Language of document : ECLI:EU:C:2015:391

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 11. Juni 2015(1)

Rechtssache C‑266/14

Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones Obreras (CC.OO.)

gegen

Tyco Integrated Security SL,

Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios SA

(Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional [Spanien])

„Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer –Richtlinie 2003/88/EG – Arbeitszeitgestaltung – Begriff ‚Arbeitszeit‘ – Reisearbeitnehmer – Fehlen einer festen oder regelmäßigen Arbeitsstätte – Fahrzeit von der Wohnung der Arbeitnehmer zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zur Wohnung der Arbeitnehmer“





1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung(2).

2.        Dieses Ersuchen ist ergangen im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Federación de Servicios Privados (Verband private Dienstleistungen) der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CC.OO.) und der Tyco Integrated Security SL sowie der Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios SA (im Folgenden: Unternehmen des Ausgangsverfahrens) wegen deren Weigerung, die Zeit, die ihre Beschäftigten für die tägliche Fahrt von ihrer Wohnung zum ersten Kunden und von ihrem letzten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzuerkennen.

3.        In diesen Schlussanträgen werde ich die Gründe darlegen, weshalb ich der Ansicht bin, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie jenen des Ausgangsverfahrens die Zeit, die Reisearbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, die keine feste oder regelmäßige Arbeitsstätte haben, für die Fahrt von ihrer Wohnung zum ersten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden und vom letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

4.        Art. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2)      Gegenstand dieser Richtlinie sind

a)      die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie

b)      bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.

(3)      Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG[(3)].

Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Artikels 2 Nummer 8 nicht für Seeleute gemäß der Definition in der Richtlinie 1999/63/EG[(4)].

(4)      Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391 … finden unbeschadet strengerer und/oder spezifischer[er] Vorschriften in der vorliegenden Richtlinie auf die in Absatz 2 genannten Bereiche voll Anwendung.“

5.        Art. 2 der Richtlinie 2003/88 („Begriffsbestimmungen“) sieht in den Nrn. 1, 2 und 7 vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.      Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

2.      Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

7.      mobiler Arbeitnehmer: jeder Arbeitnehmer, der als Mitglied des fahrenden oder fliegenden Personals im Dienste eines Unternehmens beschäftigt ist, das Personen oder Güter im Straßen- oder Luftverkehr oder in der Binnenschifffahrt befördert“.

6.        Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

B –    Spanisches Recht

7.        Art. 34 der auf der Grundlage des Real Decreto Legislativo 1/1995 (Real Decreto Legislativo 1/1995 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores de los Trabajadores) erfolgten Neufassung des Arbeitnehmerstatuts vom 24. März 1995(5) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Die Arbeitszeit wird durch Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag festgelegt.

Die Höchstarbeitszeit beträgt im Jahresdurchschnitt 40 Wochenstunden.

(3)      Zwischen dem Ende eines Arbeitstags und dem Beginn des folgenden liegen mindestens zwölf Stunden.

Die Anzahl der gewöhnlichen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden darf neun Stunden täglich nicht überschreiten, sofern nicht in einem Tarifvertrag oder in Ermangelung dessen in einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern eine andere Verteilung der täglichen Arbeitszeit vereinbart wird, wobei in jedem Fall die täglichen Ruhezeiten zu beachten sind.

(5)      Bei der Berechnung der Arbeitszeit wird davon ausgegangen, dass sich der Arbeitnehmer sowohl zu Beginn als auch bei Beendigung des Arbeitstags an seinem Arbeitsplatz befindet.

…“

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

8.        Die Unternehmen des Ausgangsverfahrens sind zwei im Bereich der Installation und Wartung von Sicherheitssystemen tätige Unternehmen, die sich hauptsächlich der Installation und Wartung von Einbruchsmeldesystemen bzw. von Warensicherungssystemen für den Einzelhandel widmen.

9.        Die technischen Mitarbeiter dieser beiden Unternehmen, jeweils ungefähr 75, erbringen ihre Dienstleistungen in einem Großteil der Provinzen Spaniens, wobei jeder von ihnen einer Provinz oder einem bestimmten Gebiet zugewiesen ist.

10.      Im Jahr 2011 schlossen die Unternehmen des Ausgangsverfahrens ihre Büros in den verschiedenen Provinzen und versetzten alle ihre Beschäftigten in das Zentralbüro in Madrid (Spanien).

