Language of document : ECLI:EU:C:2021:207

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

17. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 288 AEUV – Richtlinie 2001/82/EG – Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel – Art. 58, 59 und 61 – Pflichtangaben auf äußeren Umhüllungen, Primärverpackungen und Packungsbeilagen von Tierarzneimitteln – Pflicht, die Angaben in allen Amtssprachen des Mitgliedstaats des Inverkehrbringens abzufassen – Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die Angaben nur in der einen oder in der anderen Amtssprache des Mitgliedstaats abzufassen sind – Nationales Gericht, das mit einer Klage auf die Feststellung befasst ist, dass der Mitgliedstaat die Richtlinie 2001/82/EG nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und die zuständigen Behörden die nationalen Rechtsvorschriften ändern müssen“

In der Rechtssache C‑64/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Ard-Chúirt (Hoher Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 20. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 2020, in dem Verfahren

UH

gegen

An tAire Talmhaíochta, Bia agus Mara,

Éire,

An tArd-Aighne

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des UH, vertreten durch D. Mac Cárthaigh, abhcóide, und M. S. Ó Tuathail, abhcóide sinsir,

–        Irlands, vertreten durch M. Browne, M. Teahan und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Ó hOisín, abhcóide sinsir, und T. O’Malley, abhcóide,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cunniffe, L. Haasbeek und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2021

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 288 AEUV sowie von Art. 58 Abs. 4, Art. 59 Abs. 3 und Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 1) in der durch die Richtlinie 2004/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 58) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/82).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den UH gegen den Aire Talmhaíochta, Bia agus Mara (Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und maritime Angelegenheiten, Irland), Éire (Irland) und den Ard-Aighne (Generalstaatsanwalt, Irland) führt. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Vereinbarkeit irischer Rechtsvorschriften über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Tierarzneimitteln mit den in der Richtlinie 2001/82 festgelegten sprachlichen Anforderungen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2001/82

3        Titel V („Etikettierung und Packungsbeilage“) der Richtlinie 2001/82 enthält u. a. ihre Art. 58, 59 und 61.

4        Art. 58 Abs. 1 und 4 der Richtlinie lautet:

„(1)      Außer bei den in Artikel 17 Absatz 1 genannten Arzneimitteln müssen die Primärverpackungen und die äußeren Umhüllungen von Tierarzneimitteln von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Die Verpackungen müssen folgende Angaben in lesbarer Schrift aufweisen, die den Angaben und Unterlagen nach den Artikeln 12 bis 13d sowie der Zusammenfassung der Merkmale des Tierarzneimittels entsprechen:

a)      Name des Arzneimittels, gefolgt von der Stärke und der Darreichungsform. Der gebräuchliche Name muss aufgeführt werden, wenn das Arzneimittel nur einen einzigen Wirkstoff enthält und sein Name ein Phantasiename ist;

b)      qualitative und quantitative Zusammensetzung der Wirkstoffe je Einheit oder je nach Darreichungsform für ein bestimmtes Volumen oder Gewicht unter Verwendung des gebräuchlichen Namens;

c)      Chargennummer;

d)      die Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen;

e)      Name oder Firma und Anschrift oder Firmensitz des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen und gegebenenfalls des von ihm benannten Vertreters;

f)      die Tierarten, für die das Tierarzneimittel bestimmt ist; Art und erforderlichenfalls Weg der Verabreichung. Es ist Raum für die Angabe der verschriebenen Dosierung vorzusehen;

g)      die Angabe der Wartezeit bei Tierarzneimitteln, die zur Nahrungsmittelerzeugung genutzten Tierarten verabreicht werden; für alle betroffenen Tierarten und für sämtliche betroffenen Lebensmittel (Fleisch und Innereien, Eier, Milch, Honig), einschließlich jener, für die keine Wartezeit besteht;

h)      die Angabe des Verfalldatums in gut verständlicher Weise;

i)      gegebenenfalls besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Aufbewahrung;

j)      gegebenenfalls besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Beseitigung nicht verwendeter Tierarzneimittel oder des Abfalls von Tierarzneimitteln sowie einen Hinweis auf bestehende geeignete Sammelsysteme;

k)      gegebenenfalls die aufgrund von Artikel 26 Absatz 1 vorgeschriebenen Angaben;

l)      den Vermerk ‚ad us. vet.‘ oder – bei in Artikel 67 genannten Arzneimitteln – den Vermerk ‚ad us. vet. – nur auf tierärztliche Verschreibung abzugeben‘.

