Language of document : ECLI:EU:T:2004:223

Rechtssache T-334/01

MFE Marienfelde GmbH

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Ältere Wortmarke HIPPOVIT – Anmeldung des Wortzeichens HIPOVITON als Gemeinschaftsmarke – Ernsthafte Benutzung der älteren Marke – Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Anspruch auf rechtliches Gehör“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter – Befugnisse des Gerichts – Abänderung einer Entscheidung des Amtes – Umfang – Aufhebung einer Entscheidung der Widerspruchsabteilung

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 62 Absatz 1 und 63 Absatz 3)

2.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Ernsthafte Benutzung – Begriff – Auslegung unter Berücksichtigung des Normzwecks des Artikels 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 43 Absätze 2 und 3)

3.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Ernsthafte Benutzung – Begriff – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 43 Absätze 2 und 3)

4.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Ernsthafte Benutzung – Anwendung der Kriterien auf den konkreten Fall

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 43 Absätze 2 und 3)

5.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Vom Amt gesetzte Frist – Vorlegung zusätzlicher Beweismittel nach Ablauf der Frist, aber im Hinblick auf neu zutage getretene Gesichtspunkte – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 2868/95 der Kommission, Artikel 1 Regel 22 Absatz 1)

6.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter – Befugnis des Gerichts zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung – Grenzen

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 63 Absatz 3)

1.      Im Rahmen einer Klage gegen die Entscheidung einer Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) in Bezug auf ein Widerspruchsverfahren kann das Gericht auch über den Antrag auf Aufhebung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung entscheiden.

Da sich nämlich aus Artikel 62 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke ergibt, dass die Beschwerdekammer die Entscheidung der Dienststelle des Amtes, die zuerst entschieden hat, aufheben kann, gehört eine solche Aufhebung zu den Maßnahmen, die das Gericht aufgrund seiner Änderungsbefugnis nach Artikel 63 Absatz 3 dieser Verordnung treffen kann.

(vgl. Randnr. 19)

2.      Bei der Auslegung des Begriffes der ernsthaften Benutzung der Gemeinschaftsmarke im Sinne von Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 ist zu berücksichtigen, dass der Normzweck des Erfordernisses, dass die ältere Marke ernsthaft benutzt worden sein muss, um einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung entgegengehalten werden zu können, darin besteht, Markenkonflikte zu begrenzen, soweit kein berechtigter wirtschaftlicher Grund vorliegt, der einer tatsächlichen Funktion der Marke auf dem Markt entspringt. Dagegen zielt diese Bestimmung weder auf eine Bewertung des kommerziellen Erfolges noch auf eine Überprüfung der Geschäftsstrategie eines Unternehmens oder darauf ab, den Markenschutz nur umfangreichen Verwertungen von Marken vorzubehalten.

(vgl. Randnr. 32)

3.      Eine Gemeinschaftsmarke wird ernsthaft benutzt im Sinne von Artikel 43 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen. Mit der Bedingung einer ernsthaften Benutzung der Marke wird deswegen verlangt, dass die Marke so, wie sie in dem fraglichen Gebiet geschützt ist, öffentlich und nach außen benutzt wird.

Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu prüfen, die die tatsächliche geschäftliche Verwertung der Marke belegen können; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu halten oder hinzuzugewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke.

Bezüglich des Umfangs der Benutzung der älteren Marke sind insbesondere das Handelsvolumen aller Benutzungshandlungen sowie die Länge des Zeitraums, in dem Benutzungshandlungen erfolgt sind, und die Häufigkeit dieser Handlungen zu berücksichtigen.

(vgl. Randnrn. 33-35)

4.      Bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung einer älteren Marke im konkreten Fall ist eine umfassende Beurteilung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren vorzunehmen. Diese Beurteilung impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den zu berücksichtigenden Faktoren. So kann ein geringes Volumen von unter der Marke vertriebenen Waren durch eine große Häufigkeit oder zeitliche Konstanz der Benutzungshandlungen dieser Marke ausgeglichen werden und umgekehrt. Außerdem können der erzielte Umsatz und die Zahl der unter der älteren Marke verkauften Waren nicht absolut beurteilt werden, sondern müssen im Zusammenhang mit anderen relevanten Faktoren wie dem Umfang der Geschäftstätigkeit, den Produktions- oder Vertriebskapazitäten oder dem Grad der Diversifizierung des Unternehmens, das die Marke verwertet, sowie den charakteristischen Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen auf dem betreffenden Markt gesehen werden. Daher braucht die Benutzung der älteren Marke nicht immer umfangreich zu sein, um als ernsthaft eingestuft zu werden.

Je begrenzter jedoch das Handelsvolumen der Markenverwertung ist, desto größer ist die Notwendigkeit, dass der Widerspruchsführer ergänzende Angaben liefert, die etwaige Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Benutzung der betreffenden Marke ausräumen können.

(vgl. Randnrn. 36-37)

5.      Regel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2868/95 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, wonach der Nachweis der Benutzung der älteren Marke innerhalb der dem Widersprechenden vom Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) gesetzten Frist zu erbringen ist und der Widerspruch zurückgewiesen wird, wenn die Beweismittel nicht fristgemäß vorgelegt werden, kann nicht dahin ausgelegt werden, dass diese Vorschrift der Berücksichtigung zusätzlicher Beweismittel im Hinblick auf neu zutage getretene Gesichtspunkte entgegenstünde, und zwar auch dann nicht, wenn die Beweismittel nach Ablauf dieser Frist vorgelegt werden.

(vgl. Randnr. 56)

6.      Die in Artikel 63 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94 vorgesehene Möglichkeit für das Gericht, die Entscheidung einer Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) abzuändern, ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die Sache entscheidungsreif ist. Dies setzt voraus, dass das Gericht anhand der ihm vorgelegten Beweismittel die Entscheidung treffen kann, die die Beschwerdekammer nach den vorliegend anwendbaren Vorschriften zu treffen hatte. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Beschwerdekammer selbst über den Widerspruch hätte entscheiden oder die Sache an die Widerspruchsabteilung hätte zurückverweisen können.

(vgl. Randnrn. 62-63)