Language of document : ECLI:EU:C:2013:49

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 31. Januar 2013(1)

Rechtssache C‑414/11

Daiichi Sankyo Co. Ltd,

Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

gegen

DEMO Anonymos Viomichaniki kai Emporiki Etairia Farmakon

(Vorabentscheidungsersuchen des Polymeles Protodikeio Athinon [Griechenland])

„TRIPS-Übereinkommen – Auslegung zu seiner unmittelbaren Wirkung – Zuständigkeit der Union oder der Mitgliedstaaten – Arzneimittelpatent – Pharmazeutische Erzeugnisse und Herstellungsverfahren – Art. 207 Abs. 1 AEUV –, Handelsaspekte des geistigen Eigentums‘ – Urteil Merck Genéricos“





1.        Im Rahmen dieses nationalen Verfahrens, in dem aufgrund des Inkrafttretens des Übereinkommens über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen)(2) Aspekte der Patentierbarkeit pharmazeutischer Erzeugnisse streitig sind, hat der Gerichtshof Gelegenheit, zur Reichweite der ausschließlichen Zuständigkeit der Union im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV) Stellung zu nehmen, nachdem diese Politik gemäß Art. 207 Abs. 1 AEUV nunmehr auch die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ umfasst.

2.        Dies ist meiner Meinung nach die zentrale Frage in der vorliegenden Rechtssache, d. h., ob dieser Formel, da sie nunmehr eine ausschließliche Zuständigkeit der Union zum Ausdruck bringt, im Kontext von Art. 133 AEUV jetzt eine andere Funktion zukommt als zuvor.

3.        Wesentlich konkreter formuliert geht es um die Frage, ob die durch das Urteil vom 11. September 2007, Merck Genéricos(3), begründete Rechtsprechung zur „grundsätzlichen Zuständigkeit“ der Mitgliedstaaten für die im TRIPS-Übereinkommen geregelte Materie fortgilt.

4.        Die übrigen vorgelegten Fragen werden nur für den Fall gestellt, dass man zu dem Ergebnis kommt, dass die durch das Urteil Merck Genéricos begründete Rechtsprechung nicht mehr gilt. Da mir scheint, dass sie eindeutig weniger schwierig sind, konzentriere ich meine Prüfung auf die erste Frage.

5.        Im Bewusstsein der außerordentlichen Schwierigkeit, die diese Vorlagefrage ? wie sich weiter unten zeigen wird ? mit sich bringt, schlage ich dem Gerichtshof letztendlich vor, dem Polymeles Protodikeio Athinon zu antworten, dass die in Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens geregelte Materie („patentfähiger Gegenstand“) beim derzeitigen Stand des Unionsrechts nicht in den Bereich der „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV übergegangen ist, mit den sich daraus ergebenden Folgen für die Zuständigkeit für die Auslegung des Art. 27.

6.        Subsidiär und für den Fall, dass der Gerichtshof letztendlich zu dem Ergebnis kommt, dass die Auslegung von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens nunmehr in seine Zuständigkeit fällt, schlage ich dem Gerichtshof vor, unter Anwendung seiner ständigen Rechtsprechung, die im vorliegenden Fall durch die Merkmale des in dieser Vorschrift enthaltenen Mandats noch bekräftigt wird, festzustellen, dass diese Vorschrift keine unmittelbare Wirkung hat.

7.        Ungeachtet dessen erlaube ich mir für den Fall, dass der Gerichtshof sich den Argumenten anschließt, die für eine Änderung der Rechtsprechung sprechen, ihm die Feststellung vorzuschlagen, dass ein Patent an einem Herstellungsverfahren für ein pharmazeutisches Erzeugnis nicht schon deshalb zusätzlich als Patent für ein pharmazeutisches Erzeugnis anzusehen ist, weil bei der Anmeldung des Patents für das Herstellungsverfahren, wenn ein Verbot für die Patentierung pharmazeutischer Erzeugnisse besteht, diese Anmeldung auch das Patent für das Erzeugnis selbst umfasste.

8.        Schließlich schlage ich unabhängig von der Auslegung durch den Gerichtshof im Hinblick auf die zeitliche Wirkung seines Urteils vor, dass diese Auslegung angesichts der Besonderheiten des Falls keine Folgen für Situationen hat, die durch eine rechtskräftige Entscheidung konsolidiert sind.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Das TRIPS-Übereinkommen

9.        Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens bestimmt unter der Überschrift „Patentfähige Gegenstände“:

„(1)      Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 ist vorzusehen, dass Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich sind, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren, vorausgesetzt, dass sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vorbehaltlich des Artikels 65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 dieses Artikels sind Patente erhältlich und können Patentrechte ausgeübt werden, ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf.

(2)      Die Mitglieder können Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschließen, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung innerhalb ihres Hoheitsgebiets zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer ernsten Schädigung der Umwelt notwendig ist, vorausgesetzt, dass ein solcher Ausschluss nicht nur deshalb vorgenommen wird, weil die Verwertung durch ihr Recht verboten ist.

(3)      Die Mitglieder können von der Patentierbarkeit auch ausschließen:

a)      diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren für die Behandlung von Menschen oder Tieren;

b)      Pflanzen und Tiere, mit Ausnahme von Mikroorganismen, und im Wesentlichen biologische Verfahren für die Züchtung von Pflanzen oder Tieren mit Ausnahme von nicht-biologischen und mikrobiologischen Verfahren. …“

10.      Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens sieht unter der Überschrift „Schutz bestehender Gegenstände des Schutzes“ Folgendes vor:

„(1)  Aus diesem Übereinkommen ergeben sich keine Verpflichtungen in Bezug auf Handlungen, die vor dem Zeitpunkt der Anwendung dieses Übereinkommens auf das betreffende Mitglied stattfanden.

(2)       Sofern in diesem Übereinkommen nichts anderes vorgesehen ist, ergeben sich daraus Verpflichtungen in Bezug auf sämtliche Gegenstände des Schutzes, die zum Zeitpunkt der Anwendung dieses Übereinkommens auf das betreffende Mitglied vorhanden und zu diesem Zeitpunkt in diesem Mitglied geschützt sind oder die Schutzvoraussetzungen nach Maßgabe dieses Übereinkommens erfüllen oder in der Folge erfüllen werden…

(6)       Die Mitglieder sind nicht verpflichtet, Artikel 31 oder das Erfordernis in Artikel 27 Absatz 1, wonach Patentrechte ohne Diskriminierung aufgrund des Gebiets der Technik ausgeübt werden können, auf eine Benutzung ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers anzuwenden, wenn die Ermächtigung zu einer solchen Benutzung von der Regierung vor dem Zeitpunkt, zu dem dieses Übereinkommen bekannt wurde, erteilt wurde.

(7)       Bei Rechten des geistigen Eigentums, deren Schutz von der Eintragung abhängig ist, dürfen Anträge auf Schutz, die zum Zeitpunkt der Anwendung dieses Übereinkommens auf das betreffende Mitglied anhängig sind, so geändert werden, dass ein nach Maßgabe dieses Übereinkommens vorgesehener erweiterter Schutz beansprucht wird. Solche Änderungen dürfen keine neuen Gegenstände einschließen.

(8)       Sieht ein Mitglied zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTO-Übereinkommens keinen seinen Verpflichtungen nach Artikel 27 entsprechenden Patentschutz für pharmazeutische und agrochemische Erzeugnisse vor, so muss dieses Mitglied:

a)       ungeachtet des Teils VI ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTO-Übereinkommens eine Möglichkeit für das Einreichen von Anmeldungen von Patenten für solche Erfindungen vorsehen,

b)       auf diese Anmeldungen vom Zeitpunkt der Anwendung dieses Übereinkommens an die in diesem festgelegten Voraussetzungen für die Patentfähigkeit so anwenden, als würden sie am Tag der Anmeldung in diesem Mitglied oder, sofern Priorität zur Verfügung steht und in Anspruch genommen wird, am Prioritätstag der Anmeldung angewendet, und

c)       Patentschutz nach Maßgabe dieses Übereinkommens ab der Erteilung des Patents und für die verbleibende Schutzdauer des Patents, gerechnet ab dem Anmeldetag im Sinne des Artikels 33, für diejenigen Anmeldungen vorsehen, die den unter Buchstabe b) genannten Schutzvoraussetzungen entsprechen.

…“

B –    Nationale Vorschriften

11.      Die Hellenische Republik hat das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) 1986 ratifiziert und einen Vorbehalt gemäß Art. 167 Abs. 2 Buchst. a EPÜ in Bezug auf pharmazeutische Erzeugnisse gemacht. Gemäß Art. 167 Abs. 3 EPÜ lief dieser Vorbehalt am 7. Oktober 1992 aus.

12.      Die Hellenische Republik hat 1995 auch das TRIPS-Übereinkommen ratifiziert.

13.      Im Bereich der Patente gilt in Griechenland darüber hinaus das Gesetz 1733/1987 über Technologietransfer, Erfindungen, technologische Innovation und die Einrichtung einer Atomenergiekommission, das seit dem 22. April 1987 in Kraft ist.

14.      Gemäß Art. 5 des Gesetzes 1733/1987 können Gegenstand eines Patents Erzeugnisse, Verfahren oder Industrieanwendungen sein. Dabei ist es gemäß Art. 7 des Gesetzes Sache des Antragstellers, über den Gegenstand des beantragten Schutzes zu entscheiden.

15.      Gemäß Art. 11 des Gesetzes 1733/1987 beläuft sich die Schutzdauer eines Patents auf 20 Jahre und beginnt mit dem auf die Einreichung der Patentanmeldung folgenden Tag.

16.      Art. 25 Abs. 3 des Gesetzes 1733/1987 sah vor, dass, solange Griechenland seinen Vorbehalt gemäß Art. 167 Abs. 2 Buchst. b EPÜ aufrechterhält, für pharmazeutische Erzeugnisse keine europäischen Patente erteilt werden.

17.      Die griechischen Gerichte haben das Gesetz 1733/1987 dahin ausgelegt, dass die Erteilung nationaler Patente für pharmazeutische Erzeugnisse untersagt und nur die Erteilung von Patenten zum Schutz der Erfindung eines Herstellungsverfahrens für ein pharmazeutisches Erzeugnis zulässig ist. Diese Beschränkung existierte bereits mit dem Gesetz 2527/1920, dem Vorläufer des Gesetzes 1733/1987, und endete am 7. Oktober 1992.

II – Sachverhalt

18.      Daiichi Sankyo Co. Ltd. (Daiichi Sankyo) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Tokio und war Inhaberin eines am 21. Oktober 1986 in Griechenland erteilten Patents, das sich auf die chemische Zusammensetzung Levofloxacin-Hemihydrat bezog, die als Wirkstoff in Antibiotikabehandlungen verwendet wird. Mit der am 20. Juni 1986 eingereichten Patentanmeldung wurde der Schutz sowohl für die Zusammensetzung als solche wie für ihr Herstellungsverfahren beantragt.

