Language of document : ECLI:EU:T:2022:138

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

16. März 2022(*)

„Energie – Verordnung (EU) 2017/459 – Von der Kommission erlassener Netzkodex mit einem ‚Verfahren für neu zu schaffende Kapazität‘ – Entscheidung der ACER zur Genehmigung der Durchführung eines Projekts für neu zu schaffende Kapazität – Einrede der Rechtswidrigkeit – Unzuständigkeit der Kommission – Art. 6 Abs. 11, Art. 7 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 715/2009“

In den verbundenen Rechtssachen T‑684/19 und T‑704/19,

Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal (MEKH) mit Sitz in Budapest (Ungarn), vertreten durch die Rechtsanwälte G. Stanka, J. Burai-Kovács, G. Szikla und Á. Kulcsár,

Klägerin in der Rechtssache T‑684/19,

FGSZ Földgázszállító Zrt. mit Sitz in Siófok (Ungarn), vertreten durch Rechtsanwalt M. Horányi sowie die Rechtsanwältinnen N. Niejahr und S. Zakka,

Klägerin in der Rechtssache T-704/19,

gegen

Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), in der Rechtssache T‑684/19 vertreten durch P. Martinet, D. Lelovitis und N. Keyaerts als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwältin E. Ameye sowie der Rechtsanwälte M. de Sousa Ferro und Cs. Nagy, in der Rechtssache T‑704/19 vertreten durch P. Martinet, D. Lelovitis und N. Keyaerts als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwältin E. Ameye und des Rechtsanwalts M. de Sousa Ferro,

Beklagte,

unterstützt durch

Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (E-Control), vertreten durch Rechtsanwalt S. Polster,

und durch

Europäische Kommission, vertreten durch O. Beynet und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidung Nr. 05/2019 der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 9. April 2019 und der Entscheidung Nr. A-004-2019 des Beschwerdeausschusses der ACER vom 6. August 2019,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović, der Richter V. Kreuschitz und F. Schalin, der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm (Berichterstatter),

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2021

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte der Rechtsstreitigkeiten

1        Im Jahr 2015 leiteten die Klägerin in der Rechtssache T‑704/19, die FGSZ Földgázszállító Zrt. (im Folgenden: FGSZ), die ungarische Gasfernleitungsnetzbetreiberin, sowie die entsprechenden Betreiber in Bulgarien, Rumänien und Österreich ein Projekt zur regionalen Zusammenarbeit ein, mit dem durch die Einfuhr von Schwarzmeergas die Energieunabhängigkeit erhöht werden sollte. Dieses Projekt mit der Bezeichnung „Rohuat/BRUA“ sah den Ausbau der Kapazitäten durch neu zu schaffende Kapazität an zwei Kopplungspunkten, einem zwischen Rumänien und Ungarn und einem zwischen Ungarn und Österreich, vor.

2        Am 26. Mai 2017 wurde das Projekt in zwei verschiedene Projekte aufgeteilt, von denen eines den Kopplungspunkt zwischen Ungarn und Österreich betrifft (im Folgenden: HUAT-Projekt). In diesem Zusammenhang führten FGSZ und die österreichische Gasfernleitungsnetzbetreiberin, die Gas Connect Austria GmbH (im Folgenden: GCA), gemäß Art. 26 der Verordnung (EU) 2017/459 der Kommission vom 16. März 2017 zur Festlegung eines Netzkodex über Mechanismen für die Kapazitätszuweisung in Fernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 984/2013 (ABl. 2017, L 72, S. 1) eine Analyse der Marktnachfrage für das HUAT-Projekt durch.

3        Am 27. Juli 2017 veröffentlichten FGSZ und GCA einen gemeinsamen Bericht zu dieser Analyse, in dem sie zu dem Ergebnis kamen, dass seitens der Netznutzer ein unverbindliches Interesse an zusätzlicher Kapazität bestehe, das die Einleitung eines Projekts für neu zu schaffende Kapazität im Sinne von Art. 3 Nr. 9 der Verordnung 2017/459 ermögliche. Aus dem Bericht ergab sich jedoch ein asymmetrisches Ergebnis, da der bei GCA auf österreichischer Seite angemeldete Bedarf beinahe doppelt so hoch war wie der bei FGSZ auf ungarischer Seite angemeldete Bedarf.

