Language of document : ECLI:EU:C:2001:60

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS G. JACOBS

vom 25. Januar 2001 (1)

Rechtssache C-253/99

Bacardi GmbH

gegen

Hauptzollamt Bremerhaven

1.
    In der vorliegenden Rechtssache gab der Importeur einer Sendung „Jack Daniel's Whiskey“ in der Zollanmeldung die Unterposition 2208 30 82 KN an, die auf Whiskey, „anderer“ als Bourbon-Whiskey oder Scotch-Whisky, verweist. Nach Überführung der Sendung in den zollrechtlich freien Verkehr legte er ein gültiges Echtheitszeugnis vor und beantragte, die Ware der Unterposition 2208 30 11, die sich auf „Bourbon-Whiskey“ bezieht, zuzuordnen, was nach seiner Behauptung zur Anwendung eines niedrigeren Zollsatzes führt. Das Finanzgericht Bremen fragt, ob in einer solchen Situation nach Artikel 236 des Zollkodex(2) die aufgrund der ursprünglichen Zollanmeldung entrichteten Einfuhrabgaben zurückzuzahlen sind, weil sie nicht „gesetzlich geschuldet“ waren. Für den Fall einer verneinenden Antwort fragt es, ob die Umstände des Ausgangsverfahrens einen „besonderen Fall“ darstellen, der nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex(3) zu einer Erstattung der Einfuhrabgaben führen kann.

Die einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften

2.
    Die folgenden Bestimmungen über die Erstattung und den Erlass von Abgaben, über die zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Waren aufgrund ihrer Art, über Zollpräferenzmaßnahmen zugunsten bestimmter Länder, über Zollanmeldungen und über das Entstehen und die Bestimmung des Betrages einer Zollschuld sind einschlägig. Verweisungen im Zollkodex auf nach dem Ausschussverfahren festzulegende Voraussetzungen beziehen sich hauptsächlich auf die Durchführungsverordnung, die nach diesem Verfahren erlassen wurde.

Vorschriften über die Erstattung und den Erlass von Abgaben

-    Erstattung oder Erlass, wenn die Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren

3.
    Artikel 236 bestimmt:

„(1)    Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war ...

...

(2)    Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilungder betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

...“

4.
    Artikel 890 der Durchführungsverordnung, der einen Sonderfall nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex betrifft, bestimmt:

„Wird zur Begründung des Antrags auf Erstattung oder Erlass ein Ursprungszeugnis, eine Warenverkehrsbescheinigung, ein interner gemeinschaftlicher Versandschein oder eine andere entsprechende Unterlage vorgelegt, mit der der Nachweis erbracht wird, dass die Waren zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zum zollrechtlich freien Verkehr Anspruch auf die Gewährung der Gemeinschaftsbehandlung oder die Anwendung eines ermäßigten Zollsatzes oder der Zollfreiheit gehabt hätten, so gibt die Zollbehörde der Schlussbehandlung dem Antrag nur statt, wenn ordnungsgemäß nachgewiesen wird, dass

-    sich die vorgelegte Unterlage tatsächlich auf die eingeführten Waren bezieht und alle Voraussetzungen für die Annahme dieser Unterlage erfüllt sind;

-    alle anderen Voraussetzungen für die Gewährung der Zollpräferenzbehandlung erfüllt sind.

Die Erstattung oder der Erlass erfolgt bei der Gestellung der Waren. Können die Waren der Zollstelle der Schlussbehandlung nicht gestellt werden, so gewährt diese die Erstattung oder den Erlass nur, wenn aus den ihr vorliegenden Angaben und Unterlagen hervorgeht, dass sich die nachträglich vorgelegte Bescheinigung oder Unterlage zweifelsfrei auf die betreffenden Waren bezieht.“

-    Erstattung, wenn eine Zollanmeldung für ungültig erklärt wird

5.
    Artikel 237 des Zollkodex bestimmt:

„Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden erstattet, wenn eine Zollanmeldung für ungültig erklärt wird, nachdem die Abgaben entrichtet worden sind. Die Erstattung erfolgt auf Antrag des Beteiligten; der Antrag ist vor Ablauf der für den Antrag auf Ungültigkeitserklärung der Zollanmeldung vorgesehenen Frist zu stellen.“

-    Erstattung oder Erlass in anderen Fällen

6.
    Artikel 239 bestimmt:

„(1)    Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

-    werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

-    ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2)    Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

...“

7.
    Die Durchführungsvorschriften zu Artikel 239 des Zollkodex stehen in den Artikeln 899 bis 909 der Durchführungsverordnung.

8.
    Deren Artikel 899 bestimmt:

„Wenn die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, unbeschadet anderer Umstände, die im Rahmen des in Artikel 905 bis 909 vorgesehenen Verfahrens von Fall zu Fall zu beurteilen sind, feststellt,

-    dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhrabgaben.

    ...

-    dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhrabgaben ab.“

9.
    Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o(4) bestimmt:

„(1) Die Einfuhrabgaben werden erstattet oder erlassen, wenn

...

o)    die Zollschuld auf andere als die in Artikel 201 des Zollkodex(5) beschriebene Weise entsteht und der Beteiligte durch Vorlage eines Ursprungszeugnisses, einer Warenverkehrsbescheinigung, eines internen gemeinschaftlichen Versandscheins oder einer anderen entsprechenden Unterlage nachweist, dass im Fall der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Artikel 890 erfüllt sind.“

10.
    Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung in der für den Sachverhalt maßgeblichen Fassung(6) bestimmte:

„(1) Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor.

...

In allen anderen Fällen lehnt die Entscheidungszollbehörde den Antrag ab.“

Vorschriften über die zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Waren aufgrund ihrer Art

11.
    Die Zollbehandlung von eingeführtem Bourbon-Whiskey ist in einer Gruppe von Vorschriften betreffend die „zolltarifliche Abgabenbegünstigung, die für bestimmte Waren aufgrund ihrer Art ... gewährt werden kann“, geregelt. Die Grundvorschrift dieses Bereiches, Artikel 21 des Zollkodex, bestimmt:

„(1)    Die zolltarifliche Abgabenbegünstigung, die für bestimmte Waren aufgrund ihrer Art ... gewährt werden kann, ist von Voraussetzungen abhängig, die nach dem Ausschussverfahren festgelegt werden ...

(2)    Als zolltarifliche Abgabenbegünstigung im Sinne des Absatzes 1 gilt jede Ermäßigung oder Aussetzung von Einfuhrabgaben ... auch wenn sie im Rahmen eines Zollkontingents gewährt wird.“

12.
    Die Durchführungsvorschriften zu Artikel 21 des Zollkodex stehen in Titel III (Artikel 16 bis 34) der Durchführungsverordnung, der die Überschrift „Abgabenbegünstigung aufgrund der Beschaffenheit einer Ware“ trägt. Die Vorschriften betreffend Bourbon-Whiskey stehen in Kapitel 4 (Artikel 26 bis 34) mit der Überschrift „Waren, die der Voraussetzung der Vorlage eines Echtheitszeugnisses, eines Reinheitszeugnisses oder einer sonstigen Bescheinigung unterliegen“.

13.
    Artikel 26 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die in Spalte 3 der nachstehenden Tabelle aufgeführten Waren, die aus den in Spalte 5 der genannten Tabelle aufgeführten Ländern eingeführt werden, werden zu den entsprechenden in Spalte 2 dieser Tabelle aufgeführten Unterpositionen nur zugelassen, wenn Zeugnisse oder Bescheinigungen vorgelegt werden, die den Voraussetzungen der Artikel 27 bis 34 entsprechen.

...

Sie werden im Falle von Tafeltrauben, Whisky, Wodka und Tabak als .Echtheitszeugnis', im Falle von Wein als .Bescheinigung der Ursprungsbezeichnung' und im Falle von Natriumnitrat als .Reinheitszeugnis' bezeichnet.“

14.
    Die Artikel 26 beigefügte Tabelle hat sechs Spalten. Spalte 1 enthält die laufenden Nummern. Spalte 2 enthält die Unterpositionen der in Spalte 3 aufgeführten Waren. In Spalte 5 sind die Länder aufgeführt, aus denen die fraglichen Waren eingeführt werden müssen. Spalte 6 enthält die Bezeichnung der Stelle in diesen Ländern, die das erforderliche Zeugnis oder die erforderliche Bescheinigung ausgestellt und mit dem Sichtvermerk versehen haben muss.