19.      Das Patent, das am 20. Juni 2006 auslief, wurde nach Maßgabe der Verordnung Nr. 1768/92 durch ein ergänzendes Schutzzertifikat (ESZ) verlängert. Nach Art. 13 dieser Verordnung beträgt die Laufzeit des Zertifikats höchstens fünf Jahre, so dass der Daiichi Sankyo gewährte Schutz im Jahr 2011 auslief.

20.      Levofloxacin-Hemihydrat wird als Wirkstoff eines Originalarzneimittels mit der Bezeichnung Tavanic verwendet, für dessen Vertrieb in Griechenland die deutsche Gesellschaft Sanofi-Aventis Deutschland GmbH (Sanofi-Aventis) eine Vertriebsgenehmigung besitzt. Diese Genehmigung, die Originalarzneimittel mit dem Wirkstoff Levofloxacin-Hemihydrat betrifft, wurde von den zuständigen griechischen Behörden am 17. Februar 1999 erteilt.

21.      Dieselben Behörden erteilten dem griechischen Arzneimittelunternehmen DEMO AVEE Farmakon (DEMO) am 22. September 2008 und am 22. Juli 2009 die Genehmigung für das Inverkehrbringen von generischen Arzneimittelerzeugnissen mit dem Wirkstoff Levofloxacin-Hemihydrat. DEMO vertrieb diese Erzeugnisse unter der Bezeichnung Talerin.

22.      Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis haben am 23. September 2009 beim vorlegenden Gericht eine Klage gegen DEMO eingereicht und die Einstellung des Vertriebs des Erzeugnisses Talerin oder anderer Erzeugnisse mit dem Wirkstoff Levofloxacin-Hemihydrat bis zum Auslaufen des ESZ durch DEMO beantragt.

III – Vorlagefrage

23.      Im Rahmen des mit der Klage von Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis anhängig gemachten Verfahrens legt der Polymeles Protodikeio Athinon folgende Fragen vor:

1.      Fällt Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens, in dem der Rahmen des Patentschutzes bestimmt wird, in einen Bereich, für den die Mitgliedstaaten weiter hauptsächlich zuständig sind, und, wenn ja, können die Mitgliedstaaten selbst dieser Bestimmung unmittelbare Wirkung zuerkennen, und kann ein nationales Gericht diese Bestimmung unter den im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen unmittelbar anwenden?

2.      Stellen chemische und pharmazeutische Erzeugnisse nach Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens einen patentfähigen Gegenstand dar, sofern sie die Voraussetzungen für die Patenterteilung erfüllen, und, wenn ja, welches ist ihr Schutzbereich?

3.      Genießen nach den Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens die Patente, die unter den Vorbehalt nach Art. 167 Abs. 2 des Münchner Übereinkommens von 1973 fallen und vor dem 7. Februar 1992, d. h. vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens, erteilt worden waren und die die Erfindung pharmazeutischer Erzeugnisse betrafen, jedoch wegen des oben genannten Vorbehalts nur für den Schutz des Verfahrens zu deren Herstellung erteilt wurden, den Schutz für alle Patente nach den Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens, und, wenn ja, welches ist die Reichweite und der Inhalt des Schutzes, d. h., werden nach dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens darüber hinaus auch die pharmazeutischen Erzeugnisse als solche geschützt oder gilt der Schutz weiterhin nur für das Verfahren zu deren Herstellung oder ist nach dem Inhalt der Patentanmeldung zu unterscheiden, d. h., wurde durch die Beschreibung der Erfindung und der entsprechenden Ansprüche von Anfang an der Schutz eines Erzeugnisses oder eines Herstellungsverfahrens oder auch beides beantragt?

24.      Das vorlegende Gericht legt dar, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon abhänge, ob das Patent von Daiichi Sankyo nur das Herstellungsverfahren für den Wirkstoff Levofloxacin-Hemihydrat schütze (das „Herstellungsverfahren für das pharmazeutische Erzeugnis“) oder auch den Wirkstoff als solchen (das „pharmazeutische Erzeugnis“). Im zweiten Fall würde es ausreichen, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nachwiesen, dass Tavanic und Talerin denselben Wirkstoff hätten. Wenn hingegen das Verfahren Inhalt des Schutzes sei, würde die Tatsache, dass beide Arzneimittel denselben Wirkstoff hätten, lediglich die Vermutung begründen, dass das Generikum nach dem vom Patentschutz umfassten Verfahren hergestellt werde, und DEMO könnte die Vermutung widerlegen, wenn sie nachwiese, dass ihr Erzeugnis nach einem anderen Verfahren hergestellt werde.

25.      Der Polymeles Protodikeio Athinon weist darauf hin, dass die pharmazeutischen Erzeugnisse vor dem 7. Oktober 1992 nicht patentierbar gewesen seien, so dass der Wirkstoff Levofloxacin-Hemihydrat als solcher anfänglich nicht vom Schutz des Daiichi Sankyo 1986 erteilten Patents erfasst gewesen sei. Seiner Ansicht nach schließe dies jedoch nicht aus, dass die Patentierbarkeit der pharmazeutischen Erzeugnisse, die Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens vorschreibe, bedeute, dass der streitige Wirkstoff durch das Patent von Daiichi Sankyo seit dem Inkrafttreten des Übereinkommens geschützt sei. Hinsichtlich dieser Frage besteht Uneinigkeit zwischen den griechischen Gerichten.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

26.      Die Vorlageentscheidung ist am 8. August 2011 beim Gerichtshof eingegangen.

27.      Neben Daiichi Sankyo und DEMO haben die britische, die griechische, die italienische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

28.      In der mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2012 sind die Vertreter von Daiichi Sankyo, der deutschen, der britischen, der finnischen, der griechischen, der niederländischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission erschienen und haben mündliche Ausführungen gemacht. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden die Parteien aufgefordert, zu der in Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen schriftlichen Stellungnahme der Kommission Stellung zu nehmen.

V –    Vorbringen

29.      Ohne eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, macht DEMO geltend, der Ausgangsrechtsstreit sei gegenstandslos geworden, da sowohl das Patent als auch das ESZ ausgelaufen seien.

30.      Alle Parteien mit Ausnahme der Kommission haben in ihren schriftlichen Erklärungen zur ersten Frage ausgeführt, dass Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens einen Bereich betreffe, in dem die Mitgliedstaaten weiterhin vorrangig zuständig seien, so dass seine unmittelbare Anwendung davon abhänge, was sich im jeweiligen Fall aus dem entsprechenden nationalen Recht ergebe. Dieser Standpunkt, der auf der mit dem Urteil Merck Genéricos(4) begründeten Rechtsprechung basiert, wird von der Kommission nicht geteilt, die die Ansicht vertritt, dass die Grundlage für diese Rechtsprechung sich mit dem Inkrafttreten des AEUV geändert habe, dessen Art. 207 die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ (der eigentliche Gegenstand des TRIPS-Übereinkommens) als eines der Elemente anführe, auf dem die gemeinsame Handelspolitik basiere. Dies bedeute, dass die Union nunmehr eine Zuständigkeit besitze, die sie nicht gehabt habe, als das Urteil Merck Genéricos ergangen sei, und dass sie nunmehr für die Entscheidung über die unmittelbare Wirkung von Art. 27 des TRIPS‑Übereinkommens zuständig sei. Diese Frage sei nach Ansicht der Kommission angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum WTO-Übereinkommen zu verneinen.

31.      Nachdem die Parteien in der mündlichen Verhandlung dazu aufgefordert worden waren, zu diesem Punkt Stellung zu nehmen, haben sich sowohl Daiichi Sankyo als auch die deutsche, die britische, die finnische, die griechische, die niederländische, die portugiesische und die schwedische Regierung gegen den Standpunkt der Kommission ausgesprochen. Im Wesentlichen führen sämtliche Regierungen übereinstimmend aus, dass der Gegenstand des TRIPS-Übereinkommens weiter sei als die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, auf die Art. 207 AEUV Bezug nehme. Daher sei es ihrer Ansicht nach zwingend, in jedem Einzelfall die in jeder seiner Bestimmungen behandelte Materie zu prüfen, wobei, was die Art. 27 und 70 des TRIPS‑Übereinkommens anbelange, ihr Gegenstand eher das materielle Patentrecht als die Handelsaspekte des geistigen Eigentums betreffe. Die rechtliche Lage und die Zuständigkeit hätten sich gegenüber den zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils Merck Genéricos geltenden nicht geändert, so dass auch jetzt die damals geltende Rechtsprechung zu beachten sei. Die Kommission hält ihrerseits daran fest, dass seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die ausschließliche Zuständigkeit in der Materie, die Gegenstand des TRIPS-Übereinkommens ist, der Union zustehe.

32.      Zur zweiten Frage vertreten Daiichi Sankyo, die britische, die griechische, die italienische und die portugiesische Regierung die Ansicht, dass aus dem Wortlaut von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens unzweideutig hervorgehe, dass ein pharmazeutisches Erzeugnis als solches vorbehaltlich der in der Bestimmung vorgesehenen Ausnahmen patentfähiger Gegenstand sein könne. Die Kommission führt wiederum aus, dass im Fall der Anwendbarkeit der Vorschrift festzustellen sei, dass pharmazeutische und chemische Erzeugnisse patentfähig seien, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents erfüllten und die Reichweite des Schutzes, den sie in Anspruch nehmen könnten, derjenigen entspreche, die in Art. 28 des TRIPS-Übereinkommens geregelt sei.

