Language of document : ECLI:EU:C:1999:245

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO SAGGIO

vom 18. Mai 1999 (1)

Rechtssache C-269/97

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Rat der Europäischen Union

„Verordnung (EG) Nr. 820/97 zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern - Rechtsgrundlage“

1.
    Mit der vorliegenden Klage beantragt die Kommission die Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen(2) (im folgenden: Verordnung). Die Klage richtet sich gegen die Wahl der Rechtsgrundlage dieser Verordnung, die aufgrund von Artikel 43 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 37 EG) ergangen ist. Die angegriffene Verordnung ist im Zusammenhang mit der Krise um den Rinderwahn, die bovine spongiforme Enzephalopathie (im folgenden: BSE), erlassen worden. Vor diesem Hintergrund ist die Kommission, bei ihrer Klage unterstützt durch das Europäische Parlament, der Ansicht, die angegriffene Maßnahme hätte, da sie in erster Linie dem Schutz der Gesundheit des Menschen dienen solle, auf Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) gestützt werden müssen. Der Rat dagegen vertritt die Auffassung, die Wahl der Rechtsgrundlage habe sich allein an dem Inhalt und den Zielen der zu erlassenden Maßnahmen zu orientieren, so daß Artikel 37 EG einschlägig sei, da es um die Produktion oder Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse gehe, wie sie in Anhang II des Vertrages genannt seien.

Sachverhalt

2.
    Am 2. Oktober 1996 legte die Kommission dem Rat zwei Verordnungsvorschläge vor, den einen über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen und den anderen zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern(3). Beide Vorschläge waren auf Artikel 37 EG als Rechtsgrundlage gestützt.

3.
    Das Europäische Parlament schlug für den einen Vorschlag - die Verordnung über die Etikettierung - Artikel 95 EG anstelle des Artikels 37 EG als Rechtsgrundlage vor. Bezüglich des anderen Vorschlags - die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern - konnte sich das Parlament auf eine solche Änderung nicht einigen. Dennoch hat der Berichterstatter des Agrarausschusses, unterstützt durch mehrere Abgeordnete, bei der Kommission angeregt, auch hier Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage zu wählen.

4.
    Die Kommission faßte daraufhin die zunächst getrennten Vorschläge zu einem einzigen neuen Vorschlag zusammen und stützte diesen auf Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage. Diesen neuen, so geänderten Vorschlag übermittelte sie am 7. März 1997 dem Rat.

5.
    Am 21. April 1997 verabschiedete der Rat einstimmig die angegriffene Verordnung, gestützt jedoch auf Artikel 37 EG als Rechtsgrundlage.

Vorbringen der Parteien

6.
    Die Kommission ist der Auffassung, der Rat habe, indem er die Verordnung auf Artikel 37 EG gestützt habe, wesentliche Formvorschriften verletzt. Da die angefochtene Verordnung auf Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage hätte gestützt werden müssen, hätte - anders als bei Artikel 37 Absatz 2 EG, der lediglich die Anhörung des Parlaments vorsehe - die streitige Verordnung gemäß dem Mitentscheidungsverfahren des Artikels 189b EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 251 EG) erlassen werden müssen.

7.
    Schon vor Erlaß der angefochtenen Verordnung hätten Rechtsvorschriften bezüglich der Vermarktung von Rindfleisch und bezüglich der Rückverfolgung des Ursprungs der Tiere bestanden. Einige dieser Bestimmungen seien im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, andere im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere im Hinblick auf den Verbraucherschutz, ergangen(4). Die BSE-Krise habe aber die Unzulänglichkeiten dieser Vorschriften aufgezeigt, vor allem bezogen auf die Auswirkungen der Krankheit auf die Gesundheit der Verbraucher. Daher habe die Kommission im Rahmen ihrer Vorschläge zunächst ein Instrument zur Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischprodukten schaffen wollen und in einem zweiten Schritt, um das Vertrauen des Verbrauchers in die Angaben auf dem Etikett zu stärken, vorgesehen, ein taugliches System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern zu begründen.

8.
    Die Kommission prüft daraufhin den Inhalt und die Ziele der angegriffenen Verordnung, um anhand dessen die richtige Rechtsgrundlage bestimmen zu können.

9.
    Was die Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern betrifft, so verweist die Kommission auf Titel I der angegriffenen Verordnung. In Artikel 3 sind diejenigen Elemente genannt, auf denen das System basiert. Dabei handelt es sich um Ohrmarken zur Einzelkennzeichnung von Tieren, elektronische Datenbanken, Tierpässe und Register in jedem Betrieb. Welchen Anforderungen diese einzelnen Elemente zu genügen haben, bestimmen dann dieweiteren Artikel 4 bis 7. Durch diese Vorschriften soll eine zügige und zuverlässige Rückverfolgung der Herkunft und des Ursprungs von Rindern ermöglicht werden(5).

10.
    Bezüglich des einheitlichen Systems zur Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen verweist die Kommission auf Titel II der Verordnung. Unter diesem Titel sind zunächst in Artikel 12 diejenigen Angaben geregelt, die ein Etikett an der Stätte des Verkaufs enthalten muß. So werden in Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Angaben zum Ursprung, zu bestimmten Eigenschaften oder zu Bedingungen der Erzeugung des etikettierten Fleisches oder des Tieres, von dem das Fleisch stammt, genannt. Nach Artikel 19 der Verordnung gilt dieses System der obligatorischen Etikettierung von Rindfleisch ab dem 1. Januar 2000 in allen Mitgliedstaaten verbindlich. Zur Vermarktung des Rindfleischs benötigen die Marktbeteiligten eine von den mitgliedstaatlichen Behörden genehmigte Spezifikation. Diese Spezifikation muß nach Artikel 14 der Verordnung die auf dem Etikett aufzuführenden Angaben, die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Richtigkeit der Angaben getroffen werden müssen, und das Kontrollsystem, das auf allen Erzeugungs- und Verkaufsstufen angewendet wird, enthalten. In Artikel 16 ist ausführlich geregelt, welche Angaben ein Etikett enthalten darf. Des weiteren sind in Titel II diejenigen Sanktionen aufgeführt, die gegen einen Marktteilnehmer ergriffen werden können, wenn er gegen die Etikettierungsvorschriften verstößt.

