URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
27. Januar 1998 (1)
„Nichtigkeitsklage Staatliche Beihilfen Wettannahmemarkt Artikel 92
Absätze 1 und 3 EG-Vertrag Begriff der Beihilfe Steuerliche Maßnahmen
Rückzahlungspflicht“
In der Rechtssache T-67/94
Ladbroke Racing Ltd, Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in London,
Prozeßbevollmächtigte: Jeremy Lever, QC, Barrister Christopher Vajda, zugelassen
in England und Wales, und Solicitor Stephen Kon, Zustellungsanschrift: Kanzlei der
Rechtsanwälte Winandy und Err, 60, avenue Gaston Diderich, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Michel Nolin und
Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter:
Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
Französische Republik, vertreten durch Catherine de Salins, Abteilungsleiterin in
der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten,
und Jean-Marc Belorgey, Chargé de mission in dieser Direktion, als
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8 B, boulevard
Joseph II, Luxemburg,
hauptsächlich wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 93/625/EWG der
Kommission vom 22. September 1993 betreffend mehrere Beihilfen der
französischen Regierung zugunsten des Pari mutuel urbain (PMU) und der
Renngesellschaften (ABl. L 300, S. 15)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten C. W. Bellamy sowie der Richter B. Vesterdorf,
C. P. Briët, A. Kalogeropoulos und A. Potocki,
Kanzler: B. Pastor, Verwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11.
März 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt und Verfahren
- 1.
- Die Ladbroke Racing Ltd (im folgenden: Klägerin) ist eine Gesellschaft englischen
Rechts, die von der Ladbroke Group plc kontrolliert wird; diese veranstaltet u. a.
bei Pferderennen im Vereinigten Königreich und in anderen Ländern der
Europäischen Gemeinschaft Wetten und erbringt entsprechende Dienstleistungen.
- 2.
- Der Pari mutuel urbain (im folgenden: PMU) ist ein wirtschaftlicher
Interessenverband (Groupement d'intérêt économique; im folgenden: GIE), dem
die führenden Rennvereine Frankreichs angehören (Artikel 21 des Dekrets 83-878
vom 4. Oktober 1983 über Pferderennvereine und Totalisatorwetten), und der
gegründet wurde, um die Rechte dieser Vereine bei der Organisation von
Totalisatorwetten für Pferderennen außerhalb von Rennplätzen wahrzunehmen.
Die Wahrnehmung dieser Rechte durch den PMU erfolgte anfänglich in Form
eines „gemeinsamen Dienstes“ (Dekret vom 11. Juli 1930 zur Ausdehnung der
Totalisatorwetten außerhalb der Pferderennplätze). Gemäß Artikel 13 des Dekrets
74-954 vom 14. November 1974 über Pferderennvereine nimmt seit diesem Tag
ausschließlich der PMU die Rechte der Rennvereine in bezug auf die
Totalisatorwetten außerhalb der Rennplätze wahr. Dieses ausschließliche Recht des
PMU wird außerdem dadurch geschützt, daß es anderen Personen als dem PMU
untersagt ist, Wetten für Pferderennen abzuschließen oder entgegenzunehmen
(Artikel 8 der interministeriellen Verordnung vom 13. September 1985 über den
Pari mutuel urbain). Es erstreckt sich auf Wetten, die im Ausland für die in
Frankreich veranstalteten Rennen entgegengenommen werden, und auf Wetten, die
in Frankreich für im Ausland veranstaltete Rennen entgegengenommen werden;
diese Wetten können ebenfalls nur von den zugelassenen Vereinen und/oder dem
PMU abgeschlossen werden (Artikel 15 Absatz 3 des Gesetzes 64-1279 vom 23.
Dezember 1964 mit dem Finanzgesetz für 1965 und Artikel 21 des Dekrets 83-878).
- 3.
- Am 7. April 1989 reichten sieben Unternehmen der Ladbroke-Gruppe, darunter
die Klägerin, bei der Kommission eine Beschwerde gegen mehrere Beihilfen ein,
die die französische Regierung dem PMU gewährt habe und die mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar seien.
- 4.
- Die Klägerin beanstandete in ihrer Beschwerde folgende Beihilfen:
1. Zahlungserleichterungen, die es dem PMU gestatteten, die Zahlung
bestimmter, auf Pferderennwetten erhobener Gebühren an den
französischen Staat zu verschieben;
2. den Verzicht auf Wettentnahmen in Höhe von 180 Millionen FF, um dem
PMU zu helfen, sein Defizit einzudämmen, und zwar unter der
Voraussetzung, daß dieser einen Sanierungsplan aufstellt;
3. die Befreiung vom einmonatigen Aufschub des
Mehrwertsteuer-Vorsteuerabzugs;
4. die Verwendung der von den Wettern nicht beanspruchten Gewinne zur
Finanzierung von Entlassungsentschädigungen;
5. die Freistellung des PMU vom Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau;
6. den Verzicht auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf das
untere Zehntel ergebenden Beträge in der Zeit von 1982 bis 1985;
7. die Befreiung der Rennvereine von der Zahlung der Körperschaftsteuer, die
1989 eine Beihilfe von ca. 546 Millionen FF dargestellt habe;
8. die Befreiung der Rennvereine von der Zahlung der Einkommensteuer, die
von der Körperschaftsteuer nicht unterliegenden Vereinen zu zahlen sei.
- 5.
- Mit Schreiben vom 11. Januar 1991 teilte die Kommission den französischen
Behörden mit, daß sie beschlossen habe, das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz
2 EWG-Vertrag bezüglich der folgenden sieben Maßnahmen zugunsten des PMU
einzuleiten (ABl. C 38, S. 3):
„1. Zahlungserleichterungen in Form der für die Zahlung der staatlichen
Abgaben von den Jahren 1980 und 1981 an eingeräumten Fristen;
2. Verzicht auf 180 Millionen ffrs bei den Abgaben für 1986;
3. Befreiung von [dem Aufschub des Mehrwertsteuer-Vorsteuerabzugs] um
einen Monat;
4. Verwendung der nicht angeforderten Gewinne zur Zahlung einer
zusätzlichen Entlassungsentschädigung im Jahr 1985;
5. Freistellung des PMU [vom Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau];
6. Verzicht auf die sich aus der Abrundung der Spielgewinne auf das untere
Zehntel ergebenden Beträge von 1982 bis 1985;
7. Befreiung von der Körperschaftsteuer.“
- 6.
- Mit Schreiben vom 19. März 1991 beantragte die Klägerin bei der Kommission,
vorläufige Maßnahmen zur Aussetzung von vier der sieben Maßnahmen zugunsten
des PMU zu treffen, und zwar a) der Zahlungserleichterungen, b) der Befreiung
vom Aufschub des Vorsteuerabzugs um einen Monat, c) der Freistellung vom
Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau.
- 7.
- Mit der Entscheidung 92/35/EWG vom 11. Juni 1991 forderte die Kommission die
französische Regierung auf, drei dieser vier Maßnahmen zugunsten des PMU
auszusetzen, die ihrer Ansicht nach unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag getroffen worden waren und fortbestanden (ABl. 1992, L 14, S. 35; im
folgenden: vorläufige Entscheidung), nämlich a) die Zahlungserleichterungen, b) die
Befreiung vom Aufschub des Vorsteuerabzugs um einen Monat und c) die
Freistellung vom Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau.
- 8.
- Mit Schreiben vom 24. Juni 1992 forderte die Klägerin die Kommission auf,
endgültig zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die französische Regierung die
Beihilfen, die Gegenstand der vorläufigen Entscheidung gewesen waren, tatsächlich
ausgesetzt habe.
- 9.
- Da die Kommission dieses Schreiben nicht beantwortete, forderte die Klägerin sie
mit Schreiben vom 11. August 1992 auf, gemäß Artikel 175 EG-Vertrag zu a) den
in der Beschwerde beanstandeten Beihilfen, die nicht Gegenstand der vorläufigen
Entscheidung gewesen seien, b) zu den Maßnahmen, die die Kommission zur
Durchführung ihrer vorläufigen Entscheidung getroffen habe, und c) zum Stand des
Verfahrens bezüglich der Beihilfen, die Gegenstand der vorläufigen Entscheidung
gewesen seien, Stellung zu nehmen.
- 10.
- Mit Schreiben vom 12. Oktober 1992 antwortete die Kommission auf das
Aufforderungsschreiben vom 11. August 1992. Darin verwies die Kommission auf
die Maßnahmen, die die französischen Behörden getroffen hätten, um der
vorläufigen Entscheidung nachzukommen, und führte aus, daß sie die Vereinbarkeit
der anderen, in der Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens erwähnten
Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt im Rahmen der abschließenden
Entscheidung gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag beurteilen werde.
- 11.
- Mit Schreiben vom 5. November 1992 antwortete die Klägerin auf das Schreiben
der Kommission vom 12. Oktober 1992 und führte aus, daß die Kommission, wie
aus ihrem eigenen Schreiben hervorgehe, 15 Monate nach Erlaß der vorläufigen
Entscheidung noch nicht wisse, ob die französische Regierung die
Zahlungserleichterungen und die Befreiung vom Aufschub des Vorsteuerabzugs um
einen Monat tatsächlich ausgesetzt habe, und daß die Befreiung der Rennvereine
vom Beitrag zum Wohnungsbau noch immer in Kraft sei, was einen offenkundigen
Verstoß gegen die vorläufige Entscheidung darstelle. Die Klägerin forderte die
Kommission somit nochmals gemäß Artikel 175 EG-Vertrag auf, a) zu bestätigen,
daß die ersten beiden Beihilfen, nämlich die Zahlungserleichterungen und die
Befreiung vom Aufschub des Vorsteuerabzugs um einen Monat, ausgesetzt worden
seien, b) die Aussetzung der dritten Beihilfe, nämlich der Freistellung vom
Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau, zu erreichen, c) das eingeleitete Verfahren
binnen zwei Monaten nach Eingang dieses Schreibens abzuschließen, d) die sieben
dem PMU gewährten Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu
erklären und e) anzuordnen, daß diese Beihilfen zuzüglich marktüblicher Zinsen
zurückzuzahlen seien.
- 12.
- Da die Klägerin auf dieses Aufforderungsschreiben keine Antwort erhielt, erhob
sie am 5. März 1993 gemäß Artikel 175 EG-Vertrag Untätigkeitsklage gegen die
Kommission, die unter der Nummer T-467/93 in das Register des Gerichts
eingetragen wurde.
- 13.
- Am 22. September 1993 erließ die Kommission die Entscheidung 93/625/EWG
betreffend mehrere Beihilfen der französichen Regierung zugunsten des Pari
mutuel urbain (PMU) und der Renngesellschaften (ABl. L 300, S. 15; im folgenden
auch angefochtene Entscheidung) und schloß damit das gegen Frankreich
eingeleitete Verfahren ab.
- 14.
- Mit Schreiben vom 13. und 20. Dezember 1993 teilte die Klägerin dem Gericht mit,
daß ihre Klage nach Erlaß der Entscheidung 93/625 gegenstandslos geworden sei
und daß sie diese zurücknehme.
- 15.
- Durch Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 2. Mai
1994 wurde die Rechtssache T-467/93 im Register des Gerichts gestrichen.
Die angefochtene Entscheidung
- 16.
- In der angefochtenen Entscheidung unterschied die Kommission zwischen zwei
Kategorien von Beträgen, die bei Pferderennwetten einbehalten werden, nämlich
zwischen „Abgaben“ oder „öffentlichen Abgaben“, also Beträgen, die in den
allgemeinen Staatshaushalt fließen, einerseits und „nichtöffentlichen Entnahmen“,
also den nicht an die Wetter ausgezahlten Beträgen, andererseits. Der
angefochtenen Entscheidung zufolge behält der PMU von 100 FF eingenommenen
Wetten etwa 30 FF ein und zahlt 70 FF an die Wetter aus. Von den einbehaltenen
30 FF deckt er mit ca. 5,5 FF seine laufenden Ausgaben, ca. 18 FF gehen an die
staatlichen Behörden und die Stadt Paris und der Rest wird an die Rennvereine
abgeführt.
- 17.
- Die Kommission führte ferner aus, daß die Märkte für Glücksspiele zwar seit jeher
national abgeschottet seien, daß Wetten über Pferderennen auf nationalen
Rennbahnen jedoch international organisiert seien, und daß der PMU noch im
Januar 1989 mit der Gründung des Pari mutuel international (PMI) klar seine
Absicht bekundet habe, seine Tätigkeiten auf Märkte außerhalb Frankreichs
auszudehnen, indem er in Deutschland und Belgien Vereinbarungen geschlossen
habe und so mit anderen Wettveranstaltern und speziell mit der Klägerin in
Wettbewerb getreten sei (Teil III der angefochtenen Entscheidung).
- 18.
- Sie vertrat die Auffassung, daß drei der sieben von der französischen Regierung
zugunsten des PMU getroffenen Maßnahmen, auf die sich das gemäß Artikel 93
Absatz 2 EG-Vertrag eingeleitete Verfahren erstreckt hatte, staatliche Beihilfen im
Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages darstellten.
- 19.
- So habe der von 1982 bis 1985 praktizierte teilweise Verzicht auf die Abführung
der sich aus der Abrundung der Spielgewinne auf das untere Zehntel ergebenden
Beträge (315 Millionen FF), die nach dem Haushaltsgesetz vom 17. Dezember 1966
seit 1967 in den allgemeinen Haushalt des Staates geflossen seien, eine Beihilfe
dargestellt, weil es sich um eine „zeitlich begrenzte Maßnahme zur Lösung einespunktuellen Problems“, nämlich der Umstellung des PMU auf EDV-Betrieb,
gehandelt habe, mit der seine Marktstellung habe gefestigt werden sollen (Teile IV
und V, Nummer 2).
- 20.
- Auch die Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs stelle eine
Zahlungserleichterung dar, die einer staatlichen Beihilfe gleichzustellen sei, die
jedoch seit 1989 durch eine bei der Staatskasse ständig hinterlegte Kautionssumme
kompensiert worden sei, bis diese am 1. Juli 1993 abgeschafft worden sei (Teile IV
und V, Nummer 6).
- 21.
- Schließlich habe zwar ein Urteil des Staatsrates aus dem Jahre 1962 den
landwirtschaftlichen Charakter der Tätigkeiten der Rennvereine und damit ihre
Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau bestätigt; gleichwohl sei die Tätigkeit
des PMU selbst, nämlich Organisation und Abwicklung von Wetten, aber
offenkundig keine landwirtschaftliche Tätigkeit, so daß die betreffende Freistellung,
da sie durch die Rechtsstellung des PMU nicht gerechtfertigt sei, eine staatliche
Beihilfe darstelle (Teile IV und V, Nummer 7).
- 22.
- Dennoch war die Kommission der Ansicht, daß die fraglichen drei Maßnahmen
gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag freigestellt werden könnten.
- 23.
- Bezüglich der Beihilfe in Form eines Verzichts auf die Abführung der sich der aus
der Abrundung der Spielgewinne auf das untere Zehntel ergebenden Beträge
vertrat die Kommission die Auffassung, daß trotz ihrer hohen Intensität (nahezu
29 % der gesamten Kosten der Umstellung auf EDV-Betrieb) „die zwischen 1982
und 1985 für die Umstellung des PMU auf EDV-Betrieb gewährten Beihilfen in
Anbetracht des Standes der Entwicklung des Wettbewerbs und des Handels vor der
Gründung des PMI im Januar 1989 unter Berücksichtigung der mittelbaren und
unmittelbaren Auswirkungen dieser Beihilfen auf die Entwicklung des
Wirtschaftszweigs in allen seinen wirtschaftlichen Komponenten einschließlich der
Pferdezucht keine dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden störenden
Auswirkungen auf dem Markt gehabt“ hätten (Teil VII, Nummer 1).
- 24.
- Auch die Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs sei aus
denselben Gründen wie die vorgenannte Beihilfe bis Januar 1989 als mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen. In der Zeit nach 1989 seien die
wettbewerbsschädigenden Auswirkungen der betreffenden Beihilfe in vollem
Umfang durch eine bei der Staatskasse hinterlegte ständige Kaution ausgeglichen
worden.
- 25.
- Die Beihilfe, die sich aus der Freistellung vom Wohnungsbaubeitrag ergebe, falle
ebenso wie die aus der Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs
bestehende Beihilfe bis 1989 unter die Ausnahme des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe c, müsse jedoch ab 1989 für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar
erklärt werden (Teil VII, Nummer 3).
- 26.
- Zur Rückforderung dieser seit 1989 gewährten Beihilfe vertrat die Kommission
jedoch die Auffassung, daß zwar „eine Rückzahlung der Beihilfe ab diesem
Zeitpunkt mit Rücksicht auf den Standpunkt der französischen Behörden, wonach
der Abzug des fraglichen Beitrags angesichts des unter Teil IV Nummer 7
erwähnten Urteils des Staatsrates nicht möglich war, nicht verlangt“ werden sollte
(vgl. oben, Randnr. 21), daß dieses Argument aber „nach dem 11. Januar 1991, als
den französischen Behörden die Einleitung des Verfahrens mitgeteilt wurde, ...
nicht mehr greifen“ könne. Die Kommission führte ferner aus, daß sie nicht in der
Lage sei, den einzuziehenden Beihilfeanteil selbst zu bestimmen, und daß sie die
französische Regierung aufgefordert habe, den wiedereinzuziehenden Beihilfebetrag
selbst zu ermitteln und ihr mitzuteilen (Teil VIII).
- 27.
- Bei den anderen vier Maßnahmen hielt die Kommission die Voraussetzungen für
eine Anwendung des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag für nicht erfüllt.
- 28.
- Bezüglich der Beträge der nicht beanspruchten Gewinne vertrat die Kommission
die Ansicht, daß sie von jeher als normale Einnahmen gegolten hätten und mithin
zu den nichtöffentlichen Entnahmen gehörten. Ihre Verwendung zur Deckung
insbesondere von Sozialausgaben sowie von Kontroll-, Überwachungs- und
Betriebsaufwendungen, von Anreizen für die Pferdezucht und von Investitionen in
Zusammenhang mit der Veranstaltung von Pferderennen und der Toto-Wetten
könne folglich nicht als staatliche Beihilfe angesehen werden, da das Kriterium der
Gewährung aus staatlichen Mitteln nicht erfüllt sei (Teile IV und V, Nummer 1).