(4)      Die Angaben nach Absatz 1 Buchstaben f) bis l) müssen auf der äußeren Umhüllung und auf dem Behältnis in der Sprache oder den Sprachen des Landes abgefasst sein, in dem die Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden.“

5        Art. 59 der Richtlinie 2001/82 bestimmt:

„(1)      Bei Ampullen sind die in Artikel 58 Absatz 1 genannten Angaben auf der äußeren Umhüllung aufzuführen. Auf der Primärverpackung hingegen sind lediglich folgende Angaben erforderlich:

–        Bezeichnung des Tierarzneimittels,

–        Menge der Wirkstoffe,

–        Art der Anwendung,

–        Chargennummer,

–        Verfalldatum,

–        Vermerk ‚ad us. vet.‘.

(2)      Für andere kleine Primärverpackungen als Ampullen, die nur eine Einzeldosis enthalten und auf denen die in Absatz 1 genannten Angaben nicht aufgeführt werden können, gelten die Bestimmungen des Artikels 58 Absätze 1, 2 und 3 nur für die äußere Umhüllung.

(3)      Die Angaben nach Absatz 1 dritter und sechster Gedankenstrich müssen auf der äußeren Umhüllung und auf der Primärverpackung in der Sprache oder den Sprachen des Landes abgefasst sein, in dem die Tierarzneimittel in den Verkehr gebracht werden.“

6        Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Der Packung eines Tierarzneimittels ist eine Packungsbeilage beizufügen, wenn nicht alle nach diesem Artikel erforderlichen Angaben auf der Primärverpackung und der äußeren Umhüllung aufgeführt werden können. Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die auf der Packungsbeilage für ein Tierarzneimittel stehenden Angaben sich nur auf das betreffende Arzneimittel beziehen. Die Packungsbeilage muss in einer für die breite Öffentlichkeit leicht verständlichen Sprache und in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abgefasst sein, in dem das Tierarzneimittel in den Verkehr gebracht wird.“

7        Die Informationen, die in dieser Packungsbeilage enthalten sein müssen, sind in Art. 61 Abs. 2 Buchst. a bis i der Richtlinie aufgeführt.

 Verordnung (EU) 2019/6

8        In den Erwägungsgründen 52, 53 und 96 der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG (ABl. 2019, L 4, S. 43) heißt es:

„(52)      Um die Verwaltungslast zu verringern und die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln in den Mitgliedstaaten zu optimieren, sollten vereinfachte Regeln für die Gestaltung der Verpackung und Kennzeichnung festgelegt werden. Die schriftlichen Informationen sollten kürzer ausfallen … Es sollte darauf geachtet werden, dass diese Regeln die Gesundheit von Mensch oder Tier oder den Umweltschutz nicht gefährden.

(53)      Die Mitgliedstaaten sollten zudem die Sprache des Textes wählen können, der in der Fachinformation, auf der Kennzeichnung und in der Packungsbeilage der in ihrem Hoheitsgebiet zugelassenen Tierarzneimittel verwendet wird.

