Language of document : ECLI:EU:C:2015:350

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 21. Mai 2015(1)

Rechtssache C‑194/14 P

AC‑Treuhand AG

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Kartelle – Europäische Märkte für Wärmestabilisatoren – Festsetzung der Preise, Aufteilung der Märkte und Austausch sensibler Geschäftsinformationen – Entscheidung, mit der Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG (jetzt Art. 101 AEUV) und gegen Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt werden – Entscheidung, die ein Beratungsunternehmen betrifft, das auf den relevanten Märkten keinen Wettbewerbsdruck ausübt“





1.        Die nach den Art. 81 EG und 82 EG (jetzt Art. 101 AEUV und 102 AEUV) für Unternehmen geltenden Regeln sollen Beschränkungen des freien Wettbewerbs verhindern. Die Identifizierung einer Wettbewerbsbeschränkung setzt voraus, dass nach einer wirtschaftlichen Analyse bestätigt wird, dass das betreffende Unternehmen durch sein Verhalten vollständig oder teilweise davon abgesehen hat, Wettbewerbsdruck – Merkmal eines wirksamen Wettbewerbs – gegenüber den anderen Wirtschaftsteilnehmern des betreffenden Marktes oder der betreffenden Märkte auszuüben, und zwar letztlich zum Nachteil der wirtschaftlichen Effizienz und der Interessen der Verbraucher. Ein nicht wettbewerbsbeschränkendes Verhalten im oben angeführten Sinne kann hingegen – so moralisch und ethisch verwerflich es auch sein mag – nicht unter die im Unionsrecht verankerten Verbote und insbesondere unter das Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG fallen.

2.        Die vorliegende Rechtssache bietet meiner Meinung nach eine ganz besondere Gelegenheit, diese Grundregel in Erinnerung zu rufen.

3.        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die AC‑Treuhand AG (im Folgenden: AC‑Treuhand) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union AC‑Treuhand/Kommission(2), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K (2009) 8682 endg. der Kommission vom 11. November 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38589 – Wärmestabilisatoren) (im Folgenden: streitige Entscheidung)(3) und, hilfsweise, auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße abgewiesen hat.

4.        Von den durch die vorliegende Rechtssache aufgeworfenen Fragen ist eine neu und verdient Aufmerksamkeit. Der Gerichtshof wird nämlich zum ersten Mal(4) aufgefordert, festzustellen, ob ein Beratungsunternehmen, das auf den in Rede stehenden Märkten oder auf verbundenen Märkten nicht tätig ist, wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften verfolgt werden kann, weil es die Durchführung eines Kartells erleichtert hat. Die Rechtssache wirft somit eine immer noch aktuelle(5) wichtige Fragestellung auf, die den Gerichtshof dazu einlädt, sich zum Umfang des Kartellverbots, das in den Wettbewerbsvorschriften der Verträge niedergelegt ist, und somit zur Art der Verhaltensweisen zu äußern, die unter dieses Verbot fallen können.

I –    Vorgeschichte des Rechtsstreits

5.        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie in den Rn. 1 bis 24 des angefochtenen Urteils dargelegt wurde, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

„2      Mit der [streitigen] Entscheidung legt die Kommission … einer Reihe von Unternehmen zur Last, gegen Art. 81 EG und Art. 53 des [EWR-Abkommens] verstoßen zu haben, indem sie sich an zwei Komplexen wettbewerbswidriger Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen im EWR-Gebiet, zum einen im Bereich Zinnstabilisatoren und zum anderen im Bereich Epoxid Sojaöle und Ester (im Folgenden: ESBO/Ester), beteiligt hätten.

4      Nach Art. 1 der [streitigen] Entscheidung bestand jede dieser Zuwiderhandlungen in der Festsetzung von Preisen, in der Marktaufteilung durch Zuweisung von Lieferquoten, in der Aufteilung und Zuteilung von Kunden und im Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen, insbesondere über Kunden, Produktions- und Liefermengen.

5      Der [streitigen] Entscheidung zufolge waren die betroffenen Unternehmen an diesen Zuwiderhandlungen während verschiedener Zeiträume zwischen dem 24. Februar 1987 und dem 21. März 2000 im Bereich Zinnstabilisatoren sowie zwischen dem 11. September 1991 und dem 26. September 2000 im Bereich ESBO/Ester beteiligt.

6      Die Klägerin, … AC‑Treuhand …, deren Hauptsitz sich in Zürich (Schweiz) befindet, ist ein Beratungsunternehmen, das ‚eine ganze Reihe von spezifischen Dienstleistungen für nationale und internationale Verbände und Interessengemeinschaften anbietet‘ und seine Leistungen, wie aus der [streitigen] Entscheidung hervorgeht, wie folgt beschreibt: ‚Geschäftsführung und Administration von schweizerischen und internationalen Fachverbänden, Vereinigungen, Non-Profit-Organisationen; Beschaffung, Verarbeitung und Auswertung von Marktdaten, Präsentation von Marktstatistiken; Prüfung von gemeldeten Zahlen bei den Mitgliedern‘ …

10      In der [streitigen] Entscheidung wird die Klägerin haftbar gemacht, weil sie bei beiden zugrunde liegenden Zuwiderhandlungen eine zentrale und ähnliche Rolle gespielt habe, indem sie Zusammenkünfte für die Kartellmitglieder organisiert habe, bei denen sie anwesend gewesen sei und sich aktiv beteiligt habe, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den Mitgliedern zur Verfügung gestellt habe, indem sie angeboten habe, bei Spannungen zwischen den betroffenen Unternehmen als Moderator aufzutreten, und indem sie die Beteiligten zu Kompromissen ermutigt habe, und zwar gegen Vergütung …

20      Nach Art. 1 der [streitigen] Entscheidung wird die Klägerin für ihre Beteiligung an dem Verstoß betreffend Zinnstabilisatoren vom 1. Dezember 1993 bis 21. März 2000 und an dem Verstoß betreffend ESBO/Ester vom 1. Dezember 1993 bis 26. September 2000 haftbar gemacht.

24      Art. 2 der angefochtenen Entscheidung lautet:

‚Für die … Zuwiderhandlung(en) im Bereich Zinnstabilisatoren werden folgende Geldbußen verhängt:

17)      AC‑Treuhand … haftet für: EUR 174 000.

Für die … Zuwiderhandlung(en) im Bereich ESBO/Ester werden folgende Geldbußen verhängt:

38)      AC‑Treuhand … haftet für: EUR 174 000.

…‘“

II – Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

6.        Mit Klageschrift, die am 27. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und, hilfsweise, auf Herabsetzung der verhängten Geldbußen.

7.        Zur Stützung ihrer Klage trug die Rechtsmittelführerin neun Klagegründe vor, die das Gericht in den Rn. 36 und 268 des angefochtenen Urteils wie folgt zusammengefasst hat, nachdem es von dem Verzicht der Rechtsmittelführerin auf den neunten Klagegrund Kenntnis genommen hat:

„36      Die Klägerin begehrt mit vier Klagegründen und dem ersten Teil eines fünften Klagegrundes die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung und rügt dabei Folgendes: erstens einen Verstoß gegen Art. 81 EG und gegen den Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen (dritter Klagegrund), zweitens Verjährung in Bezug auf die Befugnis der Kommission zur Verhängung von Geldbußen gemäß Art. 25 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 (zweiter Klagegrund), drittens eine Verletzung der Verteidigungsrechte aufgrund einer verspäteten Unterrichtung über das gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren (achter Klagegrund), viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Frist aufgrund der Dauer des Verwaltungsverfahrens (siebter Klagegrund) und fünftens einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 (erster Teil des sechsten Klagegrundes).