- 29.
- Zur veränderten Verteilung der öffentlichen Abgaben (vgl. oben, Randnr. 16)
führte die Kommission aus, daß die Steuerregelungen für Pferderennen in die
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen und daß Anpassungen der Steuersätze
nach oben oder unten keine staatlichen Beihilfen darstellten, solange diese
einheitlich auf alle betroffenen Unternehmen anwendbar seien. Eine staatliche
Beihilfe könne nur dann vorliegen, wenn eine spürbare Senkung des Steuersatzes
dazu führen würde, die finanzielle Lage eines Unternehmens in Monopolstellung
zu stärken. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da es sich bei der Herabsetzung der
öffentlichen Abgaben auf Wetten im Jahre 1984 um eine begrenzte Senkung (etwa
1,6 %) gehandelt habe, die in der Folgezeit beibehalten worden sei und nicht die
Finanzierung einer punktuellen Maßnahme bezweckt habe. Die französischen
Behörden hätten bezweckt, die Finanzmittel der Empfänger der nichtöffentlichen
Entnahmen nachhaltig zu erhöhen. Mit Rücksicht auf die besondere Situation der
Begünstigten der fraglichen Maßnahme sei diese keine staatliche Beihilfe gewesen,
sondern eine „Reform in Form einer durch die Eigenart und die Anlage des
Systems begründeten .Steueranpassung'“ (Teile IV und V, Nummer 3).
- 30.
- Bezüglich der Befreiung von der Körperschaftsteuer war die Kommission der
Ansicht, daß, da der PMU „aufgrund seiner Rechtsstellung als [GIE] ... nicht der
Körperschaftsteuer [unterliegt]“, in einer solchen Befreiung „eine Folge der
normalen Anwendung der allgemeinen Steuerregelung zu erblicken“ sei (Teil V,
Nummer 4).
- 31.
- Zu den dem PMU vom Haushaltsminister mit Entscheidungen vom 24. April 1980
und vom 19. Februar 1982 in Form eines Zahlungsaufschubs für die Zahlung der
öffentlichen Abgaben bewilligten Zahlungserleichterungen, die eine Zahlungsfrist
von fast zwei Monaten darstellten, vertrat die Kommission die Auffassung, daß
diese Erleichterungen eine kontinuierliche Zunahme des Teils der nichtöffentlichen
Entnahmen seit 1981 bewirkt hätten und es sich mithin „weder um einen
zeitweiligen Verzicht der staatlichen Behörden auf Finanzeinnahmen noch um eine
punktuelle Maßnahme“ gehandelt habe, so daß sie ebenso zu bewerten seien wie
die vorgenannte Maßnahme hinsichtlich der Verteilung der Abgaben (vgl. oben,
Randnr. 29) (Teile IV und V, Nummer 5).
- 32.
- Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 4. Februar 1994 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
- 33.
- Mit Schriftsatz, der am 22. Juni 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,
hat die Französische Republik beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der
Anträge der Kommission zugelassen zu werden.
- 34.
- Diesem Streithilfeantrag ist mit Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des
Gerichts vom 30. August 1994 stattgegeben worden; die Streithelferin hat am 21.
Dezember 1994 ihren Streithilfeschriftsatz eingereicht, zu dem die Klägerin am 31.
März 1995 Stellung genommen hat.
- 35.
- Das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die
mündliche Verhandlung eröffnet und im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen die
Beklagte aufgefordert, eine Reihe von Unterlagen und Schriftstücken aus ihrem
Schriftverkehr mit den französischen Behörden über die dem PMU gewährten
Beihilfen vorzulegen.
- 36.
- Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 11. März 1997 mündlich
verhandelt und die mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 37.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung 93/625 für nichtig zu erklären, soweit die Kommission
darin feststellt,
1. daß folgende Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich von
Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag fallen:
a) Zahlungserleichterungen, die es dem PMU erlauben, die
Zahlung bestimmter Wettabgaben an den Staat zu verschieben;
b) die Befreiung von der Körperschaftsteuer;
c) die Befreiung von der Einkommensteuer;
d) der Verzicht auf 180 Millionen FF an Wettabgaben im Jahr
1986;
e) das Recht des PMU, nicht beanspruchte Gewinne zu behalten;
f) die Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs
seit 1. Januar 1989;
2. daß folgende Maßnahmen gemäß Artikel 92 EG-Vertrag mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar sind:
a) die sich auf 315 Millionen FF belaufende Abrundung der
Spielgewinne auf das untere Zehntel in der Zeit von 1982 bis
1985;
b) die Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs
vor dem 1. Januar 1989;
c) die Freistellung vom Wohnungsbaubeitrag der Arbeitgeber vor
dem 1. Januar 1989;
3. a) daß die dem PMU gewährte Beihilfe in Form der Freistellung
vom Wohnungsbaubeitrag der Arbeitgeber für die Zeit vor dem
11. Januar 1991 nicht zurückzuzahlen ist;
b) daß die Kommission nicht verpflichtet ist, selbst den auf die
Freistellung vom Wohnungsbaubeitrag der Arbeitgeber
entfallenden Beihilfebetrag zu bestimmen, dessen Rückzahlung
vom 11. Januar an sie angeordnet hat;
der Kommission aufzugeben,
1. binnen eines Monats nach dem Urteil des Gerichts
a) den Betrag der Beihilfe zu berechnen, die dem PMU in Form
der Freistellung vom Wohnungsbaubeitrag der Arbeitgeber für
die Zeit nach dem 11. Januar 1991 gewährt worden ist, wobei
diese Beihilfe gleich dem Betrag ist, auf den der französische
Staat durch diese Freistellung des PMU in dieser Zeit verzichtet
hat;
b) den Zinsbetrag daraus zu berechnen, wobei die Berechnung
gemäß Artikel 3 der Entscheidung 93/625 zu erfolgen hat;
2. binnen eines weiteren Monats die Rückzahlung aller nach Punkt 1
Buchstaben a und b geschuldeten und vom PMU noch nicht an den
französischen Staat zurückgezahlten Beträge (sowie die Zahlung von
Zinsen auf diese Beträge) zu verlangen;
3. unverzüglich die Rückzahlung aller Beträge, auf die der französische
Staat durch die Freistellung des PMU vom Wohnungsbaubeitrag der
Arbeitgeber in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis 11. Januar 1991
verzichtet hat, sowie die Zahlung von gemäß Artikel 3 der
Entscheidung 93/625 berechneten Zinsen auf diese Beträge zu
verlangen;
4. unbeschadet des vorgenannten Punkts 3 unverzüglich die am 7. April
1989 eingereichte Beschwerde unter Berücksichtigung des Urteils des
Gerichts erneut zu prüfen und diese erneute Prüfung binnen 6
Monaten nach Verkündung dieses Urteils abzuschließen;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 38.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 39.
- Die Streithelferin beantragt,
die Klage abzuweisen.
Rechtslage
- 40.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe, nämlich eine fehlerhafte
Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 bzw. von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag, eine Verletzung der der Kommission bei der Anordnung der
Rückforderung einer staatlichen Beihilfe obliegenden Pflichten und eine Verletzung
des Artikels 190 EG-Vertrag.
Zur fehlerhaften Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag
- 41.
- Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Kommission Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag
insoweit fehlerhaft angewandt habe, als sie davon ausgegangen sei, daß vier der
sieben streitigen staatlichen Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen gewesen seien,
und daß die Maßnahme in Form einer Befreiung vom einmonatigen Aufschub des
Vorsteuerabzugs seit 1989 keine staatliche Beihilfe mehr darstelle, da ihre
Auswirkungen durch eine bei der Staatskasse ständig hinterlegte Kautionssumme
kompensiert würden.
Zur veränderten Verteilung der Abgaben und zum darauffolgenden Verzicht auf
Abgaben in Höhe von 180 Millionen FF ab 1985
Parteivorbringen
- 42.
- Die Klägerin trägt vor, daß wie sich aus den im Rahmen ihrer Beschwerde
vorgelegten Beweisen ergebe der durch die Dekrete vom 23. Januar 1985 und
vom 12. März 1986 erfolgte Verzicht auf einen Teil der staatlichen Abgaben im
Wert von schätzungsweise 180 Millionen FF unmittelbar mit dem Sanierungsplan
des PMU zusammenhänge und ein großer Teil dieser Summe der Finanzierung von
Massenentlassungen beim PMU gedient habe. Nach einer Mitteilung der
Presseagentur AFP habe der Staatssekretär im französischen Haushaltsministerium
den Sanierungsplan des PMU zur maßgeblichen Zeit befürwortet und erklärt, daß
„der Staat eine Beihilfe von 180 Millionen FF beisteuert, die sich daraus ergibt, daß
er zugunsten der Rennvereine auf einen Teil der ihm zustehenden Abgabe auf die
Wetteinsätze verzichtet“.
- 43.
- Daß die gesetzliche Änderung der Verteilung der Abgaben in der Folgezeit
beibehalten worden sei, ändere nichts daran, daß sie unauflöslich mit dem
Sanierungsplan des PMU zusammenhänge. Ein Mitgliedstaat könne sich der
Anwendung der Bestimmungen über staatliche Beihilfen nicht dadurch entziehen,
daß er das, was anfänglich nur eine vorübergehende Beihilfe gewesen sei, auf
Dauer beibehalte. Jedenfalls stelle das gesamte Abgabensystem ein System
staatlicher Beihilfen dar, so daß jede Änderung dieses Systems zugunsten des PMU
ebenfalls eine staatliche Beihilfe darstelle.
- 44.
- Gegen die Auffassung der Kommission, daß ein Mitgliedstaat berechtigt sei, bei
Unternehmen, die einer besonders hohen Besteuerung unterlägen, zu deren
Sanierung beizutragen, spreche das Urteil vom 2. Juli 1974 in der Rechtssache
173/73 (Italien/Kommission, Slg. 1974, 709), in dem der Gerichtshof das
Vorbringen, daß eine Senkung der Steuerlast, mit der ein solches Ziel verfolgt
werde, nicht unter das Verbot des Artikels 92 EWG-Vertrag falle, zurückgewiesen
habe. Außerdem unterliege der PMU keiner höheren Besteuerung als andere
wirtschaftliche Tätigkeiten; zudem sei dieses Vorbringen, das die Kommission in
ihrer Klagebeantwortung anführe, in der angefochtenen Entscheidung nicht
enthalten gewesen.
- 45.
- Die Kommission ist der Ansicht, daß die Verringerung des an den französichen
Staat abzuführenden Anteils an den Wetteinnahmen seit 1985 eine dauernde
Änderung der Steuerregelung darstelle und folglich nicht als staatliche Beihilfe zu
betrachten sei.
- 46.
- Zunächst hänge die Änderung der Abgabenregelung nicht unmittelbar mit dem
Sanierungsplan des PMU zusammen. Selbst ein solcher Zusammenhang würde aber
nicht bedeuten, daß die betreffende Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstelle,
da der Staat bei Unternehmen, die wie der PMU einer besonders hohen
Besteuerung unterlägen, berechtigt sei, zur Sanierung dieser Unternehmen
beizutragen, um seine eigenen Einnahmen für die Zukunft zu sichern, da die
Staatskasse aus jeder Verbesserung der Effizienz des PMU erheblichen Nutzen
ziehe.
- 47.
- Schließlich sei die fragliche Maßnahme, wie sich aus der von der Klägerin zitierten
Erklärung des Staatssekretärs im Haushaltsministerium (vgl. oben, Randnr. 42)
ergebe, „zugunsten der Rennvereine“ und nicht zugunsten des PMU erlassen
worden. Da sich das Verfahren gemäß Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag nur auf den
PMU und nicht auf die Rennvereine bezogen habe, habe die Kommission nicht
über eine den Rennvereinen gewährte Beihilfe entscheiden können.
- 48.
- Außerdem seien jedenfalls die wesentlichen Voraussetzungen für eine
Qualifizierung einer Maßnahme als mit dem EG-Vertrag unvereinbare und
rechtswidrige staatliche Beihilfe im Fall der Rennvereine nicht erfüllt, da sie mit
der Klägerin nicht in einem Wettbewerbsverhältnis stünden.
- 49.
- Schließlich hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf
das Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1997 in der Rechtssache T-106/95 (FFSA
u. a./Kommission, Slg. 1997, II-229) die Auffassung vertreten, daß ihr bei der
Entscheidung über die Wahl der geeignetsten Methode für die Feststellung, daß
dem freien Wettbewerb unterliegende Tätigkeiten nicht subventioniert würden, ein
gewisser Spielraum zuzuerkennen sei; ihre Entscheidung könne in diesem Rahmen
nur im Fall eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers fehlerhaft sein.
- 50.
- Die Streithelferin schließt sich der Auffassung der Kommission an und verweist im
übrigen auf ihre Ausführungen zu den Zahlungserleichterungen (vgl. unten,
Randnrn. 72 und 73).
Würdigung durch das Gericht
- 51.
- Die angefochtene Entscheidung geht davon aus, daß die in den Jahren 1985 und
1986 veränderte Verteilung der Abgaben keine staatliche Beihilfe, sondern eine
„Reform in Form einer durch die Eigenart und die Anlage des Systems
begründeten .Steueranpassung'“ dargestellt habe, da die drei Kriterien, anhand
deren die Kommission die Vereinbarkeit mit Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag
beurteilt hatte, nicht erfüllt gewesen seien. In der angefochtenen Entscheidung
heißt es nämlich, daß die fragliche Maßnahme a) nur eine begrenzte Senkung (um
etwa 1,6 %) des Abgabensatzes darstelle, mit der nicht die finanzielle Lage eines
Unternehmens in Monopolstellung gestärkt worden sei, b) auf Dauer angelegt
gewesen sei und c) nicht bezweckt habe, eine punktuelle Maßnahme zu finanzieren,
sondern „die Finanzmittel der Empfänger der nichtöffentlichen Entnahmen ... zu
erhöhen“ (Teil V Nummer 3 der angefochtenen Entscheidung).
- 52.
- Es geht also um die Frage, in welchem Umfang der Gemeinschaftsrichter die
Kriterien nachprüfen darf, anhand derer die Kommission beurteilt, ob die streitige
steuerliche Maßnahme in den Anwendungsbereich von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag fällt. Diese Bestimmung, die jede staatliche Maßnahme für mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt, die bestimmten Unternehmen Vorteile
gleich welcher Art verschafft, die den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt
verfälschen oder zu verfälschen drohen, unterscheidet nicht nach den Gründen oder
Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen
(vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. September 1996 in der Rechtssache
C-241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnrn. 19 und 20). Daraus
folgt, daß der Beihilfebegriff ein objektiver Begriff ist, der sich nur danach
bestimmt, ob eine staatliche Maßnahme einem oder bestimmten Unternehmen
einen Vorteil verschafft oder nicht. Daher ist es im Rahmen der Qualifizierung
einer Maßnahme als staatliche Beihilfe, die nach dem EG-Vertrag sowohl der
Kommission als auch den nationalen Gerichten obliegt, grundsätzlich nicht
gerechtfertigt, der Kommission einen weiten Spielraum einzuräumen, wenn keine
besonderen Umstände vorliegen, die insbesondere mit der komplexen Natur der
betreffenden staatlichen Maßnahme zusammenhängen (Urteile des Gerichtshofes
vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996,
I-723, Randnrn. 10 und 11, und des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der
Rechtssache T-358/94, Air France/Kommission, Slg. 1996, II-2109, Randnr. 71). Ob
die Gründe und Ziele staatlicher Maßnahmen erheblich sind, ist nämlich nur im
Rahmen der Prüfung nach Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag zu beurteilen, ob diese
Maßnahmen gegebenenfalls mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Nur bei
der Durchführung dieser Bestimmung, die eine Berücksichtigung komplexer
Wertungen wirtschaftlicher, sozialer, regionaler oder sektorieller Art durch die
Kommission einschließt, verfügt diese aber über ein weites Ermessen (Urteile des
Gerichtshofes vom 14. Januar 1997 in der Rechtssache C-169/95,
Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-135, Randnr. 18, und vom 15. Mai 1997 in der
Rechtssache C-355/95 P, TWD/Kommission, Slg. 1997, I-2549, Randnr. 26).
- 53.
- Dem steht das Urteil FFSA u. a./Kommission, auf das sich die Kommission beruft,
nicht entgegen. In diesem Urteil hat das Gericht der Kommission hinsichtlich der
Beantwortung der Frage, ob eine staatliche Maßnahme, die die Voraussetzungen
für die Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag erfüllt (Randnrn. 167 und
168 des Urteils), dennoch unter die Ausnahmebestimmung des Artikels 90 Absatz
2 EG-Vertrag fallen kann, ein weites Ermessen zuerkannt (Randnrn. 170 bis 187
des Urteils). Anders als in jenem Urteil geht es in der vorliegenden Rechtssache
nicht um die Beurteilung einer staatlichen Maßnahme anhand von Artikel 90
Absatz 2 EG-Vertrag.
- 54.
- Weiter fallen das Steuerrecht und die Einführung von Steuerregelungen zwar in die
Zuständigkeit der nationalen Behörden, wie die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung zu Recht ausgeführt hat, doch kann sich die Ausübung einer solchen
Zuständigkeit unter Umständen als mit Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag
unvereinbar erweisen (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juni 1970 in der
Rechtssache 47/69, Frankreich/Kommission, Slg. 1970, 487).
- 55.
- Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist somit zu prüfen, ob sich die
Kommission rechtens auf die drei genannten Kriterien (vgl. Randnr. 51) stützen
und zu dem Ergebnis kommen durfte, daß die streitige steuerliche Maßnahme
keine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag, sondern
eine „Reform in Gestalt einer durch die Eigenart und den Aufbau des Systems
begründeten Steueranpassung“ darstellte.