11.
    Den Vortrag der Kommission zum Inhalt der Verordnung hat der Rat als Beklagter nicht bestritten.

12.
    Was die Zielsetzung der Verordnung betrifft, gehen die Auffassungen der Parteien jedoch weit auseinander.

13.
    Die Kommission räumt ein, die Verordnung betreffe Erzeugnisse, die in der dem Vertrag als Anhang II beigefügten Liste aufgeführt und Bestandteil einer gemeinsamen Marktorganisation(6) seien. Dies bedeute jedoch nicht automatisch, daß die Verordnung hauptsächlich ein Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik verfolge.

14.
    Insbesondere die erste und die dritte Begründungserwägung der Verordnung gäben Aufschluß über das wirkliche Ziel der Verordnung. Die Krankheit BSE habe zu Sorgen in der Bevölkerung geführt; diese habe befürchtet, daß der Verzehr von Rindfleisch für die Gesundheit des Menschen gefährlich sein könne. Es sei daher notwendig gewesen, Maßnahmen zu ergreifen, die dem Verbraucher einen möglichst hohen Schutz der Gesundheit sicherten.

15.
    Erst vor diesem Hintergrund der BSE-Krise erschließe sich, worin der wahre und wichtigste Grund für den Erlaß der angegriffenen Verordnung bestehe,nämlich im Schutz der Gesundheit des Menschen. Zwar könne die Etikettierung von Rindfleisch im allgemeinen auch ohne die Verbindung zum Gesundheitsschutz betrachtet werden. Im vorliegenden Fall jedoch seien die ergriffenen Maßnahmen einzig auf den Zweck gerichtet, dem Verbraucher Informationen zur Verfügung zu stellen, die Angaben zum Ursprung, zu bestimmten Eigenschaften oder zu Bedingungen der Erzeugung böten. Dies seien jedoch genau die Informationen, die dem Verbraucher garantieren sollten, daß die Ware, die er zu kaufen beabsichtige, keine Gesundheitsgefahr darstelle.

16.
    Die zur Rückverfolgung des Ursprungs der Tiere getroffenen Maßnahmen im Rahmen der Verordnung seien insbesondere im Kampf gegen BSE erlassen worden. Dies erkläre auch, weshalb sie sich lediglich auf Rinder bezögen. Durch diese Maßnahmen sei es nicht nur möglich, die einzelnen Tiere zu identifizieren, sondern auch die Betriebe und die Herden, von denen die fraglichen Tiere abstammten, ausfindig zu machen. Dies verschaffe nicht nur neue Erkenntnisse über die Krankheit, sondern stelle auch die effektivste Möglichkeit zur Bekämpfung dieser Krankheit dar.

17.
    Betrachte man also den Hintergrund, vor dem die strittige Verordnung erlassen worden sei, so sei für ihren Erlaß nicht das Funktionieren der gemeinsamen Marktorganisation maßgeblich gewesen, sondern der Schutz der Gesundheit des Menschen.

18.
    Die Kommission kommt daher zu dem Schluß, daß die richtige Rechtsgrundlage für die Verordnung Artikel 95 EG gewesen wäre.

19.
    Bei ihren beiden zunächst übermittelten Vorschlägen zu der Verordnung habe sie sich an der Rechtsprechung des Gerichtshofes orientiert. Sie sei zunächst von einer Regelung betreffend Erzeugnisse nach Anhang II des Vertrages ausgegangen und habe dabei beachtet, daß bei der Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik nicht von Erfordernissen des Allgemeininteresses, insbesondere des Schutzes der Gesundheit, abgesehen werden dürfe. Daher habe sie ihre Vorschläge zunächst auf Artikel 37 EG gestützt. Nach einer weiteren Prüfung sei sie jedoch zu dem Schluß gekommen, daß die BSE-Krise besondere Maßnahmen erforderlich machen würde, die insbesondere und vorrangig dem Gesundheitsschutz der Verbraucher dienten. Daher habe sie ihren Vorschlag letztlich auf Artikel 95 EG gestützt.

20.
    Des weiteren verweist die Kommission in Verbindung mit Artikel 95 EG auf den Gedanken des Artikels 129 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 152 EG), wonach in Fragen des Gesundheitsschutzes das Parlament im Rahmen des Verfahrens von Artikel 251 EG (Mitentscheidung) zu beteiligen sei. Es würde eine „Anomalie“ des Vertrages darstellen, Rechtsakte, deren direktes Ziel der Gesundheitsschutz sei, nur deshalb den Vorschriften über die Mitentscheidung zu entziehen, weil sie in einer Regelung über landwirtschaftliche Erzeugnisse enthaltenseien. Für den vorliegenden Fall sei insbesondere zu beachten, daß sich der Hauptzweck der angegriffenen Verordnung auf den Gesundheitsschutz des Menschen beziehe und die Erzeugung und die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte nur einen Nebenzweck darstellten. Daher sei nicht Artikel 37 EG, sondern Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage zu wählen gewesen.

21.
    Hilfsweise macht die Kommission geltend, die Verordnung hätte auf Artikel 37 EG und Artikel 95 EG zusammen gestützt werden müssen.

22.
    Die Kommission ist darüber hinaus der Auffassung, daß im Fall einer Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 820/97 deren Wirkungen vom Gerichtshof gemäß Artikel 174 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 231 Absatz 2 EG) für fortgeltend erklärt werden sollten. Der Regelungsgehalt der Verordnung stelle einen wichtigen Schritt im Kampf gegen BSE dar; insbesondere habe sie schon aufgrund dieser Verordnung Durchführungsbestimmungen erlassen, die ebenfalls weiterhin Geltung beanspruchen sollten.