33.      Zur letzten Frage führt Daiichi Sankyo schließlich aus, dass sich aus Art. 27 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 2 des TRIPS‑Übereinkommens ergebe, dass die Patente, die beim Inkrafttreten des Übereinkommens bereits bestanden hätten, von diesem Zeitpunkt an die pharmazeutischen Erzeugnisse schützten, für die in den entsprechenden Patentanmeldungen um Patentschutz nachgesucht worden sei. DEMO und die griechische Regierung sind der Auffassung, dass beide Bestimmungen dahin auszulegen seien, dass ein Patent, das vor dem Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens bestanden habe, seit dessen Inkrafttreten dessen Regeln unterliege, sich jedoch nicht auf ein pharmazeutisches Erzeugnis erstrecke, das es nie geschützt habe. Die italienische Regierung vertritt die Ansicht, dass die vor dem 7. Februar 1992 erteilten Patente, die sich auf pharmazeutische Erzeugnisse bezögen, aber aufgrund des in Art. 167 Abs. 2 EPÜ geregelten Vorbehalts nur gewährt worden seien, um deren Herstellungsverfahren zu schützen, nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens den nach dem TRIPS-Übereinkommen für alle Patente vorgesehenen Schutz – für Erzeugnisse und Verfahren – genössen. Hierzu muss der italienischen Regierung zufolge der Inhalt der jeweiligen Anmeldung in jedem Einzelfall geprüft werden. Die portugiesische Regierung führt aus, dass der durch ein Patent gewährte Schutz durch den Inhalt seiner Anmeldung bestimmt werde, ohne dass, abgesehen vom Fall des Art. 70 Abs. 7 des TRIPS-Übereinkommens, nachträglich eine Erweiterung des ursprünglich beantragten Schutzes verlangt werden könne. Daher könne sich ein Patent für ein Verfahren, das vor dem TRIPS-Übereinkommen erteilt worden sei, später nicht in ein Patent für ein Erzeugnis verwandeln. Darüber hinaus sei jeder Patentanspruch für ein Erzeugnis während der Geltung des Vorbehalts nach Art. 167 Abs. 2 Buchst. a EPÜ unzulässig. Die britische Regierung ist der Ansicht, angesichts des Fehlens einer einschlägigen materiellen Regelung auf Unionsebene sei der Gerichtshof für die Auslegung des Art. 27 des TRIPS‑Übereinkommens aus der Sicht des materiellen Rechts unzuständig. Hilfsweise trägt sie vor, unter den Umständen des vorliegenden Falles sei es nach Art. 70 des TRIPS‑Übereinkommens nicht zulässig, dass das Patent auf ein Erzeugnis als solches erstreckt werde. Die Kommission schließlich ist der Ansicht, dass angesichts der fehlenden unmittelbaren Wirkung des TRIPS‑Übereinkommens sein Inkrafttreten nicht zur Folge habe, dass sich der den Verfahren gewährte Schutz automatisch auf die Erzeugnisse erstrecke.

VI – Würdigung

A –    Einleitende Überlegungen

1.      Sinn und Reichweite der Vorlagefrage

34.      Der Polymeles Protodikeio Athinon möchte vom Gerichtshof in erster Linie erfahren, ob Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens „in einen Bereich [fällt], für den die Mitgliedstaaten weiter hauptsächlich zuständig sind“. Sollte dies der Fall sein, möchte das nationale Gericht wissen, ob die Mitgliedstaaten selbst dieser Bestimmung unmittelbare Wirkung zuerkennen können. Die zweite und die dritte Frage wiederum beziehen sich spezifisch auf die Auslegung des Inhalts und die Wirkungen der Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens, weshalb das vorlegende Gericht sie für den Fall gestellt hat, dass die erste Frage verneint wird, d. h., dass Art. 27 des TRIPS‑Übereinkommens einem Bereich zugehört, in dem nicht mehr die Mitgliedstaaten, sondern die Union zuständig ist.

35.      Meiner Ansicht nach betreffen die drei Fragen drei sehr konkrete Probleme. Erstens stellt sich die Frage, welche Auswirkungen Art. 207 AEUV auf die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens hat. Auf diese Frage nimmt das vorlegende Gericht Bezug, wenn es fragt, ob Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens in einen Bereich fällt, für den nicht mehr die Mitgliedstaaten zuständig sind, sondern die Union. Wie in der Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, veranlasste das diesbezügliche Vorbringen der Kommission den Gerichtshof dazu, die Parteien aufzufordern, in der mündlichen Verhandlung zur Auswirkung des neuen Art. 207 AEUV auf seine Zuständigkeit für die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens Stellung zu nehmen.

36.      Zweitens ist meiner Ansicht nach die Frage, ob chemische und pharmazeutische Erzeugnisse nach Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens einen patentfähigen Gegenstand darstellen können, umzuformulieren. Der Grund liegt darin, dass es sich, worauf die Parteien hingewiesen haben, um eine Frage handelt, deren Wortlaut keine Schwierigkeiten aufwirft. Die Frage schließt jedoch implizit eine weiter gehende Frage ein, nämlich nach der unmittelbaren Wirkung der WTO-Übereinkommen. Genauer gesagt wird, wie weiter unten gezeigt wird, mit der Formulierung „unmittelbare Wirkung“ tatsächlich wieder einmal die Frage nach der „Möglichkeit der Geltendmachung“ der WTO-Übereinkommen im Rahmen des Unionsrechts gestellt.

37.      Drittens schließlich wird unmittelbar auf das im Ausgangsverfahren streitige Problem bezogen gefragt, ob davon auszugehen ist, dass diejenigen, die damals ein Patent für ein Verfahren und ein Patent für ein pharmazeutisches Erzeugnis beantragten, denen jedoch nur das Erstgenannte erteilt wurde, da die damals geltenden Bestimmungen nichts anderes zuließen, als unmittelbare Folge des TRIPS-Übereinkommens auch das Patent für das Erzeugnis erworben haben. Die Frage geht letztendlich dahin, was unter „sämtliche Gegenstände des Schutzes, die zum Zeitpunkt der Anwendung [des TRIPS-Übereinkommens]“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 dieses Übereinkommens vorhanden waren, zu verstehen ist.

2.      Statthaftigkeit der Vorlagefrage

38.      DEMO hat, ohne ausdrücklich eine Einrede der Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens zu erheben, darauf hingewiesen, dass das Ausgangsverfahren angesichts des Ablaufs sowohl des Patents von Daiichi Sankyo als auch des ESZ gegenstandslos geworden sei, so dass die Antwort des Gerichtshofs unabhängig von ihrem Inhalt keine wesentlichen Auswirkungen auf die Entscheidung haben könne, die das vorlegende Gericht letztendlich erlassen werde.

39.      Dem ist entgegenzuhalten, dass laut dem Vorlagebeschluss das nationale Recht die Möglichkeit vorsieht, dass der Inhaber eines Patents nach der Feststellung seiner Verletzung Schadensersatz verlangen kann. Dieser Umstand allein würde ausreichen, die vorliegende Frage als statthaft anzusehen, denn die Antwort auf die Fragen des griechischen Gerichts muss es ihm zumindest ermöglichen, festzustellen, ob es zu einer Verletzung des Patents gekommen ist, durch die Schadensersatzansprüche begründet werden können. Es geht daher nicht allein darum, zu einer laufenden Patentverletzung Stellung zu nehmen, sondern auch zu einer Verletzung, durch die, selbst wenn sie in der Vergangenheit erfolgt ist, ein Schaden entstanden ist, auf dessen Beseitigung der Betroffene einen Anspruch hat, der über den Ablauf des Rechtstitels hinaus fortbesteht und ihn berechtigt, Dritten den durch das Patentrecht gewährleisteten Schutz entgegenzuhalten.

B –    Erste Frage: Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens nach dem Vertrag von Lissabon

40.      Wie ich bereits ausgeführt habe, geht es im vorliegenden Verfahren im Wesentlichen darum, in welchem Umfang die im TRIPS-Übereinkommen geregelte Materie – und mithin die Auslegung des entsprechenden Rechts – heute in die ausschließliche Zuständigkeit für die Handelspolitik im Sinne der „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ (Art. 207 Abs. 1 AEUV) fällt. In aller Kürze zusammengefasst fällt die genannte Materie nach Ansicht der Kommission vollständig und fast definitionsgemäß in den Anwendungsbereich des zitierten Artikels. Den Mitgliedstaaten zufolge ermöglicht hingegen nur die Prüfung des Inhalts der verschiedenen Bestandteile des Übereinkommens im Einzelfall ihre Einordnung als „Handelsaspekt“: Jedenfalls sei Art. 27 (geschützter Gegenstand) und folglich Art. 70 (bestehender Gegenstand) des TRIPS-Übereinkommens von dieser Eigenschaft ausgeschlossen.

41.      Es ist unstreitig, dass sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon die Zuständigkeit für die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens durch den Gerichtshof oder die nationalen Gerichte danach richtete, ob der spezifisch betroffene Gegenstand in den Zuständigkeitsbereich der Union oder der Mitgliedstaaten fiel(5). Dieses Kriterium, das seit dem Urteil vom 16. Juni 1998, Hermès(6), Bestandteil der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist und bis zum Urteil Merck Genéricos aufrechterhalten wurde, führte dazu, dass die Komplexität der materiellen Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten notwendigerweise auf die Gerichtsbarkeit verlagert wurde(7). 

42.      Um unmittelbar zur Frage zu kommen: In Randnr. 34 des Urteils Merck Genéricos wurde neulich in Bezug auf Art. 33 des TRIPS-Übereinkommens festgestellt – und dasselbe hätte sich in Bezug auf viele andere sagen lassen –, dass er „in einen Bereich fällt, in dem [die Mitgliedstaaten] im gegenwärtigen Stadium der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich zuständig bleiben“(8). Und es bedarf kaum der Klarstellung, dass unser Problem sich nicht daraus ergibt, dass die Präsenz des geistigen Eigentums in der Gesetzgebung der Union im Vergleich zu der Situation, die beim Erlass dieses Urteils bestand, durch Harmonisierung erhebliche Änderungen erfahren hätte ? was nicht der Fall ist ?, sondern aus der durch den Vertrag von Lissabon erfolgten Änderung der Behandlung der „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“.

43.      Nachdem das Problem herausgearbeitet worden ist, ist anzumerken, dass sich insbesondere in der mündlichen Verhandlung, wie ich soeben dargelegt habe, zwei Fronten gebildet haben, die der Kommission (dem Bevollmächtigten der Republik Portugal in der mündlichen Verhandlung zufolge „die einzige abweichende Stimme“) auf der einen und die der Staaten, die sich an diesem Verfahren beteiligt haben, auf der anderen Seite.

44.      In wenige Worte gefasst besteht die These der Staaten darin, dass die Eigenschaft des geistigen Eigentums als geteilte Zuständigkeit durch den Vertrag von Lissabon keine Änderung erfahren habe, auch wenn es jetzt ein in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a AEUV integrierter Bestandteil („Binnenmarkt“) und eine mehr oder weniger harmonisierte Materie (Art. 114 AEUV) bei und um einige bedeutende zusätzliche Bestimmungen wie insbesondere die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (Art. 118 AEUV) ergänzt worden sei.

45.      So gesehen würde Art. 207 Abs. 1 AEUV die Handelsaspekte des geistigen Eigentums als Teil der gemeinsamen Handelspolitik im Sinne eines klar abgrenzbaren Teils der Regelung auf diesem Gebiet, zu der jedenfalls nicht die des Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens zählen würde, der ausschließlichen Zuständigkeit zuweisen. Die geteilte Zuständigkeit in diesem Bereich würde darüber hinaus ausdrücklich durch Art. 207 Abs. 6 AEUV gewährleistet, der eine Harmonisierung dort, wo es der Vertrag nicht erlaubt, ausdrücklich verbietet.

