Language of document : ECLI:EU:C:2024:63

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 18. Januar 2024(1)

Rechtssache C766/21 P

Europäisches Parlament

gegen

Axa Assurances Luxembourg SA,

Bâloise Assurances Luxembourg SA,

La Luxembourgeoise SA,

Nationale-Nederlanden Schadeverzekering Maatschappij NV

„Rechtsmittel – Art. 272 AEUV – Schiedsklausel in einem von der Europäischen Union geschlossenen Vertrag – Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts – Säumiger Beklagter – Versäumnisurteil – Einspruch gegen ein Versäumnisurteil – Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Art. 172 und 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Rechtsmittelbeantwortung – Anschlussrechtsmittel – Auslegungsfehler – Unzureichende und widersprüchliche Begründung“






I.      Einleitung

1.        Die für das Verfahren vor den Unionsgerichten geltenden Vorschriften sind mit einem Eisenbahnsystem vergleichbar. Jedes Gleis entspricht einem Verfahrensweg, während die auf den Gleisen verkehrenden Züge die Rechtssachen verkörpern, in denen dieses Rechtsprechungsorgan angerufen wird. Der Verfahrensordnung kommt in diesem Szenario die Rolle eines Leitsystems zu, das den Fortgang eines Verfahrens steuert und sicherstellt, dass es auf dem geeigneten Kurs seinem endgültigen Ziel zustrebt.

2.        Wie bei einer Zugfahrt können aber auch im Laufe eines Rechtsstreits Weichenstellungen erforderlich werden. Rechtsmittel, Anschlussrechtsmittel und andere Mechanismen führen unter Umständen dazu, dass in einer Rechtssache unter Einhaltung der geltenden Verfahrensregeln eine andere Richtung und damit eine alternative Route zum Ziel eingeschlagen wird. So wie ein Zug auf ein reibungslos funktionierendes Schienennetz angewiesen ist, bedürfen auch Rechtsstreitigkeiten genau bestimmter Verfahrensvorschriften, um das Ergehen einer gerechten und ordnungsgemäßen Entscheidung zu gewährleisten.

3.        Diese Erwägungen kommen im vorliegenden Fall zum Tragen.

4.        Mit seinem Rechtsmittel begehrt das Europäische Parlament die teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts in der Rechtssache Parlament/Axa Assurances Luxembourg u. a.(2), mit dem das Gericht seine Klage auf Erstattung der Kosten, die ihm infolge eines im Mai 2016 eingetretenen Wasserschadens im Konrad-Adenauer-Gebäude (im Folgenden: KAD) in Luxemburg-Stadt (Luxemburg) entstanden sind, zum größten Teil abgewiesen hat.

5.        Gleichzeitig betrifft die vorliegende Rechtssache ein Anschlussrechtsmittel der Nationale-Nederlanden Schadeverzekering Maatschappij NV (im Folgenden: NN), einer der Beklagten im ersten Rechtszug, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil (in anderen Teilen) insoweit aufzuheben, als das Gericht sie im Wege des Versäumnisverfahrens verurteilt hat, dem Parlament einen Teil der geltend gemachten Kosten zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen zu erstatten.

6.        Auf Ersuchen des Gerichtshofs befassen sich die vorliegenden Schlussanträge primär mit dem von NN eingelegten Anschlussrechtsmittel. Die Umstände des vorliegenden Falls geben dem Gerichtshof jedoch die Gelegenheit, hinsichtlich gewisser Besonderheiten des Versäumnisverfahrens größere Klarheit zu schaffen, was im vorliegenden Fall umso wichtiger ist, als das Gericht bei der Anwendung der insoweit einschlägigen Vorschriften meines Erachtens einen Rechtsfehler begangen hat. Folglich werde ich in den vorliegenden Schlussanträgen auch zu diesen Fragen Stellung nehmen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union

7.        In Art. 41 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Satzung) heißt es:

„Stellt der ordnungsmäßig geladene Beklagte keine schriftlichen Anträge, so ergeht gegen ihn Versäumnisurteil. Gegen dieses Urteil kann binnen einem Monat nach Zustellung Einspruch eingelegt werden. …“

8.        Art. 56 der Satzung bestimmt:

„… [Es] kann ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden; die Rechtsmittelfrist beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung.

Dieses Rechtsmittel kann von einer Partei eingelegt werden, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist. …“

B.      Verfahrensordnung des Gerichtshofs

9.        Art. 172 („Parteien, die eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen können“) der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sieht vor, dass „[j]ede Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht, die ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat, ... innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen [kann]. …“

10.      Art. 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs betrifft Anschlussrechtsmittel. Nach seinem Abs. 1 können „[d]ie in Artikel 172 [der Verfahrensordnung des Gerichtshofs] bezeichneten Parteien ... innerhalb der gleichen Frist, wie sie für die Einreichung der Rechtsmittelbeantwortung gilt, Anschlussrechtsmittel einlegen“. In dieser Hinsicht ist ein Anschlussrechtsmittel gemäß Art. 178 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts gerichtet.

C.      Verfahrensordnung des Gerichts

11.      Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts („Versäumnisurteil“) bestimmt:

„(1)      Stellt das Gericht fest, dass der Beklagte, gegen den ordnungsgemäß Klage erhoben ist, seine Klagebeantwortung nicht gemäß der … vorgeschriebenen Form und Frist eingereicht hat, so kann der Kläger innerhalb einer vom Präsidenten gesetzten Frist beim Gericht Versäumnisurteil beantragen; …

(2)      Der säumige Beklagte ist am Versäumnisverfahren nicht beteiligt, und mit Ausnahme der das Verfahren beendenden Entscheidung werden ihm keine Verfahrensschriftstücke zugestellt.

(3)      Das Gericht gibt den Anträgen des Klägers mit einem Versäumnisurteil statt, es sei denn, es ist für die Entscheidung über die Klage offensichtlich unzuständig oder die Klage ist offensichtlich unzulässig oder ihr fehlt offensichtlich jede rechtliche Grundlage.

…“

12.      Nach Art. 166 der Verfahrensordnung des Gerichts kann ein unterliegender Beklagter gemäß Art. 41 der Satzung gegen ein Versäumnisurteil Einspruch einlegen.

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

A.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

13.      Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist im angefochtenen Urteil ausführlich dargestellt(3). Der für die vorliegenden Schlussanträge relevante Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

14.      Im Jahr 2011 veröffentlichte das Parlament eine Ausschreibung für eine Versicherung gegen sämtliche Baustellenrisiken („Tous Risques Chantier“) für die umfangreichen Renovierungs- und Bauarbeiten im Rahmen des Projekts zur Erweiterung und Modernisierung des KAD in Luxemburg-Stadt. Das Angebot der AXA Assurances Luxembourg SA (im Folgenden: AXA), der Bâloise Assurances Luxembourg SA, der La Luxembourgeoise SA und der Delta Lloyd Schadeverzekering NV erhielt den Zuschlag. Am 12. Dezember 2018 wurde das letztgenannte Unternehmen von NN übernommen (im Folgenden zusammen: Beklagte im ersten Rechtszug).

15.      Am 3. April 2012 schloss die Europäische Union, vertreten durch das Parlament, mit den Beklagten im ersten Rechtszug den in der Ausschreibung genannten Versicherungsvertrag gegen sämtliche Baustellenrisiken (im Folgenden: Versicherungsvertrag). In diesem Vertrag wurde AXA als führender Versicherer bestimmt(4).

16.      Nach starken Niederschlägen am 27. und am 30. Mai 2016 drang Regenwasser von der KAD-Baustelle in den Keller des Gebäudes ein. Da das angesammelte Wasser nicht abfließen konnte, kam es in den Räumen, in denen bereits technische Geräte installiert waren, zu Feuchtigkeitsbildung. In der Folge wurden die Geräte beschädigt.

17.      Am 30. Mai 2016 meldete das Unternehmen, das die umfangreichen Arbeiten auf dieser Baustelle überwachte, in Anbetracht der Umstände einen Versicherungsschaden. Mit Schreiben vom 15. Juli 2016 teilte AXA in ihrer Eigenschaft als führender Versicherer dem Parlament mit, dass auf der Grundlage der von ihren Sachverständigen geprüften Informationen die vorgenannten Umstände nicht in den Anwendungsbereich des Versicherungsvertrags fielen, und machte daher geltend, dass keine Haftung bestehe.

18.      Die Differenzen zwischen AXA und dem Parlament konnten weder durch einen Schriftwechsel noch im Rahmen einer Besprechung ausgeräumt werden. Das Parlament ließ den Beklagten im ersten Rechtszug daraufhin ein Aufforderungsschreiben zukommen, das auf einer vorläufigen Schadensschätzung beruhte.

19.      Im Anschluss an dieses erste Schreiben übermittelte das Parlament am 28. November 2018 ein zweites Aufforderungsschreiben, in dem der entstandene Schaden auf 800 624,33 Euro ohne Mehrwertsteuer beziffert wurde.

