Language of document : ECLI:EU:T:2016:568

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

28. September 2016(*)

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Unionswortmarke FITNESS – Absolute Eintragungshindernisse – Fehlende Unterscheidungskraft – Beschreibender Charakter – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c, Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und Art. 76 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Regel 37 Buchst. b Ziff. iv und Regel 50 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 – Vorlage von Beweismitteln erstmals vor der Beschwerdekammer“

In der Rechtssache T‑476/15

European Food SA mit Sitz in Drăgănești (Rumänien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin I. Speciac,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch M. Rajh als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Société des produits Nestlé SA mit Sitz in Vevey (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Jaeger-Lenz, A. Lambrecht und S. Cobet‑Nüse,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO vom 19. Juni 2015 (Sache R 2542/2013‑4) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen European Food und Société des produits Nestlé

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie der Richter A. M. Collins (Berichterstatter) und V. Valančius,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 19. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 27. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 26. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keine der Hauptparteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 20. November 2001 meldete die Streithelferin, die Société des produits Nestlé SA, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelte es sich um das Wortzeichen FITNESS.

3        Die Marke wurde für folgende Waren der Klassen 29, 30 und 32 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 29: „Milch, Sahne, Butter, Käse, Joghurt und sonstige Zubereitungen auf Milchbasis, Milchersatzprodukte, Eier, Gallerten (Gelees), Obst, Gemüse, Proteinpräparate für Speisezwecke“;

–        Klasse 30: „Getreide und Getreidepräparate; essfertiges Getreide; Frühstückszerealien; Nahrungsmittel auf Reis- oder Mehlbasis“;

–        Klasse 32: „Kohlensäurefreie, kohlensäurehaltige oder mit Kohlensäure versetzte Wässer, Quellwässer, Mineralwässer, aromatisierte Wässer, Fruchtgetränke, Fruchtsäfte, Nektare, Limonaden, Sodawässer und andere alkoholfreie Getränke, Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Sirupen und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken“.

4        Am 30. Mai 2005 wurde die angemeldete Marke als Unionsmarke unter der Nummer 2470326 für die oben in Rn. 3 genannten Waren eingetragen (im Folgenden: angegriffene Marke).

5        Am 2. September 2011 stellte die Klägerin, die European Food SA, nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c dieser Verordnung einen Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke.

6        Am 18. Oktober 2013 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung in vollem Umfang zurück.

7        Am 16. Dezember 2013 legte die Klägerin beim EUIPO gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde ein.

8        Mit Entscheidung vom 19. Juni 2015 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück.

9        Die Beschwerdekammer war der Ansicht, dass im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens die Beweislast dafür, dass der angegriffenen Marke die Unterscheidungskraft fehle oder sie beschreibend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 207/2009 sei, bei der Antragstellerin im Nichtigkeitsverfahren liege. Sie fügte hinzu, dass der maßgebliche Zeitpunkt, auf den sich die Beweise beziehen müssten, der Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke sei, d. h. der 20. November 2001. Im Übrigen wiesen die angesprochenen Verkehrskreise, da es sich um kostengünstige Massenkonsumgüter handele, einen unterdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad auf.

10      Im Hinblick auf den angeblich beschreibenden Charakter vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, dass der Großteil der bei der Nichtigkeitsabteilung eingereichten Nachweise nach dem maßgeblichen Zeitpunkt liege oder das Gebiet Rumäniens vor dessen Beitritt zur Europäischen Union betreffe. Was die Kopien aus den Wörterbüchern betreffend den Begriff „fitness“ angehe, habe dieser Begriff in den Augen der Verbraucher im Jahr 2001 kein wesentliches Merkmal der betreffenden Waren bezeichnet. Dieser Begriff sei für die fraglichen Waren suggestiv und falle in die Kategorie eines vagen Hinweises. Daher seien die bei der Nichtigkeitsabteilung eingereichten Nachweise nicht ausreichend, um den beschreibenden Charakter der angegriffenen Marke zu belegen.

11      Im Übrigen wies die Beschwerdekammer eine Reihe von Nachweisen, die erstmals bei ihr eingereicht worden waren, als verspätet zurück, ohne sie zu berücksichtigen. Insoweit wandte sie Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1995, L 303, S. 1) in Verbindung mit Regel 37 Buchst. b Ziff. iv dieser Verordnung analog an.

12      Die Beschwerdekammer war ferner der Ansicht, dass der Begriff „fitness“, der einen beispielhaften und mehrdeutigen Inhalt habe, dazu geeignet sei, die von der angegriffenen Marke erfassten Waren als von der Streithelferin stammend zu kennzeichnen, und sie somit von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Daher kam sie zu dem Ergebnis, dass die Klägerin die fehlende Unterscheidungskraft dieser Marke nicht nachgewiesen habe.

