Language of document : ECLI:EU:T:2014:852

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

3. Oktober 2014(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Form eines Einsatzes – Älteres Geschmacksmuster – Neuheit – Eigenart – Sichtbare Merkmale des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses – Beurteilung des älteren Geschmacksmusters – Art. 3, 4, 5, 6 und 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑39/13

Cezar Przedsiębiorstwo Produkcyjne Dariusz Bogdan Niewiński mit Sitz in Ełk (Polen), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte M. Nentwig und G. Becker, dann Rechtsanwalt M. Nentwig,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten zunächst durch F. Mattina als Bevollmächtigten, dann durch P. Bullock als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin vor dem Gericht:

Poli-Eco Tworzywa Sztuczne sp. z o.o. mit Sitz in Szprotawa (Polen), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwalt B. Rokicki, dann Rechtsanwältin D. Rzazewska,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des HABM vom 8. November 2012 (Sache R 1512/2010‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Poli-Eco Tworzywa Sztuczne sp. z o.o. und der Cezar Przedsiębiorstwo Produkcyjne Dariusz Bogdan Niewiński

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek, der Richterin I. Labucka (Berichterstatterin) und des Richters V. Kreuschitz,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund der am 25. Januar 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 2. Mai 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 30. April 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2014

folgendes

Urteil

1        Am 1. September 2003 meldete die Klägerin, die Cezar Przedsiębiorstwo Produkcyjne Dariusz Bogdan Niewiński, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Das angemeldete Geschmacksmuster ist zur Benutzung in „Fußleisten“ der Klasse 25‑02 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt und wird wie folgt wiedergegeben:

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3        Das Geschmacksmuster wurde am Tag der Anmeldung unter der Nr. 000070438‑0002 eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2003/035 vom 9. Dezember 2003 veröffentlicht.

4        Am 11. September 2007 beantragte die Streithelferin, die Poli-Eco Tworzywa Sztuczne sp. z o.o., beim HABM die Nichtigerklärung des angemeldeten Geschmacksmusters. Der Antrag wurde auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit den Art. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 6/2002 gestützt.

5        Nach Ansicht der Streithelferin ist das angegriffene Geschmacksmuster nicht neu, da das türkische Unternehmen Nil Plastik und die deutschen Unternehmen Bolta und Döllken 1999 identische Geschmacksmuster auf den Markt gebracht hätten. Zur Stützung ihres Antrags legte die Streithelferin u. a. ausgewählte Seiten des Katalogs „Programm 1999“ von Döllken (im Folgenden: Katalog Döllken) vor, der folgende Abbildungen enthält:

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6        Mit Entscheidung vom 31. Mai 2010 gab die Nichtigkeitsabteilung des HABM dem Nichtigkeitsantrag mit der Begründung statt, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu. Sie stützte ihre Beurteilung auf folgende Abbildung im Katalog Döllken von 1999 (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster D1):

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7        Die Nichtigkeitsabteilung vertrat im Wesentlichen die Auffassung, das angegriffene Geschmacksmuster weise keinen sichtbaren Unterschied zum älteren Geschmacksmuster D1 auf, da es Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sei und die Vorderseite das bei bestimmungsgemäßer Verwendung einzig sichtbare Merkmal sei.

8        Am 4. August 2010 legte die Klägerin nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim HABM Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

9        Mit Entscheidung vom 8. November 2012 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Sie vertrat im Wesentlichen die Auffassung, das angegriffene Geschmacksmuster sei für nichtig zu erklären, weil Neuheit und Eigenart fehlten. Im Einzelnen stellte die Beschwerdekammer fest, dass das angegriffene Geschmacksmuster Teil eines komplexen Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 sei und die ebene Fläche des Grundkörpers das bei bestimmungsgemäßer Verwendung einzig sichtbare Teil dieses Erzeugnisses sei. Da die ebene Fläche des angegriffenen Geschmacksmusters der ebenen Fläche des älteren Geschmacksmusters D1 entspreche, seien diese beiden Geschmacksmuster identisch und das angegriffene Geschmacksmuster somit nicht neu. Auch sei der Gesamteindruck, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster bei einem informierten Benutzer des angegriffenen Geschmacksmusters – im vorliegenden Fall einem Handwerker, der regelmäßig Fußleisten erwerbe – hervorriefen, der gleiche. Dem angegriffenen Geschmacksmuster fehle es daher an Eigenart.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

10      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

11      Das HABM und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

12      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Gründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002, zweitens einen Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 dieser Verordnung und drittens einen Verstoß gegen Art. 62 der Verordnung geltend macht.

