Language of document : ECLI:EU:T:2012:242

Rechtssache T‑344/08

EnBW Energie Baden-Württemberg AG

gegen

Europäische Kommission

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Verwaltungsakten eines Kartellverfahrens – Verweigerung des Zugangs – Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Pflicht des betroffenen Organs zur konkreten und individuellen Prüfung des Inhalts der im Zugangsantrag bezeichneten Dokumente“

Leitsätze des Urteils

1.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Pflicht des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Umfang

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

2.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verfolgung eines persönlichen Interesses durch den Antragsteller – Keine Auswirkung auf das Zugangsrecht

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates)

3.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Pflicht des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Ausnahme von der Prüfungspflicht – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

4.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Umfang – Grenzen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4; Verordnungen Nr. 659/1999 und Nr. 1/2003 des Rates)

5.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Pflicht des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Umfang – Ausschluss der Pflicht – Möglichkeit einer Prüfung nach Dokumentkategorien – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

6.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Prüfung, die sich als besonders belastend und unangemessen erweist – Ausnahme von der Prüfungspflicht – Begrenztes Ausmaß – Beweislast des Organs – Pflicht des Organs, sich mit dem Antragsteller zu beraten

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4, 7 Abs. 3, und 8 Abs. 2)

7.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Zeitliche Geltung – Möglichkeit der Anwendung nach Abschluss dieser Tätigkeiten – Voraussetzungen

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich)

8.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Umfang – Grenzen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich)

9.      Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der geschäftlichen Interessen einer bestimmten Person – Umfang

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich)

10.    Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Eigenständige Auslegung gegenüber dem mit der Verordnung Nr. 1/2003 in Wettbewerbssachen vorgesehenen Zugangsrecht – Pflicht der Kommission, nach der Untersuchung einer Wettbewerbssache einen auf die Verordnung Nr. 1049/2001 gestützten Zugangsantrag neu zu prüfen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates)

11.    Europäische Union – Organe – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2)

1.      Bei der Verpflichtung eines Organs zur konkreten und individuellen Prüfung des Inhalts der Dokumente, die in einem auf die Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission gestützten Antrag bezeichnet sind, handelt es sich um eine grundsätzliche Verpflichtung, die unabhängig davon Anwendung findet, zu welchem Bereich die angeforderten Dokumente gehören, auch wenn dieser grundsätzliche Ansatz nicht bedeutet, dass eine solche Prüfung unter allen Umständen erforderlich ist.

Demzufolge ist die Prüfung eines etwaigen Verstoßes gegen diese Verpflichtung ein Schritt, der vor der Prüfung der Verletzung der Bestimmungen des Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu erfolgen hat. Der Unionsrichter muss deshalb im Rahmen der Prüfung der Verletzung dieser Bestimmungen auf jeden Fall überprüfen, ob die Kommission entweder jedes der begehrten Dokumente konkret und individuell geprüft oder nachgewiesen hat, dass die verweigerten Dokumente offenkundig in vollem Umfang von einer Ausnahme erfasst wurden.

(vgl. Randnrn. 28-29)

2.      Das persönliche Interesse, das der Antragsteller mit seinem Zugangsantrag verfolgen mag, ist ein Kriterium, das der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission völlig fremd ist, so dass es der Kommission nicht zukommt, darüber zu urteilen oder Mutmaßungen anzustellen, und es ihr auch nicht zusteht, daraus Schlussfolgerungen für die Behandlung des Antrags zu ziehen.

(vgl. Randnr. 36)

