Language of document : ECLI:EU:T:2020:255

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

10. Juni 2020(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Anhängevorrichtung zur Verbindung von Kühl- oder Klimaanlagen mit einem Kraftfahrzeug darstellt – Einziger Antrag auf Abänderung – Konkludenter Antrag auf Nichtigerklärung – Zulässigkeit – Nichtigkeitsgrund – Nichterfüllung der Schutzvoraussetzungen – Art. 4 bis 9 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Umfang der Prüfung durch die Beschwerdekammer – Stellungnahme der Beschwerdekammer zur Nichterfüllung einer Schutzvoraussetzung im Lauf des Verfahrens – Abweichende Schlussfolgerung in der angefochtenen Entscheidung – Begründungspflicht – Art. 62 und Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑100/19,

L. Oliva Torras, S.A., mit Sitz in Manresa (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen E. Sugrañes Coca und D. Caballero Pérez,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch J. Crespo Carrillo und H. O’Neill als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Mecánica del Frío, S.L., mit Sitz in Cornellá de Llobregat (Spanien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Torras Toll,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 19. November 2018 (Sache R 1397/2017‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen L. Oliva Torras und Mecánica del Frío

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira sowie des Richters D. Gratsias (Berichterstatter) und der Richterin M. Kancheva,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund der am 19. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 24. Mai 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 20. Mai 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der am 14. November 2019 ergangenen Entscheidung, die Rechtssachen T‑100/19 und T‑629/19 nicht zu verbinden,

auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2020

folgendes

Urteil

I.      Sachverhalt

1        Die Klägerin, die L. Oliva Torras, S.A., und die Streithelferin, die Mecánica del Frío, S.L., sind zwei Unternehmen, die auf dem Sektor für Sets für die Verbindung von Kühl- oder Klimasystemen mit Kraftfahrzeugen miteinander in Wettbewerb stehen.

2        Am 10. April 2013 meldete die Streithelferin beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

3        Das angemeldete Gemeinschaftsgeschmacksmuster (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster) wird wie folgt wiedergegeben:

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4        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Benutzung für die Erzeugnisse „Anhängevorrichtungen für Fahrzeuge“ in Klasse 12-16 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt.

5        Das angegriffene Geschmacksmuster wird in der Anmeldung beschrieben als Anhängevorrichtung von der Art, wie sie zur Verbindung von Kühl- und Klimaanlagen mit einem Kraftfahrzeug verwendet wird.

6        Es wurde am Anmeldetag unter der Nr. 2217588-0001 eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2013/075 vom 22. April 2013 veröffentlicht.

7        Am 22. August 2014 meldete die Klägerin ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an (Geschmacksmuster Nr. 2523746-0006, eingetragen am selben Tag und am 26. August 2014 veröffentlicht). Nach einem von der Streithelferin gestellten Antrag auf Nichtigerklärung, der auf das ältere Recht des angegriffenen Geschmacksmusters gestützt war, wurde das Geschmacksmuster Nr. 2523746-0006 mit Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 17. Juni 2016 wegen fehlender Neuheit und Eigenart für nichtig erklärt.

8        Am 15. März 2016 reichte die Klägerin einen Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

9        Sie stützte ihren Antrag auf Nichtigerklärung auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002, d. h., sie machte geltend, dass das angegriffene Geschmacksmuster die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfülle.

10      Die Klägerin untermauerte ihren Antrag auf Nichtigerklärung damit, dass ein als Element „KC11 080 242“ bezeichnetes älteres Geschmacksmuster für ein Verbindungs-Set existiere und reichte eine Wiedergabe in Form einer digitalen „Darstellung“ dieses Elements (Abbildung A) sowie eine Fotografie, die ihren Angaben zufolge diesem Element entsprechen soll (Abbildung B) zu den Akten.

11      Mit Entscheidung vom 10. Mai 2017 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung zurück. Insbesondere war sie der Auffassung, dass das einzige Geschmacksmuster, dessen frühere Offenbarung nachgewiesen worden sei, nämlich das auf Abbildung A dargestellte, angesichts der zwischen diesem Geschmacksmuster und dem angegriffenen Geschmacksmuster bestehenden Unterschiede nicht geeignet sei, die Neuheit und die Eigenart des Letztgenannten in Frage zu stellen.

12      Am 27. Juni 2017 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 bei der Beschwerdekammer Beschwerde ein. Über die Abbildungen A und B hinaus reichte die Klägerin die ihrer Website entnommene schematische Zeichnung des Elements „KC11 080 242“ (Abbildung C) zu den Akten.

13      Am 16. Mai 2018 richtete die Beschwerdekammer auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eine Mitteilung an die Beteiligten (im Folgenden: Mitteilung vom 16. Mai 2018), wonach sich aus dem Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt ergebe, dass das angegriffene Geschmacksmuster sich auf ein Erzeugnis beziehe, das ein Bauelement (nämlich ein Anschlussstück) eines komplexen Erzeugnisses (nämlich des aus Motor/Kupplungselement/Kompressor bestehenden Aggregats) darstelle, das nach seiner Einfügung in das komplexe Erzeugnis bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung nicht mehr sichtbar sei. Die Beschwerdekammer zog hieraus den Schluss, dass das angegriffene Geschmacksmuster deshalb nicht im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 als neu gelte oder Eigenart habe und somit aufgrund des Verstoßes gegen diesen Art. 4 für nichtig zu erklären sei.

14      Auf Aufforderung der Beschwerdekammer nahmen die Streithelferin und die Klägerin am 16. Juli bzw. am 17. September 2018 zum Inhalt der Mitteilung vom 16. Mai 2018 Stellung.

15      Mit Entscheidung vom 19. November 2018 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer die Beschwerde aus den nachfolgend wiedergegebenen Gründen zurück. Erstens sei die Klägerin entgegen der Auffassung der Streithelferin dahin zu verstehen, dass sie die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters mit der Begründung beantrage, dass es nicht den in den Art. 5, 6, 8 und 9 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Voraussetzungen genüge, und dass sie – die Beschwerdekammer – daher jede dieser Voraussetzungen im Hinblick auf die vorgebrachten Angriffsmittel zu prüfen habe. Zweitens wies sie die Rüge, mit der eine fehlende Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters geltend gemacht wurde, zurück. Insoweit vertrat sie die Ansicht, dass nur die Offenbarung des auf Abbildung A wiedergegebenen Geschmacksmusters nachgewiesen sei und dass dieses und das angegriffene Geschmacksmuster evidente Unterschiede aufwiesen. Drittens wies sie die Rüge, mit der die fehlende Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters geltend gemacht wurde, zurück. Viertens stellte sie fest, dass sie, da die Klägerin nichts in Bezug auf die in den Art. 8 und 9 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Ausschlussgründe für den Schutz des angegriffenen Geschmacksmusters vorgebracht habe, deren Antrag auf Nichtigerklärung, soweit er auf diese Vorschriften gestützt sei, im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 63 Abs. 1 dieser Verordnung zurückweisen müsse. Mit der Frage der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf den vorliegenden Fall, die Gegenstand der Mitteilung vom 16. Mai 2018 und der nachfolgenden Stellungnahmen der Parteien (oben, Rn. 13 bzw. 14) war, befasste sich die Beschwerdekammer in der Begründung der angefochtenen Entscheidung hingegen nicht.

II.    Anträge der Parteien

16      Die Klägerin beantragt formell,

–        „[A] die Schlussfolgerungen der Beschwerdekammer [zu dem angeführten Nichtigkeitsgrund] zu bestätigen und [festzustellen, dass] das Nichtigkeitsverfahren [auf die] Nichtigkeitsgründe eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf die Art. 4 bis 9 (,Schutzvoraussetzungen‘) der Verordnung [Nr. 6/2002 gestützt ist]“;

–        „[B] den Vergleich unter Berücksichtigung aller vorgelegten Beweise und der besonderen Umstände des vorliegenden Falles durchzuführen“;

–        „[C] [das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären], da es mit dem … im Verkehr verwendeten Geschmacksmuster fast identisch sei und daher aus einer beinahe identischen[, von der Klägerin] nicht genehmigten Imitation dieses Geschmacksmusters bestehe …“;

–        „[D] das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Hinblick auf die früher von [der Klägerin offenbarten] Geschmacksmuster für nichtig zu erklären …“;

–        „[E] das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären, da es unter das Verbot nach Art. 8 Abs. 1 und 2 [der Verordnung Nr. 6/2002] falle, weil seine Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien, und da es unter das absolute Eintragungshindernis des Art. 4 [der Verordnung Nr. 6/2002] falle, weil es ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sei“;

–        „[F] die Entscheidung der Beschwerdekammer zu bestätigen[, soweit darin festgestellt worden sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoße]“;

–        „[G] die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen“.

17      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Streithelferin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung zu bestätigen;

–        der unterliegenden Partei die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zulässigkeit

19      Nach Ansicht des EUIPO enthält die Klageschrift Anträge, die auf die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung abzielten und die unzulässig seien. Im Übrigen habe das Gericht darüber zu befinden, ob aus dem Zusammenhang der Klageschrift abgeleitet werden könne, dass die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt werde, und folglich, ob die auf ihre Abänderung gerichteten Anträge für zulässig erklärt werden könnten. In der mündlichen Verhandlung hat das EUIPO festgestellt, dass der von der Klägerin in ihren mündlichen Ausführungen vorgebrachte Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht in der Klageschrift enthalten sei.