13      Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht angenommen, dass das angegriffene Geschmacksmuster weder neu sei noch Eigenart habe.

14      Das HABM und die Streithelferin sind der Auffassung, die Beschwerdekammer habe zu Recht angenommen, dass das angegriffene Geschmacksmuster weder neu sei noch Eigenart habe.

15      Art. 25 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:

„(1)      Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nur dann für nichtig erklärt werden:

b)      wenn es die Voraussetzungen der Artikel 4 bis 9 nicht erfüllt,

…“

16      Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 sieht vor:

„...

(1)      Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

(2)      Ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart:

a)      wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und

b)      soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.

(3)      ‚Bestimmungsgemäße Verwendung‘ im Sinne des Absatzes 2 Buchstabe a) bedeutet Verwendung durch den Endbenutzer, ausgenommen Instandhaltungs-, Wartungs- oder Reparaturarbeiten.“

17      Nach Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 bezeichnet ein „komplexes Erzeugnis“ ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann.

18      Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 gilt ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung gelten Geschmacksmuster als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.

19      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, bei diesem Benutzer hervorruft.

20      Die vorliegende Klage ist anhand dieser Bestimmungen zu prüfen.

21      Zunächst ist in Übereinstimmung mit der Beschwerdekammer festzustellen, dass das angegriffene Geschmacksmuster aus einer Fläche und zwei Seitenteilen besteht, die sich in einem Winkel von etwas mehr als 90 Grad öffnen und an ihren „freien Enden“ nach außen gerichtete Ausbuchtungen haben. Gemäß der Anmeldung ist es für die Benutzung in Fußleisten bestimmt.

22      Bevor die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster verglichen werden, um die Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen, ist zu klären, ob es Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist und, falls dies bejaht wird, welche seiner Teile bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar sind. Auch das ältere Geschmacksmuster D1, auf das sich die Beschwerdekammer gestützt hat, ist zu prüfen, da die Klägerin die Beurteilung dieses Geschmacksmusters durch die Beschwerdekammer beanstandet und deshalb die Identität der beiden Geschmacksmuster anzweifelt.

 Zu der Frage, ob das angegriffene Geschmacksmuster Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist

23      Nach Ansicht der Beschwerdekammer ist das angegriffene Geschmacksmuster Bauelement eines komplexen Erzeugnisses, das aus einer Fußleiste mit einem Hohlraum zur Aufnahme von Stromkabeln und Telefonleitungen und dem angegriffenen Geschmacksmuster bestehe, nämlich einem Einsatz zur Abdeckung des Hohlraums, der auf die Fußleiste abgestimmt sei und abgenommen und wieder montiert werden könne. Dieses Geschmacksmuster sei auch dann Bauelement eines komplexen Erzeugnisses, wenn es in andere Arten von Fußleisten eingefügt werde, wobei seine Fläche an die Wand montiert werde und die Fußleiste mittels der Ausbuchtungen auf ihrer Rückseite in die seitlichen Ausbuchtungen des Geschmacksmusters eingerastet werde. Jedenfalls handele es sich bei dem angegriffenen Geschmacksmuster um ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses.

24      Die Klägerin macht geltend, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein multifunktionales Erzeugnis, das auf mehrere Arten verwendet werden könne. Seine Verwendung könne nicht auf die eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses reduziert werden. Im Wesentlichen nennt die Klägerin zwei Verwendungsweisen des angegriffenen Geschmacksmusters, nämlich als Abdeckung eines Hohlraums in einer Fußleiste und als Element, das auf dem Boden oder an der Wand befestigt werde. Eine Wand oder der Boden sei jedoch kein Erzeugnis. Außerdem sei Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 eng auszulegen und ein Geschmacksmuster daher nur dann als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses anzusehen, wenn diese Verwendung die einzig vernünftige Verwendungsweise darstelle.