3.      Ausnahmen von der Pflicht zur konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente, die bei einem Organ auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission angefragt werden, kommen bei drei Fallkonstellationen in Betracht. Es handelt sich, erstens, um die Fälle, in denen offenkundig ist, dass der Zugang zu verweigern oder aber gerade zu gewähren ist. Dem kann insbesondere so sein, wenn bestimmte Dokumente entweder offenkundig in vollem Umfang von einer Ausnahme vom Zugangsrecht erfasst werden oder umgekehrt offenkundig in vollem Umfang einsehbar sind, oder aber von der Kommission unter ähnlichen Umständen bereits konkret und individuell geprüft wurden. Den Organen steht es für die Erklärung, wie der Zugang zu den begehrten Dokumenten das durch eine Ausnahme gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützte Interesse berühren könnte, auch frei, sich auf allgemeine Annahmen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten können. Zweitens kann ein und dieselbe Rechtfertigung für Dokumente angewandt werden, die der gleichen Kategorie angehören, was u. a. der Fall ist, wenn sie die gleiche Art von Informationen enthalten, womit sich also das gemeinsame Merkmal der betreffenden Dokumente auf ihren Inhalt bezieht. Der Unionsrichter hat zu prüfen, ob die geltend gemachte Ausnahme die Dokumente dieser Kategorie offenkundig und vollständig erfasst.

Drittens kommt eine Abweichung von der Pflicht zur individuellen und konkreten Prüfung der begehrten Dokumente ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Verwaltung durch die konkrete und individuelle Prüfung der Dokumente in besonderem Maß belastet würde, so dass damit die Grenzen dessen überschritten würden, was vernünftigerweise verlangt werden kann.

(vgl. Randnrn. 45-47)

4.      Zwar steht es bei einem Antrag auf Zugang zu Dokumenten, der nach der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission gestellt wird, dem betroffenen Organ frei, sich für die Ablehnung des Zugangs auf allgemeine Annahmen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten und auf das Bestehen einer Regelung über den Zugang zur Akte eines besonderen Verfahrens gegründet werden können, doch gelten solche Regelungen, seien sie beihilferechtlicher oder kartellrechtlicher Art, nur für die Dauer des betreffenden Verfahrens und nicht in einer Situation, in der das Organ bereits eine endgültige Entscheidung erlassen hat, mit der die Akte, zu der Zugang beantragt ist, geschlossen wurde. Auch wenn im Übrigen Aktenzugangsbeschränkungen im Rahmen besonderer Verfahren wie der Wettbewerbsverfahren zu berücksichtigen sind, erlaubte eine solche Berücksichtigung aber nicht die Annahme, dass, weil andernfalls die Fähigkeit der Kommission zur Bekämpfung von Kartellen beeinträchtigt würde, die Gesamtheit der in ihren Akten auf diesem Gebiet enthaltenen Dokumente automatisch von einer der Ausnahmen des Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 erfasst wäre.

(vgl. Randnrn. 55, 57, 61)

5.      Auf dem Gebiet des Rechts auf Zugang zu Dokumenten kann, um den Zugang abzulehnen, für Dokumente, die der gleichen Kategorie angehören, etwa wenn sie die gleiche Art von Informationen enthalten, ein und dieselbe Rechtfertigung angewandt werden. Die Prüfung jedes einzelnen Dokuments ist aber jedenfalls für die nach Art. 4 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zwingende Prüfung eines etwaigen teilweisen Zugangs zu den begehrten Dokumenten erforderlich. Daher kann das Organ nur dann von einer individuellen Prüfung der Dokumente einer Kategorie absehen, wenn diese Dokumente offenkundig und in vollem Umfang unter eine Ausnahme vom Zugangsrecht fallen. Außerdem müssen die von dem betreffenden Organ gebildeten Dokumentkategorien nach Maßgabe der in den Dokumenten enthaltenen Informationen definiert werden. Die Ablehnung der Verbreitung einer ganzen Gruppe von Dokumenten kann insbesondere dann Gegenstand ein und derselben Rechtfertigung sein, wenn die Dokumente einer Kategorie die gleiche Art von Informationen enthalten. Dann erleichtert oder vereinfacht eine Rechtfertigung nach Dokumentgruppen nämlich die Aufgabe der Kommission bei der Prüfung des Antrags und der Begründung ihrer Entscheidung.

Demnach ist eine Prüfung nach Kategorien nur dann rechtmäßig, wenn sie für die Behandlung des Zugangsantrags zweckdienlich ist. Die Definition der Dokumentkategorien muss deshalb anhand von Kriterien erfolgen, die es der Kommission erlauben, auf alle Dokumente einer Kategorie eine gemeinsame Argumentation anzuwenden.