20      In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts klargestellt, dass sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insgesamt, einschließlich der darin enthaltenen Feststellungen zur Anwendung der Art. 8 und 9 der Verordnung Nr. 6/2002, beantrage.

21      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 der Gerichtshof die Entscheidungen der Beschwerdekammern nur aufheben oder abändern kann. Dagegen steht es ihm nicht zu, Feststellungsurteile zu erlassen, so dass ein hierauf gerichteter Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. Juni 2017, Aydin/EUIPO – Kaporal Groupe [ROYAL & CAPORAL], T‑95/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:388, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Klägerin in dem von ihr mit „Anträge“ überschriebenen Teil der Klageschrift eine Reihe von sieben Begehren aufgezählt hat, die von A bis G geordnet sind, deren Inhalt oben in Rn. 16 wiedergegeben worden ist.

23      Zum einen ist festzustellen, dass unter diesen verschiedenen Begehren klar und eindeutig ein Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters durch das Gericht und ein im Wesentlichen auf die Verurteilung des EUIPO und der Streithelferin zur Kostentragung gerichteter Antrag enthalten sind.

24      Zum anderen ist festzustellen, dass die weiteren in dem mit „Anträge“ überschriebenen Teil der Klageschrift aufgeführten Begehren der Klägerin in Wirklichkeit keine eigentlichen Anträge darstellen. Insbesondere ergibt sich aus der Formulierung der Punkte A bis F dieses Teils der Klageschrift sowie aus dem Wiederaufgreifen dieser Aufzählung in alphabetischer Reihenfolge im Teil „Klagegründe und Argumente“ der Klageschrift, dass die Klägerin darin die Begründungsschritte nennt, die das Gericht in der Begründung des zu erlassenden Urteils vornehmen soll und die ihr zufolge zur Erklärung der Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters führen sollen.

25      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen erklärt hat, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insgesamt zu beantragen.

26      Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen und Erläuterungen sind die Anträge in der Klageschrift wie folgt auszulegen.

27      Als Erstes ergibt sich aus den oben in den Rn. 22 bis 24 getroffenen Feststellungen, dass die Klägerin keine Anträge gestellt hat, die auf den Erlass eines Feststellungsurteils durch das Gericht im Sinne der oben in Rn. 21 angeführten Rechtsprechung gerichtet sind. Mit ihrem Begehren, das Gericht möge die angefochtene Entscheidung in bestimmten Punkten bestätigen oder den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster unter Berücksichtigung aller vorgelegten Beweismittel und der Umstände des vorliegenden Falles vornehmen, zielt die Klägerin nämlich, wie oben in Rn. 24 ausgeführt worden ist, auf die Gründe des zu erlassenden Urteils ab, nicht aber auf die im Tenor dieses Urteils zu verkündende Entscheidung. Folglich kann dem Vorbringen des EUIPO, das auf die Zurückweisung dieses Begehrens als unzulässig gerichtet ist, nicht gefolgt werden.

28      Außerdem ist im Hinblick auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, wie die Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, das von ihr in Punkt F des Teils „Anträge“ der Klageschrift vorgebrachte Begehren, dass das Gericht – in ihren Worten – die Entscheidung der Beschwerdekammer „bestätigen“ möge, soweit darin festgestellt worden sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoße, nicht wörtlich zu verstehen ist. Da nämlich im vorliegenden Fall die Beschwerdekammer die Anwendung dieser Vorschrift gerade ausgeschlossen hat, ist dieses auf „Bestätigung“ gerichtete Begehren in Wirklichkeit trotz seiner Formulierung als Vorbringen eines Klagegrundes auszulegen, mit dem ein Beurteilungsfehler geltend gemacht wird, soweit die Beschwerdekammer nicht der Auffassung gewesen ist, dass dieses Geschmacksmuster nicht gegen die Bestimmungen dieser Vorschrift verstieß.

29      Als Zweites ist in Bezug auf den Antrag in der Klageschrift, die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters zu erklären, festzustellen, dass dieser in Wirklichkeit darauf abzielt, dass das Gericht die Entscheidung treffen soll, die nach Auffassung der Klägerin die Beschwerdekammer hätte erlassen sollen, als sie mit dem Fall befasst war. Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002 kann die Beschwerdekammer nämlich, nachdem sie die vor ihr angefochtene Entscheidung aufgehoben hat, im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle des EUIPO tätig werden, die diese Entscheidung erlassen hat, im vorliegenden Fall also die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters erklären. Folglich gehört diese Maßnahme zu denen, die das Gericht aufgrund seiner in Art. 61 Abs. 3 dieser Verordnung verankerten Abänderungsbefugnis treffen kann (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 27. Februar 2014, Advance Magazine Publishers/HABM – Nanso Group [TEEN VOGUE], T‑509/12, EU:T:2014:89, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Außerdem ist zwar die Klägerin grundsätzlich nicht berechtigt, den ursprünglichen Gegenstand der Klageschrift abzuändern, indem sie diese Anträge auf Abänderung durch erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Anträge auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ersetzt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 27. Januar 2000, Mulder u. a./Rat und Kommission, C‑104/89 und C‑37/90, EU:C:2000:38, Rn. 47, und vom 21. April 2005, Holcim [Deutschland]/Kommission, T‑28/03, EU:T:2005:139, Rn. 45).

31      Jedoch ist im Hinblick auf den Inhalt der Klageschrift, wie die Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigen, davon auszugehen, dass der Abänderungsantrag der Klägerin konkludent einen Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM – Puma [Springende Raubkatze], T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gericht wird im Rahmen der Begründetheitsprüfung der Klage, falls einer der Klagegründe der Klageschrift begründet sein sollte, zu entscheiden haben, ob dieser Klagegrund es ihm erlaubt, die angefochtene Entscheidung auf der Grundlage der erwiesenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände abzuändern, oder ob dieser Klagegrund im Gegenteil nur zur Aufhebung dieser Entscheidung führen kann (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 26. September 2014, Koscher + Würtz/HABM – Kirchner & Wilhelm [KW SURGICAL INSTRUMENTS], T‑445/12, EU:T:2014:829, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Daher ist festzustellen, dass die Klägerin zum einen beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und zum anderen, sie abzuändern, indem die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters erklärt wird, und dass diese Anträge zulässig sind.

B.      Begründetheit

33      Zur Begründung ihrer Klage bringt die Klägerin im Wesentlichen sechs Klagegründe vor. Mit dem ersten Klagegrund macht sie geltend, dass das Nichtigkeitsverfahren auf die in den Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Nichtigkeitsgründe gestützt und jeder dieser Gründe zu prüfen sei. Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Beurteilungsfehler gerügt, der der Beschwerdekammer unterlaufen sein soll, indem sie festgestellt hat, dass die frühere Offenbarung eines Geschmacksmusters nur in Bezug auf Abbildung A nachgewiesen sei. Der dritte und der vierte Klagegrund beziehen sich auf Beurteilungsfehler, die die Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters  bzw. seine fehlende Eigenart betreffen. Mit dem fünften Klagegrund werden ein Begründungsmangel und Beurteilungsfehler der Beschwerdekammer in Bezug auf das Vorliegen von Ausschlussgründen für den Schutz für das angegriffene Geschmacksmuster geltend gemacht. Er besteht aus zwei Teilen: Erstens habe die Beschwerdekammer sich nicht zum Ausschluss des Schutzes für dieses Geschmacksmuster geäußert, der sich gemäß den Bestimmungen des Art. 8 der Verordnung Nr. 6/2002 daraus ergebe, dass sein Erscheinungsbild ausschließlich durch seine technische Funktion bestimmt werde, und zweitens habe es die Beschwerdekammer unterlassen, es auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung für nichtig zu erklären, weil es ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstelle, das nach seiner Einfügung in dieses nicht mehr sichtbar sei. Der sechste Klagegrund bezieht sich im Wesentlichen auf einen Beurteilungsfehler, der der Beschwerdekammer unterlaufen sein soll, indem sie die bei ihr anhängige Beschwerde zurückgewiesen habe, soweit sie auf Art. 9 der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt gewesen sei.

1.      Zum ersten Klagegrund: Rechtsfehler der Beschwerdekammer, soweit sich diese trotz ihrer Erwägungen, wonach das Nichtigkeitsverfahren auf die in den Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmten Voraussetzungen gestützt gewesen sei, geweigert habe, einige dieser Voraussetzungen zu prüfen

34      Die Klägerin trägt vor, die Beschwerdekammer habe in den Rn. 18 bis 23 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass ihr Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit mit Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 28 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28) in Einklang stehe. Sie ersucht das Gericht darum, diese Feststellungen zu bestätigen und jeden der in den Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Nichtigkeitsgründe zu prüfen.

35      Das EUIPO gibt hierzu keine Erklärungen ab. Die Streithelferin beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

36      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Streithelferin vor der Beschwerdekammer vorgetragen hat, die Klägerin habe die fehlende Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters auf der Grundlage von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend gemacht, nicht aber das Fehlen von Eigenart gemäß Art. 6 dieser Verordnung. Aus diesem Grund hat die Beschwerdekammer im ersten Teil der Begründung der angefochtenen Entscheidung die Frage des Umfangs des Antrags der Klägerin auf Nichtigerklärung und folglich die des Umfangs ihrer eigenen Prüfung untersucht.