268      Die Klägerin stützt ihren Hilfsantrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Höhe der gegen sie verhängten Geldbußen auf vier Klagegründe und den zweiten Teil eines fünften Klagegrundes, mit denen sie Folgendes rügt: erstens eine fehlerhafte Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlungen (erster Klagegrund), zweitens die Dauer des Verwaltungsverfahrens (siebter Klagegrund), drittens eine Verpflichtung der Kommission, im vorliegenden Fall nur eine symbolische Geldbuße zu verhängen (vierter Klagegrund), viertens einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 hinsichtlich der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße (fünfter Klagegrund) und fünftens einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 hinsichtlich der Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit (zweiter Teil des sechsten Klagegrundes).“

8.        Da das Gericht sämtliche Klagegründe zurückgewiesen hat, hat es die Klage insgesamt abgewiesen.

III – Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

9.        In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft, oder, hilfsweise, die gegen sie verhängten Geldbußen herabzusetzen;

–        weiter hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        die Kommission zu verurteilen, die Kosten für die Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof zu tragen.

10.      Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

11.      Die Parteien haben ihren Standpunkt schriftlich dargelegt und in der Sitzung vom 4. März 2015 mündlich verhandelt.

IV – Würdigung des Rechtsmittels

12.      Zur Stützung ihres Rechtsmittels trägt die Rechtsmittelführerin vier Gründe vor: (I) einen Verstoß gegen Art. 81 EG und gegen den in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) niedergelegten Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen durch die Feststellung, dass die von ihr vorgenommenen Handlungen eine wettbewerbswidrige Vereinbarung darstellten, (II) eine Verletzung dieses Grundsatzes und des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Begründungspflicht bei der Verhängung von Geldbußen, (III) einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(6) und die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(7) und (IV) einen Verstoß gegen Art. 261 AEUV und die Art. 23 Abs. 3 und 31 der Verordnung Nr. 1/2003 bei der Ausübung der unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis durch das Gericht.

13.      Wie ich in der Einleitung zu den vorliegenden Schlussanträgen angekündigt habe, wirft der erste Rechtsmittelgrund eine Grundsatzfrage auf, auf die ich meine Analyse nach einer kurzen Darstellung des Vorbringens der Parteien speziell in Bezug auf diesen Rechtsmittelgrund konzentrieren werde. Es stellt sich nämlich die Frage, ob eine Gesellschaft, die nicht auf dem Markt, der Gegenstand eines Kartells ist, tätig ist, in Bezug auf dieses Kartell ein Unternehmen sein kann, das sich an einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung im Sinne von Art. 81 EG beteiligt hat und dem somit eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung zugerechnet und gegen das deswegen gegebenenfalls eine Geldbuße verhängt werden kann.

A –    Vorbringen der Parteien

14.      Der erste Rechtsmittelgrund betrifft die Rn. 43 bis 45 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht den dritten Klagegrund der Rechtsmittelführerin zurückgewiesen hat, sowie verschiedene Randnummern des Urteils AC‑Treuhand I, auf die das angefochtene Urteil verweist.

15.      Die Rechtsmittelführerin wirft dem Gericht vor, festgestellt zu haben, dass zum einen Art. 81 EG auf ihr Verhalten angewendet werden könne und dass zum anderen eine solche erweiternde Auslegung zum Zeitpunkt des die Zuwiderhandlung begründenden Sachverhalts vorhersehbar gewesen sei. Hiermit habe das Gericht zum einen gegen Art. 81 EG verstoßen und zum anderen die Anforderungen an die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit des in Art. 49 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatzes der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen missachtet (nullum crimen, nulla poena sine lege).

16.      In diesem Zusammenhang trägt sie zunächst vor, dass das Urteil A. Menarini Diagnostics S.r.l./Italien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27. September 2011 den Strafcharakter von Bußgeldverfahren nach dem Kartellrecht klar festgestellt habe. Es müsse daher das im Strafrecht vorgesehene erhöhte Schutzniveau des Grundsatzes der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen gelten. Das Erfordernis der Rechtsklarheit sei nach Ansicht des Gerichtshofs(8) selbst besonders zwingend auf einem Gebiet, auf dem – wie im vorliegenden Fall – die Verhängung besonders schwerer Sanktionen vorstellbar sei.

17.      Des Weiteren macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass sie selbst nicht Partei einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 EG sei.

18.      Aus dem klaren Wortlaut dieses Artikels gehe hervor, dass die bloße Beihilfe an einem Kartell nicht in seinen Anwendungsbereich falle, da diese Bestimmung ausschließlich die Parteien einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise betreffe. Im vorliegenden Fall habe die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung in einem Kartell zwischen Herstellern zur Festsetzung von Preisen und der Aufteilung und Zuteilung von Lieferquoten und Kunden bestanden. Das Verhalten der Rechtsmittelführerin könne nicht als Beteiligung an einer solchen Willensübereinstimmung qualifiziert werden, da es bloß auf die Erbringung von Dienstleistungen an dieses Kartell gerichtet gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setze eine Vereinbarung den übereinstimmenden Willen von mindestens zwei Parteien voraus(9).

19.      Die Rechtsmittelführerin macht auch geltend, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für das Vorliegen einer Vereinbarung der gemeinsame Wille erforderlich sei, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten,. Im vorliegenden Fall fehle es den mit den jeweiligen Herstellern geschlossenen Dienstleistungsverträgen jedoch an dem vom Gerichtshof geforderten Marktbezug. Es fehle an der Unmittelbarkeit zwischen diesen Verträgen und der festgestellten Wettbewerbsbeschränkung, die allein die Folge des Kartells zwischen den Herstellern gewesen sei. Zudem sei die Rechtsmittelführerin nicht auf Märkten tätig, die den von dem Kartell betroffenen Märkten vorgelagert, nachgelagert oder benachbart seien.

20.      Die Rechtsmittelführerin meint, dass man ihr auch nicht vorwerfen könne, an einer „abgestimmten Verhaltensweise“ teilgenommen zu haben. Sie habe nämlich ihre Selbständigkeit im Marktverhalten nicht infolge einer Verhaltenskoordinierung oder Zusammenarbeit mit den Herstellern aufgegeben oder beschränkt, wie es nach der Rechtsprechung erforderlich sei.

21.      Außerdem wäre die Bestrafung ihrer „Mittäterschaft“ allenfalls dann mit den Anforderungen des Legalitätsgrundsatzes vereinbar, wenn es zum Zeitpunkt des Kartells eine ständige Rechtsprechung gegeben hätte, der sich die Strafbarkeit hinreichend klar(10) hätte entnehmen lassen können. Bis zum Urteil AC‑Treuhand I habe es dazu aber überhaupt keine Rechtsprechung gegeben. Im Übrigen gehe aus diesem Urteil und aus der in jener Rechtssache angefochtenen Entscheidung(11) hervor, dass die Entscheidung der Kommission, gegen ein Beratungsunternehmen vorzugehen, ihren eigenen Angaben nach eine Neuorientierung ihrer früheren Entscheidungspraxis dargestellt habe.

