung mehrerer nationaler Gerichtsverfahren in der angefochtenen Entscheidung (Nr. 2.1, vierter, achter und neunter Absatz, von denen einer auf die Tabelle Bezug nimmt, sowie Nr. 2.2 zwölfter und 14. Absatz) kann die Bezugnahme auf ein einziges Verfahren in den letzten beiden Absätzen von Nr. 2.2 der angefochtenen Entscheidung als Schreibfehler angesehen werden. Die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren kann jedenfalls eine Verweigerung der Verbreitung rechtfertigen, selbst wenn nur ein einziges Gerichtsverfahren betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Philip Morris/Kommission, T‑796/14, EU:T:2016:483, Rn. 98).

62      Soweit sich die Klägerin darauf stützt, dass sie selbst nur an einem der in der Tabelle aufgeführten Verfahren beteiligt sei, das zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Zugang überdies bereits abgeschlossen gewesen sei, ist im Übrigen festzustellen, dass die Verbreitung des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 diesem eine sehr breite öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen könnte, was insbesondere den an den anderen noch anhängigen Verfahren Beteiligten ermöglichen würde, sich im Rahmen dieser Verfahren gegenüber den italienischen Behörden darauf zu berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 56).

63      Sodann ist zu prüfen, ob das Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 einen relevanten Bezug zu den in der Tabelle aufgeführten nationalen Gerichtsverfahren aufweist, bei denen es sich nicht um das Verfahren handelt, an dem die Klägerin beteiligt war und das zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung über den Zugangsantrag bereits abgeschlossen war.

64      Wie aus der Tabelle hervorgeht, waren von den zwölf genannten Verfahren mit Ausnahme des Verfahrens der Klägerin neun zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung über den Zugangsantrag anhängig, wie nach der Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 erforderlich (vgl. Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung), und betrafen Klagen, die von der italienischen Steuerverwaltung als Klägerin oder gegen sie als Beklagte wegen der Erstattung der Mehrwertsteuer auf die TIAI-Gebühr gemäß Art. 30ter Abs. 2 des Decreto n. 633 del Presidente della Repubblica – Istituzione e disciplina dell’imposta sul valore aggiunto (Dekret Nr. 633 des Präsidenten der Republik – Einführung und Regelung der Mehrwertsteuer) vom 26. Oktober 1972 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 292 vom 11. November 1972) erhoben worden waren.

65      Es besteht daher ein offensichtlicher Bezug zwischen diesen Verfahren, die Rechtsstreitigkeiten zwischen der italienischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen über die Erstattung der Mehrwertsteuer auf die TIAI-Gebühr betreffen, und dem Schreiben der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019, das in Durchführung einer prozessleitenden Maßnahme vorgelegt wurde und bei dem es sich, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, um eine Stellungnahme der italienischen Ministerialbehörden zu den Modalitäten dieser Erstattung handelt. In diesem Schreiben wird nämlich der Standpunkt der italienischen Behörden hinsichtlich der in den Verfahren vor den italienischen Gerichten aufgeworfene Streitfrage offengelegt und damit der relevante Bezug zu und die enge Verbindung mit den rechtlichen Fragen der anhängigen Rechtsstreitigkeiten hergestellt, die nach der Rechtsprechung erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2023, Troy Chemical Company/Kommission, T‑662/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:442, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Zum einen könnte die Waffengleichheit zwischen den Parteien jedoch erheblich beeinträchtigt werden, wenn Beteiligten ein privilegierter Zugang zu diesen Informationen der gegnerischen Partei gewährt würde, die zwar mit den rechtlichen Aspekten der anhängigen Rechtsstreitigkeiten eng verbunden sind, der Kommission aber im Rahmen des EU-Pilotverfahrens vertraulich übermittelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. September 2022, Leino-Sandberg/Parlament, T‑421/17 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:592, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem könnte die Verbreitung des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 dazu führen, dass sich diese Behörden de facto gegen Behauptungen der gegnerischen Parteien in Bezug auf Erwägungen in diesem Schreiben verteidigen müssten, auf die sie sich im Rahmen ihrer Verteidigung vor den italienischen Gerichten möglicherweise nicht berufen haben, was somit die Wirksamkeit ihrer Verteidigung beeinträchtigen würde, während die anderen Beteiligten an den in Rede stehenden Verfahren keinem solchen Zwang ausgesetzt wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. September 2022, Leino-Sandberg/Parlament, T‑421/17 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:592, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). Denn die von den italienischen Behörden gegenüber der Kommission und vor den nationalen Gerichten angeführten Gesichtspunkte sind, wie die Italienische Republik hervorhebt, nicht unbedingt dieselben, da es sich beim EU-Pilotverfahren, das dazu dient, einen etwaigen Verstoß gegen das Unionsrecht zu beenden, und den anhängigen Gerichtsverfahren zwischen der italienischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen um Verfahren unterschiedlicher Art handelt.

