Language of document : ECLI:EU:C:2023:918

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

23. November 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens – Richtlinie 2014/25/EU – Art. 57 Abs. 3 – Auftraggeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes einer zentralen Beschaffungsstelle, die in seinem Auftrag und auf seine Rechnung handelt – Zugang zu den Nachprüfungsverfahren – Anwendbare Verfahrensvorschriften und Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen“

In der Rechtssache C‑480/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2022, in dem Verfahren

EVN Business Service GmbH,

Elektra EOOD,

Penon EOOD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi (Berichterstatter) sowie der Richter M. Ilešič und D. Gratsias,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,


Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der EVN Business Service GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Schwartz,

–        der Elektra EOOD, vertreten durch Rechtsanwalt O. Radinsky,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und M. Winkler-Unger als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und G. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft insbesondere die Auslegung von Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen mehrerer Beschwerden der EVN Business Service GmbH (im Folgenden: EBS), einer Gesellschaft nach österreichischem Recht mit Sitz in Österreich, und zweier in Bulgarien ansässiger Gesellschaften gegen die Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (Österreich), mit denen sich dieses für unzuständig als Nachprüfungsstelle der Auftragsvergabe erklärt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 92/13

3        Die Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14) in der Fassung der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 92/13) enthält den Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“), der in Abs. 1 Unterabs. 1 und 4 Folgendes vorsieht:

„Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie [2014/25], sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 18 bis 24, 27 bis 30, 34 oder 55 jener Richtlinie ausgeschlossen sind.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie [2014/25] beziehungsweise der Richtlinie [2014/23] fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.“

 Richtlinie 2014/25

4        In den Erwägungsgründen 78 und 82 der Richtlinie 2014/25 heißt es:

„(78)      In den meisten Mitgliedstaaten kommen zunehmend zentralisierte Beschaffungsverfahren zum Einsatz. Zentrale Beschaffungsstellen haben die Aufgabe, entgeltlich oder unentgeltlich für andere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber Ankäufe zu tätigen, dynamische Beschaffungssysteme zu verwalten oder Aufträge zu vergeben beziehungsweise Rahmenvereinbarungen zu schließen. Die Auftraggeber, für die eine Rahmenvereinbarung geschlossen wird, sollten sie für einzelne oder wiederkehrende Aufträge nutzen können. In Anbetracht der großen Mengen, die beschafft werden, sollten diese Verfahren zur Verbesserung des Wettbewerbs beitragen und sollte mit ihnen das öffentliche Auftragswesen professionalisiert werden. Daher sollte eine unionsweit geltende Definition des Begriffs der für Auftraggeber tätigen zentralen Beschaffungsstellen festgelegt werden, und es sollte klargestellt werden, dass zentrale Beschaffungsstellen auf zwei unterschiedliche Arten tätig sind.

Sie sollten in der Lage sein, durch Ankauf, Lagerung und Weiterverkauf zum einen als Großhändler oder durch die Vergabe von Aufträgen, den Betrieb dynamischer Beschaffungssysteme oder den Abschluss von Rahmenvereinbarungen, die durch Auftraggeber zu verwenden sind, zum anderen als Zwischenhändler zu wirken.

Eine derartige Rolle als Zwischenhändler könnte in manchen Fällen im Wege einer autonomen, ohne detaillierte Anweisungen seitens der betreffenden Auftraggeber erfolgenden Durchführung der jeweiligen Vergabeverfahren ausgeübt werden, in anderen Fällen im Wege einer nach den Anweisungen der betreffenden Auftraggeber, in deren Auftrag und auf deren Rechnung erfolgenden Durchführung der jeweiligen Vergabeverfahren.

Außerdem sollten die jeweiligen Zuständigkeiten der zentralen Beschaffungsstelle und der Auftraggeber, die ihre Beschaffungen über die zentrale Beschaffungsstelle abwickeln, für die Einhaltung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen, auch im Falle von Rechtsmitteln, durch geeignete Vorschriften geregelt werden. Obliegt die Durchführung der Vergabeverfahren allein der zentralen Beschaffungsstelle, so sollte diese auch die alleinige und unmittelbare Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Verfahren tragen. Führt eine Vergabestelle bestimmte Teile des Verfahrens, beispielsweise einen erneuten Aufruf zum Wettbewerb auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung oder die Vergabe von Einzelaufträgen auf der Grundlage eines dynamischen Beschaffungssystems durch, so sollte sie auch für die von ihr durchgeführten Verfahrensschritte verantwortlich bleiben.