22.      Schließlich ist die Rechtsmittelführerin der Ansicht, dass Nützlichkeitserwägungen im Bereich des Wettbewerbs nicht durch eine extensive Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EG zu einer Missachtung des Legalitätsgrundsatzes führen dürften. Im vorliegenden Fall habe sich nur die Frage gestellt, ob die von der Rechtsmittelführerin geleisteten unterstützenden Dienstleistungen gemäß Art. 81 Abs. 1 EG strafbar, nicht aber, ob sie strafwürdig seien.

23.      Nach Ansicht der Kommission ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

24.      Sie trägt zunächst vor, dass der in Art. 49 Abs. 1 der Charta verankerte Legalitätsgrundsatz ein Bestimmtheitsgebot, ein Analogieverbot und ein Rückwirkungsverbot enthalte. Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 81 EG gehöre jedoch nicht zum „harten Kern“ des Strafrechts, so dass die für das Kriminalstrafrecht geltenden Grundsätze nicht unbedingt mit gleicher Stringenz Anwendung fänden. Dies stehe nicht im Widerspruch zum Urteil A. Menarini Diagnostics S.r.l./Italien, in dem das kartellrechtliche Bußgeldverfahren als Verwaltungsverfahren bezeichnet worden sei, bevor festgestellt worden sei, dass die verhängten Sanktionen Strafcharakter haben könnten.

25.      Das Bestimmtheitsgebot und das Analogieverbot stünden jedenfalls einer schrittweisen Klärung des genauen Inhalts strafrechtlicher Vorschriften durch die Rechtsprechung nicht entgegen. Außerdem könne zwar das Rückwirkungsverbot der nicht hinreichend vorhersehbaren rückwirkenden Anwendung einer neuen Auslegung einer Strafnorm entgegenstehen, die Vorhersehbarkeit hänge aber u. a. vom Inhalt und Anwendungsbereich der fraglichen Norm sowie von ihren Adressaten ab. Wenn zudem eine Strafnorm schon aufgrund ihres klaren Wortlauts das Bestimmtheitsgebot erfülle, dann sei ein Rückgriff auf eine auslegende Rechtsprechung zur Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nicht mehr nötig(12).

26.      Weiter macht die Kommission geltend, dass dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin, die eine übermäßig enge Auslegung des Kriteriums der „Vereinbarung zwischen Unternehmen“ nach Art. 81 EG anstrebe, nicht gefolgt werden könne, da die der effektiven Durchführung eines Kartells dienende, gezielte Auslagerung von Kartellfunktionen auf ein Dienstleistungsunternehmen durchaus vom Verbot des Art. 81 EG erfasst sei.

27.      Dazu trägt sie erstens vor, dass der Wortlaut von Art. 81 EG sehr weit gefasst sei und jede gemeinsame übereinstimmende Willensbildung bzw. jedes koordinierte oder kollusive Verhalten von mindestens zwei Unternehmen erfassen könne(13). Da die Dienstleistungen der Rechtsmittelführerin objektiv wie subjektiv der Unterstützung zweier Kartelle auf den Märkten für Wärmestabilisatoren gedient hätten, habe zwischen ihr und den übrigen Kartellteilnehmern die für eine Vereinbarung notwendige Willensübereinstimmung bestanden.

28.      Zweitens sei es unerheblich, ob die Wettbewerbsbeschränkung auf den Märkten für Wärmestabilisatoren den Haupt- oder den Nebenzweck des Verhaltens der Rechtsmittelführerin darstelle oder ob zwischen diesem Verhalten und jener Wettbewerbsbeschränkung ein Unmittelbarkeitszusammenhang bestehe. Auch wenn eine „Vereinbarung“ regelmäßig als „gemeinsame[r] Wille …, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten“, beschrieben werde, bedeute dies jedoch nicht, dass die erforderliche Willensübereinstimmung notwendig für alle Parteien eine marktbezogene Finalität aufweisen oder auf eine Beschränkung der Handlungsfreiheit aller Parteien gerichtet sein müsse. Ebenso sei es ohne Belang, dass die Rechtsmittelführerin weder auf den kartellierten Märkten noch auf benachbarten oder sich neu entwickelnden Märkten tätig gewesen sei, da ihre kollusiven Dienstleistungen objektiv wie subjektiv der Herbeiführung einer Wettbewerbsbeschränkung durch die Wärmestabilisatorenkartelle gedient hätten.

29.      Drittens trägt die Kommission zu der Frage, ob die vorgenommene Auslegung für die Rechtsmittelführerin zum Zeitpunkt des Kartells hinreichend vorhersehbar gewesen sei, vor, dass sie bereits in einer Entscheidung von 1980(14), d. h. vor Beginn der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Zuwiderhandlungen, festgestellt habe, dass die von einer Verwaltungsgesellschaft erbrachten kollusiven Dienstleistungen gegen Art. 81 EG verstießen.

30.      Viertens habe das Gericht Art. 81 EG nicht etwa über seine Wortlautgrenze hinweg erweitert, sondern sich vielmehr unter Verweis auf die Zielrichtung und den Schutzzweck des Wettbewerbsrechts gegen eine teleologische Einschränkung dieser Norm ausgesprochen und dabei rechtsfehlerfrei auch auf Erwägungen zur Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit des Art. 81 EG abgestellt.

B –    Würdigung

31.      Bei der Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes stellen sich zwei Fragen.

32.      Die erste Frage ist, ob Art. 81 Abs. 1 EG auf ein Unternehmen angewendet werden kann, das wie die Rechtsmittelführerin nicht auf dem fraglichen Markt oder verbundenen Märkten tätig ist und das auf diesen Märkten stricto sensu keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geschlossen oder Verhaltensweisen abgestimmt hat.

33.      Mit der zweiten Frage, die der ersten untergeordnet ist und nur dann sinnvoll gestellt werden kann, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass das Verhalten der Rechtsmittelführerin unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fällt, soll ermittelt werden, ob die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass das in Art. 81 Abs. 1 EG niedergelegte Verbot grundsätzlich auf sie anwendbar war.

34.      Aus den Gründen, die ich nachstehend darlegen werde, bin ich der festen Überzeugung, dass die erste Frage zu verneinen ist und dass daher die zweite Frage nicht beantwortet zu werden braucht. Ich werde mich zunächst auf die Tragweite konzentrieren, die Art. 81 Abs. 1 EG beizumessen ist, um mich danach der durchaus besonderen Situation der Rechtsmittelführerin zu widmen.

1.      Die Tragweite des in den Verträgen verankerten Kartellverbots: das Verbot kollusiver Verhaltensweisen, die nach einer wirtschaftlichen Analyse wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben

35.      Es erscheint mir sachdienlich, darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit, ein Unternehmen in der Situation der Rechtsmittelführerin zu bestrafen, vom Gericht in den Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils mit einem Verweis auf die von ihm in der Rechtssache AC‑Treuhand I getroffenen Feststellungen begründet wird.

36.      Mit diesem Urteil hatte das Gericht auf die grundsätzliche Haftung von AC‑Treuhand wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG erkannt. Die der Rechtsmittelführerin damals vorgeworfenen Verhaltensweisen sind mit den in der vorliegenden Rechtssache gerügten gut vergleichbar. Ihr war vorgeworfen worden, in dem Kartell betreffend organische Peroxide eine Schlüsselrolle gespielt zu haben, indem sie Zusammenkünfte zwischen den Herstellern organisiert, geheime Dokumente über das Kartell aufbewahrt, bestimmte Daten über Zahlen gesammelt und verarbeitet und bestimmte logistische und Sekretariatsaufgaben im Zusammenhang mit der Organisation von Zusammenkünften ausgeführt habe.