4        Vom 19. Oktober bis 19. November 2017 führten FGSZ und GCA eine gemeinsame öffentliche Konsultation zu dem Entwurf des Projektvorschlags nach Art. 27 Abs. 3 der Verordnung 2017/459 durch.

5        Am 6. April 2018 legte FGSZ der Klägerin in der Rechtssache T‑684/19, der Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal (MEKH), der ungarischen Regulierungsbehörde für Energie und öffentliche Dienstleistungen, gemäß Art. 28 Abs. 1 der Verordnung 2017/459 den Vorschlag für das HUAT-Projekt für neu zu schaffende Kapazität förmlich vor und wies darauf hin, dass sie die Durchführung dieses Projekts nicht befürworte und daher nicht vorschlage, eine Versteigerung neu zu schaffender Kapazität nach Art. 29 der Verordnung 2017/459 einzuleiten.

6        Am 9. April 2018 legte GCA der österreichischen Behörde Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (E-Control), der Streithelferin zur Unterstützung der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), den Vorschlag für das HUAT-Projekt vor.

7        Am 27. April 2018 erließ die E-Control einen Beschluss, mit dem der Vorschlag für das HUAT-Projekt genehmigt wurde.

8        Am 5. Oktober 2018 erließ die MEKH einen Beschluss, mit dem der Vorschlag für das HUAT-Projekt abgelehnt wurde.

9        Am 10. Oktober 2018 teilte die ACER der MEKH und der E-Control mit, dass sie festgestellt habe, dass innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Vorschlags für das HUAT-Projekt bei der letztgenannten nationalen Regulierungsbehörde kein abgestimmter Beschluss ergangen sei und dass sie daher gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2009, L 211, S. 1) befugt sei, über diesen Vorschlag zu entscheiden.

10      Am 9. April 2019 erließ die ACER die Entscheidung Nr. 05/2019, mit der der Vorschlag für das HUAT-Projekt genehmigt wurde (im Folgenden: ursprüngliche Entscheidung).

11      Am 6. bzw. 7. Juni 2019 legten die MEKH und FGSZ gegen die ursprüngliche Entscheidung zwei Beschwerden nach Art. 19 der Verordnung Nr. 713/2009 beim Beschwerdeausschuss der ACER ein.

12      Mit Entscheidung vom 6. August 2019 wies der Beschwerdeausschuss der ACER die Beschwerden gegen die ursprüngliche Entscheidung zurück (im Folgenden: Entscheidung des Beschwerdeausschusses).

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

13      Mit Klageschriften, die am 7. bzw. am 15. Oktober 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die MEKH und FGSZ die vorliegenden Klagen erhoben.

14      Am 21. und 22. Januar 2020 hat die Europäische Kommission beantragt, in den Rechtssachen T-684/19 und T-704/19 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der ACER zugelassen zu werden.

15      Am 23. Januar 2020 hat die E-Control beantragt, in den Rechtssachen T-684/19 und T-704/19 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der ACER zugelassen zu werden.

16      Mit Entscheidungen vom 2. März und vom 5. Juni 2020 hat die Präsidentin der Zweiten Kammer des Gerichts die Kommission als Streithelferin zugelassen.

17      Mit Beschlüssen vom 28. April und vom 4. Juni 2020 hat die Präsidentin der Zweiten Kammer des Gerichts die E-Control als Streithelferin zugelassen.

18      Am 22. Dezember 2020 ist die Rechtssache gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts einem neuen Berichterstatter in der Zweiten Kammer zugewiesen worden.

19      Mit Beschluss vom 27. Juli 2021 hat die Präsidentin der Zweiten Kammer des Gerichts entschieden, die Rechtssachen T‑684/19 und T‑704/19 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer das Verfahren beendender Entscheidung zu verbinden. In diesem Beschluss hat sie den Antrag der ACER, die Anlage zur Klagebeantwortung in der Rechtssache T‑684/19, die der Entscheidung des Beschwerdeausschusses entsprach, gegenüber FGSZ vertraulich zu behandeln, zurückgewiesen, da FGSZ notwendigerweise Kenntnis von dieser Entscheidung gehabt habe, weil diese an sie gerichtet gewesen sei.

20      Auf Vorschlag der Zweiten Kammer des Gerichts hat das Gericht gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung entschieden, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

21      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt.