15.
    Aus Artikel 26 Absatz 1 in Verbindung mit der Tabelle (lfd. Nr. 4) ergibt sich, dass Bourbon-Whiskey in Behältnissen mit einem Inhalt von „2 l oder weniger“, der aus den Vereinigten Staaten von Amerika importiert wurde, in die Unterposition 2208 30 11 KN eingereiht werden kann (wie von der Klägerin im Ausgangsverfahren begehrt), wenn der Einführer ein vom „United States Department of the Treasury, Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms“ ausgestelltes, gültiges Echtheitszeugnis vorlegt. Infolge dieser Festsetzung ist in einer Fußnote zur Unterposition 2208 30 11 KN(7) („Bourbon“-Whiskey in Behältnissen mit einem Inhalt von 2 l oder weniger) ausgeführt: „Die Zulassung zu dieser Unterposition erfolgt nach den in den einschlägigen Gemeinschaftsbestimmungen festgesetzten Voraussetzungen.“

16.
    Zu den anderen in der Tabelle zu Artikel 26 der Durchführungsverordnung aufgeführten Waren, für die eine ähnliche Regelung gilt, gehören Weintrauben aus den Vereinigten Staaten, Käsefondue aus der Schweiz, Tokayer aus Ungarn, bestimmte Tabakzubereitungen und -arten aus Ländern wie den Vereinigten Staaten, Brasilien und Kuba sowie Chile-Salpeter.

17.
    In den Artikeln 27 und 28 der Durchführungsverordnung werden an die verlangten Zeugnisse und Bescheinigungen detaillierte und strenge Formanforderungen gestellt.

18.
    Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Das Zeugnis oder die Bescheinigung ... ist den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats innerhalb nachstehender Fristen vom Datum der Ausstellung an gerechnet zusammen mit den darin erfassten Waren vorzulegen:

...

-    3 Monate für in der Tabelle nach Artikel 26 unter den laufenden Nummern 1, 3 und 4 aufgeführte Waren;

...“

19.
    In Artikel 30 ist die Anbringung eines Sichtvermerks vorgeschrieben; Artikel 31 regelt die Anforderungen an die Stellen, die die verschiedenen Zeugnisse und Bescheinigungen ausstellen, und Artikel 34 die Aufteilung von Sendungen von Weintrauben, Tabak und Salpeter.

Vorschriften über die Zollpräferenzmaßnahmen zugunsten bestimmter Länder

20.
    Alle Beteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, erörtern die Möglichkeit, im vorliegenden Fall eine Reihe von - förmlich von denen über die zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Waren aufgrund ihrer Art verschiedenen - Vorschriften betreffend Zollpräferenzmaßnahmen zugunsten bestimmter Länder und die dafür vorzulegenden Echtheitszeugnisse analog oder sogar unmittelbar anzuwenden.

21.
    Artikel 20 des Zollkodex bestimmt:

„(1)    Die bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich geschuldeten Abgaben stützen sich auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften.

...

(3)    Der Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften umfasst:

a)    die Kombinierte Nomenklatur;

...

c)    die Regelzollsätze ... die für die in der Kombinierten Nomenklatur erfassten Waren gelten ...

d)    die Zollpräferenzmaßnahmen aufgrund von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und bestimmten Ländern oder Ländergruppen, in denen eine Zollpräferenzbehandlung vorgesehen ist;

e)    die Zollpräferenzmaßnahmen, die von der Gemeinschaft einseitig zugunsten bestimmter Länder, Ländergruppen oder Gebiete erlassen worden sind;

f)    die autonomen Aussetzungsmaßnahmen, mit denen die bei der Einfuhr bestimmter Waren geltenden Zollsätze herabgesetzt oder ausgesetzt werden;

...

(4)    Unbeschadet der Vorschriften über die Verzollung zum Pauschalsatz sind die in Absatz 3 Buchstaben d) bis f) aufgeführten Maßnahmen auf Antrag des Anmelders anstelle der unter Buchstabe c) genannten Maßnahmen anwendbar, wenn die betreffenden Waren die Voraussetzungen für die Anwendung der erstgenannten Maßnahmen erfüllen. Der Antrag kann so lange nachträglich gestellt werden, wie die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllt sind.

...“

22.
    Artikel 27 bestimmt:

„Durch die Präferenzursprungsregeln werden die Voraussetzungen für den Erwerb des Warenursprungs im Hinblick auf die Anwendung der Maßnahmen nach Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe d) oder e) festgelegt.

Die Präferenzursprungsregeln werden wie folgt festgelegt:

a)    Im Fall der unter die Abkommen nach Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe d) fallenden Waren in den Abkommen;

b)    im Fall der Waren, für die Zollpräferenzmaßnahmen nach Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe e) gelten, nach dem Ausschussverfahren.“

23.
    Die Durchführungsvorschriften zu Artikel 27 Buchstabe b des Zollkodex stehen in Titel IV     („Warenursprung“) Kapitel 2 („Präferenzieller Ursprung“) der Durchführungsverordnung. Dieses Kapitel enthält in Abschnitt 1 („Allgemeines Präferenzsystem“) Unterabschnitt 2 besondere Vorschriften für den Nachweis derUrsprungseigenschaft für die Zwecke des „Allgemeinen Präferenzsystems“. Die einschlägigen Vorschriften hatten in der für den Sachverhalt maßgeblichen Fassung(8) folgenden Wortlaut.

24.
    Artikel 77 bestimmte:

„(1)    Ursprungserzeugnisse im Sinne dieses Abschnitts erhalten ... bei der Einfuhr in die Gemeinschaft die Zollpräferenzbehandlung ... auf Vorlage eines von den Zollbehörden oder anderen Regierungsstellen des begünstigten Ausfuhrlandes ausgestellten Ursprungszeugnisses ...

...

(5)    Das Ursprungszeugnis wird von der zuständigen Regierungsstelle des begünstigten Landes ausgestellt, wenn die Ausfuhrwaren als Ursprungserzeugnisse im Sinne des Unterabschnitts 1 angesehen werden können. Es wird dem Ausführer zur Verfügung gestellt, sobald die Ausfuhr tatsächlich erfolgt oder sichergestellt ist.

...“

25.
    Artikel 84 bestimmte:

„(1)    Ausnahmsweise kann das Ursprungszeugnis nach Formblatt A auch nach der tatsächlichen Ausfuhr der Waren, auf die es sich bezieht, ausgestellt werden, wenn es infolge eines unverschuldeten Irrtums oder Unterlassens oder besonderer Umstände bei der Ausfuhr nicht ausgestellt worden ist, sofern die Waren nicht vor der Übermittlung der nach Artikel 92 verlangten Angaben an die Kommission ausgeführt worden sind.

(2)    Die zuständige Regierungsbehörde darf ein Ursprungszeugnis nachträglich erst ausstellen, nachdem sie geprüft hat, ob die Angaben im Antrag des Ausführers mit den entsprechenden Ausfuhrunterlagen übereinstimmen und ob nicht bereits bei der Ausfuhr der betreffenden Ware ein gültiges Ursprungszeugnis nach Formblatt A ausgestellt worden ist.

...“

26.
    Artikel 82 bestimmte:

„(1)    Das Ursprungszeugnis nach Formblatt A muß innerhalb einer Frist von zehn Monaten nach der Ausstellung durch die zuständige Regierungsbehörde des begünstigten Ausfuhrlandes den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats vorgelegt werden, bei denen die Waren gestellt werden.

(2)    Ursprungszeugnisse nach Formblatt A, die den Zollbehörden in der Gemeinschaft nach Ablauf der in Absatz 1 genannten Geltungsdauer vorgelegt werden, können zur Gewährung der Präferenzbehandlung gemäß Artikel 67 angenommen werden, wenn die Frist aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände nicht eingehalten werden konnte.

(3)    In anderen Fällen verspäteter Vorlage können die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats diese Ursprungszeugnisse annehmen, wenn ihnen die betreffenden Waren vor Ablauf der in Absatz 1 genannten Geltungsdauer gestellt worden sind.“

Vorschriften über Zollanmeldungen

27.
    Artikel 59 Absatz 1 des Zollkodex schreibt vor, dass „[a]lle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, ... zu dem betreffenden Verfahren anzumelden“ sind.

-    Normales Verfahren

28.
    Das normale Verfahren für schriftliche Zollanmeldungen ist in den Artikeln 62 ff. des Zollkodex geregelt. Artikel 62 bestimmt:

„(1)    Die schriftlichen Zollanmeldungen sind auf einem Vordruck abzugeben, der dem amtlichen Muster entspricht. Sie müssen ... alle Angaben enthalten, die zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich sind.