37.      Das Gericht hat in der Rechtssache AC‑Treuhand I im Wesentlichen folgende Gründe angeführt.

38.      Als Erstes sei der Begriff „Vereinbarung“ in Art. 81 EG weit zu verstehen. Das Vorliegen eines „gemeinsamen Willens“, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, sei ausreichend, und es könne nicht verlangt werden, dass sich der relevante Markt, auf dem das Unternehmen tätig sei, das „Täter“ der Wettbewerbsbeschränkung sei, und derjenige Markt, auf dem sich diese Beschränkung mutmaßlich verwirklicht, vollständig decken. Jedes mit einem anderen Unternehmen koordinierte Verhalten mit dem Ziel einer Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten Markt könne daher gegen das Verbot nach Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen (vgl. Rn. 117 bis 122 des Urteils AC‑Treuhand I).

39.      Als Zweites könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Unternehmen an der Durchführung einer Wettbewerbsbeschränkung auch dann beteiligt sei, wenn es seine eigene Handlungsfreiheit auf dem Markt, auf dem es hauptsächlich tätig sei, nicht einschränke. Jede andere Auslegung könnte die Bedeutung des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots in einer Weise mindern, die im Widerspruch zu seiner Wirksamkeit stünde, da die aktive Beteiligung eines Unternehmens an einer Wettbewerbsbeschränkung dann nicht verfolgt werden könnte (vgl. Rn. 124 bis 128 des Urteils AC‑Treuhand I).

40.      Als Drittes genüge es zur Feststellung der Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell und zu seiner Haftbarmachung dafür, dass die Kommission nachweise, dass das Unternehmen durch sein eigenes Verhalten – auch in untergeordneter Stellung, nebensächlich oder passiv – zur Erreichung der verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte, dass es das von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigte oder an den Tag gelegte tatsächliche Verhalten kannte oder vernünftigerweise vorhersehen konnte und dass es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. Diese Grundsätze fänden entsprechend auf die Beteiligung eines Unternehmens Anwendung, das aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und seines beruflichen Sachverstands die Wettbewerbswidrigkeit der fraglichen Verhaltensweisen habe erkennen müssen und so die Begehung der Zuwiderhandlung in nicht zu vernachlässigender Weise habe unterstützen können (vgl. Rn. 129 bis 136 des Urteils AC‑Treuhand I).

41.      Als Viertes und Letztes hat das Gericht in Rn. 164 des Urteils AC‑Treuhand I festgestellt, dass die Entscheidungspraxis, welche die Kommission mehr als 20 Jahre verfolgt habe und nach der die an Kartellen beteiligten Beratungsunternehmen lediglich nicht verurteilt und bestraft worden seien, ohne dass die Vorstellung, sie könnten für die Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werden, verworfen worden wäre, keine begründete Erwartung dahin gehend habe wecken können, dass die Kommission in der Zukunft davon absehen werde, Beratungsunternehmen zu verfolgen und zu bestrafen, wenn sie sich an einem Kartell beteiligten. Für die vorliegende Rechtssache sei es nicht entscheidend, dass die in jenem Fall verhängte Geldbuße sehr niedrig gewesen sei, denn wie die Kommission zu Recht geltend gemacht habe, habe es sich um eine Bestrafung von Unternehmen, u. a. Beratungsunternehmen, gehandelt, deren etwaige Beteiligung an Kartellaktivitäten in der Vergangenheit nicht geahndet worden sei.

42.      Diese Erwägungen, mit denen geltend gemacht werden soll, dass Art. 81 EG nur wenige Grenzen hinsichtlich der Art kollusiver Verhaltensweisen, die unter das in Art. 81 Abs. 1 EG verankerte Verbot fallen können, endgültig festlegt, ignorieren meiner Ansicht nach völlig die Tragweite dieses Verbots und das mit ihm verfolgte Ziel.

43.      Nach Art. 81 Abs. 1 EG sind „[m]it dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten … alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken“(15).

44.      Auf die Gefahr hin, etwas in vielerlei Hinsicht selbstverständlich Erscheinendes zu wiederholen, sei darauf hingewiesen, dass Art. 81 EG, ebenso wie Art. 82 EG eine Reihe von Regeln aufstellt, die sich an Unternehmen richten, um Verhaltensweisen zu verbieten, die sich nach einer wirtschaftlichen Analyse als wettbewerbsbeeinträchtigend herausgestellt haben oder bei denen man dies zu Recht vermuten kann.

45.      Das Ziel der Regeln im Bereich des Wettbewerbs besteht im Großen und Ganzen darin, sicherzustellen, dass die Auswirkungen des freien Wettbewerbs, die das Gegenstück zur Öffnung der Märkte bilden, nicht durch Maßnahmen im weiten Sinne verfälscht werden, die dazu führen, dass bestimmte Unternehmen begünstigt oder benachteiligt werden, und die sich letztlich als für die Verbraucher nachteilig herausstellen.

46.      Unabhängig davon, ob man meint, dass diese Verhaltensweisen ein wettbewerbswidriges Ziel oder eher eine wettbewerbswidrige Wirkung haben, beruht das an die Unternehmen gerichtete Verbot der von den Vorschriften der Verträge erfassten Verhaltensweisen auf der Vorstellung, dass diese schädliche Auswirkungen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des normalen Wettbewerbs haben.

47.      Um ein Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verantwortlich zu machen, muss festgestellt werden, inwieweit es sich mit anderen Unternehmen mit dem Ziel abgestimmt hat, auf die Ausübung von Wettbewerbsdruck auf diese zu verzichten.

48.      In diesem Sinne hat der Gerichtshof sehr früh auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine wirtschaftliche Analyse unter Berücksichtigung insbesondere der Position und der Bedeutung der Parteien auf dem Markt der betreffenden Waren oder Dienstleistungen vorzunehmen(16). Er hat noch vor Kurzem in Bezug auf die Methodik zur Identifizierung kollusiver Verhaltensweisen mit wettbewerbswidrigem Ziel auf die Bedeutung aufmerksam gemacht, die für die Zwecke der Identifizierung des Wettbewerbsdrucks auf die Unternehmen der wirtschaftlichen Analyse und der Erfahrung(17) beizumessen ist.

49.      Ebenso haben sowohl die Kommission(18) als auch der Gerichtshof wiederholt betont, dass die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrags über das Verbot wettbewerbswidriger Absprachen voraussetzt, dass die Situation Dritter „auf dem Markt“ spürbar verändert wird.

50.      Damit sie unter das insoweit in den Verträgen vorgesehene Verbot fallen, müssen die von den Verträgen erfassten Verhaltensweisen der Unternehmen zumindest geeignet sein, einen auf dem Markt grundsätzlich vorhandenen Wettbewerbsdruck oder eine ‑behinderung zu beseitigen. Auf die Art der von den Unternehmen angewandten Mittel kommt es zwar letztlich nicht an(19), doch muss sich als Folge ein wirtschaftlicher Druck einstellen, der geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken(20).

