Language of document : ECLI:EU:T:2016:455

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

8. September 2016(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Belgischer, deutscher, französischer und niederländischer Markt für Nordseegarnelen – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird – Preisfestsetzung und Aufteilung der Absatzmengen – Zulässigkeit von Beweismitteln – Verwendung heimlicher Mitschnitte von Telefongesprächen als Beweismittel – Beurteilung der Leistungsfähigkeit – Unbeschränkte Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑54/14

Goldfish BV mit Sitz in Zoutkamp (Niederlande),

Heiploeg BV mit Sitz in Zoutkamp,

Heiploeg Beheer BV mit Sitz in Zoutkamp,

Heiploeg Holding BV mit Sitz in Zoutkamp,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Glazener und B. Winters

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch F. Ronkes Agerbeek und P. Van Nuffel, dann durch P. Van Nuffel und H. van Vliet als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen eines auf Art. 263 AEUV gestützten Antrags zum einen auf Nichtigerklärung des Beschlusses K(2013) 8286 endg. der Kommission vom 27. November 2013 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV (Sache AT.39633 – Nordseekrabben), soweit er die Klägerinnen betrifft, und zum anderen auf Herabsetzung der ihnen auferlegten Geldbußen

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis sowie der Richter O. Czúcz und A. Popescu (Berichterstatter),

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2015

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Goldfish BV, die Heiploeg BV, die Heiploeg Beheer BV und die Heiploeg Holding BV (im Folgenden zusammen: Klägerinnen oder Heiploeg) gehören zu einer Unternehmensgruppe, deren Haupttätigkeit der Handel mit Garnelen, Muscheln und anderen Schalentieren ist.

2        In der vorliegenden Rechtssache geht es um Nordseegarnelen (Crangon crangon), eine Garnelenart, die in der Nordsee gefangen wird. Der größte Teil der Fänge wird in Dänemark, Deutschland und den Niederlanden angelandet. Diese Fänge werden sodann unmittelbar an Händler, die sich auf den Aufkauf von Garnelen spezialisiert haben („contract fishing“), oder in den Niederlanden bei Versteigerungen verkauft („free fishing“).

3        Anschließend werden die Nordseegarnelen von den Händlern verarbeitet und behandelt, was das Schälen, Einfrieren und Verpacken einschließt. Diese Händler liefern die zum menschlichen Verzehr bestimmten Nordseegarnelen geschält oder ungeschält, frisch oder tiefgefroren an Einzelhändler wie Supermärkte, an Großhändler für Meeresfrüchte, an lebensmittelverarbeitende Betriebe oder auch an Restaurants.

4        Am 14. Januar 2003 erließ die Nederlandse Mededingingsautoriteit (niederländische Wettbewerbsbehörde, im Folgenden: NMa) eine Entscheidung auf der Grundlage des nationalen niederländischen Wettbewerbsrechts und des Art. 101 AEUV gegen mehrere in der Nordseegarnelenindustrie tätige Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Diese Entscheidung betraf Absprachen über den Mindestpreis, Produktionsbeschränkungen für den Zeitraum von Januar 1988 bis Januar 2000 sowie die Behinderung des Zugangs neuer Händler zum Garnelenverkauf bei niederländischen Fischauktionen von Oktober bis November 1999. Gegen die Heiploeg BV, Goldfish, die Klaas Puul & Zoon BV und die L. Kok International Seafood BV wurden Geldbußen verhängt.

5        Am 28. Dezember 2004 wurden im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Berufungsverfahrens die gegen mehrere kleine Händler – darunter L. Kok International Seafood – verhängten Geldbußen aufgehoben, während die gegen die Heiploeg BV, Goldfish und Klaas Puul & Zoon verhängten Geldbußen herabgesetzt wurden. Im Übrigen wurde die Entscheidung der NMa durch die Urteile der Rechtbank Rotterdam (Gericht Rotterdam, Niederlande) und des College van Beroep voor het bedrijfsleven (Berufungsgericht für Verwaltungsstreitigkeiten im Bereich Wirtschaft, Niederlande, im Folgenden: College van Beroep) im Wesentlichen aufrechterhalten.

6        Am 13. Januar 2009 teilten die Klaas Puul BV, die Klaas Puul Beheer BV und die Klaas Puul Holding BV (im Folgenden zusammen: Klaas Puul), die mehrere Arten von Meeresfrüchten verarbeiteten und in den Handel brachten, der Europäischen Kommission ihre Absicht mit, den Erlass der Geldbußen im Zusammenhang mit dem Bestehen eines Kartells in der Nordseegarnelenindustrie zu beantragen. Die Kommission gewährte Klaas Puul daraufhin bis zum 26. Januar 2009 einen „Marker“ im Sinne von Rn. 15 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit 2006), um ihr Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Informationen und Beweise zusammenzustellen.

7        Am 26. Januar 2009 reichte Klaas Puul bei der Kommission nach der Mitteilung über Zusammenarbeit 2006 einen Antrag auf Kronzeugenbehandlung ein, die ihr am 17. März 2009 unter Vorbehalt gewährt wurde.

8        Am 24., 25. und 26. März 2009 nahm die Kommission nach Art. 20 Abs. 4 und Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Nachprüfungen in Geschäftsräumen und Privatwohnungen in Belgien, Dänemark sowie den Niederlanden vor. Zwischen dem 3. August 2009 und dem 9. März 2012 stellte die Kommission mehrere Auskunftsverlangen. Klaas Puul arbeitete weiterhin mit der Kommission zusammen, indem sie ihr Informationen, Belege und Erläuterungen lieferte.

9        Am 12. Juli 2012 beschloss die Kommission, ein Verfahren gegen Heiploeg, die Holding L.J.M. Kok BV und die L. Kok International Seafood (im Folgenden zusammen: Kok Seafood), Klaas Puul sowie die Stührk Delikatessen Import GmbH & Co. KG (im Folgenden: Stührk) einzuleiten. Am selben Tag erließ sie die Mitteilung der Beschwerdepunkte gegen diese Unternehmen.

10      Alle Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte beantragten und erhielten anschließend eine DVD mit den einsehbaren Dokumenten in der Akte der Kommission. Die in den Räumlichkeiten der Kommission zugänglichen Dokumente und Erklärungen wurden nur von Heiploeg eingesehen. Die anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte beantragten keinen Zugang. Alle Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte reichten schriftliche Stellungnahmen ein und wurden in einer mündlichen Anhörung am 7. Februar 2013 gehört.

11      Am 27. November 2013 erließ die Kommission den Beschluss K(2013) 8286 endg. vom 27. November 2013 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV (Sache AT.39633 – Nordseekrabben) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Angefochtener Beschluss

12      In dem angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die im Sektor der Nordsee-Kaltwassergarnelen tätigen Unternehmen Heiploeg, Klaas Puul, Kok Seafood und Stührk während Zeiträumen zwischen Juni 2000 und Januar 2009 an verschiedenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt waren und sensible Informationen ausgetauscht hatten, wodurch sie eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV begingen.

13      Der von dem angefochtenen Beschluss betroffene Markt war der Markt für Nordsee-Kaltwassergarnelen. Die Kommission stellte fest, dass diese Garnelen hauptsächlich an Endverbraucher in fünf Mitgliedstaaten, nämlich in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, vertrieben wurden. Auf Belgien entfielen rund 50 % des Verzehrs von Nordseegarnelen, auf Deutschland 25 % und auf die Niederlande der größte Teil des restlichen Verzehrs. Die beiden größten Nordseegarnelenhändler in der Europäischen Union waren Heiploeg und Klaas Puul.

14      Das Kartell, dem der angefochtene Beschluss galt, stellte eine einheitliche, fortgesetzte und komplexe Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV dar. Die Kommission legte dar, dieses Kartell habe in Vereinbarungen über die Preise, aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen und dem Austausch sensibler Informationen zwischen den Lieferanten von Nordseegarnelen bestanden. Nach dem angefochtenen Beschluss zielte dieses Kartell darauf ab, gemeinsam das Preisniveau für Nordseegarnelen zu beeinflussen, den Wettbewerb einzuschränken und den Markt zu stabilisieren.

15      Dem angefochtenen Beschluss zufolge funktionierte das Kartell auf der Grundlage bilateraler Kontakte zwischen den Unternehmen. Die betroffenen Unternehmen, allen voran Heiploeg und Klaas Puul, unterhielten seit langer Zeit häufige Kontakte, um ihre Geschäfte zu besprechen. Heiploeg und Klaas Puul hatten u. a. ihr Marktverhalten offengelegt und koordiniert sowie sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht. Insbesondere hatten die beiden Unternehmen Vereinbarungen über die an ihre Lieferanten zu zahlenden Preise, die den verschiedenen Kunden zu berechnenden Preise und die Aufteilung dieser Kunden getroffen.

16      Die Kommission stellte fest, dass auch Stührk Preisabsprachen mit Heiploeg getroffen und es ersichtlich vermieden hatte, mit Heiploeg und Klaas Puul in Wettbewerb zu treten. Schließlich gab sie in dem angefochtenen Beschluss an, Kok Seafood habe mit Heiploeg einen langfristigen Vertrag geschlossen, um ihre Garnelen an Heiploeg zu einem Preis zu verkaufen, der in Abhängigkeit von dem Weiterverkaufspreis festgelegt wurde, den Heiploeg erzielen konnte. Ziel dieses Vertrags sei es insbesondere gewesen, zu verhindern, dass Kok Seafood zu einem Wettbewerber im Garnelenmarkt wurde.