23.
    Die Kommission hat daher am 22. Juli 1997 Klage gegen den Rat der Europäischen Union erhoben und beantragt,

1.    die Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen für nichtig zu erklären,

2.    die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnung bis zum Inkrafttreten einer vom Gemeinschaftsgesetzgeber auf der geeigneten Rechtsgrundlage erlassenen Neuregelung dieses Bereichs aufrechtzuerhalten,

3.    dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

24.
    Das Parlament, das dem Rechtsstreit auf seiten der Kommission als Streithelfer beigetreten ist, sieht den Hauptzweck der Verordnung ebenfalls im Schutz der Gesundheit des Menschen. Zum besseren Verständnis eines Rechtsakts seien neben dem Inhalt und den Zielen auch der tatsächliche und der politische Kontext zu würdigen. Vor dem Hintergrund der BSE-Krise verfolge die Verordnung zwei wesentliche Ziele. Zum einen solle die menschliche Gesundheit vor Risiken im Zusammenhang mit BSE geschützt werden. Zum anderen solle der Verbraucher über den Ursprung und die Qualität des Rindfleischs besser informiert werden. Aus diesen Gründen habe sich der Gesetzgeber entschieden, eine umfassende Transparenz bezüglich der Aufzucht der Rinder sowie der Erzeugung und der Vermarktung von Rindfleisch zu schaffen. Das Hauptziel, wenn nicht sogar das einzige Ziel, sei dabei gewesen, eine lückenlose Kette zu schaffen, die es dem Verbraucher ermögliche, jeden einzelnen Schritt vom Ursprung bis zum Verzehr nachzuvollziehen. Die dazu vorgesehenen Mittel seien die Kennzeichnung und die Registrierung von Rindern sowie die Etikettierung von Rindfleisch.

25.
    Für das Parlament besteht hier kein Unterschied zu den Regelungen betreffend die Etikettierung von Nahrungsmitteln im allgemeinen. Diese seien auf Artikel 95 EG und nicht auf Artikel 37 EG zu stützen. Die bisherige Rechtsprechung habe sich nur mit Rechtsakten zu befassen gehabt, deren Hauptziel die Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte im Binnenmarkt betroffen habe und die nur sekundär auch einen Gesundheitsschutz bezweckten. Für den vorliegenden Fall gelte dies jedoch so nicht, da der Hauptzweck der Verordnung der Gesundheitsschutz des Menschen sei.

26.
    Auch aus dem Vertrag selbst gehe hervor, daß in Fragen des Gesundheitsschutzes das Parlament beim Erlaß von Rechtsakten nach dem Verfahren des Artikels 251 EG zu beteiligen sei. Aus diesen Gründen wäre Artikel 95 EG die richtige Rechtsgrundlage für die angegriffene Verordnung gewesen.

27.
    Auch das Parlament macht hilfsweise geltend, daß sowohl Artikel 95 EG als auch Artikel 37 EG als Rechtsgrundlage hätte herangezogen werden müssen. Es sei zumindest Zweck der Verordnung gewesen, nicht nur den Markt für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse wieder zu stabilisieren, sondern auch das Vertrauen des Verbrauchers in diese Produkte wiederaufzubauen.

28.
    Darüber hinaus ist auch das Parlament der Auffassung, daß im Falle einer Nichtigerklärung der Verordnung deren Wirkungen aufrechterhalten bleiben sollten.

29.
    Der Rat beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

30.
    Er vertritt die Auffassung, zum besseren Verständnis eines Rechtsakts könne durchaus der Kontext, in dem dieser erlassen worden sei, herangezogen werden. Er könne jedoch nicht maßgeblich für die Wahl der Rechtsgrundlage sein. Diese Wahl habe sich nämlich an objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Elementen zu orientieren. Solche Elemente seien nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes insbesondere Inhalt und Ziel des Rechtsakts.

31.
    Der Inhalt der Verordnung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

32.
    Das Ziel der Verordnung sieht der Rat jedoch nicht vorwiegend im Schutz der Gesundheit des Menschen. Er verweist dazu auf die erste Begründungserwägung der Verordnung. Darin heißt es:

„Der Markt für Rindfleisch und Fleischerzeugnisse ist durch die Krise der spongiformen Rinderenzephalopathie destabilisiert. Dieser Markt muß wieder stabilisiert werden. Dies kann am wirksamsten durch Verbesserungen bei der Transparenz der Erzeugungs- und Vermarktungsbedingungen dieser Produkte erreicht werden, insbesondere hinsichtlich der Verfolgung des Ursprungs.“

33.
    Nach Auffassung des Rates kann durch eine solche Transparenz das Vertrauen des Verbrauchers sowohl in den Markt als auch in die Erzeugnisse wieder verbessert werden. Dadurch könne der Markt, der durch BSE in eine Krise geraten sei, wieder stabilisiert werden.

34.
    Entscheidend sei dabei gewesen, auf der Stufe der Erzeugung eine effiziente Kennzeichnungs- und Registrierungsregelung und auf der Stufe der Vermarktung eine besondere, auf objektiven Kriterien beruhende gemeinschaftliche Etikettierungsregelung einzuführen(7).

35.
    Neben dem Hauptziel der Verordnung, der Stabilisierung des Marktes für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse, würde auch bestimmten Anforderungen von allgemeinem Belang, wie dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, entsprochen(8).

36.
    Dieser Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sei jedoch nur ein Nebenziel der Verordnung, die darüber hinaus den innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren regele, da die für diesen Handel bestimmten Tiere nach den Vorschriften der Gemeinschaftsregelung gekennzeichnet und registriert sein müßten. Eine solche Kennzeichnung und Registrierung solle den Betrieb, das Zentrum oder die Einrichtung feststellbar machen, aus denen die Tiere stammten oder in denen sie sich aufgehalten hätten(9). Die Einzelkennzeichnung bestimmter Arten landwirtschaftlicher Nutztiere, hier der Rinder, diene zugleich der ordnungsgemäßen Verwaltung bestimmter Beihilferegelungen der Gemeinschaft zugunsten der Landwirtschaft(10).