B.      Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

20.      Am 20. Juni 2019 erhob das Parlament beim Gericht Klage nach Art. 272 AEUV und beantragte, die Beklagten im ersten Rechtszug zur Erstattung der Kosten zu verurteilen, die ihm im Zusammenhang mit den im Mai 2016 an KAD-Geräten aufgetretenen Wasserschäden entstanden waren. Das Parlament stützte seine Klage auf sechs Klagegründe.

21.      Am 10. September 2019 reichten AXA, Bâloise Assurances Luxembourg und La Luxembourgeoise beim Gericht ihre Klagebeantwortung ein.

22.      Nachdem die Kanzlei des Gerichts von der Übernahme der Delta Lloyd Schadeverzekering durch NN in Kenntnis gesetzt worden war, hat es der Letztgenannten mit Schreiben vom 13. Januar 2020 die Klageschrift zugestellt und eine Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung gesetzt.

23.      NN reichte innerhalb der gesetzten Frist keine Klagebeantwortung ein.

24.      Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 hat die Kanzlei des Gerichts NN mitgeteilt, dass sie gemäß Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts über das Versäumnisurteil auf Antrag des Parlaments nicht mehr am Versäumnisverfahren beteiligt sei und ihr nur die das Verfahren beendende Entscheidung zugestellt würde.

25.      Am 29. September 2021 hat das Gericht in den Nrn. 2 und 4 des Tenors des angefochtenen Urteils die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die Beklagten im ersten Rechtszug mit Ausnahme von NN richtete. In den Nrn. 1 und 3 des Tenors dieses Urteils hat das Gericht NN verurteilt, dem Parlament den Betrag von 79 653,89 Euro (entsprechend der vom Parlament gegen NN geltend gemachten Forderung) zu erstatten, die darauf entfallenden gesetzlichen Verzugszinsen zu zahlen und die Kosten des Versäumnisverfahrens zu tragen, soweit es sie betrifft.

26.      Am 18. November 2021 legte NN gemäß Art. 41 der Satzung und Art. 166 der Verfahrensordnung des Gerichts Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein und beantragte, die Nrn. 1 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben. Mit Entscheidung vom 10. Januar 2022 hat das Gericht dieses Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das vorliegende Rechtsmittel ausgesetzt.

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

27.      Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2021 hat das Parlament das vorliegende Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil eingelegt.

28.      Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Parlament,

–        die Nrn. 2 und 4 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben;

–        die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        die Entscheidung über die Kosten mit Ausnahme der Kosten vorzubehalten, die Gegenstand von Nr. 3 des Tenors des angefochtenen Urteils sind;

–        hilfsweise, die Nrn. 2 und 4 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben und dem Antrag des Parlaments gegen die Beklagten im ersten Rechtszug stattzugeben.

29.      In ihrer Rechtsmittelbeantwortung beantragen die Beklagten im ersten Rechtszug einschließlich NN,

–        das Rechtsmittel des Parlaments zurückzuweisen;

–        den Antrag des Parlaments, die Kosten vorzubehalten, zurückzuweisen;

–        hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof dem Rechtsmittel des Parlaments stattgibt, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        weiter hilfsweise, die Anträge des Parlaments gegen AXA, Bâloise Assurances Luxembourg und La Luxembourgeoise auf der Grundlage ihres erstinstanzlichen Vorbringens zurückzuweisen und dementsprechend im Sinne ihrer Anträge zu entscheiden.

30.      Mit ihrem Anschlussrechtsmittel, das am 6. April 2022 eingelegt worden ist, beantragt NN,

–        das Anschlussrechtsmittel für zulässig zu erklären;

–        die Nrn. 1 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben.

31.      In seiner Anschlussrechtsmittelbeantwortung begehrt das Parlament,

–        das Anschlussrechtsmittel für unzulässig zu erklären;

–        hilfsweise, das Anschlussrechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen;

–        NN die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen.

V.      Würdigung

32.      In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof über zwei Rechtsmittel zu entscheiden, von denen das eine vom Parlament und das andere von NN eingelegt wurde.

33.      Das Parlament stützt sein Rechtsmittel auf drei Rechtsmittelgründe, mit denen es die Auslegung des Begriffs „Überschwemmung“ in Art. I.15.1.1 des Versicherungsvertrags durch das Gericht rügt. Diesbezüglich beanstandet das Parlament (i) eine Verletzung der im Unionsrecht geltenden Auslegungsgrundsätze, (ii) einen Begründungsmangel sowie (iii) eine Verfälschung von Tatsachen und Beweisen.

34.      NN stützt ihr Anschlussrechtsmittel auf zwei Rechtsmittelgründe. Erstens habe das Gericht gegen Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gerichts verstoßen, der die Vorgehensweise bei der Bestimmung der Verfahrenssprache einer Rechtssache regle, indem es nicht festgestellt habe, dass die in französischer Sprache abgefasste Klageschrift des Parlaments offensichtlich unzulässig gewesen sei, soweit sie NN betroffen habe.

35.      Zweitens rügt sie hilfsweise einen Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts (der die vom Gericht für den Erlass eines Versäumnisurteils einzuhaltenden Prüfungsschritte betrifft) sowie einen Begründungsmangel, soweit der Klage gegen NN mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben worden sei, während sie in Bezug auf die anderen Beklagten im ersten Rechtszug abgewiesen worden sei, obwohl die Anträge des Parlaments auf dieselben rechtlichen und tatsächlichen Argumente gestützt gewesen seien.

36.      Wie bereits erläutert, werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf Wunsch des Gerichtshofs im Wesentlichen auf die Prüfung der Zulässigkeit des zweiten Rechtsmittels, d. h. des von NN eingelegten Anschlussrechtsmittels, beschränken. Es ist jedoch hervorzuheben, dass das von NN eingelegte Anschlussrechtsmittel nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern auch die Gesamtumstände gebührend zu berücksichtigen sind – insbesondere die Tatsache, dass NN als säumige Beklagte zwei verschiedene Verfahrensmechanismen in Anspruch genommen hat. Ich halte es für erforderlich, auch diese Gesichtspunkte zu untersuchen, obwohl sie etwas über den Rahmen des Anschlussrechtsmittels hinausgehen.

37.      Vor diesem Hintergrund werde ich meine Schlussanträge mit einigen Vorbemerkungen beginnen, die die Stellung von NN als säumige Beklagte und – wie ich in Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe – die Einlegung ihres Einspruchs gegen das Versäumnisurteil beim Gericht betreffen (A). Sodann werde ich mich mit der Zulässigkeit der Rechtsmittelbeantwortung von NN befassen (B). Anschließend werde ich prüfen, ob NN berechtigt ist, ein Anschlussrechtsmittel einzulegen (C). Abschließend möchte ich auf bestimmte Auslegungsfragen eingehen, die sich aus dem Wortlaut von Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergeben, und die Art und Weise beleuchten, in der das Gericht die Vorschrift im angefochtenen Urteil angewandt hat (D).

A.      Das Versäumnisurteil und der von NN eingelegte Einspruch

38.      Nach Art. 41 der Satzung in Verbindung mit Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts kann das Gericht, wenn ein Beklagter, dem die Klageschrift ordnungsgemäß zugestellt worden ist, seine schriftliche Klagebeantwortung nicht form- oder fristgerecht einreicht und der Kläger dies beantragt, gegen die säumige Partei ein Versäumnisurteil erlassen.

39.      Unter diesen Umständen hat eine solche Partei die Stellung eines „säumigen Beklagten“(5).

40.      Allerdings kann ein säumiger Beklagter nach Art. 41 der Satzung und Art. 166 der Verfahrensordnung des Gerichts das Versäumnisurteil anfechten, indem er beim Gericht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils Einspruch einlegt(6). Somit sehen die Vorschriften, die das Verfahren vor den Unionsgerichten regeln, ausdrücklich einen Verfahrensweg vor, um einer säumigen Partei Abhilfe zu verschaffen. Die Inanspruchnahme dieses Verfahrenswegs ermöglicht es einem solchen Beklagten, die Wiederaufnahme des Verfahrens und eine erneute Sachprüfung zu erwirken, über die (vorläufig) ohne Anhörung der anderen Partei entschieden wurde.

41.      Am 18. November 2021 machte NN von dieser Verfahrensschiene Gebrauch und legte Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Gerichts ein. Mit Entscheidung vom 10. Januar 2022 hat das Gericht dieses Verfahren jedoch ausgesetzt, da das Parlament gegen das angefochtene Urteil das Rechtsmittel eingelegt hatte.

42.      In der Folge reichte NN am 6. April 2022 im Rahmen des vom Parlament eingeleiteten Rechtsmittelverfahrens eine Rechtsmittelbeantwortung ein und legte ein Anschlussrechtsmittel ein.

43.      Das Parlament ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, sowohl die Rechtsmittelbeantwortung wie auch das Anschlussrechtsmittel von NN seien unzulässig. In den beiden folgenden Abschnitten werde ich mich mit der diesbezüglichen Argumentation des Parlaments befassen.