(96)      Unter Berücksichtigung der wesentlichen Änderungen, die an den geltenden Bestimmungen vorgenommen werden sollten und mit Blick auf das Ziel, das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern, ist eine Verordnung das geeignete Rechtsinstrument, um die Richtlinie 2001/82/EG zu ersetzen und klare, ausführliche und direkt anwendbare Bestimmungen zu erhalten. Außerdem gewährleistet eine Verordnung, dass rechtliche Bestimmungen in der gesamten Union gleichzeitig und in harmonisierter Weise durchgeführt werden.“

9        Art. 7 („Sprachenregelung“) der Verordnung bestimmt:

„(1)      Die Sprache(n) der Fachinformation sowie der Angaben auf der Etikettierung und der Packungsbeilage ist bzw. sind, sofern der Mitgliedstaat nichts anderes bestimmt, eine Amtssprache oder mehrere Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dem das Tierarzneimittel auf dem Markt bereitgestellt wird.

(2)      Ein Tierarzneimittel kann in mehreren Sprachen gekennzeichnet werden.“

10      Art. 149 Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Die Richtlinie 2001/82/EG wird aufgehoben.“

11      Art. 160 („Inkrafttreten und Anwendung“) der Verordnung sieht vor:

„Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Sie gilt ab dem 28. Januar 2022.“

 Irisches Recht

12      Die Richtlinie 2001/82 wurde durch die Rialacháin na gComhphobal Eorpach (Leigheasanna Ainmhithe) 2007 (I. R. Uimh 144 von 2007) (Verordnung von 2007 der Europäischen Gemeinschaften [Tierarzneimittel] [S. I. Nr. 144/2007]) und nach Aufhebung dieser Verordnung durch die Rialacháin na gComhphobal Eorpach (Leigheasanna Ainmhithe) (Uimh. 2) 2007 (I. R. Uimh. 786 von 2007) (Verordnung von 2007 der Europäischen Gemeinschaften [Tierarzneimittel] [Nr. 2] [S. I. Nr. 786/2007]) umgesetzt.

13      Die letztgenannte Verordnung bestimmt, dass die Pflichtangaben auf äußeren Umhüllungen, Primärverpackungen und Packungsbeilagen von Tierarzneimitteln „in englischer oder in irischer Sprache verfasst werden“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist irischer Staatsangehöriger und irischer Muttersprachler, der aus der Gaeltacht von Galway (Region Galway, Irland) stammt. Er spricht zu Hause und bei der Arbeit Irisch. Er erledigt seine gesamten offiziellen Angelegenheiten in irischer Sprache, soweit dies möglich ist. Er hat einen Hund und benötigt daher Tierarzneimittel. Er rügt, dass die den Tierarzneimitteln beigefügten Angaben ausschließlich in englischer Sprache und nicht, wie die Richtlinie 2001/82 vorschreibe, in den beiden Amtssprachen Irlands, nämlich den Sprachen Irisch und Englisch, verfasst seien.

15      Nach einem Schriftwechsel zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens beantragte der Kläger des Ausgangsverfahrens am 14. November 2016 beim Ard-Chúirt (Hoher Gerichtshof, Irland) die Zulassung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs („judicial review“) betreffend die fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 2001/82 durch das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und maritime Angelegenheiten im Hinblick auf die in der Richtlinie festgelegten sprachlichen Anforderungen. Diese Zulassung wurde ihm erteilt, und die Sache wurde am 24. und 25. Juli 2018 vor dem vorlegenden Gericht verhandelt.

16      Der Kläger des Ausgangsverfahrens beantragte beim vorlegenden Gericht insbesondere, festzustellen, dass die Richtlinie 2001/82 nicht ordnungsgemäß in irisches Recht umgesetzt worden sei und dass Irland verpflichtet sei, seine nationalen Rechtsvorschriften dahin gehend zu ändern, dass die von dieser Richtlinie erfassten Angaben für Tierarzneimittel, die in Irland auf den Markt gebracht werden, in den beiden Amtssprachen Irlands, d. h. sowohl in irischer Sprache als auch in englischer Sprache, abgefasst werden. Die beiden Sprachfassungen müssten die gleiche Schriftart haben, wobei der Fassung in irischer Sprache klar der Vorrang einzuräumen sei, da sie die Landessprache und die erste Amtssprache sei.