- 56.
- Was zunächst das Kriterium der Dauerhaftigkeit der betreffenden Maßnahme
angeht, so unterscheidet Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag nicht zwischen
dauerhaften und vorübergehenden staatlichen Maßnahmen. Zudem wäre ein
solches Kriterium in diesem Bereich kaum anzuwenden, wie die Streithelferin in
der mündlichen Verhandlung zu Recht ausgeführt hat; da Steuersätze von den
nationalen Behörden häufig geändert werden, ist nicht leicht festzustellen, ob eine
Maßnahme, die zunächst als dauerhaft galt, nicht wegen einer erneuten Anpassung
dieser Sätze als vorübergehend und damit nach Ansicht der Kommission wegen
ihrer zeitlich begrenzten Dauer als staatliche Beihilfe anzusehen wäre. Umgekehrt
könnte eine Maßnahme, die zunächst als vorübergehende einzustufen war, so daß
nach Ansicht der Kommission Artikel 92 Absatz 1 anwendbar wäre, später in eine
dauerhafte Maßnahme umgewandelt werden mit der Folge, daß man es jedenfalls
nach Ansicht der Kommission nicht mehr mit einer Beihilfe zu tun hätte. Somit
würde das von der Kommission vorgeschlagene Kriterium der Dauerhaftigkeit einer
staatlichen Maßnahme zu Unklarheiten bei der Anwendung des Artikels 92 EG-
Vertrag führen, die mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht mehr vereinbar
wären.
- 57.
- Als zweites Kriterium wird angeführt, daß die betreffende Maßnahme nicht
bezweckt habe, eine punktuelle Maßnahme zu finanzieren. Wie bereits ausgeführt,
unterscheidet Artikel 92 Absatz 1 jedoch nicht nach den Gründen oder Zielen von
staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen (Urteil
vom 26. September 1996, Frankreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 20). Wie sich
aus der angefochtenen Entscheidung selbst ergibt, zielte aber die betreffende
Maßnahme gerade darauf ab, „die Finanzmittel der Empfänger der
nichtöffentlichen Entnahmen dauerhaft zu erhöhen“.
- 58.
- Selbst wenn ein solches Kriterium herangezogen werden dürfte, um steuerliche
Maßnahmen, die unter Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag fallen, von solchen zu
unterscheiden, bei denen dies nicht der Fall ist, widerspricht doch die Feststellung
der Kommission, daß die Senkung der Abgabensätze keine punktuelle Maßnahme
finanzieren sollte, der anderen Feststellung in der angefochtenen Entscheidung, daß
„ab 1984 die Renngesellschaften Verluste [machten]“ und „die französischen
Behörden deshalb in Ergänzung eines Sanierungsplans ... die Verteilung der
Entnahmen [änderten]“ (Teil IV Nummer 3 der angefochtenen Entscheidung).
Diese Feststellung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung muß zudem
vor dem Hintergrund des Schreibens zur Einleitung des Verfahrens gesehen
werden, wonach die gesamten, dem PMU gewährten finanziellen Vorteile es
diesem ermöglicht hätten, die Kosten der Umstellung auf EDV-Betrieb und der
Neustrukturierung seiner Geschäfte, die beide für die Organisation seiner
betrieblichen Aufgaben erforderlich gewesen seien, zu tragen.
- 59.
- Das dritte Kriterium der Kommission geht dahin, die von den französischen
Behörden beschlossene Senkung des Abgabensatzes sei nur begrenzt gewesen.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung schließt jedoch die verhältnismäßig geringe
Höhe einer Beihilfe die Anwendung des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag nicht a
priori aus (Urteile des Gerichtshofes vom 21. März 1990 in der Rechtssache
C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 43, und vom 14.
September 1994 in den Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und C-280/92,
Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnr. 42). Selbst wenn aber die
Geringfügigkeit der Senkung eines Abgabensatzes in bestimmten Fällen die
Nichtanwendung des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag rechtfertigen könnte, so hat
die Senkung der Abgabensätze im vorliegenden Fall nach der angefochtenen
Entscheidung unstreitig dazu geführt, „die Einnahmen der durch die
nichtöffentlichen Entnahmen Begünstigten zu steigern“. Auch wenn die Senkung
der öffentlichen Abgaben bezüglich des Satzes (1,6 %) als „begrenzt“ betrachtet
werden kann, bedeutet dies aber nicht, daß es sich auch in absoluten Zahlen um
eine geringfügige Senkung handelte. Wie sich aus dem Schreiben zur Einleitung des
Verfahrens und den Akten ergibt (vgl. oben, Randnr. 5), hat der PMU allein imJahr 1986 180 Millionen FF erhalten. Da die betreffende Maßnahme dauerhaft war
und der PMU somit jährlich über eine solchen Betrag verfügen konnte, läßt sich
nicht sagen, daß eine „begrenzte“ Senkung des Abgabensatzes dem PMU nur
geringfügige Vorteile verschafft habe. Außerdem kann der Betrag von 180
Millionen FF, den der PMU allein im Jahr 1986 zur Verfügung hatte, auch nach
den Ausrichtungen der Beihilfenpolitik der Kommission, wie sie in dem von ihr am
20. Mai 1992 verabschiedeten Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an
kleine und mittlere Unternehmen (ABl. C 213, S. 2) dargestellt sind, nicht als
geringfügige Beihilfe betrachtet werden. Nach dieser Mitteilung, die bei Erlaß der
angefochtenen Entscheidung bereits Anwendung fand, war der Betrag für eine
Beihilfe, bei dessen Unterschreitung Artikel 92 Absatz 1 als unanwendbar
betrachtet werden konnte, auf 50 000 ECU, verteilt auf drei Jahre, begrenzt. Ein
Betrag von 180 Millionen FF in einem einzigen Jahr, der ungefähr 27 137 000 ECU
entspricht, überschreitet diese Schwelle offensichtlich.
- 60.
- Die Kommission bringt weiter vor, aus der von der Klägerin angeführten Erklärung
des Staatssekretärs im Haushaltsministerium (vgl. oben, Randnr. 42) ergebe sich,
daß die betreffende Maßnahme nur die Rennvereine und nicht den PMU betreffe.
Dem widerspricht die angefochtene Entscheidung selbst, die nur die von den
französischen Behörden zugunsten des PMU getroffenen Maßnahmen betrifft (vgl.
hierzu das Schreiben zur Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag sowie Teil V der angefochtenen Entscheidung). Die angefochtene
Entscheidung enthält nämlich keine Erwägung in der Richtung; Grund für die
Nichtanwendbarkeit des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag im vorliegenden Fall sei
es, daß die betreffende Maßnahme nicht dem PMU als unmittelbar von der
Einleitung des Verfahrens betroffenem Unternehmen, sondern den Rennvereinen
gegolten habe.
- 61.
- Diesem Vorbringen der Kommission widerspricht aber auch ihre gesamte
Argumentation insbesondere in der Klagebeantwortung, in der sie geltend macht,
die Einschätzung der betreffenden Maßnahme sei in der angefochtenen
Entscheidung mit der Erwägung gerechtfertigt worden, daß „die Tätigkeiten des
PMU insbesondere durch die Steuerregelung beeinträchtigt worden sind und dem
abgeholfen werden mußte“, und daß diese Maßnahme, die eine „Verbesserung der
Effektivität des PMU“ bewirkt habe, dem Staatshaushalt „eine wesentliche
Einnahmesteigerung“ erlaubt habe. Zwar hat der französische Staat, wie sich aus
der erwähnten Erklärung ergibt (vgl. oben, Randnr. 42), eine Beihilfe von
180 Millionen FF „zugunsten der Rennvereine“ beigesteuert; es läßt sich ihr aber
auch entnehmen, daß diese „Hilfe“ Gegenstand einer Vereinbarung zwischen dem
französischen Staat, den Rennvereinen und dem PMU war, mit der u. a. den
Rennvereinen als Mitgliedern des PMU geholfen werden sollte, „einige tausend
Entlassungen vor allem beim PMU“ zu finanzieren. Diesem Vorbringen der
Kommission kann daher nicht gefolgt werden.
- 62.
- Nach alledem konnten die drei genannten Kriterien, wie sie im vorliegenden Fall
angewandt wurden, nicht den Schluß rechtfertigen, daß die Senkung des
Abgabensatzes ihrer Natur nach keine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1
EG-Vertrag, sondern eine Reform in Gestalt einer durch die Eigenart und den
Aufbau des Systems begründeten Steueranpassung war. Folglich ist dieser Teil der
angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären.
Zu den Zahlungserleichterungen, die es dem PMU gestatteten, die Zahlung
bestimmter Wettabgaben aufzuschieben
Parteivorbringen
- 63.
- Die Klägerin macht geltend, die Abgaben, deren Zahlung aufgeschoben worden sei,
seien öffentliche Abgaben, was die Kommission übrigens in Teil IV Nummer 5 der
angefochtenen Entscheidung anerkannt habe. Die Erhebung solcher öffentlichen
Abgaben durch den Staat und die auch nur teilweise Weitergabe des Aufkommens
durch diesen stelle nach der einschlägigen Rechtsprechung eine staatliche Beihilfe
im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag dar. Folglich falle die Entscheidung
des französischen Staates, PMU den Aufschub der Zahlung der ihm zustehenden
Abgaben zu gestatten, unter das Verbot dieses Artikels (Urteile des Gerichtshofes
vom 22. März 1977 in der Rechtssache 78/76, Steinike & Weinlig, Slg. 1977, 595,
vom 13. Dezember 1983 in der Rechtssache 222/82, Apple and Pear Development
Council, Slg. 1983, 4083, und vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 290/83,
Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 439).
- 64.
- Die Änderung der Zahlungsbestimmungen für Abgaben an den Staat könne
entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht wie eine allgemeine Änderung des
Abgabensatzes für Pferderennen behandelt werden, weil diese Änderung dem PMU
und nicht dem Sektor Pferderennen allgemein zugute komme. Daß die
„Zahlungserleichterungen“ auch den Rennvereinen zugute kämen, die Mitglieder
des PMU seien, ändere nichts daran, daß diesem eine Beihilfe gewährt werde, die
nicht allgemein sei, da lediglich zehn von insgesamt 275 Rennvereinen in
Frankreich Mitglieder des PMU seien und der PMU Wetten nur für weniger als
1 % der Pferderennen entgegennehme, die auf Rennbahnen veranstaltet würden,
die nicht seinen Mitgliedern gehörten. Dies ergebe sich zum einen aus einem
Bericht des französischen Rechnungshofs von 1987, wonach die Änderung der
Zahlungsbestimmungen für Abgaben an den Staat dem PMU helfen solle, die
Kosten der Erhöhung der Vermittlungsgebühren an seinen Verkaufsstellen zu
decken, und zum anderen durch die Stellungnahme des französischen Ministers für
Wirtschaft, Finanzen und Privatisierung zu diesem Bericht, wonach die
Steuerregelung für den PMU „vom allgemeinen Recht abweiche“.
- 65.
- Folglich handele es sich um eine vorübergehende Änderung des Abgabensystems
speziell zugunsten eines bestimmten Unternehmens, so daß die Rechtsprechung,
der zufolge eine Steuerregelung, die einen bestimmten Sektor selbst dauerhaft
begünstige, eine staatliche Beihilfe sei (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1973
in der Rechtssache 70/72, Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, und vom 24.
Februar 1987 in der Rechtssache 310/85, Deufil/Kommission, Slg. 1987, 901), a
fortiori für Maßnahmen gelte, die nur ein Unternehmen begünstigten.
- 66.
- Das Vorbringen der Kommission, die Änderung des Zahlungssystems für Abgaben
an den Staat sei durch die Absicht der französischen Behörden gerechtfertigt, das
System der Zahlung von Abgaben durch den PMU an das der Zahlungen durch das
Lotto anzupassen (Teil IV Nummer 5 der angefochtenen Entscheidung), gehe fehl,
weil es zum einen nicht Teil der rechtlichen Würdigung der Kommission in der
angefochtenen Entscheidung sei und weil diese zum anderen keine Gründe dafür
angegeben habe, daß die anderslautenden Schlüsse des Rechnungshofs in diesem
Punkt falsch seien.
- 67.
- Hilfsweise beantragt die Klägerin, diesen Teil der angefochtenen Entscheidung
wegen fehlender Begründung für nichtig zu erklären.
- 68.
- Nach Auffassung der Kommission ist die von der Klägerin angeführte
Rechtsprechung, wonach besondere Steuermaßnahmen für einen einzelnen
Wirtschaftssektor staatliche Beihilfen seien, nicht anwendbar, weil man es im
vorliegenden Fall nicht mit einer normalen Besteuerung zu tun habe, die für alle
Unternehmen gelte, sondern mit einem Sonderbesteuerungssystem für einen
einzigen Wirtschaftsteilnehmer. Die Änderungen eines solchen Systems könnten
daher nicht auf der gleichen Grundlage gewürdigt werden wie die eines allgemeinen
Steuersystems. Die Auffassung der Klägerin würde dazu führen, daß die
französischen Behörden nie die Besteuerung der Pferderennwetten ändern könnten,
was nicht Ziel des Artikels 92 EG-Vertrag sei.
- 69.
- Generalanwalt Darmon habe zwar in seinen Schlußanträgen zum Urteil des
Gerichtshofes vom 17. März 1993 in den Rechtssachen C-72/91 und C-73/91
(Sloman Neptun, Slg. 1993, I-887, I-903) den Begriff der „Ausnahme“ in dem Sinne
verwendet, daß eine Maßnahme, die nicht für alle Unternehmen oder nicht für alle
Wirtschaftssektoren gelte, die Nutzen davon haben könnten, eine Beihilfe darstelle,
doch könne ein solches Kriterium nicht ohne weiteres für den Sektor
Pferderennwetten herangezogen werden. Da dieser Sektor nämlich einer höheren
als der allgemein angewandten Besteuerung unterliege, sei das einzige Kriterium
für die Entscheidung, ob eine Änderung dieses Sonderbesteuerungssystems eine
staatliche Beihilfe sei oder nicht, die Feststellung, ob es sich um eine dauerhafte
oder um eine vorübergehende Änderung handele, da nur die letztgenannte eine
staatliche Beihilfe sein könne.
- 70.
- Im übrigen sei es nicht richtig, daß die betreffende Maßnahme nur dem PMU
zugute gekommen sei, da die vom PMU vereinnahmten Beträge später auf seine
Mitglieder, die Rennvereine, verteilt würden, so daß die betreffende Maßnahme
jedem von ihnen Nutzen gebracht habe. Daß dem PMU nur ein Teil aller
französischen Rennvereine angehöre, ändere daran nichts, da das betreffende
Besteuerungssystem nur für sie gelte.
- 71.
- Die zahlreichen Hinweise der Klägerin auf den Bericht des französischen
Rechnungshofs von 1987 seien deshalb unerheblich, weil dieser nicht für die
Entscheidung zuständig sei, ob Steuer- oder steuerähnliche Maßnahmen staatliche
Beihilfen im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag seien.
- 72.
- Die Streithelferin schließt sich der Kommission an und ergänzt, daß die Auffassung
der Klägerin, die Hilfen für den PMU kämen nur einer beschränkten Zahl der an
der Pferdezucht in Frankreich Beteiligten zugute, auch deshalb unrichtig sei, weil
alle Rennvereine die Dienstleistungen dieser Organisation in Anspruch nehmen
könnten.
- 73.
- Die Einnahmen des PMU gingen an die gesamte Pferdezucht, weil Prämien und
Förderleistungen an Züchter, Eigentümer und andere Erwerbstätige des Reitsports
gingen und damit zu einem Großteil Rennvereinen zugute kämen, die nicht
Mitglieder des PMU seien.
Würdigung durch das Gericht
- 74.
- Die Weigerung der Kommission, die hier geprüfte Maßnahme als staatliche Beihilfe
im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 anzusehen, beruht auf der Erwägung, daß die
Besteuerungsregelung für den PMU und allgemein für den Sektor Pferderennen
keine Ausnahmeregelung sei, das von der allgemeinen Besteuerungsregelung
abweiche, sondern ein „Sonderbesteuerungssystem“, das durch die besonderen
Eigenheiten dieses Sektors gerechtfertigt sei, und daß diese Maßnahme, wenn sie
im Lichte der Kriterien geprüft werde, die die Kommission auf die Beihilfe infolge
der Änderung der Sätze der vom PMU entrichteten Abgaben angewandt habe (vgl.
oben, Randnrn. 68 und 69), keine staatliche Beihilfe darstelle, weil sie nicht
punktuell sei, und „eine kontinuierliche Zunahme des Teils der nichtöffentlichen
Entnahmen seit 1981 [bewirkte]“, ohne daß die öffentliche Hand vorübergehend
auf Einnahmen verzichte (Teil V Nr. 5 der angefochtenen Entscheidung).
- 75.
- Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Kommission zu Recht davon ausgegangen
ist, daß das Besteuerungssystem für den Sektor Pferderennen für sich betrachtet
keine Ausnahme vom allgemeinen Besteuerungssystem, sondern ein
Sonderbesteuerungssystem sei, das nur für den betreffenden Sektor Geltung
beanspruche.
- 76.
- Da die Tätigkeiten des PMU besonders geregelt sind, ihm das ausschließliche
Recht für die Veranstaltung von Totalisatorwetten in Frankreich zusteht (vgl. oben,
Randnr. 2) und die für ihn geltende Steuerregelung nicht nur diese Besonderheit
berücksichtigt, sondern sämtliche charakteristischen Merkmale der Veranstaltung
von Pferderennen, konnte die Kommission zu Recht die Auffassung vertreten, daß
das besondere System der Abzüge und Entnahmen, das den Teil des
Wettaufkommens festlegt, das dem Staat, den Wettern, dem PMU bzw. den
Rennvereinen zusteht, keine Ausnahmeregelung von dem für andere Tätigkeiten
geltenden allgemeinen Besteuerungssystem und die betreffende Maßnahme folglich
allein im Rahmen des Sonderbesteuerungssystems des Sektors Pferderennen zu
prüfen war.
