Language of document : ECLI:EU:T:2022:112

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

2. März 2022(*)

„Schiedsklausel – Finanzhilfevereinbarung im Rahmen des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ – Kündigung der Vereinbarung – Berufliches Fehlverhalten – Eigenschaft als Finanzhilfeempfänger oder als Person, die in dessen Namen oder in dessen Auftrag handelt“

In der Rechtssache T‑688/19,

VeriGraft AB mit Sitz in Göteborg (Schweden), vertreten durch P. Hansson und A. Johansson, Rechtsanwälte,

Klägerin,

gegen

Exekutivagentur für den Innovationsrat und für KMU, vertreten durch A. Galea als Bevollmächtigte im Beistand von D. Waelbroeck und A. Duron, Rechtsanwälte,

Beklagte,

wegen einer Klage nach Art. 272 AEUV auf Feststellung der Unwirksamkeit der von der Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen (EASME) ausgesprochenen Kündigung der im Rahmen des Instruments zur Förderung der Innovation in kleinen und mittleren Unternehmen innerhalb des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020) geschlossenen Finanzhilfevereinbarung für das Projekt „Personalized Tissue-Engineered Veins as the first Cure for Patients with Chronic Venous Insufficiency – P-TEV“ (Aus Humangewebe generierte personalisierte Venen als erste Behandlung für Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz – P-TEV)

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. J. Costeira, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und der Richterin T. Perišin,

Kanzler: I. Pollalis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2021

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, VeriGraft AB, ist ein schwedisches Biotechnologieunternehmen, das 2005 unter dem Namen NovaHep AB von A und B, Professoren am Karolinska‑Institut in Stockholm (Schweden), gegründet wurde. Das ursprünglich auf die Nutzung von Stammzellen spezialisierte Unternehmen stellte 2011 wegen finanzieller Schwierigkeiten seine Aktivitäten ein; 2012 verlegte es seinen Sitz nach Göteborg (Schweden). Nach der Wiederaufnahme seiner Geschäftstätigkeit im Jahr 2014 dank des Kapitalzuflusses vonseiten neuer Aktionäre ist es nunmehr auf den Bereich der Entwicklung personalisierter Implantate auf der Grundlage der Humangewebe-Technologie spezialisiert, die in der regenerativen Medizin eingesetzt werden sollen. Die regenerative Medizin ist ein Zweig der Medizin, dessen Ziel es ist, menschliche Zellen zu ersetzen oder zu reparieren oder aber Gewebe oder Organe zu regenerieren, um ihre normale Funktionsweise wiederherzustellen. A, die ursprünglich 41 % des Kapitals der Klägerin besaß, veräußerte ab 2014 schrittweise alle ihre Anteile. Sie war bis Juli 2015 auch Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin und sodann teilzeitbeschäftigt bis zur Auflösung ihres Arbeitsvertrags am 1. Oktober 2016. Die Klägerin führt ihren aktuellen Namen seit August 2017.

 Untersuchung der Universität Göteborg und des CEPN betreffend A und deren Forschungsteam

2        Im März 2016 beauftragte die Universität Göteborg eine Sonderkommission mit der Untersuchung von Vorwürfen gegen mehrere Bedienstete, nämlich A und weitere Mitglieder ihres Forschungsteams, wegen mangelhafter Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit zehn zwischen 2010 und 2015 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikeln. Diese für die Abgabe von Empfehlungen an den Prorektor der Universität Göteborg zuständige Kommission holte hierzu die Stellungnahme des Centrala Etikprövningsnämnden (Zentraler Ethikprüfungsausschuss Schwedens) (im Folgenden: CEPN) ein. Der CEPN gab seine Stellungnahme im März 2018 ab, und die Sonderkommission unterbreitete dem Prorektor der Universität Göteborg ihre Empfehlungen im Juni 2018. Sowohl der CEPN als auch die Sonderkommission stellten mangelhafte Forschungsarbeiten bei acht der zehn fraglichen Artikel fest. Der CEPN stellte insbesondere systematische Mängel in der Zusammensetzung und der Arbeitsweise des Forschungsteams von A sowie ein nahezu dysfunktionales Forschungsumfeld fest: Es seien keine ordentlichen Sitzungen abgehalten worden, Leute seien gekommen und gegangen, oft aus unklaren Gründen. Der CEPN kritisierte das Forschungsklima im Umfeld von A scharf und vertrat zudem die Ansicht, dass die fehlerhaften Bilder, die in acht der zehn untersuchten Artikel gefunden worden seien, darauf schließen ließen, dass gravierende Fehler nicht nur fahrlässig, sondern in Wirklichkeit vorsätzlich begangen worden seien. Der Prorektor folgte der Empfehlung der Sonderkommission und stellte in einem Bescheid vom Juni 2018 ein Fehlverhalten bei den durchgeführten Forschungsarbeiten fest. Der Prorektor beantragte auch die Entlassung von A durch den staatlichen Disziplinarrat. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2018 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt, das wissenschaftliche Fehlverhalten stelle „auf der Basis einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Falles“ keinen ausreichenden Grund für eine Entlassung dar.

 Rahmenprogramm Horizont 2020 und Instrument zur Förderung der Innovation in KMU

3        Das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020) (im Folgenden: Rahmenprogramm Horizont 2020) wurde aufgrund der Art. 173 und 182 AEUV durch die Verordnung (EU) Nr. 1291/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020) und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 1982/2006/EG (ABl. 2013, L 347, S. 104) aufgelegt. Diese Verordnung bildet ihrem Art. 1 zufolge die Grundlage für die Förderung von Forschungs- und Innovationstätigkeiten durch die Europäische Union, mit denen die wissenschaftliche und technologische Basis Europas gestärkt und ihr Nutzen für die Gesellschaft gefördert sowie das wirtschaftliche und industrielle Potenzial der Strategien in den Bereichen Innovation, Forschung und technologische Entwicklung besser ausgeschöpft werden soll.

4        Zu den spezifischen Maßnahmenbereichen des Rahmenprogramms Horizont 2020 gehört die Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an Forschung und Innovation. So wird gemäß Art. 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1291/2013 ein Instrument zur Förderung der Innovation in KMU, das auf alle Arten von KMU mit Innovationspotenzial im weiteren Sinne ausgerichtet ist, unter einem einzigen zentralisierten Verwaltungssystem errichtet.

5        Das Instrument zur Förderung der Innovation in KMU wird durch den Beschluss 2013/743/EU des Rates vom 3. Dezember 2013 über das Spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020) und zur Aufhebung der Beschlüsse 2006/971/EG, 2006/972/EG, 2006/973/EG, 2006/974/EG und 2006/975/EG (ABl. 2013, L 347, S. 965) konkretisiert.

 Ermächtigung der EASME zur zentralisierten Verwaltung des Instruments zur Förderung der Innovation in KMU

6        Die Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen (EASME), aus der am 1. April 2021 die Europäische Exekutivagentur für den Innovationsrat und für KMU (Eismea) hervorging, wurde auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 58/2003 des Rates vom 19. Dezember 2002 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden (ABl. 2003, L 11, S. 1), durch den Durchführungsbeschluss 2013/771/EU der Kommission vom 17. Dezember 2013 zur Einrichtung der Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen und zur Aufhebung der Beschlüsse 2004/20/EG und 2007/372/EG (ABl. 2013, L 341, S. 73) mit Wirkung vom 1. Januar 2014 errichtet. Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 58/2003 besaß diese Agentur Rechtspersönlichkeit.

7        Aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. d des Durchführungsbeschlusses 2013/771 geht hervor, dass der EASME die Durchführung von Teilen des Rahmenprogramms Horizont 2020 übertragen wurde. So betraute die Kommission mit ihrem Beschluss C(2013) 9414 final vom 23. Dezember 2013 zur Übertragung von Befugnissen auf die Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen zwecks Wahrnehmung von Aufgaben im Zusammenhang mit der Durchführung von Unionsprogrammen im Bereich Energie, Umwelt, Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und KMU, Forschung und Innovation sowie IKT, einschließlich insbesondere der Verwendung von Mitteln aus dem Gesamthaushaltsplan der Union, die EASME mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung des Instruments zur Förderung der Innovation in KMU. Wie sich aus Anhang I dieses Beschlusses ergibt, gehören zu den Aufgaben der EASME namentlich die Bewertung von Anträgen auf Gewährung einer finanziellen Zuwendung im Rahmen des Instruments zur Förderung der Innovation in KMU sowie die Vorbereitung und der Abschluss der Finanzhilfevereinbarungen nebst der Kontrolle von deren Durchführung durch die Finanzhilfeempfänger.

 Verwaltungsverfahren

8        Am 6. April 2017 veröffentlichte die EASME die Aufforderung zur Einreichung von Anträgen mit dem Aktenzeichen „H2020-SMEINST‑2-2016-2017“ u. a. zur Förderung innovativer KMU auf dem Gebiet der humanmedizinischen Biotechnologie.

9        Die Klägerin stellte einen Antrag für die Phase 2 des Instruments zur Förderung der Innovation in KMU, der auf die Vermarktung eines dem Projekt „Personalized Tissue-Engineered Veins as the first Cure for Patients with Chronic Venous Insufficiency – P-TEV“ (Aus Humangewebe generierte personalisierte Venen als erste Behandlung für Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz – P-TEV) (im Folgenden: P-TEV-Projekt) zur Behandlung von Patienten mit schwerer chronischer Veneninsuffizienz entsprechenden individualisierten kardiovaskulären Produkts ausgerichtet war.

10      Der von der Klägerin eingereichte Antrag hatte die Bewertung der Machbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit der Implantierung von durch Gewebezüchtung erzeugten Gefäßen oder Venen bei zwölf Patienten mit schwerer chronischer Veneninsuffizienz in den unteren Extremitäten zum Gegenstand. Dazu gehörten u. a. die Entnahme von Gefäßen von Verstorbenen, die Entnahme von peripherem Blut der Patienten zur Erzeugung von Zellen, die Dezellularisierung und anschließende Rezellularisierung der entnommenen oder künstlich erzeugten Gefäße, chirurgische Eingriffe unter Vollnarkose, die Prüfung der Effizienz des Verfahrens und die Bewertung der Lebensqualität über einen Zeitraum von zwölf Monaten nach dem Eingriff. Die gesamte Forschungsarbeit sollte zunächst in Norwegen und Schweden durchgeführt werden.