17      Das vorlegende Gericht erkannte am 26. Juli 2019 die Klagebefugnis des Klägers des Ausgangsverfahrens mit der Begründung an, dass die sprachbezogenen Bestimmungen der Richtlinie 2001/82 klar, genau und unbedingt seien. Die nationalen Rechtsvorschriften stünden mit diesen Bestimmungen nicht im Einklang. Ab dem 28. Januar 2022, nach Art. 160 der Verordnung 2019/6 der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens, könnten jedoch die Pflichtangaben auf äußeren Umhüllungen, inneren Verpackungen und Packungsbeilagen von Tierarzneimitteln in irischer Sprache oder in englischer Sprache verfasst werden. Das vorlegende Gericht fragte sich daher, ob es trotz des vorliegenden Verstoßes gegen das Unionsrecht über ein Ermessen verfügt, das es ihm zweckmäßigerweise ermöglicht, den Klageanträgen nicht stattzugeben, wie es auch ein nationales Gericht bei einem Verstoß gegen nationales Recht dürfe, und forderte die Parteien des Ausgangsverfahrens auf, dazu Stellung zu nehmen.

18      Der Kläger des Ausgangsverfahrens machte geltend, dass es bei einem Verstoß gegen das Unionsrecht ein solches Ermessen nicht geben könne, und zwar wegen der Grundsätze der unmittelbaren Wirkung und des Vorrangs des Unionsrechts, wegen des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und wegen der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.

19      Der Aire Talmhaíochta, Bia agus Mara, Éire (Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Seeangelegenheiten, Irland), Éire (Irland) und der Ard-Aighne (Generalstaatsanwalt, Irland), die Beklagten des Ausgangsverfahrens, trugen ihrerseits vor, dass das angerufene Gericht selbst dann, wenn ein Kläger die Entscheidung einer Behörde im Wege einer gerichtlichen Kontrolle erfolgreich anfechte, über das Ermessen verfüge, die vom Kläger begehrte Abhilfe wegen bestimmter Umstände – wie etwa, dass die Maßnahmen nicht nützlich sind oder Dritte schädigen – zu verweigern.

20      Im vorliegenden Fall sei der Vorteil, den der Kläger des Ausgangsverfahrens aus einem Urteil nach Klageantrag erlangen könnte, aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung 2019/6 ab dem 28. Januar 2022 jedoch sehr begrenzt. Zudem könnte ein solches Urteil die Lieferanten und Händler von Tierarzneimitteln dazu veranlassen, sich angesichts der Zwänge, die sich aus der Pflicht zur Erstellung der Angaben in irischer Sprache und in englischer Sprache ergäben, aus dem irischen Markt zurückzuziehen, was für die Tiergesundheit sowie für die wirtschaftliche und soziale Lage schwerwiegende Folgen hätte.

21      In Anbetracht dieses Vorbringens möchte das vorlegende Gericht überprüfen, ob eine Verweigerung der vom Kläger des Ausgangsverfahrens begehrten Abhilfe nicht gegen das Unionsrecht verstieße.

22      Unter diesen Umständen hat der Ard-Chúirt (Hoher Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Steht es im Ermessen eines nationalen Gerichts, obwohl es festgestellt hat, dass ein besonderer Aspekt einer Richtlinie der Europäischen Union nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist, Abhilfe zu verweigern, und, wenn ja, welche sachdienlichen Umstände sind im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, und/oder kann das nationale Gericht dabei die Umstände berücksichtigen, die es im Fall eines Verstoßes gegen nationales Recht berücksichtigen würde?