17      Diese Feststellungen beruhen u. a. auf den Erklärungen, die Klaas Puul abgegeben hatte, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu gelangen, auf den zur Stützung dieser Erklärungen beigefügten Belegen, auf den Unterlagen, die die Kommission bei unangekündigten Nachprüfungen in den Unternehmen (siehe oben, Rn. 8) vorgefunden hatte, darunter einige von Herrn K. angefertigte Telefonmitschnitte und bei Kok Seafood vorgefundene Notizen über Telefongespräche, sowie auf Antworten auf Auskunftsverlangen und auf von Stührk abgegebenen Bestätigungen.

18      Auf der Grundlage der vorstehend in Rn. 17 angeführten Beweismittel gelangte die Kommission in dem angefochtenen Beschluss zu dem Ergebnis, dass diese verschiedenen und komplexen Absprachen zwischen den Unternehmen marktkoordinierende Praktiken waren, die wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Art. 101 AEUV umfassten.

19      Die Heiploeg betreffenden Absprachen wurden als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung angesehen, die sich vom 21. Juni 2000 bis zum 13. Januar 2009 erstreckte. Heiploeg Holding wurde allerdings nur für einen Zeitraum von zwei Jahren und elf Monaten ab 3. Februar 2006 als verantwortlich angesehen.

20      Für die Berechnung der Höhe der Geldbußen wandte die Kommission in dem angefochtenen Beschluss die Bestimmungen der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien) an. Was Heiploeg betrifft, bestimmte die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße unter Heranziehung des Umsatzes der Geschäftsjahre 2000/2001 bis 2007/2008 (80 bis 90 Mio. Euro) nach der Schwere der Zuwiderhandlung (16 %), multipliziert mit der Anzahl der Jahre, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war (8,5 für Heiploeg und 2,91 für Heiploeg Holding). Sodann setzte die Kommission einen Zusatzbetrag von 16 % nach Ziff. 25 der Leitlinien fest. Diese Berechnungen ergaben für die zu verhängende Geldbuße einen Grundbetrag von 124 596 000 Euro (einschließlich der Geldbuße von Heiploeg Holding).

21      Aufgrund der besonderen Umstände des Falls wurde die gegen Heiploeg zu verhängende Geldbuße nach Ziff. 37 der Leitlinien um 75 % ermäßigt, um das Verhältnis des Umsatzes mit dem kartellbefangenen Produkt zum Gesamtumsatz sowie die unterschiedliche Beteiligung der jeweiligen Parteien zu berücksichtigen. Nach dieser Anpassung belief sich der Betrag der zu verhängenden Geldbuße auf 31 149 000 Euro (einschließlich der Geldbuße von Heiploeg Holding).

22      Sodann wurde der Betrag der Geldbuße gemäß Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, nach dem die Geldbuße 10 % des im Geschäftsjahr vor dem Beschluss der Kommission erzielten Umsatzes nicht übersteigen darf, auf 27 082 000 Euro festgesetzt (einschließlich der Geldbuße von Heiploeg Holding).

23      Schließlich wies die Kommission den von Heiploeg gestellten Antrag nach Ziff. 35 der Leitlinien, die Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit zu ermäßigen, zurück.

24      Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Artikel 1

Die folgenden Unternehmen haben gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, indem sie sich in den genannten Zeiträumen an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung im Bereich der Nordseegarnelenindustrie innerhalb der Europäischen Union beteiligten, die in der Festsetzung von An- oder Verkaufspreisen, dem Austausch sensibler Geschäftsinformationen über Preise, Kunden und Liefermengen und im Fall einiger dieser Unternehmen auch in der Aufteilung des Marktes und der Aufteilung von Abnehmern bestand:

a)      Heiploeg vom 21. Juni 2000 bis 13. Januar 2009,

b)      Klaas Puul vom 21. Juni 2000 bis 13. Januar 2009,

c)      Stührk vom 14. März 2003 bis 5. November 2007,

d)      Kok Seafood vom 11. Februar 2005 bis 13. Januar 2009.

Artikel 2

Für die in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlungen werden folgende Geldbußen festgesetzt:

a)       Heiploeg BV,

Goldfish BV und

Heiploeg Beheer BV

gesamtschuldnerisch: 14 262 000 [Euro],

Heiploeg BV,

Goldfish BV,

Heiploeg Beheer BV und

Heiploeg Holding BV

gesamtschuldnerisch: 12 820 000 [Euro],

b)       Klaas Puul BV,

Klaas Puul Beheer BV und

Klaas Puul Holding BV

gesamtschuldnerisch: 0 [Euro],

c)       Stührk Delikatessen Import GmbH & Co. KG: 1 132 000 [Euro],

d)       L. Kok International Seafood BV und

Holding L. J. M. Kok BV

gesamtschuldnerisch: 502 000 Euro],

…“

 Verfahren und Anträge der Beteiligten

25      Mit Klageschrift, die am 23. Januar 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

26      Im Rahmen ihrer Erwiderung, die am 27. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen dem Gericht mitgeteilt, dass die Rechtbank Noord‑Nederland (Gericht der Nordniederlande) am 28. Januar 2014 das Insolvenzverfahren gegen sie eröffnet habe.

27      Mit Schriftsatz, der am 23. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen beantragt, die vorliegende Rechtssache vorrangig zu behandeln.

28      Das Gericht (Neunte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und dem Antrag der Klägerinnen auf vorrangige Behandlung nicht stattgegeben.

29      In der Sitzung vom 10. Dezember 2015 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Zugleich beschloss das Gericht, die Klägerinnen aufzufordern, ihm im Anschluss an die Sitzung Angaben zum Verkaufswert ihrer verschiedenen Vermögenswerte und zur Fortführung der Unternehmen nach ihrer Insolvenz zu machen. Die Klägerinnen sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

30      Am 18. Januar 2016 ist die mündliche Verhandlung geschlossen worden.

31      Die Klägerinnen beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss vollständig oder teilweise für nichtig zu erklären;

–        die gegen sie festgesetzte Geldbuße aufzuheben oder zumindest herabzusetzen;

–        die Maßnahmen zu erlassen, die das Gericht für notwendig erachtet;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

32      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

33      In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen auf eine Frage des Gerichts erklärt, dass es sich bei ihrem dritten Klageantrag nicht um einen eigenständigen Antrag handele und sie folglich keine Entscheidung des Gerichts über ihn begehrten, was im Sitzungsprotokoll vermerkt worden ist.

 Rechtliche Würdigung

34      Zur Begründung ihrer Klage führen die Klägerinnen drei Klagegründe an, mit denen sie im Wesentlichen erstens einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 rügen, den die Kommission begangen habe, indem sie als Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV heimliche Tonaufnahmen verwendet habe, zweitens einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, den die Kommission begangen habe, indem sie als Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV Notizen zu heimlichen Tonaufnahmen verwendet habe, und drittens, dass die Kommission es zu Unrecht abgelehnt habe, die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen.

35      Da der erste und der zweite Klagegrund miteinander zusammenhängen, sind sie gemeinsam zu prüfen.

 Erster und zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 101 AEUV und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, den die Kommission durch Verwendung heimlicher Tonaufnahmen bzw. von Notizen zu solchen Tonaufzeichnungen begangen habe

36      Im Rahmen des ersten Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen seien als Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV rechtswidrig, so dass die Kommission solche Mitschnitte in dem angefochtenen Beschluss nicht als Beweismittel hätte verwenden dürfen, weil sie andernfalls gegen diese Bestimmung sowie gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoße.

37      Im Rahmen des zweiten Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, die Notizen zu den heimlich mitgeschnittenen Telefongesprächen, auf die die Kommission sich in dem angefochtenen Beschluss gestützt habe, seien sehr unzuverlässig, so dass ihre Verwendung als Beweismittel in dem angefochtenen Beschluss ebenfalls gegen Art. 101 AEUV und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoße.

38      Das Gericht hat angesichts der von den Klägerinnen erhobenen Rügen in einem ersten Schritt zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen heimliche Telefonmitschnitte und darauf bezogene Notizen als Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV zulässig sind.

39      Sofern es für zulässig erachtet wird, dass die Kommission im vorliegenden Fall auf solche Beweismittel zurückgreift, ist in einem zweiten Schritt das Vorbringen der Klägerinnen zur Verlässlichkeit der Notizen zu diesen Telefongespräche zu prüfen, um festzustellen, ob hierdurch in Frage gestellt wird, dass die Kommission Art. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 1/2003 eingehalten hat, nach dem ihr die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV obliegt.

 Rechtmäßigkeit der Verwendung heimlicher Telefonmitschnitte und zugehöriger Notizen zum Beweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV

40      In den Erwägungsgründen 262 bis 268 des angefochtenen Beschlusses führt die Kommission in Beantwortung des Vorbringens, mit dem die Klägerinnen im Verwaltungsverfahren die Zulässigkeit der fraglichen Aufzeichnungen in Frage gestellt hatten, im Wesentlichen aus, dass diese in den Niederlanden angefertigt worden seien, wo sie nicht strafbar seien, und dass es ihr selbst dann, wenn Privatparteien diese Beweismittel rechtswidrig erlangt hätten, angesichts der Rechtsprechung der Unionsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) nicht verwehrt sei, sie zu verwenden, dass weder sie selbst noch die nationalen Behörden die fraglichen Aufzeichnungen veranlasst hätten und dass das Unternehmen, bei dem diese vorgefunden worden seien, kein Interesse gehabt habe, ihr diese belastenden Beweismittel zur Verfügung zu stellen.