(vgl. Randnrn. 64-67, 76, 79, 85)

6.      Da das Recht auf Zugang zu den Dokumenten im Besitz der Organe einen Grundsatz darstellt, trägt das Organ, das sich auf eine Ausnahme aufgrund der Unvertretbarkeit der durch den Antrag bedingten Arbeit beruft, die Beweislast für den Arbeitsumfang. Die Berücksichtigung des für die Bearbeitung eines Antrags erforderlichen Arbeitsaufwands spielt für die Bemessung des Umfangs des Zugangsrechts grundsätzlich keine Rolle. Im Übrigen hängt der für die Prüfung eines Antrags erforderliche Arbeitsaufwand nicht nur von der Zahl und dem Umfang der im Antrag bezeichneten Dokumente ab, sondern auch von ihrer Art. Die Notwendigkeit, sehr viele Dokumente konkret und individuell zu prüfen, sagt daher als solche nichts über den für die Bearbeitung eines Zugangsantrags erforderlichen Arbeitsaufwand aus, da dieser auch von der erforderlichen Prüfungstiefe abhängt.

Außerdem muss das Organ, wenn es den Nachweis erbracht hat, dass der durch die konkrete und individuelle Prüfung der im Antrag bezeichneten Dokumente bedingte Verwaltungsaufwand nicht zu vertreten ist, versuchen, sich mit dem Antragsteller zu beraten, um zum einen zu erfahren oder sich näher erläutern zu lassen, welches Interesse er am Zugang zu den betreffenden Dokumenten hat, und zum anderen konkret zu überlegen, welche Optionen für ein weniger beanspruchendes Vorgehen als die konkrete und individuelle Prüfung der Dokumente bestehen. Da das Recht auf Zugang zu den Dokumenten die Grundregel darstellt, ist das Organ in diesem Zusammenhang aber verpflichtet, der Lösung den Vorzug zu geben, die für das Zugangsrecht des Antragstellers so günstig wie möglich ist, ohne selbst einen Aufwand zu verursachen, der die Grenzen dessen überschreiten würde, was vernünftigerweise verlangt werden kann. Das Organ kann daher von einer konkreten und individuellen Prüfung nur absehen, nachdem es tatsächlich alle anderen in Betracht kommenden Optionen untersucht und in seiner Entscheidung eingehend erläutert hat, aus welchen Gründen auch diese verschiedenen Optionen einen unvertretbaren Arbeitsaufwand bedeuten.

(vgl. Randnrn. 100-102, 105-106)

7.      Mit der Ausnahme gemäß Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission sollen ihrem Wortlaut nach nicht die Untersuchungstätigkeiten als solche geschützt werden, sondern deren Zweck, der im Fall eines Verfahrens in Wettbewerbssachen darin besteht, zu überprüfen, ob ein Verstoß gegen Art. 81 EG begangen worden ist, und gegebenenfalls Sanktionen gegen die verantwortlichen Unternehmen zu verhängen. Aus diesem Grund können die zu den verschiedenen Untersuchungshandlungen gehörenden Aktenstücke, solange dieser Zweck nicht erreicht worden ist, auch dann noch unter die fragliche Ausnahme fallen, wenn die konkrete Untersuchung oder Inspektion abgeschlossen ist, aus der das Dokument, zu dem Zugang begehrt wird, hervorgegangen ist.

Die Untersuchungstätigkeiten in einer konkreten Sache sind jedoch mit dem Erlass der endgültigen Entscheidung ungeachtet einer etwaigen späteren Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch die Gerichte als abgeschlossen zu betrachten, weil in diesem Moment das betreffende Organ selbst das Verfahren für abgeschlossen gehalten hat.