46.      Die Kommission wiederum vertritt die These, dass der Wortlaut des Art. 207 Abs. 1 AEUV zwar implizit, aber deshalb nicht weniger offensichtlich auf die im TRIPS-Übereinkommen geregelte Materie verweise: Eine derart auffällige Parallele zwischen dem Wortlaut des Art. 207 AEUV und der Bezeichnung des Übereinkommens zwinge praktisch zu dieser Schlussfolgerung. Im Wesentlichen ist dieses ihr Argument und so schlicht wie dieses, dass ein anderes Ziel des Gesetzgebers als die Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union für einen materiellen Bereich, die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, die in Art. 133 EG ganz anders geregelt waren, nicht vorstellbar sei(9). Daher „ist“ das, was im TRIPS-Übereinkommen niedergelegt ist – und, so lässt sich ergänzen, was niedergelegt sein kann –, allein aufgrund dieser Tatsache „Handelsaspekt des geistigen Eigentums“ im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV. Im Übrigen scheint die Kommission bei diesem Ansatz kein besonderes Problem in Hinblick auf den Charakter einer geteilten Zuständigkeit beim geistigen Eigentum als solchem zu sehen.

47.      Es ist bereits an dieser Stelle allgemein festzustellen, dass der Standpunkt der Kommission insbesondere in der Lehre eine Stütze findet, und darüber hinaus häufig mit demselben Argument, d. h. der Offenkundigkeit(10).

48.      Ich meine, dass vor der Untersuchung der einzelnen dargestellten entgegengesetzten Positionen daran zu erinnern ist ? wenn auch nur sehr grundsätzlich ?, worin erstens das Recht am geistigen Eigentum besteht und was zweitens das TRIPS‑Übereinkommen regelt oder enthält oder schlicht und einfach „ist“.

49.      Zu Ersterem hat der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/94(11) ausgeführt, dass „[d]ie Rechte an geistigem Eigentum … es ihrem Inhaber [erlauben], Dritte an der Vornahme bestimmter Handlungen zu hindern. Die Möglichkeit, die Benutzung einer Ware, die Herstellung eines Erzeugnisses, die Kopie eines Musters oder die Reproduktion eines Buches, einer Schallplatte oder einer Videokassette zu verbieten, hat unweigerlich Auswirkungen auf den Handel. Die Rechte an geistigem Eigentum sollen im Übrigen gerade diese Wirkungen zeitigen“ (Gutachten 1/94, Randnr. 57).

50.      Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die rechtliche Realität dieses geistigen Eigentums nicht in diesen Wirkungen erschöpft, sondern auch notwendigerweise seine normative Ausgestaltung von der Rechtsordnung als anerkanntes und gewährleistetes Recht umfasst. Dem wirtschaftlichen Effekt eines Rechtsinstituts geht gewissermaßen als von ihm getrennte Realität die Schaffung des Instituts als solches und die Definition seines Status voraus(12). 

51.      Was den zweiten Punkt anbelangt, d. h., was das TRIPS „ist“, wird man zugeben müssen, dass das TRIPS-Übereinkommen ein Minimalübereinkommen über das Recht am geistigen Eigentum auf internationaler Ebene darstellt. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Unterzeichner des Übereinkommens einige übereinstimmende Grundlagen zur rechtlichen Regelung des geistigen Eigentums ausgearbeitet haben. In diesem Sinne haben nicht wenige seiner Bestimmungen für jegliche Regelung, sei sie national oder nicht, grundlegenden Charakter(13). 

52.      Natürlich enthält das TRIPS-Übereinkommen offenkundig auch eine Vielzahl von Bestimmungen, die spezifisch den Handel mit Erzeugnissen betreffen. Die Staaten haben in der mündlichen Verhandlung einige von ihnen angeführt. Hervorzuheben ist hierbei, dass diese Klauseln weder den Kern noch den wichtigsten Teil des TRIPS-Übereinkommens bilden. Jedenfalls sind diese Bestimmungen unproblematisch. Es ist nicht zu erwarten, dass die ausschließliche, in der gemeinsamen Handelspolitik begründete Zuständigkeit der Union für die Vereinbarung solcher Bestimmungen in Frage gestellt wird, und es besteht keine Notwendigkeit, dass Art. 207 Abs. 2 AEUV hierzu etwas sagt.

53.      Das Problem besteht in den materiellen, sogar „unbestreitbar“ materiellen, Bestimmungen über das Recht am geistigen Eigentum, die derartige Abkommen fast unvermeidlich enthalten. Im Fall des TRIPS-Übereinkommens ist wohl zuzugeben, dass sie seinen Kern – fast müsste man sagen, seinen „wesentlichen Inhalt“ – bilden.

54.      In diesem Sinne kann ich wohl schon vorgreifen, denn zumindest in einem gewissen Umfang und bis zu einem gewissen Punkt besteht der Grund für den Wortlaut des Art. 207 Abs. 1 AEUV, mit dem wir hier befasst sind, gerade in dieser Art von Bestimmungen. Wie ich bereits ausgeführt habe, ist es nicht erforderlich, das Primärrecht zu ändern, um die Zuständigkeit der Union für die Vereinbarung charakteristischer Außenhandelsklauseln zu legitimieren.

55.      Nachdem die jeweiligen Standpunkte und das, was mit ihnen auf dem Spiel steht, dargestellt sind, ist der Zeitpunkt für die Darstellung meiner eigenen Prüfung gekommen. In diesem Sinne und schon von Anfang an bin ich der Ansicht, dass die Staaten recht haben und dass die Kommission recht hat.

56.      Die Staaten haben recht. Das Argument der Kommission ist, da es nominalistisch ist, eindeutig unbefriedigend. Gewiss sind die winzigen Unterschiede zwischen dem Wortlaut des Art. 207 Abs. 1 AEUV und der Bezeichnung des Übereinkommens nicht ausreichend, um die These der Kommission zu widerlegen(14), aber nur, soweit sie gilt.

57.      Und das Gewicht dieses Arguments reicht nicht aus, um den Konsequenzen dieser These standzuhalten. Erstens, soweit es dazu führt, dass der Bereich einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union durch den tatsächlichen oder möglichen Inhalt eines bestimmten internationalen Vertrags oder anderer mit einem ähnlichen Inhalt bestimmt wird, ist dem fast ein grundsätzlicher Einwand entgegenzuhalten.

58.      Ich glaube, dass nicht in Frage gestellt werden darf, dass es sich bei dem Begriff „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, dessen Auslegung autonom dem Gerichtshof vorbehalten sein muss, ohne dass es dem überlassen werden darf, was sich in mehr oder weniger stabiler oder mehr oder weniger kohärenter Form aus den Übereinkommen – TRIPS oder ähnliche –, an denen die Union beteiligt ist, ergibt. Etwas anderes ist die Schwierigkeit, die die Ausarbeitung dieses Begriffs unbestreitbar mit sich bringt; im Rahmen dieser Aufgabe ist von vornherein von einer abstrakten oder Ex-ante-Bestimmung Abstand zu nehmen. Er muss eher stufenweise konstruiert werden, wie ich für diesen Fall vorschlagen werde.

59.      Zweitens, soweit das Argument tatsächlich ignoriert, was eine systematische Auslegung der Bestimmung unmittelbar deutlich macht, ist festzustellen, dass das Gebiet des geistigen Eigentums eine geteilte Zuständigkeit darstellt und dies weiterhin gelten muss, nicht nur nach dem Wortlaut des Primärrechts, wie es der Fall ist, sondern selbstverständlich auch bei seiner Auslegung.

60.      Es ist klar, dass durch die allgemeine und unmittelbare Einbeziehung der im TRIPS-Übereinkommen geregelten Materie in den Begriff der „handelsbezogenen Aspekte“ der Kern des Rechts des geistigen Eigentums in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verlagert werden soll, die eine Art „indirekte“ Harmonisierung durchführen oder sogar die geteilte Zuständigkeit „deaktivieren“ kann. Im Übrigen führt das Verständnis des Begriffs als ausschließliche „externe“ Zuständigkeit, die neben einer geteilten „internen“ Zuständigkeit bestehen kann, vorbehaltlich der weiter unten stehenden Ausführungen nur in eine Sackgasse.

61.      Wenn wir uns auf das beschränken, worauf wir uns beschränken können, also auf den Inhalt von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens, wird deutlich, dass diese Vorschrift, die die geschützten Gegenstände festlegt, wie auch die nachfolgende Vorschrift, die den „gewährten Rechten“ gewidmet ist, Kernbestandteil jeder materiellen Regelung des geistigen Eigentums ist, das vor allem im Hinblick auf seinen Wert oder Inhalt definiert und präzisiert werden muss. „Patentfähige Gegenstände“ zu regeln, wie dies Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens tut, bedeutet meiner Ansicht nach, sich mit einem Aspekt des geistigen Eigentumsrechts zu beschäftigen, der unmittelbar die rechtliche Regelung der Rechte betrifft, die eine Rechtsordnung diesem besonderen Eigentum zuerkennt und gewährleistet. Wenn dies „handelsbezogener Aspekt“ und ausschließliche Zuständigkeit ist, hat dies mit Sicherheit Auswirkungen auf die geteilte Zuständigkeit der Staaten(15). 

62.      Die Staaten haben recht, wenn sie ausführen, dass nicht die gesamte im TRIPS-Übereinkommen enthaltene Materie und insbesondere nicht die des Art. 27 in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen. Insoweit lässt sich kaum bestreiten, dass die Rechtsprechung Merck Genéricos im Wesentlichen weiterhin gültig ist.

63.      Aber auch die Kommission hat recht oder jedenfalls nicht ganz unrecht. Natürlich bleibt das Argument des „Offenkundigen“ immer in gewisser Weise unbefriedigend. Allein die Tatsache jedoch, dass jemand wie die Kommission mit Zustimmung der Rechtsprechung seine These rhetorisch für „offenkundig“ erklärt, verfehlt nicht eine gewisse Wirkung.

64.      Bei meinem Bemühen, mich der These der „Offenkundigkeit“ anzuschließen, muss ich zunächst anerkennen, dass dieser besondere Ausdruck der „handelsbezogenen Aspekte“ keinen Eingang in das Primärrecht gefunden hätte, wenn nicht seit mehr als einem Jahrzehnt ein internationaler Vertrag bestanden hätte, der gerade die Bezeichnung „TRIPS“ trägt. Mit anderen Worten: Gedanklich hat die Verbindung zwischen dem Wortlaut von Art. 207 Abs. 1 AEUV und der Bezeichnung des TRIPS-Übereinkommens eine sehr starke Wirkung.

65.      Ferner ist festzustellen, dass in dem Moment, in dem wir uns vom sicheren Terrain der „Verweisung“, d. h. der Verweisung auf das TRIPS-Übereinkommen, entfernen, erhebliche Auslegungsschwierigkeiten drohen. Wenn man akzeptiert, dass der Begriff der „handelsbezogenen Aspekte“ zwingend über den Bereich der spezifisch handelsbezogenen Klauseln hinausgehen muss, um den Bereich der materiellen Regelungen umfassen zu können, wird es schwer sein, die grundlegendsten unter ihnen auszuschließen, denn es sind die, die die größte Bedeutung besitzen. Bei einem internationalen Minimalabkommen über Wesen und Qualität des geistigen Eigentums werden nicht gerade Randfragen behandelt. In diesem Sinne ist das TRIPS-Übereinkommen das beste Beispiel.