41      Die Klägerinnen sind der Auffassung, erstens stelle der heimliche Mitschnitt von Telefongesprächen in mehreren Mitgliedstaaten eine Straftat dar und sei folglich ein rechtswidriges Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, zweitens finde die Verwendung heimlicher Mitschnitte von Telefongesprächen als Beweismittel in der Rechtsprechung des EGMR keine Rechtfertigung, drittens sei eine solche Verwendung auch nicht mit der Rechtsprechung des Gerichts zu rechtfertigen und viertens schließlich sei nach niederländischem Recht die Verwendung heimlicher Mitschnitte von Telefongesprächen im Wettbewerbsrecht nicht erlaubt.

42      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass im Unionsrecht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt, aus dem zum einen folgt, dass die Zulässigkeit eines Beweises, wenn er rechtmäßig erlangt worden ist, vor dem Gericht nicht in Frage gestellt werden kann, und zum anderen, dass das alleinige Kriterium für die Beurteilung der Beweiskraft ordnungsgemäß vorgelegter Beweise deren Glaubhaftigkeit ist (Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens/Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 128).

43      Da der Begriff des Nachweises unionsrechtlich nicht geregelt ist, sind grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in vergleichbaren Verfahren zulassen (Urteil vom 23. März 2000, Met-Trans und Sagpol, C‑310/98 und C‑406/98, EU:C:2000:154, Rn. 29).

44      Gleichwohl können bestimmte Beweismittel aus den Akten entfernt werden, insbesondere wenn Zweifel sowohl hinsichtlich des Charakters des umstrittenen Dokuments als auch bezüglich der Frage bestehen bleiben, ob derjenige, der sich darauf beruft, es auf rechtmäßige Weise erlangt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 1981, Ludwigshafener Walzmühle Erling u. a./Rat und Kommission, 197/80 bis 200/80, 243/80, 245/80 und 247/80, EU:C:1981:311, Rn. 16). Ein solcher Ausschluss ist aber nicht automatisch, da die Unionsgerichte bisweilen Unterlagen berücksichtigt haben, bei denen nicht bewiesen war, dass sie auf rechtmäßige Weise erlangt worden waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2008, Franchet und Byk/Kommission, T‑48/05, EU:T:2008:257, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Zudem darf bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der umstrittenen Beweismittel die Verpflichtung der Organe, die Grundrechte der klagenden Parteien zu beachten, nicht außer Acht gelassen werden.

46      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Achtung der Menschenrechte nämlich eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union, und Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, können in der Union nicht als rechtens anerkannt werden (vgl. Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 284 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Dezember 2012, Almamet/Kommission, T‑410/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:676, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Infolgedessen sind nach dem Unionsrecht Beweise, die unter völliger Nichtbeachtung des für ihre Feststellung vorgesehenen Verfahrens, mit dem die Grundrechte der Beteiligten geschützt werden sollen, erlangt worden sind, unzulässig. Die Einhaltung dieses Verfahrens ist daher als wesentliche Formvorschrift im Sinne von Art. 263 Abs. 2 AEUV anzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung zieht die Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift unabhängig davon Folgen nach sich, ob diese Verletzung demjenigen, der sie rügt, einen Schaden verursacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. April 2000, Kommission/ICI, C‑286/95 P, EU:C:2000:188, Rn. 42 und 52, und vom 12. Dezember 2012, Almamet/Kommission, T‑410/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:676, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Außerdem ist seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu beachten, denn nach Art. 6 Abs. 1 EUV sind „die Charta … und die Verträge … rechtlich gleichrangig“.

49      In Art. 52 Abs. 3 der Charta heißt es, dass, soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) garantierten Rechten entsprechen, diese die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden. Nach der Erläuterung zu dieser Bestimmung werden die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern u. a. auch durch die Rechtsprechung des EGMR bestimmt (Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 35).

50      Im vorliegenden Fall ist im Hinblick auf die Art der umstrittenen Beweismittel, nämlich Mitschnitte von Telefongesprächen zwischen Privatpersonen, darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Charta der Grundrechte, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens betrifft, Rechte enthält, die den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten entsprechen. Somit ist Art. 7 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2010, McB., C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 53, und vom 15. November 2011, Dereci u. a., C‑256/11, EU:C:2011:734, Rn. 70).

51      Da die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs einen Eingriff in die Ausübung des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts darstellt (EGMR, 6. September 1978, Klass u. a./Deutschland, CE:ECHR:1978:0906JUD000502971, Rn. 41; EGMR, 2. August 1984, Malone/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:1984:0802JUD000869179, Rn. 64; EGMR, 24. April 1990, Kruslin/Frankreich, CE:ECHR:1990:0424JUD001180185, Rn. 26, sowie EGMR, 29. Juni 2006, Weber und Saravia/Deutschland, CE:ECHR:2006:0629DEC005493400, Rn. 79), ist sie somit auch als Einschränkung der Ausübung des in Art. 7 der Charta der Grundrechte verankerten Rechts anzusehen.

52      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Nach Art. 47 Abs. 2 dieser Charta hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

53      Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta der Grundrechte, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta der Grundrechte bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, entspricht dieser Artikel Art. 6 Abs. 1 EMRK.

54      Hierzu ist festzustellen, dass der EGMR zu der Frage, ob in einem strafrechtlichen Kontext ein unrechtmäßig erlangtes Beweismittel einem Beschuldigten ein faires Verfahren verweigert und gegen Art. 6 EMRK verstößt, wie folgt entschieden hat (EGMR, 26. April 2007, Popescu/Rumänien, CE:ECHR:2007:0426JUD007152501, Rn. 106):

„Auch wenn die [EMRK] in ihrem Art. 6 das Recht auf ein faires Verfahren garantiert, regelt sie nicht die Zulässigkeit von Beweisen als solchen, eine Materie, die in erster Linie unter das innerstaatliche Recht fällt. Der Gerichtshof kann die Zulässigkeit eines gewonnenen Beweises daher nicht ausschließen, ohne die Vorschriften des nationalen Rechts zu beachten … Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass er in der Vergangenheit bereits die Gelegenheit hatte, festzustellen, dass die Verwendung eines unrechtmäßigen Mitschnitts, und zudem als einziges Beweismittel, als solche auch dann nicht gegen die in Art. 6 [Abs. 1 EMRK] verankerten Grundsätze der Fairness verstößt, wenn dieses Beweismittel unter Verstoß gegen die Erfordernisse der [EMRK], insbesondere derjenigen [ihres Art. 8 …], erlangt wurde.“

55      Der EGMR hat auch bereits ausgeführt, dass zu prüfen ist, ob der klagenden Partei durch die Verwendung eines unrechtmäßig erlangten Mitschnitts als Beweismittel nicht ein faires Verfahren verweigert wurde und ob ihre Verteidigungsrechte gewahrt blieben, indem insbesondere untersucht wird, ob sie die Möglichkeit hatte, die Echtheit und die Verwendung dieses Mitschnitts in Frage zu stellen. Ferner hat er geprüft, ob ein solcher Mitschnitt nicht das einzige Beweismittel war, mit dem die Verurteilung begründet wurde (EGMR, 12. Juli 1988, Schenk/Schweiz, CE:ECHR:1988:0712JUD001086284, Rn. 48).

56      Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist zu prüfen, ob die Kommission die fraglichen Mitschnitte im Rahmen des angefochtenen Beschlusses zu Recht als Beweismittel verwendet hat.

57      Im vorliegenden Fall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission die umstrittenen Mitschnitte im Verlauf einer Nachprüfung in den Räumen eines der am Kartell beteiligten Unternehmen – nämlich Kok Seafood – erlangt hat, die in Übereinstimmung mit Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 durchgeführt wurde.

58      Mit der Kommission ist daher zum einen hervorzuheben, dass diese Mitschnitte weder von der Kommission noch von einer anderen Behörde, sondern von einer Privatperson angefertigt wurden, die an diesen Gesprächen teilgenommen hat, und zum zweiten, dass diese Beweise von der Kommission rechtmäßig erhoben wurden und die Rechtmäßigkeit der Nachprüfung, bei der sie beschlagnahmt wurden, von den Klägerinnen im Übrigen nicht bestritten wird.

59      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Beweismittel, die die Kommission auf rechtmäßige Weise erlangt hat, im Licht der vorstehend in den Rn. 42 bis 47 angeführten Rechtsprechung im Rahmen einer Untersuchung wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht grundsätzlich zulässig sind.

60      Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch die Frage, ob die Kommission Beweismittel, die sie auf rechtmäßige Weise erhalten hat, auch dann verwenden darf, wenn sie ursprünglich von einem Dritten gegebenenfalls unrechtmäßig erlangt wurden, beispielsweise unter Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens der Person, deren Gespräche Gegenstand der streitigen Mitschnitte waren.

61      Nach dem Vorbringen der Klägerinnen waren die fraglichen Mitschnitte insbesondere durch den Mitarbeiter eines Konkurrenten unter Verletzung des in Art. 8 EMRK verankerten Rechts auf Achtung des Privatlebens angefertigt worden.

62      Insoweit geht jedoch aus der vorstehend in den Rn. 54 und 55 angeführten Rechtsprechung des EGMR hervor, dass die Verwendung eines rechtswidrigen Mitschnitts als Beweismittel, für sich genommen, auch dann nicht gegen die in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Grundsätze der Fairness verstößt, wenn dieses Beweismittel unter Verstoß gegen die Erfordernisse des Art. 8 EMRK erlangt wurde, sofern der klagenden Partei erstens kein faires Verfahren verweigert und ihre Verteidigungsrechte nicht verletzt wurden und zweitens dieses Beweismittel nicht das einzige war, mit der die Verurteilung begründet wurde.

63      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie im 37. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt wird, im Verwaltungsverfahren allen Parteien Gelegenheit gegeben hat, Zugang zu sämtlichen in der Akte befindlichen Tonaufzeichnungen und Notizen hierzu zu erhalten. Die Klägerinnen bestreiten im Übrigen nicht, dass sie Gelegenheit hatten, die Tonaufzeichnungen anzuhören, die Notizen einzusehen und sich zu allen Bestandteilen der Akte zu äußern.