11.      Die technischen Mitarbeiter dieser beiden Unternehmen installieren und warten Sicherheitsvorrichtungen in Wohnungen sowie gewerblichen und industriellen Einrichtungen in dem Gebiet, dem sie zugewiesen sind und das die ganze oder einen Teil der Provinz, in der sie arbeiten, sowie gelegentlich mehrere Provinzen umfasst.

12.      Diesen Arbeitnehmern steht ein Firmenfahrzeug zur Verfügung, mit dem sie täglich von ihrer Wohnung zu den Einrichtungen fahren, in denen sie die Installations- oder Wartungsarbeiten an den Sicherheitsvorrichtungen ausführen müssen. Dieses Fahrzeug benutzen sie auch für die Rückkehr zu ihrer Wohnung am Ende ihres Arbeitstags.

13.      Der Audiencia Nacional (Spanien) zufolge sind die Entfernungen zwischen der Wohnung eines Arbeitnehmers und dem Ort, an dem dieser Arbeiten vornehmen muss, sehr unterschiedlich. In einigen Fällen betragen sie über 100 Kilometer.

14.      Die technischen Mitarbeiter müssen sich darüber hinaus einmal oder mehrmals in der Woche zu den Büros einer Transportlogistikagentur in der Nähe ihrer Wohnung begeben, um Material sowie Geräte und Ersatzteile, die sie für ihre Einsätze benötigen, abzuholen.

15.      Die Arbeitnehmer verfügen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben über ein Mobiltelefon der Marke Blackberry, mit dem sie mit dem zentralen Büro in Madrid auf Distanz kommunizieren können. In ihrem Telefon ist eine Anwendung installiert, die es diesen Arbeitnehmern ermöglicht, am Vortag ihres Arbeitstags täglich eine Fahrtroute mit den verschiedenen Einrichtungen, die sie am jeweiligen Arbeitstag innerhalb ihres Einsatzgebiets besuchen müssen, sowie die Uhrzeiten, zu denen sie beim Kunden vorstellig werden müssen, entgegenzunehmen. Mit Hilfe einer weiteren Anwendung halten diese Arbeitnehmer die Daten ihrer erledigten Einsätze fest und übermitteln diese an ihr Unternehmen, damit die jeweiligen Vorfälle und die durchgeführten Tätigkeiten gespeichert werden.

16.      Die Unternehmen des Ausgangsverfahrens rechnen weder die für die erste Fahrt des Tages von der Wohnung des Arbeitnehmers zum ersten Kunden noch die für die letzte Fahrt des Tages vom letzten Kunden zur Wohnung des Arbeitnehmers aufgewendete Zeit als Arbeitszeit an. Sie gehen nämlich davon aus, dass es sich dabei um Ruhezeit handelt.

17.      Die Unternehmen des Ausgangsverfahrens berechnen damit den Arbeitstag nach der Zeit, die zwischen der Ankunft des Arbeitnehmers bei der Einrichtung des ersten Kunden des Tages und der Abreise bei der Einrichtung des letzten Kunden liegt, wobei allein die Fahrten zwischen den Kunden in die Berechnung einbezogen werden.

18.      Vor der Schließung der Büros in den Provinzen berechneten die Unternehmen des Ausgangsverfahrens die Arbeitszeit in der Weise, dass diese zu laufen begann, wenn der Arbeitnehmer beim Betrieb des Unternehmens ankam, um das ihm zur Verfügung gestellte Fahrzeug abzuholen und die Liste mit den Kunden, die zu besuchen waren, sowie die Fahrtroute entgegenzunehmen. Die Arbeitszeit endete, wenn er zum Betrieb des Unternehmens zurückkehrte, um dort das Fahrzeug zurückzulassen.

19.      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass es sich bei den Begriffen Arbeitszeit und Ruhezeit um Gegensatzbegriffe im Sinne der Richtlinie 2003/88 handelt und diese Richtlinie keine dazwischen liegenden Fälle erfassen will. Ferner stellt dieses Gericht fest, dass die Fahrzeit von der Wohnung des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitsplatz und von seinem Arbeitsplatz zu seiner Wohnung gemäß Art. 34 Abs. 5 des neugefassten Wortlauts des Arbeitnehmerstatuts nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Nach der Auffassung dieses Gerichts hat sich der nationale Gesetzgeber für diese Lösung entschieden, weil er der Ansicht war, dass der Arbeitnehmer bei der Auswahl des Orts, an dem er seine Wohnung hat, frei ist und im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst entscheidet, ob er in geringerer oder größerer Entfernung zu seiner Arbeitsstätte wohnt.