11      Abschnitt 4 des Antrags der Klägerin verwies auf die für den Inhalt des P-TEV-Projekts relevantesten wissenschaftlichen Publikationen, nämlich:

–        …, …, …, …, …, …, [A], …, „Successful tissue engineering of competent allogeneic venous valves“, Journal of Vascular Surgery: Venous and Lymphatic Disorders, 2015, Nr. 4, S. 421 bis 443;

–        …, …, …, …, …, …, …, …, [A], „In Vivo Application of Tissue-Engineered Veins Using Autologous Peripheral Whole Blood: A Proof of Concept Study“, EBioMedicine, 2014, Nr. 1, S. 72 bis 79;

–        …, …, …, …, …, …, …, …, …, [A], „Transplantation of an allogeneic vein bioengineered with autologous stem cells: a proof-of-concept study“, Lancet, 2012, Nr. 9838, S. 230 bis 237.

12      Im Anschluss an ein von externen Sachverständigen durchgeführtes Bewertungsverfahren zu den Abschnitten 1 bis 3 des Antrags der Klägerin wählte die EASME diesen Antrag im Mai 2017 für die Gewährung einer Finanzhilfe aus.

 Finanzhilfevereinbarung

13      Am 9. August 2017 schlossen die Klägerin und die Union, vertreten durch die EASME, eine das P-TEV-Projekt betreffende Finanzhilfevereinbarung mit dem Aktenzeichen 778620 (im Folgenden: Finanzhilfevereinbarung).

14      Nach den Art. 2 bis 5 der Finanzhilfevereinbarung wurde der Klägerin eine Finanzhilfe in Höhe von maximal 2 184 603,75 Euro für das Projekt P-TEV gewährt, dessen Durchführung am 1. September 2017 beginnen und 24 Monate dauern sollte.

15      Art. 34 der Finanzhilfevereinbarung betrifft die Einhaltung ethischer Grundsätze.

16      So heißt es in Art. 34.1 der Finanzhilfevereinbarung:

„Bei der Durchführung der Maßnahme muss der Finanzhilfeempfänger

a)      ethische Grundsätze (einschließlich der höchsten Standards für Integrität in der Forschung, wie sie etwa im Europäischen Verhaltenskodex für Integrität in der Forschung niedergelegt sind, was insbesondere das Unterlassen von Erfindungen, Fälschungen, Plagiaten oder sonstigem Fehlverhalten in der Forschung bedeutet) und

b)      die einschlägigen internationalen, unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften

beachten.

…“

17      Art. 34.2 der Finanzhilfevereinbarung regelt die Pflichten des Finanzhilfeempfängers in Bezug auf Tätigkeiten, die ethische Fragen aufwerfen. Diese Bestimmung besagt:

„Tätigkeiten, die ethische Fragen aufwerfen, müssen den in Anlage 1 aufgeführten ‚ethischen Anforderungen‘ genügen.

Vor Beginn einer Tätigkeit, die eine ethische Frage aufwirft, muss der Finanzhilfeempfänger … der [EASME] eine Kopie

a)      jeder nach nationalem Recht erforderlichen Empfehlung der Ethikkommission und

b)      jeder nach nationalem Recht erforderlichen Anmeldung oder Genehmigung von Tätigkeiten, die ethische Fragen aufwerfen,

vorlegen.

…“

18      Nach Art. 34.4 der Finanzhilfevereinbarung kann die Finanzhilfe gekürzt und diese Vereinbarung gekündigt werden, wenn der Finanzhilfeempfänger eine seiner Pflichten nach den Art. 34.1 und 34.2 der Vereinbarung nicht erfüllt. Solche Pflichtverletzungen können auch die Anwendung der anderen in Kapitel 6 der Finanzhilfevereinbarung beschriebenen Maßnahmen nach sich ziehen.

19      Art. 50.3 der Finanzhilfevereinbarung regelt die Kündigung dieser Vereinbarung durch die EASME.

20      Nach Art. 50.3.1 der Finanzhilfevereinbarung kann die EASME die Vereinbarung kündigen, wenn

„…

f)      der Finanzhilfeempfänger (oder eine natürliche Person, die befugt ist, ihn zu vertreten oder Entscheidungen in seinem Namen zu treffen) sich nachweislich eines schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat;

l)      der Finanzhilfeempfänger (oder eine natürliche Person, die befugt ist, ihn zu vertreten oder Entscheidungen in seinem Namen zu treffen) im Vergabeverfahren oder im Rahmen der Vereinbarung

–        i) wesentliche Fehler, Unregelmäßigkeiten, Betrug oder

–        ii) eine schwerwiegende Pflichtverletzung, einschließlich einer mangelhaften Durchführung der Maßnahme, der Erteilung falscher Informationen, der Nichtvorlage notwendiger Informationen oder der Verletzung ethischer Grundsätze,

begangen hat.

…“

21      Das Verfahren zur Kündigung der Finanzhilfevereinbarung ist in Art. 50.3.2 dieser Vereinbarung wie folgt geregelt:

„Vor einer Kündigung der Vereinbarung wird die [EASME] eine förmliche Mitteilung an den Finanzhilfeempfänger richten, in der sie ihn

–        über ihre Kündigungsabsicht und ‑gründe informiert und

–        auffordert, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Mitteilung eine Stellungnahme abzugeben und – im Fall von Buchst. l Ziff. ii) oben – die [EASME] über die Maßnahmen zu informieren, mit denen die Einhaltung der Verpflichtungen nach der Vereinbarung sichergestellt werden soll.

Erhält die [EASME] keine Stellungnahme oder beschließt sie, das Verfahren trotz der eingegangenen Stellungnahme fortzusetzen, wird sie dem Finanzhilfeempfänger in einer Mitteilung förmlich die Kündigung und den Tag bestätigen, zu dem diese wirksam wird. Andernfalls wird sie förmlich mitteilen, dass das Verfahren nicht fortgesetzt wird.

Die Kündigung wird wirksam

–        bei Kündigungen gemäß den Buchst. b, e, g, h, j und l Ziff. ii) oben: an dem in der Bestätigungsmitteilung angegebenen Tag (siehe oben);

–        bei Kündigungen gemäß den Buchst. d, f, i, k, l Ziff. i) und m oben: an dem auf den Eingang der Bestätigungsmitteilung beim Koordinator folgenden Tag.“

22      Nach Art. 57.1 der Finanzhilfevereinbarung unterliegt „[d]ie [Finanzhilfevereinbarung] … dem einschlägigen Unionsrecht, erforderlichenfalls ergänzt durch das belgische Recht“.

23      Art. 57.2 der Finanzhilfevereinbarung sieht vor, dass „[f]ür Streitigkeiten über die Auslegung, Anwendung oder Gültigkeit der Vereinbarung, die nicht gütlich beigelegt werden können, … allein das Gericht – oder im Rechtsmittelverfahren der Gerichtshof – zuständig [ist]“ und dass „[d]ie entsprechenden Klagen … gemäß Art. 272 [AEUV] zu erheben [sind]“.

 Kontrolle des Projekts durch die EASME

24      Im Herbst 2018 ernannte die EASME einen externen Prüfer, den sie mit der Überprüfung der Fortschritte des P-TEV-Projekts beauftragte.

25      Mit Schreiben vom 22. November 2018 übermittelte die EASME der Klägerin den Bericht des externen Prüfers.

26      Unter der Überschrift „Wesentliche Ergebnisse betreffend die Verbreitung, die Nutzung und das Wirkungspotenzial“ enthält der Bericht des externen Prüfers folgende Angaben:

„Das Projekt dürfte im nächsten Berichtszeitraum Ergebnisse mit erheblichen unmittelbaren oder potenziellen Wirkungen liefern (auch wenn nicht alle in Anhang 1 der [Finanzhilfevereinbarung] genannten Ziele erreicht wurden).

Die kurz- und mittelfristigen Verzögerungen beim Arbeitspaket 3 sollten keine größeren Auswirkungen auf die gesamte klinische Entwicklung und die Vermarktung der Projektergebnisse haben.“

27      Im Bericht des externen Prüfers heißt es außerdem, dass „[d]ie Ziele des Projekts … weiterhin wissenschaftlich und technologisch relevant [sind]“.

28      In seinem Schreiben vom 22. November 2018 teilte der für das P-TEV-Projekt zuständige EASME‑Bedienstete der Klägerin mit, dass die EASME „auf der Grundlage des beigefügten Berichts [des externen Prüfers] den Verlauf des Projekts für zufriedenstellend [hält]“ und „zur Vermeidung größerer Auswirkungen auf die gesamte klinische Entwicklung und die Vermarktung der [medizinischen Produkte für fortschrittliche Therapien] auf längere Sicht eine kostenneutrale Verlängerung des Projekts [empfiehlt], die es ermöglichen würde, die klinische Studie der Phase I wie geplant vollständig durchzuführen“.

29      Gleichzeitig unterzog die EASME das P-TEV-Projekt im Lauf des Jahres 2018 mehrerer Ethikprüfungen. Die von der EASME beauftragte Gruppe von Ethikexperten stellte in ihrem Bericht über die vom 21. bis 23. Februar 2018 durchgeführte erste Ethikprüfung eine Reihe von Problemen fest und empfahl eine zweite Ethikprüfung. Nach dieser zweiten Prüfung, die am 24. und 25. Mai 2018 stattfand, führte die Gruppe von Ethikexperten in ihrem Bericht aus, dass die Klägerin einige der bei der ersten Prüfung aufgeworfenen ethischen Fragen teilweise beantwortet habe, dass aber andere Fragen noch zu klären seien, und empfahl eine dritte Ethikprüfung. Die dritte Ethikprüfung fand vom 26. bis zum 28. September 2018 statt. In ihrem Bericht wies die Gruppe von Ethikexperten darauf hin, dass die Klägerin einige der bei der zweiten Prüfung aufgeworfenen ethischen Probleme gelöst habe, dass aber eine Reihe ethischer Probleme noch offen sei. Dem Bericht zufolge fehlten insbesondere mehrere notwendige Dokumente, wie etwa die Zulassung der in den EU-Registern für klinische Studien für Spanien und Litauen aufgeführten klinischen Versuche, die Genehmigung der zuständigen Ethikkommission in Spanien und die Laborakkreditierung für die Erzeugung von Geweben zur Verwendung beim Menschen in Spanien und Litauen. Der Bericht enthielt auch den Hinweis, dass sich alle verlangten Dokumente ausdrücklich auf das P-TEV-Projekt beziehen müssten und dass die Verarbeitung personenbezogener Daten der Angehörigen von Gewebespendern zu Forschungszwecken nicht ausreichend kontrolliert worden sei, wobei es an Angaben zu den Datenschutzrechten und den Verfahren für deren Ausübung sowie zum Recht der Angehörigen auf Widerruf ihrer Einwilligung fehle.