Die Annahme, dass die verschiedenen Dokumente, die einen Bezug zu Untersuchungstätigkeiten aufweisen, so lange unter die Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen, bis das betreffende Verfahren vollständig abgeschlossen ist, und dies selbst dann, wenn beim Gericht eine Klage erhoben ist, die möglicherweise zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Kommission führt, liefe nämlich darauf hinaus, den Zugang zu diesen Dokumenten von unvorhersehbaren Ereignissen abhängig zu machen, d. h. vom Ausgang des gerichtlichen Verfahrens und den Konsequenzen, die die Kommission daraus gegebenenfalls zieht. Jedenfalls würde es sich um zukünftige und ungewisse Ereignisse handeln, die von den Entschlüssen der Gesellschaften, die Adressaten der Entscheidung zur Ahndung eines Kartells sind, und von den Entscheidungen der verschiedenen betroffenen Stellen abhängen.

Dieses Ergebnis stünde im Widerspruch zu dem Ziel, den größtmöglichen Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Organe zu gewährleisten, um den Bürgern die Möglichkeit zu geben, die Ausübung öffentlicher Gewalt wirksamer auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren.

(vgl. Randnrn. 116, 119-121)

8.      Auf dem Gebiet des Zugangs zu Dokumenten kann der Begriff des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten nicht so ausgelegt werden, dass ihm eine allgemeine Tragweite dergestalt zukommt, dass er die gesamte Politik der Kommission im Bereich der Kartellbekämpfung und ‑prävention umfasst. Eine solche Auslegung liefe nämlich darauf hinaus, der Kommission zu gestatten, jedes Dokument in einer Akte über eine Wettbewerbssache ohne zeitliche Beschränkung durch den bloßen Verweis auf eine mögliche zukünftige Beeinträchtigung ihres Kronzeugenprogramms der Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zu entziehen. Insoweit hängen die von der Kommission für ihr Kronzeugenprogramm befürchteten Folgen von mehreren ungewissen Faktoren ab, nämlich u. a. der Verwendung der erlangten Dokumente seitens der durch ein Kartell Geschädigten, dem Grad des Erfolgs etwaiger von ihnen erhobener Schadensersatzklagen, den ihnen von den nationalen Gerichten zugesprochenen Beträgen und den künftigen Reaktionen der an Kartellen beteiligten Unternehmen.

Eine derart weite Auslegung des Begriffs der Untersuchungstätigkeiten ist daher nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass die Ausnahmen des Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 wegen des Ziels dieser Verordnung eng auszulegen und anzuwenden sind, das nach ihrem vierten Erwägungsgrund darin besteht, dem Recht auf Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen.

Die Verordnung Nr. 1049/2001 enthält insoweit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Wettbewerbspolitik der Union im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung anders zu behandeln wäre als andere Politiken der Union. Es besteht also kein Grund, den Begriff des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten im Rahmen der Wettbewerbspolitik anders auszulegen als in Bezug auf andere Politiken der Union.

Außerdem ist das Kronzeugenprogramm, dessen Wirksamkeit die Kommission schützen möchte, nicht das einzige Mittel, um zu gewährleisten, dass die Wettbewerbsregeln der Union eingehalten werden. Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten können nämlich wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beitragen.

(vgl. Randnrn. 123, 125-128)

9.      Nicht jede Information über eine Gesellschaft und ihre Geschäftsbeziehungen kann unter den Schutz fallen, der den geschäftlichen Interessen nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zukommt, da andernfalls die Geltung des allgemeinen Grundsatzes, der Öffentlichkeit einen größtmöglichen Zugang zu den Dokumenten der Organe zu gewähren, vereitelt würde. Selbst wenn einer Gesellschaft dadurch, dass sie Schadensersatzklagen ausgesetzt ist, zweifellos hohe Kosten entstehen können – sei es auch nur in Form von Anwaltskosten und auch dann, wenn solche Klagen am Ende als unbegründet abgewiesen werden sollten –, so ändert dies nichts daran, dass das Interesse einer an einem Kartell beteiligten Gesellschaft an der Vermeidung solcher Klagen nicht als geschäftliches Interesse eingestuft werden kann und jedenfalls nicht schutzwürdig ist, wenn man insbesondere das Recht eines jeden berücksichtigt, Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm etwa durch ein Verhalten entstanden ist, das geeignet war, den Wettbewerb zu beschränken oder zu verfälschen.