- 77.
- Der Umstand allein, daß diese Maßnahme zu einem Sondersystem und nicht zu
einer Ausnahmeregelung vom allgemeinen Besteuerungssystem gehört, kann sie
indessen nicht dem Anwendungsbereich des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag
entziehen. Somit sind die Wirkungen dieser Maßnahme zu prüfen, um festzustellen,
ob Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag im vorliegenden Fall rechtens für unanwendbar
erklärt worden ist.
- 78.
- Die Kommission räumt in der angefochtenen Entscheidung ein, daß die fragliche
Maßnahme einen Verzicht seitens der staatlichen Behörden auf ihnen zustehende
Finanzeinnahmen bedeutete, der „eine kontinuierliche Zunahme des Anteils der
nichtöffentlichen Entnahmen seit 1981“ bewirkt habe. Weil aber, wie bereits
ausgeführt, eine dauerhafte oder vorübergehende staatliche Maßnahme, die
einem Unternehmen finanzielle Vorteile verschafft und seine Finanzsituation
verbessert, unter den Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 92
Absatz 1 EG-Vertrag fällt (vgl. oben, Randnr. 52), reicht die Unterscheidung
zwischen einer dauerhaften und einer vorübergehenden Änderung der Modalitäten
für die Zahlung von Abgaben als Kriterium nicht aus, um die Anwendung des
Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages im vorliegenden Fall auszuschließen (vgl. oben,
Randnr. 56).
- 79.
- Die Auffassung, die Änderung der Zahlungsregelung für öffentliche Abgaben an
den Staat sei keine punktuelle Sondermaßnahme, sondern eine allgemeine
Änderung der Besteuerungsregelung für den gesamten Sektor der Pferderennen
gewesen, findet sich entgegen der Behauptung der Kommission nicht in der
angefochtenen Entscheidung; vielmehr ist nach Teil IV Nummer 5 dieser
Entscheidung der Aufschub der Zahlung an den Staat vom Haushaltsminister
ausschließlich zugunsten von PMU bewilligt worden. Nicht von entscheidender
Bedeutung ist, daß die Einrichtung der Totalisatorwette in Frankreich im
allgemeinen nicht nur den Mitgliedern des PMU, sondern mittelbar auch solchen
Vereinen, die ihm nicht angehören, Vorteile bringen kann. Zwar kann eine Beihilfe
für einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer mittelbar auch anderen
Wirtschaftsteilnehmern zugute kommen, deren Tätigkeiten von der Haupttätigkeit
des unmittelbaren Empfängers der Beihilfe abhängig sind, doch reicht dies nicht
aus, um die betreffende Maßnahme als eine Maßnahme allgemeiner Art
anzusehen, die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag fiele; allenfalls kann sie unter die in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c
vorgesehene sektorielle Ausnahme fallen.
- 80.
- Außerdem ist, wie die Kommission in der angefochtenen Entscheidung (Teil V
Nummer 7) klargestellt hat, bei der Anwendung des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag zu unterscheiden zwischen der Haupttätigkeit des PMU, nämlich der
Organisation und Abwicklung von Wetten, und der Tätigkeit seiner Mitglieder, der
Veranstaltung von Pferderennen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die
Zahlungserleichterungen zugunsten des PMU in der einen oder anderen Weise
dem gesamten Sektor der Pferderennen zugute kommen, vermag das nichts daran
zu ändern, daß diese Finanzvorteile dem PMU eine Verbesserung seiner Position
auf dem Markt für Pferderennwetten sowohl im Inland als auch durch Einschaltung
des PMI im Ausland erlauben, der im unmittelbaren Wettbewerb mit der Klägerin
steht (Teil III der angefochtenen Entscheidung). Zudem finden sich die insoweit
von der Kommission und der Streithelferin vorgebrachten Gründe nicht in der
rechtlichen Begründung der angefochtenen Entscheidung, so daß diese
Entscheidung in diesem Punkt auch mangelhaft oder gar nicht begründet ist.
- 81.
- Das Vorbringen der Kommission, das staatliche Eingreifen sei im Rahmen einer
besonders belastenden Besteuerung des Pferderennsektors zu sehen, die eindeutig
höher als die anderer Unternehmen sei, ist, da zum ersten Mal und zudem ohne
ausreichende Beweisantritte vor dem Gericht vorgebracht, nicht geeignet, für sich
allein die Richtigkeit der Auffassung der Kommission zu belegen.
- 82.
- Demgemäß ist die Rüge der Klägerin, Artikel 92 Absatz 1 sei auf die dem PMU
zugestandenen Zahlungserleichterungen unrichtig angewandt worden, begründet
und dieser Teil der angefochtenen Entscheidung folglich für nichtig zu erklären.
Zur Befreiung von der Körperschaftsteuer
Parteivorbringen
- 83.
- Die Klägerin hält die Entscheidung deshalb für rechtsfehlerhaft, weil die
Kommission davon ausgegangen sei, daß die Befreiung des PMU von der
Körperschaftsteuer eine Folge der Anwendung der allgemeinen
Besteuerungsregelung sei, die die wirtschaftlichen Interessenverbände (groupements
d'intérêt economique; nachstehend: GIE) vom Anwendungsbereich dieser Steuer
ausschließe.
- 84.
- Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Befreiung des PMU von der
Körperschaftsteuer, sondern um die der Mitglieder des PMU, wie sie bereits in
ihrer Beschwerde vom 7. April 1989 und in ihrem Aufforderungsschreiben vom 5.
November 1992 beanstandet habe. Nach Auffassung des französischen
Rechnungshofs sei eine solche Ausnahme zugunsten der Rennvereine selbst nach
französischem Recht rechtswidrig. Eine Ausnahme dieser Art gebe es für andere
Rennvereine oder Mitglieder eines GIE nicht.
- 85.
- Die Klägerin beanstandet ferner die stillschweigende Zurückweisung ihrer Rüge in
der Beschwerde, daß die Befreiung des PMU von der Einkommensteuer ebenfalls
eine staatliche Beihilfe sei, weil der angefochtenen Entscheidung in diesem Punkt
jegliche Begründung fehle.
- 86.
- Die Kommission führt hierzu aus, daß der PMU deshalb nicht der
Körperschaftsteuer unterliege, weil er als GIE nicht über eigenes Vermögen
verfüge, seine Finanzergebnisse damit unmittelbar als die seiner Mitglieder gelten
könnten, so daß er steuertechnisch durchlässig sei, d. h. die Steuer nicht von ihm,
sondern von seinen Mitgliedern geschuldet werde. Zum Vorbringen der Klägerin,
diese Steuer hätte von den Rennvereinen entrichtet werden müssen, verweist die
Kommission darauf, daß sie das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag
nur für die dem PMU, nicht aber für die den Rennvereinen gewährten Beihilfen
eingeleitet habe.
- 87.
- Die Rüge der Klägerin wegen der Befreiung des PMU von der Einkommensteuer
sei in der Entscheidung zur Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2
nicht angesprochen worden und habe folglich in der angefochtenen Entscheidung
nicht behandelt werden können.
- 88.
- Die Streithelferin weist darauf hin, daß eine Unterwerfung der Rennvereine unter
die Körperschaftsteuer und die allgemeine Besteuerungsregelung zu einer
geringeren Steuerbelastung führte, wenn die Wettätigkeit von der übrigen Tätigkeit
der Rennvereine getrennt und der Anteil für die Wetter konstant bleibe. Wenn
Mehrwertsteuer zum Normalsatz (18,6 %) auf den Anteil, der nicht den Wettern
zustehe (28 % der Einsätze), erhoben würde, beliefen sich die Bruttoeinnahmen
der Rennvereine auf 22,8 % der Wetteinsätze [28 % - (28 % x 18,6 %) = 28 % -
5,2 %]. Der „Ertrag“ des PMU vor Steuern entspreche dann diesem Ergebnis
abzüglich der Betriebskosten des PMU, d. h. 17,3 % (22,8 % - 5,5 %). Die
Körperschaftsteuer zum aktuellen Satz von 33 % auf die Gewinne belaufe sich
dann auf 5,7 % der Wetteinsätze (17,3 % x 33 %). Der Schlußanteil der
Rennvereine betrage dann nach Abzug der Betriebskosten von PMU 11,6 % der
Wetteinsätze (17,3 % - 5,7 %), während er heute zwischen 4,5 % und 5 % betrage.
Daraus ergebe sich, daß der aktuelle Besteuerungsmechanismus für PMU, der eine
Befreiung von der Körperschaftsteuer vorsehe, keine staatliche Beihilfe für die
Rennvereine sei.
Würdigung durch das Gericht
- 89.
- Nach der angefochtenen Entscheidung ist die Befreiung des PMU von der
Körperschaftsteuer eine Folge der normalen Anwendung des allgemeinen
Besteuerungssystems, weil diese Steuer auf GIE keine Anwendung findet. Die
Klägerin bestreitet dies nicht, macht allerdings geltend, es gehe im vorliegenden
Fall, wie ihrer Beschwerde zu entnehmen sei, nicht um die Befreiung des PMU von
der Zahlung dieser Steuer, sondern um die Befreiung der Rennvereine.
- 90.
- Es ist folglich zu prüfen, ob es die angefochtene Entscheidung rechtswidrig macht,
daß die Kommission das Verfahren entgegen der Beanstandung in der Beschwerde
nicht gegenüber den Rennvereinen, sondern nur gegenüber dem PMU eingeleitet
hat.
- 91.
- Das Recht Dritter, bei der Kommission eine Beschwerde wegen Verletzung des
Artikels 92 EG-Vertrag einzulegen und sie damit zur Einleitung des in Artikel 93
Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens gegenüber dem betreffenden
Mitgliedstaat und gegebenfalls bei dessen Beendigung zu einer abschließenden
Entscheidung zu bewegen, keiner Regelung entsprechend der Verordnung Nr. 17
des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln
85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) unterliegt.
- 92.
- Beschließt allerdings die Kommission, eine Beschwerde durch eine Entscheidung
zurückzuweisen, muß diese gemäß Artikel 190 EG-Vertrag begründet werden, so
daß der Beschwerdeführer gegebenfalls in Kenntnis der Begründung seine Rechte
vor dem Gemeinschaftsrichter geltend machen kann. Im vorliegenden Fall ist
indessen die Beschwerde der Klägerin nicht ausdrücklich zurückgewiesen worden;
im Gegenteil ist ein Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag eingeleitet,
die entsprechende Entscheidung der französischen Regierung schriftlich übermittelt
und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden (vgl. oben,
Randnr. 5). Daher hätte die Klägerin, wenn sie der Auffassung war, daß die
Kommission damit nicht zu allen in ihrer Beschwerde beanstandeten staatlichen
Maßnahmen Stellung genommen hatte, diese gemäß Artikel 175 EG-Vertrag zum
Tätigwerden auffordern müssen.
- 93.
- Nach Aktenlage hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 11. August 1992 die
Kommission tatsächlich aufgefordert, gemäß Artikel 175 EG-Vertrag zu den in der
Beschwerde beanstandeten Beihilfen, die nicht Gegenstand der vorläufigen
Entscheidung gewesen seien, Stellung zu nehmen (vgl. oben, Randnr. 9). Die
Kommission hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1992 auf diese Aufforderung
geantwortet (vgl. oben, Randnr. 10). Daraufhin hat die Klägerin die Kommission
indessen erneut um Stellungnahme allein zu den Maßnahmen ersucht, die
Gegenstand des eingeleiteten Verfahrens waren (vgl. oben, Randnr. 11). Da die
Kommission dieser zweiten Aufforderung nicht Folge leistete, hat die Klägerin beim
Gericht Untätigkeitsklage erhoben, diese aber nach Erlaß der angefochtenen
Entscheidung zurückgenommen (vgl. oben, Randnrn. 12 bis 14). Wenn die Klägerin
der Auffassung war, daß die Antwort der Kommission auf ihre erste Aufforderung
hin keine Stellungnahme zu allen in ihrer Beschwerde beanstandeten Maßnahmen
war, hätte sie diese erneut auffordern müssen, zu allen beanstandeten Maßnahmen
Stellung zu nehmen, und sich nicht damit begnügen dürfen, sie zur Stellungnahme
allein zu den Fragen aufzufordern, die in der Entscheidung zur Einleitung des
Verfahrens angesprochen worden waren. Glaubte indessen die Klägerin, die
Antwort der Kommission auf ihre erste Aufforderung sei eine Stellungnahme in
Form der stillschweigenden Zurückweisung des Teils der Beschwerde, in dem die
hier geprüfte Maßnahme beanstandet war, so hätte sie gemäß Artikel 173 Absatz
5 EG-Vertrag Nichtigkeitsklage erheben müssen.
- 94.
- Demgemäß kann die Klägerin, da sie das Verfahren nach Artikel 175 EG-Vertrag
nicht eingeleitet und weiterverfolgt oder fristgemäß Nichtigkeitsklage erhoben hat,
im Rahmen der vorliegenden Klage nicht mehr geltend machen, die Kommission,
die das Verfahren in bezug auf die betreffende Maßnahme nicht eingeleitet hatte,
habe sich in der angefochtenen Entscheidung zu ebendieser Maßnahme nicht
geäußert.
- 95.
- Gleiches gilt aus den nämlichen Gründen für das Vorbringen der Klägerin, die
Rüge in ihrer Beschwerde bezüglich der Befreiung des PMU von der
Einkommensteuer sei stillschweigend zurückgewiesen worden.
Zur Zuweisung nicht beanspruchter Gewinne an den PMU
Parteivorbringen
- 96.
- Die Klägerin macht zunächst geltend, die angefochtene Entscheidung sei
rechtsfehlerhaft, weil die Kommission die Zuweisung von den Wettern nicht
beanspruchter Gewinne an den PMU nach dem Dekret 83-878 zur Finanzierung
von Soziallasten nicht als staatliche Beihilfe behandelt habe, da diese Gewinne als
„übliche Einnahmen“ Teil der nichtöffentlichen Entnahmen und keine „staatlichen
Mittel“ im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag seien.
- 97.
- Da die Erhebung der Abgaben und ihre Verteilung vom französischen Staat
entschieden werde, sei es falsch, die betreffenden Mittel als nichtöffentliche
Entnahmen einzustufen, da jeder Mitteltransfer an den PMU aufgrund öffentlich-rechtlicher Maßnahmen eine staatliche Beihilfe sei. Selbst wenn aber nicht
beanspruchte Gewinne als übliche Einnahmen der Rennvereine anzusehen wären,
stelle doch die durch Artikel 27 des Dekrets 83-878 eingeführte Änderung eine
staatliche Beihilfe dar, weil die Entscheidung, die dem PMU diese Beträge
zugewiesen habe, auf Initiative und mit Billigung des Staates getroffen worden sei
(Urteile des Gerichtshofes Kommission/Frankreich, a. a. O., Randnrn. 14 und 15,
und vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der
Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnrn. 32 bis 38).
- 98.
- Ferner hätten die Mittel aus den dem PMU zugewiesenen, nicht beanspruchten
Gewinnen in Wahrheit Betriebskosten des PMU aufgrund der Umstellung der
Abwicklung der Wetten auf EDV finanzieren sollen. Vor Erlaß des Dekrets 83-878
habe ein Dekret vom 18. Juli 1941 bestimmt, daß die Rennvereine die nicht
beanspruchten Gewinne unter der Bedingung behalten könnten, daß diese Beträge
ausschließlich für eine bestimmte Gruppe von Angestellten der Abteilung
Pferderennen verwandt und die verbleibenden Gelder an den Staat abgeführt
würden. Die durch das Dekret 83-878 bewirkte Änderung versetze den PMU nun
in die Lage, diese Gewinne für sich selbst zu verwenden. Die Klägerin verweist
insoweit auf den Bericht des französischen Rechnungshofs, wonach die dem PMU
zur Verfügung gestellten Mittel, „die von der Mehrwertsteuer befreit sind und ein
erhebliches Aufkommen an Finanzmitteln darstellen (24,6 Million FF im Jahre
1985)“, verwendet würden, „um den Sozialplan der Abteilung Pferderennen bis zur
Höhe von 105 Millionen zu finanzieren“, von denen wiederum drei Viertel für den
PMU bestimmt seien, „damit dieser eine zusätzliche Entlassungsentschädigung an
angestelltes Personal zahlen kann, das er im Anschluß an die Umstellung der
Bearbeitung der Wetten auf EDV-Betrieb entlassen muß (in der Größenordnung
von 75 Millionen FF für 750 Arbeitnehmer)“.
- 99.
- Da schließlich Artikel 281a des französischen Code général des impôts(Allgemeines Steuergesetzbuch) die Entgelte der Veranstalter von
Totalisatorwetten der Mehrwertsteuer unterwerfe, stelle auch die
Mehrwertsteuerbefreiung des PMU bezüglich der nicht beanspruchten Gewinne
eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag dar, so daß
die Entscheidung auch aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft sei.
- 100.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die betreffenden Beträge in Frankreich nur
für bestimmte Kategorien von Sozialausgaben verwendet werden dürften. Seit dem
Dekret 74-954 stehe jeder hierfür nicht verwendete Betrag dem Staat zu; das
Dekret 83-878 habe lediglich die Kategorien von Sozialausgaben geändert, für die
nicht beanspruchte Gewinne verwendet werden dürften. Daß diese Änderung zur
Senkung des staatlichen Anteils an den nicht beanspruchten Gewinnen geführt
habe, bedeute nicht, daß es sich um eine staatliche Beihilfe handele.
- 101.