66.      Angesichts der vorstehenden Ausführungen spricht die praktische Wirksamkeit der genannten Formel eindeutig dafür, dass bestimmte materielle Bestimmungen des geistigen Eigentums in derartigen Verträgen unter den in dem wiederholt angeführten Artikel verwendeten Ausdruck fallen. Mit einem Wort: Art. 207 Abs. 1 AEUV muss dem bereits Vorhandenen etwas hinzufügen. Und ich glaube, dass dieses „Etwas“ die materiell-rechtlichen Bestimmungen des Rechts des geistigen Eigentums sind, die jedoch gelegentlich wegen ihrer Auswirkungen auf den Handelsverkehr eine „strategische“ Position einnehmen können.

67.      Auch aus diesem Blickwinkel können Gegenstände, wie sie in Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens geregelt sind (geschützte Gegenstände), nicht vom Einflussbereich des Art. 207 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen werden, ohne dass in gewisser Weise die praktische Wirksamkeit der Bestimmung in Frage gestellt wird.

68.      Um die Schwierigkeiten der vorliegenden Situation zusammenzufassen: Die Bedeutung einer bestimmten materiell-rechtlichen Bestimmung für den internationalen Handel ist für sich allein nicht geeignet, die ausschließliche Zuständigkeit der Union für seine Regulierung zu legitimieren. Die Funktionalität kann nicht zum einzigen und nicht einmal zum vorherrschenden Kriterium gemacht werden. Es muss unbedingt ein Gleichgewicht zwischen ihr und der systematischen Auslegung hergestellt werden. Die systematische Auslegung zeigt sofort, dass Art. 207 Abs. 1 AEUV in diesem Bereich nicht allein steht. Die systematische Auslegungsregel gibt auf sehr eindeutige Weise ein gewissermaßen „topografisches“ oder sogar „abgegrenztes“ Verständnis des Wortlauts von Art. 207 Abs. 1 AEUV vor: Es muss zumindest einen Teil des Rechts des geistigen Eigentums geben, der der Unterordnung unter die handelsbezogenen Aspekte „widersteht“.

69.      Allerdings würde ein „topografisches“ oder „abgegrenztes“ Verständnis die praktische Wirksamkeit der durch Art. 207 Abs. 1 AEUV erfolgten Änderung des Primärrechts unverhältnismäßig beeinträchtigen. Ebenso würde ein gewissermaßen „funktionelles“ Verständnis, das unmittelbar und ohne weitere Vorbehalte auf das verweist, was das TRIPS-Übereinkommen und andere, ähnliche Übereinkommen im Einzelfall regeln, zumindest potenziell die Aufteilung, die den Bereich des geistigen Eigentums zweifellos auch weiterhin kennzeichnet, aufheben und ihr auch die praktische Wirksamkeit nehmen.

70.      Zusammenfassend scheinen der funktionelle und der systematische Ansatz in einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch zu stehen. Beide scheinen, zugunsten des einen oder des anderen, die Zuständigkeit für grundlegende Elemente des Rechts des geistigen Eigentums zu beanspruchen.

71.      Angesichts dieser Ausführungen wird mich der Grund, der wie gesagt die Kommission geleitet hat, nicht zu dem Schluss führen, dass mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Zuständigkeit für die Auslegung einer Bestimmung wie Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens auf den Gerichtshof übergegangen ist, woraus sich die Notwendigkeit ergäbe, die Rechtsprechung zu modifizieren, nach der die Auslegung des TRIPS-Übereinkommens vornehmlich den nationalen Gerichten obliegt. Aber dafür muss ein Ausweg aus dem Dilemma gefunden werden.

72.      Ich bin der Ansicht, das man diesem Dilemma nur durch eine Prüfung der jeweiligen Konsequenzen entgehen kann, die, immer im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit, sich aus der Option für die eine oder die andere der einander gegenüberstehenden Thesen ergibt. Mit anderen Worten: Es geht darum, den höchsten Grad der Optimierung der Bestimmungen, auf die sich die jeweiligen Thesen stützen, zu erreichen.

73.      So gesehen ist die Auslegung auf zwei Richtungen zu beschränken, eine gewissermaßen „räumliche“ und eine zeitliche. Die erste ist einfach darzustellen: Es geht darum, auf die Anwendung des Grundsatzes der Übereinstimmung auf die Reichweite des Wortlauts von Art. 107 Abs. 1 AEUV oder des TRIPS-Übereinkommens insgesamt zu verzichten. Insoweit nehme ich Bezug auf die vorstehenden Ausführungen. Die Frage bezieht sich auf Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens.

74.      Einer näheren Erklärung bedarf die zeitliche Eingrenzung, die sich offenkundig nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt beziehen kann. Zwar trifft es zu, dass Art. 207 Abs. 1 AEUV eine typische „externe“ Zuständigkeit regelt, vor allem, wenn man ihn unter Berücksichtigung des Wortlauts seines Vorläufers ? des Art. 133 EG ? untersucht und wenn man den Zuständigkeitsvorbehalt berücksichtigt, den Art. 207 Abs. 6 AEUV darstellt. Dies darf aber nicht zu der Annahme führen, dass die Antwort in dem Ansatz zu finden ist, dass die externe Zuständigkeit der Union ohne Weiteres mit der internen Zuständigkeit der Staaten koexistieren kann. Ich glaube eher, dass eine solche Koexistenz in Ermangelung von Instrumenten, die ihre jeweilige Reichweite definieren, jedenfalls auf lange Sicht kein mögliches Konzept ist.

75.      Etwas anderes sind die Möglichkeiten einer Koexistenz zum gegenwärtigen Zeitpunkt, d. h. in der Anfangsphase dieser neuen ausschließlichen Zuständigkeit. Ich bin der Ansicht, dass man die Meinung vertreten kann, dass die ausschließliche externe Zuständigkeit der Union für ein gewisses „Verschwinden“ oder den Verlust der zentralen Rolle der externen geteilten Zuständigkeit der Staaten spricht. Dies kann aber nicht geschehen, indem man plötzlich der ersten gegenüber der zweiten den Vorzug gibt.

76.      Im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit ist der Schaden, den die Option für den Verbleib einer Vorschrift wie des Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens in der Zuständigkeitssphäre der Mitgliedstaaten einer solchen Wirksamkeit von Art. 207 AEUV zufügen kann, zum gegenwärtigen Zeitpunkt geringer als der, den die entgegengesetzte Option verursachen würde. Die Union steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor einem weiten Tätigkeitsfeld auf dem Gebiet der Harmonisierung und der Schaffung eines einheitlichen Rechtstitels. Die Staaten sind hingegen lediglich Inhaber einer geteilten Zuständigkeit. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sprechen daher gute Gründe dafür, Art. 207 Abs. 1 AEUV nicht sofort und allgemein in einer Weise auszulegen, die an den Inhalt internationaler Verträge des Typs TRIPS anknüpft. In diesem Sinne, um nur eine Hypothese anzuführen, erscheint ein allgemeiner und sofortiger „Ausschluss“ der Mitgliedstaaten aus den Verhandlungen über diese Übereinkommen nicht durchführbar.

77.      Ich glaube aber auch, dass es erforderlich ist, dem Wortlaut von Art. 207 Abs. 1 AEUV von Anfang an einen gewissen Grad an praktischer Wirksamkeit zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Es muss, was im Übrigen offenkundig ist, eine Auslegung ausgeschlossen werden, die die Änderung des Primärrechts aufgrund dieser Bestimmung praktisch folgenlos lässt.

78.      Dies bedeutet zunächst, dass, nachdem feststeht, dass für das geistige Eigentum weiterhin eine geteilte Zuständigkeit gilt, diese Zuständigkeit so auszulegen ist, dass sie es der Union so weit wie möglich ermöglicht, ihre ausschließliche Zuständigkeit für handelsbezogene Aspekte auszuüben. Dadurch würde ein Verständnis der „handelsbezogenen Aspekte“ vermieden, das sich übermäßig nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis richtet. Mit anderen Worten: Es muss eine sehr enge Auslegung der „handelsbezogenen Aspekte“ vermieden werden.

79.      Zweitens glaube ich, dass sich ein Weg zur Verwirklichung der praktischen Wirksamkeit von Art. 207 Abs. 1 AEUV finden ließe, wenn er als implizites, auf die progressive Harmonisierung des Bereichs des geistigen Eigentums gerichtetes Mandat verstanden würde. Die Legitimität von Art. 207 Abs. 1 AEUV würde auch durch die effektiven Fortschritte auf dem Gebiet der Harmonisierung verstärkt.

80.      Als abschließende Erwägung zu meinem Ansatz: Ich glaube nicht, dass in diesem Kontext „Abkürzungen“ möglich sind, selbst wenn sie paradoxerweise die Form von „Umwegen“ annehmen. Es ist festzustellen, dass das Patentrecht bei seiner Harmonisierung im Bereich der Union auf historische Schwierigkeiten gestoßen ist. Zweifellos lässt sich verstehen, dass als Reaktion auf diese Schwierigkeiten in der neuen ausschließlichen Zuständigkeit der Union ein indirektes Instrument für die angestrebte Harmonisierung des Patentrechts gesehen werden konnte. Aber wenn etwas im Wortlaut von Art. 207 Abs. 1 AEUV unzweideutig ist, ist es die Feststellung, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Union die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ betrifft und nicht das „geistige Eigentum“ tout court. Es besteht weiterhin ein Bereich des „geistigen Eigentums“, der unstreitig über dessen „Handelsaspekte“ hinausgeht und für dessen Harmonisierung die Union über verschiedene Instrumente verfügt. Art. 207 Abs. 1 AEUV zählt jedoch nicht dazu.

81.      Daher bin ich der Auffassung, dass insbesondere beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens keine Materie regelt, die von den Handelsaspekten des geistigen Eigentums im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV umfasst ist, so dass hinsichtlich seiner Auslegung weiterhin die Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt, nach der der Umfang der Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung der Bestimmungen in internationalen Übereinkommen von der materiellen Zuständigkeit für die geregelte Materie abhängt.

82.      Ungeachtet dessen gehe ich für den Fall, dass der Gerichtshof zu einem anderen Ergebnis kommt, im Folgenden hilfsweise auf die Frage der Wirkung dieser Bestimmung ein.

C –    Zweite Frage: Zur unmittelbaren Wirkung von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens

83.      Wenn das vorlegende Gericht fragt, ob die Mitgliedstaaten Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens unmittelbare Wirkung zuerkennen können, fragt es in Wirklichkeit, ob das nationale Gericht diese Bestimmung des Übereinkommens anwenden kann. Und tatsächlich verwendet es im letzten Halbsatz seiner ersten Frage den Ausdruck „unmittelbar anwenden“.