20.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass diese Ansicht im Fall der mobilen Arbeitnehmer im Landverkehrssektor zu relativieren sei. Denn bei dieser Gruppe von Arbeitnehmern scheine der nationale Gesetzgeber davon ausgegangen zu sein, dass sich deren Arbeitsstätte im Fahrzeug selbst befinde, so dass bei diesen Arbeitnehmern die Fahrzeit als Arbeitszeit anzusehen sei. Dieses Gericht fragt sich deshalb, ob die Situation der Arbeitnehmer im Ausgangsverfahren ähnlich betrachtet werden könne wie jene der mobilen Arbeitnehmer im Verkehrssektor.

21.      Für das vorlegende Gericht hat der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitnehmer über die zu absolvierende Route und über die besonderen Dienstleistungen, die sie gegenüber den Kunden erbringen müssen, einige Stunden vor ihrem Kundenbesuch über ihr Mobiltelefon informiert werden, zur Folge, dass diese Arbeitnehmer nicht mehr die Wahl haben, ihr Privatleben und ihren Wohnort auf die Nähe zu ihrer Arbeitsstätte auszurichten, da diese täglich variiert. Das führe dazu, dass die Fahrzeit insbesondere im Hinblick auf das mit der Richtlinie 2003/88 verfolgte Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer nicht als Ruhezeit betrachtet werden könne. Im Übrigen handelt es sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auch nicht um eine Zeit, während deren der Arbeitnehmer streng genommen dem Arbeitgeber zur Verfügung steht, damit dieser ihm neben der Fahrt selbst irgendeine andere Aufgabe zuweisen kann. Daher sei nicht klar, ob sie nach der Richtlinie als Arbeits- oder Ruhezeit zu betrachten sei.

22.      Unter diesen Umständen hat die Audiencia National beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass die Zeit, die ein Arbeitnehmer, der keiner festen Betriebsstätte zugewiesen ist, sondern unter den Bedingungen des Ausgangsverfahrens, die in der Begründung dieses Ersuchens dargestellt sind (nach einer am Vortag vom Unternehmen festgelegten Route oder Liste), jeden Tag von seiner Wohnung zum Betrieb eines täglich anderen Kunden des Unternehmens fahren und vom Betrieb eines wiederum anderen Kunden zu seiner Wohnung zurückkehren muss, wobei die Kunden immer in einem mehr oder weniger großen Gebiet angesiedelt sind, für die Fahrt zu Beginn und am Ende des Arbeitstags aufwendet, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Definition dieses Begriffs in dem zitierten Artikel dieser Richtlinie oder vielmehr als „Ruhezeit“ zu betrachten ist?

III – Rechtliche Würdigung

23.      Mit seiner Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, darüber zu entscheiden, ob Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie jenen des Ausgangsverfahrens die Zeit, die Reisearbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, die keine feste oder regelmäßige Arbeitsstätte haben, für die Fahrt von ihrer Wohnung zum ersten durch ihren Arbeitgeber bestimmten Kunden und vom letzten durch ihren Arbeitgeber bestimmten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

24.      Ziel der Richtlinie 2003/88 ist es, Mindestvorschriften festzulegen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Diese unionsweite Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung soll einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch Gewährung von – u. a. täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden gewährleisten, bezüglich deren ausdrücklich klargestellt ist, dass sie auch die Überstunden einschließt(6).

25.      In Anbetracht dieses wesentlichen Ziels müssen jedem Arbeitnehmer angemessene Ruhezeiten zur Verfügung stehen, die nicht nur effektiv sein müssen, indem sie es den Betreffenden erlauben, sich von der durch ihre Arbeit hervorgerufenen Ermüdung zu erholen, sondern auch vorbeugenden Charakter haben müssen, indem sie die Gefahr einer Verschlechterung der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, die in der Kumulierung von Arbeitsphasen ohne die erforderliche Ruhepause liegen kann, so weit wie möglich verringern(7).