25      Das HABM ist der Auffassung, dass die von der Klägerin dargestellten verschiedenen Verwendungsweisen des angegriffenen Geschmacksmusters bestätigten, dass es Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sei.

26      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klärung der Frage, ob das angegriffene Geschmacksmuster Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von grundlegender Bedeutung ist, weil nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 6/2002 hinsichtlich von Bauelementen eines komplexen Erzeugnisses nur die bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbaren Merkmale für den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster heranzuziehen sind.

27      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten und insbesondere aus den der Klageschrift beigefügten Unterlagen, dass das angegriffene Geschmacksmuster Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, da es in erster Linie zur Abdeckung des Hohlraums einer Fußleiste und ergänzend zur Abdeckung des Hohlraums in einer Wand oder auf dem Boden dient.

28      Obwohl die Klägerin insoweit vorträgt, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein multifunktionales Erzeugnis, geht sie im Wesentlichen nur auf die Verwendungsweisen als Einsatz in einer Fußleiste, einer Wand oder im Boden ein. Sie erwähnt zwar auch die Möglichkeit, das angegriffene Geschmacksmuster als alleinstehendes Erzeugnis, nämlich als Rinne, zu verwenden, und verweist hierfür auf die Anlage A7 der Klageschrift. Jedoch hat sie in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage eingeräumt, dass diese Verwendung eine bloße Möglichkeit sei. Auch wenn die potenziellen Verwendungsweisen eines Geschmacksmusters nicht außer Betracht zu lassen sind, kann eine rein hypothetische Verwendung des angegriffenen Geschmacksmusters, wie sie in Anlage A7 der Klageschrift dargestellt ist, keine Berücksichtigung finden, da den Akten klar zu entnehmen ist, dass im vorliegenden Fall das angegriffene Geschmacksmuster sich im Wesentlichen auf ein Bauelement bezieht, das als Einsatz zur Abdeckung eines Hohlraums dient.

29      Das angegriffene Geschmacksmuster ist daher Bauelement eines komplexen Erzeugnisses.

 Zu den bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbaren Merkmalen des Bauelements

30      Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 müssen die sichtbaren Merkmale eines Geschmacksmusters, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist die bestimmungsgemäße Verwendung die Verwendung durch den Endbenutzer, ausgenommen Instandhaltungs-, Wartungs- oder Reparaturarbeiten.

31      Es sind daher die bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Erzeugnisses sichtbaren Merkmale zu bestimmen.

32      Die Beschwerdekammer hat in Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass für den Endbenutzer des angegriffenen Geschmacksmusters, bei dem es sich um den Nutzer der Räume handele, in denen die Fußleisten montiert seien, nur die ebene Vorderseite des Geschmacksmusters sichtbar bleibe, wenn es als Einsatz zur Abdeckung des Hohlraums in einer Fußleiste verwendet werde. Bei einer Verwendung, wie im Katalog Döllken dargestellt, bleibe dagegen kein Teil des Geschmacksmusters sichtbar, weil es hinter der Fußleiste verborgen sei.

33      Die Klägerin tritt den Ausführungen der Beschwerdekammer entgegen und macht geltend, dass alle Teile des angegriffenen Geschmacksmusters bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar blieben, nämlich dann, wenn das angegriffene Geschmacksmuster aus transparentem Material gefertigt werde, wenn der Einsatz bei der Installation von Kabeln in der Fußleiste entfernt werde und wenn die Enden einer Fußleiste nicht überdeckt würden.

34      Das HABM gibt der Beschwerdekammer darin recht, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung der einzig sichtbare Teil des angegriffenen Geschmacksmusters die ebene Fläche sei. Auf das Vorbringen der Klägerin entgegnet das HABM, die Entfernung des Einsatzes der Fußleiste bei der Reparatur von Kabeln oder deren Verlegung in den Hohlraum stelle keine bestimmungsgemäße Verwendung dar. Außerdem sei die Annahme, die Enden der Fußleisten könnten unbedeckt gelassen werden, unlogisch.