 Anträge der Beteiligten

13      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        hilfsweise, die angefochtene Entscheidung abzuändern und die angegriffene Marke für nichtig zu erklären;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

14      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

15      Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage als unzulässig und hilfsweise als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zulässigkeit

16      Nach Art. 173 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts verfügt der in den Abs. 1 und 2 bezeichnete Streithelfer über dieselben prozessualen Rechte wie die Hauptparteien. Er kann die Anträge der Hauptpartei unterstützen sowie Anträge stellen und Gründe vorbringen, die gegenüber denen der Hauptparteien eigenständig sind.

17      Die Streithelferin stellt die formale Zulässigkeit der Klage in Abrede und macht insoweit einen Verstoß gegen Art. 177 der Verfahrensordnung geltend. Die Klägerin habe nämlich weder einen Nachweis ihrer Rechtspersönlichkeit erbracht noch ihren Anwälten wirksam Vollmacht erteilt.

18      In Bezug auf den Nachweis der Rechtspersönlichkeit genügt die Feststellung, dass die Klägerin mit der Klageschrift einen Handelsregisterauszug vorgelegt hat, wie dies in Art. 177 Abs. 4 der Verfahrensordnung verlangt wird. Diese Bestimmung verlangt nämlich entgegen der Ansicht der Streithelferin nicht, dass der Auszug eine Reihe von Angaben enthält.

19      Was die Vollmacht anbelangt, ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 51 Abs. 3 der Verfahrensordnung, der im vorliegenden Fall anwendbar ist, im Unterschied zu Art. 44 § 5 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 nicht mehr den Nachweis verlangt, dass die Vollmacht des Anwalts von einem hierzu Berechtigten ausgestellt ist. Zweitens ist festzustellen, dass die Vollmacht entgegen dem Vorbringen der Streithelferin die Person namentlich nennt, die die Klageschrift als Anwalt unterzeichnet hat, nämlich Rechtsanwältin I. Speciac. Was drittens den Umstand betrifft, dass die Klägerin das Anlagenverzeichnis nicht aktualisiert hat, um darin die Vollmacht aufzunehmen, genügt die Feststellung, dass ein etwaiger Verstoß gegen Nr. 97 der Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts vom 20. Mai 2015 (ABl. 2015, L 152, S. 1) nicht zur Unzulässigkeit der Klage führt. Viertens geht aus der Verfahrensordnung entgegen dem Vorbringen der Streithelferin nicht hervor, dass der Nachweis der Vollmacht des Anwalts, der die Klageschrift unterzeichnet hat, vor deren Einreichung erbracht werden muss. Im Gegenteil spricht, da diese Unregelmäßigkeit nach Art. 51 Abs. 4 der Verfahrensordnung behebbar ist, nichts dagegen, dass die Bescheinigung über das Bestehen der Vollmacht zu einem Zeitpunkt nach Einreichung der Klageschrift ausgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2015, KSR/HABM – Lampenwelt [Moon], T‑374/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:69, Rn. 11 bis 13).

20      Nach alledem ist das Vorbringen der Streithelferin betreffend die formale Unzulässigkeit der Klage zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

21      Die Klägerin stützt die Klage auf drei Klagegründe, von denen der erste die fehlende Berücksichtigung der erstmals der Beschwerdekammer vorgelegten Beweise, der zweite den beschreibenden Charakter der angegriffenen Marke und der dritte die fehlende Unterscheidungskraft dieser Marke betrifft.

 Zum ersten Klagegrund: fehlende Berücksichtigung der erstmals der Beschwerdekammer vorgelegten Beweise

–       Vorbringen der Beteiligten

22      Mit dem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, das EUIPO habe gegen Art. 76 der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Regel 37 Buchst. b Ziff. iv und Regel 50 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 verstoßen, indem es die Berücksichtigung der erstmals der Beschwerdekammer vorgelegten Beweise verweigert habe.

23      Erstens habe das EUIPO nach Art. 76 der Verordnung Nr. 207/2009 in den Rechtssachen, die absolute Nichtigkeitsgründe zum Gegenstand hätten, die Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Ihrer Ansicht nach habe es das EUIPO im vorliegenden Fall aber nicht nur unterlassen, eine derartige Prüfung von Amts wegen vorzunehmen, sondern auch zu Unrecht die von ihr vorgelegten Beweise unberücksichtigt gelassen.

24      Zweitens hindere Regel 37 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95 die Antragstellerin im Nichtigkeitsverfahren nicht daran, zusätzliche Beweise vor der Beschwerdekammer vorzulegen.