- Die Klägerin widerspreche der Einstufung der fraglichen Beträge als
„nichtöffentliche Entnahmen“ („non-public levies“) infolge eines sprachlichen
Mißverständnisses, das durch die Verwendung des englischen Ausdrucks „levy“
entstanden sei, der eine Abgabenerhebung bezeichne. Die Klägerin sei daher zu
Unrecht zu der Auffassung gelangt, daß die 30 FF, die der PMU von 100 FF
Wettsumme einbehalte (vgl. oben, Randnr. 16), einer staatlichen Abgabenerhebung
entsprächen und jede Zuweisung eines Teils dieses Betrages eine staatliche Beihilfe
darstelle. In Wahrheit sei nur ein Teil dieser 30 FF, nämlich die von den
französischen Behörden eingezogenen 18 FF, eine Abgabenerhebung im
eigentlichen Sinne des Wortes. Da es sich mithin um eine nichtöffentliche
Entnahme handele, die nicht dem Staat zukomme und daher auch nicht als
Abgabenerhebung betrachtet werden könne, sei das Kriterium der staatlichen
Herkunft der Mittel im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
- 102.
- Obwohl sie in ihren Schriftsätzen der Behauptung der Klägerin, daß die betreffende
Maßnahme zur Umstellung des PMU auf EDV-Betrieb habe beitragen sollen, nicht
habe entgegentreten wollen, sei doch die Verwendung nicht beanspruchter
Gewinne für eine zusätzliche Entlassungsentschädigung für das überzählige
Personal eine Sozialmaßnahme, die mehr dem entlassenen Personal als dem PMU
selbst zugute komme.
- 103.
- Die Rüge der Klägerin, es stelle ebenfalls eine staatliche Beihilfe dar, wenn nicht
beanspruchte Gewinne nicht der Mehrwertsteuer unterworfen würden, stelle neues
Vorbringen dar, das nicht in der Beschwerde enthalten gewesen sei und folglich in
der angefochtenen Entscheidung nicht habe berücksichtigt werden können.
- 104.
- Die Streithelferin legt dar, daß nicht beanspruchte Gewinne bis zum Erlaß des
Dekrets 74-954 in vollem Umfang den Rennvereinen zugestanden hätten, und daß
dieses Dekret lediglich die mögliche Verwendung dieser Gewinne auf bestimmte
Sozialausgaben beschränkt habe, wobei nicht verwendete Gewinne immer dem
Staat zugestanden hätten (Artikel 20 Absatz 4 des Dekrets). Das Dekret 83-878
habe lediglich den Kreis der möglichen Verwendungen dieser Gewinne auf andere,
unmittelbar mit der Tätigkeit der Rennvereine zusammenhängende Tätigkeiten wie
etwa Überwachungs- und Organisationskosten, Zuchtprämien und Investitionen in
Zusammenhang mit der Veranstaltung von Rennen und von Wettannahmen
ausgedehnt (Artikel 27 der Verordnung). Die Rennvereine seien vor 1974, von
1974 bis 1983 und nach 1983 stets befugt gewesen, sämtliche nicht beanspruchten
Gewinne zu verwenden; lediglich der Kreis möglicher Verwendungen sei
unterschiedlich gewesen, so daß diese Mittel als übliche Einnahmen der
Rennvereine gegolten hätten.
Würdigung durch das Gericht
- 105.
- Nach dem Vorbringen der Beteiligten hat die betreffende Maßnahme bewirkt, daß
die Rennvereine die Soziallasten des PMU in Zusammenhang mit der Entlassung
überzähligen Personals übernehmen konnten. Daher ist zunächst zu prüfen, ob die
Mittel aus nicht beanspruchten Gewinnen „übliche Einnahmen“ in dem von der
Kommission gemeinten Sinne waren, die damit geltend macht, daß eine der
Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag, nämlich die
Übertragung staatlicher Mittel an einen Begünstigten, im vorliegenden Falle nicht
erfüllt sei.
- 106.
- Nach Aktenlage standen zwar vor 1974 nicht beanspruchte Gewinne in vollem
Umfang den Rennvereinen zu. Das Dekret 74-954 hat zum ersten Mal die
Verwendung dieser Gewinne auf bestimmte Sozialausgaben beschränkt; die hierfür
nicht verwendeten Gewinne waren an den Staat abzuführen. Artikel 20 Absatz 4
dieses Dekrets bestimmte nämlich: „Die Rennvereine können jedes Jahr von den
für die Genehmigung ihres Haushalts zuständigen Behörden ermächtigt werden,
nicht ausgezahlte Gewinne unter Ausschluß aller anderen Verwendungen für die
Gewährung von Hilfen, Beistandszahlungen, Versicherungsleistungen oder
zusätzlichen Altersrenten für ihr Personal zu verwenden. Diese Beträge sind an
eine der in Artikel 25 aufgeführten Organisationen oder an ein
Berufsbildungszentrum zu zahlen. Nichtausgezahlte Gewinne, die nicht zur
Finanzierung der in Absatz 1 genannten Maßnahmen verwendet werden, stehen
dem allgemeinen Staatshaushalt zu.“
- 107.
- Nach dieser französischen Rechtsvorschrift war die Befugnis der Rennvereine zur
Verwendung nicht beanspruchter Gewinne nicht nur einer Beschränkung des
Verwendungszwecks unterworfen (Sozialausgaben), sondern darüber hinaus auch
von der vorherigen Zustimmung der „für die Genehmigung ihres Haushalts
zuständigen Behörden“ abhängig. In dem genannten Dekret werden der Minister
für Landwirtschaft und der Minister für Wirtschaft und Finanzen (Artikel 22 und
23 der Verordnung), in dem Dekret 83-878, das an die Stelle des Dekrets 74-954
getreten ist, der Minister für Landwirtschaft und der Haushaltsminister als
zuständige Behörden bezeichnet (Artikel 29 und 30 des Dekrets 83-878). Wenn
verwendete, nicht beanspruchte Gewinne, wie in der angefochtenen Entscheidung
betont, „übliche Einnahmen“ wären, hätte der französische Gesetzgeber ihre
Verwendung nicht auf ganz bestimmte Ausgaben beschränken und anderenfalls
diese Mittel automatisch dem Staatshaushalt zuführen dürfen.
- 108.
- Daher können diese Mittel nicht als den Rennvereinen und dem PMU zustehende
„übliche Einnahmen“ betrachtet werden, sondern sie sind „staatliche Mittel“, deren
etwaige Einstellung in den Staatshaushalt vom Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen abhängt, die der Gesetzgeber festlegt.
- 109.
- Gleiches läßt sich dem Dekret 83-878 entnehmen, mit der der französische
Gesetzgeber, wie die französische Regierung und die Kommission dargelegt haben,
die mögliche Verwendung nicht beanspruchter Gewinne auf andere Tätigkeiten der
Rennvereine ausgedehnt hat, so etwa auf die Gewährung von
„Berufsausbildungskrediten oder Versicherungsleistungen oder Zusatzrenten für das
Personal der Vereine und der Rennställe sowie für Jockeys“ (Artikel 27 Absatz 5
des Dekrets). Damit hat der französische Gesetzgeber auf Mittel verzichtet, die
sonst in den Staatshaushalt gelangt wären, so daß auch aus diesem Grund die auf
die Überlassung staatlicher Mittel an den Begünstigten abstellende
Anwendungsvoraussetzung des Artikels 92 Absatz 1 im vorliegenden Fall erfüllt ist.
- 110.
- Da diese Mittel „speziell zur Finanzierung von Sozialausgaben“ verwendet wurden,
wie es in der angefochtenen Entscheidung heißt, stellen sie eine Minderung der
Soziallasten, die ein Unternehmen sonst zu tragen hätte, und damit eine Beihilfe
zu seinen Gunsten dar (Urteile des Gerichtshofes Italien/Kommission und Steinike
& Weinlig, a. a. O.).
- 111.
- Demgemäß beruht die Annahme der Kommission, daß die betreffende Maßnahme,
obzwar damit Sozialausgaben der Rennvereine in Zusammenhang mit der
Veranstaltung von Totalisatorwetten finanziert werden sollten, wegen fehlender
Übertragung von staatlichen Mitteln keine staatliche Beihilfe darstelle, auf einer
unzutreffenden Prämisse und ist daher für nichtig zu erklären.
- 112.
- Daß eine staatliche Beihilfe auch insoweit vorliege, als der PMU für nicht
beanspruchte Gewinne keine Mehrwertsteuer zu entrichten habe, wie die Klägerin
meint, wurde in der Beschwerde nicht angesprochen und auch bei der Einleitung
des Verfahrens nach Artikel 92 nicht einbezogen, so daß die Klägerin nicht rügen
kann, die Kommission habe diesen Punkt in der angefochtenen Entscheidung nicht
behandelt.
Zur Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs seit dem 1. Januar
1989
Parteivorbringen
- 113.
- Die Klägerin trägt vor, daß die Kommission in der angefochtenen Entscheidung
zwar die Vergünstigung der Befreiung des PMU vom einmonatigen Aufschub des
Vorsteuerabzugs ab 1989 durch eine ständige Sicherheitsleistung der Rennvereine
bei der Staatskasse wettgemacht sehe, hingegen weder den genauen Betrag dieser
Sicherheitsleistung noch die Grundlage erwähne, nach der dieser Betrag von Zeit
zu Zeit revidiert werde. Das Fehlen dieser Angaben sei besonders gravierend, da
die Kommission gerade wegen des angeblichen Vorliegens dieser Sicherheitsleistung
zu einem von der vorläufigen Entscheidung abweichenden Ergebnis gelangt sei.
- 114.
- Die Klägerin beantragt, das Gericht möge durch prozeßleitende Verfügung zum
einen der Kommission aufgeben, den Betrag der 1989 bei der Staatskasse
hinterlegten dauernden Sicherheitsleistung, die für ihre Neufestsetzung geltenden
Kriterien sowie den Zeitpunkt anzugeben, zu dem solche Neufestsetzungen
stattgefunden hätten, zum anderen der französichen Regierung aufgeben, den
Jahresaufwand des französischen Staates für diese Befreiung von der
Mehrwertsteuerregelung sowie den Jahreszinsertrag aus dieser Sicherheitsleistung
vom 1. Juli 1989 bis zum 1. Juli 1993 (endgültige Abschaffung der streitigen
Maßnahme) anzugeben.
- 115.
- Nach Auffassung der Kommission kann der Umstand, daß sie in ihrer vorläufigen
Entscheidung bezüglich der Befreiung vom einmonatigen Aufschub des
Vorsteuerabzugs zunächst zu einem anderen Ergebnis gelangt sei als in der
angefochtenen Entscheidung, die Gültigkeit der letztgenannten Entscheidung nicht
beeinträchtigen.
- 116.
- Zum Betrag der erwähnten Sicherheitsleistung führt die Kommission aus, bis 1988
habe es sich um einen festen Betrag von 14 Millionen FF gehandelt, der 1989 auf
mehr als 16 Millionen FF und 1993 auf fast 20 Millionen FF angehoben worden sei.
- 117.
- Die Streithelferin weist darauf hin, daß die Sicherheitsleistung bei der Staatskasse,
wie sich aus den Akten ergebe, seit 1969 und nicht, wie in der angefochtenen
Entscheidung angegeben, seit 1989 bestehe, so daß die streitige Maßnahme niemals
eine staatliche Beihilfe gewesen sei. Die französischen Behörden hätten die
Kommission während des Verfahrens deshalb darauf nicht aufmerksam gemacht,
weil dieses Versehen der Kommission bezüglich der Würdigung der streitigen
Maßnahme keine praktische Auswirkung gehabt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 118.
- Aus dem auf Ersuchen des Gerichts vorgelegten Schriftverkehr zwischen der
Kommission und der Streithelferin seit Beginn des Verfahrens ergibt sich, daß die
französischen Behörden von Anfang an der Kommission klar angegeben hatten,
daß die Rennvereine als Gegenleistung für die am 1. August 1969 zugestandene
Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs von diesem Zeitpunkt
an eine ständige Sicherheitsleistung bei der Staatskasse zu hinterlegen hatten
(Schreiben der Ständigen Vertretung Frankreichs bei den Europäischen
Gemeinschaften vom 7. Februar 1992).
- 119.
- Außerdem hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß
die betreffende Sicherheitsleistung nicht seit 1989, sondern seit 1969 bestand, und
daß die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt einen offensichtlichen Fehler
enthält.
- 120.
- Folglich hätte die Kommission ihre Untersuchung der Frage, ob die ständige
Sicherheitsleistung bei der Staatskasse eine Neutralisierung der
Zahlungserleichterungen infolge der Befreiung vom Aufschub des Vorsteuerabzugs
bewirkt hat, bis zum Jahr 1969 oder zumindest zum Jahr 1985 zurück erstrecken
müssen, als der PMU als selbständige Rechtspersönlichkeit geschaffen wurde, nicht
aber nur bis zum Jahr 1989. Mangels einer ausführlichen Untersuchung der
Kommission, die auf 1969 oder 1985 zurückgehen müßte, kann sich daher das
Gericht nicht zu der Frage äußern, ob die genannte ständige Sicherheitsleistung seit
1969 tatsächlich die erwähnten Zahlungserleichterungen neutralisieren konnte, so
daß die betreffende Maßnahme niemals eine staatliche Beihilfe gewesen wäre, oder
von welchem Zeitpunkt an andernfalls mangels effektiven Ausgleichs der genannten
Vorteile tatsächlich eine Beihilfe vorgelegen hätte.
- 121.
- Diesem Ergebnis stehen die Zahlen nicht entgegen, die die Kommission in
Beantwortung der Fragen des Gerichts vorgelegt hat und die in einem an sie
gerichteten Schreiben der Ständigen Vertretung Frankreichs bei den Europäischen
Gemeinschaften enthalten waren (vgl. oben, Randnr. 118). Wenn auch aufgrund
dieser Zahlen der Betrag der ständigen Sicherheitsleistung für die Jahre 1985, 1986
und 1990 den „durchschnittlichen monatlichen Nutzen“, den der PMU aus der
Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs zog, wettzumachen
scheint, ist doch der PMU in den Jahren 1987, 1988 und 1989 in Höhe voninsgesamt 7 968 000 FF begünstigt worden. Da diese Zahlen indessen aus den
angeführten Gründen (vgl. oben, Randnr. 119) von der Kommission beim Erlaß
ihrer Entscheidung nicht gewürdigt worden sind, würde das Gericht, wollte es auf
der Grundlage der schriftlichen Antworten der Verfahrensbeteiligten auf seine
Fragen über das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe entscheiden, damit in die
Befugnisse eingreifen, die nach Artikel 92 allein der Kommission und den
nationalen Gerichten zustehen.
- 122.
- Da die Beurteilung der betreffenden Maßnahme auf jeden Fall fehlerhaft ist, ist
dem Antrag der Klägerin zu entsprechen und dieser Teil der angefochtenen
Entscheidung für nichtig zu erklären.
Zur fehlerhaften Anwendung von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag
Vorbringen der Klägerin
- 123.
- Die Klägerin macht geltend, keine der in der angefochtenen Entscheidung als
staatliche Beihilfe eingestuften staatlichen Maßnahmen 1) der Verzicht des
französischen Staates auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf das
untere Zehntel ergebenden Beträge von 1982 bis 1985 zugunsten des PMU, 2) die
Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs bis 1989, und 3) die
Freistellung des PMU bis 1989 vom Arbeitgeberbeitrag zum Wohnungsbau sei
gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar.
1. Zum Verzicht auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf das untere
Zehntel ergebenden Beträge von 1982 bis 1985
- 124.
- Die Klägerin betont vorab, daß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c als Ausnahme vom
grundsätzlichen Verbot staatlicher Beihilfen eng auszulegen sei und seine
Anwendung von zwei Voraussetzungen abhänge, einer positiven, daß die Beihilfen
zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete
bestimmt seien, und einer negativen, daß sie die Handelsbeziehungen nicht in einer
Weise verändern dürften, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufe. Im
vorliegenden Fall sei keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt.
- 125.
- Erstens genüge der Hinweis in der angefochtenen Entscheidung auf die
„mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen dieser Beihilfen auf die Entwicklung
des Wirtschaftszweigs in allen seinen wirtschaftlichen Komponenten einschließlich
der Pferdezucht“ nicht als Beleg dafür, daß die betreffende Beihilfe die
Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige fördere (positive Voraussetzung), weil die
betreffende Beihilfe weder der Pferdezucht noch den Pferderennen, sondern einer
besonderen Tätigkeit gedient habe, nämlich der Annahme von Wetten außerhalb
von Rennbahnen. Außerdem hätten die Tätigkeiten des PMU keine unmittelbare
Verbindung zur Pferdezucht und sei der Prozentsatz des Umsatzes von PMU, der
an die Pferdezucht gehe, niedriger als der Anteil der vom Staat erhobenen
Abgaben.
- 126.
- Diese Beurteilung der Kommission widerspreche nicht nur der einschlägigen
Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 17. September 1980 in der
Rechtssache 730/79, Philip Morris Holland/Kommission, Slg. 1980, 2671), sondern
auch den Verhaltensmaßstäben, die sich die Kommission in ihrem Zehnten und
Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik selbst auferlegt habe. Dem Zehnten
Wettbewerbsbericht sei zu entnehmen, daß eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen
Markt nur vereinbar sei, wenn sie zur „Verwirklichung der in Artikel 92 Absatz 3
des Vertrages genannten gemeinsamen Ziele“ beitrage. Außerdem habe die
Kommission in ihrem Zwölften Wettbewerbsbericht erklärt, daß eine Beihilfe nur
dann nicht den Wettbewerb in einer dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden
Weise verfälsche, wenn sie 1) zur Entwicklung des betreffenden Wirtschaftszweigs
im Interesse der gesamten Gemeinschaft beitrage; 2) notwendig sei, um die
gewünschte Maßnahme durchzuführen, und 3) ihre Modalitäten (ihre Intensität,
ihre Laufzeit, das Ausmaß der Wettbewerbsverfälschung) in einem angemessenen
Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stünden.
- 127.
- Die angefochtene Entscheidung habe das erstgenannte Kriterium völlig außer acht
gelassen. Das Vorbringen in der Klagebeantwortung der Kommission, daß diese
Beihilfe zur Entwicklung einer besseren Effektivität der Totalisatorwette und „vor
allem zur Pferdezucht [beitrage], was ein legitimes und dem Interesse der
Gemeinschaft entsprechendes Ziel“ sei, stelle neues Vorbringen dar und könne
daher vom Gericht nicht berücksichtigt werden.