(2)    Den Anmeldungen sind alle Unterlagen beizufügen, deren Vorlage zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich ist.“

29.
    Artikel 218 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt für Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr:

„(1) Der Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr sind folgende Unterlagen beizufügen:

...

c)    die Unterlagen, die für die Anwendung einer Präferenzregelung oder einer anderen Sonderregelung, die für die angemeldeten Waren gilt, erforderlich sind;

d)    alle sonstigen Unterlagen, die nach den Vorschriften über die Überführung der angemeldeten Waren in den zollrechtlich freien Verkehr erforderlich sind.“

30.
    Artikel 63 des Zollkodex bestimmt:

„Anmeldungen, die den Voraussetzungen des Artikels 62 entsprechen, werden von den Zollbehörden unverzüglich angenommen, sofern die betreffenden Waren gestellt worden sind.“

31.
    Artikel 67 des Zollkodex bestimmt:

„Wenn nichts anderes bestimmt ist, ist der Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung durch die Zollbehörden in Bezug auf alle Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, zugrunde zu legen.“

32.
    Nach Annahme einer Zollanmeldung durch die Zollbehörden kann diese für ungültig erklärt werden. Artikel 66 bestimmt:

„(1)    Die Zollbehörden erklären auf Antrag des Anmelders eine bereits angenommene Anmeldung für ungültig, wenn der Anmelder nachweist, dass die Waren irrtümlich zu dem in dieser Anmeldung bezeichneten Zollverfahren angemeldet worden sind oder dass infolge besonderer Umstände die Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren nicht mehr gerechtfertigt ist.

...

(2)    Nach Überlassung der Waren kann die Anmeldung außer in den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen nicht mehr für ungültig erklärt werden.

...“

33.
    In Artikel 251 der Durchführungsverordnung sind die Fälle festgelegt, in denen eine Zollanmeldung nach Überlassung der Waren für ungültig erklärt werden kann.

-    Verfahren für unvollständige Anmeldungen

34.
    Die Parteien erörtern auch die Frage, ob in der vorliegenden Situation eine unvollständige Zollanmeldung vorlag (vorgelegen haben könnte).

35.
    Artikel 76 Absatz 1 des Zollkodex bestimmt:

„Um die Förmlichkeiten und Verfahren möglichst weitgehend zu vereinfachen, ohne dass die Ordnungsmäßigkeit der Vorgänge dadurch beeinträchtigt wird, lassen die Zollbehörden unter den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Voraussetzungen zu, dass

a)    die Anmeldung nach Artikel 62 einige der Angaben nach Absatz 1 des genannten Artikels nicht enthält oder einige der Unterlagen nach Absatz 2 des genannten Artikels nicht beigefügt sind;

...

Die vereinfachte Anmeldung ... muss mindestens die zur Erfassung der Waren erforderlichen Angaben enthalten ...“

36.
    Artikel 253 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die Regelung über die unvollständige Zollanmeldung ermöglicht den Zollstellen in begründeten Fällen die Annahme einer Zollanmeldung, in der nicht alle für das betreffende Zollverfahren erforderlichen Angaben enthalten sind oder der nicht alle Unterlagen beigefügt sind.“

37.
    Artikel 255 bestimmt:

„(1)    Den Zollanmeldungen, die von der Zollstelle auf Antrag des Anmelders angenommen werden können, obwohl einige der verlangten Unterlagen nicht beigefügt sind, müssen zumindest diejenigen Unterlagen beigefügt sein, von deren Vorlage die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr abhängig ist.

(2)    Abweichend von Absatz 1 kann eine Zollanmeldung, der die eine oder andere Unterlage, von deren Vorlage die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr abhängig ist, nicht beigefügt ist, angenommen werden, wenn der Zollstelle der Nachweis erbracht wird, dass

a)    die jeweilige Unterlage vorhanden und gültig ist,

b)    diese Unterlage aus Gründen, die der Anmelder nicht zu vertreten hat, der Zollanmeldung nicht beigefügt werden konnte, und

c)    eine Verzögerung der Annahme der Zollanmeldung die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr verhindern würde oder zur Folge hätte, dass ein höherer Abgabensatz zur Anwendung käme.

Die fehlenden Unterlagen müssen in jedem Fall in der Zollanmeldung bezeichnet werden.“

Vorschriften über das Entstehen und die Bestimmung des Betrages einer Zollschuld

38.
    Artikel 201 des Zollkodex bestimmt:

„(1)    Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a)    wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wird ...

...

(2)    Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die betreffende Zollanmeldung angenommen wird.

...“

39.
    Artikel 214 Absatz 1 bestimmt:

„(1)    Sofern in diesem Zollkodex nichts Gegenteiliges bestimmt ist, wird der Betrag der auf eine Ware zu erhebenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben unbeschadet Absatz 2 anhand der Bemessungsgrundlagen bestimmt, die für diese Ware zum Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld gelten.“

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

40.
    Am 10. September 1996 meldete die Bacardi GmbH (nachstehend: Klägerin), vertreten durch eine Spedition, beim Hauptzollamt Bremerhaven (nachstehend: Hauptzollamt) 2 160 Kartons „Jack Daniel's Whiskey“ zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Jeder Karton enthielt 6 Flaschen à 0,7 l, was eine Gesamtmenge von 9 072 l ergibt.

41.
    Die Spedition gab in der Rubrik 33 des Einheitspapiers die Unterposition 2208 30 82 KN an. Diese Unterposition bezieht sich auf Whiskey, „anderer“ als Bourbon-Whiskey oder Scotch-Whisky, in Behältnissen mit einem Inhalt von 2 l oder weniger.

42.
    Das Hauptzollamt nahm die Zollanmeldung an und setzte die Einfuhrabgaben mit Bescheid vom 11. September 1996 auf 2 786,92 DM Zoll-Euro und 25 117,88 DM Einfuhrumsatzsteuer, insgesamt also 27 904,80 DM, fest.

43.
    Mit Schreiben vom 2. Oktober 1996 legte die Klägerin ein Echtheitszeugnis(9), das sich auf die fragliche Sendung bezog, vor und beantragte, die Ware nun der Unterposition 2208 30 11 zuzuordnen. Diese Unterposition bezieht sich auf „.Bourbon'-Whiskey in Behältnissen mit einem Inhalt von 2 l oder weniger“. Nach dem Vorabentscheidungsersuchen und den schriftlichen und mündlichen Einlassungen der Parteien hatte die Klägerin das fragliche Echtheitszeugnis offenbar im Juli oder August 1996 beantragt, doch erst am 17. September 1996, also nach der Annahme der Zollanmeldung, von den US-Behörden ausgestellt erhalten. Die von der Klägerin beantragte Neutarifierung würde zu einer Erstattung von 1 045,10 DM Zoll-Euro führen.

44.
    Mit Bescheid vom 19. September 1997 lehnte das Hauptzollamt den Erstattungsantrag der Klägerin ab. Es führte aus (wohl auf der Grundlage von Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung), dass Echtheitszeugnisse zusammen mit den darin erfassten Waren vorzulegen seien. Eine nachträgliche Vorlage sei nicht zugelassen.

45.
    Den von der Klägerin gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies das Hauptzollamt als unbegründet zurück.

46.
    Am 23. Dezember 1997 erhob die Klägerin beim vorlegenden Gericht Klage. Darin beantragt sie, die Bescheide des beklagten Hauptzollamts aufzuheben und es zu verpflichten, ihr 1 045,10 DM Zoll-Euro zu erstatten. Das beklagte Hauptzollamt beantragt, die Klage abzuweisen.

47.
    Das Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren und vor dem vorlegenden Gericht lässt sich wie folgt zusammenfassen:

48.
    Entgegen der Auffassung des Hauptzollamts sei nach den Zollvorschriften der Gemeinschaft die Möglichkeit der nachträglichen Vorlage von Echtheitszeugnissen zur Erlangung einer Abgabenbegünstigung nicht ausgeschlossen. In die Formulierung von Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung(10) habe sich offenbar ein Fehler eingeschlichen. Dass verlangt werde, die Waren den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats „vorzulegen“, passe weder in die Terminologie des Zollkodex oder der Durchführungsverordnung, noch sei sie praktisch durchführbar. Eine nachträgliche Vorlage von Echtheitszeugnissen sei gleichzusetzen mit einer nachträglichen Vorlage von Ursprungszeugnissen nach Formblatt A. Echtheitszeugnisse erfüllten nämlich im Wesentlichen den gleichen Sinn und Zweck wie Ursprungszeugnisse nach Formblatt A: Mit beiden werde dokumentiert, dass die jeweiligen Waren inbestimmten Ländern unter Beachtung genau festgelegter Kriterien hergestellt worden seien, und beide führten zur Abgabenbegünstigung in der Gemeinschaft. Gemäß Artikel 82 Absätze 1 und 3 der Durchführungsverordnung(11) müsse ein Ursprungszeugnis nach Formblatt A den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats nicht im Zeitpunkt der Gestellung der darin erfassten Waren vorgelegt werden.