37.
    Was die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen betreffe, so stelle dieses System dem Verbraucher lediglich Informationen zu dem für ihn wichtigen Kauf zur Verfügung; es werde ihm jedoch nicht garantiert, daß das in den Verkauf gelangte Fleisch keine Gefahr für seine Gesundheit berge. Solche Garantien würden dem Verbraucher durch andere, veterinärrechtliche Bestimmungen geboten.

38.
    Vorschriften über die Rückverfolgung des Ursprungs von Tieren seien nicht ausschließlich im Kampf gegen BSE ergangen. Zwar lasse sich der Weg eines Tieres nunmehr von der Aufzucht bis zum Schlachthof nachvollziehen; aus dem Blickwinkel des Gesundheitsschutzes des Menschen sei dies jedoch noch keine geeignete Maßnahme, um der Krankheit BSE Herr zu werden.

39.
    Des weiteren habe sich die bisher für die Kennzeichnung und die Registrierung von Rindern geltende Richtlinie 92/102 im Fall von Rindern in der Praxis als nicht ganz zufriedenstellend erwiesen und sei daher verbesserungsbedürftig gewesen. So sei die angegriffene Verordnung speziell für Rinder auch zur Erweiterung der Vorschriften der genannten Richtlinie erlassen worden(11). Diese Richtlinie sei ebenfalls bei ihrem Erlaß auf Artikel 37 EG gestützt worden, ohne daß diese Wahl der Rechtsgrundlage in der Folge angegriffen worden wäre.

40.
    Ein weiteres Motiv für den Erlaß der Bestimmungen über die Kennzeichnung und die Registrierung von Rindern sei gewesen, daß durch die dann zuverlässigere Verfolgung des Ursprungs der Tiere eine unverzichtbare Informationsquelle für die Etikettierung von Rindfleisch geschaffen werde.

41.
    Im übrigen sei der Gesundheitsschutz für die Tiere mit der Vermarktung des Produktes relativ eng verknüpft. Erfüllten die Tiere die an sie im Rahmen des Gesundheitsschutzes gestellten Anforderungen, so lasse sich das Vertrauen der Verbraucher letztendlich leichter zurückgewinnen und halten. Dies trage dann zu einer Stabilisierung des Marktes bei. Daß sich die Verordnung lediglich auf Rinder und Rindfleisch beziehe, nicht jedoch auf Schweine, Schafe, Ziegen und deren Fleischprodukte, liege nicht daran, daß an Rinder höhere Anforderungen des Gesundheitsschutzes gestellt worden seien, sondern nur daran, daß der Markt für Rindfleisch wegen des Rinderwahns so stark in die Krise geraten sei, daß dringend Stabilisierungsmaßnahmen hätten erlassen werden müssen.

42.
    Die Wahl der Rechtsgrundlage habe sich letztlich nur nach Inhalt und Ziel der zu erlassenden Maßnahmen zu richten. Da es sich im vorliegenden Fall um die Herstellung und die Vermarktung von Produkten handele, wie sie in Anhang II des Vertrages genannt seien, und darüber hinaus hauptsächliche Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik verfolgt würden, sei die angegriffene Verordnung zu Recht auf Artikel 37 EG gestützt worden.

43.
    Die Auffassung der Kommission und des Parlaments würde letztlich dazu führen, den Anwendungsbereich von Artikel 37 EG auszuhöhlen. Jeder Rechtsakt, der auch den Gesundheitsschutz des Menschen bezwecke, müßte dann auf Artikel 100 EG-Vertrag (jetzt Artikel 94 EG) oder 95 EG gestützt werden. Den Erfordernissen des Allgemeininteresses, wie etwa des Verbraucherschutzes oder des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier, werde aber auch bei Erlaß eines Rechtsakts nach Artikel 37 EG dadurch Rechnung getragen, daß bei der Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik von solchen Allgemeininteressen nicht abgesehen werden dürfe, wie sich auch aus Artikel 152 Absatz 1 Unterabsatz 1 EG und der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebe.

44.
    Die Verordnung diene darüber hinaus u. a. dem in Artikel 39 EG-Vertrag (jetzt Artikel 33 EG) genannten Ziel der Stabilisierung des Marktes. Im übrigen seien die von der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen solche nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 805/68(12). Nach dieser Vorschrift könnten im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Rindfleisch Maßnahmen zur Förderung einer besseren Organisation der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung und zur Verbesserung der Qualität getroffen werden. Genau dies habe der Rat bei Erlaß der Verordnung bezweckt, um damit den Markt positiv zu beeinflussen. Da auch die Allgemeininteressen Bestandteil der gemeinsamen Agrarpolitik seien und sich diese in die Gesamtwirtschaft einzufügen habe, hätte die Argumentation der Kommission und des Parlaments zur Folge, daß die als lex specialis bestehende Vorschrift des Artikels 37 EG bei der Wahl der Rechtsgrundlage von Artikel 95 EG immer dann verdrängt würde, wenn ein Rechtsakt direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der BSE-Krise erlassen werde, denn ein solcher Rechtsakt bezwecke immer den Schutz der Gesundheit des Menschen. Dies würde die Bedeutung der in Artikel 33 EG genannten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik wesentlich schmälern.

45.
    Betrachte man also die für die Wahl der Rechtsgrundlage entscheidenden Kriterien - Inhalt und Ziel - der zu erlassenden Maßnahme, so ergebe sich für den vorliegenden Fall, daß das Vorgehen des Rates richtig und rechtmäßig gewesen sei.

