Language of document : ECLI:EU:T:2024:332

Rechtssache T360/21

(auszugsweise Veröffentlichung)

Portigon AG

gegen

Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB)
und
Europäisches Parlament
und
Rat der Europäischen Union
und
Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Achte erweiterte Kammer) vom 29. Mai 2024

„Wirtschafts- und Währungsunion – Bankenunion – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Einheitlicher Abwicklungsfonds (SRF) – Beschluss des SRB über die Berechnung der für 2021 im Voraus erhobenen Beiträge – Einrede der Rechtswidrigkeit – Rechtsgrundlage der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 – Art. 114 AEUV – Gleichbehandlung – Ermessen der Kommission – Ermessen des SRB – Begründungspflicht“

1.      Rechtsangleichung – Maßnahmen zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts im Finanzbereich – Regelung zur Angleichung der Abwicklungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Institute in der Bankenunion – Verordnung Nr. 806/2014 – Richtlinie 2014/59 – Ermächtigung des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) zur Festsetzung der im Voraus erhobenen Beiträge und zur Verwaltung der Finanzmittel des einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Rechtsgrundlage – Art. 114 AEUV

(Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgründe 1 bis 4, 9, 12, 19 und 107, Art. 67 und 76; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgründe 3 bis 5, 9, 10, 103, 104 und 108, Art. 100 und 101)

(vgl. Rn. 41, 42, 48, 53-57)

2.      Wirtschafts- und Währungsunion – Wirtschaftspolitik – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Natur – Keine steuerliche Natur – Auf dem Versicherungsgedanken basierende Logik zur Sicherstellung der Stabilität der gesamten Finanzbranche – Finanzierung durch die gesamte Finanzbranche – Beiträge, die unmittelbar nur zur Finanzierung der Ausgaben der Branche verwendet werden und für ihr Funktionieren erforderlich sind – Rechtsgrundlage – Art. 114 Abs. 2 AEUV

(Art. 114 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 67 Abs. 2 und 4, Art. 69 und 79; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgründe 3, 5, 103, 105 bis 107, Art. 32, 101 bis 103)

(vgl. Rn. 61-66, 68-76)

3.      Organe der Europäischen Union – Ausübung der Zuständigkeiten – Der Kommission übertragene Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte – Umfang – Komplexe Beurteilungen und Prüfungen – Weites Ermessen – Richtlinie 2014/59 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – Festlegung der Kriterien für die Anpassung der im Voraus erhobenen Beiträge – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

(Art. 290 AEUV; Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, 41. Erwägungsgrund; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates)

(vgl. Rn. 106, 108, 113, 114)

4.      Wirtschafts- und Währungsunion – Wirtschaftspolitik – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB) – Zuständigkeit – Bestimmung zusätzlicher Risikoindikatoren und subindikatoren durch den SRB zur Anpassung der Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) entsprechend dem Risikoprofil der Kreditinstitute – Angebliche Übertragung einer Befugnis durch die Kommission an den SRB – Fehlen – Weites Ermessen des SRB

(Art. 290 Abs. 1 AEUV; Verordnung 2015/63 der Kommission, Art. 6 Abs. 1 Buchst. d)

(vgl. Rn. 141, 144, 148, 152, 156-160)

5.      Wirtschafts- und Währungsunion – Wirtschaftspolitik – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Ausschluss bestimmter, angeblich risikofreier Verbindlichkeiten von der Berechnung dieser Beiträge – Ausschluss von Treuhandverbindlichkeiten eines Kreditinstituts von dieser Berechnung – Unzulässigkeit

(Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 70 Abs. 2; Verordnung 2015/63 der Kommission, Art. 5 Abs. 1 Buchst. e; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 103 Abs. 2 und 7)

(vgl. Rn. 223, 224, 411, 412)

6.      Wirtschafts- und Währungsunion – Wirtschaftspolitik – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen – Im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Berücksichtigung von Treuhandverbindlichkeiten eines Kreditinstituts bei der Berechnung dieser Beiträge – Grundsatz des Ausweises dieser Verbindlichkeiten in der Bilanz des betroffenen Instituts – Möglichkeit der Abweichung für Mitgliedstaaten, indem sie den Instituten erlauben, diese Verbindlichkeiten unter dem Strich auszuweisen – Wettbewerbsverzerrungen aufgrund dieser Rechnungslegungsunterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften – Fehlen