49.
    Bei der am 10. September 1996 im Namen und für Rechnung der Klägerin abgegebenen Zollanmeldung habe es sich um eine unvollständige Zollanmeldung gehandelt, die am 2. Oktober 1996 vervollständigt worden sei. Gemäß den Artikeln 59 und 62 Absätze 1 und 2 des Zollkodex und 218 Absatz 1 Buchstabe c der Durchführungsverordnung(12) sei der Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr grundsätzlich ein Echtheitszeugnis beizufügen. Nach Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex und Artikel 253 Absatz 1 der Durchführungsverordnung(13) sei jedoch die Abgabe einer unvollständigen Zollanmeldung möglich. Artikel 255 Absatz 1 der Durchführungsverordnung(14) habe die Annahme ihrer unvollständigen Zollanmeldung nicht ausgeschlossen, da (entsprechend den Regelungen für Ursprungszeugnisse nach Formblatt A) ein Echtheitszeugnis nicht vorgelegt werden müsse, bevor die eingeführten Waren in den freien Verkehr überführt werden könnten.

50.
    Die Einfuhrabgaben seien nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex und Artikel 890 der Durchführungsverordnung zu erstatten, da sie nicht gesetzlich geschuldet gewesen seien. Das Echtheitszeugnis sei eine nachträglich vorgelegte „andere entsprechende Unterlage“ im Sinne des Artikels 890 der Durchführungsverordnung. Folglich sei die Erstattung von Einfuhrabgaben nicht ausgeschlossen, wenn das notwendige Echtheitszeugnis innerhalb der Antragsfrist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben beigebracht werden könne.

51.
    Hilfsweise beantragt die Klägerin die Erstattung der Einfuhrabgaben nach Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, da hier ein „besonderer Fall“ vorliege, der weder auf betrügerische Absicht noch auf offensichtliche Fahrlässigkeit ihrerseits zurückzuführen sei.

52.
    Das Vorbringen des Hauptzollamts im Verwaltungsverfahren und vor dem vorlegenden Gericht lässt sich wie folgt zusammenfassen:

53.
    Aus Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex sei kein Erstattungsanspruch der Klägerin herzuleiten. Gemäß Artikel 26 Absatz 1 der Durchführungsverordnung(15) könne aus den USA eingeführter Whiskey nur dann in die Unterposition 2208 30 11 eingereiht werden, wenn Zeugnisse oder Bescheinigungen vorgelegt würden, die den Voraussetzungen der Artikel 27 bis 34 der Durchführungsverordnung entsprächen. Nach Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung seien Echtheitszeugnisse den Zollbehörden zusammen mit den darin erfassten Waren vorzulegen. Hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber davon Ausnahmen zulassen wollen, so hätte er - wie bei den Ursprungszeugnissen nach Formblatt A - entsprechende Regelungen getroffen. Folglich habe keine Abgabenbegünstigung gewährt werden können, als die Zollschuld im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung entstanden und die fragliche Abgabe damit im Sinne von Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex gesetzlich geschuldet worden sei.

54.
    Das aus den Vorschriften über unvollständige Zollanmeldungen hergeleitete Vorbringen sei unzutreffend. Nur im Falle einer Anmeldung der Waren als „Bourbon-Whiskey“ ohne Vorlage eines Echtheitszeugnisses wäre die Zollanmeldung unvollständig gewesen.

55.
    Was Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex angehe, so sei eine Vorlage an die Kommission zur Entscheidung nach Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung nicht erforderlich gewesen, weil die Begründung des Antrags der Klägerin auf keinen besonderen Fall habe schließen lassen.

56.
    Im Vorlagebeschluss führt das vorlegende Gericht Folgendes aus:

57.
    Erstens sei dem Hauptzollamt darin zu folgen, dass die Klägerin keine unvollständige Zollanmeldung abgegeben habe, sondern dass es sich nach Artikel 62 des Zollkodex um eine vollständige schriftliche Zollanmeldung auf dem Formular Einheitspapier gehandelt habe. Die Zollschuld der Klägerin, die nach den Artikeln 67 und 201 des Zollkodex entstanden sei, entspreche unmittelbar der von der Klägerin selbst vorgenommenen Zuweisung der Ware zur Unterposition 2208 30 82. Die Annahme einer unvollständigen Zollanmeldung scheitere schon daran, dass die Klägerin nicht auf die noch fehlende Bescheinigung verwiesen habe (Artikel 255 Absatz 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung). Daher könne die Frage offen bleiben, ob eine unvollständige Anmeldung vorliegen könne, obwohl das Echtheitszeugnis zum Zeitpunkt der Überführung der Waren in den freien Verkehr noch gar nicht ausgestellt gewesen sei (Artikel 255 Absatz 2 Satz 1 Buchstabe a der Durchführungsverordnung).

58.
    Zweitens sei dem Hauptzollamt auch darin zu folgen, dass bei wörtlicher Auslegung der zitierten Rechtsvorschriften kein Erstattungsanspruch der Klägerin aus Artikel 236 des Zollkodex herzuleiten sei. Es stelle sich aber die Frage, ob aufgrund entsprechender Anwendung des Artikels 890 (oder anderer Bestimmungen) der Durchführungsverordnung die nachträgliche Vorlage der hier erforderlichen Bescheinigung zu einer Erstattung nach Artikel 236 des Zollkodex führen könne. Dies setze voraus, dass es sich bei dem Echtheitszeugnis um eine „andere entsprechende Unterlage“ im Sinne des Artikels 890 des Zollkodex handele. Es sei unstreitig, dass das von der Klägerin vorgelegte Echtheitszeugnis von der zum Ausstellen befugten Behörde ausgestellt worden sei und dass die darin enthaltenen Angaben einen eindeutigen Rückbezug auf die eingeführte Sendung Whiskey ermöglichten. Auch die Dreijahresfrist des Artikels 236 Absatz 2 des Zollkodex für die Antragstellung sei eingehalten worden. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass die Unterlage nicht zusammen mit der Ware vorgelegt worden sei. Im Übrigen wäre, wenn ein Echtheitszeugnis nachgereicht werde, nicht nur der Zollsatz, sondern auch die Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur zu ändern. Schließlich sei das Echtheitszeugnis erst ausgestellt worden, nachdem die eingeführten Waren in den freien Verkehr überführt worden seien.

59.
    Drittens stelle sich die Frage, ob Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung Anwendung finde. Die Voraussetzungen des Artikels 239 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Zollkodex in Verbindung mit den Artikeln 899 bis 904 seien hier offensichtlich nicht erfüllt. Es komme aber eine Erstattung nach Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung in Frage, wenn weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit vorliege und die Begründung des Antrags auf einen „besonderen Fall“ schließen lasse. Da das vorlegende Gericht den Gerichtshof in einer anderen Rechtssache um Klärung des Begriffes „offensichtliche Fahrlässigkeit“ ersucht hat(16), sieht es vorläufig in diesem Verfahren insoweit von einer weiteren Stellungnahme ab. Gehe man zugunsten der Klägerin davon aus, dass keine „offensichtliche Fahrlässigkeit“ vorgelegen habe, sei die Frage entscheidungserheblich, ob ein „besonderer Fall“ im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung anzunehmen sei.

60.
    Aufgrund dieser Überlegungen hat das Finanzgericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.    Kommt eine Erstattung von Einfuhrabgaben nach Artikel 236 des Zollkodex in Frage, wenn der Einführer von aus den USA eingeführtem Bourbon-Whiskey in der Zollanmeldung vom 10. September 1996 die Code-Nummer 2208 30 82 angegeben und erst am 2. Oktober 1996 unterVorlage eines Echtheitszeugnisses entsprechend Anhang 5 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex die Einreihung in die Unterposition 2208 30 11 KN mit der Folge der Anwendung eines niedrigeren Zollsatzes beantragt hat?

2.    Bei Verneinung der Frage 1:

    Kann unter diesen Umständen auf „einen besonderen Fall“ geschlossen werden, der - bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen - nach Artikel 239 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex zu einer Erstattung der Einfuhrabgaben führen kann?

61.
    Schriftliche Erklärungen haben die Klägerin und die Kommission eingereicht; diese ist auch in der mündlichen Verhandlung vertreten gewesen.

Frage 1: Erstattung nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex und Artikel 890 der Durchführungsverordnung

62.
    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits Einfuhrabgaben nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex oder nach diesem Artikel in Verbindung mit Artikel 890 der Durchführungsverordnung(17) zu erstatten sind.

Vorbringen vor dem Gerichtshof

63.
    Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich aus diesen Vorschriften, dass die streitigen Abgaben zu erstatten sind.