B.      Zulässigkeit der von NN eingereichten Rechtsmittelbeantwortung

44.      An erster Stelle macht das Parlament geltend, die von den Beklagten im ersten Rechtszug gemeinsam eingereichte Rechtsmittelbeantwortung sei unzulässig, soweit sie NN betreffe, da NN kein Interesse an der Zulassung oder Zurückweisung des Rechtsmittels habe.

45.      Das Parlament weist darauf hin, dass sein Rechtsmittel nur die Nrn. 2 und 4 des Tenors des angefochtenen Urteils betreffe, womit das Gericht seine Klage abgewiesen habe, soweit sie gegen die anderen Beklagten im ersten Rechtszug gerichtet gewesen sei. Folglich habe das Rechtsmittel keinen Einfluss auf die Rechtsstellung von NN.

46.      Dieser Einschätzung kann ich mich nicht anschließen.

47.      Zur Erinnerung: Gemäß Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann „[j]ede Partei der betreffenden Rechtssache“ vor dem Gericht, die „ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat“, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen.

48.      Aus dem Wortlaut von Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ergibt sich somit, dass sich grundsätzlich jede Person, die im erstinstanzlichen Verfahren die formale Stellung einer „Partei“ innehatte, an dem von einer anderen Partei eingeleiteten Rechtsmittelverfahren durch Einreichung einer Rechtsmittelbeantwortung beteiligen kann, sofern sie ein Interesse am Erfolg oder Misserfolg des Rechtsmittels hat. Von der Einhaltung der geltenden Frist abgesehen, ist die Beteiligung folglich an die Erfüllung zweier kumulativer Bedingungen geknüpft.

49.      Erstens muss die Rechtsmittelbeantwortung von einer „Partei der betreffenden Rechtssache“ eingereicht werden.

50.      Im Einklang mit der Definition der Begriffe „Partei“ und „Hauptpartei“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. c und d der Verfahrensordnung des Gerichts verstehe ich diese Formulierung so, dass sie den/die Kläger und den/die Beklagten sowie den/die Streithelfer der jeweiligen Rechtssache umfasst(7). Als Beklagte in der Rechtssache, in der das angefochtene Urteil ergangen ist, erfüllt NN diese Voraussetzung.

51.      Die Einstufung von NN als „säumige Beklagte“ hat keine Auswirkungen auf ihre Stellung als „Partei“. Tatsächlich hat NN während des gesamten Verfahrens vor dem Gericht ihre Stellung als Beklagte behalten. Aus eben diesem Grund wurde ihr das angefochtene Urteil zugestellt(8).

52.      Auch aus Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs geht eindeutig hervor, dass den Parteien der betreffenden Rechtssache ein Rechtsmittel zugestellt werden muss, wenn ein solches eingelegt wird. Die Zustellung der vom Parlament eingereichten Rechtsmittelschrift an NN ist ein weiterer eindeutiger Beleg dafür, dass NN eine Partei des Verfahrens ist(9).

53.      Zweitens muss eine Partei, die eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen möchte, ein „Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels“ haben.

54.      Es ist allgemein anerkannt, dass eine Partei, die eine Klage erheben will, nachweisen können muss, dass ihr diese Klage im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann(10). Gleiches sollte für eine Partei gelten, die eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen möchte, da hierfür ebenfalls ein „Interesse“ am Ausgang des Verfahrens vorliegen muss. Auch wenn ich dem zustimme, dass dieser Begriff ein breites Spektrum von Vorteilen umfassen kann, die nicht nur rechtlicher Natur sind(11), muss der Ausgang eines bestimmten Verfahrens Rechtswirkungen für die Partei haben können, die dieses Verfahren anstrengt, und meines Erachtens auch für diejenigen, die sich daran beteiligen wollen(12).

55.      Wie bereits oben erläutert, hat NN gemäß Art. 41 der Satzung und Art. 166 der Verfahrensordnung des Gerichts zwar Einspruch gegen das angefochtene Urteil eingelegt, jedoch hat das Gericht diesen Antrag bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das Rechtsmittel ausgesetzt.

56.      In seiner anstehenden Entscheidung über das Rechtsmittel wird der Gerichtshof auf der Grundlage der vom Parlament geltend gemachten Rechtsmittelgründe zu prüfen haben, ob das Gericht eine fehlerhafte Würdigung vorgenommen hat, als es die Klage gegen die anderen Beklagten im ersten Rechtszug abgewiesen hat.

57.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich das Parlament gegenüber allen Beklagten (also auch gegenüber NN) auf denselben Sachverhalt und dieselben rechtlichen Argumente gestützt hat. Es liegt daher auf der Hand, dass die Würdigung des Vorbringens des Parlaments im Rechtsmittelverfahren durch den Gerichtshof sehr wahrscheinlich den Ausgang des derzeit vor dem Gericht anhängigen (wenn auch ausgesetzten) Verfahrens von NN bestimmen wird. Sollte der Gerichtshof das Urteil des Gerichts aufheben und den Anträgen des Parlaments stattgeben, ist das Schicksal des Einspruchs von NN vor dem Gericht wahrscheinlich besiegelt. Umgekehrt gilt: Sollte der Gerichtshof das Rechtsmittel des Parlaments zurückweisen, steigen die Erfolgsaussichten von NN, mit ihrem Antrag auf Aufhebung des Versäumnisurteils zu obsiegen, in erheblichem Maße.

58.      Demzufolge liegt es meines Erachtens auf der Hand, dass NN entgegen dem Vorbringen des Parlaments ein erhebliches und unmittelbares rechtliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens hat. Insoweit erfüllt NN die beiden oben in den Nrn. 49 und 53 genannten einschlägigen Voraussetzungen und kann eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen.

59.      Ferner sprechen meiner Ansicht nach auch grundsätzliche Erwägungen dafür, dass NN trotz ihrer Stellung als säumige Beklagte in einer Situation wie der des vorliegenden Verfahrens eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen können sollte.

60.      Die Einlegung des Rechtsmittels führte dazu, dass das Gericht das Verfahren, das durch den von NN beim Gericht eingelegten Einspruch eingeleitet wurde, ausgesetzt hat. Insofern wurde der Rechtsbehelf, der NN ursprünglich nach Art. 41 der Satzung und Art. 166 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zur Verfügung stand, vorübergehend ausgesetzt, während dem vom Parlament eingelegten Rechtsbehelf, d. h. dem Rechtsmittel, Vorrang eingeräumt wurde.

61.      Meines Erachtens liefe es sowohl dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wie auch dem Anspruch auf rechtliches Gehör zuwider, wenn sich eine Partei, auch wenn sie in der ersten Instanz säumig war, in diesem rechtlichen Schwebezustand befände, in dem sie weder den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelf, nämlich den Einspruch gegen das Versäumnisurteil, wirksam einsetzen noch sich an dem Rechtsmittelverfahren beteiligen könnte, das gerade die Rechtssache betrifft, in der sie Partei war und noch ist.

62.      Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar. Er betrifft die Verteidigungsrechte, die in den Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), insbesondere in deren Art. 47, verankert sind. Allgemein ausgedrückt gewährleistet dieser Anspruch, dass jede Partei berechtigt ist, vor einer Entscheidung, die ihre Interessen beeinträchtigen könnte, schriftlich oder mündlich Stellung zu nehmen(13).

63.      Es obliegt daher dem Gericht, es jeder Partei angemessen zu ermöglichen, ihren Standpunkt vorzutragen, und zwar unter Bedingungen, die sie nicht in eine gegenüber den anderen Parteien deutlich nachteilige Position versetzen(14).

64.      Wenn eine Partei wie NN keine Möglichkeit erhält, ein eingelegtes Rechtsmittel zu beantworten, ist sie nicht in der Lage, ihren rechtlichen Standpunkt darzulegen und auf der Grundlage ihrer rechtlichen Argumente, die sie zu ihrer Verteidigung vorbringt und die das Gericht gebührend berücksichtigen muss, gehört zu werden. Unter solchen Umständen ist es schwer vorstellbar, wie der Gerichtshof die Ausübung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch NN gewährleisten könnte.

65.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die von den Beklagten im ersten Rechtszug gemeinsam eingereichte Rechtsmittelbeantwortung in vollem Umfang zulässig ist, und zwar auch in Bezug auf NN.

C.      Zulässigkeit des Anschlussrechtsmittels von NN

66.      An zweiter Stelle beantragt das Parlament, das von NN eingelegte Anschlussrechtsmittel für unzulässig zu erklären, da sie als säumige Beklagte die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses prozessualen Rechtsbehelfs nicht erfülle.

67.      Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Anschlussrechtsmittels von NN werde ich zunächst die einschlägigen Bestimmungen prüfen, auf denen die Anwendung dieses Rechtsmechanismus beruht. Zu diesem Zweck werde ich Art. 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs über Anschlussrechtsmittel untersuchen und erläutern, warum ich in diesem speziellen Zusammenhang zudem Art. 56 der Satzung, der sich mit Rechtsmitteln befasst, für einschlägig erachte (1). Nachfolgend werde ich auf die Anforderungen der genannten Bestimmung der Satzung eingehen und darlegen, warum ich NN im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht für berechtigt halte, ein Anschlussrechtsmittel einzulegen (2). Abschließend werde ich mich noch kurz mit der Systematik der Rechtsbehelfe befassen, die einem säumigen Beklagten offenstehen, insbesondere zu der Frage, ob ein solcher Beklagter verschiedene Mechanismen gleichzeitig in Anspruch nehmen kann (3).