25      Drittens ergebe sich aus dem Wortlaut der Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 eindeutig, dass diese Bestimmung Widerspruchsverfahren betreffe. Hilfsweise, angenommen diese Bestimmung sei im vorliegenden Fall anwendbar, hätte das EUIPO die fraglichen Beweise berücksichtigen müssen, da sie die zuvor bei der Nichtigkeitsabteilung vorgelegten Beweise ergänzten.

26      Nach Ansicht des EUIPO legt Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 fest, dass die Beschwerdekammer die Prüfung der Beschwerde auf die Sachverhalte und Beweismittel beschränke, die innerhalb der in erster Instanz festgesetzten Frist vorgelegt würden. Nach dieser Bestimmung verfüge die Beschwerdekammer über ein Ermessen bei der Entscheidung, ob sie zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel, die innerhalb der von der Widerspruchsabteilung festgesetzten Fristen vorgelegt worden seien, zu berücksichtigen habe.

27      Das EUIPO weist im Übrigen darauf hin, dass Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 keine Ausnahme von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 sei, dem zufolge es in seinem Ermessen stehe, verspätet vorgebrachte Beweismittel zu berücksichtigen oder zurückzuweisen. Die Parteien verfügten daher nicht über einen bedingungslosen Anspruch darauf, dass verspätet vorgebrachte Tatsachen oder Beweismittel vom EUIPO berücksichtigt würden.

28      Im vorliegenden Fall sei die Beschwerdekammer in Ausübung ihres Ermessens der Ansicht gewesen, dass die nach der in Regel 37 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95 angeführten Frist vorgelegten Beweismittel nicht berücksichtigt werden könnten. Insoweit weist das EUIPO darauf hin, dass es sich um die ersten Beweismittel gehandelt habe, die zum maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Tag der Anmeldung zur Eintragung, vorgelegt worden seien. Im Übrigen habe die Klägerin, da die Einleitung eines Nichtigkeitsverfahrens nicht fristgebunden sei, Zeit gehabt, einschlägige Beweise zu sammeln und der Nichtigkeitsabteilung vorzulegen. Ferner habe die Klägerin nicht den Grund angeführt, aus dem sie die fraglichen Beweismittel erst im Stadium der Beschwerde vor der Beschwerdekammer habe vorlegen können.

29      Das EUIPO weist schließlich darauf hin, dass es im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens, auch wenn dieses absolute Nichtigkeitsgründe betreffe, nicht verpflichtet sei, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.

30      Die Streithelferin trägt zunächst vor, Regel 37 Bucht. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95 erlege dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren die Verpflichtung auf, bereits zum Zeitpunkt des ursprünglichen Nichtigkeitsantrags Beweise zur Stützung der vorgebrachten Nichtigkeitsgründe vorzulegen. Ferner gelte die Verpflichtung des EUIPO gemäß Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, für das Eintragungsverfahren und nicht für das Nichtigkeitsverfahren. Schließlich habe sich die Beschwerdekammer zu Recht auf den ihr durch Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 eingeräumten Ermessensspielraum berufen, um die in Rede stehenden verspäteten Beweise zurückzuweisen.

–       Würdigung durch das Gericht

31      Nach ständiger Rechtsprechung verfolgen die in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten absoluten Eintragungshindernisse ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. März 2014, Pi-Design u. a./Yoshida Metal Industry, C‑337/12 P bis C‑340/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:129, Rn. 44, und vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 45). Im Übrigen kann oder muss das den einzelnen Eintragungshindernissen zugrunde liegende Allgemeininteresse sogar in je nach Eintragungshindernis unterschiedlichen Erwägungen zum Ausdruck kommen (Urteil vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 46).

32      Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 verfolgt das Allgemeininteresse daran, dem Verbraucher die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne die Gefahr einer Verwechslung von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 48, und vom 14. Juli 2014, NIIT Insurance Technologies/HABM [SUBSCRIBE], T‑404/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:645, Rn. 57).

33      Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 soll sicherstellen, dass Zeichen, die eines oder mehrere Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung als Marke beantragt wird, beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern, die solche Waren oder Dienstleistungen anbieten, frei verwendet werden können (Urteile vom 10. Juli 2014, BSH/HABM, C‑126/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2065, Rn. 19, vom 12. April 2011, Euro-Information/HABM [EURO AUTOMATIC PAYMENT], T‑28/10, EU:T:2011:158, Rn. 44, und vom 12. April 2016, Choice/EUIPO [Choice chocolate & ice cream], T‑361/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:214, Rn. 13). Die Eintragung eines beschreibenden Zeichens als Marke wäre nämlich mit dem System eines unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar, insbesondere weil es einem einzelnen Wirtschaftsteilnehmer einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte.