- 128.
- Das zweite Kriterium, ob nämlich die betreffende Beihilfe für die Durchführung
des betreffenden Projekts notwendig sei, sei von der Kommission erst in der
Klagebeantwortung angesprochen worden, wo es heiße, daß die Umstellung der
Tätigkeiten des PMU auf EDV-Betrieb ohne diese Beihilfe nicht hätte
durchgeführt werden können. Da es an jeder Untersuchung dieser Wirkung fehle,
könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Rennvereine die Umstellung ihrer
Tätigkeiten auf EDV-Betrieb entweder durch eine Senkung der Gewinne oder
durch Inanspruchnahme von Bankkrediten hätten finanzieren können.
- 129.
- Zum dritten Kriterium, dem angemessenen Verhältnis der Intensität der Beihilfe
zu ihrem Zweck, macht die Klägerin geltend, daß die Entscheidung fehlerhaft sei,
falls die übrigen staatlichen Maßnahmen zugunsten des PMU, die sie in ihrer
Beschwerde beanstandet habe, staatliche Beihilfen seien, weil die Kommission die
Intensität aller dem PMU gewährten Beihilfen isoliert und nicht zusammen
gewürdigt habe. Aber auch wenn diese Maßnahmen nicht als staatliche Beihilfen
zu betrachten seien, hätten die Auswirkungen dieser Beihilfe in Höhe von 315
Millionen FF im Lichte aller finanziellen Vorteile geprüft werden müssen, die dem
PMU zugute gekommen seien und deren Betrag sich nach dem erwähnten Bericht
des Rechnungshofs allein für den Zeitraum 1982 bis 1985 auf 1,3 Milliarden FF
belaufe.
- 130.
- Zweitens weist die Klägerin zu der Frage, ob die betreffende Beihilfe den
Wettbewerb in einer dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Weise
verfälsche (negative Voraussetzung), darauf hin, daß die Antwort der Kommission
in der angefochtenen Entscheidung, die Umstellung der Tätigkeiten des PMU auf
EDV-Betrieb sei zu einer Zeit geplant worden, zu der der PMU seine Tätigkeiten
noch nicht auf das Ausland ausgedehnt und dies auch nicht geplant habe, auf
falschen Prämissen beruhe. Aus dem Bericht über einen Vortrag des
Generaldirektors des PMU auf der sechsten Konferenz der europäischen Verbände
der PMU in London vom Mai 1987, d. h. vor Gründung des PMI, ergebe sich, daß
der PMU bereits damals eine Ausweitung seiner Tätigkeiten auf das Ausland
geplant habe. Diese Feststellung werde außerdem durch die zur gleichen Zeit
gegebene Antwort des Präsidenten des PMU an den Ersten Präsidenten des
französischen Rechnungshofs aus Anlaß des „Plans der Aufnahme einer Studie
über die Veranstaltung von Pferderennen und die Arbeitsweise des PMU in den
öffentlichen Bericht [des Rechnungshofs]“ bestätigt, in der der Präsident des PMU
die Veröffentlichung dieses Berichts zu einem Zeitpunkt bedauert habe, „zu dem
[der PMU] Verhandlungen mit ausländischen Staaten führte, die von seinen
Erfahrungen in der Abwicklung von Pferderennwetten profitieren wollten, und zu
dem [den PMU] 1992 die Konkurrenz der Länder des Europas der Zwölf
erwartete“.
- 131.
- Schließlich könne, wenn ein Unternehmen a) eine hochintensive Beihilfe erhalte;
b) aufgrund seines Monopols keinem Wettbewerb ausgesetzt sei, und c) diese
Beihilfe verwende, um auf ausländischen Märkten mit anderen Unternehmen in
Wettbewerb zu treten, die negative Voraussetzung des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe c EG-Vertrag grundsätzlich nicht als erfüllt angesehen werden, da eine
solche Situation dem elementaren Prinzip des freien Wettbewerbs auf einem
einzigen Markt zuwiderlaufe.
2. Zur Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs bis 1989
- 132.
- In der angefochtenen Entscheidung werde die Beihilfe in Form der Befreiung vom
einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs als bis 1989 mit dem Gemeinsamen
Markt vereinbar angesehen, und zwar aus den gleichen Gründen, die bei der
Beihilfe infolge des Verzichts auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf
das untere Zehntel ergebenden Beträge von 1982 bis 1985 angeführt worden seien.
Daher erfülle diese Befreiung aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. Randnrn.
124 bis 131) ebenfalls nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels
92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag.
- 133.
- Außerdem stelle das Vorbringen der Kommission in ihrer Klagebeantwortung, die
positive Voraussetzung dafür, daß eine Beihilfe als nach Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe c mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werde, sei im
vorliegenden Fall erfüllt, weil die betreffende Beihilfe „letztlich auf die
Verbesserung der Pferdezucht zielte und nicht nur auf die Verfolgung der
Tätigkeiten des PMU oder der Rennvereine als solcher“, eine gegenüber der
angefochtenen Entscheidung neue Begründung dar; dort sei nämlich dargelegt
worden, daß die störenden Auswirkungen der Beihilfe mögliche Auswirkungen auf
die „Entwicklung des Wirtschaftszweigs“ nicht aufheben könnten, zu dem sowohl
die Pferdezucht als auch die Tätigkeiten der Wettannahme außerhalb von
Rennbahnen gehörten.
- 134.
- Schließlich könne diese Beihilfe, weil sie eine Betriebsbeihilfe sei, nur unter
außergewöhnlichen Umständen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar
betrachtet werden (Zwölfter Bericht über die Wettbewerbspolitik, Ziffer 160, Urteil
Deufil/Kommission, a. a. O.), die aber im vorliegenden Fall nicht gegeben seien.
3. Zur Freistellung vom Beitrag der Arbeitgeber zum Wohnungsbau bis 1989
- 135.
- In der angefochtenen Entscheidung sei die Kommission davon ausgegangen, daß
für die dem PMU gewährte Beihilfe in Form der Freistellung vom Beitrag zum
Wohnungsbau bis 1989 „wie im Fall der Beihilfe in Form der Befreiung vom
einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs“ die Ausnahme des Artikels 92
Absatz 3 Buchstabe c in Anspruch genommen werden könne. Daher sei sie aus
eben den Gründen rechtsfehlerhaft, die bei den Beihilfen durch Verzicht auf die
sich aus der Abrundung der Wettgewinne nach unten ergebenden Beträge und
durch die Ausnahme von den Mehrwertsteuervorschriften angeführt worden seien
(Randnrn. 124 bis 133).
- 136.
- Eine ständige Betriebsbeihilfe von etwa 5 Millionen FF jährlich wie die fragliche
Beihilfe erfülle jedenfalls nicht die positive Voraussetzung des Artikels 92 Absatz
3 Buchstabe c EG-Vertrag.
Vorbringen der Kommission
- 137.
- Die Kommission weist auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung
dargelegten Erwägungen zur Vereinbarkeit der Beihilfe infolge des Verzichts auf
die sich aus der Abrundung der Wettgewinne nach unten ergebenden Beträge,
aufgrund deren auch die beiden anderen staatlichen Beihilfen als mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen worden seien, das Vorbringen der
Klägerin insgesamt zurück. Im übrigen erörtert sie nur die wesentlichen Aspekte
der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag, nämlich zum
einen die Rechtmäßigkeit der mit den betreffenden Beihilfen verfolgten Zwecke
(positive Voraussetzung) und zum anderen das Fehlen von Auswirkungen, die dem
gemeinsamen Interesse zuwider den Markt stören (negative Voraussetzung).
Schließlich wendet sie sich gegen die Behauptung der Klägerin, sie habe sich beim
Erlaß der angefochtenen Entscheidung nicht an ihre eigenen Verhaltensmaßstäbe
gehalten, wie sie in ihren vorgenannten Berichten über die Wettbewerbspolitik
dargestellt seien.
1. Zur Rechtmäßigkeit der mit den staatlichen Beihilfen an den PMU verfolgten
Zwecke (Umstellung auf EDV-Betrieb und Förderung der Pferdezucht)
- 138.
- Die Kommission legt dar, der PMU habe seit 1930 bis zum Beginn der 80er Jahre
die Bearbeitung der Wetten manuell vorgenommen, was zu Problemen im
Betriebsablauf geführt habe, deren Kosten ungefähr 60 % der gesamten
Betriebskosten ausgemacht hätten. Zur Lösung dieser Probleme habe sich der
PMU 1972 entschlossen, alle seine Tätigkeiten auf EDV-Betrieb umzustellen; diese
Entscheidung sei nicht im Hinblick auf eine Ausdehnung der Tätigkeiten des PMU
auf das Ausland getroffen worden, sondern habe lediglich eine Anpassung des
PMU an die wirtschaftliche und technische Entwicklung des nationalen Marktes
bezweckt. Als Ergebnis dieser Maßnahmen sei zum einen ein verläßlicheres System
eingeführt worden, das es ermöglicht habe, den Wettern Dienstleistungen
anzubieten, die ihren Wünschen besser entsprochen hätten, was in der
angefochtenen Entscheidung als „Berücksichtigung der mittelbaren und
unmittelbaren Auswirkungen dieser Beihilfen auf die Entwicklung des
Wirtschaftszweigs in allen seinen wirtschaftlichen Komponenten“ umschrieben
werde, und zum anderen das Abgabenaufkommen des Staates gestiegen, was im
Interesse der Gemeinschaft liege, da eine wirksame Organisation für eine
bestimmte wirtschaftliche Betätigung stets wünschenswert sei.
- 139.
- Seit 1986 sei der Anteil der Betriebskosten des PMU gerade wegen der Umstellung
der Wettannahmen und -bearbeitungen auf EDV-Betrieb ständig zurückgegangen;
der Rückgang von 5,95 % im Jahre 1986 auf 5,45 % im Jahre 1990 entspreche
einer Kostensenkung von etwa 170 Millionen FF, was es den Rennvereinen
ermöglicht habe, mehr Mittel für die Förderung der Pferdezucht einzusetzen.
2. Zum Fehlen von Marktstörungen
- 140.
- Da die Tätigkeiten des PMU vor 1989 auf Frankreich beschränkt gewesen seien
und zwischen dem PMU und anderen Wirtschaftsteilnehmern in Frankreich oder
andernorts kein Wettbewerb geherrscht habe, habe die Kommission zu demErgebnis gelangen können, daß eine spürbare Auswirkung der fraglichen
Maßnahmen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten fehle; nur das Fehlen einer
Geringfügigkeitsregel für staatliche Beihilfen habe sie bewogen, diese Maßnahmen
als staatliche Beihilfen einzustufen, sie aber letztlich als mit dem Gemeinsamen
Markt vereinbar zu behandeln.
- 141.
- Zu der Behauptung der Klägerin, aus den Erklärungen von Vertretern des PMU
im Mai 1987 (vgl. oben, Randnr. 130) ergebe sich, daß die Beihilfe für die EDV-Umstellung des PMU Marktstörungen hervorgerufen habe, weil sie es dem PMU
ermöglicht habe, seine Tätigkeiten auf das Ausland auszudehnen, führt die
Kommission aus, daß die Umstellung der Tätigkeiten des PMU auf EDV-Betrieb
lange vor diesen Erklärungen geplant und durchgeführt worden sei. Auf jeden Fall
sei das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung
des PMU, seinen Betrieb auf EDV umzustellen, und der späteren Entscheidung,
seine Dienste auch anderen Unternehmen im Ausland anzubieten, nicht bewiesen.
- 142.
- Außerdem seien die Tätigkeiten des PMI im Ausland nicht dieselben wie die des
PMU, was durch die von der Klägerin zitierten Äußerungen des Generaldirektors
des PMU (vgl. oben, Randnr. 130) belegt werde.
3. Zur Beachtung der Anforderungen der Rechtsprechung und ihrer eigenen
Verhaltensmaßstäbe durch die Kommission
- 143.
- Wenn eine Beihilfe auch im Kontext der Gemeinschaft gewürdigt werden müsse,
so bedeute das doch noch nicht, daß sich die Beihilfe auf die Gemeinschaft
insgesamt positiv auswirken müsse. Im vorliegenden Fall stelle der Beitrag zur
Entwicklung und größeren Effektivität des Sektors Totalisatorwetten und vor allem
zur Pferdezucht ein legitimes Ziel dar und entspreche dem Interesse der
Gemeinschaft. Auch wenn diese Begründung in der angefochtenen Entscheidung
nicht ausdrücklich angeführt werde, liege sie doch stillschweigend jeder
Genehmigung einer Beihilfe nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c zugrunde.
- 144.
- Bezüglich des Erfordernisses, daß die Beihilfe für die Verwirklichung des verfolgten
Ziels notwendig sein müsse, verweist die Kommission darauf, daß die angefochtene
Entscheidung diese Frage entgegen der Behauptung der Klägerin nicht übergehe,
weil klar festgestellt werde, daß „[d]ie Renngesellschaften außerstande [waren], alle
erforderlichen Investitionen selbst zu finanzieren“ (Teil IV Nummer 2 der
Entscheidung).
- 145.
- Zur Intensität der Beihilfe infolge der Abrundung der Wettgewinne auf das untere
Zehntel bemerkt die Kommission, daß sie zwar nach der angefochtenen
Entscheidung 29 % betrage, daß es aber gleichwohl schwierig sei, bei einer
Organisation wie dem PMU, die nicht über eigene Mittel verfüge, die Intensität
einer Beihilfe zu ermitteln. Falsch sei die Behauptung der Klägerin, daß die
Kommission die fragliche Beihilfe isoliert ohne Berücksichtigung der anderen von
der Klägerin in ihrer Beschwerde als staatliche Beihilfen beanstandeten staatlichen
Maßnahmen geprüft habe.
- 146.
- Die Streithelferin schließt sich dem Vorbringen der Kommission an und
unterstreicht, daß diese Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c ordnungsgemäß auf die
fraglichen Beihilfen angewandt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 147.
- Nach ständiger Rechtsprechung gesteht Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag der
Kommission bei der Zulassung von Ausnahmen vom Verbot des Artikels 92 Absatz
1 einen weiten Spielraum zu. Bei der Beurteilung, ob eine staatliche Beihilfe mit
dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, sind vielschichtige, raschen Änderungen
unterliegende wirtschaftliche Gegebenheiten zu berücksichtigen und zu bewerten
(Urteile des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87,
Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnr. 15, vom 11. Juli 1996 in der
Rechtssache C-39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547, Randnr. 36, und vom 14. Januar
1997, Spanien/Kommission, a. a. O., Randnr. 18). Aus der Rechtsprechung geht
außerdem hervor, daß der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage
lediglich feststellen kann, ob die angefochtene Entscheidung mit einem der in
Artikel 173 EG-Vertrag genannten Rechtsfehler behaftet ist, nicht aber befugt ist,
seine Würdigung der Tatsachen, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, an die
Stelle desjenigen der entscheidenden Stelle zu setzen (Urteile des Gerichtshofes
vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993,
I-3203, Randnr. 23, vom 29. Februar 1996, Belgien/Kommission, a. a. O., sowie
Urteil FFSA u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 101).
- 148.
- Daraus folgt, daß sich die Überprüfung durch das Gericht darauf zu beschränken
hat, ob die Verfahrens- und Begründungsregeln eingehalten worden sind, ob der
Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob bei der Würdigung dieses
Sachverhalts ein offensichtlicher Beurteilungsfehler oder ein Ermessensmißbrauch
festzustellen ist (Urteile Matra/Kommission, a. a. O., Randnr. 25, vom 29. Februar
1996, Belgien/Kommission, a. a. O., Randnr. 11, und FFSA u. a./Kommission,
a. a. O., Randnr. 101).
- 149.
- Im Licht dieser Vorgaben der Rechtsprechung ist die Begründetheit der Rügen zu
prüfen, mit denen die Klägerin beanstandet, daß die Kommission dadurch gegen
die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag
und gegen ihre eigenen Verhaltensmaßstäbe verstoßen habe, wie sie insbesondere
in ihrem Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik dargestellt seien, daß sie
die drei fraglichen staatlichen Beihilfen für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt
erklärt habe.
Zum Verzicht auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf das untere
Zehntel ergebenden Beträge von 1982 bis 1985
- 150.
- Nach der angefochtenen Entscheidung haben die zwischen 1982 und 1985 für die
Einführung des EDV-Betriebs beim PMU gewährten Beihilfen in Form des
Verzichts auf die sich aus der Abrundung der Wettgewinne auf das untere Zehntel
ergebenden Beträge in Anbetracht des Standes der Entwicklung des Wettbewerbs
und des Handels vor Gründung des PMU „unter Berücksichtigung der mittelbaren
und unmittelbaren Auswirkungen dieser Beihilfen auf die Entwicklung des
Wirtschaftszweigs in allen seinen wirtschaftlichen Komponenten einschließlich der
Pferdezucht keine dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden störenden
Auswirkungen auf dem Markt gehabt“ (Teil VII Absatz 8 Ziffer 1 der
angefochtenen Entscheidung).
- 151.
- Dieser Abschnitt der angefochtenen Entscheidung zeigt, daß die Klägerin der
Kommission nicht vorwerfen kann, sie habe nicht geprüft, ob die positive
Anwendungsvoraussetzung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag erfüllt
sei.
- 152.
- Es bleibt die Frage, ob diese Beurteilung der Kommission sich gleichwohl auf
falsche Voraussetzungen stützt, weil die fragliche Beihilfe angeblich allein der
Annahme von Wetten und nicht der Pferdezucht zugute gekommen ist. Nach
Aktenlage hat die Umstellung der Tätigkeiten des PMU auf EDV-Betrieb nicht nur
zu größerer Effektivität der Wettannahme, sondern ab 1986 auch zu einer Senkung
seiner Ausgaben und Betriebskosten geführt, was die Rennvereine in die Lage
versetzt hat, größere Mittel für die Förderung der Pferdezucht freizumachen und
bereitzustellen. Da nämlich die Veranstaltung von Totalisatorwetten in Frankreich
nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird und den Rennvereinen
lediglich ermöglichen soll, ihrer Haupttätigkeit der Pferdezucht nachzugehen, hat
die Kommission mit der Annahme, daß die fragliche Beihilfe wegen ihrer
Auswirkungen auf die Entwicklung des Sektors Rennwetten in allen seinen
wirtschaftlichen Komponenten „einschließlich der Pferdezucht“ mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar sei, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler
begangen.
