Language of document : ECLI:EU:T:2020:543

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte Kammer)

18. November 2020(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten darstellt – Nichtigkeitsgrund – Nichterfüllung der Schutzvoraussetzungen – Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind – Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑574/19,

Tinnus Enterprises LLC mit Sitz in Plano, Texas (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Odle und R. Palijama sowie J. St Ville, Barrister,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch J. Ivanauskas und A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Koopman International BV mit Sitz in Amsterdam (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. van den Bergh und B. Brouwer,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO:

MYSTIC Products Import & Export, SL mit Sitz in Badalona (Spanien),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 12. Juni 2019 (Sache R 1002/2018‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Mystic Products Import & Export und Koopman International einerseits und Tinnus Enterprises andererseits,

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov sowie des Richters E. Buttigieg (Berichterstatter) und der Richterin K. Kowalik-Bańczyk,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. August 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 19. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund der am 11. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der Zuweisung der Rechtssache an einen neuen, der Zehnten Kammer angehörenden Berichterstatter,

aufgrund der schriftlichen Fragen des Gerichts an die Parteien und der am 4., 9. und 10. Juni 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antworten auf diese Fragen,

auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2020

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die Tinnus Enterprises LLC, ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, das gemäß der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) am 10. März 2015 beim Amt für geistiges Eigentum der Europäischen Union (EUIPO) angemeldet und unter der Nummer 1 431 829‑0001 eingetragenen wurde.

2        Das angegriffene Geschmacksmuster wird wie folgt wiedergegeben:

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1.1

1.2

1.3


3        Gemäß Art. 36 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 hatte die Klägerin in der Anmeldung angegeben, das angegriffene Geschmacksmuster sei zur Verwendung bei dem Erzeugnis „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ in Klasse 23.01 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 bestimmt.

4        Am 7. Juni 2016 stellte die Mystic Products Import & Export, SL auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters. Mystic Products Import & Export machte u. a. geltend, dass sämtliche Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien. Folglich könne dieses Geschmacksmuster nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 keinen Schutz genießen.

5        Am 19. April 2017 stellte auch die Streithelferin, die Koopman International BV, einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters, der im Wesentlichen auf dieselben Bestimmungen und dieselben Argumente wie die oben in Rn. 4 genannten gestützt wurde. Die Streithelferin beantragte, dieses Geschmacksmuster für nichtig zu erklären oder ihm zumindest nur einen begrenzten Schutz zu gewähren.

6        Am 30. August 2017 teilte das EUIPO den beiden Antragstellerinnen mit, dass ihre Anträge auf Nichtigerklärung gemäß Art. 54 der Verordnung Nr. 6/2002 in einem einzigen Verfahren geprüft würden.

7        Mit Entscheidung vom 30. April 2018 erklärte die Nichtigkeitsabteilung das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig.

8        Am 31. Mai 2018 legte die Klägerin gemäß den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim EUIPO Beschwerde ein, mit der sie beantragte, die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung aufzuheben.

9        Mit Entscheidung vom 12. Juni 2019 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) bestätigte die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO die Feststellung der Nichtigkeitsabteilung, dass das angegriffene Geschmacksmuster auf Merkmalen eines Erzeugnisses, nämlich Vorrichtungen für die Verteilung von Flüssigkeiten, beruhe, die ausschließlich durch die technische Funktion dieses Erzeugnisses bedingt seien, so dass dieses Geschmacksmuster gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig zu erklären sei. Folglich wurde die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen.

 Anträge der Beteiligten

10      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass erstens der Beschwerde stattgegeben wird, zweitens die Anträge auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters zurückgewiesen werden, drittens den Antragstellerinnen im Nichtigkeitsverfahren die Kosten der Klägerin im Verfahren vor der Beschwerdekammer und vor der Nichtigkeitsabteilung auferlegt werden sowie viertens, hilfsweise, die Rechtssache an die Nichtigkeitsabteilung zur Entscheidung in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zurückzuverweisen;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

11      Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

12      Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe, die sich darauf beziehen, dass die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 angewandt hat.

13      Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt, dass ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses besteht, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind.

14      In Bezug auf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es im 10. Erwägungsgrund dieser Verordnung:

„Technologische Innovationen dürfen nicht dadurch behindert werden, dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird. Das heißt nicht, dass ein Geschmacksmuster unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss. Ebenso wenig darf die Interoperabilität von Erzeugnissen unterschiedlichen Fabrikats dadurch behindert werden, dass sich der Schutz auf das Design mechanischer Verbindungselemente erstreckt. Dementsprechend dürfen Merkmale eines Geschmacksmusters, die aus diesen Gründen vom Schutz ausgenommen sind, bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Geschmacksmusters die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht herangezogen werden.“

15      Insbesondere hat der Gerichtshof im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 31), festgestellt, dass Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 den geschmacksmusterrechtlichen Schutz für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließt, wenn Erwägungen anderer Art als das Erfordernis, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung zusammenhängen, bei der Entscheidung für diese Merkmale keine Rolle gespielt haben, und zwar auch dann, wenn es andere Geschmacksmuster gibt, mit denen sich dieselbe Funktion erfüllen lässt.

16      Der Gerichtshof hat klargestellt, dass für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, zu ermitteln ist, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist, und dass das Bestehen alternativer Geschmacksmuster insoweit nicht ausschlaggebend ist (Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 32).

17      Dem Gerichtshof zufolge ist bei der Beurteilung, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses unter Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fallen, auf alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Diese Beurteilung ist insbesondere mit Blick auf das fragliche Geschmacksmuster, auf die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, auf Informationen über dessen Verwendung oder auch auf das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, vorzunehmen, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen (Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 36 und 37).

18      Im Licht dieser Erkenntnisse sind die von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe zu beurteilen.

 Erster Klagegrund: Die Beschwerdekammer habe in der angefochtenen Entscheidung keinen strukturierten und systematischen Ansatz verfolgt

19      Die Klägerin macht geltend, im Hinblick auf das Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), hätte die Beschwerdekammer zur Feststellung, ob das angegriffene Geschmacksmuster rechtsgültig eingetragen sei, einen systematischen und strukturierten Ansatz wählen müssen, der darin bestehe, erstens die technische Funktion des Erzeugnisses zu bestimmen, für das das angegriffene Geschmacksmuster eingetragen worden sei, zweitens die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses zu identifizieren, die ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien, drittens zu prüfen, ob jedes dieser Merkmale tatsächlich durch die technische Funktion dieses Erzeugnisses bedingt sei, und viertens das angegriffene Geschmacksmuster im Licht der nach Art. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 6/2002 erforderlichen Kriterien der Neuheit und Eigenart zu beurteilen, wobei Erscheinungsmerkmale, die ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt seien, außer Betracht zu bleiben hätten.

