Language of document : ECLI:EU:T:2004:346

Arrêt du Tribunal

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)
30. November 2004(1)

„Nichtigkeitsklage – Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Artikel 4 Absatz 5 – Keine Verbreitung eines aus einem Mitgliedstaat stammenden Dokuments ohne vorherige Zustimmung dieses Staates“

In der Rechtssache T-168/02

IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds gGmbH, vormals Internationaler Tierschutz-Fonds (IFAW) GmbH, mit Sitz Hamburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: S. Crosby, Solicitor,

Klägerin,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch H. Sevenster, S. Terstal, N. Bel und C. Wissels als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Kruse und K. Wistrand als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Königreich Dänemark, zunächst vertreten durch J. Bering Liisberg, sodann durch J. Molde als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Docksey und P. Aalto als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte und durch M. Hoskins, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 26. März 2002, mit der der Klägerin nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) der Zugang zu bestimmten Dokumenten, die die Umwidmung eines Schutzgebiets betreffen, verweigert wurde,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)



unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh, der Richter R. García‑Valdecasas, J. D. Cooke und P. Mengozzi sowie der Richterin M. E. Martins Ribeiro

Kanzler : D. Christensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2004,

folgendes



Urteil




Rechtlicher Rahmen

1
Artikel 255 EG bestimmt:

„(1)  Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach den Absätzen 2 und 3 festzulegen sind.

(2)    Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten werden vom Rat binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam gemäß dem Verfahren des Artikels 251 festgelegt.

…“

2
Die der Schlussakte des Vertrages von Amsterdam beigefügte Erklärung Nr. 35 (im Folgenden: Erklärung Nr. 35) lautet:

„Die Konferenz kommt überein, dass die in Artikel [255] Absatz 1 [EG] genannten Grundsätze und Bedingungen es einem Mitgliedstaat gestatten, die Kommission oder den Rat zu ersuchen, ein aus dem betreffenden Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung an Dritte weiterzuleiten.“

3
Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43, im Folgenden: Verordnung) legt die Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen des in Artikel 255 EG vorgesehenen Rechts auf Zugang zu Dokumenten dieser Organe fest. Sie gilt seit dem 3. Dezember 2001.

4
Artikel 2 der Verordnung bestimmt:

„(1)  Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe.

(3)    Diese Verordnung gilt für alle Dokumente eines Organs, das heißt Dokumente aus allen Tätigkeitsbereichen der Union, die von dem Organ erstellt wurden oder bei ihm eingegangen sind und sich in seinem Besitz befinden.

…“

5
Artikel 3 der Verordnung lautet:

„Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

a)
‚Dokument‘: Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton-, Bild- oder audiovisuelles Material), die einen Sachverhalt im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen aus dem Zuständigkeitsbereich des Organs betreffen;

b)
‚Dritte‘: alle natürlichen und juristischen Personen und Einrichtungen außerhalb des betreffenden Organs, einschließlich der Mitgliedstaaten, der anderen Gemeinschafts- oder Nicht-Gemeinschaftsorgane und ‑einrichtungen und der Drittländer.“

6
In Artikel 4 der Verordnung, der die Ausnahmen von diesem Zugangsrecht festlegt, heißt es:

„(1)  Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

a)
der Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf:

die öffentliche Sicherheit,

die Verteidigung und militärische Belange,

die internationalen Beziehungen,

die Finanz-, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats;

b)
der Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen, insbesondere gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Schutz personenbezogener Daten.

(2)    Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums,

der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(4)    Bezüglich Dokumente Dritter konsultiert das Organ diese, um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen der Absätze 1 oder 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

(5)    Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(7)    Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. Die Ausnahmen gelten höchstens für einen Zeitraum von 30 Jahren. Im Falle von Dokumenten, die unter die Ausnahmeregelungen bezüglich der Privatsphäre oder der geschäftlichen Interessen fallen, und im Falle von sensiblen Dokumenten können die Ausnahmen erforderlichenfalls nach Ablauf dieses Zeitraums weiter Anwendung finden.“

7
Artikel 9 der Verordnung regelt die Behandlung sensibler Dokumente wie folgt:

„(1)  Sensible Dokumente sind Dokumente, die von den Organen, den von diesen geschaffenen Einrichtungen, von den Mitgliedstaaten, Drittländern oder internationalen Organisationen stammen und gemäß den Bestimmungen der betreffenden Organe zum Schutz grundlegender Interessen der Europäischen Union oder eines oder mehrerer Mitgliedstaaten in den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) genannten Bereichen, insbesondere öffentliche Sicherheit, Verteidigung und militärische Belange, als ‚TRÈS SECRET/TOP SECRET‘, ‚SECRET‘ oder ‚CONFIDENTIEL‘ eingestuft sind.

(2)    Anträge auf Zugang zu sensiblen Dokumenten im Rahmen der Verfahren der Artikel 7 und 8 werden ausschließlich von Personen bearbeitet, die berechtigt sind, Einblick in diese Dokumente zu nehmen. Unbeschadet des Artikels 11 Absatz 2 entscheiden diese Personen außerdem darüber, welche Hinweise auf sensible Dokumente in das öffentliche Register aufgenommen werden können.

(3)    Sensible Dokumente werden nur mit Zustimmung des Urhebers im Register aufgeführt oder freigegeben.

