Language of document : ECLI:EU:T:2015:202

BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

25. März 2015(*)

„Restriktive Maßnahmen gegen Iran – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Nichtregierungsorganisation – Satzungsmäßiger Zweck“

In der Rechtssache T‑274/13

Hamid Reza Emadi, wohnhaft in Teheran (Iran), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwalt T. Walter, dann Rechtsanwälte J. M. Viñals Camallonga, L. T. Barriola Urruticoechea und J. L. Iriarte Ángel,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J.‑P. Hix und A. De Elera als Bevollmächtigte,

Beklagter,

wegen teilweiser Nichtigerklärung erstens des Beschlusses 2013/124/GASP des Rates vom 11. März 2013 zur Änderung des Beschlusses 2011/235/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 68, S. 57), zweitens der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 206/2013 des Rates vom 11. März 2013 zur Durchführung des Artikels 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 359/2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 68, S. 9), drittens des Beschlusses 2014/205/GASP des Rates vom 10. April 2014 zur Änderung des Beschlusses 2011/235/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 109, S. 25) und viertens der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 371/2014 des Rates vom 10. April 2014 zur Durchführung von Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 359/2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 109, S. 9), soweit diese Rechtsakte den Kläger betreffen,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. E. Martins Ribeiro sowie der Richter S. Gervasoni und L. Madise (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Mit Klageschrift, die am 17. Mai 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger, Herr Hamid Reza Emadi, eine Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen die teilweise Nichtigerklärung erstens des Beschlusses 2013/124/GASP des Rates vom 11. März 2013 zur Änderung des Beschlusses 2011/235/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 68, S. 57), zweitens der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 206/2013 des Rates vom 11. März 2013 zur Durchführung des Artikels 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 359/2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 68, S. 9), drittens des Beschlusses 2014/205/GASP des Rates vom 10. April 2014 zur Änderung des Beschlusses 2011/235/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 109, S. 25) und viertens der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 371/2014 des Rates vom 10. April 2014 zur Durchführung von Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 359/2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Iran (ABl. L 109, S. 9) begehrt, soweit diese Rechtsakte ihn betreffen.

2        Mit Schriftsatz, der am 7. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Nichtregierungsorganisation Justice for Iran beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Beklagten zugelassen zu werden.

3        Der Streithilfeantrag ist den Parteien gemäß Art. 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden.

4        Mit Schriftsatz, der am 7. Juli 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, den Antrag auf Zulassung von Justice for Iran als Streithelferin abzulehnen.

5        Mit Schriftsatz, der am 16. Juli 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Beklagte mitgeteilt, dass er in Bezug auf den Streithilfeantrag von Justice for Iran keine Einwände habe.

 Rechtliche Würdigung

6        Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines beim Gericht anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen, dem Rechtsstreit beitreten; ausgenommen davon sind Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Unionsorganen oder zwischen Mitgliedstaaten und Unionsorganen.

7        Der Begriff des berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs ist nach dem Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Klageanträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln sowie Argumenten (Beschluss vom 12. April 1978, Amylum u. a./Rat und Kommission, 116/77, 124/77 und 143/77, Slg, EU:C:1978:81, Rn. 7 und 9, sowie Beschluss vom 25. Februar 2003, BASF/Kommission, T‑15/02, Slg, EU:T:2003:38, Rn. 26). Denn unter dem „Ausgang“ des Rechtsstreits ist die beim angerufenen Gericht beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils niederschlagen würde. Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob die angefochtene Handlung den Streithelfer unmittelbar berührt und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist (vgl. Beschluss BASF/Kommission, EU:T:2003:38, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

8        Bei Streithilfeanträgen von Menschenrechtsorganisationen impliziert das Erfordernis eines unmittelbaren und gegenwärtigen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits, dass entweder ihr Tätigkeitsfeld dem geografischen und dem Sachgebiet entspricht, um die es in dem Verfahren vor dem Gericht geht, oder dass sie, wenn ihr Tätigkeitsfeld weiter ist, aktiv an Aktionen oder Programmen zur Verteidigung der Menschenrechte in Bezug auf das betroffene geografische und das betroffene Sachgebiet beteiligt sind, deren Durchführbarkeit durch den Ausgang des Rechtsstreits beeinträchtigt werden könnte (vgl. entsprechend Beschluss vom 7. Juli 2004, Região autónoma dos Açores/Rat, T 37/04 R, Slg, EU:T:2004:215, Rn. 63 bis 71).