30      In dem Bericht hieß es ferner, dass kurz zuvor in Schweden offizielle Untersuchungen zu wissenschaftlichem und ethischem Fehlverhalten durchgeführt worden seien, die Belege für Mängel bei den im P-TEV-Projekt angeführten grundlegenden Forschungsarbeiten sowie bei der klinischen Arbeit zum Machbarkeitsnachweis für die in diesem Projekt verwendeten Verfahren erbracht hätten.

31      Nach dem Bericht der Gruppe von Ethikexperten gab diese Situation Anlass zu einer Reihe von Zweifeln, ob nicht der Antrag der Klägerin falsch bewertet und der Machbarkeitsnachweis ohne ordnungsgemäße vorherige Genehmigung erstellt worden sei und ob nicht Nachteile und Risiken für künftige Forschungsteilnehmer zu befürchten seien.

32      Die Gruppe von Ethikexperten hielt abschließend die Gesamtbeurteilung weiterhin für unbefriedigend und empfahl eine weitere Ethikprüfung, bis das Ergebnis einer Untersuchung der Forschungsmängel durch den zuständigen EASME‑Ausschuss vorliege.

 Kündigung der Finanzhilfevereinbarung

33      Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 teilte die EASME der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen (im Folgenden: erstes Vorinformationsschreiben). In diesem Schreiben führte die EASME aus, die Gruppe von Ethikexperten habe im Anschluss an die dritte Ethikprüfung vom 26. September 2018 erklärt, dass die Klägerin zwar einige der bei der Ethikprüfung vom 24. Mai 2018 aufgeworfenen ethischen Fragen geklärt habe, dass andere kritische ethische Fragen jedoch bestehen blieben. Die EASME verwies insoweit ausdrücklich auf die oben in Rn. 29 erwähnten ersten fünf ethischen Probleme, die im Bericht der Gruppe von Ethikexperten im Anschluss an die dritte Prüfung festgestellt worden waren. Die EASME war der Ansicht, dass die Finanzhilfevereinbarung daher gekündigt werden müsse, da die Klägerin „eine schwerwiegende Pflichtverletzung im Rahmen der [Finanzhilfevereinbarung] oder im Vergabeverfahren“ begangen habe. Die EASME forderte die Klägerin auf, sich innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens zu äußern.

34      Mit Schreiben vom 18. November 2018 übermittelte die Klägerin der EASME ihre Stellungnahme zum ersten Vorinformationsschreiben, in der sie den Vorwürfen der EASME widersprach und geltend machte, sie habe nicht gegen ihre Pflichten aus der Finanzhilfevereinbarung verstoßen.

35      Die EASME beauftragte einen externen Ethikexperten mit der Prüfung der Stellungnahme der Klägerin zum ersten Vorinformationsschreiben. In seinem der EASME am 11. Dezember 2018 vorgelegten Bericht äußerte sich der externe Ethikexperte erstens zu der Stellungnahme, die die Klägerin zu den im ersten Vorinformationsschreiben aufgezeigten ethischen Problemen bei der Durchführung des P-TEV-Projekts abgegeben hatte, und verwies zweitens auf eine Untersuchung zu Fehlverhalten bei der Forschung, die Vorwürfe wie etwa die Erfindung von Daten, Lügen in Bezug auf ethische Genehmigungen und eine falsche Berichterstattung über das Ergebnis der klinischen Behandlung beinhaltete. Erwähnt wurde auch, dass der Rektor der Universität Göteborg „verlangt [hatte], acht Artikel zurückzuziehen, die von Forschern veröffentlicht worden waren, welche mit dem Projekt in Verbindung standen, nachdem die Verwendung erfundener Daten durch PubPeer aufgedeckt und später vom [CEPN] bestätigt worden war“. So wurde festgestellt, dass einer dieser Artikel mit erfundenen Daten an der Spitze der Liste der für das P-TEV-Projekt relevanten Publikationen gestanden habe. Der Bericht verwies sodann wegen einer ausführlichen Darstellung dieser Untersuchung und ihrer Ergebnisse sowie der Links zu allen entsprechenden Unterlagen auf zwei Artikel, die in einem Internet-Blog einer Person veröffentlicht waren, die sich als unabhängiger Wissenschaftsjournalist ausgab.

36      Am 18. Februar 2019 leitete die EASME der Klägerin ein zweites Vorinformationsschreiben zu (im Folgenden: zweites Vorinformationsschreiben). Darin teilte die EASME mit, dass sie nach Prüfung der Stellungnahme der Klägerin weiterhin beabsichtige, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, allerdings aus anderen als den im ersten Vorinformationsschreiben dargelegten Gründen, und dass sie das Vorinformationsverfahren entsprechend erweitere. Die EASME stellte fest, dass „[A] (Mitgründerin [der Klägerin]) nach öffentlich zugänglichen Informationen vom [CEPN] eines schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden“ worden sei. Zudem enthielten zwei der Dokumente, die im Antrag der Klägerin als die „für den Inhalt des P-TEV-Projekts relevantesten [wissenschaftlichen] Publikationen“ dargestellt worden seien, nach Ansicht des CEPN Beweise für das fragliche Fehlverhalten, nämlich der Artikel „In Vivo Application of Tissue-Engineered Veins Using Autologous Peripheral Whole Blood: A Proof of Concept Study“, Zeitschrift EBioMedicine, 22. September 2014 (im Folgenden: EBioMedicine-Artikel), und der Artikel „Transplantation of an allogeneic vein bioengineered with autologous stem cells: a proof-of-concept study“, Zeitschrift Lancet, 21. Juli 2012 (im Folgenden: Lancet-Artikel). Der EASME zufolge war der CEPN in der Untersuchung auch zu dem Schluss gelangt, dass der Vorgang systematische Mängel in der Zusammensetzung und der Arbeitsweise des Forschungsteams sowie ein nahezu dysfunktionales Forschungsumfeld erkennen lasse. So seien keine Sitzungen abgehalten worden, und die beteiligten Personen seien gekommen und gegangen, oft aus unklaren Gründen. Die Expertengruppe habe die Forschungskultur in dem Team um A stark kritisiert. Durch diese Feststellungen würden die berufliche Integrität von A und damit die operative Fähigkeit der Klägerin, das Projekt ordnungsgemäß durchzuführen und den in der Haushaltsordnung der Union festgelegten Kriterien im Hinblick auf den Nichtausschluss von der Förderung zu genügen, in Frage gestellt. Die EASME war deshalb der Ansicht, dass die Finanzhilfevereinbarung nicht fortgesetzt werden könne und aus dem in Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung genannten Grund gekündigt werden müsse.

37      Mit Schreiben vom 15. März 2019 übermittelte die Klägerin der EASME ihre Stellungnahme zum zweiten Vorinformationsschreiben. Die Klägerin machte geltend, die vom CEPN durchgeführte Untersuchung betreffe speziell A und deren universitäre Forschungsgruppe. Die Klägerin habe überhaupt nichts mit dieser Forschung zu tun gehabt, die durchgeführt und veröffentlicht worden sei, bevor sie Ende 2015 ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen habe. Seit der Einsetzung ihrer neuen Geschäftsleitung im Jahr 2014 sei sie physisch von der Universitätseinrichtung getrennt, an der A ihre Forschungstätigkeit ausübe; ihre gesamte Geschäftsleitung sowie alle an der Entwicklung ihrer Technologie beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure für Humangewebe seien bei der Klägerin angestellt, ohne dass ein personeller Austausch mit der Universität Göteborg stattfände. Nachdem sie am 3. März 2016 erfahren habe, dass A eines Fehlverhaltens bei der Forschung verdächtigt werde, habe sie am darauffolgenden Tag das Arbeitsverhältnis mit A ausgesetzt; von diesem Tag an habe A bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses am 1. Oktober 2016 bei der Klägerin keine operativen oder repräsentativen Funktionen mehr ausgeübt.

38      In diesem Schreiben führte die Klägerin namentlich zu den in ihrem Antrag erwähnten wissenschaftlichen Publikationen aus, diese seien zwar als Beleg für die Machbarkeit der im Rahmen des P-TEV-Projekts vorgesehenen Technologie benannt, aber allesamt an der Universität Göteborg ohne ihre eigene Beteiligung angefertigt worden. Einige der zitierten Publikationen hätten fehlerhafte Bilder enthalten. So habe der Lancet-Artikel, der sich auf eine ältere Technologie beziehe, ein möglicherweise dupliziertes oder nicht korrekt vergrößertes Bild enthalten, doch sei die Zeitschrift der Ansicht gewesen, dass dieser Fehler geringfügig sei und die Ergebnisse des Artikels nicht beeinträchtige, weshalb sie beschlossen habe, kein Erratum zu veröffentlichen. Der Artikel sei als Veröffentlichung in seiner ursprünglichen Form weiterhin im Lancet zu finden. Zu dem im zweiten Vorinformationsschreiben ebenfalls erwähnten EBioMedicine-Artikel erklärte die Klägerin, insoweit habe die Untersuchung keine Unstimmigkeiten ergeben, weshalb der CEPN diesen Artikel in seinem Bericht nicht berücksichtigt habe. Die Klägerin fügte hinzu, dass der Artikel „Successful tissue engineering of competent allogeneic venous valves“, Journal of Vascular Surgery, der in ihrem Antrag zitiert, aber im zweiten Vorinformationsschreiben nicht erwähnt worden sei, eine fehlerhafte Tabelle enthalte, was die Veröffentlichung eines Erratums durch die Zeitschrift im März 2017 zur Folge gehabt habe. Dieser Artikel sei dann im März 2019 aufgrund der speziellen Politik des Journal of Vascular Surgery zurückgezogen worden.