(vgl. Randnrn. 134, 148)

10.    Die Verteidigungsrechte als spezifische Rechte und solche, die zu den Grundrechten der Unternehmen, an die die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet hat, gehören, führen gemäß Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln nur zu spezifischen Zwecken zu einem Zugang zu spezifischen Dokumenten, von denen nur die internen Dokumente des Organs, die Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen und sonstige vertrauliche Informationen ausgenommen sind. Im Gegensatz dazu führt das Zugangsrecht der Öffentlichkeit nach der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission als allgemeines Recht potenziell und ohne Beschränkung in Bezug auf die Verwendung der erlangten Dokumente zu einem Zugang zu allen im Besitz der Organe befindlichen Dokumenten, wobei dieser Zugang aus einer Reihe von Gründen verwehrt werden kann, die in Art. 4 dieser Verordnung aufgezählt sind. In Anbetracht dieser Unterschiede kann die Kommission dadurch, dass sie bereits im Kontext der aufgrund der Verteidigungsrechte zustehenden Akteneinsicht geprüft hat, in welchem Maß sie Zugang zu den in einer Akte über eine Wettbewerbssache enthaltenen Informationen gewähren konnte, oder im Rahmen der nicht vertraulichen Fassung der das wettbewerbsrechtliche Verfahren abschließenden Entscheidung beurteilt hat, in welchem Maß diese Informationen zu veröffentlichen waren, nicht einer erneuten Prüfung dieser Fragen im Licht der besonderen Voraussetzungen für das Zugangsrecht nach der Verordnung Nr. 1049/2001 enthoben sein.

Auch wenn es nicht darum gehen kann, eine starre Regel anzuwenden, nach der bei jeder Information über Tatsachen eines bestimmten Alters davon ausgegangen werden müsste, dass sie die geschäftlichen Interessen der Gesellschaft, auf die sie sich bezieht, nicht mehr beeinträchtigt, erhöht der Umstand, dass die fraglichen Informationen ein gewisses Alter erlangt haben, die Wahrscheinlichkeit, dass die geschäftlichen Interessen der betroffenen Gesellschaften nicht mehr in einem Maß berührt werden, das die Anwendung einer Ausnahme von dem in der Verordnung Nr. 1049/2001 zum Ausdruck kommenden Transparenzgrundsatz rechtfertigt. Deshalb kann der Umstand, dass Informationen über die Geschäftstätigkeiten einer Gesellschaft einen Zeitraum von 16 Jahren in der Vergangenheit abdecken, die Kommission zu einer konkreten und individuellen Prüfung der begehrten Dokumente im Hinblick auf die Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen verpflichten. Desgleichen genügt das Verstreichen von mehr als zwei Jahren zwischen einer nach Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gewährten Akteneinsicht und dem Erlass einer Entscheidung über den Zugang zu den Dokumenten nach der Verordnung Nr. 1049/2001 für eine Verpflichtung der Kommission zur erneuten Prüfung der Geheimhaltungserfordernisse zum Schutz der geschäftlichen Interessen der betroffenen Unternehmen.

(vgl. Randnrn. 142, 145-146)

11.    Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, der die Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses betrifft, differenziert klar danach, ob ein Verfahren abgeschlossen ist oder nicht. Nur für einen Teil der Dokumente zum internen Gebrauch, nämlich für diejenigen, die Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs enthalten, ermöglicht Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, die Zugangsverweigerung, wenn die Verbreitung der genannten Dokumente den Entscheidungsprozess dieses Organs ernstlich beeinträchtigen würde. Daraus folgt, dass sich nach Ansicht des Unionsgesetzgebers nach Fassung des Beschlusses die Anforderungen an den Schutz des Entscheidungsprozesses als weniger vordringlich darstellen, so dass die Verbreitung jeglicher anderer als der in der letztgenannten Bestimmung aufgeführten Dokumente diesen Prozess niemals beeinträchtigen kann und die Verweigerung der Verbreitung solcher Dokumente nicht statthaft ist, selbst wenn ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigt hätte, wäre sie vor Fassung des fraglichen Beschlusses geschehen.

(vgl. Randnrn. 152-154)