1.      Einschlägige Bestimmungen für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels

68.      Art. 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs legt den verfahrensrechtlichen Rahmen für Anschlussrechtsmittel fest. Nach Maßgabe dieser Bestimmung können die in Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bezeichneten Parteien ein Anschlussrechtsmittel einlegen. Insoweit kann ein Anschlussrechtsmittelführer jede Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht sein, die ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat.

69.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Partei, die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fällt, eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen und gleichzeitig ein Anschlussrechtsmittel einlegen(15). Jedoch kann die Rechtsmittelbeantwortung nicht auf die Aufhebung der Entscheidung des Gerichts aus anderen als den in der Rechtsmittelschrift geltend gemachten und von ihnen autonomen Gründen gerichtet sein, da solche Gründe nur im Rahmen eines Anschlussrechtsmittels geltend gemacht werden können(16). Insoweit ist ein Anschlussrechtsmittel mit gesondertem, von der Rechtsmittelbeantwortung getrennten Schriftsatz einzulegen und muss andere als die von derselben Partei in der Rechtsmittelbeantwortung geltend gemachten und von diesen autonome Gründe enthalten(17).

70.      Im vorliegenden Fall erfüllt NN, wie bereits ausgeführt, die Voraussetzungen einer zur Einreichung einer Rechtsmittelbeantwortung berechtigten Partei im Sinne von Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. Ausgehend von einer wörtlichen Auslegung von Art. 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs scheint NN daher auch befugt zu sein, unter den oben genannten Bedingungen ein Anschlussrechtsmittel einzulegen.

71.      Diese Bedingungen scheinen im vorliegenden Fall erfüllt zu sein. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass die Beklagten im ersten Rechtszug einschließlich NN am selben Tag, an dem NN ihr Anschlussrechtsmittel eingelegt hat, in einem gesonderten Schriftsatz fristgerecht eine Rechtsmittelbeantwortung eingereicht haben. Das Anschlussrechtsmittel zielt auf die Aufhebung der Nrn. 1 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils. Das Anschlussrechtsmittel basiert daher inhaltlich auf anderen Gründen als das Hauptrechtsmittel (das sich gegen die Nrn. 2 und 4 des Tenors des angefochtenen Urteils richtet) und stützt sich auf andere und von diesen autonome Gründe als die in der Rechtsmittelbeantwortung geltend gemachten.

72.      Insoweit vermag ich entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen des Parlaments nicht zu beanstanden, dass NN mit ihrem Anschlussrechtsmittel andere Argumente vorbringt und eine andere Entscheidung begehrt als die von dieser Partei im Rahmen des Hauptrechtsmittels begehrte(18).

73.      Die Erfüllung der in den Art. 172 und 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen formalen Voraussetzungen ist jedoch nur eine der Hürden, die es für eine Partei zu überwinden gilt, um erfolgreich ein Anschlussrechtsmittel einlegen zu können.

74.      Art. 56 der Satzung bestimmt die grundlegenden Voraussetzungen, unter denen eine Partei ein Rechtsmittel einlegen kann. Insoweit sieht sein Abs. 2 vor, dass ein Rechtsmittel von „einer Partei eingelegt werden [kann], die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist“.

75.      In diesem Zusammenhang stellt sich unmittelbar die Frage, ob Art. 56 der Satzung mangels ausdrücklicher Erwähnung neben dem klassischen „Rechtsmittel“ auch ein „Anschlussrechtsmittel“ erfasst.

76.      Meines Erachtens ist die Antwort ziemlich eindeutig.

77.      Diese Vorschrift bezieht sich auf den Begriff „Rechtsmittel“, der einen Rechtsbehelf beschreibt, mit dem eine Partei eine gerichtliche Entscheidung ganz oder teilweise anfechten kann, indem sie rechtliche Argumente vorträgt, die darauf abzielen, diese Entscheidung ganz oder teilweise aufzuheben.

78.      Ein „Anschlussrechtsmittel“ ist ein Rechtsbehelf, der gerade diesem Zweck dient. Obwohl sich die Verfahren im Wesentlichen sehr ähnlich sind, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Eine Partei legt ein Anschlussrechtsmittel erst nach der Einlegung eines Hauptrechtsmittels ein und stützt sich dabei naturgemäß auf andere rechtliche Argumente und Rechtsgründe als die im Hauptrechtsmittel vorgebrachten. Ein Rechtsmittel und ein Anschlussrechtsmittel unterscheiden sich insoweit nicht durch die Natur dieser Mechanismen, sondern durch ihre zeitliche Dimension und ihren selbstständigen bzw. akzessorischen Charakter.

79.      Ein Rechtsmittel muss nämlich innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung eingelegt werden(19), während ein Anschlussrechtsmittel auch noch nach Ablauf dieser Frist eingelegt werden kann. Gemäß den Art. 172 und 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann es „innerhalb der gleichen Frist, wie sie für die Einreichung der Rechtsmittelbeantwortung gilt“, eingereicht werden, d. h. innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift an die Partei(20).

80.      Hinzu kommt, dass von verschiedenen Parteien gegen dieselbe Entscheidung des Gerichts gesondert eingelegte Rechtsmittel ein „Eigenleben“ führen. Der Gerichtshof kann diese Rechtssachen gegebenenfalls (ganz oder teilweise) zu gemeinsamem schriftlichen oder mündlichen Verfahren oder zu gemeinsamem Urteil verbinden(21). Sollte jedoch eine dieser Rechtssachen zurückgenommen oder als unzulässig zurückgewiesen werden, so hätte dies keine Auswirkungen auf das (die) andere(n) Rechtsmittel.

81.      Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einem Anschlussrechtsmittel um ein Verfahren, das auf ein anhängiges Verfahren aufgesetzt wird. Dementsprechend kann die Prüfung des Anschlussrechtsmittels durch den Gerichtshof vom Schicksal des Hauptrechtsmittels abhängen. Gemäß Art. 183 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann ein Anschlussrechtsmittel nämlich gegenstandslos werden, wenn der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel zurücknimmt oder dieses aus bestimmten Gründen für offensichtlich unzulässig erklärt wird(22).

82.      Im Licht der vorstehenden Erläuterungen scheint der Mechanismus des Anschlussrechtsmittels in erster Linie aus Gründen der Prozessökonomie konzipiert worden zu sein, insbesondere um unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und die Prüfung miteinander verflochtener Rechtssachen im Rahmen ein und desselben Verfahrens zu ermöglichen.

83.      Nach Erlass eines sie benachteiligenden Urteils (oder einer anderen anfechtbaren Entscheidung) durch das Gericht wird eine Partei in der Regel unverzüglich ein Rechtsmittel einlegen. Es kann jedoch vorkommen, dass eine Partei mit bestimmten Aspekten einer Entscheidung unzufrieden, mit anderen hingegen einverstanden ist. In solchen Fällen ist es denkbar, dass eine Partei bereit wäre, die erstinstanzliche Entscheidung zu akzeptieren, sofern die anderen Parteien mitziehen, so dass der Rechtsstreit endgültig entschieden ist.

84.      Ohne eine Bestimmung wie Art. 176 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs wäre es für eine Partei jedoch riskant, erst einmal das Vorgehen der anderen Parteien abzuwarten, da eine andere Partei gegen Ende der Zweimonatsfrist ein Rechtsmittel einlegen könnte, was eine fristgerechte Reaktion der erstgenannten Partei erschweren würde. In einem solchen Fall wäre die Wahrscheinlichkeit einer mutwilligen Einlegung von Rechtsmitteln erhöht, selbst in Situationen, in denen die Parteien unter Umständen geneigt gewesen wären, von der Einleitung einer weiteren Verfahrensrunde abzusehen.

85.      Aus den vorstehenden Gründen komme ich zu dem Schluss, dass es sich bei Anschlussrechtsmitteln und Hauptrechtsmitteln lediglich um zwei Arten derselben Gattung handelt: um Rechtsmittel.

86.      Die geringfügige Abweichung in der Terminologie der einschlägigen Vorschriften hinsichtlich der beiden Rechtsmittelarten soll daher nur die Unterscheidung erleichtern, wenn im Rahmen eines bestimmten Verfahrens auf die jeweiligen Rechtsbehelfe Bezug genommen wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie in einer Situation wie der im Hauptverfahren in Rede stehenden unterschiedlich behandelt werden sollten.

87.      Es würde nämlich der Bedeutung der Wahrung einer geordneten Rechtspflege und dem Konzept der Gleichstellung der Parteien zuwiderlaufen, wenn Art. 56 der Satzung nur auf eine Partei anwendbar wäre, die beabsichtigt, ein Rechtsmittel einzulegen, nicht aber auf eine Partei, die nach Einlegung eines Hauptrechtsmittels ein Anschlussrechtsmittel einlegen will.