…“


Sachverhalt

8
Die Klägerin ist eine nichtstaatliche Organisation, die für die Erhaltung des Wohlergehens von Tieren und für den Naturschutz eintritt.

9
Am 19. April 2000 gab die Kommission eine Stellungnahme ab, in der sie der Bundesrepublik Deutschland die Umwidmung des Mühlenberger Loches gestattete (im Folgenden: Stellungnahme), eines Schutzgebiets im Sinne der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7).

10
Vom 11. Mai bis 7. September 2001 führte die Klägerin einen Schriftwechsel mit der Kommission, um Zugang zu bestimmten Dokumenten bezüglich eines das Mühlenberger Loch betreffenden Projekts zu erhalten, das in der Erweiterung des Betriebsgeländes der Daimler Chrysler Aerospace Airbus GmbH und der Einbeziehung eines Teils der Flussmündung für die Verlängerung einer Landebahn bestand (im Folgenden: Projekt). Dieser Schriftwechsel erfolgte im Rahmen der Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten, die mit dem damals geltenden Beschluss 94/90/EGKS, EG, Euratom der Kommission vom 8. Februar 1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten (ABl. L 46, S. 58) eingeführt worden waren.

11
Im Rahmen dieses Schriftwechsels übermittelte die Kommission der Klägerin bestimmte Dokumente.

12
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2001 beantragte die Klägerin nach der Verordnung Zugang zu einer Reihe zusätzlicher Dokumente. Sie teilte die angeforderten Dokumente in Anlage III zu diesem Schreiben in drei Kategorien ein. Die Kategorie „A“ betraf eine Note der Generaldirektion (GD) „Umwelt“ vom 12. November 1999 an den Juristischen Dienst der Kommission, die Kategorie „B“ Dokumente, die von deutschen Behörden stammten, und die Kategorie „C“ Dokumente, die von anderen Dritten stammten.

13
Mit Fax vom 24. Januar 2002 teilte Herr Verstrynge, Generaldirektor ad interim der GD „Umwelt“ der Kommission, der Klägerin mit, dass „die Kommission verpflichtet [ist], die Zustimmung der deutschen Behörden zu erhalten, bevor sie ein Dokument, das sie von ihnen erhalten hat, verbreitet (vgl. Artikel 4 Absatz 5 [der Verordnung])“.

14
Am 29. Januar 2002 antwortete die Klägerin, dass sie diese Auslegung von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung nicht akzeptiere. Sie wies darauf hin, dass „[d]ie deutschen Behörden … die Kommission ersuchen [könnten], ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten“, und dass „[d]ie endgültige Entscheidung über die Verbreitung … Sache der Kommission [sei] und … auf einer der Ausnahmen (Artikel 4) beruhen [müsse], sofern kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung besteht“.

15
Am 12. Februar 2002 ersuchte die Bundesrepublik Deutschland die Kommission, ihren Schriftwechsel mit der Stadt Hamburg über das Mühlenberger Loch und das Projekt sowie den Schriftwechsel des deutschen Bundeskanzlers nicht zu verbreiten. Am 13. Februar 2002 erhielt die Klägerin ein Fax von Herrn Verstrynge, in dem dieser ihr Zugang zu den Dokumenten der Kategorie „A“ und „C“ gewährte (siehe oben, Randnr. 12). Im selben Fax teilte Herr Verstrynge der Klägerin mit, dass ihr die in Kategorie „B“ genannten, also von deutschen Behörden stammenden Dokumente nicht zur Verfügung gestellt werden könnten.

16
Am 6. März 2002 stellte die Klägerin nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung beim Generalsekretariat der Kommission einen Zweitantrag auf Überprüfung der ablehnenden Entscheidung über die Verbreitung der Dokumente der Kategorie „B“. Sie bekräftigte insbesondere, dass sie der Auslegung von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung durch die Kommission widerspreche.

17
Mit Schreiben vom 26. März 2002 teilte der Generalsekretär der Kommission der Klägerin mit, dass er die ablehnende Entscheidung über die Verbreitung der von den deutschen Behörden stammenden Dokumente bestätige (im Folgenden: streitige Entscheidung).


Verfahren und Anträge der Parteien

18
Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 4. Juni 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

19
Mit Schriftsätzen, die am 9. September, 30. September und 2. Oktober 2002 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, haben das Königreich der Niederlande, das Königreich Schweden und das Königreich Dänemark beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden.

20
Mit Schriftsatz, der am 10. Oktober 2002 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

21
Mit Beschluss des Präsidenten der Fünften Kammer des Gerichts vom 15. November 2002 ist diesen Streithilfeanträgen nach Anhörung der Parteien entsprochen worden.

22
Mit Schriftsatz vom 24. September 2003 hat die Klägerin nach Artikel 51 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, die Rechtssache an das Plenum oder an die Große Kammer zu verweisen. Die Kommission ist einer solchen Verweisung entgegengetreten.

23
Mit Entscheidung vom 10. Dezember 2003 hat das Gericht nach Anhörung der Streithelfer die Rechtssache an die Fünfte erweiterte Kammer verwiesen.