20      Nach dem Vorbringen der Klägerin weist die Analyse der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung eine solche Struktur aber nicht auf. Nach ihrem Vortrag hat die Beschwerdekammer ihre Analyse nicht mit der Bestimmung der technischen Funktion des betreffenden Erzeugnisses begonnen. Außerdem habe die Beschwerdekammer die vier Bestandteile bestimmt, aus denen sich das betreffende Erzeugnis zusammensetze, nämlich das Anschlussstück, die Kunststoffhalme, die Ballons und die Gummiringe, mit denen die Ballons an den Halmen befestigt würden, statt die Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses zu identifizieren und zu prüfen, und darüber hinaus zu Unrecht die technische Funktion der vier vorgenannten Bestandteile des Erzeugnisses untersucht, statt die technische Funktion des Erzeugnisses selbst zu untersuchen. Der Klägerin zufolge habe die Beschwerdekammer somit ein anderes rechtliches Kriterium als das in Art. 8 Abs. 1 verlangte und daher ein falsches Kriterium angewandt, als sie in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt sei, dass keines der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters allein zu dem Zweck gewählt worden sei, das Erscheinungsbild des Erzeugnisses zu verbessern.

21      Ferner macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer infolge ihrer unstrukturierten Analyse die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters nicht geprüft habe. Außerdem habe sie auch den zweiten, dritten und vierten Schritt der oben in Rn. 19 dargelegten Analyse nicht korrekt angewandt.

22      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

23      Aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, dem 10. Erwägungsgrund dieser Verordnung und dem Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), geht hervor, dass die Beurteilung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Licht der genannten Bestimmung folgende Schritte umfasst: Als Erstes ist die technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses zu bestimmen, als Zweites sind die Erscheinungsmerkmale dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu analysieren, und als Drittes ist anhand aller objektiven maßgeblichen Umstände zu prüfen, ob diese Merkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt sind, d. h. mit anderen Worten, ob das Bedürfnis, diese technische Funktion zu erfüllen, der einzige Faktor ist, der den Entwerfer zu seiner Wahl bewogen hat, während anderweitige Erwägungen – insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung des Erzeugnisses zusammenhängen – bei der Entscheidung für diese Merkmale keine Rolle gespielt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 26 und 31). Angesichts des 10. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002 dürfen die ausschließlich funktionellen Merkmale des streitigen Geschmacksmusters bei der Beurteilung der Frage, ob andere Merkmale dieses Geschmacksmusters die Schutzvoraussetzungen – insbesondere im Hinblick auf die in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Kriterien der „Neuheit“ und der „Eigenart“ – erfüllen, nicht berücksichtigt werden.

24      Wie sich aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 und aus dem 10. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, hat die Feststellung, dass zumindest eines der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses nicht ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt ist, zur Folge, dass das in Rede stehende Geschmacksmuster gültig bleibt und diesem Merkmal Schutz verleiht.

25      Andererseits ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 und aus dem 10. Erwägungsgrund dieser Verordnung auch, wie das EUIPO zutreffend ausführt, dass das in Rede stehende Geschmacksmuster ungültig ist, wenn sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, es sei denn, dass die Anordnung dieser Merkmale ersichtlich durch Erwägungen bestimmt wurde, die nicht ausschließlich auf der technischen Funktion des betroffenen Erzeugnisses beruhen und insbesondere einen bildlichen Gesamteindruck entstehen lassen, der über die bloße technische Funktion hinausgeht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der in der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Regelung die Erscheinungsform das entscheidende Merkmal eines Geschmacksmusters darstellt (vgl. Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung), und dass eine besondere Anordnung der Merkmale folglich zu anderen Zwecken als zur Erfüllung einer technischen Funktion gewählt werden könnte, insbesondere zu schmückenden Zwecken und ganz allgemein zu solchen, die das visuelle Erscheinungsbild des Geschmacksmusters verbessern sollen.

26      Wie die EUIPO zu Recht ausführt, bleibt das in Rede stehende Geschmacksmuster im Fall der oben genannten besonderen Anordnung gültig und verleiht nur dieser besonderen Anordnung Schutz, nicht aber den ausschließlich funktionellen Erscheinungsmerkmalen des Erzeugnisses, auf die sich diese Anordnung erstreckt.

27      Aus den vorstehenden Rn. 23 bis 26 folgt, dass die von der Klägerin vorgebrachte und oben in Rn. 19 wiedergegebene Definition der Prüfungsschritte, die nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 erforderlich sind, im Wesentlichen zutrifft. Es ist daher zu prüfen, ob die Beschwerdekammer diese Schritte in der angefochtenen Entscheidung korrekt angewandt hat.

28      Was den ersten Prüfungsschritt betrifft, hat die Beschwerdekammer in Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass zunächst die technische Funktion des Erzeugnisses, zu dem das angegriffene Geschmacksmuster gehöre, zu bestimmen sei. Die Beschwerdekammer hat berücksichtigt, dass die Klägerin, die Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters ist, dieses Erzeugnis in der Anmeldung, die zur Eintragung dieses Geschmacksmusters geführt hat, als „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ bezeichnet hat (Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdekammer hat festgestellt, dass dieses Erzeugnis der Erheiterung von Kindern diene, indem es die Veranstaltung einer Wasserschlacht erleichtere (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung), und präzisiert, dass die technische Funktion dieses Erzeugnisses darin bestehe, mehrere Luftballons gleichzeitig zu befüllen (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung). Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die angefochtene Entscheidung den ersten, oben in Rn. 23 genannten Prüfungsschritt enthält.

29      Zum zweiten Prüfungsschritt ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung die Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses klar identifiziert und analysiert hat, nämlich erstens das Anschlussstück mit einer Öffnung und mehreren Löchern, zweitens mehrere daran befestigte Kunststoffhalme, drittens mehrere Luftballons, die an den Enden der Halme befestigt sind, und viertens mehrere Gummiringe, mit denen die Ballons an den Halmen befestigt werden. Daraus folgt, dass die angefochtene Entscheidung auch den zweiten, oben in Rn. 23 genannten Prüfungsschritt enthält.