(Art. 114 AEUV; Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 103 Abs. 2; Richtlinie 86/635 des Rates, Art. 10 Abs. 1)

(vgl. Rn. 229-232, 237-239)

7.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Erläuterungen des Urhebers zu den Gründen des Rechtsakts im Verfahren vor dem Unionsgericht – Voraussetzungen – Widerspruchsfreiheit und Gebot der Kohärenz zwischen den Gründen und den Erläuterungen dazu

(Art. 296 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 265, 266)

8.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) zur Festlegung der im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Pflicht des SRB, den betroffenen Instituten die Methode zur Berechnung dieser Beiträge und die Methode zur Bestimmung der jährlichen Zielausstattung mitzuteilen

(Art. 296 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates; Verordnung 2015/81 des Rates, Art. 4; Verordnung 2015/63 der Kommission, Art. 4 bis 9; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates)

(vgl. Rn. 268, 269)

9.      Wirtschafts- und Währungsunion – Wirtschaftspolitik – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen – Im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Kreditinstitut in Reorganisation – Erhöhung des Anpassungsmultiplikators für diese Beiträge entsprechend dem Risikoprofil des betroffenen Instituts – Voraussetzung – Außerordentliche finanzielle Unterstützung dieses Instituts aus öffentlichen Mitteln – Staatliche Beihilfe, die dem betroffenen Institut vor Inkrafttreten der Unionsregelung gewährt wurde – Einbeziehung

(Art. 107 Abs. 1 AEUV; Verordnung 2015/63 der Kommission, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 8 Buchst. a; Richtlinie 2014/59 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 1 Nr. 28 und Art. 103 Abs. 7 Buchst. e)

(vgl. Rn. 442, 443, 445, 446, 457)

Zusammenfassung

Das mit einer Nichtigkeitsklage befasste Gericht gibt dieser Klage statt und erklärt den Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) über die Festsetzung der für 2021 im Voraus erhobenen Beiträge(1) zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) für nichtig, weil dieser hinsichtlich der Bestimmung der jährlichen Zielausstattung gegen die Begründungspflicht verstößt. Im Übrigen äußert sich das Gericht zur Vereinbarkeit der Verordnung Nr. 806/2014(2) gemeinsam mit – zum ersten Mal – jener der Richtlinie 2014/59(3) mit Art. 114 Abs. 1 und 2 AEUV und präzisiert dabei insbesondere den Ausdruck „Bestimmungen über die Steuern“ im Hinblick auf die Merkmale von im Voraus erhobenen Beiträgen. Das Gericht nimmt außerdem Klarstellungen sowohl zur Zuständigkeit des SRB bei der Bestimmung von Risikoindikatoren und Subrisikoindikatoren betreffend den Anpassungsmultiplikator der im Voraus erhobenen Beiträge entsprechend dem Risikoprofil von Kreditinstituten vor, indem es zwischen der Befugnis der Europäischen Kommission gemäß Art. 290 AEUV und der Einräumung eines Ermessensspielraums an den SRB unterscheidet, als auch zur Berücksichtigung einer vor Inkrafttreten der Richtlinie 2014/59 gewährten öffentlichen finanziellen Unterstützung bei der Berechnung dieses Multiplikators.

Portigon ist ein in Deutschland niedergelassenes Kreditinstitut. Am 14. April 2021 erließ der SRB den angefochtenen Beschluss, mit dem er die für das Jahr 2021 im Voraus erhobenen Beiträge von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen, darunter die Klägerin, zum SRF festlegte(4).

Würdigung durch das Gericht

Was als Erstes die vom Gericht zurückgewiesenen Einreden der Rechtswidrigkeit von Bestimmungen der Verordnung Nr. 806/2014 und der Richtlinie 2014/59 im Hinblick auf die Verträge betrifft, rügte die Klägerin insbesondere die Rechtsgrundlage, nämlich Art. 114 AEUV, auf deren Grundlage die streitgegenständlichen Bestimmungen erlassen wurden, sowie die Entscheidung, Abs. 1 dieses Artikels anzuwenden, obwohl die im Voraus erhobenen Beiträge steuerlicher Natur seien und daher unter Abs. 2 des Artikels fielen.

Erstens weist das Gericht in Bezug auf die Rüge der zugrunde gelegten Rechtsgrundlage darauf hin, dass sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts auf objektive und gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muss, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören. Die auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV erlassenen Gesetzgebungsakte müssen zum einen Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen und zum anderen die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben.