34      Hinsichtlich der relativen Eintragungshindernisse in Art. 8 der Verordnung Nr. 207/2009 geht aus dem Aufbau dieser Verordnung und aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass diese etwaige Konflikte zwischen einer angemeldeten Marke und den Rechten des Inhabers einer älteren Marke regeln soll, z. B. wenn die fraglichen Marken und Waren identisch sind oder wenn sie ähnlich sind und Verwechslungsgefahr besteht. Daher ist das Interesse, dessen Schutz nach diesem Artikel sichergestellt werden kann, vor allem privater Natur, auch wenn er gleichzeitig ein gewisses öffentliches Interesse schützt, wie das, eine Verwechslungsgefahr für Verbraucher zu vermeiden.

35      Diese Feststellungen haben folgende vier Konsequenzen.

36      Erstens stellt Art. 40 der Verordnung Nr. 207/2009 klar, dass, auch wenn Dritte schriftliche Bemerkungen mit der Begründung einreichen können, dass die Marke von Amts wegen nach Art. 7 dieser Verordnung von der Eintragung auszuschließen sei, sie nicht an dem Verfahren vor dem EUIPO beteiligt sind. Hingegen ergibt sich aus den Art. 41 und 42 dieser Verordnung, dass der Markenanmelder und der Inhaber einer älteren Marke, der Widerspruch erhoben hat, im Widerspruchsverfahren Parteistellung haben.

37      Die Rechtsprechung hat die Inter-partes-Natur des Widerspruchsverfahrens bestätigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2004, Ruiz-Picasso u. a./HABM – DaimlerChrysler [PICARO], T‑185/02, EU:T:2004:189, Rn. 31, und vom 4. Februar 2013, Marszałkowski/HABM – Mar-Ko Fleischwaren [WALICHNOWY MARKO], T‑159/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:56, Rn. 48), aus der das Erfordernis hervorgeht, den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und die Waffengleichheit zwischen den Beteiligten uneingeschränkt zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2006, DEF‑TEC Defense Technology/HABM – Defense Technology [FIRST DEFENSE AEROSOL PEPPER PROJECTOR], T‑6/05, EU:T:2006:241, Rn. 43). In einem solchen Verfahren stellt ein Vorteil, der dem einen Beteiligten gewährt wird, einen Nachteil für den anderen Beteiligten dar, so dass das EUIPO darauf achten muss, dass es seine Unparteilichkeit gegenüber den gegenüber jedem von ihnen wahrt (Urteil vom 12. Dezember 2007, K & L Ruppert Stiftung/HABM – Lopes de Almeida Cunha u. a. [CORPO livre], T‑86/05, EU:T:2007:379, Rn. 21).

38      Zweitens und unbeschadet des Art. 75 der Verordnung Nr. 207/2009, dem zufolge die Entscheidungen des EUIPO nur auf Gründe gestützt werden dürfen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten, prüft das EUIPO absolute Eintragungshindernisse von Amts wegen. Im Hinblick auf den Grundsatz der funktionalen Kontinuität des EUIPO sind die Beschwerdekammern befugt, die Prüfung der Anmeldung hinsichtlich aller in Art. 7 dieser Verordnung aufgeführten absoluten Eintragungshindernisse wieder aufzunehmen, ohne durch die Begründung des Prüfers darin beschränkt zu sein. Sie können daher, vorbehaltlich der Wahrung der Verteidigungsrechte, neue absolute Eintragungshindernisse von Amts wegen aufgreifen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 1999, Procter & Gamble/HABM [BABY-DRY], T‑163/98, EU:T:1999:145, Rn. 38 und 43, und vom 16. Februar 2000, Procter & Gamble/HABM [Form einer Seife], T‑122/99, EU:T:2000:39, Rn. 26 bis 28).

39      Hingegen geht aus den Art. 8 und Art. 76 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 hervor, dass relative Eintragungshindernisse nur auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke geprüft werden, da sie vom EUIPO nicht von Amts wegen aufgegriffen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2003, Henkel/HABM – LHS [UK] [KLEENCARE], T‑308/01, EU:T:2003:241, Rn. 32).

40      Drittens haben nach Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 die Prüfer und, gegebenenfalls, die Beschwerdekammern des EUIPO bei der Prüfung absoluter Eintragungshindernisse von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln, um festzustellen, ob die angemeldete Marke unter eines der Eintragungshindernisse nach Art. 7 dieser Verordnung fällt. Infolgedessen haben die zuständigen Stellen des EUIPO von Amts wegen den relevanten Sachverhalt zu ermitteln, der sie zu der Feststellung veranlassen könnte, dass ein absolutes Eintragungshindernis vorliegt, und können sich veranlasst sehen, ihre Entscheidungen auf Tatsachen zu stützen, die vom Anmelder nicht angeführt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2013, Fürstlich Castell’sches Domänenamt/HABM – Castel Frères [CASTEL], T‑320/10, EU:T:2013:424, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 23. November 2015, Actega Terra/HABM – Heidelberger Druckmaschinen [FoodSafe], T‑766/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:913, Rn. 31).