2.      Verstößt es gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der unmittelbaren Wirkung, wenn das nationale Gericht in dieser Rechtssache, obwohl es festgestellt hat, dass die Verpflichtung nach Art. 61 Abs. 1, Art. 58 Abs. 4 und Art. 59 Abs. 3 der Richtlinie 2001/82, wonach die Verpackung und Etikettierung von Tierarzneimitteln in den Amtssprachen des Mitgliedstaats, in Irland also sowohl in irischer Sprache als auch in englischer Sprache, erfolgen muss, nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist, im Hinblick auf das Inkrafttreten von Art. 7 der Verordnung 2019/6 (deren Geltungsbeginn auf den 28. Januar 2022 aufgeschoben ist) Abhilfe verweigert?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

23      In ihren schriftlichen Erklärungen stellen Irland und die polnische Regierung die Zulässigkeit der Vorlagefragen in Frage.

24      Irland trägt zum einen vor, es habe die im Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmungen der Richtlinie 2001/82 ordnungsgemäß umgesetzt. Deren Wortlaut sei nicht eindeutig, so dass seine Entscheidung, sie so umzusetzen, dass die Verwendung nur einer seiner Amtssprachen zulässig sei, in sein Ermessen falle.

25      Zum anderen folge aus dem ausdrücklichen Zweck der Richtlinie, dass es sich bei den aus ihr ergebenden Rechten nicht um sprachliche oder kulturelle Rechte handele, sondern vielmehr um Rechte, die den Zugang zu Informationen über Tierarzneimittel beträfen. Ein Verstoß gegen solche Rechte läge nur dann vor, wenn ein Verbraucher im Besitz einer Verpackung oder Etikettierung wäre, die er nicht vollständig verstehen könne. Der Kläger des Ausgangsverfahrens habe jedoch nicht behauptet, Verpackungen oder Etikettierungen gegenübergestanden zu haben, die er nicht vollständig verstehe.

26      Die polnische Regierung macht geltend, dass das Unionsrecht die nationalen Gerichte nicht verpflichte, Abhilfe in der Weise zu schaffen, dass die nationalen zuständigen Behörden verpflichtet würden, das nationale Recht zu ändern, damit es mit dem Unionsrecht übereinstimme. Jedenfalls könne die Klage im Ausgangsverfahren keinen Erfolg haben. Selbst wenn sich das Recht, die Tierarzneimitteln beigefügten Informationen in irischer Sprache zur Verfügung zu haben, aus unbedingten und hinreichend genauen Bestimmungen der Richtlinie 2001/82 ergäbe, würde es sich seiner Art nach nicht um ein Recht handeln, das gegenüber den irischen Behörden geltend gemacht werden könnte. Die Verpflichtung, diese Produkte in irischer Sprache zu etikettieren, gelte für private Einrichtungen, nämlich die Hersteller und Händler dieser Produkte, gegenüber denen sich der Kläger nicht auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen könne.

27      Wie der Generalanwalt in Nr. 26 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beziehen sich die von Irland und der polnischen Regierung vorgebrachten Argumente auf die Begründetheit der Klage im Ausgangsverfahren. Diese Gesichtspunkte, die die Begründetheit einer Klage betreffen, können jedoch die Zulässigkeit der vorgelegten Fragen keinesfalls berühren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 111).

28      Des Weiteren besteht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat (Urteil vom 2. Februar 2021, Consob, C‑481/19, EU:C:2021:84, Rn. 29). Diese Vermutung wird nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger im Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens, mit dem das nationale Gericht befasst ist, schließlich unterliegt, insbesondere, wenn vom Gerichtshof eine bestimmte Auslegung des Unionsrechts vorgenommen wird.

29      Nach alledem sind die Vorlagefragen zulässig.

 Zur Beantwortung der Frage

30      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 288 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen eines hierfür im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahrens feststellt, dass der Mitgliedstaat, dem es angehört, seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 2001/82 nicht nachgekommen ist, eine gerichtliche Feststellung, dass der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und zur Abhilfe verpflichtet ist, mit der Begründung verweigert, dass seiner Ansicht nach die nationalen Rechtsvorschriften mit der Verordnung 2019/6, die diese Richtlinie aufhebt und am 28. Januar 2022 in Kraft tritt, vereinbar sind.