24
Das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

25
Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 1. April 2004 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

26
Die Klägerin, unterstützt durch das Königreich der Niederlande, das Königreich Schweden und das Königreich Dänemark, beantragt,

die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;

der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

27
Die Kommission, unterstützt durch das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen;

der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


Rechtliche Würdigung

28
Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Klagegründe. Der erste Klagegrund wird aus einem Verstoß gegen Artikel 4 der Verordnung und der zweite aus einem Verstoß gegen Artikel 253 EG hergeleitet.

29
Die Klägerin macht allgemein geltend, dass im vorliegenden Fall ein offenkundiges öffentliches Interesse an der Verbreitung der von den deutschen Behörden erstellten Dokumente bestehe. Das Mühlenberger Loch sei ein international bedeutendes Naturschutzgebiet und Refugium bestimmter Pflanzen- und Tierarten, die durch das Gemeinschaftsrecht im Rahmen des Netzes Natura 2000 und durch ein internationales Übereinkommen geschützt seien. Die Kommission habe die tatsächliche Umwidmung dieses Gebietes nur zu dem Zweck genehmigt, die Zerstörung des Mühlenberger Loches zu gestatten, damit ein Betriebsgelände vergrößert und ein Teil der Flussmündung für die Verlängerung einer Landebahn einbezogen werden könne. Obwohl die Stellungnahme selbst, mit der die Zerstörung des Mühlenberger Loches genehmigt worden sei, als aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt angesehen worden sei, müssten die entscheidenden Informationen, auf denen sie beruhe, nach Ansicht der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland vertraulich bleiben.

30
Die Kommission trägt vor, sie habe die Dokumentation, die von ihren eigenen Dienststellen stamme oder bei ihr eingegangen sei, umfassend verbreitet. Die der Klägerin übermittelte Akte stelle den Hintergrund des gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses in der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegenden Angelegenheit sehr ausführlich dar. Darin enthalten seien ihre Schreiben an die deutschen Behörden einschließlich der Schreiben des Präsidenten der Kommission an den deutschen Bundeskanzler. Vorliegend gehe es nur um die Dokumente, die aus dem betreffenden Mitgliedstaat stammten, der die Zustimmung zu ihrer Verbreitung verweigert habe.

Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 4 der Verordnung

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

31
Die Klägerin, unterstützt durch die niederländische, die schwedische und die dänische Regierung, macht erstens geltend, die in der streitigen Entscheidung enthaltene Erklärung des Generalsekretärs der Kommission, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung „zwingend“ sei, beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung dieser Bestimmung. Zwar könnten die deutschen Behörden nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung die Kommission ersuchen, die von ihnen stammenden Schreiben nicht zu verbreiten, doch habe das Wort „ersuchen“ einen ganz anderen Sinn als den, den die Kommission ihm beilegen wolle.

32
Ein „Ersuchen [sei] die Handlung, mit der, oder die Tatsache, dass um etwas gebeten [werde]“. Dies bedeute, dass die Partei, von der ein Ersuchen stamme, darauf eine Antwort und die Ausübung eines bestimmten Ermessens durch die antwortende Partei erwarte. Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung sei eine Ausnahmebestimmung, und die notwendigerweise enge Auslegung, die insoweit vorzunehmen sei, schließe es aus, dass der Begriff „ersuchen“ im Sinne von „anordnen“ zu verstehen sei.

33
Die niederländische und die dänische Regierung machen geltend, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung nicht dahin ausgelegt werden könne, dass die Mitgliedstaaten ein „Vetorecht“ besäßen. Die schwedische Regierung trägt vor, die Verordnung basiere auf dem Grundsatz, dass derjenige, in dessen Besitz sich ein Dokument befinde, darüber entscheide, ob es weitergeleitet werden könne. Die von der Kommission vorgenommene Auslegung von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung, die von diesem Grundsatz abweiche setze voraus, dass sie sich ausdrücklich und eindeutig aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergebe.

34
Die Klägerin trägt außerdem vor, dass sie nicht darüber unterrichtet worden sei, dass die angeforderten Dokumente vertraulich seien. Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung bestimme zwar, dass für die Verbreitung sensibler Dokumente die Zustimmung des Urhebers erforderlich sei; für die von Artikel 4 Absätze 4 und 5 der Verordnung erfassten Dokumente sei dies aber nicht der Fall. Nach Ansicht der niederländischen Regierung hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn er in Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung ein Vetorecht für die Verbreitung nichtsensibler Dokumente hätte verankern wollen, eine Formulierung gewählt, die sich an die des Artikels 9 Absatz 3 der Verordnung anlehne.

35
Offenkundig falsch sei die Annahme, dass die vorliegend angeforderten Dokumente einem besonderen Verfahren oder einer lex specialis in dem Sinne unterlägen, dass sie nach der Verordnung unter die nationalen Rechtsvorschriften und die nationale Verwaltungspraxis fielen. Die Klägerin bestreitet insoweit, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung „privilegiert“ seien. Nach Ansicht der niederländischen Regierung müssen grundsätzlich alle sich im Besitz der Organe befindenden Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich sein. Eine Auslegung von Artikel 4 Absatz 5, die den Mitgliedstaaten ein Vetorecht einräumte, würde das Recht auf Dokumentenzugang zu sehr beeinträchtigen und wäre mit der Zielsetzung der Verordnung nicht vereinbar.