30      In den Rn. 33 bis 36 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer den dritten Prüfungsschritt durchgeführt, indem sie geprüft hat, ob jedes einzelne Erscheinungsmerkmal des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt ist. Insbesondere hat die Beschwerdekammer in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung zur Prüfung der Funktionen der vier identifizierten Merkmale die folgende Darstellung des „Bunch O Balloons“ genannten Erzeugnisses der Klägerin und Inhaberin des angegriffenen Geschmacksmusters im Internet berücksichtigt:

„Ein Gartenschlauchanschluss mit 37 vorbefestigten Ballons, die sich automatisch zuschnüren, sobald sie mit Wasser befüllt sind. … Die unbefüllten Ballons sind auf 37 Kunststoffhalme aufgezogen. Ein auf den Ballonhals aufgezogener kleiner Gummiring befestigt den Ballon am Halm. Die Halme münden in ein einziges Anschlussstück, das zum Befüllen mit einem Gartenschlauch verbunden werden kann. Diese Vorrichtung ermöglicht es, alle Ballons gleichzeitig mit Wasser zu befüllen. Sobald die Ballons befüllt sind, brauchen Sie nur die Wasserzufuhr abzustellen und die Ballons sanft zu schütteln, um sie abzustreifen und Ihr Wasserbombenarsenal damit aufzustocken.“

31      Außerdem hat die Beschwerdekammer in den Rn. 35 und 36 der angefochtenen Entscheidung und in Erwiderung auf das Vorbringen der Klägerin, das sich auf die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters stützt, die Feststellung getroffen, dass sich das visuelle Erscheinungsbild der Vorrichtung aus ihrer technischen Funktion ergebe und dass es zwar grundsätzlich alternative Geschmacksmuster in Bezug auf Größe, Form und Anordnung der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses geben könne, im vorliegenden Fall jedoch dem Umstand Rechnung getragen werden müsse, dass die Merkmale und die Art und Weise ihrer Gestaltung technische Abläufe sicherstellten, die das Erzeugnis einwandfrei funktionieren ließen. Ferner hat die Beschwerdekammer in Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung die Analyse der Nichtigkeitsabteilung, die darin bestand, das angegriffene Geschmacksmuster in seiner Gesamtheit zu untersuchen, nachvollzogen und gebilligt. Somit geht aus den Rn. 28, 35 und 36 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Beschwerdekammer geprüft hat, ob die Anordnung der einzelnen Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses einen bildlichen Gesamteindruck hervorruft, aus dem geschlossen werden kann, dass diese Anordnung nicht ausschließlich von Erwägungen diktiert wurde, die sich auf die Notwendigkeit bezogen, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt.

32      Die Beschwerdekammer ist daher in den Rn. 37 und 38 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, dass sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt seien, und in Rn. 39 der angefochtenen Entscheidung, dass das angegriffene Geschmacksmuster daher für nichtig zu erklären sei.

33      Aus den vorstehenden Rn. 30 bis 32 folgt, dass die angefochtene Entscheidung auch den dritten, oben in Rn. 23 genannten Prüfungsschritt enthält.

34      Zum vierten von der Klägerin aufgezeigten und oben in Rn. 19 dargestellten Prüfungsschritt ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Anbetracht ihrer Auffassung, sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses seien durch dessen technische Funktion bedingt, und angesichts ihrer Schlussfolgerung, dass das angegriffene Geschmacksmuster daher gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nichtig sei, die Neuheit und die Eigenart dieses Geschmacksmusters nicht zu prüfen brauchte.

35      Nach alledem ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer alle für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 erforderlichen Prüfungsschritte vorgenommen hat. Die Frage, ob die Beurteilungen der Beschwerdekammer richtig sind, ist eine gesonderte Frage und wird im Rahmen der Prüfung der anderen von der Klägerin vorgebrachten Klagegründe behandelt.

36      Zur Rüge der Klägerin, die Beschwerdekammer habe die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters inhaltlich nicht geprüft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Aussage in Rn. 14 der angefochtenen Entscheidung dargestellt wird. In Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung geht die Beschwerdekammer inhaltlich auf das Vorbringen der Klägerin ein, das sich auf diese Aussage stützt. Im Einzelnen geht die Beschwerdekammer in dieser Rn. 35 auf das Vorbringen ein, dass das angegriffene Geschmacksmuster ein Erzeugnis betreffe, das zum Verkauf an Verbraucher bestimmt sei, auf das Argument, dass es mehrere andere Möglichkeiten gebe, das gleiche technische Ergebnis wie dasjenige zu erzielen, das in dem angegriffenen Geschmacksmuster dargestellt sei, und auch mehrere andere mögliche Varianten dieses Geschmacksmusters, sowie auf das Argument, dass das angegriffene Geschmacksmuster ein „einfaches, klares und elegantes Erscheinungsbild“ zeige. Die Beschwerdekammer weist dieses Vorbringen mit der Begründung zurück, es ändere nichts daran, dass das visuelle Erscheinungsbild der Vorrichtung tatsächlich das Ergebnis ihrer technischen Funktion sei und dass die bloße Existenz eines alternativen Geschmacksmusters dem Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), zufolge nicht bedeute, dass die Erscheinungsform eines Erzeugnisses durch andere als technische Erwägungen bedingt gewesen sei. In Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung vertieft die Beschwerdekammer diese Analyse.

37      Daraus folgt, dass der Rüge der Rechtsmittelführerin, die Beschwerdekammer habe die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters inhaltlich nicht geprüft, zurückzuweisen ist.

38      Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zweiter Klagegrund: Die Beschwerdekammer habe die Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses und seine Funktion nicht analysiert und eine falsche Schwelle für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zugrunde gelegt

39      Die Klägerin beanstandet, dass die Beschwerdekammer erstens die technischen Merkmale des betroffenen Erzeugnisses oder seine Bestandteile analysiert habe, statt seine Erscheinungsmerkmale zu untersuchen (erste Rüge), und zweitens die Funktionen dieser technischen Merkmale oder Bestandteile analysiert habe, statt die technische Funktion des Erzeugnisses zu untersuchen (zweite Rüge). Diese Fehler hätten dazu geführt, dass die Beschwerdekammer ein anderes und weniger strenges Vorabkriterium zugrunde gelegt habe als dasjenige, das Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 in seiner Auslegung durch das Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), verlange, wonach zu prüfen sei, ob jedes einzelne Erscheinungsmerkmal des Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sei (dritte Rüge).

40      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

 Erste Rüge: fehlende Prüfung der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses durch die Beschwerdekammer

41      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 6/2002 keine genaue Definition der „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses“ enthält. Die Definition des Geschmacksmusters in Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung verwendet den Begriff „Merkmale“ in einem weiten Sinne, der alle in Betracht kommenden Aspekte der Erscheinungsform eines Erzeugnisses umfasst, insbesondere die Merkmale der Linien, Konturen, Farben, Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses. Wie das EUIPO zu Recht ausführt, müssen diese Merkmale im Einzelfall und in Abhängigkeit vom betreffenden Erzeugnis ermittelt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 24. September 2019, Roxtec/EUIPO – Wallmax [Darstellung eines schwarzen Quadrats mit sieben konzentrischen blauen Kreisen], T‑261/18, EU:T:2019:674, Rn. 51 und 55).