88.      Folglich bin ich der Auffassung, dass sich die Geltung von Art. 56 der Satzung auf alle Arten von Rechtsmitteln erstreckt, die nach den Verfahrensvorschriften dieses Rechtsprechungsorgans eröffnet sind, einschließlich des Anschlussrechtsmittels.

89.      Auch wenn ich daher im vorliegenden Fall überzeugt bin, dass NN die in den Art. 172 und 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs genannten Voraussetzungen erfüllt, ist dennoch zu klären, ob auch die in Art. 56 der Satzung vorgesehenen formalen Anforderungen gewahrt sind(23).

2.      Anforderungen gemäß Art. 56 der Satzung

90.      Wie ich oben in Nr. 74 ausgeführt habe, kann nach Art. 56 Abs. 2 der Satzung ein Rechtsmittel von „einer Partei eingelegt werden, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist“.

91.      Obgleich es in den allermeisten Fällen relativ einfach sein dürfte, das Vorliegen dieser Voraussetzung zu überprüfen, sind Fälle denkbar, in denen sich diese Untersuchung schwieriger gestaltet. Dies kann u. a. deshalb der Fall sein, weil die Begriffe „unterlegen“(24) und „Anträge“(25) durchaus zweideutig sind. Diese Mehrdeutigkeit ist zum Teil auf gewisse sprachliche Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der Satzung zurückzuführen(26).

92.      Ungeachtet dieser Auslegungszweifel lässt sich meines Erachtens jedoch kaum bestreiten, dass ein säumiger Beklagter diese Kriterien nicht erfüllt. Ein solcher Beklagter hat keine Schriftsätze eingereicht und somit auch keine bestimmten Anträge gestellt. Daher kann auch nicht geltend gemacht werden, eine solche Partei sei „unterlegen“ im Sinne von Art. 56 der Satzung.

93.      In Anlehnung an die in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge eingeführte Metapher muss man zunächst eine Fahrkarte erwerben, sich eine Reiseroute zusammenstellen lassen und dann in den gewählten Zug einsteigen, um an dessen Zielort zu gelangen.

94.      Dieser Standpunkt scheint mit dem Ansatz des Gerichtshofs in seinem Urteil in der Rechtssache Bayer CropScience und Bayer/Kommission vereinbar zu sein. In jener Rechtssache hatten sowohl Bayer CropScience als auch Bayer ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt, obwohl nur Bayer CropScience an dem Verfahren vor dem Gericht beteiligt gewesen war. Da Bayer an dem erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen war und keinen besonderen Umstand gelten gemacht hatte, der ihr gegebenenfalls eine Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels hätte verleihen können, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Rechtsmittel unzulässig war, soweit es in ihrem Namen eingelegt worden war(27).

95.      Zu einem ähnlichen Ergebnis ist der Gerichtshof auch in einigen Markenrechtsstreitigkeiten gekommen, in denen es um den Status einer Partei als möglicher Streithelfer in einem Rechtsmittelverfahren ging. In Fällen, in denen die Partei, die ein Rechtsmittel eingelegt hatte, es unterlassen hatte, die Klageschrift zu beantworten, hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass ein solcher Rechtsmittelführer nicht als am Verfahren vor dem Gericht beteiligt angesehen werden kann, weil er weder eigene Anträge gestellt noch mitgeteilt hatte, dass er die Anträge der anderen Parteien unterstützt(28).

96.      Vor diesem Hintergrund und in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Parlaments halte ich das Anschlussrechtsmittel von NN für unzulässig.

3.      Allgemeine verfahrensrechtliche Erwägungen

97.      Sodann sind dieselben Überlegungen – obwohl ich zu der vorstehenden Schlussfolgerung unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Falls gelange – auch auf den weiter gefassten verfahrensrechtlichen Rahmen für Rechtsbehelfe vor den Unionsgerichten übertragbar.

98.      Die von den verschiedenen Parteien im vorliegenden Fall vorgebrachten Argumente lassen eine beträchtliche Unklarheit hinsichtlich der Anwendung bestimmter rechtlicher Mechanismen vor diesem Rechtsprechungsorgan sowie des geeigneten Zeitpunkts ihrer Inanspruchnahme erkennen.

99.      In diesem Zusammenhang ist es ungeachtet der besonderen Umstände des vorliegenden Falls angezeigt, auf zwei offensichtlich miteinander verknüpfte Fragen einzugehen: (i) ob ein säumiger Beklagter ein Rechtsmittel gegen ein Versäumnisurteil einlegen kann oder ob er den prozessualen Weg des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil wählen muss und, falls Letzteres zutrifft, (ii) ob ein solcher Beklagter beide Wege gleichzeitig beschreiten oder, wie im vorliegenden Fall geschehen, einen solchen Einspruch zusammen mit einem Anschlussrechtsmittel einlegen kann.

100. Meines Erachtens ist die Antwort auf beide Fragen relativ eindeutig.

101. Ein säumiger Beklagter kann gegen eine erstinstanzliche Entscheidung nämlich kein Rechtsmittel einlegen, da er verpflichtet ist, von dem besonderen Rechtsbehelf des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil Gebrauch zu machen. Erst recht ist es einem säumigen Beklagten nicht gestattet, beide Wege gleichzeitig zu beschreiten, indem er vor dem Gerichtshof ein Rechtsmittel einlegt und gleichzeitig vor dem Gericht Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegt.

102. Eine solche Auslegung scheint vom Gerichtshof unlängst im Urteil Eulex Kosovo/SC, das am Tag der Verlesung dieser Schlussanträge verkündet worden ist(29), bestätigt worden zu sein.

103. Die beiden Verfahrenswege sind daher nicht nur sich gegenseitig ausschließende Alternativen, sondern sie sind auch nicht austauschbar.

104. Zum einen muss eine Partei, um ein Rechtsmittel einlegen zu können, die formalen Voraussetzungen gemäß Art. 56 der Satzung erfüllen, der im Wesentlichen die Beteiligung am erstinstanzlichen Verfahren vorschreibt. Aus den oben dargelegten Gründen erfüllt ein säumiger Beklagter dieses Kriterium nicht. Jeder Versuch, ein erfolgreiches Rechtsmittel einzulegen, liefe ins Leere.

105. Zum anderen kann eine Partei, die sich am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt hat, per definitionem nicht als säumiger Beklagter eingestuft werden. Denn in diesem Fall erginge kein Versäumnisurteil, gegen das sie Einspruch einlegen könnte.

106. Eine andere Betrachtungsweise wäre mit der Systematik des Rechtsbehelfssystems der Union unvereinbar.

107. Denn damit würden nicht nur die Vorschriften umgangen, die einen verfahrensrechtlichen Rechtsbehelf speziell gegen ein Versäumnisurteil vorsehen, sondern ein solcher Rechtsbehelf würde angesichts der für diese Mechanismen geltenden unterschiedlichen Fristen und der entscheidenden Bedeutung, die einem Urteil des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels zukommt, auch entwertet. Zudem würde auch das Wesen des Versäumnisurteils ausgehöhlt, das einen Anreiz für eine aktive Beteiligung an einem Gerichtsverfahren schaffen soll, indem es die Einbeziehung einer Partei, die sich trotz Aufforderung nicht auf das ursprüngliche Verfahren eingelassen hat, und die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel beschränkt.

108. Ferner liefe die Zulassung der parallelen Inanspruchnahme zweier Rechtsbehelfe darauf hinaus, dass ein säumiger Beklagter eine doppelte  Chance erhält – oder, um bei der gewählten Metapher zu bleiben, die Möglichkeit, mit zwei Zügen gleichzeitig zu fahren. Dies wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit zwischen allen Parteien. Wie sollte es unter diesen Gesichtspunkten zulässig sein, dass eine Partei, die sich am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt hat, gleichwohl einen Rechtsbehelf beim Gericht und einen anderen Rechtsbehelf beim Gerichtshof einlegen kann, die beide letztlich auf das gleiche Ergebnis gerichtet sind?

109. Schließlich wäre ein solches Szenario sogar geeignet, die geordnete Rechtspflege zu stören, da die Unklarheit über den im Einzelfall angemessenen Rechtsbehelf die Integrität des Verfahrensrahmens beeinträchtigte, ganz zu schweigen davon, dass es wahrscheinlich zu einer Eskalation der Kosten für die an parallelen Verfahren beteiligten Parteien sowie für dieses Rechtsprechungsorgan beitrüge(30).

110. Diese Überlegungen gelten in gleicher Weise für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels.

111. In einem solchen Fall ähneln die Argumente, die der säumige Beklagte in seinem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil vorbringt, möglicherweise denen, die er im Rahmen eines Anschlussrechtsmittels geltend macht. Es kann aber auch sein, wie das Anschlussrechtsmittel von NN zeigt, dass die im Anschlussrechtsmittel vorgetragenen Argumente gänzlich andere sind.