36
Zweitens trägt die Klägerin vor, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung nicht ohne Berücksichtigung der anderen Bestimmungen dieser Verordnung ausgelegt werden könne.

37
Das Ersuchen der deutschen Behörden, die Dokumente, deren Urheber sie seien, nicht zu verbreiten, sei im Anschluss an eine Konsultierung dieser Behörden ergangen, die die Kommission am 5. Februar 2002 durchgeführt habe. Diese Konsultierung habe nur nach Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung erfolgen können, wonach die Kommission Dritte zu konsultieren habe, „um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen der Absätze 1 oder 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf“.

38
Die Konsultierung habe nur dem Zweck dienen können, von den deutschen Behörden Informationen zu erhalten, um der Kommission die Feststellung zu ermöglichen, ob eine der Ausnahmeregelungen des Artikels 4 Absätze 1 oder 2 der Verordnung für die von ihnen erstellten Dokumente gegolten habe. Nach dem Wortlaut von Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung sei es allein Sache des betroffenen Organs, diese Beurteilung vorzunehmen. Die konsultierte Partei lege ihren Standpunkt zur Anwendbarkeit einer Ausnahme nach Artikel 4 Absätze 1 oder 2 der Verordnung dar, könne diese Beurteilung aber nicht für die Kommission vornehmen.

39
Die Klägerin weist darauf hin, dass Artikel 4 Absatz 5 ein Verfahren in die Verordnung einführe, das es den deutschen Behörden ermögliche, der Kommission ihre Einwände gegen die Verbreitung der fraglichen Dokumente in Form eines Ersuchens um Nichtverbreitung mitzuteilen. Die Meinung der deutschen Behörden sei jedoch nicht der einzige Faktor, den die Kommission zu berücksichtigen habe, wenn sie ihre Beurteilung vornehme und sodann beschließe, die von ihnen erstellten Dokumente zu verbreiten oder nicht zu verbreiten. Die Kommission könnte an eine übergeordnete Regel, Norm oder Einschränkung gebunden sein, wie z. B. bei einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Verbreitung.

40
Die Ausübung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten der Organe könne nur durch eine Ablehnung beschränkt werden, die mit einer der in Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung abschließend aufgeführten Ausnahmen begründet sei. Seien die Ausnahmen anwendbar, so seien sie eng und umsichtig auszulegen, wie dies bei Ausnahmen von einem allgemeinen Grundprinzip geboten sei (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 2000 in den Rechtssachen C‑174/98 P und C‑189/98 P, Niederlande und Van der Wal/Kommission, Slg. 2000, I‑1, Randnr. 27, und Urteile des Gerichts vom 14. Oktober 1999 in der Rechtssache T‑309/97, Bavarian Lager/Kommission, Slg. 1999, II‑3217, Randnr. 39, vom 10. Oktober 2001 in der Rechtssache T‑111/00, American Tobacco International [Investments]/Kommission, Slg. 2001, II‑2997, Randnr. 40, und vom 11. Dezember 2001, in der Rechtssache T‑191/99, Petrie u. a./Kommission, Slg. 2001, II‑3677, Randnr. 66). Außerdem seien die Ausnahmen im Licht von Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung auszulegen; dieser laute: „Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.“ Jede andere Auslegung liefe dem Wortlaut und der Struktur des Artikels 4 der Verordnung und der Verordnung insgesamt zuwider. Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung gehöre nicht zu den aufgeführten Ausnahmen vom „Grundrecht auf Zugang“. Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass sich Artikel 4 Absatz 7 der Verordnung nur auf die in den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels genannten Ausnahmen und auf den Fall der sensiblen Dokumente beziehe.

41
Die Klägerin hält es für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht, wenn einem Mitgliedstaat die Befugnis verliehen würde, zu entscheiden, ob der Zugang zu Dokumenten gewährt werde, obwohl er weder der Adressat des Antrags auf Zugang noch Adressat der Verordnung sei. Nur gegen den Adressaten eines solchen Antrags könne wegen der Weigerung, das angeforderte Dokument zu verbreiten, vorgegangen werden.

42
Die Kommission versuche in der streitigen Entscheidung, die „Urheberregel“ auf Umwegen wieder einzuführen. Die Antragsteller wüssten, dass sich die Kommission über das „Veto eines Mitgliedstaats“ nicht hinwegsetzen könnte, wodurch sie gezwungen wären, ihre Zugangsanträge unmittelbar an die Mitgliedstaaten zu richten. Unter diesen Umständen gäbe es keine einheitliche Betrachtungsweise, da dann der Zugang zu Dokumenten eines Mitgliedstaats, die für den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess relevant seien, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren würde. Die Klägerin ist insoweit der Ansicht, dass die Auffassung der Kommission, wonach für den genannten Antrag auf Zugang zu Dokumenten die nationalen Transparenzvorschriften gälten, unannehmbar sei, da sie zu einem chaotischen, inkohärenten und absurden Ergebnis führen würde.