Zunächst führt das Gericht aus, dass Art. 114 AEUV nur dann als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, wenn aus dem Rechtsakt objektiv und tatsächlich hervorgeht, dass er den Zweck hat, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern. Aus den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 806/2014 geht hervor, dass mit dieser die Verknüpfung zwischen der wahrgenommenen Haushaltslage einzelner Mitgliedstaaten und den Finanzierungskosten der dort tätigen Banken und Unternehmen abgeschwächt sowie die Verantwortung für die Finanzierung der Stabilisierung des Finanzsystems der gesamten Finanzbranche zugewiesen werden soll. Daher legt die Verordnung Nr. 806/2014 insbesondere einheitliche Vorschriften und ein einheitliches Verfahren für die Abwicklung von Instituten fest, die vom SRB angewandt werden sollten, um den vorhandenen Bedrohungen zu begegnen. Ebenso harmonisiert die Richtlinie 2014/59 insbesondere die Vorschriften und das Verfahren für die Abwicklung von Instituten, um den in den Erwägungsgründen dieser Richtlinie ausgeführten Bedenken des Unionsgesetzgebers zu begegnen. Der SRF und die nationalen Finanzierungsmechanismen bilden wesentliche Elemente dieser Vorschriften und dieses Verfahrens, die es – wie aus der Verordnung Nr. 806/2014 und der Richtlinie 2014/59 hervorgeht – ermöglichen, die effiziente Ausübung der Abwicklungsbefugnisse sicherzustellen und durch Gewährleistung der effizienten Anwendung der Abwicklungsinstrumente zu deren Finanzierung beizutragen. Um ausreichende Finanzmittel im SRF und in den nationalen Finanzierungsmechanismen zu gewährleisten, werden diese insbesondere durch die von den Instituten entrichteten im Voraus erhobenen Beiträge finanziert.

Folglich stellt die Entrichtung dieser Beiträge die effiziente Anwendung der einheitlichen oder harmonisierten Vorschriften und des einheitlichen oder harmonisierten Verfahrens für die Abwicklung von Instituten sicher, so dass die Verordnung Nr. 806/2014 und die Richtlinie 2014/59 den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern.

Was im Übrigen die Voraussetzung nach Art. 114 Abs. 1 AEUV betrifft, wonach der betreffende Unionsrechtsakt Maßnahmen zur Angleichung der Vorschriften der Mitgliedstaaten enthalten muss, ist ersichtlich, dass es zum einen für die Abwicklung von Instituten in der Union kein einheitliches Beschlussfassungsverfahren gab und dass zum anderen zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die die Insolvenz von Instituten in den Mitgliedstaaten regeln, erhebliche inhaltliche und verfahrensmäßige Unterschiede bestanden. Vor diesem Hintergrund hat der Unionsgesetzgeber auf der Ebene der Bankenunion einheitliche Vorschriften und ein einheitliches Verfahren geschaffen und auf der Ebene der Mitgliedstaaten die Vorschriften und das Verfahren für die Abwicklung von Instituten harmonisiert. Er hat außerdem ein einheitliches Verfahren für die Einziehung der im Voraus erhobenen Beiträge geschaffen, um die effiziente Anwendung dieser Regeln und Verfahren zu gewährleisten.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Verordnung Nr. 806/2014 und die Richtlinie 2014/59 die in Art. 114 Abs. 1 AEUV genannten Voraussetzungen erfüllen.

Zweitens stellt das Gericht in Bezug auf die Rüge, Art. 114 Abs. 1 AEUV sei angewandt worden, obwohl die Beiträge aufgrund ihrer steuerlichen Natur unter Art. 114 Abs. 2 fielen, fest, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 806/2014 und der Richtlinie 2014/59, die die Institute zur Entrichtung von im Voraus erhobenen Beiträgen verpflichten und die Modalitäten ihrer Berechnung regeln, keine „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne von Art. 114 Abs. 2 AEUV darstellen.