51.      Mit anderen Worten ist es, um Partei einer Absprache mit wettbewerbsbeeinträchtigendem Ziel oder Auswirkungen zu sein, noch erforderlich, dass das betreffende Unternehmen im normalen Wettbewerb auf die anderen Beteiligten der Absprache Wettbewerbsdruck („competitive constraint“) ausübt. Nur wenn das betreffende Unternehmen einen Wettbewerbsdruck ausübt, der es wert ist, beschränkt zu werden, kann von einem solchen Druck die Rede sein.

52.      In diesem Sinne kommt der Definition des relevanten Marktes zentrale Bedeutung bei der Anwendung sowohl von Art. 82 EG als auch von Art. 81 Abs. 1 EG zu. Die Definition des relevanten Marktes ist im Rahmen der Anwendung von Art. 81 EG zwar selten umstritten, doch geht es bei dieser Definition immer darum, systematisch festzustellen, welcher Wettbewerbsdruck auf die in Rede stehenden Unternehmen ausgeübt wird(21).

53.      In diesem Zusammenhang trifft es zwar zu, dass nach europäischem Wettbewerbsrecht nicht verlangt wird, dass alle an einem Kartell Beteiligten eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem durch das Kartell betroffenen Markt ausüben, doch schreibt dieses Recht vor, dass bestimmt werden muss, inwieweit der Abschluss der streitigen Vereinbarung ein wettbewerbsbeschränkendes Ziel oder wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen auf einem bestimmten relevanten Markt hat.

54.      Es stellt sich nicht nur die Frage, ob die Unternehmen, die eine nach Art. 81 EG verbotene Absprache treffen können, auf verschiedenen Märkten tätig sein können, sondern auch, ob sie in der Lage sind, aufeinander Wettbewerbsdruck auszuüben. Es ist zwar richtig, dass der in Art. 81 Abs. 1 EG angesprochene Wettbewerb nicht nur den zwischen den Parteien der Vereinbarung, sondern auch den zwischen diesen und Dritten möglichen Wettbewerb betrifft(22), doch muss darüber hinaus das betreffende Unternehmen wettbewerbswidrige Verpflichtungen entgegengenommen oder solche begründet haben können.

55.      Dieses Erfordernis folgt meiner Ansicht nach nicht nur aus einer teleologischen Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EG, sondern auch aus der seit dem Urteil Consten und Grundig/Kommission(23) insbesondere in Bezug auf vertikale Beschränkungen in diesem Bereich entwickelten Rechtsprechung des Gerichtshofs. Der Gerichtshof hat unter Hinweis darauf, dass Art. 85 des Vertrags (jetzt Art. 81 EG) allgemein für alle den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verfälschenden Vereinbarungen galt und zwischen diesen Vereinbarungen nicht danach unterschied, ob sie von Unternehmen abgeschlossen sind, die auf derselben Wirtschaftsstufe miteinander im Wettbewerb stehen, oder ob ihnen nicht miteinander konkurrierende Unternehmer verschiedener Stufe angehören, in seiner weiteren Begründung erläutert, inwieweit die geprüften Verhaltensweisen, nämlich zwischen dem Lieferanten und dem Vertriebsberechtigten geschlossene Alleinvertriebsvereinbarungen, den Wettbewerb in Bezug auf diese Produkte zwischen den Vertriebsberechtigten und den mit diesen im Wettbewerb stehenden Dritten beschränken konnten. Die durch diese Vereinbarungen geschaffene Situation hatte u. a. die Abschottung der nationalen Märkte für diese Produkte zur Folge und ermöglichte es, für diese Erzeugnisse Preise zu praktizieren, die keinem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt waren.

56.      Im Licht dieser Erwägungen werde ich den vorliegenden Fall prüfen.

2.      Anwendung auf den vorliegenden Fall

57.      Der Gerichtshof wird im vorliegenden Fall aufgefordert, die Frage zu entscheiden, ob Art. 81 EG auf das Verhalten von „cartels facilitators“ angewendet werden kann, d. h. auf Wirtschaftsteilnehmer, die bei der Umsetzung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung behilflich sind, indem sie u. a. Zusammenkünfte zwischen den Mitbewerbern organisieren und Dienstleistungen im Rahmen von wettbewerbswidrigen Vereinbarungen erbringen.

58.      Im 381. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung beschrieb die Kommission die Rolle der Rechtsmittelführerin auf folgende Weise:

„Auf Grundlage der in Randnummern 356 – 359 dargestellten Faktenlage spielte AC Treuhand eine signifikante Rolle bei Organisation und Durchführung der Treffen. AC Treuhand verfügte über präzises Wissen über die wettbewerbswidrigen Absprachen, entwarf und verteilte tatsächlich in einer sehr professionellen Art alle Informationen über Preise, Quoten, Kunden und dergleichen. Sie war mit der Vollmacht, Prüfungen bei den Kartellanten durchzuführen, ausgestattet. Nur Daten, die letztlich von AC Treuhand gut geheißen worden waren, wurden zur Verhandlungsgrundlage der Absprachen. AC Treuhand stellte ihre Lokalitäten zur Verfügung, um das Kartell zu verbergen. In beiden Kartellen, war es ihre Rolle, die Aufdeckung der Verstöße zu vermeiden. Als Moderator entsprach es ihrer Rolle, die Kompromissfindung zu ermutigen und zwar in Hinblick auf den Abschluss wettbewerbswidriger Vereinbarungen. AC Treuhand stellte für beide Kartelle ihre Dienste, ihr professionelles Fachwissen und ihre Infrastruktur zur Verfügung, um damit Gewinne zu erzielen …“

59.      Es ist festzustellen, dass die der Rechtsmittelführerin vorgeworfenen Handlungen in einer Reihe von Verhaltensweisen bestehen, ohne dass ihre Rolle als Täter (Beteiligter) oder als Gehilfe (oder Facilitator) rechtlich klargestellt worden wäre(24).

60.      Nach dieser Beschreibung führt die Situation der Rechtsmittelführerin daher zunächst und in Ergänzung des weiter oben Angeführten zu der Frage, ob ein nicht auf dem betreffenden oder einem benachbarten Markt tätiges Unternehmen als Täter einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verfolgt werden kann, und dann zu der Frage, ob es vorstellbar ist, ein solches Unternehmen wegen Beihilfe zu wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu verfolgen.

a)      Kann eine nicht auf dem betreffenden Markt oder auf verbundenen Märkten tätige Gesellschaft Täter einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot sein?

61.      Wie ich bereits ausgeführt habe, verbietet Art. 81 Abs. 1 EG ausschließlich Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, deren Ziel oder Wirkung es ist, den Wettbewerb zu beschränken.

62.      Um aber den Wettbewerb beschränken zu können, muss die verfolgte Person oder das verfolgte Unternehmen in der Lage sein, normalerweise auf die auf dem Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmer Wettbewerbsdruck („competitive constraint) auszuüben, der durch kollusive Handlungen beseitigt oder verringert werden kann.

63.      Unabhängig davon, ob das betreffende Unternehmen auf demselben Markt oder auf derselben Stufe wie die an dem Kartell beteiligten Unternehmen tätig ist, muss daher auch festgestellt werden, inwieweit der auf dem Markt für die betreffenden Erzeugnisse ausgeübte Wettbewerb möglicherweise durch die Beteiligung dieses Unternehmens verringert oder beseitigt wurde.