26.      Die verschiedenen Vorschriften, die die Richtlinie 2003/88 im Bereich der Höchstarbeitszeit und der Mindestruhezeit vorsieht, stellen sozialrechtliche Regelungen in der Union mit besonderer Bedeutung dar, die jedem Arbeitnehmer als notwendige Mindestvorschrift zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seiner Gesundheit zustehen müssen(8).

27.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass diese Richtlinie den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne ihres Art. 2 Nr. 1 definiert als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt und dass dieser Begriff als Gegenbegriff zur Ruhezeit zu verstehen ist, da sich diese zwei Begriffe gegenseitig ausschließen(9).

28.      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass zum einen die Richtlinie 2003/88 keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht und dass zum anderen zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Richtlinie nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung gehört(10).

29.      Damit sieht diese Richtlinie keine „Grauzonen“ vor, die sich zwischen die Arbeitszeit und die Ruhezeit schieben würden. Entsprechend dem vom Unionsgesetzgeber eingeführten System hat der Gerichtshof einen zweiteiligen Standpunkt eingenommen, wonach alles, was nicht vom Begriff der Arbeitszeit erfasst wird, dem Begriff der Ruhezeit zuzurechnen ist und umgekehrt.

30.      Der Gerichtshof hat ebenfalls festgestellt, dass die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 unionsrechtliche Begriffe darstellen, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zwecks der Richtlinie zu bestimmen sind, der darin besteht, Mindestvorschriften zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufzustellen. Denn nur eine solche autonome Auslegung kann nach seiner Ansicht die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen(11).

31.      Die Definition der „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 beruht auf drei Kriterien, die aus der Sicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs offensichtlich kumulativ anzuwenden sind. Es handelt sich um ein räumliches (auf der Arbeitsstätte sein), ein weisungsbezogenes (dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen) und ein berufsbezogenes Kriterium (seine Tätigkeit ausüben oder seine Aufgaben wahrnehmen)(12).

32.      Wollte man die Zeit, die die Reisearbeitnehmer für die Fahrt von ihrer Wohnung zum ersten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden und vom letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, nicht als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 berücksichtigen, so stünde das nach meiner Ansicht im Widerspruch zu dieser Richtlinie, da die drei Kriterien, die in der Definition dieser Bestimmung enthalten sind, im Hinblick auf diese Gruppe von Arbeitnehmern erfüllt sind.

33.      Ich beginne meine Darlegung mit dem letzten der drei aufgeführten Kriterien, nach dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausüben oder seine Aufgaben wahrnehmen muss.

34.      Die Unternehmen des Ausgangsverfahrens sind der Ansicht, dass unter der Tätigkeit der technischen Mitarbeiter, die von ihnen beschäftigt werden, nur technische Dienstleistungen der Installation und Wartung von Sicherheitsvorrichtungen zu verstehen seien. Dagegen sei die zwischen der Wohnung dieser Arbeitnehmer und dem ersten Kunden sowie die zwischen dem letzten Kunden und der Wohnung dieser Arbeitnehmer zurückgelegte Route nicht als Teil ihrer Tätigkeit anzusehen.

35.      Ich teile diese Auffassung nicht.

36.      Die Reisearbeitnehmer können definiert werden als Arbeitnehmer, die keine feste oder regelmäßige Arbeitsstätte haben. Diese Arbeitnehmer müssen daher von Tag zu Tag an unterschiedlichen Orten tätig werden.

37.      Aus dieser Definition folgt, dass der Ortswechsel, den diese Arbeitnehmer vornehmen, wesentlich zu ihrer Eigenschaft als Reisearbeitnehmer gehört und daher untrennbar mit der Ausübung ihrer Tätigkeit zusammenhängt.

38.      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitnehmer müssen zur Wahrnehmung ihrer Tätigkeiten der Installation und Wartung von Sicherheitsvorrichtungen bei den verschiedenen Kunden des sie beschäftigenden Unternehmens zwingend Ortswechsel vornehmen. Mit anderen Worten sind die Fahrten dieser Arbeitnehmer ein notwendiges Mittel, damit sie ihre technischen Dienstleistungen bei den von ihrem Arbeitgeber benannten Kunden vornehmen können. Diese Fahrten sind daher als Teil der Tätigkeit dieser Arbeitnehmer anzusehen.