22      Da ein Mitglied der Zweiten erweiterten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, hat der Präsident des Gerichts einen anderen Richter dazu bestimmt, den Spruchkörper zu ergänzen.

23      Die MEKH beantragt,

–        die „vom Beschwerdeausschuss der ACER bestätigte ursprüngliche Entscheidung“ für nichtig zu erklären;

–        der ACER die Kosten aufzuerlegen.

24      FGSZ beantragt,

–        die ursprüngliche Entscheidung und die Entscheidung des Beschwerdeausschusses für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2 Abs. 4 der ursprünglichen Entscheidung, wie sie durch die Entscheidung des Beschwerdeausschusses bestätigt wurde, für nichtig zu erklären;

–        weiter hilfsweise, die Entscheidung des Beschwerdeausschusses für nichtig zu erklären.

–        der ACER die Kosten aufzuerlegen.

25      Die ACER beantragt,

–        in der Rechtssache T‑684/19,

–        den ersten und zweiten Teil des ersten Klagegrundes und den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes für unzulässig zu erklären;

–        gemeinsam oder hilfsweise alle Klagegründe für unbegründet zu erklären und folglich die Klage insgesamt abzuweisen;

–        der MEKH die Kosten aufzuerlegen;

–        in der Rechtssache T‑704/19,

–        sämtliche Klagegründe für unbegründet zu erklären und folglich die Klage insgesamt abzuweisen;

–        FGSZ die Kosten aufzuerlegen.

26      Die Kommission und die E-Control beantragen,

–        die Klagen abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

27      In der Sitzung vom 6. November 2020 haben die Parteien mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet. Zudem hat FGSZ ihre Klage zurückgenommen, soweit sie gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet war, was im Sitzungsprotokoll vermerkt worden ist.

III. Rechtliche Würdigung

28      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die MEKH im Unterschied zu FGSZ, die in der mündlichen Verhandlung ihre Klage gegen die ursprüngliche Entscheidung zurückgenommen hat, mit ihrer Klage sowohl die ursprüngliche Entscheidung als auch die Entscheidung des Beschwerdeausschusses beanstandet. Es ist daher die Zulässigkeit der letztgenannten Klage zu prüfen, soweit sie gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet ist.

A.      Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-684/19, soweit sie gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet ist

29      Nach ständiger Rechtsprechung gehören die in Art. 263 AEUV festgelegten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage zu den unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen, und ist das Gericht verpflichtet, sie von Amts wegen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 2019, Pebagua/Kommission, C‑204/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:425, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im Rahmen der oben in Rn. 21 genannten prozessleitenden Maßnahmen haben die Parteien ihren Standpunkt zur Zulässigkeit der Klagen, soweit sie gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet waren, dargelegt, und zwar zum einen im Hinblick auf den 34. Erwägungsgrund sowie auf Art. 28 Abs. 1 und Art. 29 der Verordnung (EU) 2019/942 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung) (ABl. 2019, L 158, S. 22), die die Verordnung Nr. 713/2009 ersetzt hat, und zum anderen im Hinblick auf Art. 263 Abs. 5 AEUV.

31      Zunächst ist festzustellen, dass Art. 263 Abs. 5 AEUV in Bezug auf Klagen, die von nicht privilegierten Klägern erhoben werden, vorsieht, dass „[i]n den Rechtsakten zur Gründung von Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union... besondere Bedingungen und Einzelheiten für die Erhebung von Klagen von natürlichen oder juristischen Personen gegen Handlungen dieser Einrichtungen und sonstigen Stellen vorgesehen werden [können], die eine Rechtswirkung gegenüber diesen Personen haben“.

32      Im Rahmen der vorliegenden Rechtsstreitigkeiten ergeben sich die besonderen Bedingungen und Einzelheiten für die Erhebung von Klagen im Sinne von Art. 263 Abs. 5 AEUV aus der Verordnung 2019/942.