64.
    Die Zollvorschriften der Gemeinschaft hinderten nicht daran, ein Echtheitszeugnis als „andere entsprechende Unterlage“ im Sinne des Artikels 890 Absatz 1 der Durchführungsverordnung anzusehen. Zudem gehe aus dem von ihr vorgelegten Echtheitszeugnis eindeutig hervor, dass die fragliche Sendung „Jack Daniel's Whiskey“ „zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zum zollrechtlich freien Verkehr“ Anspruch auf die Gewährung der Zollpräferenzbehandlung im Sinne dieses Artikels gehabt hätte. Daher sei, wie sich insbesondere aus der deutschen Fassung der Durchführungsverordnung ergebe, allein die Frage maßgebend, ob die fraglichen Waren Anspruch auf die Gewährung der Zollpräferenzbehandlung gehabt hätten, wenn das streitige Echtheitszeugnis rechtzeitig vorgelegt worden wäre.

65.
    Überdies schließe Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung(18) die Anwendung von deren Artikel 890 nicht aus. Erstens könne die Vorlage des Echtheitszeugnisses „zusammen“ mit den erfassten Waren nicht Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 890 sein. Durch diese Vorschrift habe gerade der Fall der Vorlage einer Unterlage nach Annahme der Zollanmeldung geregelt werden sollen. Zweitens stehe die Vorlagefrist von drei Monaten gemäß Artikel 29 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung der Anwendung von deren Artikel 890 nicht entgegen. Ob diese Frist im Rahmen von Artikel 890 von Bedeutung sei, könne offen bleiben, denn sie sei jedenfalls eingehalten worden. Das fragliche Echtheitszeugnis sei am 17. September 1996 ausgestellt und am 2. Oktober 1996 den deutschen Behörden vorgelegt worden. Drittens sei auch der Umstand unerheblich, dass das Echtheitszeugnis erst nach der Überführung der Waren in den freien Verkehr ausgestellt worden sei. Zwar könne nach Artikel 86(19) der Durchführungsverordnung ein Ursprungszeugnis nach Formblatt A unter bestimmten Umständen auch nach der Ausfuhr der darin erfassten Waren ausgestellt werden, während in Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung für Echtheitszeugnisse eine entsprechende Möglichkeit nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Doch sei Artikel 890 der Durchführungsverordnung im Licht des Artikels 86(20) und im Hinblick darauf auszulegen, dass durch die Vorschriften über die Erstattung und den Erlass in die Zollvorschriften der Gemeinschaft ein Billigkeitselement eingeführt werden solle.

66.
    Schließlich sei die Analogie zu den Ursprungszeugnissen nach Formblatt A und damit die Anwendung von Artikel 890 der Durchführungsverordnung nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich aufgrund der Vorlage des Echtheitszeugnisses durch sie die Zolltarifnummer der Waren nach der Kombinierten Nomenklatur (also nicht nur der Abgabensatz) ändern würde. In beiden Fällen (nachträgliche Vorlage von Ursprungszeugnissen nach Formblatt A und nachträgliche Vorlage von Echtheitszeugnissen) sei allein von Bedeutung, dass die in dem Dokument erfasste Ware und die den Zollbehörden des einführenden Mitgliedstaates gestellte Ware die nämliche sei. Zu einer Abgabenerstattung führe auch die Neutarifierung aufgrund später ausgestellter verbindlicher Zolltarifauskünfte.

67.
    Nach Auffassung der Kommission muss die erste Frage umformuliert werden. Da sie die Anwendung von Artikel 890 der Durchführungsverordnung impliziere, müsse sie dahin gehen, ob ein Echtheitszeugnis wie das in Artikel 26 Absatz 1 der Durchführungsverordnung vorgesehene für die Zwecke eines Erstattungsantrags gemäß Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex als eine „andere entsprechende Unterlage“ im Sinne des Artikels 890 der Durchführungsverordnung angesehen werden könne.

68.
    Diese Frage sei zu bejahen. Das Konzept der „Zollpräferenzbehandlung“ in Artikel 890 Absatz 1 der Durchführungsverordnung sei im Hinblick auf dessen Zweck dahin auszulegen, dass es die zolltarifliche Abgabenbegünstigung nach den Artikeln 26 ff. der Durchführungsverordnung einschließe. Die letztgenannte Regelung habe die gleichen Ziele und die gleiche Funktion wie die Regelung über den Präferenzursprung nach den Artikeln 20 Absatz 3 Buchstaben d und e und 27 des Zollkodex. Weder die Notwendigkeit einer Neutarifierung der eingeführten Waren noch das Erfordernis nach Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, das Zeugnis oder die Bescheinigung zusammen mit den darin erfassten Waren vorzulegen, könnten an diesem Ergebnis etwas ändern. Die ursprüngliche Einreihung sei falsch gewesen und zu korrigieren. Artikel 890 Absatz 1 sei gerade für Fälle gedacht, in denen die entsprechende Unterlage nachgereicht werde.

Würdigung

69.
    Voranstellen möchte ich den Hinweis, dass die US-Behörden offenbar erst seit 1996 bescheinigen, dass „Jack Daniel's Whiskey“ ein „Bourbon-Whiskey“ ist. Weder die Klägerin noch die Kommission konnten den Hintergrund der ursprünglichen Bescheinigungspolitik und ihrer Änderung erläutern.

-    Unvollständige Anmeldung

70.
    Ich stimme mit dem Hauptzollamt und dem vorlegenden Gericht darin überein, dass die Vorschriften über unvollständige Anmeldungen(21) für die Beantwortung der ersten Frage wohl unerheblich sind. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Klägerin eine vollständige schriftliche Zollanmeldung auf dem Formular Einheitspapier einreichte und die fragliche Ware darin als Whiskey, „anderer“ als Bourbon-Whiskey oder Scotch-Whisky, angab. Nur wenn die Waren als „Bourbon-Whiskey“ ohne sofortige Vorlage des erforderlichen Echtheitszeugnisses angemeldet worden wären, wäre die Zollanmeldung unvollständig im Sinne des Artikels 76 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex und der Artikel 253 ff. der Durchführungsverordnung gewesen.

-    Zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Waren aufgrund ihrer Art und Zollpräferenzbehandlung

71.
    Bei der Würdigung der Frage, ob die streitigen Abgaben nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex zu erstatten sind, ist zuerst zu prüfen, ob Artikel 890 nach seinem Wortlaut und der Systematik der Zollvorschriften der Gemeinschaft für Maßnahmen gelten soll, die wie die zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Bourbon-Whiskey auf Artikel 21 des Zollkodex gestützt sind.

72.
    Artikel 890 sei hier, soweit einschlägig, noch einmal wiedergegeben:

„Wird zur Begründung des Antrags auf Erstattung oder Erlass ein Ursprungszeugnis, eine Warenverkehrsbescheinigung, ein interner gemeinschaftlicher Versandschein oder eine andere entsprechende Unterlage vorgelegt, mit der der Nachweis erbracht wird, dass die Waren zum Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung zum zollrechtlich freien Verkehr Anspruch auf die Gewährung der Gemeinschaftsbehandlung oder die Anwendung eines ermäßigten Zollsatzes oder der Zollfreiheit gehabt hätten, so gibt die Zollbehörde der Schlussbehandlung dem Antrag nur statt, wenn ordnungsgemäß nachgewiesen wird, dass

-    sich die vorgelegte Unterlage tatsächlich auf die eingeführten Waren bezieht und alle Voraussetzungen für die Annahme dieser Unterlage erfüllt sind;

-    alle anderen Voraussetzungen für die Gewährung der Zollpräferenzbehandlung erfüllt sind.

...“

73.
    Seinem Wortlaut nach betrifft Artikel 890 also Maßnahmen, nach denen bestimmte Waren Anspruch auf die Gewährung der Gemeinschaftsbehandlung oder „die Anwendung eines ermäßigten Zollsatzes oder der Zollfreiheit“ haben. In allen anderen Sprachfassungen von Artikel 890 als der deutschen steht an dieser Stelle der dem deutschen „Zollpräferenzbehandlung“ entsprechende Begriff, so im Englischen „preferential tariff treatment“ und im Französischen „traitement tarifaire préférentiel“. Der Begriff „Zollpräferenzbehandlung“ steht dann dort noch einmal (in der deutschen Fassung erstmals), wo Artikel 890 verlangt, dass alle anderen Voraussetzungen für „die Gewährung der Zollpräferenzbehandlung“ erfüllt sein müssen.

74.
    Artikel 20 Absatz 3 Buchstaben d und e des Zollkodex(22) bezieht sich auf „Zollpräferenzmaßnahmen“ und Artikel 21(23) auf „zolltarifliche Abgabenbegünstigung, die für bestimmte Waren aufgrund ihrer Art ... gewährt werden kann“. In allen Sprachfassungen wird die gleiche Unterscheidung getroffen.