64.      Im vorliegenden Fall bestehen kaum Zweifel, dass AC‑Treuhand im Allgemeinen in dem Sinne als Unternehmen eingestuft werden kann, als sie eine wirtschaftliche Einheit ist, die in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel besteht, mit der dauerhaft ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. Wie nämlich aus Rn. 6 des angefochtenen Urteils hervorgeht, handelt es sich um eine Gesellschaft, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die insbesondere darin besteht, Dienstleistungen auf dem Markt für Beratungsdienste anzubieten(25).

65.      Es ist jedoch festzustellen, dass die Gesellschaft in der vorliegenden Rechtssache nicht als Unternehmen angesehen werden kann, das auf dem relevanten oder einem verbundenen Markt tätig ist. Im vorliegenden Fall ist sie in ihrer Eigenschaft als Beraterin tätig geworden, ist aber weder eine wettbewerbswidrige Verpflichtung eingegangen, noch hat sie eine solche entgegengenommen. Sie ist nicht, auch nicht potenziell, auf den fraglichen Märkten tätig, bei denen es sich um Märkte für sehr spezifische Produkte handelt, nämlich um eine bestimmte Art von Wärmestabilisatoren, sondern nur in ihrem Tätigkeitsbereich, nämlich der Erbringung von Beratungsdienstleistungen.

66.      Die einzigen Vereinbarungen, an denen AC‑Treuhand eventuell beteiligt ist, sind die Vereinbarungen über die Erbringung von Dienstleistungen, die sie mit den am Kartell über Wärmestabilisatoren beteiligten Unternehmen geschlossen hat. Sie kann hingegen nicht als vollwertiges Mitglied des in Art. 1 der streitigen Entscheidung identifizierten Kartells betrachtet werden, nämlich einer Reihe von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen betreffend bestimmte Wärmestabilisatoren, die im Wesentlichen in Preisfestsetzungen, Markt- und Kundenaufteilungen sowie im Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen bestehen.

67.      Gegenstand der zwischen AC‑Treuhand und den auf dem Markt tätigen Unternehmen geschlossenen Vereinbarungen war ausschließlich die Erbringung von Dienstleistungen, die zwar im Zusammenhang mit der Durchführung des Kartells stehen, die sich aber als solche von den den Mitgliedern des Kartells vorgeworfenen Verhaltensweisen unterscheiden.

68.      Außerdem hat die Kommission nicht behauptet und noch weniger bewiesen, dass AC‑Treuhand grundsätzlich Wettbewerbsdruck auf die am Kartell beteiligten Unternehmen ausübte. Da sie auf die im Bereich der Wärmestabilisatoren identifizierten Kartellmitglieder keinen solchen Druck ausübte, konnten die Verhaltensweisen von AC‑Treuhand als solche den Wettbewerb nicht beschränken und demnach nicht unter das Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG fallen.

69.      Auch wenn sich erweisen sollte, dass die Handlungen von AC‑Treuhand eine positive Wirkung auf das Funktionieren des Kartells hatten, indem sie es effektiver machten und es verbargen, entspringen die Auswirkungen der betreffenden Handlungen auf den Wettbewerb ausschließlich den Verhaltensweisen der Kartellmitglieder. Auch hier können die Handlungen von AC‑Treuhand den Wettbewerb nicht beschränken, wenn sie normalerweise keinen Wettbewerbsdruck auf die fraglichen Unternehmen ausübt.

70.      Folglich können die Vereinbarungen, die als solche nicht das Ziel oder die Wirkung hatten, den Wettbewerb zu beschränken, sondern die Dienstleistungen betrafen, die die Parteien einer Vereinbarung, die selbst den Wettbewerb beschränkt, bei der Verfolgung der rechtswidrigen Verhaltensweisen unterstützen sollten, daher nicht unter dem Gesichtspunkt des Verbots in Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werden, wie großzügig der im Vertrag verwendete Wortlaut auch sein mag(26). Die bloße Absicht eines Unternehmens, den Wettbewerb zu beschränken, kann bei Fehlen der tatsächlichen Fähigkeit zu einer solchen Beschränkung nicht ausreichen.

71.      Falls sich der Gerichtshof den in der vorliegenden Rechtssache von der Kommission vertretenen und vom Gericht bestätigten Ansatz zu eigen machen sollte, würde dadurch die Methodik zur Identifizierung der nach den Verträgen erfassten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen grundlegend beeinträchtigt. Meiner Meinung nach ergäbe sich daraus eine solche Entkopplung zwischen den betreffenden Verhaltensweisen und der Notwendigkeit, eine Wettbewerbsbeschränkung im wirtschaftlichen Sinne des Wortes zu identifizieren, dass die Abgrenzung des relevanten Marktes und die Identifizierung des grundsätzlich auf diesem Markt ausgeübten Wettbewerbsdrucks überflüssig würden.

72.      Diese Entkopplung könnte sich nicht nur im Rahmen des Aufspürens kollusiver Verhaltensweisen, die unter Art. 81 EG fallen, als problematisch erweisen, sondern entsprechend auch in Bezug auf den Missbrauch einer beherrschenden Stellung, die unter das Verbot des Art. 82 EG fällt. Schließlich könnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verhaltensweise als Facilitator, die z. B. in der Erteilung strategischer Ratschläge oder wirtschaftlichen Gutachten besteht, auch im Rahmen der Anwendung von Art. 82 EG geahndet wird.

73.      Zum Beispiel könnte es im Rahmen der Anwendung von Art. 81 EG somit ausreichen, nachzuweisen, dass ein Unternehmen anderen Unternehmen, die kollusive Verhaltensweisen auf einem bestimmten Markt an den Tag gelegt haben, auf irgendeine Weise geholfen oder sie unterstützt hat, ohne dass verlangt würde, dass es unabhängig von seiner Präsenz auf diesem Markt tatsächlich in der Lage war, auf die Unternehmen, die auf diesem Markt tätig sind oder sein wollen, irgendeinen Wettbewerbsdruck auszuüben, d. h. ohne Beurteilung der Wirtschaftskraft der Absprache(27). Im gleichen Sinne könnte einem oder mehreren Handelspartnern vorgeworfen werden, am Missbrauch einer beherrschenden Stellung beteiligt gewesen zu sein, unabhängig von der Prüfung der Frage, ob sie tatsächlich eine solche Position auf einem abgegrenzten Markt innehaben und ob sie in der Lage waren, den Wettbewerb auf einem bestimmten Markt tatsächlich zu beschränken.

74.      Durch die Bestätigung des von der Kommission in diesem Zusammenhang vertretenen Ergebnisses hat das Gericht meiner Ansicht nach die Bestimmungen des Art. 81 Abs. 1 EG vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips verkannt.

75.      Unter diesen Umständen muss an sich nicht bestimmt werden, ob – wie die Kommission vorträgt – die Rechtsmittelführerin vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass das in Art. 81 Abs. 1 EG verankerte Verbot grundsätzlich auf sie anwendbar war.

76.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen bin ich der Meinung, dass die Kommission AC‑Treuhand nicht unmittelbar für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verantwortlich machen konnte.

77.      Konnte sie aus einem anderen Grund verantwortlich sein? Das werde ich im Folgenden prüfen.

b)      Kann eine Gesellschaft, die auf die Mitglieder eines Kartells keinen Wettbewerbsdruck ausübt, Gehilfe einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot sein?