37      In den Rn. 18 bis 23 der angefochtenen Entscheidung, auf die die Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes Bezug nimmt, hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass der in Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 genannte Nichtigkeitsgrund, der im Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung geltend gemacht worden war, d. h. die Tatsache, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 erfüllt, nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ein eigenständiger und unteilbarer Nichtigkeitsgrund sei, der alle diese Voraussetzungen umfasse. Daher impliziere dieser Antrag auf Nichtigerklärung, dass das angegriffene Geschmacksmuster nach Auffassung der Klägerin keine der Voraussetzungen der Art. 5, 6, 8 und 9 erfülle und dass sie gemäß den Bestimmungen von Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 jede dieser Voraussetzungen unter Berücksichtigung des Vorbringens zu prüfen habe.

38      Allerdings hat die Beschwerdekammer, während sie in der Sache geprüft hat, ob die Voraussetzungen der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002, nämlich die Neuheit und die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters, im vorliegenden Fall erfüllt waren, die Auffassung vertreten, dass sie gemäß Art. 63 Abs. 1 dieser Verordnung den Antrag auf Nichtigerklärung, soweit er sich auf die Art. 8 und 9 dieser Verordnung stützte, zurückzuweisen hatte, weil die Klägerin keinerlei Argumente in Bezug auf die Voraussetzungen dieser Art. 8 und 9 vorgebracht habe. Sie hat also nicht geprüft, ob das angegriffene Geschmacksmuster diese Voraussetzungen erfüllte. Darüber hinaus hat sie in der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht auf die Frage der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Bezug genommen.

39      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im Rahmen dieses Klagegrundes nicht ausdrücklich den einen oder den anderen dieser Teile der angefochtenen Entscheidung gerügt oder einen Fehler der Beschwerdekammer geltend gemacht. Sie ersucht jedoch das Gericht, die einleitenden Erwägungen der Beschwerdekammer, die oben in Rn. 37 dargelegt worden sind, zu bestätigen und jede der Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 zu prüfen. Sie ist daher dahin zu verstehen, dass sie konkludent einen Rechtsfehler der Beschwerdekammer geltend macht, soweit diese trotz dieser einleitenden Erwägungen nicht jede der genannten Voraussetzungen geprüft hat.

40      Insoweit ist festzustellen, dass die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 durch die Beschwerdekammer in den Rn. 18 bis 23 der angefochtenen Entscheidung schwer mit den Schlussfolgerungen in den Rn. 66 und 68 dieser Entscheidung zu vereinbaren ist, wonach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung ihr verbiete, sich zur Anwendung der Art. 8 und 9 der Verordnung zu äußern, da die Klägerin in Bezug auf die Nichtbeachtung dieser Vorschriften nichts vorgebracht habe.

41      Ausgehend von der Prämisse der Beschwerdekammer, wonach die Klägerin im Rahmen ihres Antrags auf Nichtigerklärung, soweit er auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt ist, notwendigerweise sämtliche Voraussetzungen der Art. 5, 6, 8 und 9 dieser Verordnung geltend macht, müsste logischerweise gefolgert werden, dass die Beschwerdekammer in der Sache diese Voraussetzungen zu prüfen hat. Bei einer solchen Gestaltung ist nämlich davon auszugehen, dass die Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung die Nichteinhaltung jeder dieser Voraussetzungen als Vorbringen geltend gemacht hat.

42      Außerdem ist die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 durch die Beschwerdekammer auch schwer mit der Tatsache zu vereinbaren, dass sie nur die Art. 5, 6, 8 und 9 dieser Verordnung als Voraussetzungen nennt, deren Nichteinhaltung die Klägerin ihrer Auffassung nach geltend machen wollte, und es versäumt, insoweit die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung zu erwähnen. Wie oben in Rn. 38 dargestellt worden ist, hat die Beschwerdekammer zudem nicht ausdrücklich auf die Frage der Anwendung der letztgenannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall Bezug genommen, während sie die Frage der Anwendung der in den Art. 5, 6, 8 und 9 festgelegten Voraussetzungen geprüft hat, um die Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.

43      Zum einen ist aber festzustellen, dass im Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ausdrücklich von den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung gesprochen wird, ohne Art. 4 Abs. 2 und 3 auszunehmen. Zum anderen führen die letztgenannten Bestimmungen wesentliche Voraussetzungen für den Schutz eines Geschmacksmusters auf, die sich speziell auf ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Verordnung beziehen und zum einen die Sichtbarkeit dieses Bauelements nach seiner Einfügung in das fragliche komplexe Erzeugnis bei bestimmungsgemäßer Verwendung und zum anderen die Neuheit und die Eigenart der sichtbaren Merkmale dieses Bauelements betreffen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 63, und vom 9. September 2014, Biscuits Poult/HABM – Banketbakkerij Merba [Biscuit], T‑494/12, EU:T:2014:757, Rn. 20 und 21).

44      Die Beschwerdekammer hätte folglich aus ihrer Auslegung des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 den logischen Schluss ziehen müssen, dass die Klägerin sich zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung nicht nur auf die Art. 5, 6, 8 und 9 dieser Verordnung berufen wollte, sondern auch auf deren Art. 4 Abs. 2 und 3.

45      Allerdings können diese Fehler nur dann dazu führen, dem vorliegenden Klagegrund stattzugeben, wenn die in den Rn. 18 bis 23 der angefochtenen Entscheidung wiedergegebene Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 selbst frei von Fehlern ist, was im Folgenden zu prüfen ist. Der Prüfung bedarf insoweit zum einen, ob der Gesetzgeber, wie die Beschwerdekammer behauptet, dem in diesen Bestimmungen vorgesehenen Nichtigkeitsgrund ausdrücklich einen unteilbaren Charakter verleihen wollte, und zum anderen, inwieweit die Bestimmungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung, wonach die Prüfung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt ist, den Umfang der Prüfung dieses Nichtigkeitsgrundes durch die Dienststellen des EUIPO beschränken.

a)      Zur Frage, ob der Gesetzgeber dem Nichtigkeitsgrund nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 einen unteilbaren Charakter geben wollte

46      Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 en Geschmacksmuster für nichtig zu erklären ist, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt. Nach Art. 52 Abs. 1 dieser Verordnung kann vorbehaltlich ihres Art. 25 Abs. 2, 3, 4 und 5 jede natürliche oder juristische Person sowie eine hierzu befugte Behörde beim EUIPO einen Antrag auf Nichtigerklärung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters stellen. Nach Art. 53 Abs. 1 dieser Verordnung prüft das EUIPO, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antrag zulässig ist, ob die in Art. 25 genannten Nichtigkeitsgründe der Aufrechterhaltung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters entgegenstehen.

47      Sodann deuten die Überschrift von Art. 25 („Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung Nr. 6/2002, sowie die Bezugnahmen in dessen Abs. 2 auf den „Nichtigkeitsgrund gemäß Absatz 1 Buchstabe c)“ und in seinem Abs. 4 auf den „Nichtigkeitsgrund gemäß Absatz 1 Buchstabe g)“ darauf hin, dass jeder der in Art. 25 Abs. 1 abschließend aufgeführten Nichtigkeitsgründe einen eigenständigen Nichtigkeitsgrund darstellt.

48      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Art. 28 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2245/2002 u. a. bestimmt:

„(1)      Der Antrag beim Amt auf Nichtigerklärung gemäß Art. 52 der Verordnung … Nr. 6/2002 muss folgende Angaben enthalten:

b)      in Bezug auf die Gründe für den Antrag:

i)      die Angabe der Nichtigkeitsgründe, auf die sich der Antrag stützt;

v)      wird der Antrag auf Nichtigerklärung damit begründet, dass das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster die Erfordernisse gemäß Artikel 5 und 6 der Verordnung … Nr. 6/2002 nicht erfüllt, die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster, die schädlich für die Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein könnten, sowie Unterlagen, die die Existenz dieser älteren Muster belegen;

vi)      die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen;“

49      Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich also, dass ein auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützter Antrag auf Nichtigerklärung, sofern er mit den Anforderungen von Art. 28 der Verordnung Nr. 2245/2002, insbesondere dessen Abs. 1 Buchst. b, in Einklang steht, den Dienststellen des EUIPO grundsätzlich die Befugnis verleiht, unter Berücksichtigung der zur Begründung dieses Antrags vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zu prüfen, ob das Gemeinschaftsgeschmacksmuster sämtliche Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung erfüllt.

50      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer fehlerfrei festgestellt, dass der Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung unter Verwendung eines Formulars gestellt wurde, das u. a. eine Rubrik mit dem Titel „Gründe“ enthält, in der die Klägerin das Kästchen für den folgenden Text angekreuzt hat: „das angefochtene Gemeinschaftsgeschmacksmuster erfüllt nicht die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der [Verordnung Nr. 6/2002]“. Die Nichtigkeitsabteilung und die Beschwerdekammer waren somit grundsätzlich zu der Prüfung befugt, ob das angegriffene Geschmacksmuster unter Berücksichtigung der von der Klägerin zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen diesen Voraussetzungen genügte.

51      Allerdings folgt hieraus nicht, dass die Bestimmungen des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 dahin ausgelegt werden müssen, dass das EUIPO immer dann, wenn es mit einem auf diese Vorschrift gestützten Antrag auf Nichtigerklärung befasst ist, aufgrund dieses Antrags systematisch prüft, ob das angegriffene Geschmacksmuster sämtliche Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung erfüllt.