33      Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden, während materiell-rechtliche Vorschriften in der Regel so ausgelegt werden, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (vgl. Urteil vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C-596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Daraus folgt, dass es sich im vorliegenden Fall bei den Verfahrensregeln, die anzuwenden sind, um die Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T‑684/19 zu bestimmen, soweit diese Klage gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet ist, um die Vorschriften der Verordnung 2019/942 handelt. Es ist darauf hinzuweisen, dass zwischen dem Erlass der ursprünglichen Entscheidung (am 9. April 2019) und dem Erlass der Entscheidung des Beschwerdeausschusses (am 6. August 2019) die Verordnung Nr. 713/2009 durch die Verordnung 2019/942 ersetzt wurde, die am 4. Juli 2019 in Kraft getreten ist.

35      Sodann ergibt sich aus dem 34. Erwägungsgrund sowie aus den Art. 28 und 29 der Verordnung 2019/942, dass natürliche und juristische Personen, die mit einer Entscheidung der ACER, die an sie gerichtet ist oder die sie individuell und unmittelbar betrifft, nicht einverstanden sind, den Beschwerdeausschuss anrufen müssen, wenn ihnen diese Möglichkeit offensteht. Wenn eine solche Möglichkeit besteht, können sie vor dem Gericht nur die Entscheidung dieses Beschwerdeausschusses anfechten.

36      Erstens heißt es nämlich im 34. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/942:

„In Bezug auf die Entscheidungsbefugnisse von ACER sollten die Betroffenen im Interesse eines reibungslosen Verfahrensablaufs das Recht erhalten, einen Beschwerdeausschuss anzurufen, der Teil von ACER sein sollte, aber von der Verwaltungs- und Regulierungsstruktur von ACER unabhängig sein sollte. Um das reibungslose Funktionieren und die vollständige Unabhängigkeit des Beschwerdeausschusses sicherzustellen, sollte er im Haushaltplan von ACER über eine separate Haushaltslinie verfügen. Im Interesse der Kontinuität sollte der Beschwerdeausschuss bei einer Ernennung von Mitgliedern bzw. der Verlängerung ihres Mandats auch teilweise neu besetzt werden können. Die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses können vor dem Gerichtshof der Europäischen Union... angefochten werden.“

37      Zweitens bestimmt Art. 29 („Klage beim Gerichtshof“) der Verordnung 2019/942, dass „Klagen auf Aufhebung einer Entscheidung, die von [der] ACER im Einklang mit dieser Verordnung getroffen wurde, und Klagen wegen Untätigkeit innerhalb der festgelegten Fristen... erst dann beim Gerichtshof eingereicht werden [können], wenn das Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 28 erschöpft ist....“

38      Drittens sieht Art. 28 („Anfechtung von Entscheidungen“) der Verordnung 2019/942 in seinem Abs. 1 vor, dass „[j]ede natürliche oder juristische Person einschließlich der Regulierungsbehörden... gegen eine Entscheidung gemäß Artikel 2 Buchstabe d, die an sie gerichtet ist, sowie gegen eine Entscheidung, die an eine andere Person gerichtet ist, sie aber unmittelbar und individuell betrifft, Beschwerde einlegen [kann]“. Nach Abs. 2 dieses Artikels „entscheidet „[d]er Beschwerdeausschuss... über Beschwerden innerhalb von vier Monaten nach deren Einreichung“.

39      Da die ursprüngliche Entscheidung Gegenstand einer Beschwerde vor dem Beschwerdeausschuss sein konnte, ergibt sich folglich aus einer Zusammenschau des 34. Erwägungsgrundes sowie der Art. 28 und 29 der Verordnung 2019/942, dass nur die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vor dem Gericht angefochten werden kann.

40      Schließlich wäre dieselbe Schlussfolgerung geboten, selbst wenn die Verordnung Nr. 713/2009 in zeitlicher Hinsicht anwendbar wäre, da Art. 20 dieser Verordnung vorsah, dass „[b]eim Gericht... gemäß Artikel [263 AEUV] Klage gegen eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses oder – wenn der Beschwerdeausschuss nicht zuständig ist – der Agentur erhoben werden [kann]“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2019, Austrian Power Grid und Vorarlberger Übertragungsnetz/ACER, T-333/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:760, Rn. 31 und 32).

41      Nach alledem ist die Klage der MEKH auf Nichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung unzulässig.

42      Daraus folgt, dass die Klage in der Rechtssache T-684/19 für unzulässig zu erklären ist, soweit sie gegen die ursprüngliche Entscheidung gerichtet ist.