31      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das darin vorgesehene Ziel zu erreichen, und die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 288 AEUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegt (Urteile vom 19. April 2016, DI, C‑441/14, EU:C:2016:278, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 4. Oktober 2018, Link Logistik N&N, C‑384/17, EU:C:2018:810, Rn. 57, sowie vom 13. Dezember 2018, Hein, C‑385/17, EU:C:2018:1018, Rn. 49).

32      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das irische Recht dem Einzelnen ermöglicht, eine gerichtliche Feststellung zu erwirken, dass Irland eine Unionsrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und zu ihrer Umsetzung verpflichtet ist, wobei den nationalen Gerichten die Möglichkeit belassen wird, eine solche Feststellung aus den im irischen Recht festgelegten Gründen abzulehnen.

33      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, sobald es eine nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie 2001/82 festgestellt hat, alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen treffen muss, die geeignet sind, sicherzustellen, dass das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel erreicht wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C‑72/95, EU:C:1996:404, Rn. 55).

34      Der Umstand, dass die irischen Rechtsvorschriften schon jetzt mit der ab dem 28. Januar 2022 geltenden Verordnung 2019/6 vereinbar sind, ändert nichts daran, dass sie mit dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Unionsrecht unvereinbar sind, und er kann eine solche Unvereinbarkeit erst recht nicht rechtfertigen.

35      Die Bestimmungen der Richtlinie 2001/82 bleiben nämlich bis zu ihrer Aufhebung durch die Verordnung verbindlich, solange sie nicht vom Gerichtshof für ungültig erklärt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1979, Granaria, 101/78, EU:C:1979:38, Rn. 5, sowie vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 64).

36      Denn nur der Gerichtshof kann in Ausnahmefällen und aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine vorübergehende Aussetzung der Wirkung herbeiführen, die eine unionsrechtliche Vorschrift gegenüber mit ihr unvereinbarem nationalem Recht ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement, C‑379/15, EU:C:2016:603, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung)

37      Unter diesen Umständen steht Art. 288 AEUV dem entgegen, dass ein nationales Gericht die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, dem es angehört, zur Umsetzung der Richtlinie außer Acht lässt, da diese Umsetzung deswegen unverhältnismäßig sein soll, weil sie aufgrund des bevorstehenden Inkrafttretens einer Verordnung, die diese Richtlinie ersetzen soll und mit der das Recht des Mitgliedstaats vollständig vereinbar ist, sich als kostspielig oder unnötig erweisen könnte.

38      Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht, das die Unvereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 2001/82 festgestellt hat, gemäß Art. 288 AEUV verpflichtet ist, dem Antrag auf die Feststellung, dass Irland verpflichtet ist, der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie abzuhelfen, stattzugeben.

39      Nach alledem ist Art. 288 AEUV dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen eines hierfür im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahrens feststellt, dass der Mitgliedstaat, dem es angehört, seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 2001/82 nicht nachgekommen ist, eine gerichtliche Feststellung, dass der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und zur Abhilfe verpflichtet ist, mit der Begründung verweigert, dass seiner Ansicht nach die nationalen Rechtsvorschriften mit der Verordnung 2019/6, die diese Richtlinie aufhebt und am 28. Januar 2022 in Kraft tritt, vereinbar sind.

 Kosten

40      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 288 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen eines hierfür im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahrens feststellt, dass der Mitgliedstaat, dem es angehört, seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung nicht nachgekommen ist, eine gerichtliche Feststellung, dass der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat und zur Abhilfe verpflichtet ist, mit der Begründung verweigert, dass seiner Ansicht nach die nationalen Rechtsvorschriften mit der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG, die diese Richtlinie aufhebt und am 28. Januar 2022 in Kraft tritt, vereinbar sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Irisch.