43
Die Kommission, unterstützt durch die Regierung des Vereinigten Königreichs, vertritt die Ansicht, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung innerhalb der Gemeinschaftsregelung über den Zugang zu Dokumenten der Organe ein spezifisches Verfahren für die Behandlung der Anträge auf Zugang zu den aus einem Mitgliedstaat stammenden Dokumenten schaffe. Der Zugang zu diesen Dokumenten richte sich nach den nationalen Rechtsvorschriften und der nationalen Praxis, und der Gemeinschaftsgesetzgeber habe diesem Umstand bei der Abfassung von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung insbesondere im Licht der Erklärung Nr. 35 Rechnung tragen wollen.

44
Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung regele den „Normalfall“ der Dokumente Dritter, während Artikel 4 Absatz 5 die „lex specialis“ vorsehe, die für den speziellen Fall der „nationalen“ Dokumente aus den Mitgliedstaaten gelte, bei denen sich der Zugang nach dem nationalen Recht und der nationalen Praxis in Bezug auf Transparenz richte. Zur Behauptung der Klägerin, dass die Kommission versuche, die Urheberregel wieder einzuführen (siehe oben, Randnr. 42), macht die Kommission geltend, dass sich die Situation vor und die nach der Anwendung der Verordnung sehr voneinander unterschieden. Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung wende die in Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen auf eine ganz bestimmte Gruppe privilegierter Dritter, die Mitgliedstaaten, im Unterschied zu allen Dritten an und ermächtige die Kommission, die Dokumente der Mitgliedstaaten in der vorgesehenen Weise zu behandeln, im Gegensatz zum allgemeinen Verbot der Verbreitung von Dokumenten Dritter, das zuvor gegolten habe.

45
Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung regele die Anträge, die sich auf von allen Dritten stammende Dokumente bezögen, und bestimme im Wesentlichen, dass das Organ zur Konsultierung der betroffenen Dritten nur verpflichtet sei, wenn nicht bereits klar sei, dass das Dokument verbreitet werden müsse oder nicht verbreitet werden dürfe.

46
Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung sehe anders als Artikel 4 Absatz 2 keine Abwägung gegen das öffentliche Interesse vor. Entgegen Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung bestehe keine Verpflichtung zur Verbreitung eines Dokuments, wenn keine Zweifel an der Anwendbarkeit von Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung bestünden. Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung beschränke sich nicht darauf, dass die Kommission den Mitgliedstaat konsultieren müsse, sondern sehe ausdrücklich vor, dass der Mitgliedstaat das Recht habe, sie zu ersuchen, sein Dokument nicht ohne seine Zustimmung zu verbreiten. Gebe es ein solches Ersuchen, so könne das Dokument nicht verbreitet werden.

47
Was das oben in Randnummer 34 erwähnte Argument der Klägerin zu Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung angeht, so weist die Kommission darauf hin, dass sehr unterschiedliche Erwägungen dessen Abfassung und die des Artikels 4 Absatz 5 der Verordnung bestimmt hätten. Nach Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung würden „sensible Dokumente … nur mit Zustimmung des Urhebers im Register aufgeführt oder freigegeben“. Der Gesetzgeber habe diese Bestimmung schwerlich so abfassen können, dass die Zustimmung des Urhebers nur für die Eintragung im Register, nicht aber für die Freigabe der Dokumente erforderlich wäre. Die Kommission stellt insoweit fest, dass der Begriff des Urhebers viel weiter sei als der der Mitgliedstaaten; er umfasse die Organe, die von ihnen geschaffenen Einrichtungen, die Mitgliedstaaten, Drittländer und internationale Organisationen. Es habe kein Anlass bestanden, in diese Liste keine Bezugnahme auf die Mitgliedstaaten aufzunehmen.

48
Das den Mitgliedstaaten verliehene Recht, die Zustimmung zur Verbreitung eines Dokuments, dessen Urheber sie seien, durch die Kommission zu verweigern, habe den Zugang zu derartigen Dokumenten nicht völlig beschränken sollen, sondern nur den Zugang nach den Gemeinschaftsvorschriften. Zweck dieser Beschränkung sei es, den Status des Dokuments nach den nationalen Rechtsvorschriften und der nationalen Praxis zu berücksichtigen und so Diskrepanzen zwischen dem Gemeinschaftssystem und den verschiedenen nationalen Systemen des Zugangs zu Dokumenten zu verhindern. Die Kommission tritt dem Argument der Klägerin entgegen, wonach gegen die Weigerung, ein „nationales“ Dokument zu verbreiten, überhaupt nicht vorgegangen werden könne (siehe oben, Randnr. 41). Im Gemeinschaftsrecht sei gegen die Weigerung, der Kommission die Verbreitung dieses Dokuments zu erlauben, kein Rechtsbehelf gegeben. Andernfalls könnte ein „nationales“ Dokument eine Verbreitung erfahren, die sich als unvereinbar mit den nationalen Rechtsvorschriften und der nationalen Praxis in Bezug auf Transparenz erweisen könnte. Die Kommission weist das oben in Randnummer 42 dargestellte Vorbringen der Klägerin entschieden zurück und vertritt die Ansicht, dass sich die Unterschiede aus dem Recht, und zwar sowohl aus dem nationalen als auch aus dem Gemeinschaftsrecht, ergäben und keine Folge der Geografie oder der „Laune“ eines Mitgliedstaats seien.