112. Insoweit teile ich nicht die Auffassung von NN, ein solches Szenario führe zu einer Straffung des Verfahrens, indem es dem Gerichtshof ermögliche, ein Endurteil zu erlassen, in dem auch die im Rahmen des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vor dem Gericht aufgeworfenen Fragen endgültig entschieden würden.

113. Vielmehr verschafft eine solche Situation dem säumigen Beklagten unbeabsichtigt den Vorteil, einen zusätzlichen Verfahrensweg beschreiten zu können, um weitere rechtliche Argumente einzuführen – ohne dass gewährleistet wäre, dass die ursprünglichen, im Rahmen des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil im tatsächlichen Kontext der Rechtssache vor dem Gericht geltend gemachten Argumente ordnungsgemäß erörtert werden, selbst wenn der Gerichtshof das Anschlussrechtsmittel für begründet erachten sollte. Denn im Rahmen eines Anschlussrechtsmittels hat der Gerichtshof naturgemäß nur Rechtsfragen zu prüfen.

114. Meines Erachtens entsprechen die soeben dargelegten Folgen nicht der beabsichtigten Funktionsweise des Rechtsbehelfssystems, wie es in den Vorschriften über das Verfahren vor den Unionsgerichten festgelegt ist – ein Zug kann nicht zwei Gleise gleichzeitig befahren.

115. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen scheint mir daher der Verfahrensweg, der es dem säumigen Beklagten ermöglicht, beim Gericht Einspruch gegen ein Versäumnisurteil einzulegen, der geeignetste (besser gesagt: der einzige) Weg zu sein, den eine solche Partei unter solchen Umständen beschreiten kann.

116. Geht bei dem Gericht ein von einem Beklagten gegen ein Versäumnisurteil eingelegter Einspruch ein, so gilt das erstinstanzliche Urteil als nicht endgültig. In der Praxis hat dies im Fall eines erfolgreichen Einspruchs die Aufhebung des Versäumnisurteils und den Erlass einer neuen Entscheidung zur Folge.

117. Umgekehrt bleibt das Versäumnisurteil wirksam und wird im Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren endgültig, wenn dieser Einspruch zurückgewiesen wird. In diesem Verfahrensstadium steht es dem säumigen Beklagten offen, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils ein Rechtsmittel einzulegen. Meiner Ansicht nach steht dieser Prozess im Einklang mit der beabsichtigten Funktionsweise des Systems der Rechtsbehelfe, die im gegebenen verfahrensrechtlichen Rahmen zur Verfügung stehen(31).

118. Nach alledem wiederhole ich meine Schlussfolgerung, dass das Anschlussrechtsmittel von NN für unzulässig zu erklären ist. Folglich besteht für den Gerichtshof kein Anlass, die beiden von NN geltend gemachten Rechtsmittelgründe zu prüfen.

119. Sollte sich der Gerichtshof jedoch meiner vorstehenden Würdigung nicht anschließen und somit zu dem Ergebnis kommen, dass das Anschlussrechtsmittel von NN zulässig ist, sollte er meines Erachtens – aus Gründen, die ich im Folgenden erläutern werde – die Begründetheit dieses Anschlussrechtsmittels feststellen und demzufolge das angefochtene Urteil aufheben, soweit es NN betrifft.

D.      Der Ansatz des Gerichts beim Erlass des Versäumnisurteils gegen NN

120. Wie ich oben in Nr. 34 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, macht NN mit ihrem Anschlussrechtsmittel zwei Rechtsmittelgründe geltend. Aus Gründen der Prozessökonomie schlage ich dem Gerichtshof vor, zunächst den zweiten von NN vorgetragenen Rechtsmittelgrund zu prüfen. Da ich diesen Grund für offensichtlich begründet halte, kann der Gerichtshof von der Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes von NN absehen.

121. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund rügt NN einen Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, der die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils durch das Gericht betrifft, sowie einen Begründungsmangel, soweit mit dem angefochtenen Urteil der gegen sie erhobenen Klage stattgegeben wurde, während die gegen die anderen Beklagten im ersten Rechtszug erhobene Klage abgewiesen wurde, obwohl die Anträge des Parlaments auf dieselben rechtlichen und tatsächlichen Argumente gestützt waren.

122. In den Rn. 45 bis 61 des angefochtenen Urteils hat das Gericht anhand der in Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts genannten Voraussetzungen geprüft, ob dem Antrag des Parlaments auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen NN stattzugeben war. Nach dieser Bestimmung muss das Gericht, bevor es den Anträgen des Klägers mit einem Versäumnisurteil stattgeben kann, überprüfen, dass (i) es für die Entscheidung über die Klage zuständig ist, (ii) die Klage nicht offensichtlich unzulässig ist und (iii) der Klage nicht offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt.

123. In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts bejaht.

124. Nachdem das Gericht festgestellt hat, dass es für die Klage des Parlaments zuständig und diese nicht offensichtlich unzulässig sei, hat es sich mit der Prüfung der oben genannten dritten Anforderung befasst. In einem einzigen kurzen Absatz hat es dazu ausgeführt:

„... [E]ine Prima-facie-Prüfung des Vorbringens des Parlaments [ergibt] nicht, dass die Klage offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Die Frage, ob der Schaden, dessen Erstattung es begehrt, in den Anwendungsbereich des Versicherungsvertrags fällt, ohne Gegenstand einer sich aus diesem Vertrag ergebenden Ausschlussklausel zu sein, erfordert eine eingehendere Prüfung der Bestimmungen dieses Vertrags in ihrem Kontext und unter Berücksichtigung des Parteiwillens“(32).

125. Auf dieser Grundlage hat das Gericht der Klage des Parlaments gegen NN stattgegeben. Gleichwohl ist das Gericht im Rahmen der Beurteilung der Begründetheit der Klage gegen die anderen Beklagten im ersten Rechtszug nach näherer Prüfung der Argumente des Parlaments zu dem Ergebnis gelangt, dass dieses Vorbringen unbegründet sei, und hat die Klage insoweit abgewiesen(33).

126. Ich erkenne in diesen Passagen des angefochtenen Urteils zwei unterschiedliche Rechtsfehler: einen Fehler bei der Auslegung von Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts und einen Begründungsmangel.

127. Erstens beruht der Ansatz des Gerichts auf einem falschen Verständnis des Zwecks und des Umfangs der nach Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgeschriebenen gerichtlichen Kontrolle sowie des dort verwendeten Begriffs „offensichtlich“.

128. Vor dem Hintergrund der Erläuterungen in meinen kürzlich gestellten Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (Urteil des Obersten Gerichtshofs)(34) möchte ich betonen, dass aus den unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften über das Versäumnisverfahren sowie aus der Rechtsprechung dieses Rechtsprechungsorgans eindeutig hervorgeht, dass die fehlende Beteiligung eines Beklagten am Verfahren nicht automatisch dazu führt, dass das angerufene Gericht dem Vorbringen des Klägers folgt. Denn es ist schlicht undenkbar, dass im Rahmen eines Versäumnisverfahrens eine wie auch immer geartete Wahrheitsvermutung für das Vorbringen des Klägers gelten könnte.

129. Zugleich ist allerdings der von den Unionsgerichten anzulegende Prüfungsmaßstab im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers als relativ wohlwollend zu bezeichnen. Der Gerichtshof ist weder verpflichtet, die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen und rechtlichen Argumente vollständig zu prüfen noch kann erwartet werden, dass er die tatsächlichen und rechtlichen Argumente ausarbeitet, die der Beklagte hätte vorbringen können, wenn er sich am Verfahren beteiligt hätte. Indem er sein Recht, sich auf das Verfahren einzulassen, nicht wahrnimmt, entscheidet der Beklagte sich dafür, auf seine Möglichkeit zu verzichten, u. a. Beweise beizubringen, die die Richtigkeit der vom Kläger vorgetragenen Tatsachen möglicherweise in Frage stellen, oder Verteidigungslinien vorzubringen, für die grundsätzlich der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt(35).

130. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es im Versäumnisverfahren vor dem Gericht dem Kläger obliegt nachzuweisen, dass seine Klage „dem Anschein nach nicht unbegründet“ ist(36). Ein Kläger ist dieser Darlegungs- und Beweislast nachgekommen, wenn die zur Stützung seiner Anträge vorgetragenen Argumente ohne eingehende Prüfung plausibel erscheinen, d. h., wenn sie in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht hinreichend vertretbar und gegebenenfalls durch angemessene Beweise untermauert sind.

131. Aus Gründen der Prozessökonomie räumen die Verfahrensvorschriften der Europäischen Union den Unionsgerichten die Möglichkeit ein, auf eine eingehende Prüfung der Klageanträge zu verzichten, wenn der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Zustellung der Klageschrift entschieden hat, sich nicht auf das Verfahren einzulassen.

132. Diese Vorschriften können jedoch nicht dahin verstanden werden, dass keinerlei Prüfung vorzunehmen ist, wenn das klägerische Vorbringen komplexer Natur ist. Es besteht ohne Frage ein Unterschied zwischen der Durchführung einer reduzierten Prüfung und dem völligen Verzicht auf eine Prüfung.