- 153.
- Die Klägerin kann aber nach Auffassung des Gerichts auch nicht geltend machen,
die Kommission habe erst im schriftlichen Verfahren auf die Auswirkungen dieser
Beihilfe und insbesondere auf die Pferdezucht hingewiesen. Diese Erwägung ist
nämlich in klarer Weise in der Entscheidung selbst enthalten. Außerdem bezieht
sich die angefochtene Entscheidung nicht nur auf die Auswirkungen dieser Beihilfe
auf die Pferdezucht, sondern hebt deren mittelbare und unmittelbare Auswirkungen
auf die Entwicklung des Sektors Rennwetten „in allen seinen wirtschaftlichen
Komponenten einschließlich der Pferdezucht“ hervor.
- 154.
- Weiter ist zu untersuchen, ob die fragliche Beihilfe auch die negative
Voraussetzung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag erfüllt, daß sie die
Handelsbedingungen nicht in einer dem gemeinschaftlichen Interesse
zuwiderlaufenden Weise verändert. Hierzu ist der angefochtenen Entscheidung zu
entnehmen, daß solche Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und den übrigen
Mitgliedstaaten vor der Gründung des PMI im Jahre 1989 nicht bestanden, was
bedeutet, daß vor diesem Zeitpunkt zwischen dem PMU und den übrigen auf dem
Gemeinschaftsmarkt für Totalisatorwetten tätigen Wirtschaftsteilnehmern nicht
einmal Wettbewerb herrschte. Unter diesen Umständen konnte die Kommission
rechtens zu dem Schluß kommen, daß die dem PMU von 1982 bis 1985 für die
Umstellung seiner Tätigkeiten auf EDV-Betrieb gewährten Beihilfen keine dem
gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Störwirkungen auf dem Markt haben
konnten.
- 155.
- Diesem Ergebnis steht der Bericht über einen Vortrag des Generaldirektors des
PMU auf der sechsten Konferenz der europäischen Verbände der PMU in London
vom Mai 1987 (vgl. oben, Randnr. 130) nicht entgegen, der lediglich ganz allgemein
die langfristige Politik des PMU betraf und zwei Jahre nach Abschaffung der
fraglichen Beihilfe gehalten wurde, so daß er die Feststellung der Kommission, daß
Störwirkungen auf dem Markt vor 1989 gefehlt hätten, nicht in Frage stellen kann.
- 156.
- Gleiches gilt für die Antwort des Präsidenten des PMU an den Ersten Präsidenten
des französischen Rechnungshofs aus dem Jahre 1987 (vgl. oben, Randnr. 130), die
zwei Jahre nach Abschaffung dieser Beihilfe und zwei Jahre vor Gründung des PMI
zu einer Zeit erfolgte, als die Ausdehnung des PMU auf das Ausland nicht mehr
als eines der langfristigen Ziele von dessen Politik war. Außerdem ist, wie die
Kommission zu Recht hervorgehoben hat, die Entscheidung, den Rennvereinen bei
der Umstellung der Abwicklung von Totalisatorwetten auf EDV-Betrieb zu helfen,
lange vor dem Zeitpunkt getroffen worden, als der PMU im Jahre 1985
Rechtspersönlichkeit erlangte und beschloß, seine Tätigkeiten durch Gründung des
PMI im Jahre 1989 auf das Ausland auszuweiten.
- 157.
- Demgemäß konnte die Kommission rechtens zu dem Ergebnis gelangen, daß die
betreffende Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.
- 158.
- Dem steht im übrigen auch nicht die Rüge der Klägerin entgegen, die Kommission
habe das erste der drei in ihrem Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik
herausgestellten Kriterien, die Beurteilung einer sektoriellen Beihilfe aufgrund des
Interesses der gesamten Gemeinschaft, völlig außer acht gelassen. Wie sich aus Teil
VII Absatz 3 der angefochtenen Entscheidung ergibt, ist die betreffende Beihilfe
„aus der Sicht der Gemeinschaft und nicht der eines einzelnen Mitgliedstaats“
beurteilt worden. Die Klägerin kann daher nicht behaupten, die Kommission habe
erstmals im schriftlichen Verfahren auf die im übrigen stillschweigend jeder
Prüfung der Vereinbarkeit einer sektoriellen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt
zugrunde liegende Erwägung abgestellt, daß der Beitrag dieser Beihilfe zur
Entwicklung der Totalisatorwette und zur Pferdezucht ein legitimes und dem
Interesse der Gemeinschaft entsprechendes Ziel gewesen sei. Schließlich bedeutet
entgegen der Auffassung der Klägerin die Beurteilung einer Beihilfe anhand des
Gemeinschaftsinteresses nicht, daß für eine Beihilfe mit positiven Wirkungen auf
den Sektor eines einzigen Mitgliedstaats wie die Annahme von Wetten in
Frankreich nicht eine Ausnahme nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben c EG-Vertrag zugelassen werden könnte, weil es, wie die Kommission betont hat, im
Interesse der Gemeinschaft ist, daß ein bestimmter Wirtschaftszweig in einem
Mitgliedstaat über eine wirkungsvolle Organisation und Struktur verfügt.
- 159.
- Die Klägerin kann der Kommission auch nicht vorwerfen, sie habe nicht geprüft,
ob die betreffende Beihilfe für die Verwirklichung des angestrebten Ziels
notwendig gewesen sei. In der angefochtenen Entscheidung heißt es nämlich, daß
„diese Ausnahmen nur dann anwendbar [sind], wenn die Kommission feststellen
kann, daß ohne die Gewährung von Beihilfen das freie Spiel der Marktkräfte den
potentiellen Begünstigten nicht zu einem der Verwirklichung eines der
vorgenannten Ziele dienlichen Verhalten veranlassen würde“ (Teil VII Absatz 4
der angefochtenen Entscheidung), und bezüglich der Beihilfe für die Umstellung
des PMU auf EDV-Betrieb, daß „[d]ie Renngesellschaften außerstande [waren],
alle erforderlichen Investitionen selbst zu finanzieren“. Im übrigen steht fest, daß
die Rennvereine seit Beginn der 80er Jahre erhebliche Verluste hinnehmen
mußten, was erklärt, daß allein ein Eingreifen der staatlichen Behörden und nicht
das privater Finanzinstitute eine Bereinigung dieser Situation bewirken konnte (Teil
IV Nummern 2 und 3 der Entscheidung).
- 160.
- Was die angemessene Intensität dieser Beihilfe betrifft, so wurde diese von der
Kommission in der angefochtenen Entscheidung als hoch bezeichnet. Gleichwohl
bleibt festzuhalten, daß diese Beihilfe nach der angefochtenen Entscheidung lange
vor Gründung des PMI im Januar 1989 gewährt wurde, zu einem Zeitpunkt also,als sie wegen des Standes der Entwicklung des Wettbewerbs und des Handels
zwischen Mitgliedstaaten dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufende
Auswirkungen nicht haben konnte.
- 161.
- Nicht zu folgen ist auch dem Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe das
vorgenannte Kriterium auch deshalb nicht ordnungsgemäß angewandt, weil sie die
Intensität dieser Beihilfe isoliert gewürdigt habe. Zwar konnte die Kommission, da
sie Artikel 92 Absatz 1 nicht ordnungsgemäß auf die vier anderen von der Klägerin
beanstandeten staatlichen Maßnahmen angewandt hat (vgl. oben, Randnrn. 62, 82,
111 und 122), deren Auswirkungen nicht kumulativ mit den Auswirkungen der
betreffenden Beihilfe würdigen, jedoch betreffen diese kumulativen Vorteile einen
Zeitraum, in dem es weder Wettbewerb noch innergemeinschaftlichen Handel gab.
Folglich wird die Würdigung der Vereinbarkeit dieser Maßnahme, die zudem von
begrenzter Dauer (1982 bis 1985) war, mit dem Gemeinsamen Markt nicht durch
das Vorliegen anderer dem PMU vor 1989 gewährter Beihilfen beeinträchtigt.
- 162.
- Die Kommission konnte daher mit Rücksicht auf den Stand des
innergemeinschaftlichen Handels zur hier maßgeblichen Zeit zu Recht die
Auffassung vertreten, daß diese Beihilfe zwar von hoher Intensität, aber doch mit
dem Gemeinsamen Markt vereinbar gewesen sei.
Zur Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs vor 1989
- 163.
- In der angefochtenen Entscheidung wurde diese Beihilfe bis 1989 als mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar betrachtet; von diesem Zeitpunkt an mußten die
Rennvereine eine ständige Sicherheitsleistung bei der Staatskasse hinterlegen, um
den Vorteil aus dieser Maßnahme auszugleichen. Die Würdigung der Kommission
bezog sich, wie bereits festgestellt, auf einen falschen zeitlichen Rahmen (vgl. oben,
Randnrn. 118 bis 122); daher konnte sich das Gericht nicht zu der Frage äußern,
ob eine Beihilfe vorlag. Da die Kommission die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit
dem Gemeinsamen Markt bis 1989 auf die gleichen Gründe gestützt hat wie die
der Beihilfe in Form der Abrundung der Wettgewinne auf das untere Zehntel, ist
ihre Würdigung gleichwohl nicht zu beanstanden, da diese Gründe, wie bereits
festgestellt, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler erkennen lassen (vgl. oben,
Randnrn. 150 bis 159). Demgemäß konnte die Kommission trotz ihres Irrtums im
vorliegenden Fall davon ausgehen, daß die betreffende Beihilfe bis 1989 mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar war.
Zur Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau bis 1989
- 164.
- Die Klägerin macht geltend, auch in diesem Punkt sei die Entscheidung fehlerhaft,
und zwar aus eben den Gründen, die bei den beiden anderen mit dem
Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärten Beihilfen dargelegt worden seien. Da
indessen das Vorbringen der Klägerin zu diesen beiden anderen Beihilfen nicht
begründet ist (vgl. oben, Randnrn. 150 bis 153), gilt gleiches auch für die gegen
diese Beihilfe erhobenen Rügen.
- 165.
- Nach alledem ist der Klagegrund der Klägerin, mit dem sie eine fehlerhafte
Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag rügt, nicht begründet
und daher zurückzuweisen.
Zur Pflicht der Rückforderung einer mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren
Beihilfe
Parteivorbringen
- 166.
- Mit diesem Klagegrund macht die Klägerin geltend, die angefochtene Entscheidung
sei für nichtig zu erklären, weil sie zum einen die Pflicht zur Rückzahlung der
Beihilfe aufgrund der Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau nicht für die
Zeit ab dem Jahr 1989 ausgesprochen habe, in dem der PMU erstmals Aktivitäten
in anderen Ländern der Gemeinschaft entwickelt habe, sondern wegen eines
Urteils des französischen Conseil d'Etat von 1962 dort waren die Tätigkeiten der
Rennvereine als Landwirtschaft eingestuft und damit vom Beitrag zum
Wohnungsbau freigestellt worden nur für die Zeit ab Einleitung des Verfahrens
(d. h. ab 11. Januar 1991), und weil sie es zum anderen den französischen
Behörden überlassen habe, die zurückzuzahlende Beihilfe zu berechnen.
- 167.
- Zunächst stehe die auf das Urteil des Conseil d'Etat gestützte Begründung für die
zeitliche Begrenzung der Pflicht zur Rückzahlung der betreffenden Beihilfe in
Widerspruch zum Teil V Nummer 7 der angefochtenen Entscheidung, in dem die
Kommission festgestellt habe, daß dieses Urteil, das zu zwei nicht dem PMU
angeschlossenen Rennvereinen ergangen sei, nicht deren Tätigkeit bei der
Annahme von Wetten für Rennen noch demzufolge die Tätigkeit des PMU
betreffe, nämlich die Veranstaltung und die Abwicklung von Wetten, die
offensichtlich mit Landwirtschaft nichts zu tun hätten.
- 168.
- Das Vorbringen der Kommission in ihrer Klagebeantwortung, das Urteil des
Conseil d'Etat habe beim Empfänger ein schutzwürdiges Vertrauen in die
Ordnungsmäßigkeit dieser Maßnahme entstehen lassen, was die französischen
Behörden daran hindere, die Rückzahlung der Beihilfe für die Zeit vor Einleitung
des Verfahrens (11. Januar 1991) zu verlangen, sei in der angefochtenen
Entscheidung nicht enthalten. Außerdem habe die Kommission das „schutzwürdige
Vertrauen“ des Empfängers einer Beihilfe mit der fehlenden Befugnis des Staates
verwechselt, eine rechtswidrige Beihilfe zurückzuverlangen. Eine solche Begründung
widerspreche aber der einschlägigen Rechtsprechung, wonach ein Mitgliedstaat, der
eine Beihilfe unter Verstoß gegen die Verfahrensregeln des Artikels 93 EG-Vertrag
gewährt habe, sich nicht auf das schutzwürdige Vertrauen der Empfänger berufen
könne, um diese Beihilfe nicht zurückverlangen zu müssen (Urteil des
Gerichtshofes vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89,
Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437). Da schließlich das Urteil des
französischen Conseil d'Etat weder die Tätigkeiten der Entgegennahme von Wetten
auf Rennplätzen noch die Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahmen mit Artikel
92 ff. EG-Vertrag betreffe, könne man nicht von einem schutzwürdigen Vertrauen
des PMU sprechen.
- 169.
- Die Rüge, die Kommission hätte es nicht der französischen Regierung überlassen
dürfen, den Betrag der zurückzuzahlenden Beihilfe selbst zu berechnen, beruhe
darauf, daß der Beitrag, von dem der PMU freigestellt worden sei, anhand der
Lohnsummenliste des Arbeitgebers festgelegt werde; daher genüge es für die
Berechnung des Betrages, wenn man den für den Beitrag geltenden Satz und die
Lohnsumme des PMU in Erfahrung bringe. Da die Kommission außerdem, wie sich
aus der angefochtenen Entscheidung ergebe, im Besitz der Zahlen sei, aus denen
sich der Betrag der Beiträge ergebe, auf die der französische Staat 1986 und 1990
verzichtet habe, dürfte es eigentlich nicht schwierig sein, die entsprechenden Zahlen
für die übrigen Jahre zu erhalten. Schließlich könne sich die Kommission zur
Rechtfertigung der Entscheidung, die Festlegung des Betrages der
zurückzuzahlenden Beihilfen dem französischen Staat selbst zu überlassen, nicht auf
unzureichende Informationen berufen, da sie mehr als vier Jahre Zeit gehabt habe,
diese Daten vom französischen Staat zu erhalten.
- 170.
- Einem grundlegenden Prinzip des Gemeinschaftsrechts zufolge sei die Kommission
zudem nicht befugt, die ihr nach dem Vertrag zustehenden Ermessensbefugnisse
zu übertragen (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juni 1958 in der Rechtssache 9/56,
Meroni/Hohe Behörde, Slg. 1958, 9); außerdem habe sie im vorliegenden Fall die
übertragenen Befugnisse nicht abgegrenzt und auch die Modalitäten ihrer
Ausübung nicht festgelegt. Den einzelnen werde darüber hinaus durch eine solche
Übertragung von Befugnissen der ihnen durch Artikel 173 EG-Vertrag garantierte
Rechtsschutz entzogen.
- 171.
- Schließlich hätten die französischen Behörden die Rückzahlung dieser Beihilfe nicht
in vollem Umfang verlangt. Wie sich aus dem Schriftwechsel zwischen der
Kommission und den französischen Behörden und insbesondere aus dem Schreiben
der Ständigen Vertretung Frankreichs vom 10. Januar 1994 ergebe, sei die
Freistellung vom Beitrag der Arbeitgeber zum Wohnungsbau zum 1. Januar 1994
aufgehoben worden, so daß die betreffende Rückzahlung einen Zeitraum von fast
drei Jahren, d. h. von 1991 bis einschließlich 1993, habe umfassen müssen. Dem
gleichen Schreiben lasse sich jedoch entnehmen, daß die französischen Behörden
die Rückzahlung nur für die Jahre 1992 und 1993, nicht aber für 1991 durchgesetzt
hätten.
- 172.
- Die Kommission weist darauf hin, daß zwar Beihilfeempfänger grundsätzlich ein
schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Beihilfe nur haben könnten,
wenn diese rechtmäßig gewährt worden sei, daß sie sich aber ausnahmsweise auf
Umstände berufen könnten, aufgrund deren ihr Vertrauen in die
Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfe geschützt werde, so daß sie diese nicht
zurückzuerstatten brauchten (Urteil vom 20. September 1990,
Kommission/Deutschland, a. a. O.).
- 173.
- Bezüglich der Möglichkeit, daß sich ein Mitgliedstaat auf das schutzwürdige
Vertrauen der Empfänger einer Beihilfe berufen kann, um von der Rückforderung
abzusehen, verweist die Kommission darauf, daß ein Mitgliedstaat nach dem Urteil
vom 20. September 1990, Kommission/Deutschland, a. a. O., „sich ... nicht unter
Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung
entziehen [kann], Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der
Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet“ (Randnr.
17 des Urteils); so verhalte es sich im vorliegenden Fall nicht.
- 174.
- Nach Auffassung der Kommission war das Urteil des französischen Conseil d'Etat
von 1962, das die Tätigkeiten der Rennvereine als Landwirtschaft eingestuft und
damit deren Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau gerechtfertigt habe,
geeignet, bei diesen bis zur Einleitung des Verfahrens, in dem diese Maßnahme
ausdrücklich als staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag
beanstandet worden sei, ein schutzwürdiges Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit
der betreffenden Maßnahme entstehen zu lassen.