39      Die Klägerin wies in ihrem Schreiben vom 15. März 2019 weiter darauf hin, dass sie seit 2015 darauf geachtet habe, ihre eigene Technologie völlig unabhängig von der fraglichen universitären Forschungsgruppe zu entwickeln, und dass es ihr gelungen sei, mit eigenem Personal und eigenen standardisierten Vorgaben, in Zusammenarbeit mit Dritten und unter Aufsicht der akkreditierten staatlichen Forschungsinstitute Schwedens ein vollständiges vorklinisches Datenpaket zu entwickeln. Darüber hinaus habe die in den letzten drei Jahren intern durchgeführte Entwicklung zu erheblich verbesserten Verfahren für Humangewebe-Technologie geführt, die sich von den im universitären Umfeld praktizierten und veröffentlichten Verfahren unterschieden und für die ohne Beteiligung von A Patentanmeldungen eingereicht worden seien. Schließlich forderte die Klägerin die EASME auf, unabhängige Sachverständige oder interne Prüfer zu benennen, um ihre Fähigkeit zur Durchführung des P-TEV-Projekts und ihre völlige Unabhängigkeit von A zu kontrollieren.

40      Mit Schreiben vom 15. April 2019 teilte die EASME der Klägerin mit, dass sie die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung bestätige (im Folgenden: Kündigungsschreiben). Sie erklärte, dass sie aus den Gründen, die in einer dem Kündigungsschreiben beigefügten Argumentationsliste angeführt seien, dem Vorbringen der Klägerin nicht folgen könne und daher ihren in ihrem Vorinformationsschreiben dargelegten Standpunkt in vollem Umfang aufrechterhalte.

41      In dem dem Kündigungsschreiben beigefügten Dokument mit dem Titel „Argumentationsliste (kontradiktorisches Verfahren)“ erwiderte die EASME auf die Bemerkungen im Schreiben der Klägerin vom 15. März 2019, die dritte Ethikprüfung habe ergeben, dass die vom CEPN und der Universität Göteborg in Schweden durchgeführten offiziellen Untersuchungen Belege für ein Fehlverhalten bei den von den Finanzhilfeempfängern des P-TEV-Projekts in Anhang 1 (Teil A) der Finanzhilfevereinbarung aufgeführten Forschungsarbeiten erbracht hätten. Laut EASME gehörten zu diesem Fehlverhalten bei der Forschung die Manipulation von Daten und die Durchführung klinischer Tests ohne ordnungsgemäße ethische Genehmigung. Zwei der Artikel, die im Antrag der Klägerin als die „für den Inhalt des P-TEV-Projekts relevantesten Publikationen“ dargestellt worden seien, enthielten nach Ansicht des CEPN Belege für das in Rede stehende Fehlverhalten. Da die wissenschaftliche Bewertung, aufgrund deren die Finanzhilfe gewährt worden sei, auf diesem Material beruht habe, müsse diese Bewertung als fehlerhaft oder grob fehlerhaft angesehen werden. Die EASME stellte abschließend fest, dass der objektive Grund für die Beendigung der Finanzhilfevereinbarung gemäß deren Art. 50.3.1 Buchst. f vorliegend erfüllt sei, da „[A] eine Mitgründerin des Finanzhilfeempfängers war, die vom CEPN eines beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden worden [war]“.

 Verfahren und Anträge der Parteien

42      Mit Klageschrift, die am 8. Oktober 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

43      Am 27. Januar 2019 hat die EASME bei der Kanzlei des Gerichts die Klagebeantwortung eingereicht.

44      Die Klägerin hat am 23. März 2020 die Erwiderung eingereicht. Die EASME hat am 23. Juli 2020 die Gegenerwiderung eingereicht.

45      Am 12. April 2021 hat die Eismea dem Gericht mitgeteilt, dass sie mit Wirkung vom 1. April 2021 Gesamtrechtsnachfolgerin der EASME geworden sei.

46      In der Sitzung vom 1. Juli 2021 haben die Parteien mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

47      Nach dem Tod von Richter Berke am 1. August 2021 hat die Präsidentin der Neunten Kammer einen anderen Richter zur Ergänzung der Kammer bestimmt.

48      Mit Beschluss vom 26. August 2021 hat das Gericht (Neunte Kammer) die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens angeordnet.

49      Da die Parteien dem Gericht mitgeteilt haben, dass sie nicht die Anberaumung einer neuen Sitzung beantragten, und da sich das Gericht für hinreichend unterrichtet hält, hat die Präsidentin der Neunten Kammer am 14. September 2021 beschlossen, das mündliche Verfahren wieder zu schließen.

50      Die Klägerin beantragt,

–        die von der EASME ausgesprochene Kündigung der Finanzhilfevereinbarung für unwirksam zu erklären;

–        der Eismea die Kosten aufzuerlegen.

51      Die Eismea beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Entscheidungsgründe

 Zur Zuständigkeit des Gerichts

52      Nach Art. 272 AEUV in Verbindung mit Art. 256 AEUV ist das Gericht für Entscheidungen aufgrund einer Schiedsklausel zuständig, die in einem von der Union oder für deren Rechnung abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag enthalten ist. Art. 272 AEUV ist somit eine spezielle Bestimmung, die die Anrufung der Unionsgerichte aufgrund einer Schiedsklausel ermöglicht, und zwar ohne Beschränkung in Bezug auf die Art der beim Unionsgericht erhobenen Klage (Urteil vom 26. Februar 2015, Planet/Kommission, C‑564/13 P, EU:C:2015:124, Rn. 22 und 23).

53      Im vorliegenden Fall ist das Gericht daher, wie die Parteien zutreffend vortragen, aufgrund der Schiedsklausel in Art. 57.2 Abs. 1 der Finanzhilfevereinbarung gemäß Art. 272 AEUV in Verbindung mit Art. 256 AEUV für die Entscheidung über die vorliegende Klage zuständig.

 Zur Begründetheit der Klage

54      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe. Mit dem ersten macht sie einen Verstoß gegen Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung geltend, da das behauptete berufliche Fehlverhalten bei der Forschung nicht ihr selbst oder einer natürlichen Person mit der Befugnis, sie zu vertreten oder in ihrem Namen Entscheidungen zu treffen, zuzurechnen sei, jedenfalls aber das P-TEV-Projekt nicht beeinträchtigt habe. Mit dem zweiten wird eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerügt, da die Kündigung ohne Rücksicht darauf erfolgt sei, dass das behauptete berufliche Fehlverhalten keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Relevanz des P-TEV-Projekts gehabt habe. Mit dem dritten wirft die Klägerin der EASME eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte vor, da sie es versäumt habe, ihr den Bericht des externen Ethikexperten zu übermitteln, auf den sie ihre Entscheidung, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, gestützt habe.

55      Wird das Gericht im Rahmen einer Schiedsklausel nach Art. 272 AEUV angerufen, so hat es den Rechtsstreit aufgrund des materiellen Rechts zu entscheiden, das auf den Vertrag anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Februar 2016, Isotis/Kommission, T‑562/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:63, Rn. 51, und vom 20. Mai 2019, Fundación Tecnalia Research & Innovation/REA, T‑104/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:345, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung), also im vorliegenden Fall – in erster Linie – aufgrund der fraglichen Finanzhilfevereinbarung, der unionsrechtlichen Vorschriften über das Rahmenprogramm Horizont 2020, der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) in ihrer für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung und der sonstigen unionsrechtlichen Bestimmungen sowie – hilfsweise – gemäß Art. 57.1 der Finanzhilfevereinbarung aufgrund des belgischen Rechts.

56      Das Gericht hält es für angebracht, zunächst den dritten Klagegrund zu prüfen.

 Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte

57      Die Klägerin trägt vor, sie habe erstmals durch die Klagebeantwortung davon erfahren, dass der Bericht des externen Ethikexperten vom 11. Dezember 2018 existiere und dass die EASME ihre Entscheidung, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, auf diesen Bericht gestützt habe. Die EASME habe ihr diesen Bericht während des Kündigungsverfahrens nicht übermittelt. Die EASME habe auf ein ihr von der Klägerin zur Vorbereitung der Erwiderung zugeleitetes Schreiben bestätigt, dass sie ihr den fraglichen Bericht deshalb nicht übermittelt habe, weil es sich um ein internes Dokument handle, das ausschließlich der Durchführung ihrer eigenen Prüfung gedient habe, deren Ergebnis – die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung – der Klägerin mitgeteilt worden sei; sie habe es auch abgelehnt, der Klägerin vollständigen Zugang zu dem genannten Dokument zu gewähren und ihr den Namen des fraglichen Experten zu nennen. Dadurch habe die EASME ihr die Möglichkeit genommen, bestimmte Behauptungen im Bericht des externen Ethikexperten zu widerlegen. Es sei der Klägerin somit unmöglich gemacht worden, den Behauptungen entgegenzutreten, dass „es sich nicht um ein normales Projekt handelte“, dass „die inhaltliche Arbeit durch Fehlverhalten bei der Forschung geprägt war“ oder dass „bei diesem Projekt mehrere Mängel hinsichtlich der Einhaltung ethischer Standards festgestellt worden waren“. Damit habe die EASME die Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt. Zum Inhalt des Berichts des externen Ethikexperten vom 11. Dezember 2018 weist die Klägerin darauf hin, dass dieser sich auf den Blog „www.forbetterscience.com“ beziehe, der von einer sich selbst als „unabhängiger Wissenschaftsjournalist“ bezeichnenden Person betrieben werde und der offenbar keiner externen Überprüfung oder einem „Peer-Review“-Verfahren unterzogen worden sei.