42      So kann die Ermittlung der Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses je nach Fallgestaltung, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Komplexität, anhand einer bloßen visuellen Prüfung des Geschmacksmusters oder auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung erfolgen, in deren Rahmen für die Beurteilung nützliche Elemente, wie Meinungsumfragen und Gutachten oder Angaben zu Rechten des geistigen Eigentums, die im Zusammenhang mit dem betreffenden Erzeugnis zuvor verliehen wurden, berücksichtigt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 19. September 2012, Reddig/HABM – Morleys [Messergriff], T‑164/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:443, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      In der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer zu Beginn ihrer Prüfung festgestellt, dass die Klägerin in der Anmeldung, die zur Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters geführt hat, das Erzeugnis, für das das Geschmacksmuster gelten sollte, als „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ bezeichnet hat (Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung).

44      Sodann hat die Beschwerdekammer im Wesentlichen ausgeführt, dass sie die im Namen der Klägerin am 3. Oktober 2015 eingereichte europäische Patentanmeldung EP 3 005 948 A 2 berücksichtige, um genauere Informationen und Nachweise über die Art des oben genannten Erzeugnisses und die funktionellen Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters zu erhalten (Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung).

45      So hat die Beschwerdekammer in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung folgende Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses ermittelt: erstens das Anschlussstück mit einer Öffnung und mehreren Löchern, zweitens mehrere daran befestigte Kunststoffhalme, drittens mehrere Luftballons, die an den Enden der Halme befestigt sind, und viertens mehrere Gummiringe, mit denen die Ballons an den Halmen befestigt werden. Die Beschwerdekammer befand, dass alle diese Merkmale für das Funktionieren der technischen Lösung, die das gleichzeitige Befüllen mehrere Luftballons ermögliche, erforderlich seien.

46      Es trifft zwar zu, dass die vier oben genannten Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses der Analyse der Beschwerdekammer zufolge seinen einzelnen Bestandteilen entsprechen. In Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer nämlich festgestellt, dass das Erzeugnis „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ aus einem Anschlussstück bestehe, das mit einem Wasserzulauf wie z. B. einem Wasserhahn oder einem Gartenschlauch verbunden werden könne, und dass das Wasser mittels mehrerer an den Löchern des Anschlussstücks befestigter Kunststoffhalme (Schläuche) verteilt werde und die Luftballons befülle, die mit Gummiringen an den anderen Enden der Kunststoffhalme (Schläuche) befestigt würden. Nach der Darstellung der Beschwerdekammer lösen sich die Ballons, sobald sie ausreichend mit Wasser befüllt sind, aufgrund des Gewichts der Flüssigkeit von den Halmen und werden dann durch die Gummiringe verschlossen, so dass das Wasser in den Ballons bleibt und diese bei Wasserschlachten verwendet werden können.

47      Die Übereinstimmung zwischen den Erscheinungsmerkmalen des betreffenden Erzeugnisses und seinen einzelnen Bestandteilen bedeutet jedoch nicht, dass die Beschwerdekammer bei der Ermittlung dieser Merkmale einen Fehler begangen hätte. Im Einklang mit den in den Rn. 41 und 42 enthaltenen Erwägungen ist zum einen festzustellen, dass die Ermittlung dieser Merkmale vom betroffenen Erzeugnis abhängig ist. Im vorliegenden Fall ist es angesichts der Komplexität dieses Erzeugnisses, das sich aus mehreren Einzelbestandteilen zusammensetzt, nur folgerichtig, dass seine Erscheinungsmerkmale mit diesen einzelnen Bestandteilen übereinstimmen. Was zum anderen die Methodik betrifft, hat sich die Beschwerdekammer angesichts der Komplexität des betreffenden Erzeugnisses zu Recht nicht auf eine bloße visuelle Prüfung dieses Erzeugnisses beschränkt, sondern eine eingehende Prüfung vorgenommen und die sichtbaren Einzelteile, aus denen das Erzeugnis besteht und die seine Erscheinung prägen, als seine Erscheinungsmerkmale identifiziert.

48      Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist die Rüge der Klägerin, die Beschwerdekammer habe die Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses nicht analysiert, zurückzuweisen. Dieses Ergebnis wird durch die Tatsache untermauert, dass die Klägerin selbst im Verfahren vor dem EUIPO eingestanden hat, dass die vier einzelnen Bestandteile des betroffenen Erzeugnisses tatsächlich dessen Erscheinungsmerkmale ausmachen.

 Zweite Rüge: fehlende Prüfung der technischen Funktion des betroffenen Erzeugnisses durch die Beschwerdekammer

49      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer die technische Funktion des betroffenen Erzeugnisses sehr wohl berücksichtigt hat, weil sie festgestellt hat, dass es der Erheiterung von Kindern diene, indem es die Veranstaltung einer Wasserschlacht erleichtere (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung) und seine technische Funktion darin bestehe, mehrere Luftballons gleichzeitig zu befüllen (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung).

50      Sodann ist die Beschwerdekammer im Anschluss an die Bestimmung der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses zu dem Ergebnis gelangt, dass alle seine Merkmale ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien und daher in den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fielen (Rn. 38 und 39 der angefochtenen Entscheidung).

51      Folglich ist die Rüge der Klägerin, die Beschwerdekammer habe die technische Funktion des betroffenen Erzeugnisses nicht analysiert, zurückzuweisen.

52      Es trifft zwar zu, dass die Beschwerdekammer, um zu dem oben in Rn. 50 genannten Ergebnis zu gelangen, in den Rn. 33 und 34 der angefochtenen Entscheidung auch die technische Funktion jedes einzelnen der vier Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses, nämlich des Anschlussstücks, der Kunststoffhalme, der Ballons und der Verschlüsse, sowie ihren jeweiligen Beitrag zur Erreichung der technischen Funktion dieses Erzeugnisses, nämlich mehrere zur Verwendung in einer Wasserschlacht geeignete Luftballons gleichzeitig zu befüllen, geprüft hat. Beispielsweise hat die Beschwerdekammer, wie oben in Rn. 30 erwähnt, in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung die Funktionen dieser Merkmale aufgeführt, wie sie von der Klägerin im Internet dargestellt wurden.

53      Dieser Ansatz der Beschwerdekammer ist nicht mit Fehlern behaftet.

54      Wird das streitige Geschmacksmuster nämlich für ein komplexes Erzeugnis wie das im vorliegenden Fall in Rede stehende verwendet, dessen Erscheinungsmerkmale mit den einzelnen Bestandteilen übereinstimmen, aus denen es sich zusammensetzt, müssen zur Beantwortung der Frage, ob diese Merkmale im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 „ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt“ sind, zunächst die technische Funktion jedes einzelnen dieser Merkmale sowie der Kausalzusammenhang zwischen der technischen Funktion jedes einzelnen dieser Merkmale und der technischen Funktion des betreffenden Erzeugnisses geprüft werden. Besteht zwischen der technischen Funktion des Merkmals und der technischen Funktion des Erzeugnisses kein Kausalzusammenhang, d. h. trägt dieses Merkmal nicht zur technischen Funktion des Erzeugnisses bei, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieses Merkmal „ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt“ ist. Liegt hingegen ein solcher Kausalzusammenhang vor, lässt dies darauf schließen, dass die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses „ausschließlich durch [seine] technische Funktion … bedingt“ sind, sofern Erwägungen anderer Art als das Erfordernis, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung zusammenhängen, im Sinne des Urteils vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172, Rn. 31), bei der Wahl dieser Merkmale keine Rolle gespielt haben.

