Language of document : ECLI:EU:C:2014:2423

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

9. Dezember 2014(*)

„Rechtsmittel – Petition an das Europäische Parlament – Entscheidung über die Ablage einer Petition – Nichtigkeitsklage – Begriff ‚anfechtbare Handlung‘“

In der Rechtssache C‑261/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Mai 2013,

Peter Schönberger, wohnhaft in Luxemburg (Luxemburg), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt O. Mader,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäisches Parlament, vertreten durch U. Rösslein und E. Waldherr als Bevollmächtigte,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, T. von Danwitz, A. Ó Caoimh und J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský und E. Levits, der Richterin A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Juli 2014

folgendes

Urteil

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Schönberger die Aufhebung des Urteils Schönberger/Parlament des Gerichts der Europäischen Union (T‑186/11, EU:T:2013:111, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments (im Folgenden: Petitionsausschuss) vom 25. Januar 2011 (im Folgenden: streitige Entscheidung), mit der die Prüfung der vom Rechtsmittelführer eingereichten Petition abgeschlossen worden war, abgewiesen hat.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 2. Oktober 2010 richtete Herr Schönberger, ein ehemaliger Beamter des Parlaments, auf der Grundlage von Art. 227 AEUV eine Petition an das Parlament, in der er dieses ersuchte, Maßnahmen betreffend seine persönliche Situation als Beamter des Parlaments zu ergreifen, um einer Empfehlung des Europäischen Bürgerbeauftragten Folge zu leisten.

3        Mit der streitigen Entscheidung teilte der Petitionsausschuss dem Rechtsmittelführer mit, dass seine Petition im Einklang mit der Geschäftsordnung des Parlaments für zulässig erklärt worden sei, dass sie an den für Personalfragen zuständigen Generaldirektor überwiesen werde und dass das Petitionsverfahren damit abgeschlossen sei.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

4        Herr Schönberger beantragte mit Klageschrift, die am 26. März 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung. Zur Stützung seiner Klage machte er geltend, dass seine Petition, obwohl der Petitionsausschuss ihre Zulässigkeit festgestellt habe, inhaltlich nicht geprüft worden sei. Das Parlament erhob eine Einrede der Unzulässigkeit. Hilfsweise beantragte es, die Klage als unbegründet abzuweisen.

5        Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, dass die streitige Entscheidung keine Handlung darstelle, die mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden könne.

6        In den Rn. 16 und 19 des angefochtenen Urteils hat es ausgeführt, dass zwar die Entscheidung, eine Petition als unzulässig abzulegen, das Recht der Betroffenen auf Einreichung einer Petition beeinträchtige, dass dies aber nicht für die Entscheidung darüber gelte, welche Folgerungen aus einer für zulässig erklärten Petition abzuleiten seien, die einem Ermessen politischer Natur und somit nicht der Kontrolle durch den Unionsrichter unterliege.

7        Das Gericht hat daraus in Rn. 23 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass in der vorliegenden Rechtssache die streitige Entscheidung, da die Petition für zulässig erklärt worden sei, weder die Rechtsstellung des Rechtsmittelführers in eindeutiger Weise habe verändern noch seine Interessen habe beeinträchtigen können. Ohne über die anderen Klagegründe zu entscheiden, hat es daher die Klage für unzulässig erklärt und dem Rechtsmittelführer seine eigenen Kosten und die Kosten des Parlaments auferlegt.

 Anträge der Parteien

8        Herr Schönberger beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben,

–        seiner im ersten Rechtszug erhobenen Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung stattzugeben und

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

9        Das Parlament beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

10      Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf vier Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird eine Verfälschung von Tatsachen gerügt. Bei seiner Zusammenfassung des Inhalts der streitigen Entscheidung habe das Gericht davon abgesehen, festzustellen, dass die Petition vom Parlament nicht inhaltlich geprüft worden sei. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass allein die Zurückweisung einer Petition als unzulässig das Petitionsrecht des Rechtsmittelführers hätte einschränken können und somit geeignet gewesen wäre, seine Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird ein Begründungsmangel des angefochtenen Urteils insoweit gerügt, als das Gericht nicht auf die fehlende Begründung der streitigen Entscheidung eingegangen sei. Schließlich wirft der Rechtsmittelführer mit seinem vierten Rechtsmittelgrund dem Gericht vor, nicht auf seinen Klagegrund eingegangen zu sein, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, dem Petitionsausschuss sein Anliegen vorzutragen.