133. Ich möchte diesen Punkt besonders betonen. Die in Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehene Prüfung erlaubt es dem Gericht nicht, davon auszugehen, der Kläger habe seine Ansprüche glaubhaft gemacht, nur weil der von ihm vorgetragene Sachverhalt (in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht) so komplex ist, dass er einer näheren Prüfung bedarf. Die Komplexität der vorgebrachten Argumente ist kein Freibrief für den Verzicht auf jede Form der gerichtlichen Würdigung dieser Argumente(37).

134. Genau dies ist jedoch im vorliegenden Fall in Bezug auf die vom Parlament gegen NN geltend gemachten Ansprüche geschehen. Aus Rn. 57 des angefochtenen Urteils geht unmissverständlich hervor, dass das Gericht keine materielle Prüfung dieser Ansprüche vorgenommen hat.

135. Nach alledem hat das Gericht Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewandt. Das Gericht hätte zumindest prüfen müssen, ob die vom Parlament vorgetragene Auslegung des Vertrags im Hinblick auf die Bestimmungen des Vertrags in ihrem Kontext hinreichend plausibel ist, um das entsprechende Vorbringen glaubhaft zu machen.

136. Jedenfalls erscheint es mir ebenso offensichtlich, dass ein bestimmtes Argument nicht mehr plausibel ist, wenn das Gericht in derselben Entscheidung über die Stichhaltigkeit dieses Arguments entscheidet und nach näherer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass es unbegründet sei.

137. Wie ich bereits dargelegt habe, kann das Gericht nach Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts im Rahmen eines Versäumnisverfahrens auf eine eingehende Prüfung der Anträge des Klägers verzichten. Diese Bestimmung kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass das Gericht verpflichtet ist, sich bei der Würdigung der gegen einen säumigen Beklagten vorgebrachten Argumente auf eine reduzierte Kontrolle zu beschränken, wenn eben diese Argumente aus dem einen oder anderen Grund einer eingehenderen Prüfung bedürfen.

138. Es fällt schwer, die Logik einer solchen gerichtlichen Entscheidung zu erkennen, in der ein Gericht ein und dasselbe Vorbringen (sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht) in einem Teil dieser Entscheidung (in diesem Fall bei der Würdigung in Bezug auf NN) als nicht offensichtlich unzutreffend ansieht, um es dann in einem anderen Teil dieser Entscheidung (in diesem Fall im Rahmen der Würdigung in Bezug auf die anderen Beklagten im ersten Rechtszug) als unzutreffend zu erachten.

139. Die Auslegung von Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts durch das Gericht scheint zu implizieren, dass es sich in bestimmten Fällen tatsächlich verpflichtet sieht, einem Vorbringen zu folgen, obwohl es weiß, dass dieses Vorbringen unzutreffend ist, und schlimmer noch, obwohl es dies in derselben Entscheidung ausdrücklich festgestellt hat.

140. Dies kann meines Erachtens nicht als ordnungsgemäße und angemessene Ausübung der gerichtlichen Tätigkeit durch das Gericht angesehen werden. Im Grunde würde ein Gericht eine säumige Partei nur deshalb verurteilen, weil sie sich nicht am Verfahren beteiligt hat. Wie oben bereits ausgeführt, ist dies jedoch in den Unionsvorschriften über das Versäumnisverfahren nicht vorgesehen. Dieses Regelwerk verpflichtet die Unionsgerichte nach wie vor zu einer Sachprüfung, die, wenn auch in reduzierter Form durchgeführt, dennoch den sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen genügen muss.

141. Insoweit darf man nicht außer Acht lassen, dass die Entscheidung, sich nicht an einem Verfahren zu beteiligen, so bedauerlich sie auch sein mag, allein im Ermessen der einzelnen Partei liegt und somit legitim ist(38). Diese Entscheidung bringt natürlich die Gefahr mit sich, als säumiger Beklagter behandelt zu werden, was zum Erlass eines Versäumnisurteils führen kann, das, wie bereits dargelegt, eine Reihe von verfahrensrechtlichen Konsequenzen bedeutet, von denen einige für den Beklagten nachteilig sind.

142. Es ginge jedoch über den Wortlaut und den Zweck der Verfahrensvorschriften der Union hinaus und drohte eine Folge mit übermäßigem Sanktionscharakter nach sich zu ziehen, wenn ein Gericht diese Vorschriften dahin auslegte, dass es verpflichtet ist, dem Vorbringen des Klägers ungeachtet der Umstände ohne jede Prüfung zu folgen.

143. Meine Auffassung scheint durch das Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs in der Rechtssache Tomkins bekräftigt zu werden, in dem dieser die Entscheidung des Gerichts bestätigt hat, die Dauer des einer Gesellschaft zur Last gelegten wettbewerbswidrigen Verhaltens auf der Grundlage der Feststellungen gegenüber einer anderen Gesellschaft zu verkürzen, obwohl die erstgenannte Gesellschaft bezüglich der Dauer der Zuwiderhandlung nichts vorgetragen hatte(39). Die Kommission hatte dem Gericht vorgeworfen, es habe ultra petita entschieden. Der Gerichtshof hat das Rechtsmittel jedoch im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beiden Gesellschaften (Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft) miteinander verbunden seien und dass es sich nicht um zwei verschiedene Zuwiderhandlungen handele, sondern um eine einheitliche Zuwiderhandlung, für die die beiden Gesellschaften zur Verantwortung gezogen werden könnten.

144. Die aus diesem Urteil abgeleiteten Grundsätze sind in der vorliegenden Rechtssache offensichtlich sinngemäß anwendbar. Die Beklagten im ersten Rechtszug sind insofern miteinander verbunden, als sie alle durch ein und denselben Vertrag gebunden sind und vom Parlament wegen angeblicher Nichteinhaltung dieses Vertrags gemeinsam vor dem Gericht verklagt wurden. Im Rahmen dieses Verfahrens befanden sich die vier Versicherer in einer identischen Sach- und Rechtslage: Das Parlament machte unter Berufung auf dieselbe Rechtsgrundlage geltend, dass sie gesamtschuldnerisch für den Ersatz des Schadens hafteten, der durch ein bestimmtes Ereignis (nämlich die geltend gemachte Überschwemmung des KAD-Gebäudes) verursacht worden sei.

145. Wie im Urteil Tomkins, in dem die Unionsgerichte nicht ein und demselben Verhalten aus Gründen, die mit dem Verhalten der betreffenden Gesellschaft im Gerichtsverfahren zusammenhingen, zwei unterschiedliche Zeiträume zuschreiben konnten, kann dieses Rechtsprechungsorgan auch im vorliegenden Fall nicht feststellen, dass ein und dieselbe Vertragsklausel aus Gründen, die mit dem Verhalten der betreffenden Gesellschaft im Gerichtsverfahren zusammenhängen, zwei unterschiedliche Bedeutungen hat.

146. Darüber hinaus ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass das angefochtene Urteil auch mit einem Begründungsmangel behaftet ist: Rn. 57 des angefochtenen Urteils enthält keinerlei Prima-facie-Beurteilung des Vorbringens der Klägerin und steht im Widerspruch zu den Rn. 62 bis 138 dieses Urteils(40).

147. In Anbetracht dessen ist das angefochtene Urteil meines Erachtens daher (i) mit einem Fehler bei der Auslegung von Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts behaftet und (ii) in Bezug auf das Vorliegen der dritten in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzung, die es dem Gericht ermöglicht, den Anträgen des Klägers mit einem Versäumnisurteil stattzugeben, unzureichend und widersprüchlich begründet.

148. Für den Fall, dass der Gerichtshof das Anschlussrechtsmittel von NN für zulässig erachten sollte, bin ich daher der Auffassung, dass die Nrn. 1 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben sind.

VI.    Ergebnis

149. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        festzustellen, dass die Rechtsmittelbeantwortung der Nationale-Nederlanden Schadeverzekering Maatschappij NV zulässig ist;

–        das Anschlussrechtsmittel der Nationale-Nederlanden Schadeverzekering Maatschappij NV als unzulässig zurückzuweisen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Urteil vom 29. September 2021 (T‑384/19, EU:T:2021:630, im Folgenden: angefochtenes Urteil).


3      Vgl. insbesondere Rn. 1 bis 31 des angefochtenen Urteils.


4      In Versicherungsangelegenheiten, bei denen sich mehrere Versicherungsunternehmen an der Deckung eines erheblichen Risikos beteiligen, wird in der Regel eines dieser Unternehmen als führender Versicherer bestimmt. Diesem Unternehmen kommt eine zentrale Rolle zu, obwohl die beteiligten Mitversicherer das Risiko gemeinsam tragen.


5      Aus Art. 41 der Satzung und Art. 123 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt sich, dass der Beklagte, gegen den beim Gericht Klage erhoben ist, formale Anforderungen erfüllen muss ‑ er muss eine Klagebeantwortung einreichen, die u. a. die Anträge sowie die zur Beantwortung der Klageschrift vorgebrachten Gründe und Argumente enthält ‑, um die Gefahr eines gegen ihn ergehenden Versäumnisurteils abzuwenden. Für weitere Einzelheiten vgl. Art. 81 der Verfahrensordnung des Gerichts, in dem die wesentlichen Punkte aufgeführt sind, die in der Klagebeantwortung des Beklagten enthalten sein müssen.