64      Außerdem bringen die Klägerinnen in ihren Schriftsätzen keine weiteren Argumente vor, die den fairen Ablauf des betreffenden Verwaltungsverfahrens in Frage stellen könnten.

65      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die streitigen Mitschnitte nicht das einzige von der Kommission verwendete Beweismittel waren, da die in dem angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung einer von den Klägerinnen begangenen Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV auf einer Reihe von Beweisen beruhte, die die Kommission im Lauf des Verwaltungsverfahrens erlangt hatte.

66      Wie vorstehend in Rn. 17 ausgeführt, umfassen diese Beweise – außer den in den Räumen von Herrn K. von Kok Seafood aufgefundenen Mitschnitten von Telefongesprächen und den zu ihnen angefertigten Notizen – u. a. die von Klaas Puul abgegebenen Erklärungen und die zur Stützung dieser Erklärungen beigefügten Belege, weitere Unterlagen, die bei den Nachprüfungen durch die Kommission vorgefunden wurden, sowie die Antwort von Stührk auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

67      Somit stellen die streitigen Mitschnitte, obwohl sie für die Entscheidung der Kommission, eine Geldbuße zu verhängen, von einiger Bedeutung waren, entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht den einzigen Gesichtspunkt dar, der die Kommission von der Schuld der Klägerinnen überzeugt hat.

68      Außerdem beschränken die Klägerinnen sich darauf, ohne weitere Erläuterung die Glaubhaftigkeit der Mitschnitte zu bestreiten und vorzutragen, die Kommission habe die allgemeine Situation und den spezifischen Kontext, in dem sie angefertigt worden seien, nicht hinreichend berücksichtigt.

69      Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen zu keinem Zeitpunkt den Inhalt der streitigen Mitschnitte bestritten oder deren Echtheit in Frage gestellt haben.

70      Zweitens ist festzustellen, dass die Kommission die Übereinstimmung der betreffenden Mitschnitte mit den anderen in den Akten enthaltenen Beweisen überprüft hat.

71      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den betreffenden Mitschnitten angesichts der Tatsache, dass sie Telefongespräche zwischen zwei Konkurrenten betrafen, in denen die Gesprächspartner sensible Geschäftsinformationen einschließlich Informationen über ihre Preise austauschten, um Beweismittel handelt, die wegen ihres unmittelbaren und direkten Zusammenhangs mit dem Gegenstand der betreffenden Untersuchung besonders aussagekräftig sind.

72      Schließlich ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass diese Mitschnitte auch dem Unternehmen geschadet haben, das sie angefertigt hat, nämlich Kok Seafood, die versucht hat, sich ihrer Verwendung als Beweismittel zu widersetzen. Diese Erwägung wird nicht durch das in der mündlichen Verhandlung wiederholte Vorbringen der Klägerinnen entkräftet, Kok Seafood habe die betreffenden Mitschnitte mit dem Ziel angefertigt, sie vor den Wettbewerbsbehörden zu verwenden, sei es zum Schaden der Klägerinnen oder zur Unterstützung eines eventuellen Antrags auf Kronzeugenbehandlung. Hierzu genügt der Hinweis, dass die Klägerinnen – abgesehen davon, dass sie keinen Antrag auf Kronzeugenbehandlung gestellt haben – keinen Anhaltspunkt für eine solche Absicht von Kok Seafood vorgetragen haben.

73      In Anbetracht der vorstehenden Umstände ist entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen festzustellen, dass die Kommission die betreffenden Mitschnitte selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass sie von einem der mit den Klägerinnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen rechtswidrig angefertigt wurden, im Rahmen des angefochtenen Beschlusses zu Recht als Beweismittel zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV verwendet hat.

74      Auch die weiteren Rügen, die die Klägerinnen im Hinblick auf die Zulässigkeit der streitigen Mitschnitte als Beweismittel erhoben haben, greifen nicht durch.

75      Was insbesondere das Vorbringen betrifft, der heimliche Mitschnitt von Telefongesprächen stelle in mehreren Mitgliedstaaten eine Straftat dar und sei folglich ein rechtswidriges Beweismittel für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, ist festzustellen, dass die Klägerinnen nichts vorgetragen haben, was ihre Behauptung stützt, das Recht mehrerer Mitgliedstaaten verbiete es, derartige Telefongespräche im Rahmen eines Verfahrens zu Feststellung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht zu verwenden. In ihrer Erwiderung führen die Klägerinnen nämlich nur ein einziges konkretes Beispiel an. Es handelt sich um ein Urteil, in dem die französische Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) (Cour de cassation, Plenum, 7. Januar 2011, Nr. 09-14.316 09-14.667, veröffentlicht im Bulletin des arrêts de la Cour de cassation) entschieden hat, dass heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen in einem Verfahren zur Feststellung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht in Frankreich nicht als Beweis verwendet werden dürfen.

76      Zudem gibt es im Unionsrecht keine Vorschrift, die es ausdrücklich verbietet, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens unrechtmäßig, etwa unter Verstoß gegen Grundrechte, erlangte Beweise zu verwerten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2008, Franchet und Byk/Kommission, T‑48/05, EU:T:2008:257, Rn. 75), und aus der vorstehend in den Rn. 42 bis 55 angeführten Rechtsprechung geht allgemein hervor, dass es entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen keinen Grundsatz gibt, dem zufolge unrechtmäßig erlangte Beweise im Rahmen einer Untersuchung oder eines gerichtlichen Verfahrens nicht verwendet werden dürfen.

77      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung durch die Kommission in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten durch das Unionsrecht geregelt wird. Insoweit ergibt sich aus der vorstehend in den Rn. 42 bis 47 angeführten Rechtsprechung, dass trotz des Vorrangs der freien Beweiswürdigung die Grundrechte und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu berücksichtigen sind.

78      In diesem Rahmen trifft es zwar zu, dass der Unionsrichter sich auch am Recht der Mitgliedstaaten orientieren kann. Daraus folgt jedoch nicht, dass er das Recht des Mitgliedstaats mit den strengsten Vorschriften über das Beweisverfahren anzuwenden hätte, zumal die in der EMRK verankerten Garantien als Bestandteil sowohl der nationalen Rechtsordnungen als auch des Unionsrechts gelten.

79      Wenn sich nämlich zu einer Rechtsfrage in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Union keine überwiegende Tendenz feststellen lässt, ist die einheitliche Auslegung und Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in der Union unerlässlich, damit die Nachprüfungen der Kommission in Kartellverfahren unter Bedingungen stattfinden können, die die Gleichbehandlung der betreffenden Unternehmen gewährleisten. Wäre dem nicht so, würde durch die Anwendung von Normen oder Grundsätzen des nationalen Rechts, die zu den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gehören, die einheitliche Geltung des Unionsrechts beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission, C‑550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 69 bis 76).

80      Jedenfalls ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, dass das niederländische Recht, sofern es für anwendbar zu halten wäre, die Verwendung solcher Mitschnitte verböte.

81      Die Klägerinnen machen insbesondere geltend, aus zwei Urteilen, die die Rechtbank Rotterdam (Gericht Rotterdam) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nederlandse Autoriteit Consument en Markt (niederländische Markt- und Verbraucherschutzbehörde, im Folgenden: ACM) und Privatunternehmen erlassen habe, könne abgeleitet werden, dass heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen durch einen Konkurrenten nach niederländischem Recht als Beweismittel ausgeschlossen seien (Rechtbank Rotterdam, 13. Juni 2013, NL:RBROT:2013:CA3079, und Rechtbank Rotterdam, 11. Juli 2013, NL:RBROT:2013:5042).

82      Wie die Kommission zutreffend ausführt, handelt es sich im vorliegenden Fall jedoch um von ihr mit rechtmäßigen Mitteln entdeckte, von einem Unternehmen heimlich mitgeschnittene Telefongespräche sowie um deren Verwendung im Rahmen ihrer Untersuchung, während es in den Urteilen der Rechtbank Rotterdam um die Weiterleitung vom Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft, Niederlande) mitgeschnittener Telefongespräche an die ACM ging.

83      Ferner ist darauf hinzuweisen, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, dass die beiden Urteile der Rechtbank Rotterdam durch zwei Urteile des College van Beroep vom 9. Juli 2015 (College van Beroep voor het bedrijfsleven, 9. Juli 2015, NL:CBB:2015:192, und College van Beroep voor het bedrijfsleven, 9. Juli 2015, NL:CBB:2015:193) aufgehoben wurden. Im Gegensatz zur Rechtbank Rotterdam, die die Geldbußen mit der Begründung aufgehoben hatte, es sei nicht erwiesen, aus welchen Gründen diese Mitschnitte an die ACM weitergegeben worden seien, hielt das College van Beroep die ACM für befugt, die Informationen, die sich aus den von der Staatsanwaltschaft im Kontext einer strafrechtlichen Ermittlung rechtmäßig angefertigten Mitschnitten ergaben, zu verwenden.

84      Das College van Beroep hat insbesondere ausgeführt, die der ACM zur Verfügung gestellten Mitschnitte könnten als in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erlangte Informationen angesehen werden, und es gebe keine Rechtsgrundlage, von der Staatsanwaltschaft eine vorherige Überprüfung zu verlangen, bevor Informationen, die von einem Gericht geprüft werden könnten, der ACM zur Verfügung gestellt würden. Das College van Beroep hat klargestellt, dass einzige Voraussetzung für die Weiterleitung der Mitschnitte die Notwendigkeit gewesen sei, sie aus wesentlichen Gründen des Allgemeininteresses weiterzuleiten. Nach seiner Auffassung verfolgt das Kartellverbot ein wesentliches, im Allgemeininteresse liegendes Ziel, weil es das wirtschaftliche Wohl des Landes im Auge hat. Schließlich hat das College van Beroep auch ausgeführt, dass die ACM derartige Informationen nicht auf andere oder weniger beeinträchtigende Weise habe erlangen können.