39.      Wie seiner Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, scheint das vorlegende Gericht vor allem im Zweifel zu sein, ob das zweite Kriterium der Definition der Arbeitszeit erfüllt ist, nämlich das Kriterium, wonach der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss.

40.      Es handelt sich hierbei in erster Linie um ein Kriterium der Weisungsbefugnis, das ein andauerndes Verhältnis der Weisungsunterworfenheit des Erstgenannten gegenüber dem Letztgenannten beinhaltet(13).

41.      Dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen bedeutet, sich in einer rechtlichen Situation zu befinden, die durch den Umstand geprägt ist, dass der Arbeitnehmer den Anweisungen und der Organisationsbefugnis seines Arbeitgebers unabhängig von dem Aufenthaltsort dieses Arbeitnehmers unterworfen ist. Mit anderen Worten handelt es sich um die Zeit, während deren der Arbeitnehmer rechtlich verpflichtet ist, den Instruktionen seines Arbeitgebers zu folgen und seine Tätigkeit für ihn auszuüben.

42.      Wenn die Reisearbeitnehmer sich von ihrer Wohnung zu ihrem ersten Kunden und vom letzten Kunden zu ihrer Wohnung begeben, sind sie nicht der Weisungsbefugnis ihres Arbeitgebers entzogen. Es handelt sich um Fahrten, die im Rahmen des hierarchischen Verhältnisses zu ihrem Arbeitgeber erfolgen.

43.      Die Arbeitnehmer begeben sich nämlich zu Kunden, die von ihrem Arbeitgeber bestimmt wurden, und zwar zur Erbringung von Dienstleistungen zum Vorteil ihres Arbeitgebers. Nach dem Vorbringen der Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones Obreras und der Europäischen Kommission stehen diese Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber zur Verfügung, weil die Wegstrecken und Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, ausschließlich von dessen Willen abhängen. Hinzukommt, dass die Arbeitnehmer, wenn sie diese Strecken zurücklegen, der Weisungsgewalt ihres Arbeitgebers unterliegen, da diese Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber beschließt, die Reihenfolge der Kunden zu ändern oder einen Termin zu streichen, verpflichtet sind, einer solchen Instruktion zu folgen und entsprechend der vom Arbeitgeber festgelegten neuen Route den nächsten Kunden aufzusuchen. Ferner kann der Arbeitgeber von den Arbeitnehmern verlangen, dass sie bei der Fahrt am Tagesende zu ihrer Wohnung bei einem zusätzlichen Kunden tätig werden, falls sich dies als notwendig erweist.

44.      Entgegen dem Vorbringen der Unternehmen des Ausgangsverfahrens gilt diese Weisungsunterworfenheit nicht nur, wenn sich die Reisearbeitnehmer am Einsatzort befinden.

45.      In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist die Besorgnis geäußert worden, dass die Arbeitnehmer die Fahrten am Beginn und am Ende des Tages dazu nutzen könnten, persönliche Geschäfte zu erledigen. Meines Erachtens reicht eine solche Befürchtung nicht aus, um an der rechtlichen Natur der Fahrzeit etwas zu ändern. Es ist Sache des Arbeitgebers, die zur Verhinderung von möglichen Missbräuchen erforderlichen Kontrollinstrumente einzurichten. Welcher Verwaltungsaufwand dem Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Durchführung dieser Kontrolle auch immer entstehen mag, ist dieser der Preis, den er für seine Entscheidung zu zahlen hat, keine festen Arbeitsstätten mehr vorzusehen.

46.      Konkret kann der Arbeitgeber von den Arbeitnehmern verlangen, die kürzest mögliche Route zu nehmen. Da diese Arbeitnehmer bereits verpflichtet sind, auf dem Mobiltelefon, das ihnen ihr Arbeitgeber zur Verfügung stellt, ihre Arbeitsstunden bei den Kunden sowie die Tätigkeiten, die sie bei diesen erbracht haben, festzuhalten, kann von ihnen ohne Weiteres verlangt werden, dort auch den Zeitpunkt der Abfahrt von ihrer Wohnung und der Rückkehr zu ihrer Wohnung einzugeben. Auf diese Weise ist es dem Arbeitgeber möglich, zu kontrollieren, ob die Zeiten der Fahrt zwischen der Wohnung der Arbeitnehmer und ihrem ersten Kunden sowie zwischen ihrem letzten Kunden und ihrer Wohnung Missbrauchsmerkmale aufweisen.