6      Für weitere Einzelheiten vgl. Rn. 45 bis 61 des angefochtenen Urteils.


7      Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts bezeichnen „die Begriffe ‚Partei‘ und ‚Parteien‘ … jeden am Verfahren Beteiligten, einschließlich der Streithelfer“. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts bezeichnen „die Begriffe ‚Hauptpartei‘ und ‚Hauptparteien‘ … den Kläger oder den Beklagten oder beide bzw. den Rechtsmittelführer oder den Rechtsmittelgegner oder beide“.


8      Gemäß Art. 55 der Satzung.


9      Aus den Akten geht hervor, dass NN die Rechtsmittelschrift am 26. Januar 2022 gemäß Art. 171 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zugestellt wurde.


10      Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Jiangsu Seraphim Solar System und Rat/Jiangsu Seraphim Solar System und Kommission (verbundene Rechtssachen C‑439/20 P und C‑441/20 P, EU:C:2023:211, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Mory u. a./Kommission (C‑33/14 P, EU:C:2015:409, Nr. 28) und der Generalanwältin Kokott in den verbundenen Rechtssachen Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce (C‑293/13 P und C‑294/13 P, EU:C:2014:2439, Nrn. 44 und 45).


12      Vgl. entsprechend zu dem Konzept, dass eine Klage Rechtswirkungen entfalten muss, Urteile vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission (C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 55), und vom 27. März 2019, Canadian Solar Emea u. a./Rat  (C‑236/17 P, EU:C:2019:258, Rn. 91).


13      Vgl. hierzu Urteil vom 25. November 2020, ACRE/Parlament (T‑107/19, EU:T:2020:560, Rn. 182 und die dort angeführte Rechtsprechung).


14      Vgl. Beschluss vom 16. Juli 2020, HSBC Holdings u. a./Kommission (C‑883/19 P, EU:C:2020:601 und EU:C:2020:561, Rn. 22). Meiner Auffassung nach lässt sich eine Parallele zwischen dem vorliegenden Fall und der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs in jener Rechtssache ziehen, mit der bestimmte Unternehmen auf der Grundlage ihres unmittelbaren und gegenwärtigen Interesses am Ausgang jenes Rechtsstreits als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der HSBC‑Gesellschaften zugelassen wurden. In der Entscheidung wurde hervorgehoben, dass den Unternehmen im Fall der Nichtzulassung als Streithelfer die Möglichkeit genommen würde, gehört zu werden.


15      Vgl. z. B. das kürzlich ergangene Urteil vom 14. September 2023, Land Rheinland-Pfalz/Kommission  (C‑466/21 P, EU:C:2023:666, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16      Vgl. Urteil vom 3. September 2020, Vereniging tot Behoud van Natuurmonumenten in Nederland u. a./Kommission (C‑817/18 P, EU:C:2020:637, Rn. 48).


17      Vgl. Urteil vom 14. September 2023, Land Rheinland-Pfalz/Kommission  (C‑466/21 P, EU:C:2023:666, Rn. 51) und Urteil vom 3. September 2020, Vereniging tot Behoud van Natuurmonumenten in Nederland u. a./Kommission (C‑817/18 P, EU:C:2020:637, Rn. 47).


18      Siehe hierzu die oben in Fn. 16 zitierte Rechtsprechung.


19      Art. 56 der Satzung.


20      Durch die Angleichung der beiden Fristen (Rechtsmittelbeantwortung und Anschlussrechtsmittel) soll gewährleistet werden, dass eine Partei eine faire Chance erhält, innerhalb einer angemessenen Frist nach Zustellung des Hauptrechtsmittels einer anderen Partei zu diesem Stellung zu nehmen.


21      Art. 54 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.


22      Allerdings hindert die Zurückweisung eines Hauptrechtsmittels, auch wenn das Anschlussrechtsmittel mit diesem verflochten ist, den Gerichtshof nicht zwangsläufig daran, Letzteres auf seine Begründetheit zu prüfen. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. Januar 2021, Kommission/Printeos (C‑301/19 P, EU:C:2021:39), das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückgewiesen, dem Anschlussrechtsmittel jedoch stattgegeben. Zu einem jüngeren Beispiel vgl. auch Urteil vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission (C‑124/21 P, EU:C:2023:1012). In diesem Urteil hat der Gerichtshof das Rechtsmittel der International Skating Union zurückgewiesen, aber dem Anschlussrechtsmittel der Beklagten im ersten Rechtszug, die die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt hatten, stattgegeben.


23      Man könnte auch die Auffassung vertreten, dass eine solche Überprüfung logischerweise durchgeführt werden müsste, bevor die Einhaltung der Bestimmungen der Verfahrensordnungen des Gerichtshofs und des Gerichts untersucht wird. Denn der Satzung, die in einem besonderen Protokoll im Anhang zu den EU-Verträgen festgelegt ist, kommt als primärrechtlich verankerter Rechtsakt (Art. 281 AEUV) besondere Bedeutung zu. Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache HF/Parlament (C‑570/18 P, EU:C:2020:44, Nr. 34) und der Generalanwältin Kokott in den verbundenen Rechtssachen Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce (C‑293/13 P und C‑294/13 P, EU:C:2014:2439, Nrn. 50 bis 55).


24      Vgl. z. B. Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in den verbundenen Rechtssachen Société des produits Nestlé und Mondelez UK Holdings & Services/EUIPO und EUIPO/Mondelez UK Holdings & Services (C‑84/17 P, C‑85/17 P und C‑95/17 P, EU:C:2018:266, Nrn. 32 bis 41).


25      Vgl. beispielsweise Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache British Airways/Kommission  (C‑122/16 P, EU:C:2017:406, Nrn. 39 bis 42).


26      Ebd.


27      Urteil vom 6. Mai 2021, Bayer CropScience und Bayer/Kommission (C‑499/18 P, EU:C:2021:367, Rn. 43).


28      Vgl. Beschlüsse vom 12. Februar 2015, Enercon/Gamesa Eólica (C‑35/14 P, EU:C:2015:158), und vom 24. November 2015, Sun Mark und Bulldog Energy Drink/Red Bull (C‑206/15 P, EU:C:2015:773).


29      Urteil vom 18. Januar 2024, Eulex Kosovo/SC (C‑785/22 P, Rn. 31 bis 33).


30      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2015, Electrabel und Dunamenti Erőmű/Kommission (C‑357/14 P, EU:C:2015:642, Rn. 30).


31      Unter solchen Umständen ist es offensichtlich, dass die in den einschlägigen Bestimmungen vorgesehenen formalen Voraussetzungen einschließlich derjenigen des Art. 56 der Satzung erfüllt wären.


32      Rn. 57 des angefochtenen Urteils. Da das angefochtene Urteil nur in der französischen Fassung vorliegt, habe ich diese Übersetzung vorgelegt. Hervorhebung nur hier.


33      Rn. 62 bis 138 des angefochtenen Urteils.


34      Meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑516/22, EU:C:2023:857, Nr. 44), in denen auch auf die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Portugal/Kommission (C‑365/99, EU:C:2001:184, Nr. 16) verwiesen wird.


35      Ebd., Nrn. 46 und 47.


36      In diesem Zusammenhang muss ich darauf hinweisen, dass der Wortlaut der Bestimmungen über das Versäumnisverfahren vor den beiden Unionsgerichten geringfügig voneinander abweicht. Nach Art. 152 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat dieser zu prüfen, „ob die Anträge des Klägers begründet erscheinen“, während Art. 123 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts diesem aufgibt, zu prüfen, ob der Klage „offensichtlich jede rechtliche Grundlage [fehlt]“. Meines Erachtens ist die Schwelle für den Umfang der Würdigung des klägerischen Vorbringens durch das Gericht etwas niedriger angesetzt als im Fall des Gerichtshofs. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der Gerichtshof innerhalb des Gerichtssystems der Union das letztinstanzliche Gericht ist.


37      Vgl. entsprechend meine Schlussanträge in der Rechtssache EZB/Crédit lyonnais (C‑389/21 P, EU:C:2022:844, Nrn. 56 bis 58 und 62).


38      Vgl. hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (Urteil des Obersten Gerichtshofs)  (C‑516/22, EU:C:2023:857, Nr. 52).


39      Vgl. entsprechend Urteil vom 22. Januar 2013, Kommission/Tomkins (C‑286/11 P, EU:C:2013:29).


40      Hätte das Gericht das Klagebegehren des Parlaments gegenüber den drei anderen Beklagten im ersten Rechtszug vor dessen Vorbringen gegenüber NN geprüft, wäre die Widersprüchlichkeit des angefochtenen Urteils nach Lage der Dinge noch offensichtlicher gewesen. In dieser Hinsicht bezweifle ich, dass das Gericht gegenüber NN zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen wäre.