Eine von den Wirtschaftsteilnehmern eines bestimmten Sektors entrichtete Abgabe ist nämlich insbesondere dann nicht steuerlicher Natur, wenn sie unmittelbar nur zur Finanzierung der Ausgaben in diesem Sektor verwendet wird und diese Ausgaben für dessen Funktionieren erforderlich sind, insbesondere um ihn zu stabilisieren. Diese Erwägung gilt auch für im Voraus erhobene Beiträge, die einer auf dem Versicherungsgedanken basierenden Logik folgen und von den Wirtschaftsteilnehmern eines bestimmten Sektors zur ausschließlichen Finanzierung der Ausgaben dieses Sektors entrichtet werden.

Zwar können die im Voraus erhobenen Beiträge nicht als Versicherungsprämien angesehen werden, deren monatliche Zahlung und Rückerstattung möglich wären, da die Verordnung Nr. 806/2014 und die Richtlinie 2014/59 keinen automatischen Zusammenhang zwischen der Zahlung des im Voraus erhobenen Beitrags und der Abwicklung des betreffenden Instituts herstellen. Gleichwohl profitieren die Institute in zweifacher Hinsicht vom SRF und den nationalen Finanzierungsmechanismen, die gerade durch ihre im Voraus erhobenen Beiträge finanziert werden. Zum einen kann die finanzielle Lage von Instituten, wenn sie ausfallen oder wahrscheinlich ausfallen, im Rahmen eines Abwicklungsverfahrens geordnet werden, das zu ihren Gunsten eingeleitet werden kann. Ein solches Verfahren ermöglicht es somit, Finanzmittel des SRF oder der nationalen Finanzierungsmechanismen zugunsten solcher Institute einzusetzen, wobei diese Mittel durch die Beiträge dieser Institute finanziert wurden. Zum anderen profitieren alle Institute von ihren im Voraus erhobenen Beiträgen über die Stabilität des Finanzsystems, die durch den SRF und die nationalen Finanzierungsmechanismen gesichert wird.

Daraus folgt, dass der SRF und die nationalen Finanzierungsmechanismen – unter einem nicht steuerbezogenen, sondern auf dem Versicherungsgedanken basierenden Gesichtspunkt – die Stabilität der gesamten Finanzbranche sicherstellen sollen, indem sie dem Zweck dienen, zum Nutzen aller Institute einen Schutz gegen eine Krise ebendieser Branche zu gewährleisten. Dieser auf dem Versicherungsgedanken basierende Zweck spiegelt sich im Übrigen auch in der Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge wider, da sich diese nicht aus der Anwendung eines bestimmten Satzes auf eine Bemessungsgrundlage ergeben, sondern aus der Festlegung einer endgültigen Zielausstattung und dann einer jährlichen Zielausstattung, die sodann auf die Institute verteilt wird. Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Institute die im Voraus erhobenen Beiträge in einer auf dem Versicherungsgedanken basierenden Logik entrichten, wobei diese Beiträge unmittelbar nur zur Finanzierung der Ausgaben in der Finanzbranche, zu der diese Institute gehören, verwendet werden und sich diese Ausgaben als für das Funktionieren der Branche erforderlich erweisen, um sie insbesondere beim Ausfall einiger Institute zu stabilisieren und Ansteckungseffekte zu begrenzen.

Als Zweites weist das Gericht zur Einrede der Rechtswidrigkeit aufgrund einer Weiterübertragung von Befugnissen an den SRB durch die Kommission im Einklang mit seiner einschlägigen Rechtsprechung(5) darauf hin, dass die Bestimmungen von Art. 6 Abs. 5 bis 7 und Art. 7 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2015/63(6) zum Risikofeld IV dem SRB ein Ermessen einräumen. Die Gewährung eines solchen Ermessens ist aber nicht mit einer Übertragung von Befugnissen durch die Kommission an den SRB im Sinne von Art. 290 Abs. 1 AEUV gleichzusetzen.