85      Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission keinen Rechtsverstoß begangen hat, indem sie die umstrittenen Telefonmitschnitte zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV verwendete.

86      Das Gleiche muss auch für die Notizen zu den genannten Mitschnitten gelten, deren Zulässigkeit die Klägerinnen ebenfalls in Frage stellen. Insoweit machen die Klägerinnen nämlich nur geltend, ihr Vorbringen in Bezug auf die Verwendung der Mitschnitte gelte für diese Vermerke entsprechend.

87      Unter diesen Umständen ist dieses Vorbringen aus den vorstehend in den Rn. 42 bis 85 dargelegten Erwägungen ebenfalls zurückzuweisen. Hingegen wird das Vorbringen der Klägerinnen zur Glaubhaftigkeit dieser Notizen nachstehend in den Rn. 88 ff. behandelt werden.

 Glaubhaftigkeit der Notizen zu den Telefongesprächen und Beachtung der diesbezüglichen Beweislast durch die Kommission

88      In den Erwägungsgründen 312 bis 334 des angefochtenen Beschlusses führt die Kommission in Beantwortung des Vorbringens der Klägerinnen im Verwaltungsverfahren, mit dem diese die Glaubhaftigkeit der Notizen zu den Telefongesprächen in Frage gestellt hatten, im Wesentlichen aus, da die Originalmitschnitte zur Verfügung gestanden hätten, habe sie die Notizen anhand dieser Mitschnitte sorgfältig geprüft. Sie gibt an, auch berücksichtigt zu haben, dass die Notizen nicht notwendigerweise exakte Niederschriften der Telefongespräche gewesen seien und ihr Verfasser manchmal persönliche Anmerkungen hinzugefügt oder Passagen, die ihm nicht wichtig genug erschienen seien, weggelassen habe. Sie gibt ferner an, die Notizen objektiv und vernünftig interpretiert und diese Interpretation im Licht der anderen in der Akte vorhandenen Beweise überprüft zu haben.

89      Die Klägerinnen erheben im Wesentlichen fünf Rügen, um die Glaubhaftigkeit der Notizen zu den Telefongesprächen in Frage zu stellen. Erstens handele es sich bei den Notizen zu diesen Telefongesprächen um subjektive Interpretationen. Zweitens seien das Datum und die Liste der Teilnehmer dieser Gespräche nicht klar. Drittens habe die Kommission Fehler bei der Beweislastverteilung begangen. Viertens hätte die Kommission den Inhalt der Gespräche überprüfen müssen, indem sie Auskunftsverlangen an die Gesprächspartner der Person richtete, die diese Gespräche mitgeschnitten habe, nämlich des Herrn K., und fünftens sei das gegen Heiploeg eingeleitete Verfahren hinfällig, wenn die Tonaufzeichnungen und die Notizen als Beweismittel ausgeschlossen werden müssten.

90      Insoweit geht aus Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie aus ständiger Rechtsprechung hervor, dass die Kommission im Bereich des Wettbewerbsrechts bei Streitigkeiten über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen. Hierzu muss sie hinreichend aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringen, um nachzuweisen, dass die behauptete Zuwiderhandlung stattgefunden hat (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Stützt sich die Kommission im Rahmen der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV auf schriftliche Beweismittel, haben die betroffenen Unternehmen nicht nur eine plausible Alternative zur Auffassung der Kommission darzutun, sondern müssen außerdem aufzeigen, dass die in dem angefochtenen Beschluss angeführten Beweise für den Nachweis der Zuwiderhandlung nicht genügen. Wenn sich die Kommission auf direkte Beweise stützt, müssen die betroffenen Unternehmen dartun, dass diese Beweise nicht genügen. Es ist bereits entschieden worden, dass eine solche Umkehr der Beweislast nicht gegen die Unschuldsvermutung verstößt (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92      Jedoch braucht nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendigerweise hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung zu genügen. Es reicht aus, dass das von der Kommission angeführte Indizienbündel bei seiner Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

93      Die Indizien, die die Kommission in ihrem Beschluss anführt, um einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beweisen, sind nämlich nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94      Ferner ist zu berücksichtigen, dass wettbewerbswidrige Tätigkeiten heimlich ablaufen und deshalb in den meisten Fällen das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden muss, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95      So ist vorstehend in Rn. 42 darauf hingewiesen worden, dass das allein maßgebliche Kriterium für die Beurteilung der von einer Partei beigebrachten Beweise deren Glaubhaftigkeit ist. Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen hängt die Glaubhaftigkeit eines Schriftstücks und damit sein Beweiswert von seiner Herkunft, den Umständen seiner Entstehung, seinem Adressaten und davon ab, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und verlässlich wirkt. Große Bedeutung kommt insbesondere dem Umstand zu, dass ein Schriftstück in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorgängen oder von einem unmittelbaren Zeugen dieser Vorgänge erstellt wurde. Zudem wird durch die bloße Tatsache, dass eine Information von Unternehmen geliefert wurde, die Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006 gestellt haben, der Beweiswert dieser Information nicht in Frage gestellt (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

96      Nach ständiger Rechtsprechung ist es der Kommission durch keine Bestimmung und keinen allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz verboten, gegen ein Unternehmen die Erklärungen anderer beschuldigter Unternehmen zu verwenden. Andernfalls wäre die der Kommission obliegende Beweislast für Verhaltensweisen, die den Art. 101 und 102 AEUV zuwiderlaufen, nicht tragbar und mit der ihr durch den AEU-Vertrag übertragenen Aufgabe, die richtige Anwendung dieser Bestimmungen zu überwachen, nicht zu vereinbaren (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

97      Ein gewisses Misstrauen gegenüber den freiwilligen Angaben der Hauptbeteiligten an einem rechtswidrigen Kartell ist verständlich, da diese Beteiligten die Bedeutung ihres eigenen Tatbeitrags als so klein wie möglich und den der anderen als so groß wie möglich darstellen könnten. Angesichts der inneren Logik des in der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006 vorgesehenen Verfahrens begründet jedoch das Antragsbegehren, durch deren Anwendung eine Ermäßigung der Geldbuße zu erwirken, nicht zwangsläufig einen Anreiz zur Vorlage verfälschter Beweise gegen die übrigen Beteiligten an dem beanstandeten Kartell. Denn jeder Versuch einer Irreführung der Kommission könnte die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit der Kooperation des Antragstellers in Frage stellen und damit die Möglichkeit gefährden, dass er in den vollen Genuss der genannten Mitteilung gelangt (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Insbesondere kann daraus, dass eine Person zugibt, dass sie eine Zuwiderhandlung verwirklichte, und damit Tatsachen einräumt, die über die den fraglichen Unterlagen unmittelbar zu entnehmenden Tatsachen hinausgehen, a priori, sofern keine bestimmten Anhaltspunkte für das Gegenteil bestehen, der Schluss gezogen werden, dass sich der Betreffende dazu entschlossen hat, die Wahrheit zu sagen. So sind Erklärungen, die den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen, grundsätzlich als besonders verlässliche Beweise anzusehen (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

99      Erklärungen, die im Rahmen von Anträgen auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006 von den betreffenden Unternehmen abgegeben wurden, sind jedoch mit Vorsicht zu beurteilen und können im Allgemeinen nicht als besonders verlässliche Beweise angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweismittel bestätigt werden (Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 49).

100    Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich eine Erklärung, die ein der Beteiligung an einem Kartell beschuldigtes Unternehmen abgibt und deren Richtigkeit von mehreren anderen beschuldigten Unternehmen bestritten wird, nicht als hinreichender Beweis für die Begehung einer Zuwiderhandlung durch diese anderen Unternehmen angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweise untermauert wird (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Coats Holdings/Kommission, T‑439/07, EU:T:2012:320, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

101    In Anbetracht der vorstehend in den Rn. 90 bis 100 dargestellten Rechtsprechung ist zu prüfen, ob die Kommission in dem angefochtenen Beschluss die Notizen zu den Tonaufzeichnungen zu Recht als hinreichend glaubhafte Beweise verwertet hat.

102    Im vorliegenden Fall wird in den Erwägungsgründen 31 bis 39 des angefochtenen Beschlusses angegeben, dass die Kommission zur Durchführung ihrer Untersuchung Nachprüfungen in den Räumen der betroffenen Unternehmen sowie in privaten Räumlichkeiten vorgenommen hat. Bei diesen Nachprüfungen hat die Kommission u. a. Tonaufzeichnungen von Telefongesprächen zwischen Heiploeg und Kok Seafood sowie Notizen zu diesen Aufzeichnungen vorgefunden, die Kok Seafood ohne Wissen von Heiploeg angefertigt hatte (vgl. Erwägungsgründe 262, 266 und 268 des angefochtenen Beschlusses). Wie vorstehend in Rn. 58 ausgeführt, haben die Klägerinnen die Rechtmäßigkeit dieser Nachprüfung nicht in Frage gestellt.

103    Zur ersten Rüge, der zufolge es sich bei den Vermerken um subjektive Auslegungen handelt, genügt der Hinweis, dass das allein maßgebliche Kriterium für die Beurteilung der von einer Partei von sich aus vorgelegten Beweise deren Glaubhaftigkeit ist (siehe oben, Rn. 42).