49
Die Regierung des Vereinigten Königreichs vertritt die Auffassung, dass, wenn der von der Klägerin vertretenen Auslegung der Verordnung zu folgen wäre, Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung jede Wirkung verlieren würde, da diese Bestimmung vollständig im Verfahren des Artikels 4 Absatz 4 der Verordnung aufgehen würde. Würde das Gemeinschaftsrecht einem Gemeinschaftsorgan vorschreiben, die fehlende Zustimmung eines Mitgliedstaats nicht zu beachten, so hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber praktisch die Befugnis, sich über alle nationalen Rechtsvorschriften, die der Verbreitung entgegenstünden, hinwegzusetzen. Da es keine Vorschriften zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Zugang zu Dokumenten gebe, würde dies einen Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität darstellen.

Würdigung durch das Gericht

50
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass ein Mitgliedstaat, aus dem ein Dokument stamme, zwar ein Organ, das dieses Dokument besitze, nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung ersuchen könne, es nicht zu verbreiten, insoweit aber über kein Vetorecht verfüge, da die endgültige Entscheidung Sache des Organs sei.

51
Dieses Argument beruht auf einer unzutreffenden Auslegung der Verordnung und kann daher nicht durchgreifen.

52
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das in Artikel 2 der Verordnung vorgesehene Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe für alle Dokumente gilt, die sich im Besitz des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (im Folgenden: Organe) befinden (vgl. Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung), d. h. nach Absatz 3 dieses Artikels, die von ihnen erstellt wurden oder bei ihnen eingegangen sind und sich in ihrem Besitz befinden. Die Organe können also gegebenenfalls veranlasst sein, von Dritten stammende Dokumente weiterzuleiten, wobei der Begriff des Dritten nach der Definition des Artikels 3 Buchstabe b der Verordnung auch die Mitgliedstaaten umfasst.

53
Sodann ist daran zu erinnern, dass sich der Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Kommission vor dem Inkrafttreten der Verordnung nach dem Beschluss 94/90 richtete. Mit Artikel 1 dieses Beschlusses wurde der am 6. Dezember 1993 vom Rat und von der Kommission genehmigte Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Kommissions- und Ratsdokumenten (ABl. 1993, L 340, S. 41, im Folgenden: Verhaltenskodex), der dem Beschluss beigefügt war, förmlich angenommen. Der Verhaltenskodex bestimmte unter der Rubrik „Bearbeitung der Erstanträge“: „Ist der Urheber des Dokuments, das sich im Besitz eines Organs befindet, eine natürliche oder juristische Person, ein Mitgliedstaat, ein anderes Gemeinschaftsorgan oder eine andere Gemeinschaftsinstitution oder eine sonstige einzelstaatliche oder internationale Organisation, so ist der Antrag direkt an den Urheber des Dokuments zu richten“ (im Folgenden: Urheberregel). Nach der Urheberregel war ein Organ somit nicht berechtigt, die von einer großen Gruppe von Dritten, insbesondere den Mitgliedstaaten, stammenden Dokumente zu verbreiten, und der Antragsteller, der Zugang wünschte, war gegebenenfalls verpflichtet, seinen Antrag direkt an den betreffenden Dritten zu richten.

54
Die Urheberregel wurde nicht in die Verordnung übernommen, was bestätigt, dass grundsätzlich alle im Besitz der Organe befindlichen Dokumente für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollen (elfte Begründungserwägung der Verordnung).

55
Bei von einem Dritten stammenden Dokumenten sind die Organe nach Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung verpflichtet, diesen Dritten zu konsultieren, um zu entscheiden, ob eine Ausnahmeregelung nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss oder nicht verbreitet werden darf. Daraus folgt, dass die Organe zur Konsultierung des betreffenden Dritten nicht verpflichtet sind, wenn für sie klar ist, dass das Dokument verbreitet werden muss oder nicht verbreitet werden darf. In allen anderen Fällen haben die Organe den Dritten zu konsultieren. Die Konsultierung des Dritten stellt also im Allgemeinen eine Vorbedingung für die Entscheidung über die Anwendung der Ausnahmen vom Zugang dar, die in Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung für den Fall von Dokumenten, die von Dritten stammen, vorgesehen sind.

56
Wie die Klägerin zutreffend vorträgt, beeinträchtigt die Verpflichtung der Kommission zur Konsultierung der Dritten nach Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung nicht ihre Befugnis, darüber zu entscheiden, ob eine der Ausnahmen des Artikels 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung anwendbar ist.

57
Aus Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung ergibt sich jedoch, dass für die Mitgliedstaaten eine Sonderregelung gilt. Danach kann ein Mitgliedstaat nämlich das Organ ersuchen, aus diesem Mitgliedstaat stammende Dokumente nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten. Es ist hervorzuheben, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung die Erklärung Nr. 35 aufnimmt, wonach die Konferenz übereinkommt, dass die in Artikel 255 EG genannten Grundsätze und Bedingungen es einem Mitgliedstaat gestatten, die Kommission oder den Rat zu ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung an Dritte weiterzuleiten. Diese den Mitgliedstaaten durch Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung eingeräumte Befugnis erklärt sich dadurch, dass die Verordnung weder bezweckt noch bewirkt, das Recht der Mitgliedstaaten über den Zugang zu Dokumenten abzuändern (vgl. fünfzehnte Begründungserwägung der Verordnung und Urteil des Gerichts vom 17. September 2003 in der Rechtssache T‑76/02, Messina/Kommission, Slg. 2003, II‑0000, Randnrn. 40 und 41).