47.      Aus diesen Gesichtspunkten folgt, dass die Reisearbeitnehmer, wenn sie von ihrer Wohnung zu ihrem ersten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden und vom letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden zu ihrer Wohnung fahren, als im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 „dem Arbeitgeber zur Verfügung“ stehend anzusehen sind.

48.      Schließlich erscheint mir auch das räumliche Kriterium, wonach der Arbeitnehmer bei der Arbeit sein muss, erfüllt zu sein. Wie ich bereits ausgeführt habe, kann die Arbeitsstätte, da der Ortswechsel wesensmäßig zur Eigenschaft des Reisearbeitnehmers gehört, nicht auf die physische Anwesenheit der technischen Mitarbeiter bei den Kunden reduziert werden. Daraus folgt, dass die Reisearbeitnehmer, wenn sie für die Fahrt zu einem von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden ein Verkehrsmittel benutzen, zu jedem Zeitpunkt ihres Arbeitstags so anzusehen sind, dass sie im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 „arbeiten“.

49.      Ich füge hinzu, dass im Rahmen der Prüfung der Frage, ob im spezifischen Kontext der Reisearbeitnehmer die Kriterien der Definition der „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung erfüllt sind, nach meiner Auffassung nicht danach zu unterscheiden ist, ob es sich einerseits um Fahrten zwischen der Wohnung dieser Arbeitnehmer und einem Kunden oder andererseits um Fahrten dieser Arbeitnehmer zwischen zwei Kunden handelt. Ich weise insoweit darauf hin, dass die Fahrten der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitnehmer zwischen zwei Kunden unbestritten als Teil der Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer anzusehen sind.

50.      Im Übrigen haben wir gesehen, dass wegen des Fehlens einer festen oder regelmäßigen Arbeitsstätte Abfahrtsort und Ankunftsort der täglichen Fahrten die Wohnung dieser Arbeitnehmer ist.

51.      Es ist unbestritten, dass die Arbeitnehmer im Rahmen der früheren Organisation der Unternehmen des Ausgangsverfahrens ihre Route und ihre Arbeitsbeschreibung erhielten, wenn sie an der festen Betriebsstätte ankamen. Die Fahrtstrecken, die sie anschließend zwischen dieser Betriebsstätte und dem ersten Kunden sowie zwischen dem letzten Kunden und dieser Betriebsstätte zurücklegten, wurden als Arbeitszeit angesehen.

52.      Ich kann nicht erkennen, weshalb die Fahrten zu Beginn und zum Ende des Tages, die früher als Arbeitszeit angesehen wurden, im Rahmen der neuen Organisation der Unternehmen des Ausgangsverfahrens jetzt nicht mehr unter diesen Begriff fallen sollen.

53.      Der Umstand, dass der Abfahrts- und Ankunftsort der täglichen Fahrten durch die Wohnung der Arbeitnehmer bestimmt wird, ist kein ausschlaggebender Grund. Es handelt sich hier nur um die Folge der Entscheidung der Unternehmen des Ausgangsverfahrens, keine festen Betriebsstätten mehr vorzusehen.

54.      Im Rahmen der neuen Organisation der Unternehmen des Ausgangsverfahrens erhalten die Arbeitnehmer die Route, die sie absolvieren müssen, in ihrer Wohnung. Wenn sie ihr Fahrzeug nehmen, um sich zu ihrem ersten Kunden zu begeben, befinden sie sich in derselben Situation wie die Arbeitnehmer, die im Rahmen der früheren Organisation der Unternehmen des Ausgangsverfahrens von einer festen Betriebsstätte dieser Unternehmen abfuhren, um sich zu ihrem ersten Kunden zu begeben. Dies gilt in gleicher Weise für die Rückfahrten.

55.      Wie im Rahmen der früheren Organisation der Unternehmen des Ausgangsverfahrens sind die Fahrten der Arbeitnehmer von ihrer Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zu ihrer Wohnung daher als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzusehen.