84.      Meiner Meinung nach ist es fraglich, ob die Verwendung des Ausdrucks „unmittelbar anwenden“ ungeachtet seiner weiten Verbreitung treffend ist. Insoweit schließe ich mich den Schlussanträgen von Generalanwalt Maduro in der Rechtssache FIAMM(16) an, wonach der Unterschied zwischen der „unmittelbaren Wirkung“ völkerrechtlicher Verträge und der „unmittelbaren Wirkung“ des Unionsrechts, „sowohl hinsichtlich des Begriffs als auch hinsichtlich ihrer Bedeutung“ so groß ist, dass es „zur Vermeidung jedweder unglücklichen Verwirrung“ ratsam ist, „zu ihrer Bezeichnung unterschiedliche Begriffe zu verwenden und demnach nur noch von der Möglichkeit der Berufung auf völkerrechtliche Verträge zu sprechen“(17). 

85.      Meiner Ansicht nach geht es bei der hier streitigen Frage vor allem um die Möglichkeit, sich vor den Gerichten auf das TRIPS-Übereinkommen zu berufen, was bedeutet, dass die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Möglichkeit, sich auf die WTO-Übereinkommen zu berufen, heranzuziehen ist(18). 

86.      Diese Rechtsprechung, die auf das Urteil vom 12. Dezember 1972, International Fruit Company(19), zurückgeht, wurde bei zahlreichen Gelegenheiten im Hinblick auf sehr unterschiedliche Rechtsakte der WTO bestätigt(20). 

87.      Es trifft zu, dass dieser Ansatz weiterhin Schwachpunkte aufweist, worauf ein Teil der Lehre hingewiesen hat (der die seiner Meinung nach schwache Konzeption des Legalitätsgrundsatzes bzw. den politischen Charakter des Arguments der Reziprozität oder letztendlich die rechtliche Schutzlosigkeit des Einzelnen kritisiert)(21). Der Kritik am Standpunkt des Gerichtshofs sind jedoch ebenfalls verschiedene Einwände entgegenzuhalten, worauf auch Stimmen hingewiesen haben, die der Rechtsprechung weniger kritisch gegenüberstehen (die den Kritikern die Tatsache entgegenhalten, dass sie weder die demokratische Grundlage der WTO-Vorschriften erklären, noch den Grad der Verrechtlichung, den das Recht des internationalen Handels erreicht hat, und die die Reziprozität als einen echten Verfassungsgrundsatz rechtfertigen und daran erinnern, dass die Lehre von der unmittelbaren Wirkung nur im Kontext der Errichtung eines gemeinsamen Markts Sinn hat)(22). 

88.      Jedenfalls entfaltet sich nach dieser Rechtsprechung die unmittelbare Wirkung, wie Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache FIAMM(23) darlegte, nur, wenn die in Rede stehende völkerrechtliche Bestimmung eine zweifache Voraussetzung erfüllt: „dass der Wortlaut, die Natur und die Systematik des Vertrags einer Berufung darauf nicht entgegenstehen und dass die geltend gemachten Bestimmungen im Licht von Sinn und Zweck des Vertrags sowie seines Kontexts hinreichend präzise und unbedingt sind, d. h. eine klare und präzise Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder Wirkungen nicht vom Erlass einer weiteren Maßnahme abhängen“(24).

89.      Meiner Ansicht nach sind Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens und in Verbindung damit Art. 70 des Übereinkommens nicht „hinreichend präzise und unbedingt“, enthalten also keine „klare und präzise Verpflichtung“, „deren Erfüllung oder Wirkungen nicht vom Erlass einer weiteren Maßnahme abhängen“.

90.      Dies wird meiner Ansicht nach durch die Erfahrung der nationalen Gerichte belegt, denen sich die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des TRIPS-Übereinkommens stellte.

91.      Die nationalen Gerichte waren bis jetzt dafür zuständig, zu einer möglichen unmittelbaren Wirkung des TRIPS-Übereinkommens im Hinblick auf die Patentierbarkeit von Arzneimitteln und die mögliche Erstreckung der Patente für die Verfahren zu deren Herstellung auf diese Arzneimittel Stellung zu nehmen. Naturgemäß kann die Praxis dieser Gerichte nunmehr für den Gerichtshof bei der Aufstellung eines Kriteriums für die Antwort, die insoweit für den Bereich der Union zu geben ist, von höchstem Nutzen sein.

92.      In den Staaten, in denen Arzneimittel vor den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereits patentfähig waren, gab es hierzu keine gerichtlichen Entscheidungen(25). Ebenso wenig in denjenigen, deren Patentgesetzgebung sehr neu ist(26). Die Rechtsprechung, die von Interesse ist, stammt daher nur aus den Ländern, die vor dem Europäischen Patentübereinkommen (1973) und dem TRIPS-Übereinkommen (1994) zwar über eine Patentgesetzgebung verfügten, aber die Patentierung von Arzneimitteln beim Inkrafttreten dieser völkerrechtlichen Verträge nicht zuließen. Dies ist ganz natürlich, denn Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens betrifft spezifisch die Situation der letztgenannten Staaten.

93.      In drei Mitgliedstaaten (Slowenien, Finnland und Portugal) haben die Gerichte entschieden, dass Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens nicht anwendbar sei. Der Grund sei, dass der Inhalt der Bestimmung nicht hinreichend präzise sei.

94.      Die österreichischen, spanischen und griechischen Gerichte (deren Staaten Vorbehalte nach Art. 167 des Münchner Übereinkommens gemacht haben) haben zu der Frage Stellung genommen, ob Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens auf bereits bestehende Patente für Herstellungsverfahren für Arzneimittel, die zum Zeitpunkt ihrer Erteilung aufgrund der nationalen Vorschriften das Arzneimittel selbst nicht umfassen konnten, anwendbar ist.

95.      In Spanien haben die Audiencia Provincial de Madrid (2006) und der Juzgado Mercantil nº 3 de Barcelona (2007) entschieden, dass das TRIPS-Übereinkommen sowohl auf bei seinem Inkrafttreten laufende Patentverfahren als auch bereits bestehende Patente Anwendung finde. Das Tribunal Supremo hat diese Auslegung bestätigt (2011) und ergänzt, dass die Wirkungen des aufgrund des Münchner Übereinkommens erklärten Vorbehalts durch das TRIPS-Übereinkommen aufgehoben worden seien.

96.      Die Audiencia Provincial de Madrid hat zudem erkannt, dass Art. 70 Abs. 7 des TRIPS-Übereinkommens (Änderung laufender Anträge) unmittelbare Wirkung habe(27).

97.      In Österreich hat der Oberste Gerichtshof (2008) festgestellt, dass das TRIPS-Übereinkommen unmittelbare Wirkung habe, da der durch Art. 70 des Übereinkommens gewährte Schutz dem im österreichischen Recht vorgesehenen Schutz entspreche. Aufgrund der nationalen Regelung kam er zu dem Ergebnis, dass Patente für ein Herstellungsverfahren, die erteilt worden seien, bevor Arzneimittel in Österreich patentfähig gewesen seien, nicht auf Letztere erstreckt werden könnten.

98.      Im Fall Griechenlands sind die beiden Standpunkte des Athener Gerichts erster Instanz hervorzuheben, dass im Jahr 2009 feststellte, dass das TRIPS-Übereinkommen Rückwirkung entfalte, so dass sämtliche Patentanträge für Arzneimittel vom 9. Februar 1995 an für einen Zeitraum von 20 Jahren seit der Antragstellung rückwirkend wirksam seien. Im Jahr 2011 hat es jedoch diesen Standpunkt überprüft und festgestellt, dass die Rückwirkung das Bestehen eines von Anfang an gültigen und geltenden Rechtstitels voraussetze.

99.      Die in den Mitgliedstaaten gefundenen Lösungen sind alles andere als einheitlich, so dass der Gerichtshof eine Lösung anhand seiner eigenen Kriterien finden muss.

100. Meiner Ansicht nach zwingt die Zuständigkeit der Union für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens ohne Weiteres zu dem Schluss, dass diese Wirkung keinesfalls unmittelbar sein kann. Dies aus zwei Gründen.

101. Erstens aus einem dem Unionsrecht zum gegenwärtigen Stand seiner Entwicklung innewohnenden Grund und zweitens aus einem sich unmittelbar aus dem Inhalt von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens ergebenden Grund.

102. Im Bezug auf den ersten Grund reicht der Hinweis, dass Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens eine Reihe von Prinzipien und Kriterien für die „Patentierbarkeit“ aufstellt, die sich offenkundig an die öffentliche Gewalt richten, die für die materielle Patentgesetzgebung zuständig ist. Es ist an dieser Stelle nicht erforderlich, darauf einzugehen, wer diese öffentliche Gewalt sein muss: Es reicht die Feststellung, dass eine gesetzgeberische Handlung erforderlich ist.

103. Meiner Meinung nach stellt Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens in Wirklichkeit ein an den für die Patentgesetzgebung zuständigen Gesetzgeber gerichtetes Mandat dar, dem er die Verpflichtung auferlegt, eine Patentregelung einzuführen, die grundsätzlich, und soweit es hier von Belang ist, die „Patentierbarkeit“ von Arzneimitteln regelt. Wenn der aus materieller Sicht in erster Linie zuständige Gesetzgeber weiterhin der nationale Gesetzgeber ist, kann die Union allenfalls im Umkehrschluss aus diesem Mandat ein Recht des Einzelnen darauf ableiten, dass die Mitgliedstaaten das Arzneimittelpatent zulassen, solange sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, bestimmte Erfindungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der guten Sitten, des Schutzes des Lebens, der Gesundheit oder der Umwelt von der „Patentierbarkeit“ auszuschließen (Art. 27 Abs. 2). Wenn hingegen die in Rede stehende Zuständigkeit nunmehr der Union zusteht, würde sich dieses Mandat an ihre Organe richten(28). 

104. Daraus folgt: Art. 27 in Verbindung mit Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens hat meiner Ansicht nach keine unmittelbare Wirkung, so dass es sich nicht um eine Bestimmung handelt, auf die sich der Einzelne gegenüber der öffentlichen Gewalt oder wie hier gegenüber anderen Einzelnen unmittelbar berufen kann.

105. Ungeachtet dessen gehe ich für den Fall, dass der Gerichtshof zu einem anderen Ergebnis kommt, noch auf das dritte Problem ein, vor das uns das vorlegende Gericht stellt.