B.      Begründetheit der Klagen

43      Zur Stützung ihrer jeweiligen Klagen machen die MEKH und FGSZ im Wesentlichen 14 Klagegründe geltend. Das Gericht hält es für ausreichend, den ersten in der Rechtssache T-684/19 vorgebrachten Klagegrund zu prüfen, mit dem die MEKH die Rechtswidrigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 geltend macht.

44      Die MEKH macht die Rechtswidrigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 geltend, da dieses Kapitel die der Kommission durch die Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, L 211, S. 36) übertragene Ermächtigung überschritten habe und daher gemäß Art. 277 AEUV für auf die vorliegenden Rechtsstreitigkeiten unanwendbar zu erklären sei.

45      Die ACER, unterstützt von der Kommission, macht geltend, die Einrede der Rechtswidrigkeit sei unzulässig und jedenfalls unbegründet.

1.      Zulässigkeit der Einrede der Rechtswidrigkeit

46      Erstens trägt die ACER vor, die Einrede der Rechtswidrigkeit sei unzulässig, da gemäß Art. 29 der Verordnung 2019/942 nur die vor dem Beschwerdeausschuss der ACER geltend gemachten Gründe vor dem Gericht vorgebracht werden könnten.

47      Es trifft zu, dass die MEKH die Rechtswidrigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 vor dem Beschwerdeausschuss der ACER nicht geltend gemacht hat.

48      Zudem weist die ACER zu Recht im Wesentlichen darauf hin, dass die in Art. 29 der Verordnung 2019/942 enthaltene Verpflichtung der Erschöpfung des Verfahrens vor ihrem Beschwerdeausschuss vor Erhebung der Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich bedeutet, dass Gründe, die vor diesem Beschwerdeausschuss nicht geltend gemacht werden, nicht erstmals vor dem Gericht im Rahmen einer Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden können. Da sich diese Nichtigkeitsklage ausschließlich auf die Entscheidung des Beschwerdeausschusses bezieht, muss sie anhand des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens der Rechtsstreitigkeiten geprüft werden, wie sie bei diesem Beschwerdeausschuss anhängig gemacht wurden.

49      Diesem Ansatz kann jedoch in Bezug auf eine erstmals vor dem Gericht erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit nicht gefolgt werden, da ein entsprechendes Vorbringen vor dem Beschwerdeausschuss der ACER jedenfalls keinen Erfolg hätte haben können.

50      Es ergibt sich nämlich aus dem mit dem AEU‑Vertrag geschaffenen System der Rechtsetzung und Rechtsprechung, dass nur der Richter der Europäischen Union nach Art. 277 AEUV berechtigt ist, die Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung festzustellen und die Konsequenzen aus der sich daraus ergebenden Unanwendbarkeit hinsichtlich des vor ihm angefochtenen individuellen Rechtsakts zu ziehen, da den Organen, Agenturen oder sonstigen Stellen der Union, an die die internen Rechtsbehelfe gerichtet sind, nach den Verträgen keine solche Befugnis zuerkannt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Oktober 2016, EZB/Cerafogli, T-787/14 P, EU:T:2016:633, Rn. 49).

51      Da der Beschwerdeausschuss der ACER nicht berechtigt war, die Gültigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 zu beurteilen, sondern vielmehr zu seiner Anwendung verpflichtet war, solange der Unionsrichter nicht seine etwaige Rechtswidrigkeit festgestellt hatte, kann der MEKH nicht vorgeworfen werden, die Rechtswidrigkeit dieses Kapitels vor dem Beschwerdeausschuss nicht geltend gemacht zu haben.

52      Zweitens hebt die ACER in der Gegenerwiderung hervor, dass die „durch Art. 263 [AEUV] für die Anfechtung der Gültigkeit der [Verordnung 2017/459] festgelegte Frist zum Zeitpunkt der Klageerhebung abgelaufen [war]“.

53      Insoweit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 277 AEUV selbst, dass die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung in einem diesen Rechtsakt anfechtenden Rechtsstreit geltend zu machen, „[u]ngeachtet des Ablaufs der in Artikel 263 Absatz 6 [AEUV] genannten Frist“ besteht.