52      Zwar zielt Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 nach seinem Wortlaut auf den Fall ab, dass das angegriffene Geschmacksmuster „die Voraussetzungen der Artikel 4 bis 9“ nicht erfüllt, und nicht auf den Fall, dass es eine oder mehrere dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, was darauf hindeuten könnte, dass diese Voraussetzungen allgemein und unterschiedslos in ihrer Gesamtheit zu prüfen sind.

53      Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer unionsrechtlichen Vorschrift kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für deren Auslegung liefern (vgl. Urteil vom 20. Dezember 2017, Acacia und D’Amato, C‑397/16 und C‑435/16, EU:C:2017:992, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Was im vorliegenden Fall zum einen den Kontext betrifft, ist festzustellen, dass die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 kumulativ sind, so dass die Nichterfüllung bereits einer einzigen von ihnen zur Nichtigkeit des betreffenden Geschmacksmusters führen kann.

55      So wird nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ein Geschmacksmuster nur dann durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, wenn es neu ist und Eigenart hat. Ist eine dieser Voraussetzungen, deren Anwendungskriterien in Art. 5 bzw. Art. 6 dieser Verordnung definiert sind, nicht erfüllt, kann folglich das betreffende Geschmacksmuster nicht geschützt werden und ist daher auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung für nichtig zu erklären, ohne dass geprüft zu werden brauchte, ob die andere Voraussetzung erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Mai 2019, Zott/EUIPO – TSC Food Products [Rechteckiger Fertigkuchen], T‑517/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:323, Rn. 60).

56      In gleicher Weise stehen die spezifischen Voraussetzungen für den Schutz eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters für ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses, die in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 genannt sind, wenn keines der Merkmale des Bauelements diese Voraussetzungen erfüllt, bereits für sich genommen der Aufrechterhaltung eines Geschmacksmusters im Anwendungsbereich dieser Vorschrift entgegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Januar 2015, Aic/HABM – ACV Manufacturing [Wärmetauscher-Inserts], T‑616/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:30, Rn. 21, und vom 20. Januar 2015, Aic/HABM – ACV Manufacturing [Wärmetauscher-Inserts], T‑617/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:32, Rn. 21).

57      Eine entsprechende Feststellung ist zu treffen, was die in Art. 8 Abs. 1, 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgeführten Ausschlussgründe für den Schutz des Gemeinschaftsgeschmacksmusters betrifft, die zum einen auf den Umstand abstellen, dass die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, und zum anderen darauf, dass diese Erscheinungsmerkmale zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, um der Verbindung mit anderen Erzeugnissen zu dienen.

58      Was schließlich die Bestimmungen von Art. 9 der Verordnung Nr. 6/2002 betrifft, wonach ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht an einem Geschmacksmuster besteht, wenn dieses gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt, ergibt sich ohne Weiteres aus deren Wortlaut, dass sie ein spezifisches Allgemeininteresse verfolgen, das von dem den Art. 4 bis 8 dieser Verordnung zugrunde liegenden unabhängig ist, und deshalb einem Schutz eines solchen diesem Allgemeininteresse zuwiderlaufenden Geschmacksmusters entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 15. März 2018, La Mafia Franchises/EUIPO – Italien [La Mafia SE SIENTA A LA MESA], T‑1/17, EU:T:2018:146, Rn. 25).

59      Im Übrigen erfordern die Bestimmungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 die Anwendung unterschiedlicher rechtlicher Kriterien (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. März 2018, Gifi Diffusion/EUIPO – Crocs [Fußbekleidung], T‑424/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:136, Rn. 48).

60      So ergibt sich insbesondere aus den Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 6/2002, dass die Anwendung der relevanten rechtlichen Kriterien für die Beurteilung sowohl der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters als auch seiner Eigenart die Existenz eines oder mehrerer älterer Geschmacksmuster voraussetzt, deren Offenbarung der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren nachzuweisen hat. Insoweit ist, wie oben in Rn. 48 ausgeführt worden ist, Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 zu entnehmen, dass ein Antrag auf Nichtigerklärung, wenn er mit dem Verstoß gegen die in den Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Voraussetzungen begründet wird, die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster, die schädlich für die Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein könnten, sowie Unterlagen, die die Existenz dieser älteren Muster belegen, enthalten muss.

61      Die Existenz eines solchen älteren Geschmacksmusters und die hierauf bezogenen Beweisanforderungen sind hingegen für die Beurteilung, ob die Merkmale eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses gemäß den Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 sichtbar sind, nicht erforderlich. Dies gilt auch für die Beurteilung, ob die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind oder ob sie zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit dieses Erzeugnis mit einem anderen Erzeugnis verbunden werden kann, gemäß den Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 bzw. Art. 8 Abs. 2 und 3, dieser Verordnung. Außerdem sind diese Anforderungen für die Anwendung der in Art. 9 dieser Verordnung enthaltenen Voraussetzung unerheblich.

62      Die in den Rn. 54 bis 61 dargelegte Analyse wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die jeweils in Art. 4 Abs. 2 und 3, in Art. 8 Abs. 1 bzw. in Art. 8 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Voraussetzungen dem Schutz nur eines oder mehrerer Merkmale des Erzeugnisses, das Gegenstand des angegriffenen Geschmacksmusters ist, oder seines Erscheinungsbildes entgegenstehen können und dass in diesem Fall zu prüfen ist, ob die anderen Merkmale, die nicht vom Schutz ausgeschlossen sind, die erforderliche Neuheit oder Eigenart aufweisen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 9. September 2011, Kwang Yang Motor/HABM – Honda Giken Kogyo [Verbrennungsmotor], T‑10/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:446, Rn. 19, und vom 21. Mai 2015, Senz Technologies/HABM – Impliva [Regenschirme], T‑22/13 und T‑23/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:310, Rn. 101).

63      In diesem Fall ist nämlich die Frage, ob diese Voraussetzungen dem Schutz eines oder mehrerer Merkmale des Erzeugnisses, das Gegenstand des angegriffenen Geschmacksmusters ist, oder seiner Erscheinungsmerkmale entgegenstehen, zu klären, bevor über die Neuheit oder die Eigenart der nicht von diesen Voraussetzungen betroffenen Merkmale entschieden werden kann, und stellt somit eine Vorfrage dar (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 12. Mai 2016, mobile.international/EUIPO – Rezon [mobile.de], T‑322/14 und T‑325/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:297, Rn. 76, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil vom 28. Februar 2018, mobile.de/EUIPO, C‑418/16 P, EU:C:2018:128, Rn. 88). Diese Vorfrage muss dann Gegenstand einer gesonderten Prüfung sein, die von der Prüfung der Neuheit und Eigenart der anderen Merkmale des betreffenden Erzeugnisses oder seiner Erscheinung unabhängig ist (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 9. September 2011, Verbrennungsmotor, T‑10/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:446, Rn. 19 und 20).

64      Was zum anderen die Ziele von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 betrifft, ist festzustellen, dass das Nichtigkeitsverfahren, wie die Kommission in den Erläuterungen zu ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 3. Dezember 1993 (ABl. 1994, C 29, S. 20), in Bezug auf die Art. 56 bis 58 dieses Vorschlags (jetzt Art. 52 bis 54 der Verordnung Nr. 6/2002) ausgeführt hatte, das grundlegende Instrument für die Dienststellen des EUIPO bildet, um die Rechtsgültigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach seiner Eintragung zu kontrollieren.

65      Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 spielt somit eine entscheidende Rolle für die Verwirklichung dieses Ziels, da er den Dienststellen des EUIPO die Befugnis verleiht, im Rahmen eines einzigen Antrags auf Nichtigerklärung die Erfüllung der in den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung festgelegten wesentlichen Schutzvoraussetzungen des Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu kontrollieren.

66      Die Wirksamkeit des Nichtigkeitsverfahrens verlangt allerdings nicht, dass die Dienststellen des EUIPO, wenn sie mit einem auf dem Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 beruhenden Antrag auf Nichtigerklärung befasst sind, ipso facto und systematisch davon auszugehen hätten, dass sie mit der Nichterfüllung aller in den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen befasst seien.

67      Wie nämlich oben in den Rn. 54 bis 58 dargelegt worden ist, genügt es, dass das EUIPO ein angegriffenes Geschmacksmuster schon dann für nichtig erklären kann, wenn es in seiner Gesamtheit nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, und wird folglich das Ziel der Kontrolle der Gültigkeit dieses Geschmacksmusters erreicht, ohne dass es hierzu notwendig wäre, die übrigen Voraussetzungen zu prüfen.

68      In Anbetracht der Tatsache, dass diese Voraussetzungen unterschiedliche rechtliche Kriterien umsetzen, ist im Übrigen die Prüfung der zur Begründung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zum Nachweis dessen, dass eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, nicht notwendigerweise für die Prüfung von Belang, ob auch eine andere von ihnen nicht erfüllt ist. Darüber hinaus kann eine solche Prüfung vom EUIPO die Vornahme hochtechnischer Beurteilungen verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 67). Die Wirksamkeit des Nichtigkeitsverfahrens könnte daher untergraben werden, müsste das EUIPO selbst dann eine Prüfung sämtlicher dieser Voraussetzungen vornehmen, wenn die von den Beteiligten vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen nur für die Prüfung einer oder eines Teils dieser Voraussetzungen relevant wären.