58      Die Eismea macht geltend, entgegen dem Vorbringen der Klägerin habe sie den Bericht des externen Ethikexperten als Anlage zur Klagebeantwortung vorgelegt, wobei lediglich der Name des Experten geschwärzt worden sei. Dabei handle es sich grundsätzlich um ein Dokument für den internen Gebrauch, das ihr dazu diene, ihre Einschätzung zu bilden, und das daher nicht zur Weitergabe an die Finanzhilfeempfänger bestimmt sei. Im vorliegenden Fall habe sich die Klägerin in ihrer Stellungnahme zum zweiten Vorinformationsschreiben zu den in diesem Schreiben angeführten Kündigungsgründen äußern können, so dass insoweit eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte ausgeschlossen sei. Obwohl der mit der Bewertung der Stellungnahme der Klägerin zum ersten Vorinformationsschreiben betraute externe Ethikexperte in seinem Bericht tatsächlich Fälle beruflichen Fehlverhaltens erwähnt habe, habe der Bericht jedenfalls nicht als Grundlage für das zweite Vorinformationsschreiben gedient, da die EASME diese Fälle beruflichen Fehlverhaltens bereits gekannt habe. Deshalb sei der Klägerin durch den fraglichen Bericht kein Nachteil entstanden.

59      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dieser Klagegrund erstmals in der Erwiderung vorgebracht wurde. Nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist aber das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Lauf des Verfahrens unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass dieser Klagegrund auf die Existenz des Berichts eines von der EASME im Rahmen eines internen Verfahrens beauftragten externen Ethikexperten gestützt wird, dass dieser Bericht der Klägerin im Lauf des Verfahrens zur Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nicht übermittelt worden ist und dass die Klägerin von dessen Existenz offenbar durch die Klagebeantwortung erfahren hat. Aus dem den fraglichen Bericht betreffenden E‑Mail-Verkehr zwischen der Klägerin und der EASME geht hervor, dass der Bericht nicht auf dem Internet-Portal für die Teilnehmer am Rahmenprogramm Horizont 2020 zu finden war und der Klägerin nicht zugänglich gemacht wurde, da es sich der EASME zufolge um ein internes Dokument handelte. Die Eismea bestreitet auch nicht die Behauptung der Klägerin, erstmals durch die Klagebeantwortung von der Existenz dieses Berichts Kenntnis erlangt zu haben.

60      Dieser Klagegrund beruht also auf tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten, die erst im Verfahren vor dem Gericht zutage getreten sind, so dass er im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung für zulässig zu erklären ist.

61      Im Übrigen ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Unionsgericht, wenn sich die Parteien in ihrem Vertrag entschließen, ihm mittels einer Schiedsklausel die Zuständigkeit zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag zu übertragen, unabhängig von dem darin vereinbarten anwendbaren Recht für die Prüfung etwaiger Verstöße gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts zuständig wird (Urteil vom 16. Juli 2020, Inclusion Alliance for Europe/Kommission, C‑378/16 P, EU:C:2020:575, Rn. 81).

62      Die EASME bleibt somit bei der Durchführung eines Vertrags an ihre Verpflichtungen aus der Charta und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gebunden. Deshalb befreit der Umstand, dass das auf den betreffenden Vertrag anwendbare Recht nicht dieselben Garantien wie die Charta und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewährleistet, die EASME nicht von ihrer Pflicht, deren Einhaltung gegenüber ihren Vertragspartnern sicherzustellen (Urteil vom 16. Juli 2020, Inclusion Alliance for Europe/Kommission, C‑378/16 P, EU:C:2020:575, Rn. 82; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 16. Juli 2020, ADR Center/Kommission, C‑584/17 P, EU:C:2020:576, Rn. 86).

63      Daher ist das Gericht im vorliegenden Fall für die Prüfung zuständig, ob die EASME die Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt hat.

64      Die Klägerin wirft der EASME im Wesentlichen vor, zum einen ihr Recht auf Anhörung dadurch verletzt zu haben, dass sie ihr vor der Entscheidung über die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nicht die Gelegenheit gegeben habe, sich zu den ihre Stellungnahme zum ersten Vorinformationsschreiben betreffenden Einschätzungen im Bericht des externen Ethikexperten vom 11. Dezember 2018 zu äußern, und zum anderen ihr den Namen des externen Ethikexperten im Rahmen des Verfahrens vor dem Gericht nicht mitgeteilt zu haben, wodurch ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien.

65      Insoweit ist zu beachten, dass nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta, die seit dem 1. Dezember 2009 den Verträgen rechtlich gleichrangig ist, jede Person das Recht hat, „gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird“. Das Recht auf Anhörung ist allgemein anwendbar (vgl. Urteil vom 11. September 2013, L/Parlament, T‑317/10 P, EU:T:2013:413, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieses Recht ist somit – unabhängig von der Art des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass einer individuellen Maßnahme führt – zu beachten, wenn die Verwaltung entsprechend dem Wortlaut dieser Bestimmung beabsichtigt, gegenüber einer Person eine solche „für sie nachteilige individuelle Maßnahme“ zu ergreifen. Das Recht auf Anhörung, das auch ohne eine geltende Regelung gewährleistet werden muss, gebietet es, dass der betroffenen Person vorab Gelegenheit gegeben wird, zu den Punkten, die ihr in dem zu erlassenden Rechtsakt zur Last gelegt werden könnten, sachgerecht Stellung zu nehmen (Urteil vom 24. April 2017, HF/Parlament, T‑584/16, EU:T:2017:282, Rn. 150).

66      Die Wahrung des Rechts auf Anhörung beinhaltet insbesondere, dass der betroffenen Person vor Erlass der für sie nachteiligen Entscheidung Gelegenheit gegeben wird, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der Tatsachen und Umstände, auf deren Grundlage diese Entscheidung erlassen werden soll, sachdienlich Stellung zu nehmen (Urteil vom 11. September 2013, L/Parlament, T‑317/10 P, EU:T:2013:413, Rn. 80 und 81, sowie Beschluss vom 17. Juni 2019, BS/Parlament, T‑593/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:425, Rn. 76 und 77).

67      Nach Art. 22.1.1 der Finanzhilfevereinbarung kann die EASME bei der Prüfung, ob ein Projekt ordnungsgemäß durchgeführt wird und die insoweit vereinbarten Verpflichtungen erfüllt werden, auf externe Sachverständige zurückgreifen.

68      Zudem muss die EASME nach Art. 50.3.2 der Finanzhilfevereinbarung vor einer auf Art. 50.3.1 Buchst. f gestützten Kündigung der Vereinbarung dem Finanzhilfeempfänger förmlich ihre Kündigungsabsicht und ‑gründe mitteilen und ihn auffordern, innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Mitteilung Stellung zu nehmen.

69      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich der Bericht des externen Ethikexperten vom 11. Dezember 2018 auf die Stellungnahme der Klägerin zum ersten Vorinformationsschreiben bezog. Dieser Bericht enthielt zwar eine – oben in Rn. 35 inhaltlich wiedergegebene – Passage, die die Untersuchung des CEPN zu den Arbeiten von A und A’s Arbeitsgruppe sowie deren Verbindung mit dem P-TEV-Projekt zum Gegenstand hatte; die betreffende Passage bestätigte jedoch nur Angaben, die schon in dem Bericht über die dritte Ethikprüfung vom 28. September 2018 enthalten waren, in dem es heißt:

„Unlängst wurden offizielle Untersuchungen zu Fehlverhalten bei der Forschung und zu ethischen Problemen in Schweden durchgeführt, die belegten, dass bei den Vorarbeiten, auf die das P-TEV-Projekt verweist, sowie bei den klinischen Arbeiten, mit denen der Machbarkeitsnachweis für die im Rahmen des Projekts verwendeten Verfahren erbracht wurde, Fehlverhalten bei der Forschung vorlag.“

70      Im Übrigen geht schon aus dem Wortlaut der dem Kündigungsschreiben beigefügten Argumentationsliste hervor, dass die Feststellung der EASME, wonach der CEPN die Arbeit von A am P-TEV-Projekt untersucht hatte, auf dem Bericht über die dritte Ethikprüfung beruhte.

71      Folglich lässt sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht behaupten, dass die EASME die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung auf die Einschätzungen im Bericht des externen Ethikexperten vom 11. Dezember 2018 gestützt hätte.

72      Außerdem wurden die Gründe für die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung der Klägerin im zweiten Vorinformationsschreiben mitgeteilt, zu dem sie sich ausweislich ihrer am 19. März 2019 gemäß Art. 50.3.2 der Finanzhilfevereinbarung eingereichten Stellungnahme äußern konnte.

73      Unter diesen Umständen hat die EASME im vorliegenden Fall das Recht der Klägerin auf Anhörung nicht verletzt.

74      Da die EASME, wie oben in Rn. 71 erwähnt, ihre Entscheidung, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, nicht auf den Bericht des externen Ethikexperten gestützt hat, ist im Übrigen der Umstand, dass die Eismea der Klägerin den Namen dieses Experten im Rahmen des Verfahrens vor dem Gericht nicht mitgeteilt hat, jedenfalls nicht geeignet, die Verteidigungsrechte der Klägerin in diesem Verfahren zu verletzen.

75      Der dritte Klagegrund ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung

76      Die Klägerin trägt vor, dass es sich bei A, die von der EASME sowohl im zweiten Vorinformationsschreiben als auch im Kündigungsschreiben als die Person bezeichnet worden sei, die der CEPN eines beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden habe, weder um den Finanzhilfeempfänger noch um eine natürliche Person mit der Befugnis handle, diesen gemäß Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung zu vertreten oder für ihn zu agieren. Daher sei die Klägerin als Vertragspartei der Finanzhilfevereinbarung und als einzige Adressatin der Fördermittel laut dem den Finanzhilfebewerbern zur Verfügung gestellten Glossar der Kommission sowie schon nach dem Wortlaut der Finanzhilfevereinbarung selbst die Finanzhilfeempfängerin. Zudem sei A seit ihrem Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat der Klägerin im Juli 2015 nicht mehr befugt gewesen, die Klägerin zu vertreten oder Entscheidungen in ihrem Namen zu treffen. Eine solche Befugnis habe ihr auch nicht wegen ihrer Eigenschaft als Mitgründerin der Klägerin zugestanden. Insoweit gehe aus dem schwedischen Gesellschaftsrecht hervor, dass die Minderheitsbeteiligung von A zu dem Zeitpunkt, als der Antrag für das P-TEV-Projekt eingereicht worden sei, sie nicht dazu berechtigt habe, die Klägerin zu vertreten oder in ihrem Namen Entscheidungen zu treffen. A habe auch nicht aufgrund des zwischen ihr und der Klägerin von 2015 bis zu seiner Auflösung am 1. Oktober 2016 bestehenden Vertrags über eine Teilzeitbeschäftigung die Befugnis gehabt, die Klägerin zu vertreten oder in ihrem Namen zu handeln. A habe im Übrigen seit der am 4. März 2016 erfolgten Aussetzung ihres Arbeitsvertrags ohne Bezahlung bis zur Auflösung dieses Vertrags nicht mehr an der Geschäftstätigkeit der Klägerin teilgenommen und somit keinen Einfluss auf den im April 2017 eingereichten Antrag für das P-TEV-Projekt ausgeübt. Unter diesen Umständen gehöre A eindeutig nicht zu dem in Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung genannten Personenkreis, so dass ihr mutmaßliches berufliches Fehlverhalten die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nicht rechtfertigen könne.