54      Soweit sich die ACER mit dieser Argumentation zudem auf die Rechtsprechung beruft, wonach die in Art. 277 AEUV vorgesehene Einrede der Rechtswidrigkeit nicht von einer natürlichen oder juristischen Person erhoben werden darf, die es unterlassen hat, gegen die zur Last gelegte Handlung innerhalb der dafür vorgesehenen Frist ein Rechtsmittel zu erheben, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsprechung nur anwendbar ist, wenn ein solcher Rechtsbehelf ohne jeden Zweifel zulässig gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 2004, Schintgen/Kommission, T-343/02, EU:T:2004:111, Rn. 26; vgl. auch in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 27. November 2012, Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 41 und 42, sowie vom 25. Juli 2018, Georgsmarienhütte u. a., C-135/16, EU:C:2018:582, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zulässigkeit einer von der MEKH erhobenen Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung 2017/459 offensichtlich gewesen wäre. Vielmehr wäre die Zulässigkeit einer solchen Klage zumindest zweifelhaft gewesen, da es sich um einen Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehenden Rechtsakt mit allgemeiner Geltung im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV handelt und die MEKH keinem privilegierten Kläger im Sinne des zweiten Absatzes dieses Artikels gleichkommt.

56      Drittens macht die ACER im Wesentlichen geltend, die Einrede der Rechtswidrigkeit müsse für unzulässig erklärt werden, da die Verordnung 2017/459 nicht die Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beschwerdeausschusses darstelle, da diese im Rahmen der der ACER durch die Verordnung Nr. 713/2009 übertragenen Befugnisse erlassen worden sei.

57      Dieses Vorbringen kann keinen Erfolg haben.

58      Zwar ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass eine Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV nur gegen einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung erhoben kann, der unmittelbar oder mittelbar auf den Sachverhalt anwendbar ist, der den Gegenstand der Klage bildet, jedoch hat der Gerichtshof anerkannt, dass diese Voraussetzung nicht nur in Bezug auf Bestimmungen eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung, auf denen die angefochtenen Einzelentscheidungen beruhen, erfüllt ist, sondern auch in Bezug auf solche, die in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit solchen Entscheidungen stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C-119/19 P und C-126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 67 bis 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Mit ihrem ersten Klagegrund macht die MEKH die Rechtswidrigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 mit der Begründung geltend, dass dieses Kapitel die der Kommission durch die Verordnung Nr. 715/2009 übertragene Ermächtigung überschreite. Da die Verordnung 2017/459 die Grundlage für die Regeln bildet, die der Beschwerdeausschuss der ACER in seiner Entscheidung angewandt hat, besteht zwangsläufig ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang im Sinne der oben in Rn. 58 angeführten Rechtsprechung.

60      Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Einrede der Rechtswidrigkeit zulässig ist.

2.      Begründetheit der Einrede der Rechtswidrigkeit

61      Die MEKH trägt vor, Kapitel V der Verordnung 2017/459 sei rechtswidrig, weil es die Verordnung Nr. 715/2009 der Kommission nicht gestatte, einen Netzkodex zu erlassen, der ein Verfahren für neu zu schaffende Kapazität vorsehe, das so weit gehe, dass der Betreiber verpflichtet werde, die zur Schaffung dieser neuen Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen.

62      Im Wesentlichen besteht der vorliegende Klagegrund aus zwei Teilen. Zum einen macht die MEKH geltend, Kapitel V der Verordnung 2017/459 sei mit der Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 715/2009, nämlich mit Art. 114 AEUV, unvereinbar. Zum anderen falle dieses Kapitel nicht unter die der Kommission durch die letztgenannte Verordnung erteilte Ermächtigung zum Erlass von Netzkodizes.

63      Die ACER, unterstützt durch die Kommission, hält die beiden Teile des vorliegenden Klagegrundes für unbegründet. Vorab macht sie geltend, die Einrede der Rechtswidrigkeit sei aus drei Gründen nicht stichhaltig.

64      Der erste von der ACER vorgebrachte Grund betrifft die fehlerhafte Annahme, auf der die Einrede der Rechtswidrigkeit beruhe, da Kapitel V der Verordnung 2017/459 die Fernleitungsnetzbetreiber nicht verpflichte, Investitionsentscheidungen für neu zu schaffende Kapazität im Netz zu treffen.

