Language of document : ECLI:EU:T:2013:113

Rechtssache T‑370/11

Republik Polen

gegen

Europäische Kommission

„Umwelt – Richtlinie 2003/87/EG – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Übergangsvorschriften betreffend die Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten ab 2013 – Benchmarks für die Berechnung der Zuteilung von Emissionszertifikaten – Gleichbehandlung – Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Siebte Kammer) vom 7. März 2013

1.      Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Wahl, die auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss

(Art. 5 AEU)

2.      Mitgliedstaaten – Verbliebene Zuständigkeiten – Bestimmung der Bedingungen für die Nutzung der Energieressourcen, der Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und der Struktur der Energieversorgung – Zuständigkeit der Union für den Erlass von Maßnahmen auf dem Gebiet der Umweltpolitik

(Art. 192 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c AEUV und Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV)

3.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Gleichbehandlung – Begriff – Grenzen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20 und 21)

4.      Umwelt – Gestaltung der Umweltpolitik der Union – Ermessen des Unionsgesetzgebers – Umfang – Grenzen – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

(Richtlinie 2003/87 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 10a Abs. 1)

5.      Umwelt – Luftverschmutzung – Richtlinie 2003/87 – System für den Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase – Übergangsregelung für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten – Für die Berechnung der Zuteilung anzuwendende Benchmarks – Fehlen einer Unterscheidung zwischen den zum System für den Zertifikatehandel gehörenden Anlagen nach dem verwendeten Brennstoff – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Richtlinie 2003/87 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 10a Abs. 1; Beschluss 2011/278 der Kommission)

6.      Umwelt – Luftverschmutzung – Richtlinie 2003/87 – System für den Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase – Übergangsregelung für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten – Für die Berechnung der Zuteilung anzuwendende Benchmarks – Zugrundelegung der Bezugsleistung von Erdgas – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Richtlinie 2003/87 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 10a Abs. 1; Beschluss 2011/278 der Kommission)

7.      Umwelt – Luftverschmutzung – Richtlinie 2003/87 – Nationaler Zuteilungsplan für Treibhausgasemissionszertifikate (NZP) – Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten – Befugnisse der Mitgliedstaaten – Zeiträume für den Handel mit Zertifikaten ab 2013 – Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnisse – Grenzen

(Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2003/87, Art. 9 Abs. 3 und Art. 10a Abs. 1, und 2009/29, achter Erwägungsgrund)

8.      Umwelt – Luftverschmutzung – Richtlinie 2003/87 – Ziel – Verringerung der Treibhausgasemissionen – Einhaltung von Teilzielen und Instrumenten der Richtlinie

(Richtlinie 2003/87 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2009/29 geänderten Fassung, Erwägungsgründe 2, 3, 5 und 7, und Art. 1 Abs. 1 und 2)

9.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnr. 14)

2.      Zwar dürfen nach Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV die gemäß dem Verfahren nach Unterabs. 1 erlassenen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Ziele der Energiepolitik der Union nach Abs. 1 zu verwirklichen, nicht das Recht eines Mitgliedstaats berühren, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen. Jedoch deutet nichts darauf hin, dass Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV ein allgemeines und auf dem Gebiet der Umweltpolitik der Union anwendbares Verbot aufstellt, dieses Recht zu berühren. Zum einen ist nämlich Art. 194 AEUV eine allgemeine Vorschrift, die nur für den Energiebereich gilt, so dass er eine sektorspezifische Zuständigkeit begründet. Zum anderen verweist Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV ausdrücklich auf Art. 192 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c AEUV. Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV sieht nämlich vor, dass das Verbot der Berührung des Rechts eines Mitgliedstaats, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen, unbeschadet des Art. 192 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c AEUV gilt. Zwar ist die letztgenannte Bestimmung nur verfahrensrechtlicher Natur, doch enthält sie spezielle Regeln für die Umweltpolitik der Union. Folglich ist das Recht aus Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV auf eine von der Union im Rahmen ihrer Umweltpolitik getroffene Maßnahme nicht anwendbar.

(vgl. Randnr. 17)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 30, 33)

4.      Die Kommission verfügt im Rahmen der Ausübung ihrer Zuständigkeiten im Umweltbereich über ein weites Ermessen, das beinhaltet, dass sie politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen trifft und komplexe Beurteilungen und Prüfungen im Hinblick auf das allgemeine Ziel einer kosteneffizienten und wirtschaftlich effizienten Verringerung von Treibhausgasemissionen mittels eines Systems für den Zertifikatehandel vornehmen muss. Die Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme kann nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese Maßnahme zur Erreichung des von den zuständigen Organen verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet ist. Was die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne anbelangt, so darf der Beschluss der Kommission, selbst wenn er zur Erreichung legitimer Ziele geeignet und erforderlich ist, keine Nachteile verursachen, die außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.

(vgl. Randnrn. 36, 65, 89, 100)

5.      Im Rahmen des Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten, wie es durch die Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geschaffen worden ist, kann die bei der Festlegung der Produkt-Benchmarks mit dem Ziel der Zuteilung von Emissionszertifikaten im Beschluss 2011/278 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten ab 2013 erfolgte Gleichbehandlung von Industrieanlagen, die sich aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Brennstoffe in unterschiedlichen Situationen befinden, als objektiv gerechtfertigt angesehen werden.