75.
    Ferner gelten im System des Zollkodex und seiner Durchführungsverordnung für die Maßnahmen nach Artikel 20 Absatz 3 Buchstaben d und e und nach Artikel 21 des Zollkodex zwei unterschiedliche Regelungen. Für Zollpräferenzmaßnahmen gelten u. a. Artikel 27 des Zollkodex und die Artikel 66 ff. der Durchführungsverordnung. Die „Abgabenbegünstigungvon Waren aufgrund ihrer Art“ ist in einem eigenen Titel der Durchführungsverordnung (Artikel 16 bis 34) geregelt.

76.
    Der Wortlaut von Artikel 890 der Durchführungsverordnung und die Systematik der Zollvorschriften der Gemeinschaft sprechen daher dafür, dass nur die „Zollpräferenzmaßnahmen“, die in Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe d und e des Zollkodex und den entsprechenden Durchführungsvorschriften genannt sind, in den Anwendungsbereich von Artikel 890 fallen. Diesem Ergebnis steht die deutsche Fassung dieses Artikels, wo eher vage von der Anwendung eines ermäßigten Zollsatzes oder der Zollfreiheit die Rede ist, nicht entgegen. Diese ungenau übersetzte Stelle ist im Licht der anderen Sprachfassungen und des weiteren Wortlauts der deutschen Fassung von Artikel 890 zu verstehen, wo richtigerweise von Zollpräferenzbehandlung die Rede ist.

77.
    Die in Artikel 890 beispielhaft aufgeführten Unterlagen deuten ebenfalls darauf hin, dass nur Zollpräferenzmaßnahmen im Sinne des Artikels 20 Absatz 3 Buchstaben d und e des Zollkodex Artikel 890 unterliegen. Dies deshalb, weil „Ursprungszeugnisse“ und „Warenverkehrsbescheinigungen“ Unterlagen sind, die typischerweise als Nachweis für den Präferenzursprung verlangt werden. (Ein „interner gemeinschaftlicher Versandschein“ belegt, dass es sich um Gemeinschaftswaren handelt.) Dagegen ist in Artikel 890 keine der Unterlagen erwähnt, die in Artikel 26 Absatz 1 der Durchführungsverordnung verlangt werden, um die zolltarifliche Abgabenbegünstigung von Waren aufgrund ihrer Art zu erhalten, nämlich „Echtheitszeugnisse“, „Bescheinigungen der Ursprungsbezeichnung“ und „Reinheitszeugnisse“.

78.
    Dass Artikel 890 nicht unmittelbar für Maßnahmen nach Artikel 21 des Zollkodex gilt, wird durch das Urteil Söhl & Söhlke(24) bestätigt. In diesem Urteil ging es u. a. um Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o Durchführungsverordnung, der, soweit relevant, Artikel 890 entspricht. Nach Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o werden Einfuhrabgaben in Fällen erstattet, in denen der Einführer eine der in Artikel 890 genannten Unterlagen vorlegen kann, die Zollschuld jedoch auf andere Weise als durch Überführung in den freien Verkehr entsteht. Der Gerichtshof befand:

„Da sich diese Vorschrift ausdrücklich auf die .Gemeinschaftsbehandlung' und auf die .Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung' bezieht, kann sie nicht andere Vergünstigungen ... betreffen.“

und erkannte:

„Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der [Durchführungsverordnung] findet auf Fälle Anwendung, in denen ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eineZollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, nicht aber auf Fälle, in denen ein Anspruch auf andere Vergünstigungen bestanden hätte.“(25)

79.
    Hier wird in der deutschen Fassung dieses Urteils der ungenaue Begriff Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung (favourable customs treatment with regard to duties) verwendet. Der Grund dafür ist ein weiterer Übersetzungsfehler in der Durchführungsverordnung. Während in allen anderen Sprachfassungen von Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o ein Begriff verwendet wird, der im Englischen „preferential tariff treatment“ und im Französischen „traitement tarifaire préférentiel“ entspricht, heißt es in der deutschen Fassung Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung. Dieser Fehler verwundert, da der in der deutschen Fassung verwendete Begriff weder den anderen Sprachfassungen noch der (ebenfalls falschen) Formulierung in der deutschen Fassung der Parallelvorschrift Artikel 890 entspricht.

-    Analoge Anwendung von Artikel 890

80.
    Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass Artikel 890 der Durchführungsverordnung nicht unmittelbar für Maßnahmen nach Artikel 21 des Zollkodex gilt. Daher stellt sich die weitere Frage, ob die in Artikel 890 festgelegten Grundsätze zumindest, wie das vorlegende Gericht dies vorschlägt, analog angewendet werden können.

81.
    Insoweit stimme ich dem Argument der Klägerin zu, dass Echtheitszeugnisse für Bourbon-Whiskey ähnliche Merkmale wie Ursprungszeugnisse nach Formblatt A aufweisen: Mit beiden wird dokumentiert, dass bestimmte Waren in bestimmten Ländern unter Beachtung bestimmter Kriterien hergestellt worden sind, und beide führen zu einer bestimmten Form der zolltariflichen Abgabenbegünstigung in der Gemeinschaft.

82.
    Meines Erachtens ist auch eine analoge Anwendung von Artikel 890 nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass bei nachträglicher Vorlage eines Echtheitszeugnisses sich nicht nur der Abgabensatz, sondern auch die Tarifnummer in der Kombinierten Nomenklatur ändern würde. Wie die Klägerin zu Recht ausführt, kann auch die Neutarifierung z. B. aufgrund eines Urteils des Gerichtshofes zur Erstattung von Abgaben führen.

83.
    Trotzdem halte ich eine analoge Anwendung von Artikel 890 auf Maßnahmen nach Artikel 21 des Zollkodex und den Artikeln 26 ff. der Durchführungsverordnung nicht für möglich. Dies deshalb, weil Ursprungszeugnisse und Echtheitszeugnisse in den jeweiligen Verfahren zur Erlangung von „Zollpräferenzbehandlung“ und „zolltariflicher Abgabenbegünstigung“ eine unterschiedliche Funktion haben.

84.
    Ein Ursprungszeugnis kann grundsätzlich binnen zehn Monaten nach seiner Ausstellung vorgelegt werden. In manchen Fällen kann es sogar nach dieser Gültigkeitsfrist vorgelegt werden(26). Zudem muss ein Ursprungszeugnis den Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats nicht immer zusammen mit den darin erfassten Waren vorgelegt werden(27). Überdies können Ursprungszeugnisse nach Formblatt A von den Behörden des ausführenden Staates unter bestimmten Umständen nach der tatsächlichen Ausfuhr rückwirkend ausgestellt werden(28). Schließlich kann sogar der Antrag auf Zollpräferenzbehandlung nachträglich gestellt werden, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind(29). Ein Ursprungszeugnis ist das normale Beweismittel für den Präferenzursprung, doch kann, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, von seiner Vorlage abgesehen werden, wenn der Ursprung der fraglichen Waren aufgrund anderer objektiver Beweise mit Sicherheit feststeht(30).

85.
    Folglich scheint die Vorlage eines Ursprungszeugnisses vor der Überführung in den freien Verkehr keine notwendige Voraussetzung des materiellen Anspruchs auf Zollpräferenzbehandlung zu sein. Daher werden Einfuhrabgaben, die ohne Rücksicht auf eine Zollpräferenzregelung erhoben werden, offenbar selbst vor der Vorlage eines Ursprungszeugnisses nicht einmal gesetzlich geschuldet im Sinne von Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex. Dies ist der Grund, warum Artikel 890 der Durchführungsverordnung für den Fall, dass ein Ursprungszeugnis erst nach Annahme der Anmeldung zur Überführung in den freien Verkehr vorgelegt wird, eine Erstattungs- und Erlassregelung vorsieht.

86.
    Dagegen hat ein Echtheitszeugnis für Bourbon-Whiskey nur eine Gültigkeitsdauer von drei Monaten ab Ausstellung und eine Vorlage nach Ablauf dieses Zeitraums ist nicht vorgesehen(31). Artikel 29 Absatz 1 der Durchführungsverordnung sieht eindeutig vor, dass ein Echtheitszeugnis zusammen mit den erfassten Waren vorzulegen ist. Zwar steht in der deutschen Fassung das Verb „vorlegen“ anstelle des in Bezug auf die Waren technisch richtigen Ausdrucks „gestellen“(32). Doch ändert dies nichts daran, dass nach dem System der Artikel26 ff. der Durchführungsverordnung eine Vorlage des Echtheitszeugnisses getrennt von der Gestellung der erfassten Waren weder vorgesehen noch möglich ist. Bezüglich Bourbon-Whiskey ist nicht einmal die Aufteilung von Sendungen unter Verwendung einer Fotokopie des Zeugnisses gestattet(33). Die Ausstellung eines Echtheitszeugnisses nach der Ausfuhr wird in keiner Vorschrift erlaubt.