D –    Dritte Frage: zur Auslegung der „Gegenstände …, die zum Zeitpunkt der Anwendung dieses Übereinkommens auf das betreffende Mitglied vorhanden“ waren, im Sinne von Art. 70 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens

106. Vorab muss darauf hingewiesen werden, dass ein Patent für ein Erzeugnis und ein Patent für ein Verfahren sich unterscheiden und unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen. Es lässt sich ein gewisses Bemühen beobachten, die Ansicht zu verteidigen, dass „der Gegenstand“ eines Patents für ein Verfahren bereits in gewisser Weise das Erzeugnis als solches umfasst. Es reicht der Hinweis auf den unterschiedlichen Schutz. Gemäß Art. 28 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens ist ein Patent für „ein Erzeugnis“ für seinen Inhaber vorteilhafter, denn es ermöglicht ihm, seinen Wettbewerbern „Herstellung, Gebrauch, Anbieten zum Verkauf, Verkauf oder diesen Zwecken dienende Einfuhr“ zu verbieten. Ein Patent für ein Verfahren ermöglicht es hingegen nicht, den Wettbewerbern zu verbieten, dass sie dasselbe Erzeugnis im Wege eines anderen Verfahrens herstellen(29). 

107. Jedenfalls kann diese Frage vor allem im Zusammenhang mit meinen soeben angestellten Erwägungen zur Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung beantwortet werden.

108. Im Ausgangsverfahren steht letztendlich in Rede, ob aufgrund des Zusammenspiels der Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens durch das Inkrafttreten dieses Übereinkommens ein Patent, das für ein Verfahren erteilt wurde, als es nicht möglich war, Arzneimittel zu patentieren, auf Arzneimittel erstreckt werden kann, nachdem das Verbot weggefallen war, das einem Patent für ein Erzeugnis entgegenstand, trotz dessen aber seinerzeit auch dieses Patent beantragt wurde.

109. An diesem Punkt ist zu berücksichtigen, dass im Fall Griechenlands die Unmöglichkeit, Arzneimittel zu patentieren, ausschließlich auf den Vorbehalt gemäß Art. 167 des Münchner Übereinkommens zurückging, dessen Auslaufen die Möglichkeit begründete, erneut die nationale Regelung anzuwenden, nach der Arzneimittelpatente vor der Erklärung des Vorbehalts möglich waren. Nach Auslaufen des Vorbehalts am 7. Oktober 1992 stand der Beantragung des Arzneimittelpatents nichts mehr entgegen, ohne dass auf den in Art. 70 Abs. 8 des TRIPS-Übereinkommens geregelten Mechanismus zurückgegriffen werden musste.

110. Diese Vorschrift bestimmt: „Sieht ein Mitglied zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTO-Übereinkommens keinen seinen Verpflichtungen nach Artikel 27 entsprechenden Patentschutz für pharmazeutische und agrochemische Erzeugnisse vor, so muss dieses Mitglied … ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTO-Übereinkommens eine Möglichkeit für das Einreichen von Anmeldungen von Patenten für solche Erfindungen vorsehen …“

111. Bei Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens in Griechenland war es nicht erforderlich, „eine Möglichkeit für das Einreichen von Anmeldungen von Patenten“ vorzusehen, denn, wie ich bereits geschildert habe, galt nach dem Auslaufen des Vorbehalts gemäß Art. 167 des Münchner Übereinkommens vollumfänglich die vor Erklärung des Vorbehalts in Griechenland geltende allgemeine Patentregelung, nach der die „Patentierbarkeit“ von Arzneimitteln nicht ausgeschlossen war.

112. Meiner Ansicht nach ergibt sich allerdings aus Art. 70 Abs. 8 des TRIPS-Übereinkommens, dass dieses Übereinkommen auf dem Grundsatz beruht, dass jedenfalls auch eine ausdrückliche Anmeldung des Patents vorliegen muss. Diese Anmeldung wird nach dem in Art. 8 vorgesehenen Verfahren oder nach dem normalen Patentverfahren bearbeitet, wenn es nach dem nationalen Recht nicht erforderlich ist, die allgemeine Regelung auf Arzneimittel zu erweitern, wie es in Griechenland gerade der Fall ist.

113. Daher bin ich der Ansicht, dass das TRIPS-Übereinkommen keinesfalls eine „automatische Erstreckung“ eines Patents für ein Verfahren auf ein pharmazeutisches Erzeugnis vorsieht, wie es Daiichi Sankyo begehrt. Auch die Möglichkeit einer „hinausgeschobenen Erteilung“ eines Arzneimittelpatents, das zu einem Zeitpunkt beantragt wurde, zu dem es nicht erteilt werden konnte, bleibt außer Betracht. Letztendlich muss aus Gründen, die ich im Sinne der Rechtssicherheit in einem so delikaten Bereich wie dem der Patente und der damit zusammenhängenden Vermarktung von Arzneimitteln für wesentlich betrachte, davon ausgegangen werden, dass ein Patent, das für ein pharmazeutisches Erzeugnis erteilt wird, ausschließlich das Ergebnis eines spezifischen Prüfungs- und Kontrollverfahrens sein kann, das auf einen ausdrücklichen Antrag zurückgeht.

114. Zusammenfassend schlage ich für den Fall, dass der Gerichtshof davon ausgeht, dass er für die Auslegung von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens und in Verbindung damit für die des Art. 70 des Übereinkommens zuständig ist und dass die zitierte Vorschrift unmittelbar anwendbar ist, vor, festzustellen, dass das Inkrafttreten dieses Übereinkommens allein nicht zur Folge hat, dass diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt wegen einer gesetzlichen Regelung, nach der Patente für pharmazeutische Erzeugnisse als solche nicht zulässig waren, Inhaber von Patenten für die Herstellung eines pharmazeutischen Erzeugnisses waren, ein Patent für das Erzeugnis als solches erworben haben, selbst wenn sie bei der Beantragung des Patents für das Verfahren einen Antrag auf Erteilung eines Patents für das Erzeugnis als solches gestellt haben.

VII – Die zeitlichen Wirkungen

115. Im Rahmen meiner subsidiären Prüfung der Auslegung des TRIPS-Übereinkommens, um die der Gerichtshof ersucht wird, dürfen unabhängig vom Inhalt der Antwort auf die dritte Frage die zeitlichen Wirkungen seines Urteils nicht außer Betracht bleiben.

116. Zunächst ist auf eine in jedem Fall bestehende Mindestgrenze hinzuweisen: der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon.

117. Meiner Ansicht nach ist es offenkundig, dass sich das Urteil des Gerichtshofs ausschließlich auf die Wirksamkeit der Vorschrift seit dem 1. Dezember 2009 beziehen kann, d. h. seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, dessen Art. 3 und 207 der Union die Zuständigkeit zuweisen, die den Gerichtshof legitimiert, dieses Urteil zu erlassen.

118. Bis zu diesem Zeitpunkt waren jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Mitgliedstaaten für die Feststellung zuständig, ob Vorschriften wie Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen unmittelbare Wirkung entfalten konnten.

119. Die Änderung aufgrund der neuen Zuständigkeitsverteilung durch den Vertrag von Lissabon bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nunmehr keine Befugnis mehr besitzen, über diese Frage zu entscheiden. Es ist aber offenkundig, dass, wenn auch nur aus Gründen der Konsequenz, die Wirkungen, die bis dahin im nationalen Recht durch die insoweit von ihren jeweiligen Gerichten getroffenen Entscheidungen eingetreten sind, unberührt bleiben.

120. Infolgedessen kann die Entscheidung des Gerichtshofs keine Auswirkungen auf die rechtlichen Situationen haben, die im materiellen Bereich, auf den sich Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens vor dem 1. Dezember 2009 bezog, entstanden sind.

121. Dies reicht jedoch möglicherweise nicht aus: Der enorme Anstieg von Verfahren, ihre Diversität, die bereits in weiten Teilen geklärt ist, rechtfertigen sehr grundlegende Erwägungen zur Rechtssicherheit. Meiner Ansicht nach kann in Anbetracht der Unsicherheit, die in sehr begründeter Weise bis zum jetzigen Zeitpunkt hinsichtlich der Bedeutung der Änderungen aufgrund des Vertrags von Lissabon in diesem Bereich bestanden hat – wie gerade durch die Tatsache dieses Vorabentscheidungsersuchens und die Diskussion zwischen den Parteien hierüber bestätigt wird –, die Entscheidung des Gerichtshofs zur unmittelbaren oder mittelbaren Wirksamkeit von Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens erst mit der Veröffentlichung des Urteils, das dieses Verfahren abschließt und diese Feststellung enthält, Wirkung entfalten. Jedenfalls muss gewährleistet sein, dass die gerichtlichen Entscheidungen, die bei Veröffentlichung des dieses Verfahren abschließenden Urteils des Gerichtshofs rechtskräftig sind, hiervon nicht berührt werden. Meiner Ansicht nach würden in diesem Fall die „zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit“ vorliegen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „ein eigenes Ermessen“ seinerseits rechtfertigen, um den definitiven Charakter von Entscheidungen zu gewährleisten, die vor seinem Urteil ergangen sind, das, wie es hier der Fall wäre, den geltenden normativen Kontext in grundlegender und in gewisser Weise überraschenderweise ändern würde(30). 

VIII – Ergebnis

122. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Vorlagefrage zu antworten:

A –    Grundsätzlich

1.      Art. 27 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens, der den Bereich des Patentschutzes festlegt, fällt in einen Bereich, für den die Mitgliedstaaten weiter hauptsächlich zuständig sind.

2.      Folglich besteht kein Grund für eine Beantwortung der übrigen Fragen des Polymeles Protodikeio Athinon.

B –    Hilfsweise

Für den Fall, dass der Gerichtshof der Auffassung ist, dass Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens in einen Bereich fällt, für den die Union hauptsächlich zuständig ist, und es demzufolge dem Gerichtshof zukommt, festzustellen, ob die Bestimmung unmittelbare Wirkung hat:

Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens hat keine unmittelbare Wirkung.

C –    Äußerst hilfsweise

Für den Fall, dass der Gerichtshof der Auffassung ist, dass Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens – und in Verbindung damit Art. 70 des Übereinkommens – unmittelbar anwendbar ist:

Das Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens allein hat nicht zur Folge, dass diejenigen, die wegen einer gesetzlichen Regelung, nach der Patente für pharmazeutische Erzeugnisse nicht zulässig waren, Inhaber von Patenten für die Herstellung eines pharmazeutischen Erzeugnisses waren, ein Patent für das Erzeugnis als solches erworben haben, selbst wenn sie bei der Beantragung des Patents für ein Verfahren einen Antrag auf Erteilung eines Patents für ein pharmazeutisches Erzeugnis gestellt haben.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Vgl. Anhang I C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (im Folgenden: WTO-Übereinkommen), das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche genehmigt worden ist (ABl. L 336, S. 1).


3 – Rechtssache C‑431/05, Slg. 2007, I‑7001.


4 – Oben in Fn. 3 angeführt.


5 – Urteil Merck Genéricos, Randnrn. 46 f.


6 – Rechtssache C‑53/96, Slg. 1998, I‑3603.


7 – Mit den Worten von Piet Eeckhout, EU External Relations Law, 2. Aufl., Oxford, 2011, S. 279, „[i]f competence is the criterion for jurisdiction, the latter will be the hostage of the complexity of the former“.