Hierzu unterscheidet das Gericht zwischen einer solchen Befugnis nach Art. 290 Abs. 1 AEUV(7) und der Befugnis, Rechtsakte mit allgemeiner Geltung – mit oder ohne Gesetzescharakter – auf Personen oder Situationen anzuwenden, die in den Anwendungsbereich dieser Rechtsakte fallen. Die Delegierte Verordnung 2015/63 enthält zum einen keine Bestimmung, mit der die Kommission den SRB beauftragt hätte, Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2014/59, der Verordnung Nr. 806/2014 oder dieser Delegierten Verordnung zu erlassen. Mehrere Vorschriften dieser Delegierten Verordnung(8) bestätigen hingegen die dem SRB durch die Richtlinie 2014/59 und die Verordnung Nr. 806/2014 übertragene Befugnis, diese Rechtsakte mit allgemeiner Geltung anzuwenden, indem er die im Voraus erhobenen Beiträge der in den Anwendungsbereich dieser Rechtsakte fallenden Institute berechnet. Zum anderen hat die Kommission trotz der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Delegierten Verordnung 2015/63 für das Risikofeld IV gewählten Bezeichnung – „von der Abwicklungsbehörde zu bestimmende zusätzliche Risikoindikatoren“ – die wesentlichen Grundsätze für die Anwendung dieses Risikofelds in Art. 6 Abs. 5 bis 8 dieser Delegierten Verordnung selbst vorgegeben. In Art. 7 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2015/63 hat sie auch das relative Gewicht der Risikoindikatoren dieses Risikofelds geregelt.

Das Gericht ist daher der Ansicht, dass die Delegierte Verordnung 2015/63 dem SRB nicht die Befugnis übertragen hat, Rechtsakte allgemeiner Geltung im Sinne von Art. 290 Abs. 1 AEUV zu erlassen und weist diese Einrede der Rechtswidrigkeit zurück.

Als Drittes und Letztes weist das Gericht zu dem Umstand, dass die Klägerin im angefochtenen Beschluss als „Institut in Reorganisation“ eingestuft wurde, weil ihr vor Inkrafttreten der Richtlinie 2014/59 eine öffentliche finanzielle Unterstützung gewährt worden war, was zu einer Erhöhung ihres Anpassungsmultiplikators entsprechend ihrem Risikoprofil führte, darauf hin, dass Art. 6 Abs. 5 Buchst. c der Delegierten Verordnung 2015/63 bestimmt, dass das Risikofeld IV unter anderem den Risikoindikator „Umfang einer vorausgegangenen außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln“ umfasst. Gemäß der Richtlinie 2014/59(9) in Verbindung mit der Delegierten Verordnung 2015/63(10) gilt als „außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln“ eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV – oder eine sonstige öffentliche finanzielle Unterstützung auf supranationaler Ebene, die, wenn sie auf nationaler Ebene geleistet würde, als staatliche Beihilfe gälte –, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Existenzfähigkeit, Liquidität oder Solvenz eines Instituts gewährt wird.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht zum einen fest, dass die Klägerin nach Erhalt einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einer Reorganisation unterzogen wurde. Zum anderen hat der Umstand, dass diese Beihilfe vor Inkrafttreten der Richtlinie 2014/59 gewährt wurde, keine Auswirkungen darauf, dass diese Beihilfe unter Art. 6 Abs. 5 Buchst. c der Delegierten Verordnung 2015/63 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 28 der Richtlinie 2014/59 zu subsumieren ist. Weder der Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Nr. 28 der Richtlinie 2014/59 noch jener von Art. 6 Abs. 8 Buchst. a der Delegierten Verordnung 2015/63 lassen nämlich den Schluss zu, dass die Anwendung von Art. 6 Abs. 8 Buchst. a der Delegierten Verordnung 2015/63 einer zeitlichen Beschränkung unterliegt.

Vor diesem Hintergrund vertritt das Gericht die Auffassung, dass der SRB zu Recht angenommen hat, dass die Klägerin in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 8 Buchst. a der Delegierten Verordnung 2015/63 fällt, und gemäß dieser Bestimmung in ihrem Fall den maximalen Wert für den Risikoindikator „Umfang einer vorausgegangenen außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln“ angesetzt hat.


1      Beschluss SRB/ES/2021/22 des Einheitlichen Abwicklungsausschusses vom 14. April 2021 über die Berechnung der für 2021 im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (im Folgenden: angefochtener Beschluss).


2      Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1).


3      Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190).


4      Gemäß Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014.


5      Urteil vom 20. Dezember 2023, Landesbank Baden-Württemberg/SRB (T‑389/21, EU:T:2023:827, Rn. 73 bis 85).


6      Delegierte Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission vom 21. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zu Abwicklungsfinanzierungsmechanismen (ABl. 2015, L 11, S. 44).


7      Die Befugnis, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen.


8      U. a. die Art. 4 und 6 bis 9 der Delegierten Verordnung 2015/63.


9      Vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 28 der Richtlinie 2014/59.


10      Vgl. Art. 3 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2015/63.