46.
    Was das hilfsweise Vorbringen der Kommission und des Parlaments anbelangt, die richtige Rechtsgrundlage seien die Artikel 37 EG und 95 EG zusammen, vertritt der Rat die Auffassung, daß dies nur dann möglich wäre, wenn der erlassene Rechtsakt zugleich zwei gleichwertige unterschiedliche Ziele verfolgen würde. Im vorliegenden Fall sei dies jedoch gerade zu verneinen, da der Hauptzweck der Verordnung darin bestehe, den durch die BSE-Krise destabilisierten Markt für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse wieder zu stabilisieren. Die darüber hinaus in der Begründung der Verordnung angeführten weiteren Ziele seien nur von untergeordneter Natur, so daß sie keinen Einfluß auf die Wahl der Rechtsgrundlage haben könnten.

Stellungnahme

47.
    Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes muß sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen(13).

Inhalt der Verordnung

48.
    Die Verordnung enthält zwei Teile. Im Rahmen von Titel I schaffen die Mitgliedstaaten ein System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern. Im Titel II sind die die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen betreffenden Vorschriften enthalten.

49.
    Das Kennzeichnungs- und Registrierungssystem basiert gemäß Artikel 3 der Verordnung auf folgenden Elementen:

-    Ohrmarken zur Einzelkennzeichnung von Tieren,

-    elektronische Datenbanken,

-    Tierpässe und

-    Register in jedem Betrieb.

Die Kommission, die zuständige Behörde des jeweiligen Mitgliedstaats und alle Betroffenen, auch einschlägige Verbraucherorganisationen, haben Zugang zu diesen Informationen. Des weiteren wird in Artikel 4 geregelt, welche Tiere zu kennzeichnen sind und welchen Anforderungen die dazu benutzten Ohrmarken entsprechen müssen. Artikel 5 bestimmt, welche Informationen die elektronischen Datenbanken zu enthalten haben. Die Anforderungen an die Tierpässe und die Register sind in den Artikeln 6 und 7 geregelt. Nach Artikel 7 Absatz 3 sind die Tierhalter verpflichtet, auf Anfrage der zuständigen Behörde alle relevanten Informationen über Herkunft, Kennzeichnung und gegebenenfalls Bestimmung der Tiere vorzulegen, die sie besessen, gehalten, befördert, vermarktet oder geschlachtet haben.

50.
    Diese Vorschriften beinhalten also im wesentlichen tatsächliche und technische Anforderungen an Kontrollmechanismen. Geregelt ist, auf welche Art und Weise Rinder in den Mitgliedstaaten gekennzeichnet und registriert werden müssen. Dadurch wird eine Kontrolle beim Tierhalter schon auf der Stufe der Erzeugung eingeführt.

51.
    Der zweite Teil der Verordnung enthält die Regeln über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen. Nach Artikel 19 der Verordnung wird ein System der obligatorischen Etikettierung von Rindfleisch eingeführt, das ab 1. Januar 2000 in allen Mitgliedstaaten gilt. Im übrigen gelten die Vorschriften des Titels II für jeden Marktbeteiligten, der bei der Etikettierung von Rindfleisch an der Stätte des Verkaufs Angaben zum Ursprung, zu bestimmten Eigenschaftenoder zu Bedingungen der Erzeugung des etikettierten Fleisches oder des Tieres, von dem das Fleisch stammt, machen will(14).

52.
    Darüber hinaus muß sich jeder Marktbeteiligte nach Artikel 14 in dem Mitgliedstaat, in dem das betreffende Rindfleisch erzeugt oder verkauft wird, eine Spezifikation genehmigen lassen. Artikel 14 regelt dann im einzelnen, was eine solche Spezifikation umfassen muß, nämlich die Angaben auf dem Etikett sowie Kontrollmaßnahmen und Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vorschriften. Artikel 15 der Verordnung enthält Regelungen für den Fall, daß das Rindfleisch ganz oder teilweise in einem Drittland erzeugt wird.

53.
    Was nun das Etikett an sich angeht, so bestimmt Artikel 16 der Verordnung, welche Angaben dieses enthalten darf. Genannt werden dabei der Geburts-, der Mast- und der Schlachtort, die Kennummer und das Geschlecht des Tieres, das Mast- oder Fütterungsverfahren, Angaben über die Schlachtung sowie jede weitere Information, die der jeweilige Marktbeteiligte mitteilen möchte und die von der betreffenden zuständigen Stelle genehmigt wurde.

54.
    Des weiteren sieht dieser Teil der Verordnung Sanktionen für den Fall vor, daß die in den einzelnen Vorschriften genannten Anforderungen nicht eingehalten werden.

55.
    Die angeführten Vorschriften betreffen also auch hier im wesentlichen die tatsächlichen und technischen Anforderungen, die an eine Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen zu stellen sind. Sie wenden sich zwar auch an den Hersteller, beziehen sich jedoch schwerpunktmäßig auf die Stufe der Vermarktung des Produktes. Anknüpfungspunkt für die Etikettierung von Rindfleisch ist die Stätte des Verkaufs (Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung).

56.
    Da im übrigen die Beteiligten über den Inhalt der Verordnung übereinstimmen, erübrigen sich weitere Ausführungen dazu.

Ziel der Verordnung

57.
    Das Vorbringen der Kommission und des Parlaments kann dahin gehend zusammengefaßt werden, daß der, wenn auch nicht alleinige, so doch Hauptzweck der Verordnung darin bestehe, den Schutz der Gesundheit des Menschen auf einem möglichst hohen Niveau zu garantieren. Der Rat hält dem entgegen, die Verordnung bezwecke in erster Linie, den durch die Rinderwahnkrise destabilisierten Markt für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse wieder zu stabilisieren.

58.
    Die Ziele der Verordnung lassen sich im wesentlichen anhand der einzelnen Vorschriften und vor allem der vorangestellten Begründungserwägungen bestimmen.

59.
    So soll durch die Verordnung eine Verbesserung bei der Transparenz der Erzeugungs- und Vermarktungsbedingungen für Rindfleisch erreicht werden, insbesondere hinsichtlich der Verfolgung des Ursprungs. Dadurch soll dieser Markt, der durch BSE in eine Krise geraten war, wieder stabilisiert werden(15).