41      Wenn es sich indessen um ein Verfahren bezüglich eines relativen Eintragungshindernisses handelt, darf das EUIPO seine Entscheidung nur auf die von den Parteien vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel stützen (vgl. in diesem Zusammenhang Urteil vom 23. September 2003, KLEENCARE, T‑308/01, EU:T:2003:241, Rn. 32). Jedoch schließt die Beschränkung der tatsächlichen Grundlage der Prüfung durch die Beschwerdekammer nicht aus, dass diese offenkundige Tatsachen berücksichtigt, d. h. Tatsachen, die jeder kennen kann oder die allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können (Urteil vom 1. Juni 2016, Wolf Oil/EUIPO – SCT Lubricants [CHEMPIOIL], T‑34/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:330, Rn. 64). Außerdem beschränkt nach Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 die Beschwerdekammer, wenn sich die Beschwerde gegen die Entscheidung einer Widerspruchsabteilung richtet, die Prüfung der Beschwerde auf die Sachverhalte und Beweismittel, die innerhalb der von der Widerspruchsabteilung nach Maßgabe der Verordnung und dieser Regeln festgesetzten Frist vorgelegt werden, sofern die Beschwerdekammer nicht der Meinung ist, dass zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 berücksichtigt werden sollten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, HABM/Kaul, C‑29/05 P, EU:C:2007:162, Rn. 44, 48 und 64).

42      Im Urteil vom 13. März 2007, HABM/Kaul (C‑29/05 P, EU:C:2007:162), das ein Widerspruchsverfahren und keinen Antrag auf Nichtigerklärung wegen eines absoluten Eintragungshindernisses betrifft, gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdekammer Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigen müsse, die der Widersprechende erstmals im Stadium der Beschwerde vor der Beschwerdekammer vorgebracht habe. Diese Lösung entspricht Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95, die mit der Verordnung (EG) Nr. 1041/2005 der Kommission vom 29. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung Nr. 2868/95 (ABl. 2005, L 172, S. 4) eingeführt worden war, und wurde auf eine Entscheidung der Beschwerdekammer angewandt, die in einem Widerspruchsverfahren vor der Änderung dieser Regel ergangen war.

43      Viertens ist darauf hinzuweisen, dass das System der Verordnung Nr. 207/2009 eine der Eintragung vorausgehende Kontrolle im Rahmen der Ex-parte-Prüfung der absoluten Eintragungshindernisse und des Inter-partes-Widerspruchsverfahrens wegen relativer Eintragungshindernisse (siehe oben) sowie eine nachträgliche Kontrolle im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens wegen absoluter und relativer Eintragungshindernisse vorsieht.

44      Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um einen Antrag auf Nichtigerklärung wegen absoluter Eintragungshindernisse nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c dieser Verordnung. Daher hat das Gericht zu prüfen, ob sich dieses Verfahren an dem Verfahren zur Prüfung absoluter Hindernisse für die Eintragung einer Anmeldung orientieren muss oder vielmehr am Widerspruchsverfahren wegen relativer Eintragungshindernisse, insbesondere was Beweisfragen anbelangt. Insoweit sei zum einen darauf hingewiesen, dass Art. 52 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung ausdrücklich auf Art. 7 dieser Verordnung verweist. Zum anderen lässt sich nicht verkennen, dass Art. 52 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt, dass das Nichtigkeitsverfahren wie das Widerspruchsverfahren auf Antrag einer Partei eingeleitet wird.

45      Der erste Klagegrund ist im Licht dieser Erwägungen zu prüfen. Dabei ist klarzustellen, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 40 und 41 der angefochtenen Entscheidung der Ansicht war, dass die in Rede stehenden Beweise erstmals vor ihr vorgelegt worden und daher verspätet eingereicht worden seien. In diesem Zusammenhang entschied die Beschwerdekammer in Ausübung ihres Ermessens, diese Beweise nicht zu berücksichtigen.

46      Erstens geht, wie oben in Rn. 40 ausgeführt, aus Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 hervor, dass die Beschwerdekammern des EUIPO bei der Prüfung absoluter Eintragungshindernisse von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln haben, um festzustellen, ob die angemeldete Marke unter eines der Eintragungshindernisse des Art. 7 dieser Verordnung fällt.