- 175.
- Zwar habe dieses Urteil keine Mitglieder des PMU betroffen und sich nicht mit
den Tätigkeiten der Annahme von Pferdewetten noch mit der Frage der
Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahme mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen befaßt; es belege jedoch, daß die Rennvereine
als landwirtschaftliche Unternehmen anzusehen und damit vom Beitrag zum
Wohnungsbau freigestellt seien.
- 176.
- Bei der den französischen Behörden übertragenen Aufgabe, den
zurückzufordernden Betrag zu ermitteln, handele es sich entgegen der Auffassung
der Klägerin nicht um eine Übertragung von Befugnissen, sondern um einen Fall
der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Mitgliedstaat, die unter Artikel 5
des EG-Vertrags falle. Dieser Praxis sei auch in anderen Fällen gefolgt worden
(Entscheidung 88/468/EWG der Kommission vom 29. März 1988 über die Beihilfen
der französischen Regierung an ein Unternehmen des Agrarmaschinensektors in
St. Dizier, Angers und Croix [International Harvester/Tenneco], ABl. L 229, S. 37);
im vorliegenden Fall stehe den französischen Behörden kein Ermessen zu; sie
hätten die Berechnung des Betrages der zurückzuzahlenden Beihilfe zu
rechtfertigen.
- 177.
- Die Rügen der Klägerin bezüglich der Kontrolle des Verfahrens der
Beihilferückzahlung beträfen die Durchführung der angefochtenen Entscheidung
und nicht deren Rechtmäßigkeit, die allein Gegenstand der Klage sei.
- 178.
- Die Streithelferin tritt dem Vorbringen der Kommission bei und weist darauf hin,
daß die Kommission nicht verpflichtet sei, die Rückzahlung einer Beihilfe zu
verlangen, und insoweit über einen weiten Spielraum verfüge, der nur bei einem
offensichtlichen Fehler der Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter unterliege
(Urteil des Gerichtshofes vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90,
Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat
national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I-5505).
Würdigung durch das Gericht
- 179.
- Stellt die Kommission die Unvereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem
Gemeinsamen Markt fest, so kann sie dem betroffenen Mitgliedstaat aufgeben, die
Beihilfe von dem begünstigten Unternehmen zurückzufordern (Urteil
Deufil/Kommission, a. a. O., Randnr. 24), da die Rückforderung einer
rechtswidrigen Beihilfe die natürliche Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit
ist, soweit sie die Wiederherstellung des früheren Zustands erlaubt (Urteile vom
21. März 1990, Belgien/Kommission, a. a. O., Randnr. 66, und vom 14. Januar 1997,
Spanien/Kommission, a. a. O., Randnr. 47). Dabei steht der Kommission ein weites
Ermessen zu, wie es bei der Durchführung der nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag getroffenen Entscheidungen erforderlich ist, weil bei deren Erlaß ein
solches Ermessen besteht (Urteil vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission,
a. a. O., Randnr. 15).
- 180.
- Es bedarf daher der Prüfung, ob die Kommission, wenn sie im Rahmen ihres
Ermessens dem betroffenen Mitgliedstaat aufgibt, eine Beihilfe zurückzufordern,
die für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wurde, die Wirkungen
dieser Entscheidung mit der Begründung zeitlich begrenzen kann, das Urteil eines
nationalen Gerichts habe nach Auffassung des betroffenen Mitgliedstaats bei dem
Empfänger der Beihilfe ein schutzwürdiges Vertrauen in ihre Rechtmäßigkeit
entstehen lassen.
- 181.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat, dessen Behörden unter
Verletzung des Verfahrens des Artikels 93 EG-Vertrag eine Beihilfe gewährt
haben, nicht unter Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der
Verpflichtung entziehen, Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der
Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet.
Anderenfalls wären die Artikel 92 und 93 EG-Vertrag insoweit wirkungslos, als die
nationalen Behörden sich auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten,
um Entscheidungen der Kommission nach diesen Bestimmungen ihre Wirkung zu
nehmen (vgl. zuletzt Urteil des Gerichtshofes vom 14. Januar 1997,
Spanien/Kommission, Randnr. 48).
- 182.
- Allerdings ist nicht auszuschließen, daß sich der Empfänger einer rechtswidrigen
Beihilfe ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein
Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfe geschützt wird. In einem
solchen Fall setzt die Anerkennung eines schutzwürdigen Vertrauens in seiner
Person voraus, daß die Beihilfe unter Beachtung des Verfahrens des Artikels 93
EG-Vertrag gewährt wurde (Urteile des Gerichtshofes vom 10. Juni 1993 in der
Rechtssache C-183/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1993, I-3131, Randnr. 18,
und vom 14. Januar 1997, Spanien/Kommission, a. a. O., Randnr. 51).
- 183.
- Daraus folgt, daß sich nicht der betreffende Mitgliedstaat, sondern der
Beihilfeempfänger auf außergewöhnliche Umstände berufen muß, die bei ihm ein
berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe begründen konnten,
wenn er in einem Verfahren bei den staatlichen Behörden oder vor den nationalen
Gerichten der Rückzahlung einer rechtswidrigen Beihilfe entgegentreten will (Urteil
des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission,
Slg. 1995, II-1675, Randnr. 104).
- 184.
- Folglich konnte die Kommission ihre Entscheidung, die Pflicht der französischen
Behörden zur Rückforderung der dem PMU rechtswidrig gezahlten Beihilfe zeitlich
zu begrenzen, nicht lediglich damit begründen, daß sie auf deren Standpunkt
bezüglich des angeblich berechtigten Vertrauens des PMU abstellte.
- 185.
- Demgemäß ist die angefochtene Entscheidung insoweit, als sie die Pflicht der
französischen Behörden, die Rückzahlung der Beihilfe an PMU in Form der
Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau zu fordern, nicht für die Zeit ab dem
Jahr 1989 ausgesprochen hat, zu dessen Beginn die Beihilfe für unvereinbar erklärt
wurde, sondern nur für die Zeit ab Einleitung des Verfahrens am 11. Januar 1991,
unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag ergangen und daher für
nichtig zu erklären.
- 186.
- Die zweite Rüge der Klägerin geht dahin, die Kommission habe es rechtsfehlerhaft
den französischen Behörden überlassen, den genauen Betrag der Rückzahlung der
Beihilfe zu berechnen. Nach der einschlägigen Rechtsprechung soll die Pflicht des
Mitgliedstaats, gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag die für unvereinbar mit dem
Gemeinsamen Markt erklärte Beihilfe aufzuheben, den früheren Zustand
wiederherstellen; dieses Ziel ist dann erreicht, wenn die Beihilfe gegebenenfalls
zuzüglich Verzugszinsen dem Staat vom Empfänger zurückgezahlt wird (vgl. Urteil
des Gerichtshofes vom 4. April 1995 in der Rechtssache C-350/93,
Kommission/Italien, Slg. 1995, I-699, Randnrn. 20 bis 22).
- 187.
- Allerdings ist es weder nach der Rechtsprechung noch nach
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften erforderlich, daß die Kommission den Betrag
der zurückzuzahlenden Beihilfe selbst festlegt, wenn sie die Rückzahlung einer für
unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärten Beihilfe anordnet. Nach der
Rechtsprechung ist nämlich insoweit nur erforderlich, daß zum einen die
Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen zur Wiederherstellung des früheren
Zustands führt, und daß zum anderen diese Rückzahlung nach den Modalitäten des
nationalen Rechts erfolgt, ohne daß dessen Anwendung Tragweite und Wirksamkeit
des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt (Urteile des Gerichtshofes vom 21.
September 1983 in den Rechtssachen 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor
u. a., Slg. 1983, 2633, Randnrn. 18 bis 25, und vom 2. Februar 1989 in der
Rechtssache 94/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 175, Randnr. 12; Urteil
Siemens/Kommission, a. a. O., Randnr. 82).
- 188.
- Außerdem kann sich die Kommission, falls die Berechnung des Betrages der zu
erstattenden Beihilfe wie im vorliegenden Fall die Berücksichtigung von
Abgabenregelungen notwendig macht, deren Bemessungsgrundlagen, Sätze und
Erhebungsmodalitäten unmittelbar durch die einschlägigen nationalen
Rechtsvorschriften festgelegt werden, darauf beschränken, allgemein die Pflicht des
Empfängers zur Rückzahlung der Beihilfe festzustellen, und es den nationalen
Behörden überlassen, den genauen Betrag der zu erstattenden Beihilfe zu
berechnen (vgl. für einen ähnlichen Fall Urteil Air France/Kommission, a. a. O.,
Randnr. 165).
- 189.
- Entgegen der Meinung der Klägerin stellt auch die Entscheidung der Kommission,
der französischen Regierung die Berechnung des Betrages der zurückzuzahlenden
Beihilfe anzuvertrauen, keine unzulässige Übertragung von Befugnissen dar,
sondern ist im größeren Rahmen der gegenseitigen Verpflichtung zu redlicher
Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten bei der
Anwendung des Artikels 93 EG-Vertrag zu sehen (zur Anwendung des Artikels 93
Absatz 1, der die ständige Überwachung von Beihilfen durch die Kommission
vorsieht, vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache
C-135/93, Spanien/Kommission, Slg. 1995, I-1651, Randnr. 24, und vom 15. Oktober
1996 in der Rechtssache C-311/94, Ijssel-Vliet Combinatie, Slg. 1996, I-5023,
Randnr. 36; zu den Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Durchführung einer
Entscheidung der Kommission, daß die Beihilfe zu erstatten ist, vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 20. Februar 1989, Kommission/Deutschland, a. a. O., Randnr.
9, vom 20. September 1990, Kommission/Deutschland, a. a. O., Randnrn. 13 bis 16,
und vom 10. Juni 1993, Kommission/Griechenland, a. a. O., Randnr. 19).
- 190.
- Die Klägerin bringt weiter vor, daß die betreffende Beihilfe letztlich nicht
vollumfänglich zurückgezahlt worden sei. Die Rechtmäßigkeit einer
Beihilfeentscheidung ist nach der Rechtsprechung aufgrund der Informationen zu
beurteilen, die der Kommission zum Zeitpunkt ihres Erlasses zur Verfügung
standen (Urteile des Gerichtshofes vom 15. März 1994 in der Rechtssache
C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnrn. 12 und 13, und
vom 26. September 1996, Frankreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 33). Das
Vorbringen der Klägerin bezieht sich außerdem nicht auf die Rechtmäßigkeit des
Erlasses der Entscheidung, sondern auf die Modalitäten ihrer Durchführung, und
ist daher im vorliegenden Zusammenhang unerheblich.
- 191.
- Daraus folgt, daß die Rüge der Klägerin, die angefochtene Entscheidung sei
rechtsfehlerhaft, weil sie es den französischen Behörden überlassen habe, den
Betrag der zu erstattenden Beihilfe selbst zu berechnen, unbegründet und daher
zurückzuweisen ist.
Zur Verletzung des Artikels 190 EG-Vertrag
Parteivorbringen
- 192.
- Die Klägerin macht, wie sich aus der Darlegung der bisher behandelten
Klagegründe ergibt, geltend, die angefochtene Entscheidung sei unzureichend
begründet und daher für nichtig zu erklären.
- 193.
- Die Begründung einer Entscheidung sei anhand der in ihr angeführten Gründe zu
beurteilen und nicht anhand der ergänzenden Gründe, die zum ersten Mal im
gerichtlichen Verfahren vorgebracht würden. Folglich dürfe das Gericht im Rahmen
der Ausübung seiner Kontrollbefugnis nicht auf die Gründe abstellen, die die
Kommission zum ersten Mal in ihrer Klagebeantwortung geltend gemacht habe:
a) Der PMU sei Gegenstand einer besonders belastenden Besteuerung, die
eindeutig höher sei als die anderer Tätigkeiten und anderer Unternehmen; b) es
sei legitim, wenn der Staat im Kontext einer solch belastenden
Ausnahmebesteuerung zur Neustrukturierung der betreffenden Unternehmen
beitrage, um seine eigenen Einnahmen für die Zukunft zu sichern; c) die Beihilfe
an den PMU für die Umstellung auf EDV-Betrieb habe vor allem zur Pferdezucht
beitragen sollen, was ein legitimes und dem Interesse der Gemeinschaft
entsprechendes Ziel sei; d) Endziel der Befreiung vom einmonatigen Aufschub des
Vorsteuerabzugs sei die Förderung der Pferdezucht gewesen; und e) die zeitliche
Begrenzung der Pflicht zur Rückzahlung der Beihilfe in Form der Freistellung des
PMU vom Beitrag zum Wohnungsbau sei durch das berechtigte Vertrauen des
PMU infolge des vorgenannten Urteils des französischen Conseil d'Etat von 1962
gerechtfertigt.
- 194.
- Nach Auffassung der Klägerin muß die angefochtene Entscheidung ferner wegen
Verstoßes gegen Artikel 190 EG-Vertrag auch deshalb für nichtig erklärt werden,
weil die Kommission zu der in der Beschwerde beanstandeten Beihilfe betreffend
die Befreiung des PMU von jeglicher Besteuerung der Einkünfte nicht Stellung
genommen habe.
- 195.
- Die Kommission hält diesen Klagegrund nicht für ein selbständiges Angriffsmittel
und verweist auf ihr Sachvorbringen. Wenn sie erst im schriftlichen Verfahren
näher auf das Ziel der dem PMU für die Neustrukturierung gewährten Beihilfe,
nämlich die Erhaltung staatlicher Einnahmen (vgl. oben, Randnr. 46), eingegangen
sei, so deshalb, weil eine solche Erwägung jeder Entscheidung über staatliche
Beihilfen zugrunde liege. Außerdem habe sie mit dieser Feststellung lediglich auf
das erstmals in der Klageschrift zu findende Vorbringen der Klägerin antworten
wollen, daß die Senkung der öffentlichen Abgaben auf Wetten im Jahre 1985 eine
Sondermaßnahme gewesen sei, mit der der Sanierungsplan des PMU habe
finanziert werden sollen.
- 196.
- Der Hinweis in ihrer Klagebeantwortung auf das berechtigte Vertrauen des PMU
habe lediglich die Begründung in der angefochtenen Entscheidung ergänzen sollen,
daß es den französischen Behörden wegen des Urteils des Conseil d'Etat von 1962
nicht möglich gewesen sei, die Besteuerung durchzuführen.
Würdigung durch das Gericht
- 197.
- Da sämtliche Rügen, die die Klägerin im Rahmen des Klagegrundes der Verletzung
des Artikels 190 EG-Vertrag geltend macht, bereits bei der Prüfung der übrigen
Klagegründe untersucht worden sind, bedarf es keiner gesonderten Entscheidung
im Rahmen dieses Klagegrundes.
- 198.
- Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären,
als in ihr festgestellt wird, daß die dem PMU gewährten Vorteile in Form a) der
Zahlungserleichterungen, die es dem PMU gestatteten, die Zahlung bestimmter
Wettabgaben zu verschieben, b) der Änderung der Verteilung der Entnahmen in
den Jahren 1985 und 1986, c) der Zuweisung nicht beanspruchter Gewinne und
d) der Befreiung vom einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs nach dem 1.
Januar 1989 keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag sind. Außerdem ist die angefochtene Entscheidung insoweit für nichtig zu
erklären, als sie die Pflicht des französischen Staates, die Rückzahlung der dem
PMU gewährten Beihilfe in Form der Freistellung vom Beitrag zum Wohnungsbau
zu fordern, nicht mit dem Jahr 1989, sondern erst ab dem 11. Januar 1991
beginnen läßt.
Zu den Anträgen auf Erlaß von Anordnungen gegenüber der Kommission
- 199.
- Die Klägerin ersucht mit ihren Anträgen das Gericht, der Kommission eine
sofortige Überprüfung ihrer Beschwerde und den Erlaß der nach Artikel 176 EG-Vertrag gebotenen Maßnahmen aufzugeben.
- 200.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der von
ihm ausgeübten Rechtmäßigkeitskontrolle nicht befugt, den Organen Weisungen
zu erteilen oder sich an ihre Stelle zu setzen; es ist Sache der betreffenden
Verwaltung, die Maßnahmen zur Durchführung eines auf eine Nichtigkeitsklage
ergangenen Urteils zu ergreifen. Diese Anträge der Klägerin sind daher als
unzulässig zurückzuweisen (Urteil des Gerichts vom 12. Juni 1997 in der
Rechtssache T-504/93, Tiercé Ladbroke/Kommission, Slg. 1997, II-923, Randnr. 45).
Kosten
- 201.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Das Gericht kann jedoch nach Artikel 87
§ 3 die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt,
wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da der Klage teilweise
stattgegeben worden ist und beide Parteien beantragt haben, die Kosten der jeweils
anderen Partei aufzuerlegen, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.
- 202.
- Die Streithelferin trägt gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen
Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung 93/625/EWG der Kommission vom 22. September 1993
betreffend mehrere Beihilfen der französischen Regierung zugunsten des
Pari mutuel urbain (PMU) und der Renngesellschaften wird insoweit für
nichtig erklärt, als in ihr festgestellt wird, daß die dem PMU gewährten
Vorteile in Form a) der Änderung der Verteilung der Entnahmen in den
Jahren 1985 und 1986, b) der Zahlungserleichterungen, die es dem PMU
gestatteten, die Zahlung bestimmter Wettabgaben zu verschieben, c) derZuweisung nicht beanspruchter Gewinne und d) der Befreiung vom
einmonatigen Aufschub des Vorsteuerabzugs nach dem 1. Januar 1989
keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag
sind, und als sie die Pflicht des französischen Staates, die Rückzahlung der
dem PMU gewährte Beihilfe in Form der Freistellung vom Beitrag zum
Wohnungsbau zu fordern, nicht mit dem Jahr 1989, sondern erst ab dem
11. Januar 1991 beginnen läßt.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Bellamy Vesterdorf Briët
Kalogeropoulos Potocki
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Januar 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
A. Kalogeropoulos