104    Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission anerkennt, dass die Notizen nicht notwendigerweise eine exakte Transkription der Telefongespräche darstellen und einige Mitschnitte vernichtet wurden (vgl. 315. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), was sie im Übrigen bei ihrer Analyse ebenso berücksichtigt hat wie den Umstand, dass der Verfasser der Notiz manchmal persönliche Anmerkungen hinzugefügt hat (vgl. u. a. Erwägungsgründe 321, 322, 324 und 325 des angefochtenen Beschlusses).

105    Außerdem hat die Kommission die Notizen anhand der Tonaufzeichnungen analysiert, soweit diese verfügbar waren, und sich ihre Interpretation dieser Notizen von Kok Seafood bestätigen lassen (vgl. u. a. Erwägungsgründe 138, 182 und 325 des angefochtenen Beschlusses).

106    Die Klägerinnen werfen der Kommission ferner vor, den Zusatz „mit Klaas Puul“ nicht berücksichtigt zu haben, den Herr K. den im 206. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Notizen beigefügt habe und der den Sinn der gefallenen Äußerungen verändere. Diesem Argument kann nicht gefolgt werden, weil die Beifügung eines solchen Zusatzes am Beweiswert dieser Notizen nichts ändert. Unabhängig von diesem Zusatz belegen die fraglichen Notizen nämlich, dass zwischen Heiploeg und Klaas Puul Kontakte bestanden, um sich über eine Erhöhung der Verkaufspreise abzustimmen, wie die Kommission in den Erwägungsgründen 207 und 208 des angefochtenen Beschlusses zu Recht festgestellt hat.

107    Die Klägerinnen führen auch keine überzeugenden Gesichtspunkte an, die dartun könnten, dass dieser Zusatz den fraglichen Notizen eine andere Bedeutung verleihe. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass diese Notizen mit anderen Unterlagen in der Akte, wie den Erklärungen und Belegen von Klaas Puul, übereinstimmen (vgl. 333. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

108    Daher ist die erste Rüge der Klägerinnen zurückzuweisen.

109    Zur zweiten Rüge, das Datum und die Liste der Teilnehmer an diesen Gesprächen seien nicht hinreichend klar, ist festzustellen, dass die Klägerinnen kein einziges konkretes Beispiel nennen, um diese Behauptung zu untermauern. Das einzige von ihnen angeführte Beispiel ist die im 206. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnte Beifügung des Zusatzes „mit Klaas Puul“. Wie bereits oben in Rn. 106 festgestellt, bestätigt der in diesem Erwägungsgrund zitierte Auszug aus den Notizen, dass zwischen Heiploeg und Klaas Puul Kontakte bestanden, die dazu dienten, ihre Strategie für die Verkaufspreise zu koordinieren.

110    Entgegen der Behauptung der Klägerinnen lassen sich den oben genannten Notizen jedenfalls die Identität der dort aufgeführten Gesprächsteilnehmer und der Zeitpunkt dieser Gespräche entnehmen, wie dies u. a. in den Erwägungsgründen 96 und 207 des angefochtenen Beschlusses zu Recht ausgeführt wird.

111    Nach alledem ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

112    Zur dritten Rüge, mit der ein von der Kommission begangener Fehler bei der Beweislastverteilung geltend gemacht wird, ist darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung in einem Fall, in dem sich die Kommission auf Beweismittel stützt, die grundsätzlich genügen, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung darzutun, nicht ausreicht, wenn das betroffene Unternehmen auf die Möglichkeit des Eintritts eines Umstands hinweist, der den Beweiswert dieser Beweismittel erschüttern könnte. Vielmehr muss das betroffene Unternehmen – es sei denn, dies wäre ihm wegen des eigenen Verhaltens der Kommission nicht möglich – rechtlich hinreichend nachweisen, dass zum einen der von ihm angeführte Umstand vorliegt und zum anderen dieser Umstand den Beweiswert der Beweise, auf die sich die Kommission stützt, in Frage stellt (vgl. Urteil vom 6. Februar 2014, AC‑Treuhand/Kommission, T‑27/10, EU:T:2014:59, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

113    Um die tatsächlichen Umstände der den Klägerinnen zur Last gelegten Zuwiderhandlung festzustellen, hat die Kommission sich auf schriftliche Beweise gestützt, die unmittelbar von den Unternehmen stammen, die von dem angefochtenen Beschluss betroffen sind.

114    Die Kommission weist daher zu Recht darauf hin, dass in einem Fall, in dem sie sich auf unmittelbare Beweise stützt, das betroffene Unternehmen nicht bloß eine plausible Alternative zur Darstellung der Kommission aufzuzeigen, sondern auch darzutun hat, dass die für den Nachweis der Zuwiderhandlung angeführten Beweise nicht genügen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. Februar 2014, AC‑Treuhand/Kommission, T‑27/10, EU:T:2014:59, Rn. 63 und 64 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Jedenfalls ist festzustellen, dass, wie die Kommission in den Erwägungsgründen 334 und 342 des angefochtenen Beschlusses ausführt, die Klägerinnen nur vage Einwände gegen die Beweismittel als solche vorgebracht haben, ohne die sich daraus ergebenden Feststellungen der Kommission in Frage zu stellen. Zudem haben sie weder eine plausible Alternative zu diesen Feststellungen vorgetragen noch dargetan, dass die Beweise zum Nachweis der Zuwiderhandlung nicht ausgereicht hätten.

116    Daher ist die dritte Rüge zurückzuweisen.

117    Zur vierten Rüge, die darauf gestützt wird, dass die Kommission den Inhalt der Gespräche hätte überprüfen müssen, indem sie Auskunftsverlangen an die Teilnehmer an diesen Gesprächen richtete, ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass alle betroffenen Unternehmen, darunter auch Heiploeg und Kok Seafood, Gelegenheit hatten, die Interpretationen der Kommission zu überprüfen und alternative Interpretationen vorzutragen.

118    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in den Erwägungsgründen 37 und 38 des angefochtenen Beschlusses erwähnt wird, dass alle Adressaten dieses Beschlusses eine DVD mit den Dokumenten der Akte der Kommission erhalten haben und Heiploeg sogar weitere Dokumente in den Räumen der Kommission eingesehen hat. Alle Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte haben im Übrigen schriftliche Stellungnahmen eingereicht und sind in einer mündlichen Anhörung vom 7. Februar 2013 gehört worden.

119    Außerdem hatte Heiploeg im Verwaltungsverfahren Zugang zu den betreffenden Notizen und Tonaufzeichnungen, wie daraus hervorgeht, dass der Verfahrensbevollmächtigte von Heiploeg Kopien der verschiedenen Tonaufzeichnungen erbeten und erhalten hat.

120    Obwohl ein Teil der Mitschnitte vernichtet worden war (vgl. 315. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), hatten die Klägerinnen ausgiebig Gelegenheit, die Übereinstimmung der Notizen mit den Mitschnitten zu prüfen, haben aber zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, insoweit auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Jedenfalls kann der Umstand, dass die Kommission keine Auskunftsverlangen an die Teilnehmer der Telefongespräche gerichtet hat, die Glaubhaftigkeit der bei Kok Seafood vorgefundenen Notizen nicht beeinträchtigen.

121    Daher kann auch die vierte Rüge keinen Erfolg haben.

122    Mit der fünften Rüge machen die Klägerinnen geltend, das gegen Heiploeg eingeleitete sei Verfahren hinfällig, wenn die Tonaufzeichnungen und die zugehörigen Notizen als Beweismittel ausgeschlossen wären, weil dann als einzige Beweismittel die Kronzeugenerklärungen von Klaas Puul verblieben.

123    Wie sich aus der vorstehend in Rn. 96 angeführten Rechtsprechung ergibt, ist es der Kommission durch keine Bestimmung und keinen allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz verboten, gegen ein Unternehmen die Erklärungen anderer beschuldigter Unternehmen zu verwenden. Andernfalls wäre die der Kommission obliegende Beweislast für Verhaltensweisen, die den Art. 101 und 102 AEUV zuwiderlaufen, nicht tragbar und mit der ihr durch den Vertrag übertragenen Aufgabe, die richtige Anwendung dieser Bestimmungen zu überwachen, nicht zu vereinbaren.

124    Nach Auffassung der Klägerinnen kann die Erklärung eines der Beteiligung an einem Kartell beschuldigten Unternehmens nicht als hinreichender Beweis für eine von ihnen begangene Zuwiderhandlung angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweismittel untermauert wird.

125    Aus der vorstehend in Rn. 100 angeführten Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass die Richtigkeit der Erklärung eines der Beteiligung an einem Kartell beschuldigten Unternehmens von mehreren anderen beschuldigten Unternehmen bestritten werden muss, um Zweifel am Beweiswert dieser Erklärung zu wecken. Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass die Klägerinnen sich nur gegen die Verwertung der Erklärungen von Klaas Puul wenden, ohne Gesichtspunkte vorzubringen, die die Richtigkeit der sich aus ihnen ergebenden tatsächlichen Feststellungen in Frage stellen. Darüber hinaus bestreitet kein anderes an dem Kartell beteiligtes Unternehmen die Richtigkeit dieser Erklärungen (vgl. Erwägungsgründe 300 bis 311 des angefochtenen Beschlusses).

126    Ferner gehen die Klägerinnen zu Unrecht davon aus, dass, wenn die Tonaufzeichnungen und die zugehörigen Notizen nicht berücksichtigt würden, allein die Kronzeugenerklärungen von Klaas Puul als Beweismittel übrig blieben. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Beschluss sich – wie vorstehend in den Rn. 17 und 66 bereits ausgeführt – auch auf andere Beweismittel stützt, deren Relevanz für den vorliegenden Rechtsstreit die Klägerinnen nicht in Abrede stellen, nämlich u. a. auf das übrige Material der Nachprüfung, auf die Antwort von Stührk auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und auf die schriftlichen Beweisstücke, die Klaas Puul zur Stützung ihrer Erklärungen vorgelegt hat (vgl. Erwägungsgründe 55 bis 224 des angefochtenen Beschlusses).