56.      Seit der Aufhebung der festen Betriebsstätten können die Arbeitnehmer der Unternehmen des Ausgangsverfahrens nicht mehr frei die Entfernung zwischen ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstätte bestimmen. Diese Arbeitnehmer müssen an jedem Tag an einer Mehrzahl von Orten tätig werden, von denen sie erst am Vortag ihres Arbeitstags und auf der Grundlage eines vom Arbeitgeber festgelegten Plans Kenntnis erhalten. Ich bin wie die Kommission der Ansicht, dass die Einstufung der täglichen Fahrten, die die Arbeitnehmer unternehmen müssen, um sich zu den Kunden begeben − Fahrten, über die sie nicht disponieren können und von denen sie bis zum Vorabend ihres Arbeitstags auch keine Kenntnis haben − als „Ruhezeit“ die Arbeitnehmer in unverhältnismäßiger Weise belasten und gegen das Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 2003/88 verstoßen würde. Dagegen erscheint es nicht unverhältnismäßig, wenn diese Belastung von den Unternehmen des Ausgangsverfahrens getragen wird, die sich mit Hilfe der Verwendung neuer Technologien dafür entschieden haben, diese neue Arbeitsorganisation einzurichten, die daraus im Hinblick auf die Reduzierung der fixen Kosten für Infrastruktur Vorteile ziehen und die berechtigt sind, die Dauer der von den Arbeitnehmern zurückgelegten Fahrtstrecken zu bestimmen.

57.      Ich erinnere daran, dass die Richtlinie 2003/88 zum Ziel hat, die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer zu schützen. Zu dieser Zielsetzung gehört es auch, den Arbeitnehmern eine Mindestruhezeit zu gewährleisten. Daher würde die Nichtberücksichtigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrten bei der Berechnung der Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer diese Mindestruhezeit beeinträchtigen und daher diesem Ziel zuwiderlaufen(14). Mit anderen Worten steht die Richtlinie 2003/88 dem entgegen, dass die Ruhezeit der Reisearbeitnehmer aufgrund des Ausschlusses ihrer Fahrzeiten zu Beginn und zum Ende ihres Arbeitstags vom Begriff der „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie beschnitten wird.

58.      Ich füge hinzu, dass die Art und Weise, wie der Gerichtshof den Begriff der Arbeitszeit definiert hat, es ohne Schwierigkeit möglich macht, die Ansicht zurückzuweisen, wonach die Zeit, die die Reisearbeitnehmer für die Fahrt von ihrer Wohnung zu ihrem ersten Kunden und von ihrem letzten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, nicht als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 angesehen werden dürfe.

59.      So hat der Gerichtshof im Hinblick auf die „gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten“ im Sinne von Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 93/104/EG(15) klargestellt, dass diese Zeiten dadurch gekennzeichnet sein müssen, dass „der Arbeitnehmer während dieser Zeiten gegenüber seinem Arbeitgeber keiner Verpflichtung unterliegt, die ihn daran hindern kann, frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen, um die Auswirkungen der Arbeit auf seine Sicherheit und Gesundheit zu neutralisieren. Solche Ruhezeiten müssen sich daher unmittelbar an die Arbeitszeit anschließen, deren Ausgleich sie dienen, um eine Ermüdung oder Überlastung des Arbeitnehmers durch die Kumulierung aufeinanderfolgender Arbeitsperioden zu verhindern“(16). Der Gerichtshof hat ferner festgestellt: „Um sich tatsächlich ausruhen zu können, muss der Arbeitnehmer sich … für eine bestimmte Anzahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode anschließen müssen, aus seiner Arbeitsumgebung zurückziehen können, um sich zu entspannen und sich von der mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben verbundenen Ermüdung zu erholen.“(17)

60.      Die Ruhezeiten haben damit den Zweck, die durch die Arbeitszeiten hervorgerufene Ermüdung wieder auszugleichen. Diese grundlegende Funktion der Ruhezeiten würde beeinträchtigt, wenn die Zeit, die die Reisearbeitnehmer für die Fahrt von ihrer Wohnung zu ihrem ersten Kunden und von ihrem letzten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, in diese einberechnet würde.

61.      Aus diesen Erwägungen folgt meiner Ansicht nach, dass die drei Kriterien des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 erfüllt sind. Daher ist die Zeit, die die Reisearbeitnehmer für die Fahrt von ihrer Wohnung zu ihrem ersten Kunden und von ihrem letzten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen.