(82)      Einer gemeinsamen Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten stehen derzeit noch gewisse rechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich konfligierender nationaler Rechtsvorschriften entgegen. Wenngleich die Richtlinie 2004/17/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1)] implizit eine grenzüberschreitende gemeinsame öffentliche Auftragsvergabe zulässt, sehen sich Auftraggeber noch immer beträchtlichen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten bei der Beschaffung über zentrale Beschaffungsstellen in anderen Mitgliedstaaten oder bei der gemeinsamen Vergabe von Aufträgen gegenüber. Damit Auftraggeber durch Größenvorteile und eine Risiko-Nutzen-Teilung das Potenzial des Binnenmarkts optimal ausschöpfen können, nicht zuletzt im Hinblick auf innovative Projekte, die höhere Risiken bergen, als sie nach vernünftigem Ermessen von einer einzelnen Vergabestelle getragen werden können, sollten diese Schwierigkeiten beseitigt werden. Daher sollten neue Vorschriften für die grenzüberschreitende gemeinsame Beschaffung festgelegt werden, um die Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern zu erleichtern und die Vorteile des Binnenmarkts durch die Schaffung grenzüberschreitender Geschäftsmöglichkeiten für Lieferanten und Diensteanbieter zu erhöhen. Mit diesen Vorschriften sollten die Bedingungen für die grenzüberschreitende Nutzung zentraler Beschaffungsstellen festgelegt und das in grenzüberschreitenden gemeinsamen Beschaffungsverfahren anwendbare Recht für die öffentliche Auftragsvergabe, einschließlich der anwendbaren Rechtsvorschriften für Rechtsmittel, bestimmt werden, ergänzend zu den Kollisionsnormen der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6)]. Darüber hinaus können Auftraggeber aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten gemeinsame juristische Personen nach nationalem Recht oder Unionsrecht gründen. Für derartige Formen gemeinsamer Beschaffung sollten spezifische Regeln eingeführt werden.

Die Auftraggeber sollten jedoch die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden gemeinsamen Beschaffung nicht dazu nutzen, im Einklang mit dem Unionsrecht stehende verbindliche Vorschriften des öffentlichen Rechts zu umgehen, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, auf sie anwendbar sind. Zu solchen Vorschriften können beispielsweise Bestimmungen über Transparenz und Zugang zu Dokumenten oder spezifische Anforderungen bezüglich der Rückverfolgbarkeit empfindlicher Lieferungen gehören.“

5        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/25 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

10.      ‚zentrale Beschaffungstätigkeiten‘ auf Dauer durchgeführte Tätigkeiten in einer der folgenden Formen:

a)      Erwerb von Waren und/oder Dienstleistungen für Auftraggeber;

b)      Vergabe von Aufträgen oder Abschluss von Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für Auftraggeber;

12.      ‚zentrale Beschaffungsstelle‘ einen Auftraggeber im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie oder einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 1 der Richtlinie 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)], der zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausübt.

Beschaffungen, die von einer zentralen Beschaffungsstelle zum Zweck zentraler Beschaffungstätigkeiten vorgenommen werden, gelten als Beschaffungen zur Ausübung einer Tätigkeit gemäß den Artikeln 8 bis 14. Artikel 18 gilt nicht für Beschaffungen, die von einer zentralen Beschaffungsstelle zum Zweck zentraler Beschaffungstätigkeiten vorgenommen werden;

…“

6        Art. 4 („Auftraggeber“) der Richtlinie 2014/25 bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie sind Auftraggeber Stellen, die

a)      öffentliche Auftraggeber oder öffentliche Unternehmen sind und eine Tätigkeit im Sinne der Artikel 8 bis 14 ausüben;

b)      wenn sie keine öffentlichen Auftraggeber oder keine öffentlichen Unternehmen sind, eine Tätigkeit im Sinne der Artikel 8 bis 14 oder mehrere dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden.

(2)      [Unter] ‚öffentliches Unternehmen‘ [wird] ein Unternehmen [verstanden], auf das die öffentlichen Auftraggeber aufgrund der Eigentumsverhältnisse, der finanziellen Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Bestimmungen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben können[.]