9        In der vorliegenden Rechtssache wird der Streithilfeantrag von Justice for Iran im Wesentlichen mit ihrer Eigenschaft als Organisation begründet, die sich für den Schutz der Menschenrechte – insbesondere von politischen Gefangenen und Minderheiten – in Iran einsetze, mit ihrer aktiven Beteiligung an dem Verfahren, das zum Erlass der angefochtenen Rechtsakte durch den Rat geführt habe, mit dem Schutz ihres Rufes und mit dem Ergebnis der Nachforschungen und Informationskampagnen, die sie in der ganzen Welt durchgeführt habe, um Menschenrechtsverletzungen in Iran und insbesondere die Ausstrahlung von mutmaßlich erzwungenen Geständnissen von Häftlingen über den Fernsehsender Press TV, bei dem der Kläger Leiter der Nachrichtenabteilung sei, anzuprangern.

10      Wie sich – erstens – u. a. aus dem dritten Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/235/GASP ergibt, verfolgen die angefochtenen Rechtsakte das Ziel, Menschenrechtsverletzungen in Iran anzugehen, und sehen insoweit die Verhängung von restriktiven Maßnahmen gegen Personen vor, die für die schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte in Iran verantwortlich sind. Außerdem wird in der Begründung der angefochtenen Rechtsakte, soweit sie den Kläger betreffen, ausdrücklich ausgeführt, dass Press TV, bei dem der Kläger als Leiter der Nachrichtenabteilung für die Produktion und Ausstrahlung der Programme verantwortlich sei, mutmaßlich erzwungene Geständnisse von Häftlingen ausgestrahlt habe.

11      Zweitens ist Justice for Iran, wie sich aus ihrer Satzung und insbesondere aus deren Art. 2 ergibt, eine Organisation, deren Hauptzweck darin besteht, den Schutz der Menschenrechte in Iran zu fördern.

12      Drittens ergibt sich aus der Akte, dass Justice for Iran u. a. im Jahr 2012 Berichte veröffentlicht hat, in denen schwere Menschenrechtsverstöße in Iran angeprangert wurden, wie Verstöße gegen das Recht von Häftlingen auf ein ordentliches und faires Verfahren, und zwar u. a. in Anbetracht der Ausstrahlung von mutmaßlich erzwungenen Geständnissen von Häftlingen. Justice for Iran hat insoweit u. a. in einem Bericht vom April 2012 mit dem Titel „Cut! Take Press TV off the Air“ die Ausstrahlung solcher Geständnisse durch Press TV angeprangert.

13      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Tätigkeitsfeld von Justice for Iran sowohl dem geografischen Gebiet, nämlich dem Gebiet der Islamischen Republik Iran, als auch dem Sachgebiet, nämlich Menschenrechtsverletzungen in Iran, insbesondere Verletzungen der Rechte von Häftlingen u. a. durch die Ausstrahlung der in dieser Rechtssache in Rede stehenden mutmaßlich erzwungenen Geständnisse von Häftlingen durch Press TV, weitgehend entspricht.

14      Justice for Iran hat somit ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits und ist daher im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Beklagten zuzulassen.

15      Das Vorbringen des Klägers, dass der Streithilfeantrag von Justice for Iran im Widerspruch zur Prozessökonomie und zu den verfahrensrechtlichen Prinzipien von Treu und Glauben stehe, stellt dieses Ergebnis nicht in Frage.

16      Wie oben in Rn. 6 ausgeführt, haben nämlich alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft machen, nach der Satzung des Gerichtshofs das Recht, dem beim Gericht anhängigen Rechtsstreit beizutreten. Wie sich aus den Feststellungen oben in den Rn. 9 bis 13 ergibt, hat Justice for Iran im vorliegenden Rechtsstreit ein solches Interesse glaubhaft gemacht.

17      Außerdem ist festzustellen, dass Justice for Iran ihren Antrag auf Zulassung als Streithelferin angesichts von Art. 116 § 6 der Verfahrensordnung nach Ablauf der in Art. 115 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von sechs Wochen stellen durfte.

18      Wie oben in Rn. 14 festgestellt, ist Justice for Iran im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zuzulassen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Streithilfeantrag, da die in Art. 24 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehene Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Union am 20. Juli 2013 veröffentlicht wurde, nach Ablauf der in Art. 115 § 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von sechs Wochen, verlängert um die in Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung vorgesehene Entfernungsfrist, gestellt wurde, so dass die Streithilfe von Justice for Iran gemäß Art. 116 § 6 der Verfahrensordnung auf eine Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung beschränkt ist. Deshalb wird Justice for Iran zu gegebener Zeit nur der Sitzungsbericht in dieser Rechtssache übermittelt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1.      Justice for Iran wird in der Rechtssache T‑274/13 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Beklagten zugelassen.

2.      Gemäß Art. 116 § 6 der Verfahrensordnung des Gerichts übermittelt der Kanzler der Streithelferin zu gegebener Zeit den Sitzungsbericht für eine eventuelle Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 25. März 2015

Der Kanzler

 

       Die Präsidentin

E. Coulon

 

       M. E. Martins Ribeiro


* Verfahrenssprache: Deutsch.