58
Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung versetzt die Mitgliedstaaten in eine andere Lage als die der sonstigen Dritten, indem er insoweit eine lex specialis einführt. Danach können die Mitgliedstaaten ein Organ ersuchen, ein von ihnen stammendes Dokument nicht zu verbreiten, und das Organ ist verpflichtet, es nicht ohne ihre „vorherige Zustimmung“ zu verbreiten. Diese eindeutig in Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung verankerte Verpflichtung des Organs, die vorherige Zustimmung des Mitgliedstaats einzuholen, bliebe möglicherweise toter Buchstabe, wenn die Kommission beschließen könnte, das Dokument trotz eines ausdrücklichen gegenteiligen Ersuchens des betreffenden Mitgliedstaats zu verbreiten. Daher stellt entgegen dem Vorbringen der Klägerin das Ersuchen eines Mitgliedstaats nach dieser Bestimmung eine Anordnung an das Organ dar, das fragliche Dokument nicht zu verbreiten.

59
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, sein Ersuchen nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung zu begründen, und dass das Organ, wenn ein solches Ersuchen eingereicht wurde, nicht zu prüfen hat, ob die Nichtverbreitung des betreffenden Dokuments insbesondere im öffentlichen Interesse gerechtfertigt ist.

60
Um zu gewährleisten, dass Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung im Einklang mit der Erklärung Nr. 35 ausgelegt wird, und den Zugang zu dem fraglichen Dokument dadurch zu erleichtern, dass dem Mitgliedstaat ermöglicht wird, gegebenenfalls seine Zustimmung zu dessen Verbreitung zu erteilen, hat das Organ diesen Mitgliedstaat zu konsultieren, wenn ein Zugangsantrag ein aus diesem Staat stammendes Dokument betrifft. Ergeht von diesem Mitgliedstaat, nachdem er konsultiert wurde, kein Ersuchen nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung, so hat das Organ weiterhin nach Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung zu beurteilen, ob das Dokument verbreitet werden muss.

61
Wie die Kommission zutreffend vorträgt, richtet sich der Zugang zu einem Dokument, für das ein Mitgliedstaat ein Ersuchen nach Artikel 4 Absatz 5 eingereicht hat, zwar nicht nach der Verordnung, wohl aber nach den einschlägigen nationalen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats, die durch den Erlass der Verordnung nicht berührt werden. Es ist daher Sache der nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte, nach dem nationalen Recht zu beurteilen, ob der Zugang zu den aus einem Mitgliedstaat stammenden Dokumenten zu gewähren ist und ob die Antragsteller nach den nationalen Vorschriften ein Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs haben.

62
Was das oben in Randnummer 34 wiedergegebene Argument der Klägerin angeht, das auf den Wortlaut von Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung gestützt wird, so ist festzustellen, dass Artikel 9 spezifische Bestimmungen für die Behandlung so genannter „sensibler“ Dokumente enthält, die u. a. von den Organen, den Mitgliedstaaten, Drittländern oder internationalen Organisationen in den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung genannten Bereichen, insbesondere öffentliche Sicherheit, Verteidigung und militärische Belange, stammen. Artikel 9 der Verordnung nennt die Personen, die befugt sind, diese Dokumente zu behandeln, und bestimmt, dass sensible Dokumente nur mit Zustimmung des Urhebers im Register aufgeführt oder freigegeben werden. In Anbetracht der Besonderheit der durch diesen Artikel geregelten Situation ist offensichtlich, dass er nicht mit Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung in Zusammenhang steht und dass der Wortlaut des Artikels 9 Absatz 3 der Verordnung nicht erfolgreich zur Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 herangezogen werden kann.

63
Vorliegend handelt es sich bei den Dokumenten, die Gegenstand des Rechtsstreits sind, wie die Parteien einvernehmlich feststellen, um aus einem Mitgliedstaat stammende Dokumente im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung. Ebenso ist unstreitig, dass die Bundesrepublik Deutschland am 12. Februar 2002 die Kommission ersucht hat, ihren Schriftwechsel mit der Stadt Hamburg, der sich auf das Mühlenberger Loch und das Projekt bezieht, sowie die Schreiben des deutschen Bundeskanzlers nicht zu verbreiten.

64
Es ist daher festzustellen, dass die Kommission nicht gegen Artikel 4 der Verordnung verstoßen hat, als sie auf ein Ersuchen dieses Mitgliedstaats nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung die streitige Entscheidung erlassen hat.