60.
    Um eine solche Transparenz zu erreichen, ist zunächst auf der Stufe der Erzeugung eine effizientere Kennzeichnung und Registrierungsregelung für Rinder unabdingbar(16). Durch ein solches Vorgehen würde auch bestimmten Anforderungen von allgemeinem Belang, wie dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, entsprochen(17). Insgesamt wurde erhofft, damit das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen zu stärken(18).

61.
    Die Verordnung ist aber auch auf die ordnungsgemäße Verwaltung bestimmter Beihilferegelungen der Gemeinschaft zugunsten der Landwirtschaft gerichtet, für die die Einzelkennzeichnung bestimmter Arten landwirtschaftlicher Nutztiere erforderlich ist(19).

62.
    Die Einführung des Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern dient darüber hinaus der zügigen und zuverlässigen Rückverfolgung des Ursprungs der Rinder. Die bisher geltenden Vorschriften hatten sich gerade im Rahmen der BSE-Krise als nicht ganz zufriedenstellend erwiesen(20) und sollten daher (wie durch die angegriffene Verordnung geschehen) verbessert werden.

63.
    Zudem sollte ein effizientes Etikettierungssystem geschaffen werden, das in jedem Fall die Möglichkeit bietet, den Zusammenhang zwischen etikettiertem Rindfleisch und dem oder den Tieren, von dem oder denen es stammt, herzustellen(21).

64.
    Um ein zuverlässiges Funktionieren dieser Systeme gewährleisten zu können, sollte die Verordnung angemessene Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen der Verordnung vorsehen(22).

65.
    Anhand des bisher Ausgeführten ist der Argumentation des Rates insoweit zuzustimmen, als die Verordnung die Herstellung und Vermarktung von in Anhang II des Vertrages genannten Erzeugnissen betrifft. Auch ist die Verordnung auf die Umsetzung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik gerichtet, die in Artikel 33 Absatz 1 EG genannt sind, insbesondere darauf, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern und die Märkte zu stabilisieren.

66.
    Fraglich ist jedoch, ob dies der alleinige, maßgebliche Zweck der Verordnung ist.

67.
    Nach Auffassung der Kommission und des Parlaments müßten zur Bestimmung des Hauptzwecks eines Rechtsakts auch die tatsächlichen und politischen Gegebenheiten, die zu seinem Erlaß geführt haben, einbezogen werden.

68.
    Hierzu ist aber erneut auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes zu verweisen, nach der bei der Frage nach der Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts allein auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Kriterien abzustellen ist. Der Gerichtshof hat hierbei insbesondere Inhalt und Ziel des erlassenen Rechtsakts genannt(23), denen besonderes Gewicht zukommt.

69.
    Dies spricht zwar grundsätzlich nicht dagegen, weitere Kriterien zur Bestimmung der Rechtsgrundlage mit heranzuziehen, sofern sie auf jeden Fall objektiv und gerichtlich nachprüfbar sind.

70.
    Es ist mehr als zweifelhaft, ob tatsächliche und politische Umstände, die auch Anlaß eines Rechtsakts waren, geeignet sein können, zur Bestimmung des Zieles dieses Rechtsakts in der Weise herangezogen zu werden, daß sie gleichwertig neben den Inhalt und die Zwecke des Rechtsakts treten. Gerade die politischen Umstände unterliegen einer eher subjektiven Betrachtungsweise, die gemäß den politischen Auffassungen und Zwängen so stark variieren können, daß sie aus Kontinuitäts- und Rechtssicherheitsgründen nicht als ein entscheidendes Kriterium für die Bestimmung der Rechtsgrundlage herangezogen werden können.

71.
    Dies bedeutet jedoch nicht, daß bei der Prüfung der Frage nach der richtigen Rechtsgrundlage der Kontext des erlassenen Rechtsakts völlig außer acht gelassen werden dürfte.

72.
    Im vorliegenden Fall bestreitet der Rat den tatsächlichen Hintergrund, nämlich die BSE-Krise, nicht. Er sagt sogar, gerade aufgrund dieser Krise sei es notwendig gewesen, die angefochtene Verordnung zu erlassen. Dies sei aber gerade nicht erfolgt, um vorrangig ein hohes Niveau im Bereich des Gesundheitsschutzes für den Menschen zu erzielen. Der Auslöser sei vielmehr gewesen, daß der Markt für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse ernsthaft bedroht gewesen sei und durch Stabilisierungsmaßnahmen habe gestärkt werden sollen. Ein Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sei gewesen, das Vertrauen des Verbrauchers in die fraglichen Produkte durch Kennzeichnung und Etikettierung wiederaufzubauen und zu stärken.

73.
    Die Kommission und das Parlament sehen jedoch aufgrund der BSE-Krise den Hauptzweck der Verordnung im Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier.

74.
    Der dritten Begründungserwägung der Verordnung zufolge wird durch die Verordnung Anforderungen des Allgemeininteresses, insbesondere dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, entsprochen.

75.
    Der Gerichtshof hat aber auch in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß bei der Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik von Erfordernissen des Allgemeininteresses wie etwa des Verbraucherschutzes oder des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Mensch und Tier, denen die Gemeinschaftsorgane bei der Ausübung ihrer Befugnisse Rechnung zu tragen haben, nicht abgesehen werden darf(24).

76.
    Das entsprechende Ziel der Verordnung, wie es in der dritten Begründungserwägung genannt wird, entspricht somit dem, was auch in Artikel 152 Absatz 1 EG bestimmt ist und in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden ist.

77.
    Allein die Beachtung der Anforderungen von allgemeinem Belang hat damit aber noch nicht automatisch zur Folge, daß dies schon der Hauptzweck des erlassenen Rechtsakts wäre.

78.
    Da jedenfalls die Herstellung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte zur Marktstabilisierung geregelt wird, folgt daraus zunächst, daß Artikel 95 EG nicht alleinige Rechtsgrundlage der angegriffenen Verordnung sein konnte.