78.      Wenn die Haftung eines Unternehmens wie AC‑Treuhand als Haupttäter, wie ich meine, auszuschließen ist, da es auf dem relevanten Markt oder verbundenen Märkten nicht tätig ist, stellt sich noch die Frage, ob es wegen Beihilfe verantwortlich gemacht werden kann, ein Begriff, der allerdings im Gegensatz zum Urteil AC‑Treuhand I (vgl. u. a. Rn. 133) in der streitigen Entscheidung und im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich verwendet wird.

79.      Auf den ersten Blick ist dieser Gedanke sehr verführerisch. Denn unter Beihilfe versteht man allgemein jeden Beitrag zur Durchführung einer Zuwiderhandlung, insbesondere dadurch, dass dem Täter dabei geholfen oder er dabei unterstützt wird. Insoweit wird im Strafrecht zahlreicher Mitgliedstaaten eine Person, die durch ein positives Verhalten und meist vorsätzlich bei der Durchführung einer Zuwiderhandlung hilft oder sie erleichtert, ohne selbst die Tatbestandsmerkmale für diese Zuwiderhandlung zu erfüllen, als Gehilfe betrachtet.

80.      Die AC‑Treuhand vorgeworfenen Handlungen (Organisation von Zusammenkünften, Verteilung und Aufbewahrung der Dokumentation, Unterstützung und verschiedene Handlungen zur Geheimhaltung des Kartells) könnten auf den ersten Blick unter diese Qualifikation fallen, da das Verhalten dieses Unternehmens nachweislich in der Unterstützung der Kartellmitglieder bei der Errichtung und Durchführung des Kartells bestanden hat.

81.      Dennoch ist eine solche Schlussfolgerung mangels Identifizierung und genauer Einstufung der im vorliegenden Fall für verwerflich gehaltenen Verhaltensweisen schwer vorstellbar. In diesem Zusammenhang ist übrigens keineswegs vorgebracht worden, dass die Rolle von AC‑Treuhand im Vergleich zu der Rolle der von der streitigen Entscheidung erfassten am Kartell beteiligten Unternehmer nachrangig oder nebensächlich war.

82.      Außerdem und insbesondere wird meines Wissens nach zwar nahezu einstimmig eingeräumt, dass es einen Unterschied zwischen dem „Täter“ und dem „Gehilfen“ einer Zuwiderhandlung im Bereich der Strafverfolgung gibt, doch scheint mir eine solche Unterscheidung im Bereich der Verwaltung generell unbekannt zu sein. Wie der Gerichtshof aber bei zahlreichen Gelegenheiten bestätigt hat und obwohl dies umstritten gewesen sein mag, ist das Wettbewerbsrecht der Union verwaltungsrechtlicher Natur. Die Heranziehung des Konzepts der Beihilfe ist daher in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht sinnvoll. Im Recht der Mitgliedstaaten gibt es zwar sehr wohl Situationen, in denen in Betracht gezogen wurde, Personen oder Unternehmen, die zur Verwirklichung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften beigetragen haben, mit einer Sanktion zu belegen; ich konnte aber nur wenige solche Fälle finden, die zudem nationale Sonderbestimmungen(28) betreffen oder unmittelbar dem Urteil AC‑Treuhand I(29) folgen.

83.      Eine solche Strafbarkeit ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Wortlaut von Art. 81 EG oder den zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften.

84.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen bin ich der Meinung, dass beim derzeitigen Stand des Unionsrechts die Verfolgung von AC‑Treuhand nach Art. 81 Abs. 1 EG einer Rechtsgrundlage entbehrt.

85.      Das schließt freilich nicht aus, dass die AC‑Treuhand vorgeworfenen Beihilfehandlungen in der Zukunft auf der Grundlage einer besonderen Bestimmung geahndet werden können.

86.      In diesem Zusammenhang erscheint es mir interessant, darauf aufmerksam zu machen, dass sich in einigen Mitgliedstaaten der Gesetzgeber dazu entschlossen hat, besondere Vorschriften zur Bestrafung des Verhaltens als „Facilitator“ zu erlassen, die meist in den Bereich des Strafrechts fallen. Am Fall des Vereinigten Königreichs können die inhärenten Grenzen der Wettbewerbsvorschriften veranschaulicht werden, wenn es um die Erfassung von Handlungen zur Unterstützung der Einrichtung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen geht, denn dort wurde mit der Einführung eines besonderen Straftatbestands („criminal cartel offence“) durch Section 188 des Enterprise Act von 2002(30), in Kraft getreten im Juni 2003, beschlossen, einen Facilitator in der als „Marineschläuchekartell“ bekannten Sache zu bestrafen(31).

87.      Meiner Ansicht nach ist es allein Sache des Unionsgesetzgebers, einen Tatbestand vorzusehen, der die Gehilfen an einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erfasst. Ich möchte hervorheben, dass der Wunsch der Organe, die Effektivität der Politik, die sie umsetzen möchten, zu gewährleisten, mit den Geboten der Gesetzmäßigkeit und der Rechtssicherheit in Einklang gebracht werden muss. Wie ein Autor betonte, darf die Doktrin der praktischen Wirksamkeit den Gerichtshof nicht dazu bringen, Bestimmungen des Vertrags im Sinne einer maximalen Erweiterung der Zuständigkeiten der Organe auszulegen, sondern muss die Auslegung der maßgeblichen Vorschriften nach ihrem Zweck und ihrer Zielsetzung zulassen(32).

88.      Aus all diesen Gründen ist meiner Meinung nach der erste Rechtsmittelgrund begründet und das Urteil des Gerichts aufzuheben, ohne dass über die anderen Rechtsmittelgründe entschieden werden müsste.

89.      Da ich die Rechtssache für entscheidungsreif halte, schlage ich dem Gerichtshof außerdem vor, die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie AC‑Treuhand betrifft.

V –    Ergebnis

90.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.         Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Februar 2014, AC‑Treuhand/Kommission (T‑27/10, EU:T:2014:59), wird aufgehoben.

2.         Die Entscheidung K(2009) 8682 endg. der Kommission vom 11. November 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38589 – Wärmestabilisatoren) wird für nichtig erklärt, soweit sie die AC‑Treuhand AG betrifft.

3.         Die Europäische Kommission trägt sowohl die im ersten Rechtszug als auch die im Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – T‑27/10, EU:T:2014:59, im Folgenden: angefochtenes Urteil.


3 – Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union, 2010, C 307, S. 9.


4 – Es ist darauf hinzuweisen, dass gegen das Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2008, AC‑Treuhand/Kommission (T‑99/04, EU:T:2008:256) (im Folgenden: Urteil AC‑Treuhand I), mit dem sich das Gericht erstmals zur Anwendung von Art. 81 EG auf ein Beratungsunternehmen geäußert hat, das zur Durchführung einer Zuwiderhandlung beigetragen hat, kein Rechtsmittel eingelegt wurde. AC‑Treuhand wurde zwar in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG verantwortlich gemacht, doch wurde gegen sie nur eine Geldbuße von 1 000 Euro verhängt – ein rein symbolischer Betrag im Vergleich zu den gegen die anderen Unternehmen, die von der in jener Rechtssache angefochtenen Entscheidung betroffen waren, verhängten Geldbußen (Entscheidung 2005/349/EG der Kommission vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR‑Abkommen [Sache COMP/E‑2/37.857 – Organische Peroxide] [ABl. 2005, L 110, S. 44]).