47      Jedoch kann das EUIPO im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens nicht verpflichtet sein, die vom Prüfer vorgenommene Ermittlung des relevanten Sachverhalts, der es zu der Feststellung veranlassen könnte, dass ein absolutes Eintragungshindernis vorliegt, erneut von Amts wegen durchzuführen. Aus den Art. 52 und 55 der Verordnung Nr. 207/2009 geht hervor, dass die Unionsmarke so lange als gültig angesehen wird, bis sie vom EUIPO nach einem Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt wird. Ihr kommt somit eine Vermutung der Gültigkeit zugute, die die logische Folge der vom EUIPO im Rahmen der Prüfung einer Anmeldung durchgeführten Kontrolle darstellt (Urteil vom 13. September 2013, CASTEL, T‑320/10, EU:T:2013:424, Rn. 27, und Beschluss vom 23. November 2015, FoodSafe, T‑766/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:913, Rn. 32).

48      Diese Vermutung der Gültigkeit beschränkt die sich aus Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ergebende Verpflichtung des EUIPO, den relevanten Sachverhalt, der es zu der Feststellung veranlassen könnte, dass ein absolutes Eintragungshindernis vorliegt, von Amts wegen zu ermitteln, auf die Prüfung der Unionsmarkenanmeldung, die von den Prüfern des EUIPO und, auf Beschwerde, von den Beschwerdekammern im Verfahren der Eintragung dieser Marke durchgeführt wurde. Da die Gültigkeit der eingetragenen Unionsmarke vermutet wird, ist es hingegen im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens Sache des die Nichtigerklärung begehrenden Antragstellers, vor dem EUIPO die konkreten Gesichtspunkte darzulegen, die die Gültigkeit der Marke in Frage stellen sollen (Urteil vom 13. September 2013, CASTEL, T‑320/10, EU:T:2013:424, Rn. 28, und Beschluss vom 23. November 2015, FoodSafe, T‑766/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:913, Rn. 33).

49      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beschwerdekammer entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens nicht verpflichtet war, von Amts wegen den relevanten Sachverhalt zu ermitteln, der sie zur Anwendung der absoluten Eintragungshindernisse gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 207/2009 hätte veranlassen können.

50      Zweitens ist – trotz des Nichtbestehens einer Verpflichtung, den Sachverhalt in der vorliegenden Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln – zu prüfen, ob die Beschwerdekammer davon ausgehen durfte, dass die von der Klägerin erstmals vor ihr vorgelegten Beweismittel verspätet vorgebracht wurden, wie das EUIPO vorträgt.

51      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 das EUIPO Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen braucht.

52      Daraus folgt, dass das EUIPO über ein Ermessen verfügt, um nur bestimmte Beweismittel zu berücksichtigen, wenn sie verspätet vorgelegt wurden. Andererseits verleiht diese Bestimmung dem EUIPO keinerlei Ermessen, diese Beweismittel nicht zu berücksichtigen, wenn sie rechtzeitig vorgebracht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, HABM/Kaul, C‑29/05 P, EU:C:2007:162, Rn. 41 bis 43 und 63).

53      Daher ist zu klären, ob die erstmals vor der Beschwerdekammer vorgebrachten Beweismittel aus den oben in den Rn. 36, 38, 40 und 43 dargelegten Gründen im Rahmen eins Nichtigkeitsverfahrens wegen eines absoluten Eintragungshindernisses als nicht rechtzeitig eingereicht und daher als verspätet anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, HABM/Kaul, C‑29/05 P, EU:C:2007:162, Rn. 49).

54      Im Hinblick auf das Bestehen einer Frist für die Einreichung von Nachweisen beruft sich das EUIPO auf Regel 37 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95, nach der ein bei ihm gestellter Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke hinsichtlich der Gründe für den Antrag, die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen enthält.

55      Entgegen der Ansicht des EUIPO geht aus Regel 37 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95 keineswegs hervor, dass die Beschwerdekammer Beweismittel als verspätet anzusehen hat, die nicht bei der Nichtigkeitsabteilung eingereicht worden sind. Diese Regel besagt nämlich lediglich, dass der Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit die Beweismittel einschließen muss, auf die er gestützt ist. Dies bedeutet folglich nicht, dass jedes Beweismittel, das nach Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgelegt wird – entweder der Nichtigkeitsabteilung oder der Beschwerdekammer –, als verspätet anzusehen ist.