…“

7        Art. 57 („Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten“) dieser Richtlinie schreibt in den Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      Unbeschadet der Artikel 28 bis 31 können Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Aufträgen gemeinsam vorgehen, indem sie auf eines der in diesem Artikel vorgesehenen Mittel zurückgreifen.

Die Auftraggeber dürfen die in diesem Artikel vorgesehenen Mittel nicht dazu verwenden, die Anwendung von im Einklang mit dem Unionsrecht stehenden verbindlichen Bestimmungen des öffentlichen Rechts zu umgehen, denen sie in ihrem Mitgliedstaat unterliegen.

(2)      Ein Mitgliedstaat untersagt seinen Auftraggebern nicht, zentrale Beschaffungstätigkeiten in Anspruch zu nehmen, die von zentralen Beschaffungsstellen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat angeboten werden.

In Bezug auf zentrale Beschaffungstätigkeiten, die durch eine zentrale Beschaffungsstelle angeboten werden, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Auftraggeber hat, haben die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, festzulegen, dass ihre Auftraggeber nur von den zentralen Beschaffungstätigkeiten im Sinne des Artikels 2 Nummer 10 Buchstabe a oder b Gebrauch machen dürfen.

(3)      Die zentrale Beschaffung durch eine zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat.

Die nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, gelten auch für Folgendes:

a)      Vergabe eines Auftrags im Rahmen eines dynamischen Beschaffungssystems;

b)      Durchführung einer Neueröffnung des Wettbewerbs gemäß einer Rahmenvereinbarung.“

 Österreichisches Recht

8        § 180 („Gemeinsame grenzüberschreitende Auftragsvergabe mehrerer Sektorenauftraggeber“) des Bundesvergabegesetzes 2018 vom 20. August 2018 (BGBl. I 65/2018) (im Folgenden: BVergG 2018) bestimmt in Abs. 2:

„Wird eine zentrale Beschaffungstätigkeit für einen Sektorenauftraggeber durch eine zentrale Beschaffungsstelle gemäß Art. 2 Z 12 der Richtlinie 2014/25/EU mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder mit Sitz in einer sonstigen Vertragspartei des EWR-Abkommens durchgeführt, so unterliegt

1.      die Durchführung des Vergabeverfahrens,

den Regelungen des Sitzstaates der zentralen Beschaffungsstelle.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        Mit einer am 22. Mai 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Bekanntmachung wurde ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über eine Rahmenvereinbarung im Hinblick auf die Durchführung von Elektroinstallationsarbeiten sowie der damit verbundenen Bau- und Demontagearbeiten eingeleitet. Der Auftrag wurde (gebietsweise) in 36 Lose unterteilt, deren Leistungsort in Bulgarien lag. Der Auftragswert überschritt den Schwellenwert, ab dem die europarechtlichen Verfahrens- und Bekanntmachungsvorschriften bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zur Anwendung kommen.

10      Die Elektrorazpredelenie Yug EAD (im Folgenden: ER Yug), eine Aktiengesellschaft nach bulgarischem Recht mit Sitz in Bulgarien, war im Rahmen dieses Vergabeverfahrens Auftraggeberin.

11      EBS, eine Gesellschaft nach österreichischem Recht mit Sitz in Österreich, trat in diesem Vergabeverfahren als zentrale Beschaffungsstelle und Stellvertreterin von ER Yug auf.

12      Sowohl ER Yug als auch EBS stehen mittelbar zu 100 % im Eigentum der EVN AG, die wiederum zu 51 % vom Land Niederösterreich (Österreich) gehalten wird.

13      Nach der Ausschreibung war die EBS für die Abwicklung und Durchführung der Ausschreibung zuständig, der Vertrag über die nachgefragten Leistungen sollte mit der ER Yug als Sektorenauftraggeberin abgeschlossen werden. In dieser Ausschreibung war als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich angegeben. Es war dort vorgesehen, dass für das „Vergabeverfahren und alle daraus erwachsenen Ansprüche“ österreichisches Recht gelte, für „die Vertragsabwicklung“ bulgarisches Recht.

14      Die Elektra EOOD und die Penon EOOD, zwei bulgarische Unternehmen, legten im Rahmen des Rahmenvertrags Angebote für verschiedene Lose. Mit Entscheidungen vom 28. und 30. Juli 2020 wurde ihnen mitgeteilt, dass ihre Angebote nicht berücksichtigt worden seien.