11      Das Parlament beantragt, die Rechtsmittelgründe des Rechtsmittelführers als unzulässig oder offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

12      Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, der an erster Stelle zu prüfen ist, macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe seine Nichtigkeitsklage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Er hält eine Entscheidung, mit der der Petitionsausschuss eine Petition, die er zur Entscheidung angenommen habe, in der Form behandele, dass er sie – wie hier – an den für Personalfragen zuständigen Generaldirektor des Parlaments überweise, für eine Entscheidung, die den Betroffenen beschwere und daher mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden könne.

13      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 Abs. 1 AEUV der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Parlaments mit Rechtswirkung gegenüber Dritten überwacht. Gegenstand einer Nichtigkeitsklage können nur die Handlungen sein, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise verändern (vgl. u. a. Urteil IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264).

14      Das Petitionsrecht ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 Buchst. d AEUV, Art. 24 Abs. 2 AEUV und Art. 227 AEUV sowie aus Art. 44 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zusammen genommen ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass dieses Recht zu den Grundrechten gehört und nach Maßgabe der in Art. 227 AEUV vorgesehenen Bedingungen ausgeübt wird.

15      Nach dieser Bestimmung steht das Petitionsrecht nicht nur den Unionsbürgern, sondern ganz allgemein jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnort oder Sitz in einem Mitgliedstaat zu. Es kann individuell oder kollektiv ausgeübt werden. Die Petition muss sich auf einen der „Tätigkeitsbereiche der Union“ beziehen und den oder die Petenten „unmittelbar“ betreffen.

16      Hinsichtlich der Frage, ob die eine oder die andere der im Anschluss an eine Petition vom Petitionsausschuss oder vom Parlament selbst getroffene Entscheidung mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann, ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass keine der in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen des AEU-Vertrags eine Entscheidungsbefugnis des Parlaments auf dem Gebiet der Petitionen vorsieht.

17      Das Petitionsrecht ist ein Instrument zur Teilhabe der Bürger am demokratischen Leben der Union. Es handelt sich um einen der Wege des direkten Dialogs zwischen den Unionsbürgern und ihren Vertretern.

18      Die Natur des Verhältnisses zwischen dem Parlament und denen, die eine Petition bei ihm einreichen, wird durch die Vorschriften bestätigt, die das Parlament der Prüfung von Petitionen in den Art. 215 bis 217 seiner Geschäftsordnung in der derzeit geltenden Fassung gewidmet hat (Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, achte Wahlperiode – Juli 2014, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Diese Vorschriften stimmen, ungeachtet einiger mit ihnen vorgenommener Präzisierungen, im Wesentlichen mit den relevanten Bestimmungen überein, die zur Zeit der dem Sachverhalt des Rechtsstreits zugrunde liegenden Ereignisse in Kraft waren (Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, 16. Ausgabe – Juli 2004, ABl. 2005, L 44, S. 1).

19      So hat das Parlament in Art. 215 dieser Geschäftsordnung verschiedene zusätzliche Regelungen zu den Formerfordernissen und der Sprache, in der eine Petition eingereicht werden kann, sowie zum Erfordernis der Benennung eines Vertreters durch die Petenten im Fall einer Sammelpetition getroffen. Die Petitionen, die die Formerfordernisse erfüllen, werden in ein „Register“ eingetragen, während die übrigen abgelegt werden und dem Petenten die Begründung dafür mitgeteilt wird. Die in das Register eingetragenen Petitionen werden vom Präsidenten des Parlaments an den Petitionsausschuss überwiesen, der feststellt, „ob die Petition gemäß Artikel 227 [AEUV] zulässig ist oder nicht“, wobei diese „Zulässigkeit“ bejaht wird, wenn sich mindestens ein Viertel der Mitglieder des Petitionsausschusses dafür ausspricht. Wird eine Petition als nicht zulässig angesehen, wird der Petent unter Angabe von Gründen hiervon unterrichtet; ihm können „andere Rechtsbehelfe“ empfohlen werden.

20      Schließlich ist auf die vom Parlament in Art. 215 Abs. 13 seiner Geschäftsordnung für sich in Anspruch genommene Möglichkeit hinzuweisen, sich mit von Personen, die weder Unionsbürger sind noch ihren Wohnort oder ihren Sitz in der Union haben, eingereichten Petitionen zu befassen, deren „Prüfung [der Petitionsausschuss] für angebracht hält“.