69      Daher ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit dem Kontext und den Zielen dieser Bestimmung dahin auszulegen ist, dass er nicht zwangsläufig eine Prüfung der Einhaltung sämtlicher in den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfordert, sondern bedeuten kann, dass nach Maßgabe der von den Beteiligten vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen nur eine oder ein Teil dieser Voraussetzungen zu prüfen ist.

b)      Zur Frage, inwieweit die Bestimmungen von Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002 den Umfang der Prüfung des Nichtigkeitsgrundes nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung durch die Dienststellen des EUIPO begrenzen

70      Was die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002 betrifft, sind nach ständiger Rechtsprechung die entsprechenden Bestimmungen des Art. 95 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) dahin auszulegen, dass die Dienststellen des EUIPO ihre Entscheidung im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens nur auf die relativen Eintragungshindernisse, auf die sich der betreffende Beteiligte berufen hat, und nur auf die von den Beteiligten hierzu vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel stützen dürfen. Dies schließt allerdings insbesondere nicht aus, dass die Dienststellen des EUIPO neben den von den Beteiligten des Widerspruchsverfahrens ausdrücklich vorgebrachten Tatsachen allgemein bekannte Tatsachen berücksichtigen können, und auch nicht, dass sie eine Rechtsfrage prüfen, obwohl diese von den Beteiligten nicht aufgeworfen worden ist, wenn die Entscheidung dieser Frage notwendig ist, um eine fehlerfreie Anwendung der einschlägigen Bestimmungen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2018, Apple and Pear Australia und Star Fruits Diffusion/EUIPO – Pink Lady America [WILD PINK], T‑164/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:678, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Diese Rechtsprechung gilt mutatis mutandis für den Umfang der Prüfung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002, die die Dienststellen des EUIPO im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens im Bereich der Gemeinschaftsgeschmacksmuster vornehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2018, Mamas and Papas/EUIPO – Wall-Budden [Nestchen für Kinderbetten], T‑672/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:707, Rn. 31, 32 und 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit hat der Gerichtshof insbesondere darauf hingewiesen, dass der Antragsteller, wenn er sich im Nichtigkeitsverfahren auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 beruft, darzulegen hat, dass das angegriffene Geschmacksmuster die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt (Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 60).

72      Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdekammer also im Hinblick auf die zur Begründung des Antrags der Klägerin auf Nichtigerklärung vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu bestimmen, welche Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 es waren, deren Nichterfüllung konkret geltend gemacht wurde und die sie, gegebenenfalls unter Berücksichtigung allgemein bekannter Tatsachen und von den Beteiligten nicht aufgeworfener, aber für die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen erforderlicher Rechtsfragen, zu prüfen hatte.

73      Nach alledem ist die Beschwerdekammer zu Unrecht davon ausgegangen, die Klägerin habe, weil ihr Antrag auf Nichtigerklärung auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt war, die Nichterfüllung sämtlicher Anforderungen der Art. 5, 6, 8 und 9 dieser Verordnung durch das angefochtene Geschmacksmuster geltend machen wollen.

74      Folglich konnte die Beschwerdekammer entgegen der im Rahmen dieses Klagegrundes von der Klägerin offenbar vertretenen Auffassung nicht allein aus dem Grund verpflichtet sein, zu prüfen, ob das angegriffene Geschmacksmuster sämtliche Anforderungen der Art. 4 bis 9 der Verordnung Nr. 6/2002 erfüllte, weil ihr Antrag auf Nichtigerklärung auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung gestützt war.

75      Außerdem wirken sich die Tatsache, dass sich die Beschwerdekammer trotz ihrer Prämisse, wonach der Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 unteilbar sei, als für die Prüfung der Anwendung der Art. 8 und 9 dieser Verordnung in der Sache unzuständig erachtet hat, und die Tatsache, dass sie sich nicht zur Frage der Anwendung der in Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen geäußert hat, im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes nicht aus. Diese Prämisse ist nämlich, wie oben in Rn. 73 festgestellt worden ist, unzutreffend.

76      Der erste Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

77      Die Prüfung der Klage ist mit der Untersuchung des zweiten Teils des fünften Klagegrundes fortzusetzen.

2.      Zum zweiten Teil des fünften Klagegrundes, mit dem gerügt wird, dass die Beschwerdekammer das angegriffene Geschmacksmuster nicht auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig erklärt habe, da es ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstelle, das nach seiner Einfügung in das Erzeugnis nicht sichtbar sei

78      Die Klägerin verweist auf ihre Stellungnahme zu der Mitteilung vom 16. Mai 2018. Sie macht geltend, das angegriffene Geschmacksmuster falle als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses, das nach seiner Einfügung in dieses Erzeugnis bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung durch den Endbenutzer nicht sichtbar sei, unter die Definition des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 und müsse daher für nichtig erklärt werden. Da das Bauelement zwischen dem Motor des Fahrzeugs und der Kühlvorrichtung installiert werde und die Motorhaube dieses Fahrzeugs geschlossen sei, verschwinde dieses Bauelement vollständig aus dem Blickfeld des Endbenutzers, d. h. des Fahrers des Fahrzeugs. Diese Gesichtspunkte seien in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 und in den Ausführungen der Beteiligten im Verfahren angesprochen worden, die Beschwerdekammer habe aber auf diese Mitteilung und diese Ausführungen keinerlei Bezug genommen. Die Beschwerdekammer habe ihrer Begründungspflicht nicht genügt.

79      In Erwiderung auf dieses Vorbringen räumt das EUIPO ein, dass die Beteiligten mit der Mitteilung vom 16. Mai 2018 aufgefordert worden seien, sich zu der Frage zu äußern, ob das angegriffene Geschmacksmuster im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig zu erklären sei. Nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 216/96 der Kommission vom 5. Februar 1996 über die Verfahrensordnung vor den Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (ABl. 1996, L 28, S. 11) sei die Beschwerdekammer an die vom Berichterstatter an die Beteiligten gerichtete Mitteilung in Bezug auf die Frage, ob das angegriffene Geschmacksmuster gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig zu erklären sei, nicht gebunden. Da die Klägerin sich sowohl vor der Nichtigkeitsabteilung als auch vor der Beschwerdekammer nur auf Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 berufen habe, sei die Beschwerdekammer im Übrigen nicht befugt, im vorliegenden Fall über die Anwendung der Abs. 2 und 3 dieses Artikels zu entscheiden, da sie anderenfalls unter Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 der Verordnung den Streitgegenstand ändern würde. Schließlich sei der Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung, der in der fehlenden Angabe der Gründe liege, aus denen die Beschwerdekammer sich nicht zu dieser Frage geäußert habe, irrelevant, weil sie, wenn sie dies getan hätte, ultra petita entschieden hätte.

80      Die Streithelferin nimmt im Wesentlichen auf die im Rahmen des ersten Teils des fünften Klagegrundes vorgebrachten Argumente Bezug. Insoweit hatte sie ausgeführt, dass das dem angegriffenen Geschmacksmuster entsprechende Bauelement zu anderen Zwecken verwendet werden könne als zu dem, für den es hauptsächlich abgesetzt werde, wie sie im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens dargetan habe. Die mit diesem Bauelement verbundenen Erwartungen der Kunden der Klägerin seien insoweit unerheblich. Im Rahmen anderer möglicher Verwendungen oder Benutzungen des dem angegriffenen Muster entsprechenden Bauelements als den von der Klägerin geltend gemachten sei dieses Bauelement nicht notwendigerweise unsichtbar. Schließlich wiederholt die Streithelferin ihr bereits im Rahmen des ersten Teils des fünften Klagegrundes vorgebrachtes Argument, die Beschwerdekammer habe zu Recht festgestellt, dass das Verhalten der Klägerin, die vor Beginn des Nichtigkeitsverfahrens die Eintragung eines identischen Geschmacksmusters beantragt habe, widersprüchlich sei. Abschließend macht sie geltend, die Klägerin habe sich in ihrem Antrag auf Nichtigerklärung nicht auf Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 berufen; diese Bestimmungen, die nicht von Amts wegen zu prüfen seien, dürften nun nicht mehr geltend gemacht werden.

81      Mit dem vorliegenden Teil des fünften Klagegrundes werden im Wesentlichen zwei gesonderte Rügen geltend gemacht, nämlich zum einen ein Verstoß gegen die Begründungspflicht, da sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung nicht zu den in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Voraussetzungen geäußert habe, und zum anderen ein Beurteilungsfehler, da die Beschwerdekammer nicht festgestellt habe, dass die Anwendung dieser Voraussetzungen zur Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters führe. Diese Rügen sind somit getrennt zu prüfen.

a)      Zur ersten Rüge: Verstoß gegen die Begründungspflicht, da sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung nicht zu den in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Voraussetzungen geäußert habe

82      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des EUIPO nach Art. 62 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 mit Gründen zu versehen sind. Diese Begründungspflicht hat dieselbe Tragweite wie die nach Art. 296 AEUV (vgl. Urteil vom 29. November 2018, Sata/EUIPO – Zhejiang Auarita Pneumatic Tools [Farbspritzpistole], T‑651/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:855, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. Außerdem ist die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 166 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Der Urheber des angefochtenen Rechtsakts muss, auch wenn er in dessen Begründung nicht zu Gesichtspunkten von eindeutig untergeordneter Bedeutung Stellung zu nehmen oder mögliche Einwände vorwegzunehmen braucht, die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführen, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt. Ferner muss die Begründung folgerichtig sein und darf insbesondere keine inneren Widersprüche aufweisen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 169 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dagegen kann, da es sich bei der Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Frage der sachlichen Richtigkeit der Begründung zu entscheiden ist, die Begründung ausreichend sein, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält (vgl. Urteil vom 13. Juni 2017, Ball Beverage Packaging Europe/EUIPO – Crown Hellas Can [Getränkedosen], T‑9/15, EU:T:2017:386, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Mit der vorliegenden Rüge wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, sich nicht zu der Frage geäußert zu haben, ob sich das angegriffene Geschmacksmuster auf ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses beziehe, das nach seiner Einfügung in dieses Erzeugnis bei dessen bestimmungemäßer Verwendung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 sichtbar bleibe, obwohl diese Frage in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 und den nachfolgenden Bemerkungen der Beteiligten angesprochen worden sei.