55      Zur Veranschaulichung der vorstehenden Erwägungen kann auf das Beispiel des im angegriffenen Geschmacksmuster dargestellten Anschlussstücks verwiesen werden. Wie sich aus der vorstehenden Analyse ergibt, stellt das Anschlussstück ein Erscheinungsmerkmal des im vorliegenden Fall in Rede stehenden komplexen Erzeugnisses dar, ist zugleich aber auch ein einzelnes Element, d. h. ein Bestandteil, dieses Erzeugnisses. Die Funktion dieses Anschlussstücks besteht darin, das betroffene Erzeugnis an eine Wasserquelle, z. B. einen Wasserhahn, anzuschließen. Somit liegt auf der Hand, dass das Anschlussstück, für sich genommen, zwar eine andere Funktion erfüllt als das betroffene Erzeugnis, das dazu dient, mehrere Ballons gleichzeitig mit Wasser zu befüllen, aber gleichwohl zur technischen Funktion dieses Erzeugnisses beiträgt. Dieser Kausalzusammenhang kann zu der Schlussfolgerung führen, dass dieses Anschlussstück „ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt“ ist, vorausgesetzt, dass Erwägungen anderer Art als das Erfordernis, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung zusammenhängen, bei der Wahl dieses Anschlussstücks keine Rolle gespielt haben.

56      Daraus folgt, wie das EUIPO zu Recht ausführt, dass der Umstand, dass das betroffene Erzeugnis mehrere Merkmale aufweist, die jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllen, die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht ausschließt. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass sich die Erscheinungsmerkmale auf eine einzige technische Wirkung beziehen. Die Merkmale können mehrere technische Ergebnisse hervorrufen, sofern sie zu dem technischen Ergebnis beitragen, das mit dem Erzeugnis angestrebt wird.

57      Wie das EUIPO ausführt, würde die Ablehnung einer solchen Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 dazu führen, dass diese Bestimmung auf eine Reihe rein funktioneller Merkmale allein deshalb nicht anzuwenden wäre, weil diese nicht unmittelbar die Funktion des betroffenen Erzeugnisses erfüllten. Ebenso wäre die Anwendung dieser Bestimmung auf Geschmacksmuster ausgeschlossen, die nur einen Teil oder einen einzelnen Bestandteil eines Erzeugnisses umfassen, weil diese nur selten die Funktion des Erzeugnisses als solchem erfüllen. Ein solches Ergebnis wäre mit dem von dieser Bestimmung verfolgten Zweck nicht zu vereinbaren.

58      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen, die sich auf die Analysemethode bezieht, die die Beschwerdekammer angewandt hat, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses allein durch seine technische Funktion bedingt seien.

 Dritte Rüge: von der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung fehlerhaft zugrunde gelegtes Kriterium für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002

59      Die Klägerin wirft der Beschwerdekammer vor, für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ein Kriterium angewandt zu haben, das weniger streng sei als das in dieser Bestimmung vorgesehene Kriterium, nach dem die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses „ausschließlich durch seine technische Funktion bestimmt“ sein müssten. Die Klägerin stützt ihre Rüge auf folgende Feststellungen der Beschwerdekammer: die Feststellung in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung, dass „alle diese Merkmale für das Funktionieren der technischen Lösung notwendig sind“, die Feststellung in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung, dass „das visuelle Erscheinungsbild der Vorrichtung in der Tat auf ihre technische Funktion zurückzuführen“ sei, die Feststellung in Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung, dass „im vorliegenden Fall jedoch auch zu berücksichtigen ist, dass die Merkmale und die Art ihrer Gestaltung ebenfalls technische Wirkungen gewährleisten, die ein einwandfreies Funktionieren des Produkts ermöglichen“, sowie die Feststellungen in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung, dass „[a]lle wesentlichen Merkmale des angegriffenen [Geschmacksmusters] im Hinblick auf die Gestaltung eines Erzeugnisses gewählt wurden, das seine Funktion erfüllt“, und „[k]eines dieser Merkmale … allein zu dem Zweck gewählt wurde, die visuelle Erscheinungsform des Erzeugnisses zu verbessern“.

60      Zwar ist festzustellen, dass die von der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung verwendeten Begriffe nicht immer mit denen in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 übereinstimmen. Im Zusammenhang dieser Entscheidung und im Licht ihrer Systematik verstanden zeigt die von der Klägerin beanstandete Terminologie als solche aber nicht auf, dass die Beschwerdekammer diesen Artikel fehlerhaft angewandt hätte. Unter Bezugnahme auf die oben genannte Bestimmung kommt die Beschwerdekammer nämlich in Rn. 38 der angefochtenen Entscheidung eindeutig zu dem Ergebnis, dass sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich dessen technische Funktion erfüllen.

61      Daraus folgt, dass die vorliegende Rüge der Klägerin und damit der zweite Klagegrund insgesamt zurückzuweisen ist.

 Dritter Klagegrund: von der Beschwerdekammer begangener Fehler bei der Prüfung der anderen Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin und ihrer Anmeldung eines europäischen Patents

62      Die Klägerin wirft der Beschwerdekammer vor, sie habe versäumt, die Analyse der Nichtigkeitsabteilung in Frage zu stellen, wonach der bloße Umstand, dass die Klägerin Inhaberin mehrerer visuell unterschiedlicher Gemeinschaftsgeschmacksmuster für das Erzeugnis „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ sei, den Schluss zulasse, dass sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt seien.

63      Ferner rügt die Klägerin die Auffassung der Beschwerdekammer, wonach diese Merkmale ausschließlich durch die technische Funktion des betroffenen Erzeugnisses bedingt seien, weil die Klägerin für dasselbe Erzeugnis wie dasjenige, auf das sich das angegriffene Geschmacksmuster beziehe, eine Patentanmeldung eingereicht habe, die eine detaillierte Beschreibung der Erscheinungsmerkmale dieses Erzeugnisses enthalte. Nach Auffassung der Klägerin kann diese Patentanmeldung allenfalls eine Informationsquelle für die Gründe sein, die die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses diktiert hätten, aber nicht als Abkürzung dienen, um auf die im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), geforderte und im Rahmen des ersten Klagegrundes beschriebene strukturierte Analyse zu verzichten.