79.
    Es ist jedoch fraglich, ob die angegriffene Verordnung nicht auf die Artikel 37 EG und 95 EG zusammen hätte gestützt werden müssen.

80.
    Dies wäre im vorliegenden Fall u. a. dann gegeben, wenn für die gesamte Verordnung zwei wesentliche Inhalte und Ziele parallel nebeneinander bestünden.

81.
    Betrachtet man zunächst die Entstehungsgeschichte der Verordnung und ihren Inhalt, so ist festzustellen, daß zwei getrennte, unterschiedliche Materien gemeinsam in einer Verordnung behandelt werden. Zum einen wird die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern näher geregelt und zum anderen ein System zur Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen eingeführt. Diese beiden Sachverhalte sind von vornherein auf unterschiedlichen Ebenen (Erzeugung bzw. Verkauf) angesiedelt. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander, so daß sie auch bezüglich ihrer Zielsetzung Unterschiede aufweisen können.

82.
    Bezüglich der Kennzeichnungs- und Registrierungsregeln für Rinder, die auf der Stufe der Erzeugung greifen, läßt sich entsprechend dem oben Ausgeführten feststellen, daß es sich hierbei hauptsächlich um Erzeugungsbestimmungen handelt, deren Hauptzweck eindeutig darin besteht, den Markt für diese Produkte zu stabilisieren. Die zur Kennzeichnung vorgesehenen Elemente sollen eine zügige und zuverlässige Rückverfolgung des Ursprungs der Tiere (auch für den Tierhalter) ermöglichen. Dadurch wird zunächst eine effiziente Kontrolle durch die Kommission und die zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten bezüglich des Ursprungs der Tiere auf der Ebene der Erzeugung gewährleistet. Fragen des Verbraucherschutzes treten dann hinter dem Ziel der Marktstabilisierung zurück, da die Konsumenten auf dieser Stufe von der Kennzeichnung und Registrierung der Rinder noch nicht primär profitieren.

83.
    Bezüglich dieses Teils der Verordnung ist also festzustellen, daß bei der Wahl der Rechtsgrundlage nicht neben Artikel 37 EG auf Artikel 95 EG zurückgegriffen werden mußte.

84.
    Etwas anderes ergibt sich jedoch für den zweiten Teil der Verordnung, nämlich für die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen.

85.
    Vorab ist festzustellen, daß es sich hierbei um einen durchaus selbständigen Teil der Verordnung handelt. Die Bestimmungen des Titels II (Etikettierung) hätten auch ohne den Titel I (Kennzeichnung und Registrierung) Bestand. So hatten auch zunächst die Kommission und das Parlament keine Einwände dagegen, daß dieser Teil als selbständige Verordnung erlassen werden sollte. Die Vorschriften über die Etikettierung werden (erst) auf der Stufe des Verkaufs relevant und berühren auch nur dort die Marktbeteiligten.

86.
    Werden aber in einer Verordnung zwei getrennt zu betrachtende, unterschiedliche Sachverhalte geregelt, die nebeneinanderstehen, so erscheint esauch nur konsequent, zu prüfen, ob beide Teile die gleichen Ziele verfolgen oder ob hier unterschiedliche Zwecke vorliegen. Wäre letzteres der Fall, so könnte in der Gesamtbetrachtung der Verordnung nicht mehr von dem klassischen Über- und Unterordnungsverhältnis der Ziele (Haupt- und Nebenzweck) gesprochen werden. Sinnvoll ist eine solche Unterteilung in Haupt- und Nebenzweck dann, wenn es sich um einen einzigen zu regelnden Sachverhalt handelt. Ein selbständiger zweiter mitgeregelter Sachverhalt sollte nicht allein wegen der Verbindung mit einem anderen Sachverhalt hinter diesen zurücktreten. Die Verbindung zweier selbständiger Sachverhalte sollte insbesondere nicht dazu führen (können), daß aus einem für sich stehenden (getrennten) Zweck nur durch die Verbindung mit einem anderen wichtigen Zweck ein untergeordneter Nebenzweck wird. Eine Zweiteilung in Haupt- und Nebenzweck macht dann keinen Sinn mehr, wenn - eventuell ungewollt - die Gefahr bestünde, den einen Zweck nur aufgrund einer Kombination von unterschiedlichen Sachverhalten dem anderen unterzuordnen. Es wäre dann der - von der Warte des Gerichtshofes aus betrachtet natürlich nur theoretische - Fall denkbar, daß durch eine „geschickt dosierte“ Verbindung andere Rechtsgrundlagen, die bei einer getrennten Betrachtungsweise in Frage kämen, überdeckt und damit einschlägige Verfahrens- und Mitbeteiligungsvorschriften umgangen werden könnten.

87.
    Es erscheint daher nur konsequent, bei einem Rechtsakt, der zwei unterschiedliche Sachverhalte regelt, zu prüfen, ob ein solches Gleichordnungsverhältnis der verfolgten Ziele besteht. Eine solche Prüfung erübrigt sich nur dann, wenn offenkundig ist, daß das eine Ziel hinter dem anderen zurücktritt und damit zum Nebenziel wird.

88.
    Betrachtet man nun die Ziele des Titels II der Verordnung, so ergibt sich, daß sie die Vermarktung der Rindfleischprodukte an sich betreffen.

89.
    Durch die Etikettierung soll es möglich werden, in jedem Fall einen Zusammenhang zwischen dem etikettierten Rindfleisch und dem oder den Tieren, von dem oder denen es stammt, herzustellen.

90.
    Hierbei handelt es sich jedoch um Informationen, die im wesentlichen dem Verbraucher zugute kommen. Durch das, zunächst zwar nur freiwillige, ab dem 1. Januar 2000 jedoch obligatorische System, werden dem Verbraucher diejenigen Informationen zur Verfügung gestellt, die er benötigt, um eine Kaufentscheidung treffen zu können. Zwar wirkt sich dies dergestalt auch auf die Märkte aus, daß eine vermehrte Nachfrage zu einer Stabilisierung dieser Märkte führen kann; jedoch wird als Bezugspunkt der Regelungen die Entscheidungsfreiheit des Konsumenten gewählt.