86      Die Begründetheit dieser Rüge ist im Hinblick auf die oben in den Rn. 82 bis 84 wiedergegebenen Grundsätze zu prüfen.

87      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass, wie oben in Rn. 13 ausgeführt worden ist und wie aus dem Abschnitt „Zusammenfassung des Sachverhalts“ der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, im Rahmen der Prüfung der Beschwerde der Klägerin den Beteiligten die Mitteilung vom 16. Mai 2018 auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 übermittelt wurde. In dieser Mitteilung hieß es, dass das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären sei, weil die Voraussetzungen von Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht erfüllt seien, da das von diesem Geschmacksmuster erfasste Erzeugnis ein Bauelement (nämlich ein Anschlussstück) eines komplexen Erzeugnisses (nämlich des aus Motor/Kupplungselement/Kompressor bestehende Aggregats) darstelle, das nach seiner Einfügung in das komplexe Erzeugnis bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung nicht mehr sichtbar sei. Die Beschwerdekammer stellte nämlich fest, dass der Kompressor, der viel Raum einnehme, das fragliche Bauelement verdecke und dass das komplexe Erzeugnis selbst durch die Motorhaube des Fahrzeugs verdeckt werde, wenn diese geschlossen, d. h. in der normalen Position, sei.

88      Sodann ist festzustellen, dass, wie ebenfalls aus dem Abschnitt „Zusammenfassung des Sachverhalts“ der angefochtenen Entscheidung hervorgeht und oben in Rn. 14 wiedergegeben worden ist, die Beteiligten gemäß Art. 59 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgefordert worden sind, zu dieser Mitteilung im Nichtigkeitsverfahren Stellung zu nehmen, was sie am 16. Juli bzw. am 17. September 2018 getan haben. Die Streithelferin erläuterte im Wesentlichen, dass das den Gegenstand des angegriffenen Geschmacksmusters bildende Bauelement, das verwendet werde, um verschiedene Komponenten zu verbinden, und zwar nicht nur den Motor eines Fahrzeugs und einen Kompressor, nicht als Bestandteil eines komplexen Erzeugnisses angesehen werden könne und dass es bei seiner Verwendung normalerweise sichtbar sei. Die Klägerin dagegen behauptete, dass das fragliche Bauelement aufgrund seiner technischen Merkmale allein dafür bestimmt sei, eine Kühlanlage und den Motor eines Fahrzeugs zu verbinden und dass es folglich, wenn die Motorhaube geschlossen sei, vollständig aus dem Blickfeld des Nutzers verschwinde.

89      Schließlich hat die Beschwerdekammer im Abschnitt „Entscheidungsgründe“ keinerlei Bezug auf die Mitteilung vom 16. Mai 2018 und die anschließenden Stellungnahmen der Beteiligten genommen, und insbesondere nicht angegeben, welche Schlussfolgerungen sie aus dieser Mitteilung und den Stellungnahmen ziehe. Wie bereits mehrmals festgestellt worden ist, hat sie die Frage der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002, unabhängig von irgendeiner Bezugnahme auf die Mitteilung und die Stellungnahmen, auch nicht selbst angesprochen (siehe oben, Rn. 15, 38, 42 bis 44 und 75).

90      Allerdings kann die Begründung des angefochtenen Rechtsakts auch implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe für die angefochtene Entscheidung zu erfahren, und dem zuständigen Gericht ausreichende Angaben an die Hand gibt, damit es seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Nicht ausdrücklich erklärte Gründe können daher berücksichtigt werden, wenn sie sowohl für die Betroffenen als auch für den Unionsrichter offenkundig sind (vgl. Urteil vom 14. März 2018, Fußbekleidung, T‑424/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:136, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Somit ist zu prüfen, ob sich der Standpunkt der Beschwerdekammer zur Frage der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall nicht implizit aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung ableiten lässt.

92      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Mitteilung vom 16. Mai 2018 – wie ihrem Inhalt zu entnehmen ist – die Schlussfolgerung enthielt, dass das angegriffene Geschmacksmuster gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig zu erklären sei.

93      Daraus, dass der Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung mit der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis zurückgewiesen wird, könnte aber geschlossen werden, dass die Beschwerdekammer die Erwägungen, die der Mitteilung vom 16. Mai 2018 zugrunde lagen, sowie die oben in Rn. 88 angesprochenen in der Stellungnahme der Klägerin dargelegten Erwägungen zurückgewiesen hat.

94      Selbst in diesem Fall ist allerdings festzustellen, dass die Gründe für die Zurückweisung dieser Erwägungen durch die Beschwerdekammer aus der angefochtenen Entscheidung nicht klar hervorgehen.

95      Erstens hat die Beschwerdekammer, wie oben in Rn. 42 ausgeführt worden ist, im ersten Teil der beanstandeten Begründung, in dem sie ihre Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 dargelegt hat, bei der Aufzählung der Voraussetzungen, deren Nichterfüllung ihrer Auffassung nach die Klägerin habe geltend machen wollen, nur die Art. 5, 6, 8 und 9 der Verordnung Nr. 6/2002 erwähnt, nicht aber die in Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen.

96      Diese Auslassung ist aber, wie oben in den Rn. 42 bis 44 festgestellt worden ist, schwerlich mit der Auslegung des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 durch die Beschwerdekammer in Einklang zu bringen, da der Wortlaut dieser Vorschrift ausdrücklich die Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nennt, ohne deren Art. 4 Abs. 2 und 3 auszunehmen, der spezifische Schutzvoraussetzungen eines Geschmacksmusters für ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung regelt. Die Beschwerdekammer hat jedoch keine Erläuterung gegeben, die es erlaubte, zu verstehen, warum sie trotz dieser Auslegung davon ausging, dass mit dem Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung nur die Nichterfüllung der in den Art. 5, 6, 8 und 9 der fraglichen Verordnung festgelegten Voraussetzungen geltend gemacht worden sei.

97      Zweitens sind die Erläuterungen des EUIPO in der Klagebeantwortung und in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf den konkludenten Standpunkt der Beschwerdekammer zur Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall nicht überzeugend.

98      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO vorträgt, die Beschwerdekammer sei davon ausgegangen, dass sie, indem sie in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 die Anwendung des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall angesprochen habe, unter Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 dieser Verordnung über die von den Beteiligten vorgebrachten Beschwerdegründe und Anträge hinausgegangen sei, und dass sie diese Mitteilung in der Begründung der angefochtenen Entscheidung unerwähnt gelassen habe, um nicht ultra petita zu entscheiden.

99      Dieser mutmaßliche Standpunkt der Beschwerdekammer lässt sich aber nicht klar und eindeutig der angefochtenen Entscheidung entnehmen.

100    Zum einen nämlich genügt der Hinweis darauf, dass die Beschwerdekammer der Auffassung war, dass sich der im vorliegenden Fall vor ihr geltend gemachte Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 auf sämtliche in den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen beziehe. Zum anderen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Bezug auf die in den Art. 8 und 9 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen ausdrücklich angegeben hat, dass sie, auch wenn diese Voraussetzungen als zur Stützung des Antrags der Klägerin auf Nichtigerklärung geltend gemacht anzusehen seien, diesen Teil Antrags auf Nichtigerklärung gemäß Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zurückweisen müsse, weil die Klägerin insoweit keinerlei Argument vorgebracht habe.

101    Es scheint daher folgerichtig, aus dieser Begründung der angefochtenen Entscheidung zu schließen, dass die Beschwerdekammer, wenn sie, wie das EUIPO vorträgt, der Auffassung war, dass sie sich gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht zur Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung auf das angegriffene Geschmacksmuster äußern dürfe, dies ausdrücklich erklärt hätte. Eine solche ausdrückliche Begründung wäre in diesem Fall umso erforderlicher gewesen, als demgegenüber der Berichterstatter in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 diese Bestimmungen als vom Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung erfasst angesehen hat und offenbar der Auffassung war, dass sich aus dem Vorbringen der Beteiligten und den dieses Vorbringen stützenden Unterlagen ergebe, dass diese Bestimmungen anwendbar seien und dass er über die Frage dieser Anwendung zu befinden habe.

102    Jedenfalls ist die Prämisse der Auffassung des EUIPO unzutreffend. Entgegen seinen Ausführungen verbot nämlich Art. 63 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 6/2002 der Beschwerdekammer nicht, in den Gründen der angefochtenen Entscheidung auf den Gegenstand der Mitteilung vom 16. Mai 2018 Bezug zu nehmen. Selbst wenn daher die Beschwerdekammer angenommen haben sollte, dass diese Bestimmungen ihr die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung auf das angegriffene Geschmacksmuster verboten hätten, hinderten sie diese nicht daran, gleichwohl darzulegen, aus welchen Gründen sie im Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der oben erwähnten Mitteilung eine solche Anwendung für unmöglich hielt.