87.
    Aus dieser viel strengeren Regelung folgt, dass ein Echtheitszeugnis nicht nur ein Beweismittel ist, sondern dass seine Vorlage bei der Gestellung der Waren eine notwendige Voraussetzung des materiellen Anspruchs auf die zolltarifliche Abgabenbegünstigung nach den Artikeln 26 ff. der Durchführungsverordnung ist. Dies ergibt sich auch aus der Überschrift des maßgeblichen Kapitels der Durchführungsverordnung, die lautet „Waren, die der Voraussetzung der Vorlage eines Echtheitszeugnisses ... unterliegen“, und aus Artikel 26 Absatz 1 selbst, wo es heißt, dass Waren „zu den [begünstigten] Unterpositionen nur zugelassen [werden], wenn Zeugnisse oder Bescheinigungen vorgelegt werden ...“. Daher sind, wenn das erforderliche Zeugnis oder die erforderliche Bescheinigung nicht zusammen mit der Gestellung der erfassten Waren vorgelegt wird und deshalb Einfuhrabgaben ohne Berücksichtigung einer zolltariflichen Abgabenbegünstigung erhoben werden, diese Abgaben im Sinne des Artikels 236 Absatz 1 des Zollkodex gesetzlich geschuldet. Sie sind deshalb nicht nach Artikel 890 der Durchführungsverordnung analog oder nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex zu erstatten.

88.
    Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte von Artikel 890 Durchführungsverordnung bestätigt. Dessen fast gleich lautende Vorgängerbestimmung war Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3040/83 der Kommission vom 28. Oktober 1983 zur Durchführung der Artikel 2 und 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben(34). In deren Begründungserwägungen war ausgeführt:

„Die Vorschriften über die Erstattung oder den Erlass von Eingangsabgaben können nicht geltend gemacht werden, um die besonderen Bestimmungen über die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr ... außer Kraft zu setzen. Sie können insbesondere nicht zur Begründung einer nachträglichen Vorlage von Unterlagen herangezogen werden, deren Vorlage zum Zeitpunkt der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgeschrieben ist. ...“

89.
    Da Artikel 890 der Durchführungsverordnung weder unmittelbar noch analog auf Maßnahmen nach Artikel 21 des Zollkodex anwendbar ist, stellt sich nicht die weitere von der Kommission aufgeworfene Frage, ob ein Echtheitszeugnis als „andere entsprechende Unterlage“ im Sinne des Artikels 890 der Durchführungsverordnung angesehen werden kann.

-    Ergebnis

90.
    Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits Einfuhrabgaben nicht nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex oder nach diesem Artikel in Verbindung mit Artikel 890 der Durchführungsverordnung zu erstatten sind.

Frage 2: Vorliegen eines „besonderen Falles“ im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung

91.
    Für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Frage verneint, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Umstände des Ausgangsrechtsstreits „einen besonderen Fall“ im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung ausmachen, der - bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen - nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex zu einer Erstattung der Einfuhrabgaben führen kann.

Vorbringen vor dem Gerichtshof

92.
    Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts wirft diese Frage die allgemeine Problematik des Verhältnisses zwischen Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit den Artikeln 905 ff. der Durchführungsverordnung und Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex auf: Es hält die Auffassung für vertretbar, dass mit der Verneinung der Erstattungsberechtigung aufgrund des Artikels 236 Absatz 1 des Zollkodex, weil eine besondere rechtliche Anforderung nach dieser Vorschrift nicht erfüllt sei, automatisch auch eine Erstattung nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung ausscheide, da sonst der Regelungsgehalt des Artikels 236 Absatz 1 des Zollkodex in Frage gestellt würde.

93.
    Nach Auffassung der Klägerin wird die Anwendbarkeit von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Sachverhalt teilweise unter Artikel 236 Absatz 1 der Durchführungsverordnung subsumieren lässt. Die Umstände des Ausgangsrechtsstreits machten einen „besonderen Fall“ aus. Sie habe keine unvollständige Zollanmeldung vorlegen können, da sie nicht sicher gewesen sei, dass die US-Behörden das erforderliche Echtheitszeugnis ausstellen würden. Sie habe auch nicht das Echtheitszeugnis abwarten können, da sie nicht gewusst habe, dass die US-Behörden es so bald nach Überführung der Waren in den freien Verkehr ausstellen würden. Wenn sie überden Whiskey möglichst bald habe verfügen wollen, habe sie die Sendung als Whiskey, „anderer“ als Bourbon-Whiskey oder Scotch-Whisky, anmelden müssen.

94.
    Die Kommission trägt erstens vor, seitens der Klägerin habe weder betrügerische Absicht noch offensichtliche Fahrlässigkeit vorgelegen. Die Klägerin habe keine Möglichkeit zu einem rechtmäßigen anderen Verhalten gehabt, wenn sie über die Ware möglichst bald habe verfügen wollen. Zweitens macht die Kommission unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes(35) geltend, ein „besonderer Fall“ liege vor, wenn sich der Anmelder aufgrund der angeführten Umstände im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern in einer außergewöhnlichen Situation befinde.

95.
    In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission die Auffassung vertreten, die Umstände der vorliegenden Rechtssache könnten als außergewöhnlich im Sinne dieser Formel angesehen werden, und daher vorgeschlagen, die zweite Vorlagefrage zu bejahen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ihren Standpunkt offenbar geändert und die Ansicht vertreten, die Klägerin hätte gemäß Artikel 66 des Zollkodex(36) die Ungültigerklärung ihrer ursprünglichen Zollanmeldung beantragen können, was zum Erlöschen der Zollschuld nach Artikel 233 des Zollkodex und zu einem Erstattungsanspruch nach Artikel 237 des Zollkodex geführt hätte. Auf Fragen des Gerichtshofes hat sie dann jedoch ihre Auffassung wieder geändert und ausgeführt, die Klägerin hätte doch nicht die Ungültigerklärung ihrer Zollanmeldung beantragen können.

Würdigung

96.
    Ich möchte gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass ich die Bedenken des vorlegenden Gerichts hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung einerseits und Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex andererseits nicht teile. Nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex können Einfuhrabgaben „in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen“ erstattet werden. In Bezug auf Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung ergibt sich aus deren Artikel 899(37), dass das Verfahren der Artikel 905 bis 909 der Durchführungsverordnung immer dann anzuwenden ist, wenn die nationale Zollbehörde nicht in der Lage ist, nach den Artikeln 899 bis 904 der Durchführungsverordnung Zölle zu erstatten oder zu erlassen oder aber dies abzulehnen. Folglich führt Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mitArtikel 905 der Durchführungsverordnung in das Gemeinschaftszollrecht eine allgemeine Billigkeitsklausel für außergewöhnliche Fälle ein(38). Solche außergewöhnlichen Umstände, die eine Erstattung von Abgaben aus allgemeinen Billigkeitsgründen rechtfertigen können, könnten auch dann vorliegen, wenn von den rechtlichen Anforderungen an eine Erstattung oder einen Erlass nach Artikel 236 Absatz 1 nur eine nicht erfüllt ist. Meines Erachtens bleibt daher die Zollbehörde, wenn sie angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, nach Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex über die Erstattung oder den Erlass von Abgaben zu entscheiden, verpflichtet, zu prüfen, ob die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall im Sinne von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung schließen lässt.

97.
    Was die Bedeutung von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung im vorliegenden Fall angeht, so hat das vorlegende Gericht ausdrücklich davon abgesehen, um eine Auslegung des Begriffes „Umstände ..., bei denen ... [keine] offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt“ zu ersuchen. Entsprechend der berechtigten Erwartung des vorlegenden Gerichts hat der Gerichtshof diesen Begriff inzwischen im Urteil Söhl & Söhlke(39) erläutert. Der Gerichtshof hat in Randnummer 56 seines Urteils ausgeführt, dass bei der Beantwortung der Frage, ob „offensichtliche Fahrlässigkeit“ vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden müssen. Es wird Sache des vorlegenden Gerichts sein, auf der Grundlage dieser Beurteilungskriterien zu untersuchen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin vorgelegen hat.

98.
    Was die Auslegung des Begriffes „besonderer Fall“ angeht, so hat der Gerichtshof entschieden, dass die nationale Zollbehörde in dem Verfahren nach den Artikeln 905 ff. in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung(40) vorläufig zu beurteilen hat, ob die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen lässt(41). Wenn nötig muss sie die Unterlagen der Kommission vorlegen, die anhand der übermittelten Angaben abschließend beurteilt, ob ein die Erstattung oder den Erlass der Abgaben rechtfertigender besonderer Fall vorliegt. Bei ihrer vorläufigen Beurteilung muss die Zollbehörde im Licht des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszwecks des Artikels 239 des Zollkodex prüfen, ob sich der Antragsteller aufgrund der vorgebrachten Umstände in einer Lagebefinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist(42).