Eine Unterscheidung dieser Benchmarks nach dem verwendeten Brennstoff böte nämlich den Industrieanlagen, in denen ein hohe CO2-Emissionen verursachender Brennstoff verwendet wird, keine Anreize, nach Lösungen zur Verringerung ihrer Emissionen zu suchen, sondern veranlasste sie im Gegenteil dazu, den Status quo zu erhalten, was Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/87 widerspräche. Eine solche Unterscheidung bärge außerdem die Gefahr einer Erhöhung der Emissionen, weil die Industrieanlagen, die einen geringe CO2-Emissionen verursachenden Brennstoff verwenden, dazu veranlasst werden könnten, diesen durch einen Brennstoff mit höherer CO2-Emission zu ersetzen, um mehr kostenlose Emissionszertifikate erhalten zu können.

Die Einführung eines zusätzlichen Faktors zur Berücksichtigung des verwendeten Brennstoffs würde zudem keine Anreize für eine unionsweite vollständige Harmonisierung der Durchführungsmaßnahmen für die kostenlose Zuteilung dieser Zertifikate schaffen, sondern hätte je nach Einsatzstoff unterschiedliche Regeln für die Anlagen des gleichen Sektors oder Teilsektors zur Folge. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass die Einführung eines Korrekturfaktors nach Maßgabe des verwendeten Brennstoffs zu einer unterschiedlichen Behandlung der Sektoren von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat führt. Da insoweit kein solcher Korrekturfaktor angewandt wird, erhält auch keine Anlage einen Wettbewerbsvorteil, indem ihr wegen des verwendeten Brennstoffs eine größere Menge kostenloser Zertifikate zugeteilt wird.

(vgl. Randnrn. 39, 41-44, 81)

6.      Im Rahmen des Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten, wie es durch die Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geschaffen worden ist, kann es als objektiv gerechtfertigt angesehen werden, dass die Kommission im Beschluss 2011/278 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten ab 2013 für die Festlegung der Wärme- und Brennstoffbenchmarks mit dem Ziel der Zertifikatszuteilung Erdgas als Referenzbrennstoff herangezogen hat.

Die Entscheidung für Erdgas als Brennstoff mit geringer CO2-Emission hat nämlich eine Verringerung der Treibhausgasemissionen zum Ziel. Insbesondere sollen mit dieser Entscheidung Anreize für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und für energieeffiziente Techniken geschaffen werden, wie dies in Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/87 vorgesehen ist.

Die Entscheidung, die Leistung eines anderen Brennstoffs zu verwenden, hätte außerdem nicht verhindern können, dass Anlagen, die sich aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Brennstoffe in unterschiedlichen Situationen befinden, gleichbehandelt werden. Wären die Benchmarks auf einen Brennstoff gestützt, der höhere CO2-Emissionen als Erdgas verursacht, hätte dies nämlich schlicht höhere Wärme- und Brennstoff-Benchmarks zur Folge. Dies könnte nur dazu führen, dass allen betroffenen Anlagen und damit auch den Anlagen, in denen ein geringe CO2-Emissionen verursachender Brennstoff verwendet wird, wegen desselben Faktors mehr kostenlose Emissionszertifikate zugeteilt würden.

(vgl. Randnrn. 49, 50, 58, 106)

7.      Zwar verfügen die Mitgliedstaaten sowohl bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft als auch bei der Aufstellung von nationalen Plänen für die Zuteilung von Zertifikaten vor Beginn des zweiten Handelszeitraums für Zertifikate (bis 2012) über einen gewissen Spielraum, doch gilt dies nicht für die Handelszeiträume ab 2013. Die mit der Richtlinie 2009/29 zur Änderung der Richtlinie 2003/87 für die Handelszeiträume ab 2013 eingeführten Regeln haben die Methoden für die Zuteilung der Zertifikate stark verändert.

Anders als Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2003/87 in der Fassung vor der Änderung durch die Richtlinie 2009/29 bezieht sich Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 nicht mehr auf die nationale Energiepolitik. Vielmehr hat der Gesetzgeber, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/29 ergibt, für die Zeit nach dem zweiten Handelszeitraum ein stärker harmonisiertes Emissionshandelssystem als unerlässlich betrachtet, wenn die Vorteile des Emissionshandels besser genutzt, Verzerrungen auf dem Binnenmarkt vermieden und die Verknüpfung mit anderen Emissionshandelssystemen erleichtert werden sollen.

(vgl. Randnrn. 51-53, 56)

8.      Aus Art. 1 Abs. 2 und dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geht hervor, dass die Richtlinie 2003/87 seit ihrer Änderung durch die Richtlinie 2009/29 eine stärkere Reduzierung von Treibhausgasemissionen vorschreibt, um die Verringerungsraten zu erreichen, die aus wissenschaftlicher Sicht zur Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen erforderlich sind.

Dieses Ziel soll unter Einhaltung einer Reihe von Teilzielen und durch Einsatz bestimmter Instrumente erreicht werden. Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 und dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/87 ergibt, ist hierfür das System für den Handel mit Treibhausgasemissionsrechten das Hauptinstrument. Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie wirkt dieses System auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hin. Bei den weiteren Unterzielen, die mit diesem System erreicht werden sollen, handelt es sich nach den Erwägungsgründen 5 und 7 der Richtlinie u. a. um den Schutz der wirtschaftlichen Entwicklung, der Beschäftigungslage, der Integrität des Binnenmarkts und der Wettbewerbsbedingungen.

(vgl. Randnrn. 68, 69)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnr. 113)