64      Das EUIPO und die Streithelferin machen geltend, die Rügen der Klägerin seien nicht begründet.

65      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172, Rn. 32), klargestellt hat, dass das Bestehen alternativer Geschmacksmuster nicht ausschlaggebend für die Frage ist, ob die technische Funktion des betroffenen Erzeugnisses der einzige Faktor ist, der seine Erscheinungsmerkmale bestimmt.

66      Ferner ist daran darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 36 und 37), entschieden hat, dass das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, einen maßgeblichen objektiven Umstand darstellt, der bei der Beurteilung, ob die Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt sind, berücksichtigt werden muss (siehe oben Rn. 17).

67      Im Licht dieser Ausführungen sind die beiden Rügen der Klägerin zu beurteilen.

 Zur Rüge in Bezug auf die Existenz anderer Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin

68      Für die Beurteilung der Rüge der Klägerin, die sich darauf stützt, dass sie Inhaberin anderer Geschmacksmuster für das Erzeugnis „Vorrichtungen zur Verteilung von Flüssigkeiten“ sei, ist zunächst auf die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung zu verweisen.

69      Die Nichtigkeitsabteilung hatte ausgeführt, dass das bei ihr anhängige Verfahren zwar die Gültigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters betreffe, im Hinblick auf das Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), aber auch die anderen Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin, die zusammen mit dem angegriffenen Geschmacksmuster Gegenstand einer Sammelanmeldung gewesen seien, berücksichtigt werden müssten (S. 8 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung).

70      Die Nichtigkeitsabteilung stellte fest, dass zumindest vier der in der Sammelanmeldung der Klägerin aufgeführten Geschmacksmuster mögliche Alternativen zur Erzielung derselben technischen Lösung darstellten, so dass für andere Alternativen wenig Raum bleibe. Nach Auffassung der Nichtigkeitsabteilung handelt es sich bei den verschiedenen Konfigurationen der abgebildeten Kunststoffhalme und Ballons lediglich um unterschiedliche Möglichkeiten, eine Vielzahl von Ballons gleichzeitig mit Wasser zu befüllen, so dass die Klägerin im Fall der Eintragung dieser Formen ihren Mitbewerbern nur wenige Möglichkeiten lasse, dasselbe Ergebnis zu erzielen (S. 9 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung).

71      Somit hat die Nichtigkeitsabteilung, als sie auf die Notwendigkeit verwies, die für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 maßgeblichen objektiven Umstände zu berücksichtigen, die Auffassung vertreten, dass ein solcher objektiver Umstand im vorliegenden Fall auch darin bestehen könne, dass alle in diesem Fall vorgelegten alternativen Formen durch ihre Eintragung als Gemeinschaftsgeschmacksmuster ebenso geschützt würden, wie dies beim angegriffenen Geschmacksmuster der Fall sei, und daher nicht als den Mitbewerbern zur Verfügung stehende Alternativen angesehen werden könnten (S. 9 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung). Dabei ist auch zu beachten, dass sich die Nichtigkeitsabteilung, wie aus ihrer Entscheidung hervorgeht, nicht auf diese Erwägung beschränkt hat, um zu dem Schluss zu gelangen, dass Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 anzuwenden sei, sondern dass sie auch andere Faktoren berücksichtigt hat, insbesondere die Patentanmeldung der Klägerin und die Art des betroffenen Erzeugnisses, das als Wegwerfartikel zum einmaligen Gebrauch bestimmt sei (S. 9 und 10 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung).

72      Daraus folgt, dass die Nichtigkeitsabteilung das Vorhandensein der anderen Gemeinschaftsgeschmacksmuster, deren Inhaberin die Klägerin ist, bei der Beurteilung der Frage, ob die Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses im vorliegenden Fall im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien, als einen Faktor unter mehreren berücksichtigt hat.

73      Diesen Ansatz der Nichtigkeitsabteilung hat die Beschwerdekammer bestätigt. Sie hat in Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die Nichtigkeitsabteilung die anderen Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin völlig zu Recht berücksichtigt habe, weil nach dem Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), allen objektiven Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei und einer dieser Umstände in den Informationen bestanden habe, die sich aus den anderen, dasselbe Erzeugnis betreffenden Eintragungen der Klägerin hätten ableiten lassen.

74      Wie nachstehend in Rn. 81 festgestellt, hat die Beschwerdekammer auch weitere „objektive maßgebliche Umstände“ im Sinne des Urteils vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), berücksichtigt, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass sämtliche Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien.

75      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die erste Rüge der Klägerin auf einem Missverständnis der angefochtenen Entscheidung beruht, weil die Beschwerdekammer sich nicht allein auf das Vorhandensein der anderen Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin gestützt hat, um zur Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu gelangen. Aus diesem Grund ist die erste Rüge zurückzuweisen.

 Zur Rüge in Bezug auf die europäische Patentanmeldung der Klägerin

76      Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Beschwerdekammer die europäische Patentanmeldung der Klägerin als eine wichtige Informationsquelle für die Beurteilung des angegriffenen Geschmacksmusters im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 herangezogen hat.

77      So hat die Beschwerdekammer im Wesentlichen festgestellt, dass sich die Patentanmeldung auf exakt dasselbe Erzeugnis bezogen habe wie das angegriffene Geschmacksmuster (vgl. Rn. 30 bis 32 der angefochtenen Entscheidung).

78      Die Beschwerdekammer hat die Angaben in der Patentanmeldung herangezogen, um die Bestandteile des Erzeugnisses, für das das angegriffene Geschmacksmuster angemeldet wurde, und seinen Zweck, nämlich die Veranstaltung einer Wasserschlacht zur Erheiterung von Kindern zu erleichtern, zu bestimmen (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung).

79      Die Beschwerdekammer hat die Angaben in der Patentanmeldung auch herangezogen, um die technische Funktion der vier Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses, nämlich des Anschlussstücks, der Kunststoffhalme, der Ballons und der Verschlüsse, sowie den Kausalzusammenhang zwischen der technischen Funktion dieser vier Merkmale und der technischen Funktion des betroffenen Erzeugnisses zu ermitteln. Die Beschwerdekammer hat festgestellt, dass die vorgenannten Merkmale in der Patentanmeldung näher beschrieben seien und dass beide Schutzrechte (das angegriffene Geschmacksmuster und das angemeldete Patent) dasselbe Erzeugnis beträfen (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung).

80      Darüber hinaus hat die Beschwerdekammer in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung angegeben, dass sie die auf die Patentanmeldung der Klägerin gestützte Analyse der Nichtigkeitsabteilung bestätige. Die Nichtigkeitsabteilung hatte insbesondere festgestellt, dass das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, auf das sich das angegriffene Geschmacksmuster bezog, im Vergleich zu dem in der Patentanmeldung dargestellten kargen Ausführungsbeispiel nicht verbessert worden sei und dieses Beispiel mit dem angegriffenen Geschmacksmuster nahezu identisch sei (S. 11 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung).