21      Art. 216 der Geschäftsordnung des Parlaments in ihrer derzeit geltenden Fassung regelt die weitere Behandlung der Petitionen, die vom Petitionsausschuss „im Verlauf seiner normalen Tätigkeit“ –gegebenenfalls in Anwesenheit des Petenten, wobei es in das Ermessen des Ausschussvorsitzenden gestellt ist, ihm das Wort zu erteilen – geprüft werden. Der Petitionsausschuss kann beschließen, einen Initiativbericht oder, mit Zustimmung der Konferenz der Präsidenten, einen kurzen Entschließungsantrag auszuarbeiten. In bestimmten Fällen ist er verpflichtet, mit anderen Ausschüssen zusammenzuarbeiten. Er kann die Europäische Kommission ersuchen, ihn zu unterstützen, und er kann beschließen, in dem Mitgliedstaat oder der Region, auf den oder die sich die fragliche Petition bezieht, einen Informationsbesuch durchzuführen. Er kann den Präsidenten des Parlaments ersuchen, seine Stellungnahme oder Empfehlung der Kommission, dem Rat der Europäischen Union oder dem betroffenen Mitgliedstaat zu übermitteln, um ein Tätigwerden oder eine Antwort zu erwirken. Der Petitionsausschuss unterrichtet das Parlament halbjährlich über die Ergebnisse seiner Beratungen und insbesondere über die Maßnahmen, die der Rat bzw. die Kommission hinsichtlich der ihnen übermittelten Petitionen ergriffen haben. Die Petenten werden über den vom Petitionsausschuss gefassten Beschluss und über dessen Begründung unterrichtet. Ist die Prüfung einer zulässigen Petition beendet, wird sie für abgeschlossen erklärt und die Petenten werden unterrichtet.

22      Unter diesen Umständen muss eine Entscheidung, in der das mit einer Petition befasste Parlament feststellt, dass sie die in Art. 227 AEUV genannten Voraussetzungen nicht erfülle, gerichtlich überprüfbar sein, da sie geeignet ist, das Petitionsrecht des Betroffenen zu beeinträchtigen. Das Gleiche gilt für eine Entscheidung, mit der sich das Parlament – unter Verkennung des Wesensgehalts des Petitionsrechts – weigerte oder davon absähe, sich mit einer bei ihm eingereichten Petition zu befassen und damit zu prüfen, ob diese die in Art. 227 AEUV genannten Voraussetzungen erfüllt.

23      Eine negative Entscheidung des Parlaments hinsichtlich der Frage, ob die in Art. 227 AEUV genannten Voraussetzungen erfüllt sind, muss so begründet sein, dass der Petent zu erkennen vermag, welche dieser Voraussetzungen in seinem Fall nicht erfüllt ist. Entgegen der Beurteilung des Gerichts in Rn. 28 des Urteils Tegebauer/Parlament (T‑308/07, EU:T:2011:466) entspricht eine knappe Begründung wie die, die in der Entscheidung des Parlaments enthalten war, um die es in der Rechtssache ging, in der jenes Urteil ergangen ist, diesem Erfordernis.

24      Hingegen folgt aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags wie auch aus den vom Parlament zur Ausgestaltung des Petitionsrechts erlassenen Vorschriften, dass das Parlament bei einer Petition, bei der es wie vorliegend die Auffassung vertritt, dass sie die in Art. 227 AEUV genannten Voraussetzungen erfülle, hinsichtlich der weiteren Behandlung dieser Petition über ein weites politisches Ermessen verfügt. Eine entsprechende Entscheidung unterliegt daher keiner gerichtlichen Nachprüfung, unabhängig davon, ob das Parlament mit einer solchen Entscheidung selbst die angegebenen Maßnahmen ergreift oder ob es sich hierzu nicht imstande sieht und die Petition dem zuständigen Organ oder der zuständigen Dienststelle übermittelt, damit dieses Organ oder diese Dienststelle die entsprechenden Maßnahmen ergreift.

25      Im vorliegenden Fall ergibt sich unmittelbar aus den Angaben in dem angefochtenen Urteil, dass das Parlament das Recht des Rechtsmittelführers, eine Petition bei ihm einzureichen, keineswegs verkannt hat, sondern die bei ihm eingegangene Petition geprüft, sich zu ihrer Zulässigkeit geäußert und beschlossen hat, sie zur weiteren Behandlung an den für Personalfragen zuständigen Generaldirektor des Parlaments zu übermitteln, und sie somit so behandelt hat, wie es ihm zweckmäßig erschien.

26      Aus diesen Gründen – und da unter diesen Umständen die übrigen Rechtsmittelgründe ins Leere gehen – ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 Kosten

27      Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament die Verurteilung des Rechtsmittelführers zur Tragung der Kosten beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Herr Peter Schönberger trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.