77      Deshalb versuche die Eismea, die Begründung für die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nachträglich zu ändern, indem sie zum ersten Mal vor dem Gericht argumentiere, dass in Wirklichkeit die Klägerin als Finanzhilfeempfängerin für ein Fehlverhalten bei der Forschung verantwortlich sei. Die Eismea dürfe die Kündigungsgründe in diesem Stadium des Verfahrens aber nicht mehr revidieren, ohne den Grundsatz der Vorhersehbarkeit des Gerichtsverfahrens zu verletzen. Außerdem sei die Verwaltung nach dem Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis verpflichtet, vorhersehbare und klare Entscheidungen zu treffen.

78      Selbst wenn das Gericht der Eismea erlaubte, die Gründe für die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nachträglich zu ändern, bliebe diese Kündigung dennoch ungerechtfertigt. Die Klägerin widerspreche zwar nicht den Feststellungen des CEPN in Bezug auf das A und deren Forschungsteam zur Last gelegte Fehlverhalten bei der Forschung. Es könne ihr jedoch nicht vorgeworfen werden, wissenschaftliche Artikel mit Forschungsfehlern absichtlich in den Antrag für das P-TEV-Projekt aufgenommen zu haben, die sich auf die wissenschaftliche und technologische Relevanz des Projekts ausgewirkt hätten.

79      Dazu trägt die Klägerin erstens vor, der Antrag für das P-TEV-Projekt sei im April 2017 bei der EASME eingereicht worden, während der Bericht des CEPN erst im März 2018 veröffentlicht worden sei. Soweit die Eismea behauptet, dass ihr bei Einreichung des P-TEV-Projekts die Probleme im Zusammenhang mit der Tätigkeit von A bekannt gewesen seien, da sie A aufgrund des mutmaßlichen Fehlverhaltens bei der Forschung bereits im März 2016 von der Arbeit suspendiert habe, entgegnet die Klägerin, dass zu diesem Zeitpunkt das Ergebnis der von der Universität Göteborg durchgeführten Untersuchung ungewiss und die Problematik eindeutig komplex gewesen sei, was die Dauer dieser Untersuchung belege. Die Entscheidung des Prorektors der Universität Göteborg, mit der die Mängel bei der Forschungstätigkeit von A und deren Forschungsteam förmlich festgestellt worden seien, datiere deshalb erst vom Juni 2018.

80      Die Klägerin macht zweitens geltend, die im Antrag für das P-TEV-Projekt zitierten wissenschaftlichen Publikationen hätten, als dieser Antrag im April 2017 eingereicht worden sei, kein fehlerhaftes Bild (mehr) enthalten. Was zunächst den Lancet-Artikel betreffe, so habe sie ihn angeführt, um zu belegen, dass Blutgefäße aus Gewebezüchtungen weder eine Abstoßungsreaktion noch andere gravierende Sicherheitsprobleme hervorriefen. Die in diesem Artikel erwähnten Ergebnisse beruhten auf einer älteren, von der Klägerin nicht verwendeten Technologie, bei der die Rezellularisierung durch die Verwendung von Knochenmarkszellen erfolge. Im Gegensatz zu der Darstellung im zweiten Vorinformationsschreiben sei der Lancet-Artikel, der einen geringfügigen Fehler wegen eines vergrößerten Bilds enthalten habe, vom CEPN nicht als Forschungsfehler eingestuft worden; er sei auch noch in seiner ursprünglich publizierten Form erschienen, als der Antrag für das P-TEV-Projekt bei der EASME eingereicht worden sei, da die Zeitschrift die Veröffentlichung eines Erratums nicht für notwendig erachtet habe. Was sodann den in der Zeitschrift EBioMedicine publizierten Artikel angehe, so sei dieser die wichtigste Referenz für das P-TEV-Projekt, denn er zeige auf, dass nach dem klinischen Befund die Gewebezüchtung mit peripherem Blut, die der von der Klägerin entwickelten Technologie entspreche, im Allgemeinen weder einer Abstoßungsreaktion noch andere gravierende Sicherheitsprobleme hervorrufe. Der CEPN habe in diesem Artikel keine Unstimmigkeiten gefunden, die es gerechtfertigt hätten, ihn in seine Untersuchung einzubeziehen, so dass er insoweit – anders als im zweiten Vorinformationsschreiben zu Unrecht behauptet werde – kein Fehlverhalten bei der Forschung festgestellt habe. Was schließlich den Artikel im Journal of Vascular Surgery betreffe, so sei dieser als Referenz für Versuche mit Venen mit Klappen angeführt worden; er sei jedoch für das P-TEV-Projekt weniger bedeutsam gewesen, da er sich nicht auf klinische, sondern auf In-vitro-Versuche bezogen habe. Dieser Artikel sei im zweiten Vorinformationsschreiben nicht erwähnt worden, habe aber bei seiner Publikation fehlerhafte Bildtabellen enthalten, die die Feststellung eines Forschungsfehlers durch den CEPN gerechtfertigt hätten. Zu dem Artikel habe das Journal of Vascular Surgery im März 2017 ein Erratum veröffentlicht, bevor er im März 2019 wegen der Politik der Zeitschrift zurückgezogen worden sei.

81      Im Übrigen seien die in der Klagebeantwortung beschriebenen Feststellungen der Gruppe externer Ethikexperten anlässlich der drei Ethikprüfungen aus dem Jahr 2018 für den vorliegenden Rechtsstreit irrelevant, denn die EASME habe ihre Entscheidung, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, ausweislich des zweiten Vorinformationsschreibens letztlich nicht mit der angeblichen Verletzung ethischer Grundsätze begründet. Somit sei auch der Verweis auf Art. 34 der Finanzhilfevereinbarung irrelevant.

82      Die Eismea erinnert an die im Rahmen der drei aufeinanderfolgenden Ethikprüfungen festgestellten Missstände, die die Klägerin in ihrer Klageschrift bewusst unerwähnt gelassen habe, und hält es im Hinblick auf ein Projekt, das naturgemäß wichtige ethische Belange berühre, für äußerst besorgniserregend, dass die Klägerin dreimal dabei gescheitert sei, den ethischen Anforderungen gerecht zu werden, die schon in den Berichten über diese Ethikprüfungen aufgezeigt worden seien.

83      Die Klägerin lege Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung zu eng aus. Sie verkenne, dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall auf sie als Finanzhilfeempfängerin anwendbar sei, und zwar unabhängig von A. Dies gelte auch für Art. 34 der Finanzhilfevereinbarung, wonach die Vereinbarung gekündigt werden könne, wenn der Finanzhilfeempfänger eine seiner ethischen Pflichten nicht erfülle. Die Entscheidung über die Kündigung müsse in diesem Kontext gesehen werden. Aus dem Wortlaut der dem Kündigungsschreiben beigefügten Argumentationsliste gehe nämlich hervor, dass die Entscheidung, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, in keinem Zusammenhang mit A’s Kapitalbeteiligung, Arbeit oder Zugehörigkeit zum Verwaltungsrat der Klägerin stehe; die EASME habe sich auch nie auf derartige Umstände berufen. Es sei daher irrelevant, wenn die Klägerin behaupte, dass A nicht dem in Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung genannten Personenkreis angehöre.

84      Hingegen stehe außer Zweifel, dass der Antrag für das P-TEV-Projekt auf eine gemeinsam mit A entwickelte Technologie und auf von A und ihrem Forschungsteam durchgeführte Forschungsarbeiten gestützt sei. Zudem habe der Antrag für das P-TEV-Projekt auf die für den Inhalt des Projekts relevantesten Publikationen verwiesen.

85      Wie im zweiten Vorinformationsschreiben erläutert, beruhe das dem Antrag der Klägerin zugrunde liegende Beweismaterial auf beruflichem Fehlverhalten. Hinsichtlich der von den Finanzhilfeempfängern für das P-TEV-Projekt eingereichten Arbeiten habe der CEPN nachgewiesen, dass der von der Klägerin im April 2017 gestellte Antrag durch ein Fehlverhalten bei der Forschung geprägt gewesen sei.

86      Die auf Betreiben der Klägerin in Abschnitt 4 des Antrags für das P-TEV-Projekt als die für den Inhalt dieses Projekts relevantesten Publikationen genannten Artikel seien auch in Teil A von Anhang 1 der Finanzhilfevereinbarung aufgeführt worden. Zwar sei der EBioMedicine-Artikel im Bericht des CEPN nicht erwähnt, jedoch habe der CEPN diesen Artikel nach Aussage der Klägerin sorgfältig auf etwaige Unstimmigkeiten überprüft. Die Klägerin bestreite auch nicht, dass der für das P-TEV-Projekt offenbar besonders relevante Lancet-Artikel dem CEPN zufolge ein nicht korrekt vergrößertes Bild enthalten habe und dass, obwohl insoweit keine Fälschung habe festgestellt werden können, die abgegebene Erklärung seltsam erschienen sei und Zweifel an der Verlässlichkeit der betreffenden Forschungen habe aufkommen lassen. In dem im Journal of Vascular Surgery erschienenen Artikel habe der CEPN zwei falsch positionierte und komprimierte Bilder entdeckt, was einer Bildmanipulation und wissenschaftlichen Unehrlichkeit gleichgekommen sei, woraufhin alle Mitverfasser, einschließlich der A, des wissenschaftlichen Betrugs beschuldigt worden seien.