5 – Mit einem kürzlich ergangenen Beschluss vom 4. Februar 2015 hat die Europäische Kommission gegen ICAP, einen im Vereinigten Königreich ansässigen Finanzmakler, eine Geldbuße in Höhe von 14,96 Mio. Euro verhängt, weil er sechs der sieben Kartelle im Bereich von Yen-Zinsderivaten durch Maßnahmen unterstützt hatte, die dazu beitrugen, die wettbewerbswidrigen Ziele der Kartellmitglieder zu erreichen. Eine Klage gegen diesen Beschluss wurde am 14. April 2015 beim Gericht eingereicht (Rechtssache T‑180/15, derzeit anhängig).


6 – Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).


7 – ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006.


8 – Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (32/79, EU:C:1980:189, Rn. 46).


9 – Urteile Kommission/Anic Partecipazioni (C‑49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 79) und Kommission/Volkswagen (C‑74/04 P, EU:C:2006:460, Rn. 37).


10 – Urteil Evonik Degussa/Kommission (C‑266/06 P, EU:C:2008:295).


11 – Entscheidung 2005/349.


12 – Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission (C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 217 ff.).


13 – Urteil Consten und Grundig/Kommission (56/64 und 58/64, EU:C:1966:41).


14 – Entscheidung 80/1334/EWG der Kommission vom 17. Dezember 1980 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/29.869 – Gussglas in Italien) (ABl. L 383, S. 19).


15 – Hervorhebung nur hier.


16 – Vgl. Urteil LTM (56/65, EU:C:1966:38), in dem unter Hinweis darauf, dass Art. 85 Abs. 1 des EG-Vertrags (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) nicht danach unterscheidet, ob die Vertragspartner auf der gleichen Wirtschaftsstufe (sogenannte „horizontale“ Vereinbarungen) oder auf verschiedenen Stufen (sogenannte „vertikale“ Vereinbarungen) tätig sind, erläutert wurde, dass auf den Wettbewerb, der angeblich beeinträchtigt wird, abzustellen ist, wie er ohne die streitige Vereinbarung bestehen würde (vgl. u. a. S. 302 und 303 des Urteils).


17 – Vgl. Urteil CB/Kommission (C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 51).


18 – Vgl. u. a. Nr. I.2 der Bekanntmachung der Kommission vom 3. September 1986 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fallen (ABl. C 231, S. 2), wonach „Vereinbarungen … nur verboten [sind], wenn sie spürbare Auswirkungen auf die Marktverhältnisse haben, d. h. wenn die Marktstellung dritter Unternehmen und der Verbraucher, also deren Absatz- oder Versorgungsmöglichkeiten, spürbar verändert werden“. Die Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 [EG] nicht spürbar beschränken (de minimis) (ABl. 2001, C 368, S. 13) übernimmt ähnliche Erwägungen in ihrer Nr. I, wonach u. a. „[d]er Gerichtshof … präzisiert [hat], dass [Art. 81 Abs. 1 EG] nicht eingreift, wenn die Vereinbarung keine spürbaren Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel hat oder keine spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorliegt“.


19 – Es ist allgemein anerkannt, dass Art. 81 EG verschiedene Arten der Kollusion erfasst, die sich in mehr oder weniger förmlichen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen, die nicht durch Verträge im eigentlichen Sinne bestätigt sind, darstellen. Es reicht nämlich aus, dass die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, und die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, ist als solche nicht entscheidend (vgl. u. a. Urteil Kommission/Volkswagen, C‑74/04 P, EU:C:2006:460, Rn. 37).


20 – Schlussanträge von Generalanwalt Mayras in den verbundenen Rechtssachen Suiker Unie u. a./Kommission (40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, EU:C:1975:78).


21 – Vgl. in dieser Hinsicht Urteil Erste Group Bank u. a./Kommission (C‑125/07 P, C‑133/07 P und C‑137/07 P, EU:C:2009:576, Rn. 60).


22 – Urteil Italien/Rat und Kommission (32/65, EU:C:1966:42).


23 – 56/64 und 58/64, EU:C:1966:41, S. 337.


24 – Im 668. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung zur Bestimmung der Höhe des Bußgeldes wird jedoch darauf hingewiesen, dass AC‑Treuhand für ihre „unmittelbare Teilnahme“ an den Kartellen in diesen Zeiträumen haftet.


25 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Wouters u. a. (C‑309/99, EU:C:2002:98, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26 – Wie der Gerichtshof bereits sehr früh festgestellt hat, kennzeichnet die allgemeine Fassung des Kartellverbots im Vertrag zwar die Absicht, alle Formen von Kartellen zu erfassen, doch gestattet ihr restriktiver Charakter nicht, das Verbot über die drei abschließend aufgezählten Formen von Kartellen hinaus auszudehnen (vgl. Urteil Parke, Davis and Co., 24/67, EU:C:1968:11, S. 111).


27 – Für eine Veranschaulichung dieser Gefahr vgl. u. a. Urteile Deltafina/Kommission (T‑29/05, EU:T:2010:355, Rn. 45 f.) und Gütermann/Kommission (T‑456/05 und T‑457/05, EU:T:2010:168, Rn. 53).


28 – Vgl. u. a. ein Urteil der Cour d’appel de Paris vom 26. September 1991, in dem in Betracht gezogen wurde, einen Rechtsanwalt wegen einer Rechtsberatung über einen Mechanismus für abgestimmte Verhaltensweisen zu bestrafen, zugleich aber entschieden wurde, dass dies unter das Berufsgeheimnis falle. Es ist wichtig zu erwähnen, dass zum einen Art. L. 420.1 des französischen Handelsgesetzbuchs, der Kartelle betrifft, die Unternehmenseigenschaft der Parteien nicht als Tatbestandsmerkmal vorsieht und dass zum anderen Art. L. 420-6 dieses Gesetzbuchs die Möglichkeit vorsieht, „jede natürliche Person, die persönlich und maßgeblich an der Planung, Organisation und Durchführung von [wettbewerbswidrigen] Verhaltensweisen im Sinne der Art. L. 420-1 und L. 420-2 in betrügerischer Absicht beteiligt ist“, mit einer Geld- oder Haftstrafe zu bestrafen.


29 – Die Nederlandse Mededingingsautoriteit (niederländische Wettbewerbsbehörde), jetzt Autoriteit Consument & Markt, bestrafte am 12. Juni 2009 eine Ingenieurgesellschaft wegen ihrer Rolle als Facilitator im Bereich Lackierung (https://www.acm.nl/en/publications/publication/6366/NMa-imposes-fine-on-two-cartels-and-cartel-facilitator-in-Dutch-painting-industry/). Kürzlich verhängte sie gegen einen Facilitator im Landwirtschaftsbereich eine Geldbuße von 5 000 Euro (https://www.acm.nl/en/publications/publication/6749/NMa-fines-two-cartels-in-agricultural-industry/).


30 – Diese Bestimmung sieht Folgendes vor: „An individual is guilty of an offence if he dishonestly agrees with one or more other persons to make or implement, or to cause to be made or implemented, arrangements of the following kind relating to at least two undertakings.“


31 – Nach der vom UK Office of Fair Trading erlassenen Entscheidung wurden natürliche Personen wegen der Beteiligung an diesem Kartell zu Haftstrafen bis zu drei Jahren verurteilt.


32 – Vgl. Pescatore, P., „Monisme et dualisme et ‚effet utile‘ dans la jurisprudence de la Cour de justice de la Communauté européenne“, in Une communauté de droit, 2003, S. 340.