65
Der erste Klagegrund ist folglich unbegründet.

Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 253 EG

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

66
Die Klägerin macht geltend, die streitige Entscheidung übernehme im Wesentlichen den Standpunkt des Generaldirektors ad interim der GD „Umwelt“, wonach die deutschen Behörden die Kommission um Nichtverbreitung der von ihnen stammenden Dokumente ersucht hätten, ohne die Gründe für die Verweigerung des Zugangs zu erläutern. Sie wisse nicht, ob die streitige Entscheidung rechtlich fundiert sei oder ob sie willkürlich sei, und man habe ihr die Möglichkeit genommen, die rechtliche Grundlage der Entscheidung zu prüfen (vgl. Urteil Petrie u. a./Kommission, Randnr. 77, und Urteil des Gerichts vom 12. Oktober 2000 in der Rechtssache T‑123/99, JT’s Corporation/Kommission, Slg. 2000, II‑3269, Randnr. 63). Sie wisse nur, dass die deutschen Behörden darum ersucht hätten, die fraglichen Dokumente nicht zu verbreiten, und dass die Kommission dem blind gefolgt sei.

67
Die streitige Entscheidung sei nicht aufgrund einer Abwägung ihres Interesses, Zugang zu den Dokumenten zu erhalten, gegen das Interesse der Kommission, diese Dokumente vertraulich zu behandeln, getroffen worden (vgl. Urteil British American Tobacco International [Investments]/Kommission, Randnr. 53). Obwohl die Kommission gewusst habe, wie wichtig die angeforderten Dokumente für die Klägerin gewesen seien, habe sie den Zugang zu den von den deutschen Behörden erstellten Dokumenten verweigert, ohne zwischen den im Erstantrag unter sieben spezifischen Überschriften erwähnten Dokumenten zu unterscheiden. In der streitigen Entscheidung werde nicht erklärt, weshalb der Klägerin der teilweise Zugang zu diesen Dokumenten nach Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung verweigert worden sei.

68
Die Kommission weist darauf hin, dass in der streitigen Entscheidung klar angegeben sei, dass sie die deutschen Behörden konsultiert habe, die sie ersucht hätten, ihre Korrespondenz nicht zu verbreiten. Infolgedessen sei es ihr nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung nicht möglich gewesen, diese Korrespondenz zu verbreiten.

69
In Anbetracht der im Rahmen des ersten Klagegrundes vorgenommenen Analyse sei diese Begründung vollständig gewesen und habe den Grund für die Verweigerung des Zugangs dargelegt. Diese Begründung stehe im Einklang mit der Ansicht, die der Generaldirektor ad interim der GD „Umwelt“ in seinem Fax vom 13. Februar 2002 geäußert habe (siehe oben, Randnr. 15).

Würdigung durch das Gericht

70
Nach ständiger Rechtsprechung hat die Verpflichtung zur Begründung einer Einzelentscheidung den Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der sie anfechtbar macht, und dem Gemeinschaftsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu ermöglichen. Der Umfang dieser Begründungspflicht hängt von der Art des betreffenden Rechtsakts und vom Kontext ab, in dem er erlassen wurde (vgl. Urteile des Gerichts vom 24. April 1996 in den Rechtssachen T‑551/93, T‑231/94 bis T‑234/94, Industrias Pesqueras Campos u. a./Kommission, Slg. 1996, II‑247, Randnr. 140, vom 3. Februar 2000 in den Rechtssachen T‑46/98 und T‑151/98, CCRE/Kommission, Slg. 2000, II‑167, Randnr. 46, und vom 14. Mai 2002 in der Rechtssache T‑80/00, Associação Comercial de Aveiro/Kommission, Slg. 2002, II‑2465, Randnr. 35).

71
Die Kommission hat in der streitigen Entscheidung ihre Weigerung, die von der Klägerin im Schreiben vom 6. März 2002 bezeichneten Dokumente weiterzuleiten, unter Bezugnahme auf das Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland, diese Dokumente nicht zu verbreiten, begründet und dabei ausgeführt, dass sie nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung nicht berechtigt sei, ein aus einem Mitgliedstaat stammendes Dokument ohne vorherige Zustimmung dieses Staates zu verbreiten. Sie hat darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift ihr eine Verpflichtung zur Nichtverbreitung auferlege und sie danach nicht das öffentliche Interesse zu prüfen habe. Eine derartige Begründung ist ausreichend klar, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, die Gründe zu verstehen, aus denen die Kommission die fraglichen Dokumente nicht an sie weitergeleitet hat, und um dem Gericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung zu ermöglichen.

72
Auch wenn außerdem die im vorliegenden Fall bestehenden Beschränkungen für den Zugang zu den aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Dokumenten die Verpflichtung der Kommission, die streitige Entscheidung ausreichend zu begründen, nicht berührt haben, so war die Kommission doch nicht gehalten, der Klägerin die Gründe zu erläutern, aus denen die Bundesrepublik Deutschland ein Ersuchen nach Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung eingereicht hatte, da nach dieser Bestimmung die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, ein solches Ersuchen zu begründen (siehe oben, Randnr. 59).

73
Daher ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

74
Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.


Kosten

75
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Kommission außer ihren eigenen Kosten auch die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

76
Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich der Niederlande, das Königreich Schweden, das Königreich Dänemark und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen daher ihre eigenen Kosten.


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden::

1.
Die Klage wird abgewiesen.

2.
Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission.

3.
Das Königreich der Niederlande, das Königreich Schweden, das Königreich Dänemark und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Lindh

García-Valdecasas

Cooke

Mengozzi

Martins Ribeiro

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. November 2004.

Der Kanzler

Die Präsidentin

H. Jung

P. Lindh


1
Verfahrenssprache: Englisch.