87      Das Vorbringen der Klägerin, wonach die in den Publikationen von A festgestellten Forschungsfehler keine Auswirkungen auf das P-TEV-Projekt gehabt hätten, da dieses auf neuen vorklinischen Daten beruht habe, sei widersprüchlich. Es sei übrigens bedenklich, dass die Klägerin es nicht für notwendig erachtet habe, der EASME mitzuteilen, dass das P-TEV-Projekt auf neue vorklinische Forschungen gestützt worden sei, und eine Veröffentlichung oder eine Reihe von Studien zur Absicherung der durchgeführten Arbeiten vorzulegen, wozu sie nach Art. 17.2 der Finanzhilfevereinbarung verpflichtet gewesen wäre.

88      Die Klägerin sei sich der im Jahr 2016 gegen A gerichteten Vorwürfe von Fehlverhalten bei der Forschung und ihrer Auswirkungen auf das P-TEV-Projekt durchaus bewusst gewesen, als sie dieses Projekt eingereicht habe. Dies werde dadurch belegt, dass die Klägerin, wie in der Klageschrift angegeben, gezielt Maßnahmen ergriffen habe, um A aus ihrer Organisation zu entfernen, namentlich durch die Aussetzung ihres Arbeitsvertrags im März 2016, dessen anschließende Auflösung im September 2016 und den Rückkauf ihrer Kapitalbeteiligung. Dies werde auch durch die Äußerung der Klägerin in der Erwiderung belegt, wonach sie „angesichts der Kontroversen um [A] in einem frühen Stadium der Durchführung des P-TEV-Projekts entschieden hat, sich nicht auf die Daten aus ihrer Forschung zu stützen“, und „stattdessen zusammen mit ihren Partnern alle für die Anträge auf Genehmigung klinischer Studien erforderlichen vorklinischen Daten erstellt hat“. Offenbar habe die Klägerin somit in ihrem Antrag wissentlich zwei Artikel als die „für den Inhalt des vorgeschlagenen Projekts relevantesten wissenschaftlichen Publikationen“ bezeichnet, die gesicherte Beweise für Fehlverhalten enthalten hätten, wie dies festgestellt worden sei, bevor der Antrag bei der EASME eingereicht worden sei. Aufgrund dieser Umstände sei es nicht ausschlaggebend, dass keiner der Artikel zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorschlags manipulierte Bilder enthalten oder dass der CEPN seine Stellungnahme erst ein Jahr nach der Einreichung des Vorschlags abgegeben habe.

89      Die Klägerin habe der EASME zu keinem Zeitpunkt – weder während der Phase der Bewertung der Finanzhilfe und des Antrags noch nach der Gewährung der Finanzhilfe – mitgeteilt, dass die in ihrem Antrag erwähnten Publikationen und die dem P-TEV-Projekt zugrunde liegende Technologie auf einem Fehlverhalten bei der Forschung und einer Verletzung ethischer Normen beruhten; dies stehe offenkundig im Widerspruch zu dem vertrauensbasierten Ansatz, der für ein im Rahmen des Rahmenprogramms Horizont 2020 eingereichtes Projekt maßgeblich sei, und verstoße gegen Art. 17.2 der Finanzhilfevereinbarung. Die Klägerin habe zu Beginn der Vorbereitungsphase der Finanzhilfe eine ehrenwörtliche Erklärung unterzeichnet, in der sie bestätigt habe, dass sie bei der Übermittlung der als Voraussetzung für die Teilnahme am Verfahren zur Gewährung einer Finanzhilfe erforderlichen Informationen keine falschen Angaben gemacht und es nicht versäumt habe, diese Informationen vorzulegen.

90      Hätten der EASME die Informationen vorgelegen, denen zufolge sich die Klägerin auf durch berufliches Fehlverhalten geprägte Arbeiten gestützt habe, wäre das P-TEV-Projekt nicht für eine Finanzierung ausgewählt worden. Durch die Verheimlichung des Fehlverhaltens von A bei der Forschung habe die Klägerin die EASME effektiv getäuscht und den vertrauensbasierten Ansatz unterlaufen.

91      Die Klägerin habe die Feststellungen zu dem beruflichen Fehlverhalten in den Artikeln, die sie in ihrem Antrag gezielt aufgeführt habe, erst zugegeben, nachdem sie damit von der EASME im Rahmen des Vorinformationsverfahrens konfrontiert worden sei.

92      Mit ihrem Verhalten habe die Klägerin somit die Verpflichtung, die in Art. 34 der Finanzhilfevereinbarung niedergelegten ethischen Grundsätze zu beachten, verletzt; darin sei nach dem Europäischen Verhaltenskodex für Integrität in der Forschung des Europäischen Verbands der Akademien der Natur- und Geisteswissenschaften (European Federation of Academies of Sciences and Humanities – All European Academies, ALLEA) sowie der Europäischen Wissenschaftsstiftung (European Science Foundation) ein nachweislich festgestelltes berufliches Fehlverhalten im Sinne von Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung zu sehen.

93      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin ausweislich der von ihrem Generaldirektor in ihrem Namen am 18. Mai 2017 unterzeichneten ehrenwörtlichen Erklärung bestätigt hat, dass sie sich in keiner der Situationen befinde, wonach sie gemäß Art. 131 Abs. 5 der Verordnung Nr. 966/2012 von der Gewährung von Finanzhilfen der Union ausgeschlossen wäre, und dabei folgende Umstände hervorhob:

„…

–        Sie (oder eine Person, die befugt ist, sie zu vertreten, Entscheidungen in ihrem Namen zu treffen oder sie zu kontrollieren) wurde nicht aufgrund eines rechtskräftigen Urteils einer zuständigen Instanz eines Mitgliedstaats wegen einer Straftat im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit verurteilt;

–        [Sie] hat im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit keine schwerwiegende Verfehlung begangen, die von der [EASME] nachweislich, einschließlich durch Beschlüsse der [Europäischen Investitionsbank (EIB)] und internationaler Organisationen, festgestellt wurde;

…“

94      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die EASME die Finanzhilfevereinbarung nach deren Art. 50.3.1 Buchst. l kündigen kann, wenn der Finanzhilfeempfänger oder eine natürliche Person, die befugt ist, ihn zu vertreten oder Entscheidungen in seinem Namen zu treffen, im Vergabeverfahren oder im Rahmen der Vereinbarung wesentliche Fehler, Unregelmäßigkeiten, Betrug oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung, einschließlich einer mangelhaften Durchführung der Maßnahme, der Erteilung falscher Informationen, der Nichtvorlage notwendiger Informationen oder der Verletzung der in Art. 34 dieser Vereinbarung genannten ethischen Grundsätze, begangen hat.

95      Im vorliegenden Fall hat die EASME die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung aber nicht auf Art. 50.3.1 Buchst. l dieser Vereinbarung gestützt, sondern auf deren Art. 50.3.1 Buchst. f, wonach sie die Vereinbarung kündigen kann, wenn „der Finanzhilfeempfänger (oder eine natürliche Person, die befugt ist, ihn zu vertreten oder Entscheidungen in seinem Namen zu treffen) sich nachweislich eines schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat“.

96      Die EASME hat nämlich nacheinander zwei Verfahren zur Kündigung der Finanzhilfevereinbarung eingeleitet. Das erste Kündigungsverfahren wurde mit dem ersten Vorinformationsschreiben vom 18. Oktober 2018 eröffnet. In diesem Schreiben teilte die EASME mit, angesichts der von der Expertengruppe nach der dritten Ethikprüfung festgestellten anhaltenden Verletzungen ethischer Pflichten sei sie der Ansicht, dass „die Klägerin schwerwiegende Pflichtverletzungen im Rahmen der Vereinbarung oder im Vergabeverfahren begangen hatte“ (siehe oben, Rn. 33).

97      Das zweite Verfahren zur Kündigung der Finanzhilfevereinbarung wurde mit dem zweiten Vorinformationsschreiben vom 18. Februar 2019 eröffnet. In diesem zweiten Schreiben wies die EASME ausdrücklich darauf hin, dass sie nach Prüfung der Stellungnahme der Klägerin zum ersten Vorinformationsschreiben weiterhin beabsichtige, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, „allerdings aus anderen Gründen“. In dem Schreiben erläuterte die EASME diese „anderen Gründe“ und erklärte, sie sei der Ansicht, dass die Finanzhilfevereinbarung auf der Grundlage von Art. 50.3.1 Buchst. f der Vereinbarung gekündigt werden müsse (siehe oben, Rn. 36).

98      Folglich kommt es für die Prüfung der Begründetheit der Kündigung der Finanzhilfevereinbarung entgegen dem Vorbringen der Eismea nicht auf die Argumente an, die sich auf die von der Klägerin angeblich begangenen – in dem nach der dritten Ethikprüfung verfassten Bericht festgestellten und von der EASME im ersten Vorinformationsschreiben erwähnten – Verstöße gegen ethische Grundsätze beziehen.

99      Der von der EASME angeführte Grund für die auf Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung gestützte Kündigung dieser Vereinbarung bestand auch eindeutig darin, dass A eines beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden worden war, und nicht, wie die Eismea schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, darin, dass die Klägerin Arbeiten mit Forschungsfehlern absichtlich in den Antrag für das P-TEV-Projekt aufgenommen und die EASME somit über ihre Fähigkeit zur korrekten Durchführung dieses Projekts getäuscht oder sich bei dessen Durchführung bewusst auf die Arbeiten von A gestützt habe, die nachweislich Forschungsfehler aufwiesen.

100    So wird der Standpunkt, den die Eismea vor dem Gericht vertreten hat, durch den Inhalt des zweiten Vorinformationsschreibens widerlegt. In diesem Schreiben hat die EASME nämlich zunächst festgestellt, dass A, „Mitgründerin [der Klägerin]“, vom CEPN eines schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden worden sei, sodann erklärt, dass zwei Veröffentlichungen, die als die für den Inhalt des P-TEV-Projekts relevantesten wissenschaftlichen Publikationen dargestellt worden seien, Beweise für das fragliche Fehlverhalten enthielten, und auf die scharfe Kritik des CEPN an der Arbeitsweise des Forschungsteams von A hingewiesen (siehe oben, Rn. 36). Sie hat weiter ausgeführt, dass „[d]urch diese Feststellungen … die berufliche Integrität von [A] und damit die operative Fähigkeit [der Klägerin], das Projekt ordnungsgemäß durchzuführen sowie den in der Haushaltsordnung der [Union] festgelegten Kriterien im Hinblick auf den Nichtausschluss von der Förderung zu genügen, in Frage gestellt [werden]“ (siehe oben, Rn. 36).