62.      Die Rechtsprechung, die der Gerichtshof im Hinblick auf die Arbeitszeit der Kraftfahrer im Straßenverkehr entwickelt hat, enthält, auch wenn sie eng mit den Besonderheiten in diesem Sektor zusammenhängt, in mehrfacher Hinsicht Überlegungen, die meines Erachtens eine Grundlage für die Lösung darstellen können, die ich dem Gerichtshof vorschlage.

63.      So hat der Gerichtshof in dem Urteil Skills Motor Coaches u. a.(18) im Wesentlichen festgestellt, dass bei einem Fahrer, der sich von seinem Wohnsitz in der von ihm frei gewählten Weise zum Ort der Übernahme eines Fahrzeugs begibt, nicht angenommen werden kann, dass er frei über seine Zeit verfügen kann, so dass diese Zeit nicht als Teil der Ruhezeit im Sinne der Definition gemäß Art. 1 Nr. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85(19) anzusehen ist. Denn ein solcher Fahrer, der sich zu einem bestimmten, ihm vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort außerhalb der Hauptbetriebsstätte des Unternehmens begibt, um ein Fahrzeug zu übernehmen und zu lenken, erfüllt eine Verpflichtung gegenüber seinem Arbeitgeber. Während dieses Wegs verfügt er daher nicht frei über seine Zeit(20).

64.      In diesem Urteil hat der Gerichtshof betont, dass diese Zeit als Teil „alle[r] sonstigen Arbeitszeiten“ im Sinne von Art. 15 der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85(21) angesehen werden muss, da das Ziel der Verordnung Nr. 3820/85 darin besteht, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern. Diese Auslegung steht nach Ansicht des Gerichtshofs auch im Einklang mit dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fahrer, denn sie schließt aus, dass Zeiten, während deren diese eine dem Arbeitgeber zugutekommende Tätigkeit ausüben, als Ruhezeiten angesehen werden. Nach seiner Auffassung kommt es insoweit nicht darauf an, ob der Fahrer genaue Weisungen erhalten hat, wie dieser Weg zurückzulegen ist. Denn indem er sich zu einem bestimmten, von der Hauptbetriebsstätte seines Arbeitgebers mehr oder weniger weit entfernten Ort begibt, kommt der Fahrer einer Verpflichtung nach, die ihm aufgrund der Bindung an seinen Arbeitgeber obliegt, weshalb er während dieses Zeitraums nicht frei über seine Zeit verfügt(22). In demselben Sinne hat sich der Gerichtshof in dem Urteil Smit Reizen(23) geäußert.

IV – Ergebnis

65.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem vorlegenden Gericht wie folgt zu antworten:

Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie jenen des Ausgangsverfahrens die Zeit, die Reisearbeitnehmer, d. h. Arbeitnehmer, die keine feste oder regelmäßige Arbeitsstätte haben, für die Fahrt von ihrer Wohnung zum ersten durch ihren Arbeitgeber bestimmten Kunden und vom letzten durch ihren Arbeitgeber bestimmten Kunden zu ihrer Wohnung aufwenden, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 299, S. 9.


3 –      Richtlinie des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1).


4 –      Richtlinie des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten (ABl. L 167, S. 33).


5–      BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654.


6 – Beschluss Grigore (C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7 – Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 92).


8 – Beschluss Grigore (C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9 – Ebd. (Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10 – Ebd. (Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11 – Ebd. (Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 – Vgl. zum Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437) Kommentar von C. Vigneau, European Review of Private Law, Nr. 13, Bd. 2, Kluwer Law International, Niederlande, 2005, S. 219, insbesondere S. 220.


13 – Vgl. C. Vigneau, a. a. O., von dem ich an dieser Stelle die Definition auf S. 220 übernehme.


14 – Vgl. in diesem Sinne zu den Bereitschaftsdiensten Urteil Simap (C‑303/98, EU:C:2000:528, Rn. 49).


15 – Richtlinie des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18).


16 –      Urteil Jaeger (C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 94).


17 – Ebd. (Rn. 95).


18 – C‑297/99, EU:C:2001:37.


19 – Verordnung des Rates vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (ABl. L 370, S. 1).


20 – Rn. 22 und 23.


21 – Verordnung des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr (ABl. L 370, S. 8).


22 – Rn. 26 bis 28.


23 – C‑124/09, EU:C:2010:238.