15      Ihre Anträge auf Nichtigerklärung dieser Entscheidungen wurden am 23. September 2020 mit Beschlüssen des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen.

16      Das Landesverwaltungsgericht führte aus, dass es mit der Frage angerufen worden sei, ob ein bulgarisches Unternehmen mit einem in Bulgarien ansässigen Auftraggeber einen Vertrag schließen könne, der in Bulgarien zu erfüllen sei und dem Recht dieses Staates unterliege. Würde man unter diesen Umständen eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts bejahen, würde dies massiv in die Souveränität der Republik Bulgarien eingreifen, und dies stünde in einem Spannungsverhältnis zum völkerrechtlich anerkannten Territorialitätsprinzip. Eine Beherrschung der ER Yug durch das Land Niederösterreich sage noch nichts über eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts für Auftragsvergaben an Unternehmen mit Sitz im Ausland aus.

17      Außerdem sehe das BVergG 2018 in seinem § 180 Abs. 2 ebenso wie Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 eine Regelung für zentrale Beschaffungstätigkeiten vor, die auf Rechnung eines Sektorenauftraggebers von einer zentralen Beschaffungsstelle mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich dieser Auftraggeber befinde, ausgeführt würden. Diese Regelung beschränke sich jedoch darauf, vorzusehen, welches materielle Vergaberecht für das Vergabeverfahren maßgeblich sei, ohne festzulegen, welches Verfahrensrecht auf ein etwaiges Nachprüfungsverfahren anzuwenden sei. Zwar werde im 82. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25 auf die anwendbaren Rechtsvorschriften „für Rechtsmittel“ verwiesen; dies finde im Richtlinientext aber keinen Niederschlag. Im Übrigen sei das Rechtsmittelverfahren von dem Ausdruck „zentrale Beschaffung“ in Art. 57 der Richtlinie nicht erfasst.

18      Elektra, Penon und EBS erhoben gegen die oben genannten Beschlüsse Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Österreich). Sie legten eine beglaubigte Übersetzung einer Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Republik Bulgarien vor, mit der die Entscheidung der bulgarischen Vergabekontrollbehörde über ihre Unzuständigkeit in der gegenständlichen Vergabesache bestätigt wurde.

19      Sie machen geltend, dass Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 – und folglich § 180 Abs. 2 BVergG 2018 – im Hinblick auf sein Ziel, ein einheitliches Regelungsregime für grenzüberschreitende zentrale Beschaffungen vorzusehen, dahin auszulegen seien, dass sie nicht nur das Vergabeverfahren im eigentlichen Sinne erfassten, sondern auch das Nachprüfungsverfahren, das gegebenenfalls auf ein solches Vergabeverfahren folgen könne. Wenn von einer zentralen Beschaffungsstelle materiell österreichisches Vergaberecht anzuwenden sei, dann sei das Rechtsschutzverfahren vor den österreichischen Nachprüfungsstellen nach österreichischem Verfahrensrecht zu führen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt sei somit der Sitz der zentralen Beschaffungsstelle.

20      Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin gehend auszulegen, dass eine zentrale Beschaffung durch eine zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz „in einem anderen Mitgliedstaat“ dann vorliegt, wenn der Auftraggeber – unabhängig von der Frage der Zurechnung der Beherrschung dieses Auftraggebers – seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als die zentrale Beschaffungsstelle hat?

2.      Falls Frage 1 bejaht wird:

Erfasst die Kollisionsnorm des Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25, wonach die „zentrale Beschaffung“ durch eine zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats erfolgt, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, auch die Rechtsvorschriften für Nachprüfungsverfahren und die Zuständigkeit der Nachprüfungsstelle im Sinn der Richtlinie 92/13?

3.      Falls Frage 1 oder Frage 2 verneint wird:

Ist die Richtlinie 92/13 und insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 dahin gehend auszulegen, dass die Zuständigkeit einer nationalen Nachprüfungsstelle zur Nachprüfung von Entscheidungen der Auftraggeber alle Auftraggeber erfassen muss, die ihren Sitz im Mitgliedstaat der Nachprüfungsstelle haben, oder hat sich die Zuständigkeit danach zu richten, ob der beherrschende Einfluss über den Auftraggeber (im Sinn des Art. 3 Nr. 4 Buchst. c bzw. des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25) von einer Gebietskörperschaft bzw. einer Einrichtung des öffentlichen Rechts ausgeht, die dem Mitgliedstaat der Nachprüfungsstelle zuzuordnen ist?