81      Zudem ist festzustellen, dass sich die Beschwerdekammer nicht allein auf die Patentanmeldung der Klägerin gestützt hat, um zu der Schlussforderung zu gelangen, dass die Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien. Sie hat auch weitere „objektive maßgebliche Umstände“ im Sinne des Urteils vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), berücksichtigt, nämlich das angegriffene Geschmacksmuster (Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung), die Art und die Verwendung des betroffenen Erzeugnisses (Rn. 33 der angefochtenen Entscheidung), objektive Daten, aus denen sich die Gründe ergeben, die die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses diktiert haben, nämlich die Funktion dieser Merkmale (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung), und die anderen Geschmacksmuster der Klägerin (Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung).

82      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Beschwerdekammer sich nicht nur auf die Patentanmeldung der Klägerin gestützt hat, wie diese geltend macht (oben, Rn. 63). Ferner folgt daraus, dass die Analyse der Beschwerdekammer keine „Abkürzung“ zu der im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), geforderten Analyse darstellt.

83      Daher ist die zweite Rüge der Klägerin und folglich der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Vierter Klagegrund: von der Beschwerdekammer begangene Beurteilungsfehler

84      Die Klägerin macht zum einen geltend, dass die vier von der Beschwerdekammer identifizierten Erscheinungsmerkmale des betroffenen Produkts nicht ausschließlich durch die technische Funktion dieses Produkts bedingt seien, und zum anderen, dass diese vier Merkmale nicht die Gesamtheit seiner Erscheinungsmerkmale darstellten. Folglich hätte das angegriffene Geschmacksmuster nicht auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig erklärt werden dürfen, ohne zuvor eine Prüfung nach den Art. 4 bis 6 dieser Verordnung durchzuführen.

85      Unter Bezugnahme auf Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung stellt die Klägerin als Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses, die nicht ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt seien, die folgenden Merkmale heraus: das „nüchterne und klare Erscheinungsbild“ des angegriffenen Geschmacksmusters, das aufgrund der Wahl der Länge der Kunststoffhalme im Verhältnis zur Länge der Ballons einer „Blume mit Stiel“ gleiche oder ihr ähnlich sei, und die „Proportionen des Geschmacksmusters als Ganzes, nämlich eine Länge, die etwa das 18‑Fache der Breite [betrage], was dem Geschmacksmuster ein feines und elegantes, für den Benutzer attraktives Aussehen verleih[e]“. Nach Auffassung der Klägerin ist keines dieser Merkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt.

86      Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sich die Klägerin auf die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters, die im Verfahren vor der Beschwerdekammer vorgelegt wurde.

87      In dieser Aussage hat der Entwerfer des angegriffenen Geschmacksmusters erläutert, dass es andere als die im angegriffenen Geschmacksmuster gezeigten Lösungen gebe, um dieselbe technische Funktion zu erreichen. Beispielsweise könnten die „Kunststoffhalme in gerader Linie entlang eines Schlauchs, spiralförmig um den Schlauch herum oder radial von einem Mittelpunkt ausgehend angeordnet werden“ (Rn. 6 der Aussage).

88      Im gleichen Sinne könnten dem Entwerfer zufolge verschiedene Aspekte des angegriffenen Geschmacksmusters anders gestaltet werden, wie etwa die Form des Anschlussstücks, die Anzahl, der Abstand und die Länge der Kunststoffhalme und die Kombination mehrerer Halme unterschiedlicher Länge (Rn. 7 der Aussage).

89      Der Entwerfer hat ausgeführt, dass das angefochtene Geschmacksmuster ästhetischer sei als jedes Geschmacksmuster, das die technische Funktion auf eine der in Rn. 6 seiner Aussage aufgezählten alternativen Weisen erfülle, weil es eine längliche Form aufweise, deren Länge ungefähr das Vierfache seiner Breite betrage. Das angefochtene Geschmacksmuster weise daher ein schlichtes, klares und elegantes Erscheinungsbild auf (Rn. 8 der Aussage). Der Entwerfer hat ausgeführt, für die Anordnung der in Rn. 7 seiner Aussage genannten Aspekte sei der Umstand bestimmend gewesen, dass sie eine der möglichen Anordnungen darstelle, die eine längliche Form des angegriffenen Geschmacksmusters möglich gemacht hätten, was diesem ein schlichtes, klares und elegantes Erscheinungsbild verleihe (Rn. 9 der Aussage).

90      Außerdem hat sich der Entwerfer auf den kommerziellen Erfolg des betroffenen Erzeugnisses (unter der Handelsbezeichnung „Bunch O Balloons“) und auf die Auszeichnungen berufen, die es erhalten habe und die auf Kriterien beruhten, zu denen der Grad der Attraktivität des Produktdesigns für den Verbraucher zähle (Rn. 10 und 11 der Aussage).

91      Die Klägerin bringt ebenfalls Argumente vor, um die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters geltend zu machen, und wendet sich gegen die Anwendung von Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 auf den vorliegenden Fall.

92      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

93      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nichts vorgetragen hat, was ihre Behauptung untermauern könnte, dass die vier von der Beschwerdekammer in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung identifizierten Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses, nämlich das Anschlussstück mit einer Öffnung und mehreren Löchern, mehrere daran befestigte Kunststoffhalme, mehrere Luftballons, die an den Enden der Halme befestigt sind, und mehrere Gummiringe, mit denen die Ballons an den Halmen befestigt werden, nicht ausschließlich durch die technische Funktion dieses Erzeugnisses bedingt seien. Diese Behauptung ist daher zurückzuweisen.

94      Zweitens ist festzustellen, dass sich die Klägerin in ihrer Argumentation im Wesentlichen auf die Anordnung der Erscheinungsmerkmale des betroffenen Erzeugnisses und auf den Gesamteindruck des angegriffenen Geschmacksmusters beruft, das „nüchtern und klar“ sei und „einer Blume mit Stiel“ gleiche. Auch der Entwerfer des angegriffenen Geschmacksmusters bezieht sich in seiner Aussage auf die spezifische Anordnung der Erscheinungsmerkmale, die von ästhetischen Erwägungen diktiert werde, sowie auf den Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters.

95      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass zur Klärung der Frage, ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses unter Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fallen, alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind, und dass eine solche Beurteilung insbesondere mit Blick auf das fragliche Geschmacksmuster, auf die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, auf Informationen über dessen Verwendung oder auch auf das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, vorzunehmen ist, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen (Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 36 und 37).