8 – Hervorhebung nur hier.


9 – Art. 207 AEUV unterscheidet sich von dem alten Art. 133 EG (nach Nizza) dadurch, dass er spezifisch die „Handelsaspekte des geistigen und des gewerblichen Eigentums“ unter die Bereiche fasst, bezüglich derer „[d]ie gemeinsame Handelspolitik … nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet [wird]“. Hingegen beschränkte sich Art. 133 Abs. 5 EG darauf, dass seine „Absätze 1 bis 4 … unbeschadet des Absatzes 6 auch für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen betreffend den Handel mit Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums [gelten], soweit diese Abkommen nicht von den genannten Absätzen erfasst sind“, wobei Abs. 1 vorsah, dass die gemeinsame Handelspolitik nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet wird. Art. 133 EG beinhaltete daher für diesen Bereich bereits grundsätzlich die externe Dimension der Handelsaspekte des geistigen Eigentums. Art. 207 AEUV umfasst sie über die externe Dimension hinaus schlicht und einfach unmittelbar und vollständig. Auf dieser Linie hat Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Rat (C‑13/07, Nr. 63) ausgeführt, dass die Gemeinschaft gemäß Art. 133 Abs. 5 EGV noch keine „ausschließliche Zuständigkeit … für den Handel mit Dienstleistungen und die Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ erlangt hat, sondern dass „dieser Schritt erst im Vertrag von Lissabon vollzogen“ wird. „Mit Art. 207 Abs. 1 AEUV werden fortan die ‚neuen‘ Bereiche der Handelspolitik ausdrücklich den klassischen gleichgestellt, und die Gemeinsame Handelspolitik wird insgesamt ausdrücklich den ausschließlichen Zuständigkeiten der Union zugeordnet (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV)“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Union durch Art. 207 AEUV eine ausschließliche Zuständigkeit in Hinblick auf das Recht des geistigen Eigentums eingeräumt wurde.


10 – Statt aller, Eeckhout, P., EU External Relations Law, a. a. O., S. 285, Dimopoulos, A., „The Common Commercial Policy after Lisbon: Establishing parallelism between internal and external economic relations?“, in Croatian Yearbook of European Law and Policy, Bd. 4 (2008), S. 108 f., Hahn, M., „Art. 207“, in Callies, Ch./Ruffert, M., EUV/AEUV, 4. Aufl., München, 2011, Randnrn. 2 und 16.


11 –      Gutachten vom 15. November 1994 (Slg. 1994, I‑5267).


12 – Den Nachweis, in welchem Maße das Eigentum (insbesondere das geistige) mit dem Handel verflochten ist – oder, wenn diese Formulierung vorgezogen wird, seine „Handelsaspekte“ als begriffsbestimmend betrachtet werden können –, finden wir ausgerechnet im TRIPS-Übereinkommen. Wie sich aus den Begleitumständen seiner Ausarbeitung ergibt, gingen die vertragschließenden Parteien nicht von derselben Reichweite des Begriffs „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ aus. Während die Entwicklungsländer sich für eine enge Auslegung aussprachen (die sich gewissermaßen auf den reinen „Handelsaspekt“ beschränkte), bestanden die entwickelten Länder auf der Notwendigkeit eines weiter gehenden Begriffs, der auch die Regelung des geistigen Eigentums selbst umfasste. Dem lag der Gedanke zugrunde, dass ein unzureichender Schutz unvermeidbar den Handel beeinträchtigt. Vgl. beispielsweise, Negotiating Group on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, including Trade in Counterfeit Goods, Meeting of 25 March 1987, MTN.GNG/NG11/1, Abs. 6 ff. Meeting of the Negotiating Group of 10 June 1987, MTN.GNG/NG11/2, Abs. 4 f. Negotiating Group on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, including Trade in Counterfeit Goods, Suggestion by the United States for Achieving the Negotiating Objective, MTN.GNG/NG11/W/14. In gewisser Weise setzten sich, wie wir sehen werden, beide Standpunkte durch: Der erste lag der Bezeichnung des Übereinkommens zugrunde, der zweite bestimmte seinen Inhalt. Die Verhandlungen über das TRIPS-Übereinkommen und die Aufnahme des geistigen Eigentums im Rahmen des GATT werden dargestellt in Hestermeyer, H. P., Human Rights and the WTO, Oxford, 2007, S. 33 bis 48.


13 – Es ist daran zu erinnern, wie im Gutachten 1/94, Randnr. 58, festgestellt wurde, dass der Hauptzweck des TRIPS darin besteht, „den Schutz des geistigen Eigentums weltweit zu verstärken und zu harmonisieren“, und dass sein Abschluss, da es „Vorschriften in Bereichen [festlegt], in denen es keine gemeinschaftlichen Harmonisierungsmaßnahmen [gibt], zugleich eine Harmonisierung innerhalb der Gemeinschaft erreicht und dadurch zur Herstellung und zum Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beigetragen werden [kann]“.


14 – Sicherlich besteht keine wörtliche Übereinstimmung zwischen der Bezeichnung des Übereinkommens („über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum“) und dem Wortlaut von Art. 207 Abs. 1 AEUV („Handelsaspekte des geistigen Eigentums“). In diesem Sinne, Krajewski, M., „The Reform of the Common Commercial Policy“, in Biondi, A./Eeckhout, P./Ripley, S., EU Law After Lisbon, Oxford, 2012, S. 301.


15 – Die „Patentierbarkeit“ ist eine Eigenschaft, die sich auf die Voraussetzungen bezieht, die von einem Erzeugnis oder einem Verfahren verlangt werden, damit es Gegenstand eines geschützten Rechts werden kann. Das Aufstellen und die Regelung dieser Voraussetzungen sind normative Handlungen, die eindeutig in den Bereich des materiellen Rechts der Patente fallen, d. h. in einen Bereich, der deren „Begründung“ als handelbare rechtliche Gegenstände betrifft, die handelsbezogene Wirkungen in diesem Bereich erzeugen können, deren Regelung ein guter Teil der Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens, wenn auch nicht alle, gewidmet ist.


16 –      Urteil vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat u. a. (verbundene Rechtssachen C‑120/06 P und C‑121/06 P, Slg. 2008, I‑6513).


17 – Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C‑120/06 P und C‑121/06 P, Nr. 31.


18 – Bekanntlich hat der Gerichtshof es stets abgelehnt, den WTO-Bestimmungen (sowohl den im Rahmen dieser Organisation geschlossen Übereinkommen als auch den Entscheidungen seiner Organe) unmittelbare Wirkung (die Möglichkeit, sich auf sie zu berufen) zuzuerkennen, was seinen Grund im flexiblen Charakter des WTO-Systems hat, der kein hinreichend entwickeltes Rechtssystem zulässt, um an der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts teilhaben zu können. Sowohl der GATT wie später auch die WTO stellen eine politische Verpflichtung in Abhängigkeit vom Gleichgewicht zwischen den Parteien dar, das im Wege diplomatischer Verhandlungen erreicht worden ist. Für eine allgemeine Analyse dieser Rechtsprechung vgl. Blázquez Navarro, I., Integración europea y diferencias comerciales en la OMC, Madrid, 2007, S. 357 ff.


19 – Rechtssachen 21/72 bis 24/72, Slg. 1972, 1219.


20 – Bis zu dem Punkt, dass über Vorabentscheidungsersuchen zu dieser Frage nach Maßgabe des alten Art. 104 der Verfahrensordnung durch Beschluss entschieden wurde. So z. B. Beschluss vom 2. Mai 2001, OGT Fruchthandelsgesellschaft (C‑307/99, Slg. 2001, I‑3159).


21 – Vgl. statt vieler, Griller, S., „Judicial Enforceability of WTO Law in European Union“, Journal of International Economic Law, 3(3) 2000; Louis, J.‑V., „Some Reflections on the Implementation of WTO Rules in the European Community Legal Order“, in Bronckers, M., und Quick, R. (Hrsg.), New Directions in International Economic Law: Essays in Honour of John H. Jackson, Den Haag – London – Boston, 2000.


22 – Z. B. von Bogdandy, A., „Legal Effects of World Trade Organisation Decisions Within European Union Law: A Contribution to the Theory of the Legal Acts of Internacional Organizations and the Action for Damages Under Article 288(2) EC“, in Journal of World Trade, 39 (19) 2005.


23 – Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C‑120/06 P und C‑121/06 P, Nrn. 27 bis 41.


24 – Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C‑120/06 P und C‑121/06 P, Nr. 27, in denen u. a. die Urteile vom 29. April 1982, Pabst & Richarz (17/81, Slg. 1982, 1331, Randnr. 27), und vom 26. Oktober 1982, Kupferberg (104/81, Slg. 1982, 3641, Randnr. 17), angeführt werden.


25 – Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Vereinigtes Königreich und Schweden.


26 – Bulgarien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Tschechische Republik und Rumänien.


27 – Nach dem Urteil der Audiencia Provincial (Ratiopharm) hat das Europäische Patentamt zwei Mitteilungen (4 und 7/2007) veröffentlicht, in denen es ausführte: a) Die Frage, ob die Übergangsregelungen des TRIPS-Übereinkommens in Spanien unmittelbar anwendbar sind, ist von den spanischen Gerichten zu klären; b) Art. 70 Abs. 7 des Übereinkommens bezieht sich per definitionem nur auf anhängige Anmeldungen; c) aus Art. 70 Abs. 1 und 3 des Übereinkommens geht klar hervor, dass das Übereinkommen keine rückwirkende Geltung haben soll; d) Art. 123 des Münchner Übereinkommens schließt die Möglichkeit aus, nach der Patenterteilung und im Einspruchsverfahren den im Übereinkommen vorgesehenen Schutz zu erhalten. Dem Patentamt zufolge kann eine Patentanmeldung, die vor dem Auslaufen des von Spanien gemachten Vorbehalts eingereicht wurde, erweitert werden, solange sie anhängig ist, um den im TRIPS-Übereinkommen und insbesondere seinem Art. 27 Abs. 1 vorgesehenen Schutz zu erlangen. Die WTO wiederum ist der Auffassung, dass Art. 70 des Übereinkommens keine Rückwirkung entfaltet, aber auf bereits bestehende Patente Anwendung findet (solche, die sich aus vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens vollzogenen Rechtshandlungen ergeben).


28 – Die Situation stimmt mit der überein, die den Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Merck Genéricos zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass Art. 33 des TRIPS-Übereinkommens keine unmittelbare Wirkung entfalte.


29 – Vgl. Sorrea, C. M., Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, Oxford, 2007.


30 – In diesem Sinne, Urteil vom 8. September 2010, Winner Wetten (C‑409/06, Slg. 2010, I‑8015, Randnr. 67). Ebenso angebracht ist der Hinweis auf die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Banca Popolare di Cremona (Urteil vom 3. Oktober 2006, C‑475/03, Slg. 2006, I‑9373).