127    Wie sich aus der vorstehend in Rn. 93 angeführten Rechtsprechung ergibt und die Kommission zu Recht anmerkt, sind die Indizien, die diese in einem Beschluss anführt, um einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beweisen, nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

128    Daher vermag auch die fünfte Rüge nicht durchzugreifen.

129    Nach alledem ist festzustellen, dass nicht dargetan ist, dass die Kommission gegen Art. 101 AEUV oder gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen hat, indem sie im vorliegenden Fall die streitigen Mitschnitte der Telefongespräche oder die zugehörigen Notizen verwertete.

130    Daher sind der erste und der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

 Dritter Klagegrund: Die Kommission habe es zu Unrecht abgelehnt, die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen

131    Im Rahmen dieses Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe mehrere Fehler tatsächlicher und rechtlicher Art begangen, indem sie ihren auf das Fehlen ihrer Leistungsfähigkeit gestützten Antrag auf Ermäßigung der Geldbuße zurückgewiesen habe. Sie berufen sich darauf, dass erstens die Zahlung der Geldbuße ihre Überlebensfähigkeit gefährden würde, zweitens die Zahlung der Geldbuße ihre Aktiva eines erheblichen Teils ihres Wertes berauben würde und drittens im vorliegenden Fall ein ganz besonderes soziales und ökonomisches Umfeld gegeben sei.

132    Ziff. 35 der Leitlinien, in der die Folgen geregelt sind, die die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, das wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV mit einer Sanktion belegt wird, für die Berechnung der ihm aufzuerlegenden Geldbuße haben kann, lautet:

„Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kommission auf Antrag die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen. Die Kommission wird jedoch keine Ermäßigung wegen der bloßen Tatsache einer nachteiligen oder defizitären Finanzlage gewähren. Eine Ermäßigung ist nur möglich, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass die Verhängung einer Geldbuße gemäß diesen Leitlinien die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.“

133    Nach ständiger Rechtsprechung beschränkt die Kommission dadurch, dass sie Verhaltensnormen wie die Leitlinien erlässt und durch ihre Veröffentlichung ankündigt, dass sie sie von nun an auf die von diesen Normen erfassten Fälle anwenden werde, die Ausübung ihres Ermessens und kann von diesen Normen nicht abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde (Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 211, und vom 12. Dezember 2012, Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 40).

134    Zunächst ist festzustellen, dass eine Ermäßigung der Geldbuße nach Ziff. 35 der Leitlinien nur unter außergewöhnlichen Umständen und unter den in dieser Ziffer definierten Voraussetzungen gewährt werden kann. So muss zum einen nachgewiesen werden, dass die verhängte Geldbuße „die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [dessen] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“. Zum anderen muss die Existenz eines „gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld[s]“ nachgewiesen werden. Außerdem ist zu bedenken, dass diese beiden Voraussetzungen zuvor von den Gerichten der Union aufgestellt worden waren.

135    Zur ersten Reihe von Voraussetzungen ist entschieden worden, dass die Kommission grundsätzlich nicht verpflichtet ist, bei der Bemessung der wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln aufzuerlegenden Geldbuße die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 327, und vom 12. Dezember 2012, Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 94).

136    Die bloße Feststellung, dass sich das betreffende Unternehmen in einer ungünstigen oder defizitären finanziellen Situation befindet, reicht daher nicht aus, um einen Antrag zu begründen, der darauf abzielt, von der Kommission zu erreichen, dass sie das Fehlen der Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens im Wege einer Ermäßigung der Geldbuße berücksichtigt.

137    Im Übrigen verbietet das Unionsrecht nach ständiger Rechtsprechung nicht schlechthin eine Maßnahme einer Unionsbehörde, die zur Insolvenz oder zur Auflösung eines Unternehmens führt. Ein solches Vorgehen kann zwar die finanziellen Interessen der Eigentümer oder Aktionäre beeinträchtigen, bedeutet aber nicht, dass auch die durch das Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel ihren Wert verlören (Urteile vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, EU:T:2004:118, Rn. 372, sowie Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 50).

138    Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Kommission durch Ziff. 35 der Leitlinien zu etwas verpflichtet hat, was dieser Rechtsprechung zuwiderlaufen würde. Dies wird dadurch belegt, dass diese Ziffer nicht auf die Insolvenz eines Unternehmens Bezug nimmt, sondern eine Situation „in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld“ betrifft, in der die Verhängung einer Geldbuße „die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“ (Urteil vom 12. Dezember 2012, Novácke chemické závody/Kommission, T‑352/09, EU:T:2012:673, Rn. 188).

139    Für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien reicht folglich die bloße Tatsache, dass die Verhängung einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln die Insolvenz des betreffenden Unternehmens herbeiführen könnte, nicht aus. Die Auflösung einer Gesellschaft bedeutet nämlich nicht notwendigerweise den Untergang des fraglichen Unternehmens. Dieses kann als solches fortbestehen, entweder durch eine Rekapitalisierung des Unternehmens oder durch eine umfassende Übernahme seines Vermögens durch eine andere Einheit. Eine solche Übernahme kann entweder durch einen freiwilligen Erwerb oder durch eine Zwangsveräußerung der Vermögenswerte des Unternehmens unter Fortführung des Betriebs erfolgen (Urteil vom 12. Dezember 2012, Novácke chemické závody/Kommission, T‑352/09, EU:T:2012:673, Rn. 189).

140    Somit ist die in Ziff. 35 der Leitlinien aufgeführte Voraussetzung, dass die Aktiva des betreffenden Unternehmens jeglichen Wertes beraubt werden, so zu verstehen, dass sie die Situation betrifft, in der die Übernahme des Unternehmens unter den vorstehend in Rn. 139 genannten Bedingungen unwahrscheinlich oder sogar unmöglich erscheint. In diesem Fall werden die Vermögenswerte des Unternehmens einzeln zum Verkauf angeboten, und es ist wahrscheinlich, dass viele von ihnen gar keinen Käufer finden oder bestenfalls nur zu einem erheblich geringeren Preis verkauft werden (Urteil vom 12. Dezember 2012, Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 98).

141    Mit der zweiten, die Existenz eines gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Umfelds betreffenden Reihe von Voraussetzungen wird nach der Rechtsprechung auf die Folgen abgestellt, die die Zahlung der Geldbuße u. a. in Form einer Zunahme der Arbeitslosigkeit oder einer Beeinträchtigung der dem betreffenden Unternehmen vor- und nachgelagerten Wirtschaftssektoren haben könnte (Urteile vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, C‑308/04 P, EU:C:2006:433, Rn. 106, und vom 12. Dezember 2012, Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 99).

142    Wenn die vorstehend genannten kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind, liefe die Auferlegung einer Geldbuße, die den Untergang eines Unternehmens herbeiführen könnte, also dem mit Ziff. 35 der Leitlinien verfolgten Ziel zuwider. Die Anwendung dieser Ziffer auf die betreffenden Unternehmen stellt mithin eine konkrete Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2012, Ecka Granulate und non ferrum Metallpulver/Kommission, T‑400/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:675, Rn. 100).

143    Schließlich fällt die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der mit einer Sanktion belegten Unternehmen, wie die Kommission im Rahmen der Verfahren vor dem Gericht mehrmals geltend gemacht hat, unter die in Art. 261 AEUV und in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, weil die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien das letzte Element darstellt, das bei der Festsetzung der Höhe der wegen Verstößen gegen die für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen berücksichtigt wird.

144    Hinsichtlich der Tragweite dieser Befugnis ist darauf hinzuweisen, dass sie eine Modalität der Durchführung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes darstellt, eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 47 der Charta der Grundrechte zum Ausdruck kommt und im Unionsrecht Art. 6 EMRK entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 51, vom 6. November 2012, Otis u. a., C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 47, und vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 36).

145    Nach der Rechtsprechung schließt die Beachtung von Art. 6 EMRK nämlich nicht aus, dass in einem Verfahren verwaltungsrechtlicher Natur eine „Strafe“ zunächst von einer Verwaltungsbehörde verhängt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, die selbst nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK genügt, anschließend der Kontrolle durch ein Rechtsprechungsorgan mit Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung unterliegt. Zu den Merkmalen eines solchen Rechtsprechungsorgans gehört die Befugnis, die ergangene Entscheidung in allen Punkten, tatsächlichen wie rechtlichen, abzuändern. Dieses Organ muss insbesondere befugt sein, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen (Urteil vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 35).

146    Im Übrigen verstößt das Fehlen einer Verpflichtung, die gesamte angefochtene Entscheidung von Amts wegen zu prüfen, nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Für die Wahrung dieses Grundsatzes ist es nicht unerlässlich, dass das Gericht, das jedenfalls die geltend gemachten Klagegründe prüfen und sowohl in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornehmen muss, verpflichtet ist, den gesamten Vorgang von Amts wegen erneut zu prüfen (Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 66).

147    Abgesehen von den Gesichtspunkten zwingenden Rechts, die er von Amts wegen zu prüfen und gegebenenfalls aufzuwerfen hat, hat der Unionsrichter seine Kontrolle daher auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgetragenen Gesichtspunkte vorzunehmen und kann hinsichtlich ihrer Bewertung nicht auf den Ermessensspielraum der Kommission verweisen, um auf eine gründliche rechtliche wie tatsächliche Kontrolle zu verzichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 62).