96      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer, als sie die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bestätigte, objektive Umstände, die durch von den beiden Antragstellerinnen im Nichtigkeitsverfahren vorgebrachte tragfähige Beweise untermauert werden, berücksichtigt hat, um das angegriffene Geschmacksmuster im Licht von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu beurteilen. Insbesondere hat die Beschwerdekammer die Patentanmeldung der Klägerin berücksichtigt und festgestellt, dass diese Anmeldung exakt dasselbe Erzeugnis betreffe wie das angegriffene Geschmacksmuster (Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdekammer hat diese Patentanmeldung nämlich unterstützend herangezogen, um das Erzeugnis, auf das sich das angefochtene Geschmacksmuster bezieht, zu analysieren und festzustellen, dass die vier Einzelbestandteile, aus denen sich das Erzeugnis zusammensetzte und die zu seiner technischen Funktion beitrügen, seinen Erscheinungsmerkmalen entsprächen (Rn. 33 und 34 der angefochtenen Entscheidung). So ist die Beschwerdekammer zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich das angefochtene Geschmacksmuster nicht von dem zuvor angemeldeten Patent unterscheide (Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung) und dass alle Einzelelemente, aus denen sich das visuelle Erscheinungsbild des betreffenden Erzeugnisses zusammensetze, eine technische Funktion erfüllten (Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung).

97      Ferner hat die Beschwerdekammer die sich aus der Gesamtprüfung des angegriffenen Geschmacksmusters ergebende Feststellung der Nichtigkeitsabteilung bestätigt, es sei nicht nachgewiesen, dass den visuellen Aspekt betreffende Erwägungen in den Gestaltungsprozess dieses Geschmacksmusters einbezogen worden seien (Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung). So hat die Beschwerdekammer die Beurteilung der Nichtigkeitsabteilung bestätigt, dass keine Verbesserung des Erscheinungsbilds des durch das angegriffene Geschmacksmuster geschützten Erzeugnisses im Vergleich zu der in der Patentanmeldung dargestellten kargen Art der Ausführung zu erkennen sei.

98      Das Vorbringen der Klägerin stellt die vorstehenden Feststellungen der Beschwerdekammer nicht in Frage. Die Behauptung der Klägerin in Bezug auf das „nüchterne und klare“ Erscheinungsbild des angegriffenen Geschmacksmusters und seine Ähnlichkeit mit einer „Blume mit Stiel“ (siehe oben, Rn. 85) steht beispielsweise, wie sich aus der Akte des Verwaltungsverfahrens vor dem EUIPO ergibt, im Widerspruch zu den Ausführungen des Verfassers des Artikels „Bunch O Balloons will revolutionize water fights“, der das Erscheinungsbild des betroffenen Erzeugnisses als „welke Weintraube“ beschreibt. Der von der Klägerin vorgetragene visuelle Eindruck des Erzeugnisses erscheint daher willkürlich oder zumindest zu ungewiss und wird nicht durch objektive Gegebenheiten gestützt.

99      Daher ist der Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung beizupflichten, dass die oben in Rn. 85 wiedergegebene Behauptung der Klägerin nichts daran ändert, dass das visuelle Erscheinungsbild der Vorrichtung ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingt ist.

100    Was drittens die Aussage des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters anbelangt, auf die sich die Klägerin beruft, ist zunächst festzustellen, dass dieser Aussage nur begrenzte Beweiskraft zukommt, weil sie die persönliche und subjektive Meinung dieses Entwerfers darstellt, der zudem als Präsident und Inhaber der Klägerin ein persönliches Interesse an der Gültigkeit des angefochtenen Geschmacksmusters hat. Daraus folgt, dass diese Aussage, soweit sie das „schlichte, klare und elegante“ Erscheinungsbild des angegriffenen Geschmacksmusters hervorhebt und nicht durch andere Beweise aus zuverlässigen und unparteiischen Quellen erhärtet wird, das Gericht nicht davon zu überzeugen vermag, dass bei der Entwicklung des angegriffenen Geschmacksmusters ästhetische Erwägungen berücksichtigt worden seien.

101    Sodann ist festzustellen, dass der Entwerfer im Wesentlichen bekundet, dass es möglich sei, alternative Geschmacksmuster in Bezug auf die Größe, Form und Proportionen ihrer Merkmale zu entwerfen, die dieselbe technische Funktion wie das betroffene Erzeugnis erfüllten. Insoweit ist jedoch mit der Beschwerdekammer (vgl. Rn. 35 und 36 der angefochtenen Entscheidung) darauf hinzuweisen, dass dem Gerichtshof zufolge das Vorhandensein alternativer Geschmacksmuster für die Frage, ob die technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses der einzige Faktor ist, der seine Erscheinungsmerkmale bestimmt hat, nicht ausschlaggebend ist (Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172‚ Rn. 32). Im vorliegenden Fall hält das Gericht die Behauptungen des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters in Anbetracht der objektiven Gesichtspunkte, die die Beschwerdekammer berücksichtigt hat, um zur Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu gelangen, für nicht ausreichend, um diese Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Frage zu stellen.

102    Darüber hinaus sind auch die Behauptungen des Entwerfers des angegriffenen Geschmacksmusters zum wirtschaftlichen Erfolg des Erzeugnisses, auf das sich dieses Geschmacksmuster beziehe, und zu den Auszeichnungen, die es erhalten habe, zurückzuweisen. Der kommerzielle Erfolg dieses Erzeugnisses bedeutet nicht, dass bei der Gestaltung des angegriffenen Geschmacksmusters Erwägungen berücksichtigt worden wären, die nicht ausschließlich mit dem Erfordernis der Erfüllung seiner technischen Funktion zusammenhängen. Was das Vorbringen zu den erhaltenen Auszeichnungen betrifft, geht aus den Akten hervor, dass sich die Kriterien für die Verleihung dieser Auszeichnungen nicht ausschließlich auf das Design der betreffenden Erzeugnisse bezogen, so dass sich daraus nicht ergibt, dass das betroffene Erzeugnis aufgrund seines Designs ausgezeichnet worden wäre. Daraus folgt, dass das oben genannte Argument die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht bestätigt.

103    Viertens ist das Vorbringen der Klägerin zur Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters und zur Anwendung von Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 auf den vorliegenden Fall (siehe oben, Rn. 91) zurückzuweisen, weil die Beschwerdekammer über diese Aspekte des Rechtsstreits nicht entschieden, sondern ihre Entscheidung allein auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 getroffen hat. Folglich ist das Gericht weder im Rahmen der Nichtigkeitsklage noch im Rahmen des Abänderungsantrags befugt, über diese Aspekte zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 71 und 72).

104    Nach alledem ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen und folglich die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

105    Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die diesen entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Tinnus Enterprises LLC trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Amtes für geistiges Eigentum der Europäischen Union (EUIPO) und der Koopman International BV.

Kornezov

Buttigieg

Kowalik-Bańczyk

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. November 2020.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.