35      Die Klägerin trägt überdies vor, das angegriffene Geschmacksmuster könne entgegen der Ansicht der Beschwerdekammer in der Art und Weise, wie es im Katalog Döllken dargestellt werde, nicht in Verbindung mit einer Fußleiste verwendet werden, d. h. an eine Wand geschraubt und mit einer Fußleiste bedeckt werden, die mittels ihrer Ausbuchtungen in die Ausbuchtungen des Geschmacksmusters eingerastet werde. Eine solche Verwendungsweise sei insbesondere deshalb nicht möglich, weil die Ausbuchtungen des angegriffenen Geschmacksmusters zu lang seien, um in die Rückseite einer Fußleiste zu passen.

36      Insoweit ist festzustellen, dass nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 ein Geschmacksmuster, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, nur dann als neu gilt und Eigenart hat, wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt. Folglich schlösse die Verwendung des Geschmacksmusters in der Weise, dass es an die Rückseite einer Fußleiste befestigt würde, seinen Schutz aus und ist daher im vorliegenden Fall nicht zu berücksichtigen. Die für die vorliegende Prüfung allein zu berücksichtigende Verwendung des angegriffenen Geschmacksmusters ist die Benutzung für einen Einsatz, der zur Abdeckung eines Hohlraums verwendet wird. Die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, kein Teil des Bauelements, in dem das Geschmacksmuster benutzt werde, bleibe sichtbar, wenn dieses an der Rückseite einer Fußleiste befestigt werde, ist somit im vorliegenden Fall unerheblich, ohne dass sich ein solcher Umstand auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung auswirken würde. Die Klägerin kann daher nichts daraus herleiten, dass die Ausbuchtungen des angegriffenen Geschmacksmusters zu lang seien.

37      Demnach ist die Sichtbarkeit der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters nur für den Fall zu prüfen, dass dieses als Einsatz zur Abdeckung eines Hohlraums in einer Fußleiste oder Wand dient.

38      Wie die Beschwerdekammer festgestellt hat, bleibt jedoch nur die ebene Fläche des angegriffenen Geschmacksmusters sichtbar, wenn dieses zur Abdeckung eines Hohlraums in einer Fußleiste oder Wand verwendet wird. Dies wird im Übrigen durch die der Klageschrift als Anlagen A8 bis A13 beigefügten Unterlagen veranschaulicht.

39      In diesem Zusammenhang ist auch das Argument der Klägerin zu prüfen, wonach das Kriterium der Sichtbarkeit auf das angegriffene Geschmacksmuster nicht angewandt werden dürfe, da die Wand oder der Boden, in die das Erzeugnis, in dem das angegriffene Geschmacksmuster benutzt werde, eingefügt werde, kein Erzeugnis im Sinne von Art. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 sei.

40      Insoweit ist festzustellen, dass die Sichtbarkeit ein wesentliches Kriterium des Schutzes von Gemeinschaftsgeschmacksmustern ist. Dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 ist nämlich zu entnehmen, dass der Schutz sich weder auf Bauelemente erstrecken sollte, die während der bestimmungsgemäßen Verwendung eines Erzeugnisses nicht sichtbar sind, noch auf Merkmale eines Bauelements, die unsichtbar sind, wenn das Bauelement eingebaut ist. Daher kann für die vorliegende Prüfung außer Acht bleiben, ob sich die Hohlräume, die das angegriffene Geschmacksmuster abdecken soll, in einem Erzeugnis im engen Sinne des Art. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 befinden. Vielmehr sind die bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbaren Merkmale zu beurteilen, wie dies die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall getan hat.

41      Das übrige Vorbringen der Klägerin steht dieser Schlussfolgerung der Beschwerdekammer nicht entgegen.

42      Erstens fällt die Installation von Stromkabeln und Telefonleitungen im Hohlraum einer Fußleiste, der mit dem Einsatz, für den das angegriffene Geschmacksmuster benutzt wird, abgedeckt ist, unter die Ausnahmen des Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002, wonach Instandhaltungs-, Wartungs- oder Reparaturarbeiten nicht als bestimmungsgemäße Verwendung angesehen werden können. Da die Installation oder der Austausch von Kabeln in einem Hohlraum vorübergehender Natur ist, handelt es sich dabei gerade um Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten im Sinne dieser Bestimmung. Zudem hat die Beschwerdekammer in Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass die Fußleisten im Fall einer bestimmungsgemäßen Verwendung nur bei der Renovierung des Raumes oder der Reparatur oder Ersetzung der Kabel oder Telefonleitungen abgenommen würden. Sie ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass eine bestimmungsgemäße Verwendung nicht die regelmäßige Demontage und Kontrolle des Einsatzes umfasst.