 Zur ersten Frage

21      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass eine zentrale Beschaffung im Rahmen der gemeinsamen Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten von einer zentralen Beschaffungsstelle „mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat“ durchgeführt wird, wenn der Auftraggeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes der zentralen Beschaffungsstelle hat, ohne dass es darauf ankommt, dass er von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, beherrscht wird.

22      Nach Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 erfolgt die zentrale Beschaffung durch eine zentrale Beschaffungsstelle mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat. Die nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, gelten auch für die Vergabe eines Auftrags im Rahmen eines dynamischen Beschaffungssystems sowie die Durchführung einer Neueröffnung des Wettbewerbs gemäß einer Rahmenvereinbarung.

23      Der Ausdruck „zentrale Beschaffungsstelle“ ist in Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2014/25 definiert als Auftraggeber im Sinne von Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie oder öffentlicher Auftraggeber im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2014/24, der zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausübt.

24      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass das vorlegende Gericht hauptsächlich Zweifel daran hat, wie zwischen dem Mitgliedstaat des Sitzes des Auftraggebers und dem des Sitzes der zentralen Beschaffungsstelle unterschieden werden kann. Es fragt mit anderen Worten nach dem Kriterium für die Zuordnung eines Auftraggebers zu einem Mitgliedstaat für die Zwecke der Anwendung von Art. 57 der Richtlinie 2014/25.

25      Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die anderen Beteiligten sind sich darin einig, dass das Anknüpfungskriterium der Ort sein muss, an dem der Auftraggeber seinen Sitz hat, und dass es in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob und gegebenenfalls in welcher Weise und in welchem Umfang der Auftraggeber im Eigentum einer anderen Einrichtung steht, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Daher wäre die in Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 vorgesehene Regel anwendbar, wenn sich die zentrale Beschaffungsstelle und der andere Auftraggeber in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden, wie im vorliegenden Fall in Österreich und in Bulgarien.

26      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die zentrale Beschaffungsstelle als auch die Stelle, die das Vergabeverfahren durchführt, öffentliche Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 2014/25 sind, so dass das Kriterium für die Anknüpfung an einen Mitgliedstaat nicht je nach Stelle unterschiedlich ausfallen kann.

27      Im Übrigen sieht Art. 57 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass die Auftraggeber die gemeinsame Vergabe von grenzüberschreitenden Aufträgen nicht dazu verwenden dürfen, die Anwendung von im Einklang mit dem Unionsrecht stehenden verbindlichen Bestimmungen des öffentlichen Rechts zu umgehen, denen sie „in ihrem Mitgliedstaat“ unterliegen. Abs. 2 dieses Artikels bezieht sich auf zentrale Beschaffungstätigkeiten, die durch eine zentrale Beschaffungsstelle angeboten werden, „die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Auftraggeber hat“.

28      Ungeachtet des Umstands, dass die Richtlinie 2014/25 somit zur Feststellung, welchem Mitgliedstaat ein Auftraggeber zuzuordnen ist, teilweise unterschiedliche Ausdrücke verwendet, auch in ihren verschiedenen Sprachfassungen, lassen diese Ausdrücke gleichwohl erkennen, dass das vom Unionsgesetzgeber gewählte Anknüpfungskriterium territorialen Charakter hat, was im Übrigen der allgemeinen Regel entspricht, die sich im Wesentlichen aus Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie ergibt, wonach jeder Auftraggeber die Vorschriften einhalten muss, die in dem Mitgliedstaat gelten, in dem er ansässig ist.

29      Daher ist in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem sich die zentrale Beschaffungsstelle und der Auftraggeber in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden, davon auszugehen, dass es sich um die Vergabe eines grenzüberschreitenden Auftrags handelt, die von einer zentralen Beschaffungsstelle durchgeführt wird.

30      Hierzu ist festzustellen, dass dieser Richtlinie und insbesondere ihrem Art. 57 nicht zu entnehmen ist, dass ein relevantes Anknüpfungskriterium für einen Auftraggeber darin bestünde, ob eine regionale Gebietskörperschaft oder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die diesen Auftraggeber beherrscht, zu einem bestimmten Mitgliedstaat gehört. Wenn der Unionsgesetzgeber das Kriterium, mit dem auf eine Verbindung zwischen einem Auftraggeber und einer anderen Stelle abgestellt wird, verwenden wollte, hat er es ausdrücklich verwendet, wie in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie.