99.
    Ich bin erstens der Auffassung, dass die von der Kommission vorgetragenen Gründe in der vorliegenden Rechtssache nicht zur Annahme eines besonderen Falles führen. Die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, die Klägerin habe ihre Waren unter den gleichen Umständen wie andere Wirtschaftsteilnehmer eingeführt. Meines Erachtens ist dies das Gegenteil einer außergewöhnlichen Situation. Die Argumentation der Kommission in der mündlichen Verhandlung betreffend die Alternative, einen Antrag auf Ungültigerklärung der Zollanmeldung zu stellen, erscheint ebenfalls unzutreffend. Die Situation der Klägerin entspricht in meinen Augen keiner der in Artikel 66 des Zollkodex (in Verbindung mit Artikel 251 der Durchführungsverordnung) geregelten Situationen(43). Die fragliche Ware war nicht zum falschen Zollverfahren, sondern zum richtigen Verfahren der „Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr“ angemeldet worden.

100.
    Was zweitens die von der Klägerin vorgebrachten Gründe angeht(44), so ist das nationale Gericht meines Erachtens in einer besseren Position als der Gerichtshof für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin sich in einer Lage befand, „die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist“. Das nationale Gericht wird in diesem Zusammenhang eventuell z. B. zu berücksichtigen haben, warum die US-Behörden das Echtheitszeugnis erst am 17. September 1996 ausstellten, obwohl die Klägerin es schon im Juli oder August beantragt hatte, und ob andere Wirtschaftsteilnehmer ähnliche Probleme hatten oder ob die Situation der Klägerin außergewöhnlich war. Es wird ferner möglicherweise prüfen müssen, warum die Klägerin nicht eine unvollständige Zollanmeldung nach Artikel 76 Absatz 1 des Zollkodex in Verbindung mit den Artikeln 253 Absatz 1 und 255 der Durchführungsverordnung abgab und ob dies im Hinblick darauf, dass das Echtheitszeugnis zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorlag, eine brauchbare Alternative gewesen wäre.

101.
    Außerdem ist daran zu denken, dass der Gerichtshof nach Artikel 234 EG nur befugt ist, dem innerstaatlichen Gericht die Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand zu geben, während dessen Anwendung auf einen Einzelfall Sache des nationalen Gerichts ist(45).

102.
    Es wird daher gewöhnlich vom nationalen Gericht zu entscheiden sein, ob unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände ein besonderer Fall gegeben ist. In der vorliegenden Rechtssache ist diese Frage nur hilfsweise vorgelegt worden, während die Hauptfrage die Auslegung des Zollkodex betrifft. Im Rahmen des Verfahrens nach den Artikeln 905 ff. der Durchführungsverordnung teilen die nationalen Behörden, wie oben dargelegt, die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Frage, ob ein besonderer Fall gegeben ist, mit der Kommission. Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren war die Kommission über die Tatsachen nicht voll informiert, doch wird sie aufgrund ihrer Kenntnis der Gesamtsituation in der Gemeinschaft normalerweise am besten in der Lage sein, zu beurteilen, ob ein besonderer Fall vorliegt.

103.
    Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass ein „besonderer Fall“ im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung dann gegeben ist, wenn im Hinblick auf den an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszweck des Artikels 239 des Zollkodex Umstände vorliegen, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Die nationalen Behörden haben die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und wenn nötig die Unterlagen der Kommission vorzulegen, die anhand der übermittelten Angaben abschließend beurteilt, ob ein die Erstattung der Abgaben rechtfertigender besonderer Fall vorliegt.

Ergebnis

104.
    Nach alledem sind die vorgelegten Fragen meines Erachtens wie folgt zu beantworten:

1.    In einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits kommt eine Erstattung von Einfuhrabgaben nach Artikel 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften oder nach diesem Artikel in Verbindung mit Artikel 890 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 nicht in Betracht.

2.    Ein „besonderer Fall“ im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung ist dann gegeben, wenn im Hinblick auf den an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszweck des Artikels 239 des Zollkodex Umstände vorliegen, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Die nationalen Behörden haben die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und wenn nötig die Unterlagen der Kommission vorzulegen, die anhand der übermittelten Angaben abschließend beurteilt, ob ein die Erstattung der Abgaben rechtfertigender besonderer Fall vorliegt.


1: Originalsprache: Englisch.


2: -     Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der geänderten Fassung.


3: -     Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der geänderten Fassung.


4: -     Buchstabe o wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 (ABl. L 346, S. 1) hinzugefügt.


5: -     Siehe unten, Nr. 38.


6: -     Artikel 905 Absatz 1 wurde später geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 212, S. 18).


7: -     Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der im fraglichen Zeitraum maßgeblichen Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3009/95 der Kommission vom 22. Dezember 1995 (ABl. 1995, L 319, S. 1).


8: -     Diese Vorschriften ergaben sich aus einer Änderung der ursprünglichen Durchführungsverordnung durch die in Fußnote 3 angeführte Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission. Inzwischen sind sie durch die Verordnung (EG) Nr. 12/97 der Kommission vom 18. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 9, S. 1) erneut geändert worden.


9: -     Das Zeugnis wurde vermutlich vom United State Department of the Treasury, Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms oder eine befugte Außenstelle ausgestellt; vgl. die Tabelle nach Artikel 26 der Durchführungsverordnung, die oben in Nr. 15 angeführt wurde.


10: -     Siehe oben, Nr. 18.


11: -     Die Berufung der Klägerin auf Artikel 82 Absätze 1 und 3 der Durchführungsverordnung in ihrer derzeitigen Fassung ist wohl als Berufung auf Artikel 82 Absätze 1 und 3 der Durchführungsverordnung in der für den Sachverhalt maßgeblichen Fassung zu verstehen; siehe Nr. 23 und Fußnote 7.


12: -     Siehe oben, Nrn. 27 und 29.


13: -     Siehe oben, Nrn. 35 und 36.


14: -     Siehe oben, Nr. 37.


15: -     Siehe oben, Nr. 13.


16: -     Inzwischen hat der Gerichtshof in dieser Rechtssache entschieden; vgl. Urteil vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98 (Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877).


17: -     Siehe oben, Nrn. 3 und 4.


18: -     Siehe oben, Nr. 18.


19:


20: -     Siehe vorige Fußnote.


21: -     Siehe oben, Nrn. 34 bis 37.


22: -     Siehe oben, Nr. 21.


23: -     Siehe oben, Nr. 11.


24: -     In der Rechtssache C-48/98 (Söhl & Söhlke, oben angeführt in Fußnote 15).


25: -     Randnr. 84 und Nr. 5 des Tenors.


26: -     Artikel 82 der Durchführungsverordnung in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung, siehe oben, Nr. 26.


27: -     Siehe Artikel 82 Absätze 1 und 3 der Durchführungsverordnung in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung sowie die Artikel 253 und 255 der Durchführungsverordnung, oben in den Nrn. 36 und 37 zitiert.


28: -     Artikel 84 der Durchführungsverordnung in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung, oben in Nr. 25 zitiert.


29: -     Artikel 20 Absatz 4 des Zollkodex, oben in Nr. 21 zitiert.


30: -     Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1995 in der Rechtssache C-334/93 (Bonapharma, Slg. 1995, I-319, Randnr. 24).


31: -     Artikel 29 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung.


32: -     Vgl. die Argumentation der Klägerin vor dem vorlegenden Gericht, oben in Nr. 48.


33: -     Umkehrschluss aus Artikel 29 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 34 der Durchführungsverordnung.


34: -     ABl. L 297, S. 13.


35: -     Urteile des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-86/97 (Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnr. 21) und vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-61/98 (De Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnr. 52).


36: -     Siehe oben, Nr. 32.


37: -     Siehe oben, Nr. 8.


38: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache C-86/97 (Trans-Ex-Import, oben in Fußnote 34 angeführt, Randnrn. 17 und 18).


39: -     Rechtssache C-48/98, oben angeführt in Fußnote 15.


40: -     Siehe oben, Nr. 10 und Fußnote 5.


41: -     Nach der neuen Fassung von Artikel 905 kann die Entscheidungszollbehörde selbst entscheiden, ob die Abgaben erstattet oder erlassen werden, wenn der betreffende Betrag unter 50 000 ECU liegt.


42: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache C-86/97 (Trans-Ex-Import, oben in Fußnote 34 angeführt, Randnrn. 19 bis 21).


43: -     Siehe oben, Nr. 32.


44: -     Siehe oben, Nr. 93.


45: -     Vgl. hierzu Urteil in der Rechtssache C-86/97 (Trans-Ex-Import), oben in Fußnote 34 angeführt, Randnrn. 15.