101    In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, dass das zweite Vorinformationsschreiben den Hinweis auf einen möglichen Verstoß der Klägerin gegen ihre Nichtausschlusspflichten aufgrund der Situation ihrer Mitgründerin enthielt, der, wenn er nachgewiesen worden wäre, eine Kündigung der Finanzhilfevereinbarung nach deren Art. 50.3.1 Buchst. l hätte rechtfertigen können, dass dieses Schreiben jedoch kein Indiz dafür enthielt, dass die Klägerin selbst ein berufliches Fehlverhalten begangen hätte.

102    Es ist daher festzustellen, dass die EASME im zweiten Vorinformationsschreiben davon ausgegangen ist, dass die Fähigkeit der Klägerin zur Durchführung des P-TEV-Projekts und die Einhaltung ihrer Nichtausschlusspflichten durch das berufliche Fehlverhalten von A in Frage gestellt werde, nicht aber durch irgendein Fehlverhalten der Klägerin selbst.

103    Diese Feststellung ist auch schon dem Wortlaut der Schlussfolgerung in der dem Kündigungsschreiben beigefügten Argumentationsliste zu entnehmen, die wie folgt lautet:

„Im vorliegenden Fall wird der [in Art. 50.3.1 Buchst. f vorgesehene] objektive Grund bestätigt. [A] war eine Mitgründerin des Finanzhilfeempfängers, die vom CEPN eines beruflichen Fehlverhaltens für schuldig befunden wurde.“

104    Insoweit ist zu beachten, dass die EASME die Finanzhilfevereinbarung nach deren Art. 50.3.1 Buchst. f kündigen kann, wenn „der Finanzhilfeempfänger (oder eine natürliche Person, die befugt ist, ihn zu vertreten oder Entscheidungen in seinem Namen zu treffen) sich nachweislich eines schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat“.

105    Aus der ersten Seite der Finanzhilfevereinbarung geht aber hervor, dass nicht A, sondern die Klägerin die Finanzhilfeempfängerin im Sinne dieser Vereinbarung war.

106    Außerdem ergibt sich aus dem von der Eismea nicht bestrittenen Akteninhalt erstens, dass der Arbeitsvertrag von A, die seit September 2015 bei der Klägerin eine Teilzeitbeschäftigung als wissenschaftliche Leiterin ausübte, im März 2016 ohne Bezahlung ausgesetzt und im Dezember 2016 aufgelöst wurde, zweitens, dass A seit Juli 2015 nicht mehr dem Verwaltungsrat der Klägerin angehört und, drittens, dass A’s Beteiligung am Kapital der Klägerin ab dem Zeitpunkt, zu dem der Finanzierungsantrag für das P-TEV-Projekt eingereicht wurde, bis zum Verkauf der gesamten Beteiligung durch A Ende 2018 unterhalb des Schwellenwerts lag, der nach schwedischem Gesellschaftsrecht dazu berechtigte, Entscheidungen im Namen der Klägerin zu treffen.

107    Die Eismea hat zwar – erstmals in der mündlichen Verhandlung – geltend gemacht, die Klägerin habe entgegen ihren Behauptungen nicht ab April 2016 alle Verbindungen zu A abgebrochen, denn diese sei bei einer „Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahme“ des Rahmenprogramms Horizont 2020, an der die Klägerin teilgenommen habe, zur wissenschaftlichen Leiterin ernannt worden. Dieses Vorbringen offenbart jedoch insofern die widersprüchliche Argumentation der Eismea vor dem Gericht, als sie andererseits geltend macht, die EASME habe die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung auf ein schwerwiegendes berufliches Fehlverhalten gestützt, das von der Klägerin, nicht aber von einer natürlichen Person mit der Befugnis, diese zu vertreten oder in ihrem Namen zu handeln, begangen worden sei. Zudem hat die Eismea in der mündlichen Verhandlung keine Belege für ihr Vorbringen beigebracht. Schließlich kann die Eismea mit diesem Vorbringen jedenfalls nicht dartun, dass A im Rahmen des P-TEV-Projekts die Klägerin vertreten oder in deren Namen gehandelt hätte.

108    Es ist daher festzustellen, dass A nicht dem in Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung genannten Personenkreis angehörte, da sie weder der Finanzhilfeempfänger im Sinne dieser Vereinbarung noch – zu der Zeit, als sie sich der vom Prorektor der Universität Göteborg aufgrund der Ergebnisse der CEPN-Untersuchung festgestellten Forschungsfehler schuldig gemacht hatte, oder nach dieser Zeit – eine Person war, die im Namen des Finanzhilfeempfängers oder in dessen Auftrag handelte.

109    Die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung durch die EASME gemäß Art. 50.3.1 Buchst. f der Finanzhilfevereinbarung aus dem im Kündigungsschreiben vom 19. April 2019 angeführten Grund entbehrte somit einer Grundlage.

110    An diesem Ergebnis vermag auch das übrige Vorbringen der Eismea in der vorliegenden Rechtssache nichts zu ändern.

111    Soweit die Eismea nämlich geltend macht, dass die Klägerin selbst ein berufliches Fehlverhalten begangen habe, weil sie unter Verletzung der in Art. 34 der Finanzhilfevereinbarung niedergelegten ethischen Grundsätze die Forschungsfehler von A bei der Einreichung ihres Antrags für das P-TEV-Projekt bewusst verschwiegen habe, oder dass der Klägerin ein gravierendes berufliches Fehlverhalten vorzuwerfen sei, weil sie sich bei der Durchführung des P-TEV-Projekts bewusst auf die Arbeiten von A gestützt habe, die nachweislich Forschungsfehler aufwiesen, handelt es sich dabei um eine neue Begründung für die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung. Wenn die Eismea jedoch im Stadium des gerichtlichen Verfahrens die Gründe ändern dürfte, aus denen sie beschlossen hat, die Finanzhilfevereinbarung zu kündigen, würde dies zwangsläufig die Wirksamkeit des in Art. 50.3.2 der Finanzhilfevereinbarung vorgesehenen Kündigungsverfahrens und die den Finanzhilfeempfängern damit garantierten Rechte untergraben.

112    Jedenfalls beruht das Vorbringen der Eismea auf der falschen Prämisse, dass die Klägerin ihr bewusst die Forschungsfehler verschwiegen habe, mit denen die im Antrag zum P-TEV-Projekt zitierten Arbeiten behaftet gewesen seien.

113    Zwar hat die Klägerin nach eigenem Bekunden bereits am 3. März 2016 von den Vorwürfen gegen A erfahren, woraufhin sie deren Arbeitsvertrag ausgesetzt und schließlich Ende September desselben Jahres gekündigt sowie den Kontakt zu A’s Forschungsteam abgebrochen hat. Jedoch war zu dem Zeitpunkt, als das P-TEV-Projekt eingereicht wurde, die Untersuchung des CEPN noch in vollem Gang, und der Prorektor der Universität Göteborg hat aufgrund der im März 2018 veröffentlichten Ergebnisse des CEPN erst im Juni 2018 die von A und ihrem Forschungsteam begangenen Forschungsfehler offiziell festgestellt. Die Eismea kann der Klägerin folglich nicht vorwerfen, sie habe ihr die fraglichen Fehler verschwiegen. Dass die Klägerin selbst angegeben hat, sich in einem frühen Stadium der Durchführung des P-TEV-Projekts von A’s Forschungsarbeiten distanziert und wegen der Kontroversen um A eigene vorklinische Daten erstellt zu haben, ist für sich genommen nicht geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen.

114    Im Übrigen macht die Eismea zu Unrecht geltend, dass die Artikel, die als für den Inhalt des P-TEV-Projekts am relevantesten bezeichnet worden seien, zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags für dieses Projekt Forschungsfehler enthalten hätten. Der CEPN hat nämlich, anders als im zweiten Vorinformationsschreiben angegeben und wie die Eismea einräumt, in dem EBioMedicine-Artikel keine Forschungsfehler und Unstimmigkeiten festgestellt, die es gerechtfertigt hätten, diesen Artikel in seine Untersuchung einzubeziehen. Des Weiteren geht im Gegensatz zu den Angaben im zweiten Vorinformationsschreiben aus dem Bericht des CEPN hervor, dass der Lancet-Artikel zwar ein nicht korrekt vergrößertes Bild enthielt, was Zweifel an der Verlässlichkeit seiner Ergebnisse aufkommen ließ, dass insoweit aber kein Forschungsbetrug festgestellt wurde. Was schließlich den Artikel im Journal of Vascular Surgery betrifft, der nach den Feststellungen des CEPN einen Forschungsfehler enthielt, so bestreitet die Eismea nicht, dass zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags für das P-TEV-Projekt bereits ein Erratum zu der Bildtabelle veröffentlicht worden war, die die Feststellung eines Forschungsfehlers veranlasst hatte. Darüber hinaus hat die Eismea keinen Beweis für die Behauptung vorgelegt, wonach das Journal of Vascular Surgery den Artikel unter Berufung auf seine redaktionelle Politik später wegen der vom CEPN festgestellten fehlerhaften Forschungsarbeiten von A entfernt habe.

115    Nach alledem ist dem ersten Klagegrund und damit der Klage insgesamt stattzugeben, ohne dass der zweite Klagegrund, mit dem eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerügt wird, zu prüfen wäre.

 Kosten

116    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Eismea mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die von der Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen ausgesprochene Kündigung der Finanzhilfevereinbarung für das Projekt „Personalized Tissue-Engineered Veins as the first Cure for Patients with Chronic Venous Insufficiency – P-TEV“ (Aus Humangewebe generierte personalisierte Venen als erste Behandlung für Patienten mit chronischer Veneninsuffizienz – P-TEV) mit dem Aktenzeichen 778620 wird für unwirksam erklärt.

2.      Die Europäische Exekutivagentur für den Innovationsrat und für KMU trägt die Kosten.

Costeira

Kancheva

Perišin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. März 2022.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.