31      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass eine zentrale Beschaffung im Rahmen der gemeinsamen Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten von einer zentralen Beschaffungsstelle mit Sitz „in einem anderen Mitgliedstaat“ durchgeführt wird, wenn der Auftraggeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes der zentralen Beschaffungsstelle hat, gegebenenfalls auch unabhängig vom Sitz einer dritten Stelle, die den Auftraggeber oder die zentrale Beschaffungsstelle beherrscht.

 Zur zweiten Frage

32      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen ist, dass sich die in dieser Bestimmung verankerte Kollisionsnorm, wonach die zentralen Beschaffungstätigkeiten einer zentralen Beschaffungsstelle gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, erfolgen, auf Nachprüfungsverfahren im Sinne der Richtlinie 92/13 erstreckt, die diese Tätigkeiten betreffen.

33      Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, legt Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 nicht ausdrücklich fest, ob die nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, auch die Nachprüfungsverfahren und die Zuständigkeit der Nachprüfungsstelle im Sinne der Richtlinie 92/13 regeln.

34      Die „zentralen Beschaffungstätigkeiten“, auf die diese Bestimmung Bezug nimmt, werden in Art. 2 Nr. 10 der Richtlinie 2014/25 definiert als auf Dauer durchgeführte Tätigkeiten entweder in Form des Erwerbs von Waren und/oder Dienstleistungen für Auftraggeber oder in Form der Vergabe von Aufträgen oder des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für Auftraggeber.

35      Zwar scheint sich Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 auf der Basis einer wörtlichen Auslegung nur auf das materielle Vergaberecht zu beziehen, doch schließt sein Wortlaut nicht aus, dass sich diese Bestimmung sowohl auf die Rechtsvorschriften im Bereich der Nachprüfungsverfahren als auch auf die Zuständigkeit der Nachprüfungsstelle im Sinne der Richtlinie 92/13 erstreckt.

36      Unter diesen Umständen sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 29. Juni 2023, Interfel, C‑501/22 bis C‑504/22, EU:C:2023:531, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Ferner ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung bei mehreren möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (Urteil vom 29. Juni 2023, Interfel, C‑501/22 bis C‑504/22, EU:C:2023:531, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem 78. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25 die jeweiligen Zuständigkeiten der zentralen Beschaffungsstelle und der Auftraggeber, die ihre Beschaffungen über die zentrale Beschaffungsstelle abwickeln, für die Einhaltung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen, auch im Fall von Rechtsmitteln, durch geeignete Vorschriften geregelt werden sollten.

39      Dieser Erwägungsgrund betrifft zwei Fallgestaltungen, von denen die erste dadurch gekennzeichnet ist, dass die zentrale Beschaffungsstelle die alleinige Verantwortung für die Durchführung der Vergabeverfahren trägt, und die zweite dadurch, dass ein Auftraggeber bestimmte Teile des Verfahrens wie den erneuten Aufruf zum Wettbewerb auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung oder die Vergabe von Einzelaufträgen auf der Grundlage eines dynamischen Beschaffungssystems durchführt. Im ersten Fall sollte die zentrale Beschaffungsstelle die alleinige und unmittelbare Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Verfahren tragen, im zweiten Fall sollte sie für die von ihr durchgeführten Verfahrensschritte verantwortlich bleiben.

40      Außerdem heißt es im 82. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25, dass neue Vorschriften für die grenzüberschreitende gemeinsame Beschaffung festgelegt werden sollten und dass mit diesen Vorschriften die Bedingungen für die grenzüberschreitende Nutzung zentraler Beschaffungsstellen festgelegt und das in grenzüberschreitenden gemeinsamen Beschaffungsverfahren anwendbare Recht für die öffentliche Auftragsvergabe, einschließlich der anwendbaren Rechtsvorschriften für Rechtsmittel, bestimmt werden sollen.

41      Aus diesen Erwägungsgründen geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber nicht nur das materielle Recht festlegen wollte, das für grenzüberschreitende Aufträge und zentrale Beschaffungsstellen gilt, sondern auch das Recht in Bezug auf die Nachprüfungsverfahren, zu denen diese Aufträge und diese Tätigkeiten führen können.