56      Zudem ist festzustellen, dass die Verordnungen Nr. 207/2009 und Nr. 2868/95 keine Vorschrift enthalten, die eine Frist für die Vorlage von Nachweisen im Rahmen eines Antrags auf Nichtigerklärung wegen eines absoluten Eintragungshindernisses festlegt – im Unterschied zu bestimmten Vorschriften, die Fristen und die Folgen ihrer Nichteinhaltung regeln und die auf Widerspruchsverfahren (Regel 19 Abs. 1, Regel 20 Abs. 1 und Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, New Yorker SHK Jeans/HABM, C‑621/11 P, EU:C:2013:484, Rn. 25 bis 28), Verfallsverfahren (Regel 40 Abs. 5 dieser Verordnung; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 80 bis 82) und Nichtigkeitsverfahren wegen absoluter Eintragungshindernisse (Regel 40 Abs. 6 dieser Verordnung; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2015, Menelaus/HABM – Garcia Mahiques [VIGOR], T‑361/13, EU:T:2015:859, Rn. 51 und 52 [nicht veröffentlicht]) anwendbar sind.

57      Im Übrigen ist auf das Bestehen einer funktionalen Kontinuität zwischen den Stellen des EUIPO hinzuweisen, die in erster Instanz entscheiden, wie den Prüfern, den Widerspruchs- und den Nichtigkeitsabteilungen einerseits sowie den Beschwerdekammern andererseits (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. September 2003, KLEENCARE, T‑308/01, EU:T:2003:241, Rn. 25, und vom 11. Juli 2006, Caviar Anzali/HABM – Novomarket [Asetra], T‑252/04, EU:T:2006:199, Rn. 30).

58      Nach alledem ist festzustellen, dass Art. 76 der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Regel 37 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 2868/95 nicht verlangt, dass Beweismittel, die erstmals vor der Beschwerdekammer vorgelegt wurden, von dieser im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens wegen eines absoluten Eintragungshindernisses als verspätet anzusehen sind.

59      Drittens trägt das EUIPO vor, Regel 50 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 sei im vorliegenden Fall analog anwendbar.

60      Insoweit ist festzustellen, dass Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 ihrem Wortlaut nach ausdrücklich auf das Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung und nicht auf das Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung betreffend ein absolutes Eintragungshindernis abzielt.

61      Außerdem wird nach der Rechtsprechung in Unterabs. 1 der Regel 50 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 zwar der Grundsatz aufgestellt, dass die Vorschriften für das Verfahren vor der Dienststelle, die die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung erlassen hat, im Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar sind, doch stellt Unterabs. 3 dieser Bestimmung eine Sonderregel dar, die von diesem Grundsatz abweicht. Diese Sonderregel ist dem Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung eigen und bestimmt die Regeln, die vor der Beschwerdekammer für Sachverhalte und Beweismittel gelten, die nach Ablauf der in erster Instanz festgesetzten Fristen vorgelegt werden (Urteil vom 3. Oktober 2013, Rintisch/HABM, C‑120/12 P, EU:C:2013:638, Rn. 28).

62      Wie oben in Rn. 42 ausgeführt, erfolgte die Aufnahme dieser Sonderregel in die Verordnung Nr. 2868/95 bei deren Änderung durch die Verordnung Nr. 1041/2005, die nach ihrem siebten Erwägungsgrund die Rechtsfolgen von im Widerspruchsverfahren auftretenden Verfahrensmängeln klarstellen soll. Diese Feststellung bestätigt, dass vor der Beschwerdekammer die Folgen, die mit der bei der Beweisaufnahme vor der Widerspruchsabteilung festgestellten Verspätung verbunden sind, auf der Grundlage der genannten Regel zu bestimmen sind (Urteil vom 3. Oktober 2013, Rintisch/HABM, C‑120/12 P, EU:C:2013:638, Rn. 30).

63      Es ist darauf hinzuweisen, dass ebenso wie die relativen Eintragungshindernisse im Widerspruchsverfahren auch die relativen Nichtigkeitsgründe vom Amt nur auf Antrag des Inhabers der in Frage stehenden älteren Marke geprüft werden. Folglich unterliegt das Verfahren der Nichtigerklärung wegen relativer Nichtigkeitsgründe im Prinzip denselben Grundsätzen wie das Widerspruchsverfahren (Urteil vom 25. Mai 2005, TeleTech Holdings/HABM – Teletech International [TELETECH GLOBAL VENTURES], T‑288/03, EU:T:2005:177, Rn. 65).