43      Zweitens ist zu der Möglichkeit, die Enden einer Fußleiste nicht zu bedecken, so dass ihr Querprofil und der Querschnitt des Einsatzes sichtbar werden, festzustellen, dass es, wie das HABM ausführt, unlogisch wäre, die Enden eines Erzeugnisses unbedeckt zu lassen, das im Wesentlichen dazu dient, Kabel zu verdecken. Im Übrigen ergibt sich klar aus der Anlage A13 der Klageschrift (S. 61 bis 64), dass die Fußleisten, in die das Bauelement, für das das angegriffene Geschmacksmuster benutzt wird, eingefügt wird, Kappen zur Abdeckung ihrer Enden aufweisen. In Anlage A14 der Klageschrift (S. 66) ist darüber hinaus auch ausgeführt, dass dank der Anwendung von Abschlusskappen und Verbindungsstücken die Montage sehr einfach und schnell auch vom Heimwerker durchzuführen sei, was im vorliegenden Fall zeigt, dass eine Abdeckung der Fußleistenenden vorgesehen ist.

44      Drittens ist zu dem Fall, dass das Geschmacksmuster aus durchsichtigem Material gefertigt wird, darauf hinzuweisen, dass die Darstellungen der Verwendung des Einsatzes in den Anlagen A8, A9 und A12 der Klageschrift nicht die Feststellung zulassen, dass eine transparente Front den Blick auf die Ausbuchtungen des Einsatzes frei gäbe, wenn er an einer Fußleiste oder Wand oder auf dem Boden befestigt ist. Die Beschwerdekammer hat außerdem in Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass die beiden Geschmacksmuster, so wie sie dargestellt würden, in Erzeugnissen aus verschiedenen Materialien und nicht nur aus transparenten Materialien benutzt werden könnten. Das HABM macht überdies zu Recht geltend, dass sich dieses Merkmal nicht aus der grafischen Darstellung des angegriffenen Geschmacksmusters ergebe.

45      Demnach lässt die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, das bei bestimmungsgemäßer Verwendung einzig sichtbare Merkmal des angegriffenen Geschmacksmusters sei seine Vorderfläche, keinen Fehler erkennen.

 Zur Beurteilung des älteren Geschmacksmusters

46      Die Klägerin trägt vor, das ältere Geschmacksmuster D1 sei eine bloße Linie mit zwei einfachen und kurzen Haken an den Enden. Da in der Zeichnung kein dreidimensionales Erzeugnis dargestellt sei, bleibe jede Idee einer ebenen Fläche vage und unsicher. Die Feststellung der Beschwerdekammer in Rn. 30 der angefochtenen Entscheidung, das ältere Geschmacksmuster D1 stelle ein Erzeugnis mit ebener Fläche dar, sei daher irrig. Zudem könnten nach dem Dokument „Prüfung bezüglich eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ des HABM die Merkmale eines älteren Geschmacksmusters, die in einer möglicherweise früher veröffentlichten Grafik nicht hinreichend dargestellt würden, nicht für die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters herangezogen werden.

47      Nach Ansicht des HABM ermöglicht die Darstellung des älteren Geschmacksmusters, wie sie u. a. im Katalog Döllken zu finden sei, „das Verständnis des Erzeugnisses selbst“ und damit einen zweckdienlichen Vergleich zwischen ihm und dem angegriffenen Geschmacksmuster. Dass die grafische Darstellung des älteren Geschmacksmusters auf eine Seitenansicht beschränkt sei, schließe einen Vergleich mit dem angegriffenen Geschmacksmuster nicht aus, da die Form und die Merkmale des älteren Geschmacksmusters im vorliegenden Fall unproblematisch erkennbar seien, obwohl seine Darstellung zweidimensional sei und keine perspektivische Ansicht umfasse.