42      Folglich ist einer Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2014/25, die solche Aufträge und Tätigkeiten regeln, der Vorzug zu geben, wonach sich sowohl das materielle Recht als auch das Recht in Bezug auf Nachprüfungsverfahren erfassen lässt.

43      Somit ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 2014/25 auf das Recht der Mitgliedstaaten nicht nur hinsichtlich der Bestimmungen dieses Rechts verweist, die den Ablauf des Verfahrens zur Vergabe grenzüberschreitender Aufträge regeln, sondern auch hinsichtlich derjenigen Bestimmungen, die die Nachprüfungsverfahren einschließlich der gerichtlichen Nachprüfungsverfahren regeln, die im Anschluss an ein solches Vergabeverfahren möglicherweise durchgeführt werden.

44      Eine solche Auslegung steht zudem im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 2014/25, eine einheitliche Regelung für grenzüberschreitende zentrale Beschaffungen einzuführen. Da eine zentrale Beschaffungsstelle ihre zentralen Beschaffungstätigkeiten gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, durchzuführen hat, ist es nämlich offensichtlich konsequent, das möglicherweise eingeleitete Nachprüfungsverfahren nach dem Recht dieses Mitgliedstaats durchzuführen und die Zuständigkeit der betreffenden Nachprüfungsstelle nach eben diesem Recht bestimmen zu lassen.

45      Im Übrigen liegt der Grundsatz, dass die Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem ein Auftraggeber seinen Sitz hat, die Nachprüfungsverfahren betreffend die von diesen Auftraggebern ergriffenen Maßnahmen regeln, der Regelung in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 92/13 zugrunde, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/25 beziehungsweise der Richtlinie 2014/23 fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

46      Dies schließt, wie die Europäische Kommission angemerkt hat, nicht aus, dass gegebenenfalls zwischen dem auf das Vergabeverfahren anwendbaren Recht und dem auf die später geschlossenen Verträge anwendbaren Recht zu unterscheiden ist.

47      Es ist auch Sache der nationalen Gerichte, bei denen ein Rechtsstreit aus einem Verfahren zur Vergabe eines grenzüberschreitenden Auftrags anhängig ist, unter Berücksichtigung der in Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 aufgestellten Regel, auf die in Rn. 27 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den an der Durchführung dieses Verfahrens beteiligten Akteuren und den sich daraus gegebenenfalls ergebenden Grenzen ihrer Befugnisse besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

48      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 im Licht der Erwägungsgründe 78 und 82 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sich die in dieser Bestimmung verankerte Kollisionsnorm, wonach die zentralen Beschaffungstätigkeiten einer zentralen Beschaffungsstelle gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, erfolgen, auf Nachprüfungsverfahren im Sinne der Richtlinie 92/13 erstreckt, die diese Tätigkeiten betreffen, soweit diese zentrale Beschaffungsstelle das Vergabeverfahren durchgeführt hat.

 Zur dritten Frage

49      In Anbetracht der Antworten auf die erste und die zweite Frage ist auf die dritte Frage, die das vorlegende Gericht nur für den Fall gestellt hat, dass die erste oder die zweite Frage verneint wird, nicht zu antworten.

 Kosten

50      Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG

ist dahin auszulegen, dass

eine zentrale Beschaffung im Rahmen der gemeinsamen Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten von einer zentralen Beschaffungsstelle „mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat“ durchgeführt wird, wenn der Auftraggeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes der zentralen Beschaffungsstelle hat, gegebenenfalls auch unabhängig vom Sitz einer dritten Stelle, die den Auftraggeber oder die zentrale Beschaffungsstelle beherrscht.


2.      Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/25 ist im Licht der Erwägungsgründe 78 und 82 dieser Richtlinie

dahin auszulegen, dass

sich die in dieser Bestimmung verankerte Kollisionsnorm, wonach die zentralen Beschaffungstätigkeiten einer zentralen Beschaffungsstelle gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem diese zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat, erfolgen, auf Nachprüfungsverfahren im Sinne der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der Fassung der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe erstreckt, die diese Tätigkeiten betreffen, soweit diese zentrale Beschaffungsstelle das Vergabeverfahren durchgeführt hat.

Csehi

Ilešič

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. November 2023.

Der Kanzler

 

Der Kammerpräsident

A. Calot Escobar

 

Z. Csehi


*      Verfahrenssprache: Deutsch.