91.
    Dem Verbraucher soll zwar keine 100%ige Garantie bezüglich der gesundheitlichen Qualität des Rindfleisches gewährt werden, was im übrigen auch gar nicht möglich wäre, doch soll es ihm ermöglicht werden, anhand derentscheidenden Kriterien aufgrund der Etikettierung zu bestimmen, ob der Kauf des Fleisches für ihn ein vertretbares Risiko darstellt oder nicht.

92.
    Da insofern eine bessere Information des Verbrauchers über das zu erwerbende Produkt bezweckt und bewirkt wird, kristallisiert sich - für diesen Teil der Verordnung - die Verbraucherinformation als bestimmendes Ziel des Titels II der Verordnung heraus.

93.
    Das weitere Ziel, die Stabilisierung der Märkte, tritt demgegenüber - bezüglich dieses Teils der Verordnung - in den Hintergrund.

94.
    Damit ergibt sich aber, daß das (selbständige) Hauptziel dieses Teils der Verordnung nicht demjenigen entspricht, das mit Titel I verfolgt wird. Entsprechend dem bereits Ausgeführten (siehe Nr. 86) bestehen somit für zwei unterschiedliche Sachverhalte zwei verschiedene Ziele, die aber in einer einzigen Verordnung geregelt werden. Für die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Wahl der Rechtsgrundlage folgt daraus jedoch, daß diese Ziele dabei entsprechend ihrem

(Gleich-)Gewicht zu beachten gewesen wären, ohne das eine dem anderen unterzuordnen.

95.
    Daraus folgt, daß die angegriffene Verordnung insgesamt auf die Artikel 37 EG und 95 EG als Rechtsgrundlage hätte gestützt werden müssen. Insofern ist also dem Hilfsvorbringen der Kommission und des Parlaments zu folgen.

96.
    Die angegriffene Verordnung ist also für nichtig zu erklären, da sie nur auf Artikel 37 EG und nicht auch auf Artikel 95 EG gestützt worden ist.

97.
    Die Beteiligten haben für den Fall der Nichtigerklärung der Verordnung nach Artikel 231 Absatz 2 EG-Vertrag beantragt, die Wirkungen der Verordnung, da sie in ihrer Gesamtheit notwendig waren, für fortgeltend zu erklären. Diesem Antrag ist stattzugeben, da die angegriffene Verordnung eine wirksame Maßnahme darstellt, um die durch BSE hervorgerufene Krise zu bekämpfen und dem Verbraucher ein Höchstmaß an Information zu gewährleisten. Insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit, da die Kommission schon mehrere Bestimmungen zur Durchführung dieser Verordnung erlassen hat, ist dem Antrag der Beteiligten stattzugeben.

Kosten

98.
    Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Da der Rat mit seinem Verteidigungsvorbringen unterlegen ist, und die Verordnung insgesamt für nichtig zu erklären ist, sind dem Rat die Kosten aufzuerlegen. Auch wenn die Kommission nur mit ihrem Hilfsvorbringen obsiegt, liegen keine besonderen Gründe vor, die eine andere Kostenaufteilung rechtfertigen würden. Nach Artikel 69 § 4 derVerfahrensordnung hat das Parlament als Streithelfer seine eigenen Kosten zu tragen.

Ergebnis

99.
    Aufgrund der vorstehenden Überlegungen schlage ich vor, wie folgt zu entscheiden:

1.    Die Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen wird für nichtig erklärt.

2.    Die Wirkungen der für nichtig erklärten Verordnung werden bis zum Inkrafttreten einer vom Gemeinschaftsgesetzgeber auf der geeigneten Rechtsgrundlage erlassenen Neuregelung dieses Bereichs aufrechterhalten.

3.    Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens.

4.    Das Parlament trägt seine eigenen Kosten.


1: Originalsprache: Italienisch.


2: -     ABl. L 117, S. 1.


3: -     Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (ABl. C 349, S. 10 und 14).


4: -     Die Kommission nennt hier einerseits die Richtlinie 92/102/EWG des Rates vom 27. November 1992 über die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren (ABl. L 355, S. 32) und die Verordnung (EWG) Nr. 1208/81 des Rates vom 28. April 1981 zur Bestimmung des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für Schlachtkörper ausgewachsener Rinder (ABl. L 123, S. 3) und andererseits die Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 1979, L 33, S. 1).


5: -     Siehe erste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


6: -     Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl. L 148, S. 24).


7: -     Siehe zweite Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


8: -     Siehe dritte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


9: -     Siehe fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


10: -     Siehe siebente und elfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


11: -     Siehe neunte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


12: -     Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (zitiert in Fußnote 5).


13: -     Urteile vom 26. März 1987 in der Rechtssache 45/86 (Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493, Randnr. 11), vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 131/86 (Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 905, Randnr. 29) und vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-271/94 (Parlament/Rat, Slg. 1996, I-1689, Randnr. 14).


14: -     Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 820/97.


15: -     Siehe erste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


16: -     Siehe zweite Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


17: -     Siehe dritte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


18: -     Siehe vierte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


19: -     Siehe siebente Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


20: -     Siehe neunte und elfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


21: -     Siehe dreiundzwanzigste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/07.


22: -     Siehe sechsundzwanzigste und siebenundzwanzigste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 820/97.


23: -     Urteile vom 16. November 1989 in der Rechtssache C-131/87 (Kommission/Rat, Slg. 1989, 3743, Randnr. 7), vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89 (Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, Randnr. 10) und vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnr. 12).


24: -     Beschluß vom 12. Juli 1996 in der Rechtssache C-180/96 R (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1996, I-3903, Randnr. 63) und Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I-2265, Randnr. 120).