48      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 6/2002 für die Beurteilung der Neuheit und Eigenart im Sinne der Art. 5 und 6 dieser Verordnung nicht verlangt, dass die grafische Darstellung eines angemeldeten oder bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmusters eine perspektivische Ansicht enthält, solange diese grafische Darstellung die Form und Merkmale des Geschmacksmusters erkennen lässt. Im vorliegenden Fall durfte die Beschwerdekammer zu Recht davon ausgehen, dass die Darstellung des Geschmacksmusters, wie sie im Katalog Döllken zugänglich gemacht wurde, die Form, die Merkmale und die Anwendungsweise des älteren Geschmacksmusters erkennen lässt.

49      Ferner ist die Sichtbarkeit des älteren Geschmacksmusters bei bestimmungsgemäßer Verwendung zu prüfen. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer in Rn. 30 der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die ebene Vorderseite wie beim angegriffenen Geschmacksmuster das einzig sichtbare Merkmal sei. Nach dem Katalog Döllken, in dem u. a. das ältere Geschmacksmuster D1 dargestellt ist, wird dieses aber an der Rückseite einer Fußleiste befestigt. Somit ist es bei bestimmungsgemäßer Verwendung des komplexen Erzeugnisses, zu dem es gehört, nicht sichtbar.

50      Die Beschwerdekammer hat in Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung im Rahmen der Beurteilung der Verwendung des angegriffenen Geschmacksmusters ausgeführt, dass die Fußleisten, wie sie zur Stützung des Nichtigkeitsantrags dargestellt worden seien, aus einem ebenen Grundkörper mit Ausbuchtungen, der an die Wand montiert werde, und einer Fußleiste bestünden, die in diese Ausbuchtungen mittels genau passender Ausbuchtungen auf ihrer Rückseite eingerastet werde. Sie hat daraus in Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung gefolgert, dass das Element, das sowohl im angegriffenen Geschmacksmuster als auch im älteren Geschmacksmuster wiedergegeben sei, wenn es in dieser Weise verwendet werde, nicht sichtbar sei.

51      Da ein Geschmacksmuster, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses und bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung nicht sichtbar ist, nicht nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 geschützt werden kann, ist entsprechend davon auszugehen, dass Neuheit und Eigenart eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht anhand eines Vergleichs mit einem älteren Geschmacksmuster beurteilt werden können, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung nicht sichtbar ist.

52      Somit ist das Kriterium der Sichtbarkeit, wie es im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2012 formuliert und oben in Rn. 40 erläutert worden ist, auf das ältere Geschmacksmuster anwendbar. Auch das HABM hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass für die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster die gleichen Kriterien gelten müssten.

53      Der Beschwerdekammer ist daher beim Vergleich der beiden Geschmacksmuster ein Rechtsfehler unterlaufen, indem sie angenommen hat, dass die Vorderseite des Erzeugnisses, für das das ältere Geschmacksmuster benutzt werde und das Teil eines komplexen Erzeugnisses sei, bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibe. In diesem Sinne hat sie die sichtbaren Elemente des älteren Geschmacksmusters nicht korrekt bestimmt. Wie oben in Rn. 51 ausgeführt, kann jedoch ein Nichtigkeitsantrag nicht auf ein älteres Geschmacksmuster gestützt werden, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses bei dessen ordnungsgemäßer Verwendung nicht sichtbar ist. Folglich ist die Prüfung der Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters durch die Beschwerdekammer fehlerhaft. Dieser Umstand genügt, um dem vorliegenden Klagegrund zum Erfolg zu verhelfen.

54      Demnach greift der vorliegende Klagegrund durch, ohne dass das übrige Vorbringen der Klägerin geprüft werden müsste.

 Kosten

55      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

56      Da das HABM unterlegen ist, sind ihm, wie von der Klägerin beantragt, seine eigenen Kosten und die der Klägerin aufzuerlegen.

57      Die Streithelferin trägt nach Art. 87 § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 8. November 2012 (Sache R 1512/2010‑3) wird aufgehoben.

2.      Das HABM trägt zusätzlich zu seinen eigenen Kosten die Kosten der Cezar Przedsiębiorstwo Produkcyjne Dariusz Bogdan Niewiński.

3.      Die Poli-Eco Tworzywa Sztuczne sp. z o.o. trägt ihre eigenen Kosten.

Prek

Labucka

Kreuschitz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Oktober 2014.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.