65      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

66      Kapitel V der Verordnung 2017/459 legt ein Verfahren fest, das im Wesentlichen sieben Stufen umfasst, und gegebenenfalls zur Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber führt, die zur Schaffung dieser neuen Kapazität im Netz erforderlichen Investitionen zu tätigen.

67      Erstens müssen die Fernleitungsnetzbetreiber nach Art. 26 der Verordnung 2017/459 die Marktnachfrage nach Projekten für neu zu schaffende Kapazität auf jeder Seite eines Kopplungspunktes analysieren.

68      Für den Fall, dass sich aus dem vorherigen Schritt ergibt, dass eine Marktnachfrage nach einem Projekt für neu zu schaffende Kapazität bestehen könnte, sieht Art. 27 der Verordnung 2017/459 zweitens vor, dass die betreffenden Fernleitungsnetzbetreiber eine Planungsphase für ein solches Projekt einleiten.

69      Drittens müssen die betreffenden Fernleitungsnetzbetreiber nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung 2017/459 das Projekt für neu zu schaffende Kapazität ihrer nationalen Regulierungsbehörde zur Genehmigung vorlegen.

70      Viertens müssen die zuständigen nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 28 Abs. 2 der Verordnung 2017/459 das Projekt genehmigen oder eine Einigung über das Projekt erzielen.

71      Fünftens wird nach Genehmigung des Projekts für neu zu schaffende Kapazität durch die nationalen Regulierungsbehörden diese neu zu schaffende Kapazität gemäß Art. 29 der Verordnung 2017/459 versteigert, um verbindliche Zusagen der Netznutzer für die Kontrahierung von Kapazität zu erhalten.

72      Sechstens ergibt sich aus den Art. 22 bis 25 der Verordnung 2017/459, dass entweder die nationale Regulierungsbehörde oder der Fernleitungsnetzbetreiber eine Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der Grundlage der erhaltenen verbindlichen Zusagen durchführt.

73      Siebtens schließlich sieht Art. 22 Abs. 3 der Verordnung 2017/459 vor, dass „das Projekt eingeleitet wird“, wenn die Wirtschaftlichkeitsprüfung für mindestens ein Angebotslevel, das neu zu schaffende Kapazität enthält, auf beiden Seiten eines Kopplungspunktes zu einem positiven Ergebnis führt. Falls es kein positives Ergebnis gibt, „wird das jeweilige Verfahren für neu zu schaffende Kapazität beendet“.

74      Daraus folgt, dass das „Projekt“ nach dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 dieser Verordnung „eingeleitet wird“, wenn die verschiedenen Bedingungen erfüllt sind, die in Kapitel V der Verordnung 2017/459 festgelegt sind, insbesondere das Vorliegen von verbindlichen Zusagen der Netznutzer für die Kontrahierung von neu zu schaffender Kapazität, auf deren Grundlage die Rentabilität eines Ausbaus der Kapazität durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung nachgewiesen wird, was bedeutet, dass der Fernleitungsnetzbetreiber verpflichtet ist, die neue Kapazität zu schaffen, indem er die dazu erforderlichen Investitionen tätigt.

75      Dieser Schlussfolgerung sind im Übrigen die Instanzen der ACER selbst gefolgt. Aus dem Wortlaut der ursprünglichen Entscheidung (Art. 2 Abs. 4 des verfügenden Teils) geht hervor, dass die ACER die Verpflichtung für FGSZ und GCA vorsah, das HUAT-Projekt bis 1. Oktober 2024 durchzuführen, wenn das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsprüfung für dieses Projekt positiv ausfallen sollte. Zudem hat der Beschwerdeausschuss in Rn. 99 seiner Entscheidung selbst anerkannt, dass Art. 22 Abs. 3 in Verbindung mit den Art. 28 und 29 der Verordnung 2017/459 zu einer solchen Verpflichtung führen könne.

76      Der zweite von der ACER angeführte Grund besteht in der Argumentation, dass die Einrede der Rechtswidrigkeit ins Leere gehe, da die Entscheidung des Beschwerdeausschusses nicht auf der Grundlage von Kapitel V der Verordnung 2017/459, sondern auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 713/2009 erlassen worden sei.

77      Es ist darauf hinzuweisen, dass die ACER mit der Entscheidung des Beschwerdeausschusses an die Stelle der nationalen Regulierungsbehörden getreten ist, um die vierte Stufe des Verfahrens für neu zu schaffende Kapazität durchzuführen, das durch Kapitel V der Verordnung 2017/459 eingeführt und oben in den Rn. 66 bis 73 beschrieben worden ist.