64      Der erste Klagegrund betrifft jedoch ein Nichtigkeitsverfahren wegen absoluter Eintragungshindernisse, die sich von relativen Eintragungshindernissen unterscheiden. Das Nichtigkeitsverfahren wegen absoluter Eintragungshindernisse wird auf Antrag einer Partei nach Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 eingeleitet. Jedoch verweist Art. 52 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung unmittelbar auf die Eintragungshindernisse in Art. 7 dieser Verordnung, mit denen, wie oben in den Rn. 31 bis 33 ausgeführt, im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt werden. Hinzuzufügen ist, dass diese im Allgemeininteresse liegenden Erwägungen, die Art. 7 dieser Verordnung zugrunde liegen, im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens wegen absoluter Eintragungshindernisse ebenfalls zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30. April 2015, Castel Frères/HABM, C‑622/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:297, Rn. 41 und 43 bis 45). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Nichtigkeitsverfahren wegen absoluter Eintragungshindernisse es dem EUIPO insbesondere ermöglichen soll, die Gültigkeit der Eintragung einer Marke zu überprüfen und einen Standpunkt einzunehmen, den es gegebenenfalls gemäß Art. 37 der fraglichen Verordnung von Amts wegen hätte einnehmen müssen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30. April 2015, Castel Frères/HABM, C‑622/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:297, Rn. 42). Die analoge Anwendung von Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 auf ein Nichtigkeitsverfahren wegen absoluter Eintragungshindernisse widerspräche daher dem mit Art. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 verfolgten Allgemeininteresse.

65      Daher spiegelt weder der Wortlaut von Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 den ausdrücklichen Willen des Unionsgesetzgebers wider noch erlauben die Natur und die Zielsetzung des Nichtigkeitsverfahrens wegen absoluter Eintragungshindernisse die analoge Anwendung dieser Regel. Das EUIPO hat daher diese Bestimmung im vorliegenden Fall zu Unrecht geltend gemacht.

66      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beschwerdekammer einen Rechtsfehler begangen hat, als sie festgestellt hat, dass die von der Klägerin erstmals vor der Beschwerdekammer vorgelegten Beweismittel wegen ihrer verspäteten Vorlage nicht berücksichtigt werden dürften.

67      Allerdings ist zu prüfen, welche Konsequenzen aus diesem Fehler zu ziehen sind. Nach ständiger Rechtsprechung zieht ein Verfahrensverstoß die vollständige oder teilweise Aufhebung einer Entscheidung nur dann nach sich, wenn nachgewiesen ist, dass die angefochtene Entscheidung ohne diesen Verfahrensverstoß einen anderen Inhalt hätte haben können (Urteile vom 10. Juli 2006, La Baronia de Turis/HABM – Baron Philippe de Rothschild [LA BARONNIE], T‑323/03, EU:T:2006:197, Rn. 69, und vom 11. Juli 2006, Asetra, T‑252/04, EU:T:2006:199, Rn. 45).

68      Im vorliegenden Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beweismittel, deren Berücksichtigung die Beschwerdekammer zu Unrecht ablehnte, geeignet sein könnten, den Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu ändern, da es sich um die ersten im Zusammenhang mit dem maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Tag der Einreichung der Anmeldung (siehe oben, Rn. 28), vorgelegten Beweismittel handelte. Insoweit ist es indessen nicht Sache des Gerichts, sich bei der Beurteilung des fraglichen Vorbringens an die Stelle des EUIPO zu setzen (Urteile vom 10. Juli 2006, LA BARONNIE, T‑323/03, EU:T:2006:197, Rn. 70, und vom 11. Juli 2006, Asetra, T‑252/04, EU:T:2006:199, Rn. 46).

69      Daher ist dem ersten Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung dementsprechend aufzuheben.

 Zum zweiten und zum dritten Klagegrund betreffend den beschreibenden Charakter und die fehlende Unterscheidungskraft sowie zum zweiten Antrag betreffend die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Nichtigerklärung der angegriffenen Marke

70      Wie sich aus der Prüfung des ersten Klagegrundes ergibt, braucht das Gericht den zweiten und den dritten Klagegrund betreffend den angeblich beschreibenden Charakter bzw. die angeblich fehlende Unterscheidungskraft der angegriffenen Marke nicht zu prüfen. Da dem Hauptantrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung stattgegeben wurde, ist im Übrigen der von der Klägerin hilfsweise gestellte zweite Antrag betreffend die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Nichtigerklärung der angegriffenen Marke, dessen Zulässigkeit vom EUIPO teilweise bestritten wird, erledigt.

 Kosten

71      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das EUIPO unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten und die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

72      Nach Art. 138 Abs. 3 dieser Verordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 genannten seine eigenen Kosten trägt. Unter den Umständen des vorliegenden Rechtsstreits ist zu entscheiden, dass die Streithelferin ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. Juni 2015 (Sache R 2542/2013‑4) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der European Food SA und der Société des produits Nestlé SA wird aufgehoben.

2.      Das EUIPO trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten von European Food.

3.      Die Société des produits Nestlé trägt ihre eigenen Kosten.

Frimodt Nielsen

Collins

Valančius

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. September 2016.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.