67      Zum anderen könnte bei einer Verbreitung des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019, in dem der von diesen Behörden vertretene Standpunkt zu einer Frage dargelegt wird, die im Mittelpunkt mehrerer anhängiger Rechtsstreitigkeiten steht, auf die Rechtsprechungstätigkeit – und sei es auch nur in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit – Druck von außen ausgeübt und die Ruhe der Erörterungen beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 92 und 93). Der Ausschluss der Rechtsprechungstätigkeit vom Geltungsbereich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten lässt sich damit rechtfertigen, dass während des gesamten Gerichtsverfahrens sichergestellt sein muss, dass die Erörterungen zwischen den Parteien sowie die Beratungen des Gerichts über die anhängige Rechtssache in aller Ruhe und ohne Druck von außen auf die Rechtsprechungstätigkeit ablaufen (vgl. Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Diese Erwägungen werden nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, dass die bloße Behauptung der besonderen Wahrscheinlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens durch die betreffenden italienischen Gerichte nicht ausreiche, um die Verweigerung der Freigabe des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 zu rechtfertigen.

69      Zwar ist entschieden worden, dass die Anwendbarkeit der Ausnahme in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 auf Dokumente, die nicht im Rahmen eines bestimmten Gerichtsverfahrens erstellt wurden, voraussetzt, dass die angeforderten Dokumente zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der der Zugang zu ihnen verweigert wird, einen relevanten Bezug entweder zu einem Gerichtsverfahren, das vor einem Unionsgericht anhängig ist und hinsichtlich dessen sich das betreffende Organ auf die Ausnahme beruft, oder zu einem Verfahren aufweisen, das bei einem nationalen Gericht anhängig ist, sofern in diesem Verfahren eine Frage der Auslegung oder der Gültigkeit eines Unionsrechtsakts aufgeworfen wird, so dass angesichts des Kontexts der Rechtssache ein Ersuchen um Vorabentscheidung besonders wahrscheinlich ist (Urteile vom 15. September 2016, Philip Morris/Kommission, T‑796/14, EU:T:2016:483, Rn. 88 und 89, sowie vom 7. Februar 2018, Access Info Europe/Kommission, T‑852/16, EU:T:2018:71, Rn. 67).

70      Die oben in Rn. 69 genannten Urteile ergingen jedoch in Rechtssachen, in denen es um Dokumente ging, die von den Organen selbst erstellt worden waren, und nicht, wie im vorliegenden Fall, in Bezug auf Dokumente, die aus einem Mitgliedstaat stammen und einem Organ übermittelt wurden. Wenn es sich nämlich um ein von einem Organ erstelltes Dokument handelt, können die Waffengleichheit und die Verteidigungsmöglichkeiten des betreffenden Organs nur im Zusammenhang mit Verfahren beeinträchtigt werden, an denen es beteiligt ist, d. h. in Verfahren, die grundsätzlich vor einem Unionsgericht stattfinden.

71      Dagegen wird im Fall eines Dokuments, das von einem Mitgliedstaat stammt und mit Verfahren zusammenhängt, die bei den nationalen Gerichten anhängig sind und an denen – wie im vorliegenden Fall – der Staat beteiligt ist, die Gewährleistung der Waffengleichheit in diesen nationalen Verfahren berücksichtigt. Daraus folgt, dass die Frage, ob ein Vorabentscheidungsersuchen der mit den fraglichen nationalen Verfahren befassten italienischen Gerichte besonders wahrscheinlich war, hier unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 27. März 2014, Ecologistas en Acción/Kommission, T‑603/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:182, Rn. 56 bis 65).

72      Folglich ist die dritte Rüge, mit der geltend gemacht wird, dass der Schutz von Gerichtsverfahren durch die Verbreitung des Schreibens der italienischen Behörden vom 17. Oktober 2019 nicht beeinträchtigt würde, zurückzuweisen.

73      Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen, ohne dass es einer weiteren Beweisaufnahme bedürfte.

 Kosten

74      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

75      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Italienische Republik trägt deshalb ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Veneziana Energia Risorse Idriche Territorio Ambiente Servizi SpA (Veritas) trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Italienische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

da Silva Passos

Gervasoni

Półtorak

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. Januar 2024.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.