103    Somit ist festzustellen, dass der Inhalt der angefochtenen Entscheidung die Gründe, die das EUIPO vor dem Unionsrichter vorgebracht hat, um zu rechtfertigen, dass die Beschwerdekammer die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht auf das angegriffene Geschmacksmuster angewandt hat, nicht klar und eindeutig erkennen lässt.

104    Im Übrigen können diese Gründe vom Gericht nicht als ergänzende Begründung dieser Entscheidung berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Begründung eines Rechtsakts dem Betroffenen nämlich mit diesem Rechtsakt mitzuteilen, ehe er einen Rechtsbehelf gegen diesen einlegt, und die Nichtbeachtung des Begründungserfordernisses kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für den Rechtsakt während des Verfahrens vor dem Unionsrichter erfährt. Ließe man dies zu, würde dies die Verteidigungsrechte des Betroffenen und seinen Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sowie den Grundsatz der Gleichheit der Parteien vor dem Unionsrichter beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 14. März 2018, Fußbekleidung, T‑424/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:136, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

105    Drittens ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung eine Beschreibung des Erzeugnisses, für das das angegriffene Geschmacksmuster benutzt wird, sowie seiner Verwendung enthält, die im Wesentlichen nicht von der in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 abweicht.

106    In Rn. 38 der angefochtenen Entscheidung beschreibt die Beschwerdekammer die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster nämlich dahin, dass sie ein Bauelement beträfen, das es erlaube, den Kompressor einer Kühlanlage und den Motorblock eines Fahrzeugs zu koppeln. Ferner werde das fragliche Bauelement auf den Motorblock geschraubt und dann darauf der die Kühlanlage versorgende Kompressor geschraubt. Aus dieser Beschreibung kann also geschlossen werden, dass die Beschwerdekammer keine andere Verwendung des Bauelements, für das das angegriffene Geschmacksmuster benutzt wird, ins Auge gefasst hat, als die Verbindung eines Kühl- oder Klimasystems mit dem Motorblock des Fahrzeugs, an den es sich anpassen muss. Außerdem deutet nichts in dieser Beschreibung darauf hin, dass die Beschwerdekammer die Einstufung als komplexes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 verworfen hätte, die in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 vorgenommen worden war, um die aus dem Motor, dem Bauelement, das das angegriffene Geschmacksmuster verkörpert, und dem Kompressor gebildete Gesamtheit zu bezeichnen.

107    Folglich kann den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht klar entnommen werden, dass sich der Standpunkt der Beschwerdekammer in Bezug auf die Frage, ob das Erzeugnis, das das angegriffene Geschmacksmuster verkörpert, als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses in den Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 fällt, gegenüber der Mitteilung vom 16. Mai 2018 geändert hätte. Insbesondere geht aus der Entscheidung nicht hervor, dass sich die Beschwerdekammer der Stellungnahme der Streithelferin vom 16. Juli 2018 angeschlossen hätte, in der diese der Einstufung als komplexes Erzeugnis entgegentrat und zahlreiche alternative Verwendungen gegenüber der oben in Rn. 106 beschriebenen geltend machte.

108    Es trifft zu, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 39 und 40 der angefochtenen Entscheidung den informierten Benutzer des angegriffenen Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, in Bezug auf den die Eigenart dieses Musters zu beurteilen ist, dahin definiert hat, dass dieser beispielsweise der Installateur der Kühlanlage oder der Leiter einer Autowerkstatt sein könne, der das Bauelement auswähle, um es an das Fahrzeug zu montieren. Diese Feststellungen können dem Anschein nach im Widerspruch zu den Ausführungen in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 stehen, wonach das Bauelement nach seinem Einbau bei bestimmungsgemäßer Verwendung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung, d. h. ausgenommen bei Wartung, Service oder Reparatur, nicht mehr sichtbar sei.

109    Allerdings haben Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 und deren Art. 6 Abs. 1 unterschiedliche Kriterien. Die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters hängt von dem Gesamteindruck ab, den es beim informierten Benutzer erzeugt, was definitionsgemäß voraussetzt, dass dieses Geschmacksmuster für diesen Benutzer sichtbar ist. Dagegen ist der Begriff der bestimmungsgemäßen Verwendung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung für eine solche Beurteilung nicht relevant. Die Bestimmung des informierten Benutzers in den Rn. 39 und 40 der angefochtenen Entscheidung greift also nicht der Analyse vor, die die Beschwerdekammer in Bezug auf die Erfüllung der Kriterien dieses Art. 4 Abs. 2 und 3 im vorliegenden Fall vorgenommen hat. Jedenfalls erlaubt sie es nicht, zu verstehen, aus welchen Gründen die Beschwerdekammer angenommen hat, dass sie die Anwendung dieser Kriterien nicht zu prüfen hätte.

110    Aus alledem ergibt sich, dass sich die Schlussfolgerungen der Beschwerdekammer in Bezug auf die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall weder für die Beteiligten noch für den Unionsrichter in offenkundiger Weise aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergeben.

111    Somit ist nun zu prüfen, ob sich diese Schlussfolgerungen im Sinne der oben in Rn. 84 angeführten Rechtsprechung auf Tatsachen und rechtliche Erwägungen beziehen, denen nach dem Aufbau der angefochtenen Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt.

112    Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich oben aus den Rn. 56 und 62 ergibt, die fehlende Sichtbarkeit der Merkmale eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses unter den in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Voraussetzungen zur vollständigen oder, wenn die fehlende Sichtbarkeit nur einzelne Merkmale des Bauelements betrifft, zur teilweisen Nichtigkeit des für dieses Bauteil benutzten angegriffenen Geschmacksmusters führen kann. Folglich ist, wie sich dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung entnehmen lässt, eine Prüfung der Neuheit und der Eigenart des fraglichen Geschmacksmusters anhand der Kriterien der Art. 5 und 6 dieser Verordnung im erstgenannten Fall nicht mehr erforderlich und im letztgenannten Fall auf die sichtbar bleibenden Merkmale zu beschränken. Der Frage, ob Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall anwendbar ist, kann somit nach dem Aufbau der angefochtenen Entscheidung, angesichts ihrer möglichen Auswirkungen auf deren Gründe und Tenor, grundsätzlich eine wesentliche Bedeutung zukommen, zumal die Beschwerdekammer davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die fehlende Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters geltend gemacht habe.

113    Zum anderen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer, wie sich aus der Mitteilung vom 16. Mai 2018 ergibt, in diesem Verfahrensstadium der Auffassung war, dass die Ausführungen der Beteiligten und die zur Stützung dieser Ausführungen beigebrachten Beweismittel belegten, dass die in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Außerdem hatten die Beteiligten in ihren Bemerkungen zu dieser Mitteilung, die die Beschwerdekammer nicht als unzulässig erachtet hat, zu dieser Frage Stellung genommen.

114    Da aber, wie oben in Rn. 93 festgestellt worden ist, die im Tenor der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Zurückweisung der Beschwerde der Klägerin dem Anschein nach eine vollkommene Änderung des in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 vertretenen Standpunkts der Beschwerdekammer zur Frage der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf das angegriffene Geschmacksmuster wiedergibt, hätte sie die Gründe für diese Änderung klar darlegen müssen.

115    Nur wenn die Beschwerdekammer entschieden hätte, der Beschwerde der Klägerin stattzugeben und das angegriffene Geschmacksmuster auf anderer Grundlage als der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf dieses Geschmacksmuster für nichtig zu erklären, hätte sie aus Gründen der Verfahrensökonomie von einer Darlegung dieser Gründe absehen dürfen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca [VENADO mit Rahmen u. a.], T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, EU:T:2006:397, Rn. 80).

116    Ohne eine solche Begründung ist es für die Klägerin schwierig, vor dem Gericht die fehlende inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 sachdienlich zu rügen. Sie kann allenfalls, wie sie es im Übrigen in der Klageschrift getan hat, die Argumente wiederholen, die sie bereits im Beschwerdeverfahren in ihren Bemerkungen vom 17. September 2018 vorgebracht hatte, um die Schlussfolgerungen der Mitteilung vom 16. Mai 2018 zu billigen. Dagegen ist sie nicht in der Lage, sachdienlich den Gründen entgegenzutreten, aus denen die Beschwerdekammer von diesen Schlussfolgerungen abgewichen ist.

117    Das Gericht ist gleichermaßen nicht in der Lage, die Stichhaltigkeit dieser Gründe zu prüfen und seiner Aufgabe ordnungsgemäß nachzukommen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen von Art. 61 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO dadurch einer vollständigen Kontrolle unterwerfen darf, dass es erforderlichenfalls der Frage nachgeht, ob die Beschwerdekammern die im Rechtsstreit fraglichen Tatsachen rechtlich richtig eingeordnet haben, oder ob die Beurteilung des den Beschwerdekammern unterbreiteten Sachverhalts nicht Fehler aufweist (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012, Neuman und Galdeano del Sel/Baena Grupo, C‑101/11 P und C‑102/11 P, EU:C:2012:641, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Die Argumente des EUIPO und der Streithelferin vermögen diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen.