148    Schließlich hat der für die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zuständige Richter vorbehaltlich der Prüfung der ihm von den Parteien unterbreiteten Gesichtspunkte grundsätzlich auf die rechtliche und tatsächliche Situation zum Zeitpunkt seiner Entscheidung abzustellen, wenn er es für angebracht hält, von seiner Abänderungsbefugnis Gebrauch zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. März 1974, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Rn. 51 und 52, vom 14. Juli 1995, CB/Kommission, T‑275/94, EU:T:1995:141, Rn. 61, und vom 5. Oktober 2011, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06, EU:T:2011:560, Rn. 282 bis 285).

149    Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss sind im Licht dieser Rechtsprechung sowie im Hinblick auf das Vorbringen der Parteien vor dem Gericht und die von den Klägerinnen nach der mündlichen Verhandlung vorgelegten Informationen zu beurteilen.

150    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Erwägungsgründen 562 bis 566 des angefochtenen Beschlusses den auf fehlende Leistungsfähigkeit gestützten Antrag der Klägerinnen auf Ermäßigung der Geldbuße im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass erstens eine Ermäßigung der Geldbuße die Gefahr einer Insolvenz nicht vermindert hätte und zweitens die Klägerinnen nicht dargetan hätten, dass ihre Aktiva nach einer möglichen Insolvenz nicht mehr in der Industrie verwendet würden und der Wertverlust ihrer Aktiva folglich erheblich wäre. Die Kommission hielt es für wahrscheinlich, dass Heiploeg, oder zumindest eine gewisse Zahl von Unternehmen der Heiploeg-Gruppe, übernommen werde und ihre Tätigkeit „as a going concern“ fortführe. Sie war der Auffassung, dass die Aktiva von Heiploeg selbst im Falle ihrer Einzelveräußerung jedenfalls an ein Konkurrenzunternehmen oder an einen Neueinsteiger im Sektor verkauft und weiterhin in der Industrie verwendet würden.

151    Als Erstes treten die Klägerinnen dem Vorbringen der Kommission entgegen, ihre finanzielle Situation sei bereits so schlecht gewesen, dass eine Insolvenz auch ohne eine Geldbuße möglich gewesen sei. Die Klägerinnen berufen sich auf eine aktualisierte Version eines von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstatteten Sachverständigengutachtens vom 24. Oktober 2012 (im Folgenden: Gutachten P), das der Kommission im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden war.

152    Hierzu ist festzustellen, dass aus dem Gutachten P hervorgeht, dass sich die Klägerinnen bereits vor der Verhängung der Geldbuße durch die Kommission in einer besonders schwierigen finanziellen Lage befunden hatten, die sie an den Rand der Insolvenz gebracht hatte.

153    Das Gutachten P gibt an, dass die finanzielle Umstrukturierung, die im Juni 2012 stattgefunden habe, den Klägerinnen kaum ausreichende finanzielle Mittel verschafft habe, um unter bestimmten Voraussetzungen die laufenden Geschäfte weiterzuführen.

154    Außerdem besagt dieses Gutachten, dass das Verhältnis zwischen den Verbindlichkeiten und dem Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibung und Amortisation (EBITDA), nach dem sich die Fähigkeit des Unternehmens bemisst, seine Schulden zurückzuzahlen, besonders hoch war (16,2 im Jahr 2011) und dass dieses EBITDA in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahrs 2012/2013 weit unter den Voraussagen lag (0,7 statt 3,9 Mio. Euro).

155    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Gutachten P entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht aufzeigt, dass diese der Insolvenz entgangen wären, wenn ihnen die Geldbuße nicht auferlegt worden wäre.

156    Wie die Klägerinnen geltend machen, erhöhte die Verhängung einer Geldbuße zwar die Insolvenzgefahr. Zum einen ist jedoch festzustellen, wie vorstehend in Rn. 137 ausgeführt, dass eine von einer Unionsbehörde getroffene Maßnahme, die zur Insolvenz oder zur Auflösung eines bestimmten Unternehmens führt, als solche unionsrechtlich nicht verboten ist.

157    Zum anderen genügt für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien nicht der Nachweis, dass das betreffende Unternehmen im Fall der Verhängung einer Geldbuße für insolvent erklärt würde. Nach dem Wortlaut dieser Ziffer muss „eindeutig nachgewiesen [werden], dass die Verhängung einer Geldbuße … die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [seine] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“, was bei einer Insolvenz der das fragliche Unternehmen betreibenden Gesellschaften nicht automatisch der Fall ist (siehe oben, Rn. 138).

158    Folglich war die Kommission zu Recht der Ansicht, dass eine Ermäßigung der Geldbuße die Insolvenzgefahr nicht vermindern würde.

159    Zweitens rechtfertigt auch das Vorbringen der Klägerinnen, dass die Zahlung der Geldbuße zu einem erheblichen Wertverlust der Aktiva des Unternehmens führen würde, es nicht, die Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Hinblick auf eine Ermäßigung der gegen sie verhängten Geldbuße zu berücksichtigen.

160    Hierzu ist festzustellen, dass der Buchwert von Heiploeg, der sich nach dem Gutachten P auf 178 Mio. Euro belief, zum 31. März 2012 berechnet worden war, d. h. fast zwei Jahre vor der Insolvenz des Unternehmens, die Ende Januar 2014 eintrat. Daher kann angesichts der finanziellen Schwierigkeiten von Heiploeg nicht ausgeschlossen werden, dass ihr Buchwert zu Beginn des Jahres 2014, als sie insolvent wurde, geringer gewesen wäre.

161    Wie die Klägerinnen geltend machen, trifft es zwar zu, dass das Gutachten P zu dem Ergebnis gelangt war, dass sich der Wert der Aktiva des Unternehmens im Fall der Insolvenz um 50 % verringern werde, und dass sich aus den Informationen, die sie nach der mündlichen Verhandlung vorgelegt haben, ein Gesamterlös aus dem Verkauf der diversen Aktiva von Heiploeg nach deren Insolvenz von weniger als 70 Mio. Euro ergab.

162    Sowohl aus dem Bericht der Insolvenzverwalter als auch aus den nach der mündlichen Verhandlung von den Klägerinnen vorgelegten Informationen geht jedoch hervor, dass ein erheblicher Teil der betroffenen Aktiva, wie u. a. der Verarbeitungsstandort Zoutkamp (Niederlande), von Käufern übernommen wurde, die den Betrieb des Unternehmens im Sektor der Verarbeitung von Nordseegarnelen und des Handels mit ihnen fortführen.

163    Die Liquidation von Heiploeg bedeutete daher nicht ihren Untergang. Sie blieb vielmehr als solche bestehen, weil ihr Betrieb von anderen Unternehmen fortgeführt wurde.

164    Unter diesen Umständen sind die Aktiva des betroffenen Unternehmens durch die Verhängung der Geldbuße nicht im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien jeglichen Werts beraubt worden.

165    Drittens ist zum Vorbringen der Klägerinnen, sie seien in einem besonderen sozialen und ökonomischen Umfeld tätig gewesen, die Feststellung angebracht, dass der angefochtene Beschluss insoweit keine Analyse enthält.

166    Da die Kommission jedoch, wie vorstehend in den Rn. 150 bis 164 ausgeführt, zu Recht der Auffassung war, dass die erste Reihe kumulativer Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit nicht erfüllt war, hat sie keinen Fehler begangen, indem sie eine Untersuchung der zweiten Reihe von Voraussetzungen für entbehrlich hielt.

167    Auch wenn es zutrifft, dass das Gutachten P als Folge einer Insolvenz von Heiploeg den Verlust von Arbeitsplätzen und somit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der gesamten Provinz Groningen (Niederlande) voraussagte, bleibt jedenfalls festzuhalten, dass sich in Wirklichkeit aus dem Insolvenzbericht der Verwalter ergab, dass die Übernahme der Tätigkeiten von Heiploeg durch ein anderes Unternehmen – unter Beibehaltung des Unternehmenssitzes und des Verarbeitungsstandorts Zoutkamp – es ermöglichte, die Beschäftigung in der Region und die Absatzmöglichkeiten für rund 200 Garnelenfischer weitgehend zu erhalten.

168    Nach alledem ist festzustellen, dass die Klägerinnen nicht bewiesen haben, dass die Voraussetzungen für eine ihnen zu gewährende Ermäßigung der Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien erfüllt waren. Folglich ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

169    Aus alledem folgt, dass die Klage insgesamt zurückzuweisen ist, da insbesondere keiner der Klagegründe, den die Klägerinnen zur Stützung ihrer Anträge auf Nichtigerklärung bzw. Abänderung vorgebracht haben, begründet ist.

 Kosten

170    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Goldfish BV, die Heiploeg BV, die Heiploeg Beheer BV und die Heiploeg Holding BV tragen die Kosten.

Berardis

Czúcz

Popescu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. September 2016.

Inhaltsverzeichnis


Vorgeschichte des Rechtsstreits

Angefochtener Beschluss

Verfahren und Anträge der Beteiligten

Rechtliche Würdigung

Erster und zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 101 AEUV und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, den die Kommission durch Verwendung heimlicher Tonaufnahmen bzw. von Notizen zu solchen Tonaufzeichnungen begangen habe

Rechtmäßigkeit der Verwendung heimlicher Telefonmitschnitte und zugehöriger Notizen zum Beweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV

Glaubhaftigkeit der Notizen zu den Telefongesprächen und Beachtung der diesbezüglichen Beweislast durch die Kommission

Dritter Klagegrund: Die Kommission habe es zu Unrecht abgelehnt, die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen

Kosten


* Verfahrenssprache: Niederländisch.