119    Zunächst kann, wie bereits oben in Rn. 104 ausgeführt worden ist, das Vorbringen des EUIPO den Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung nicht beheben, da anderenfalls die Verteidigungsrechte der Klägerin, ihr Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sowie der Grundsatz der Gleichheit der Parteien vor dem Unionsrichter verletzt würden.

120    Sodann hatte zwar gemäß Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 die Beschwerdekammer nur dann zu prüfen, ob die in Art. 4 Abs. 2 und 3 dieser Verordnung festgelegte Voraussetzung erfüllt war, wenn deren Nichterfüllung im Hinblick auf die von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte als von ihr geltend gemacht angesehen werden konnte. Aus den oben in den Rn. 51 bis 72 dargelegten Gründen konnte das EUIPO nämlich nicht als automatisch mit der Frage der Nichterfüllung dieser Voraussetzung befasst angesehen werden, weil der Antrag auf Nichtigerklärung auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung gestützt war.

121    Der Standpunkt der Beschwerdekammer zu der Frage, ob sie die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall zu prüfen hatte, geht jedoch, wie oben in den Rn. 87 bis 110 festgestellt worden ist, nicht – auch nicht konkludent – aus der angefochtenen Entscheidung hervor, obwohl sich diese Dienststelle in einem früheren Stadium des Verfahrens zu dieser Frage geäußert hatte.

122    Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht jedoch im Rahmen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidung einer Beschwerdekammer des EUIPO nicht ermächtigt, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung zu setzen oder dazu, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat (Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 72). Insbesondere darf es nicht an Stelle der Beschwerdekammer die Prüfung der von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung vorgebrachten Argumente, Tatsachen und Beweismittel vornehmen, die diese Stelle hätte prüfen müssen, abgesehen gegebenenfalls von der Prüfung für die Anwendung der relevanten Vorschriften notwendiger Rechtsfragen und allgemein bekannter Tatsachen, um zu bestimmen, ob die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 in dem Rechtsstreit, mit dem sie befasst war, in Rede stand (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 11. Dezember 2014, CEDC International/HABM – Underberg [Form eines Grashalms in einer Flasche], T‑235/12, EU:T:2014:1058, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

123    Jedenfalls kann entgegen der Auffassung des EUIPO nicht schon der Umstand, dass die Klägerin in ihren Schriftsätzen vor der Nichtigkeitsabteilung ausdrücklich Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, nicht aber deren Art. 4 Abs. 2 und 3 angeführt hat, für sich genommen belegen, dass die Anwendung dieser Bestimmungen nicht Gegenstand des Rechtsstreits war. Insbesondere kann ohne eine Prüfung sämtlicher von der Klägerin im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens vorgebrachter tatsächlicher und rechtlicher Gesichtspunkte nicht ausgeschlossen werden, dass im Hinblick auf diese Gesichtspunkte davon auszugehen sein könnte, dass sie sich sinngemäß auf diese Bestimmungen berufen hat.

124    Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer zwar, wie das EUIPO zutreffend festgestellt hat, nicht als an die Mitteilung vom 16. Mai 2018 gebunden anzusehen ist, es ihr jedoch oblag, ordnungsgemäß zu begründen, warum sie der Auffassung war, von den Schlussfolgerungen dieser Mitteilung abweichen zu müssen, da diese wie auch die nachfolgenden Bemerkungen der Beteiligten Teil des Kontexts war, in dem sie die angefochtene Entscheidung erlassen hat (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 66).

125    Zum Vorbringen der Streithelferin ist zum einen festzustellen, dass die Behauptung, die Rüge der Klägerin in Bezug auf den Begründungsmangel sei unzulässig, weil sie sich zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung nicht darauf berufen habe, dass das Erzeugnis, welches das angegriffene Geschmacksmuster verkörpere, ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sei, auf jeden Fall zurückzuweisen ist. Wie oben in Rn. 122 ausgeführt worden ist, darf das Gericht nämlich keine Beurteilung vornehmen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat.

126    Zum anderen kann die Tatsache, dass die Klägerin im Rahmen eines anderen Verfahrens eine Anmeldung für ein mit dem angegriffenen Geschmacksmuster identisches Geschmacksmuster eingereicht hat, nicht mit der Begründung, die vorliegende Rüge stehe im Widerspruch zu den Argumenten, die sie zur Aufrechterhaltung der fraglichen Eintragung vorgebracht habe, zur Zurückweisung dieser Rüge führen.

127    Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, wonach vorbehaltlich des Art. 25 Abs. 2 bis 5 dieser Verordnung jede natürliche oder juristische Person sowie eine hierzu befugte Behörde einen Antrag auf Nichtigerklärung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters stellen kann, macht nämlich die Zulässigkeit eines solchen Antrags und – erst recht – die Zulässigkeit der diesen stützenden Gründe weder vom Nachweis eines Rechtsschutzbedürfnisses abhängig noch vom Nachweis eines tatsächlichen oder potenziellen wirtschaftlichen Interesses an der Löschung des angegriffenen Geschmacksmusters (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 25. Februar 2010, Lancôme/HABM, C‑408/08 P, EU:C:2010:92, Rn. 37 bis 44). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 25 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung genannten Nichtigkeitsgründe im Gegensatz zu den unter den Buchst. c bis g genannten grundsätzlich von jeder natürlichen oder juristischen Person geltend gemacht werden können (Urteil vom 13. Juni 2019, Visi/one/EUIPO – EasyFix [Informationstafeln für Fahrzeuge], T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 64).

128    Der Umstand, dass die Klägerin versucht hat, ein mit dem angegriffenen Geschmacksmuster identisches Geschmacksmuster eintragen zu lassen und im Rahmen eines von der Streithelferin eingeleiteten Verfahrens zur Erklärung der Nichtigkeit dieses Geschmacksmusters dessen Neuheit und Eigenart geltend gemacht hat, während sie diese nun in Frage stellt, hat somit für die Zulässigkeit der vorliegenden Rüge und darüber hinaus für ihre inhaltliche Beurteilung keine Bedeutung.

129    Nach alledem ist die Rüge eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht begründet.

130    Bevor bestimmt wird, welche Folgen die in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung für den Tenor der angefochtenen Entscheidung hat, ist die zweite von der Klägerin im Rahmen des zweiten Teils ihres fünften Klagegrundes erhobene Rüge zu prüfen, mit der ein Beurteilungsfehler geltend gemacht wird, da in der angefochtenen Entscheidung das angegriffene Geschmacksmuster nicht für nichtig erklärt worden sei, obwohl dieses ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses betreffe, das nach seiner endgültigen Einfügung in dieses Erzeugnis im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht mehr sichtbar sei.

b)      Zur zweiten Rüge: Beurteilungsfehler, da die Beschwerdekammer nicht festgestellt hat, dass die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall zur Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters führe

131    Wie bereits oben in Rn. 122 ausgeführt worden ist, ist das Gericht nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidung einer Beschwerdekammer des EUIPO nicht ermächtigt, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung zu setzen oder dazu, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat.

132    Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer, wie oben in Rn. 13 festgestellt worden ist, in der Mitteilung vom 16. Mai 2018 im Beschwerdeverfahren geprüft, ob das angegriffene Geschmacksmuster deshalb für nichtig zu erklären sei, weil es das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sei, das nach seiner endgültigen Einfügung bei bestimmungsgemäßer Verwendung dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht mehr sichtbar sei. Jedoch ist oben in Rn. 110 festgestellt worden, dass der Standpunkt der Beschwerdekammer in Bezug auf diese Frage nicht hinreichend klar und eindeutig aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht.

133    Das Gericht ist daher nicht in der Lage, sich zur Anwendung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 im vorliegenden Fall zu äußern. Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

134    Allerdings genügt es für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn der ersten Rüge stattgegeben wird. Da nach ständiger Rechtsprechung die Begründungspflicht eine wesentliche Formvorschrift im Sinne von Art. 61 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 darstellt und ein Verstoß gegen diese Pflicht zudem von Amts wegen festgestellt werden kann, kann dieser Verstoß zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 30. März 1995, Parlament/Rat, C‑65/93, EU:C:1995:91, Rn. 21, und vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 174). Dem Antrag auf Aufhebung ist daher stattzugeben.

135    Im Hinblick auf die oben in Rn. 131 angeführte Rechtsprechung ist das Gericht dagegen nicht in der Lage, die angefochtene Entscheidung abzuändern, weshalb der darauf gerichtete Antrag der Klageschrift zurückzuweisen ist.

136    Nach alledem sind, ohne dass eine Prüfung der Klagegründe zwei bis vier, des ersten Teils des fünften Klagegrundes und des sechsten Klagegrundes erforderlich wäre, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Anträge im Übrigen zurückzuweisen.

IV.    Kosten

137    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

138    Nach Art. 135 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht jedoch aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei neben ihren eigenen Kosten nur einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt oder gar nicht zur Tragung dieser Kosten zu verurteilen ist.

139    Da das EUIPO und die Streithelferin im Wesentlichen unterlegen sind, ist zum einen das EUIPO dazu zu verurteilen, neben seinen eigenen Kosten gemäß dem Antrag der Klägerin deren Kosten zu tragen, und zum anderen zu entscheiden, dass die Streithelferin ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. November 2018 (Sache R 1397/20173) wird aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Das EUIPO trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der L. Oliva Torras, S.A..

4.      Die Mecánica del Frío, S.L., trägt ihre eigenen Kosten.

Costeira

Gratsias

Kancheva

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Juni 2020.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.