78      Daher und aus ähnlichen Gründen wie den oben in Rn. 59 beschriebenen wendet die Entscheidung des Beschwerdeausschusses, auch wenn sie auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 713/2009 getroffen wird, die in Kapitel V der Verordnung 2017/459 enthaltenen Vorschriften an, das somit ihre Rechtmäßigkeit bedingt, so dass die Einrede der Rechtswidrigkeit nicht wie von der ACER behauptet ins Leere geht.

79      Im Rahmen des dritten Grundes hebt die ACER schließlich hervor, dass die MEKH nur die Gültigkeit von Kapitel V der Verordnung 2017/459 bestreite, obwohl andere Bestimmungen dieser Verordnung auf die Schaffung neuer Kapazität im Netz Bezug nähmen.

80      Insoweit genügt der Hinweis, dass der Umstand, dass andere Bestimmungen der Verordnung 2017/459 auf die Schaffung der Kapazität Bezug nehmen und von der vorliegenden Einrede der Rechtswidrigkeit nicht ausdrücklich erfasst werden, irrelevant ist, weil es allein darauf ankommt, ob Kapitel V dieser Verordnung, das in der Entscheidung des Beschwerdeausschusses angewandt wurde, rechtswidrig ist, was bedeuten würde, dass es nach Art. 277 AEUV für auf die vorliegenden Rechtsstreitigkeiten unanwendbar erklärt wird.

81      Nachdem diese einleitenden Einwendungen der ACER verworfen worden sind, ist die Begründetheit der beiden Teile des vorliegenden Klagegrundes zu prüfen.

a)      Begründetheit des ersten Teils, mit dem die Unvereinbarkeit der Verordnung 2017/459 mit der Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 715/2009 gerügt wird

82      Im Wesentlichen macht die MEKH geltend, die Kommission habe in Kapitel V der Verordnung 2017/459 nicht die Möglichkeit vorsehen dürfen, Einzelentscheidungen an die Fernleitungsnetzbetreiber zu richten, mit denen diese zu Investitionen verpflichtet würden, ohne gegen die Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 715/2009, nämlich Art. 114 AEUV, zu verstoßen, der den Erlass von Harmonisierungsmaßnahmen vorsehe, die nicht die Einführung einer rechtlichen Regelung einschließen könnten, die den Erlass von an private Wirtschaftsteilnehmer gerichteten Einzelentscheidungen beinhalte.

83      Nach Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV erlassen „[d]as Europäische Parlament und der Rat... gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben“.

84      Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 715/2009 ist der Gegenstand dieser Verordnung u. a. „die Festlegung nichtdiskriminierender Regeln für die Bedingungen für den Zugang zu Erdgasfernleitungsnetzen unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale nationaler und regionaler Märkte, um das reibungslose Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts sicherzustellen“, „die Förderung des Entstehens eines reibungslos funktionierenden und transparenten Großhandelsmarkts mit einem hohen Grad an Gasversorgungssicherheit“ und „die Schaffung von Mechanismen zur Harmonisierung der Regeln über den Netzzugang für den grenzüberschreitenden Gashandel“.

85      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Verfasser des Vertrags dem Unionsgesetzgeber mit dem Ausdruck „Maßnahmen zur Angleichung“ nach Maßgabe des allgemeinen Kontexts und der speziellen Umstände der zu harmonisierenden Materie einen Ermessensspielraum hinsichtlich der zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses am besten geeigneten Angleichungstechnik insbesondere in den Bereichen einräumen wollten, die durch komplexe technische Besonderheiten gekennzeichnet sind (Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 102).

86      Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass zum einen auf bestimmten Gebieten möglicherweise die Angleichung nur der allgemeinen Vorschriften nicht ausreicht, um die Einheit des Marktes zu gewährleisten, und zum anderen, dass der Wortlaut des Art. 114 AEUV nicht den Schluss erlaubt, dass die vom Unionsgesetzgeber auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassenen Maßnahmen nur an die Mitgliedstaaten gerichtet sein dürften (Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 106 und 107).

87      Drittens ist folglich davon auszugehen, dass Art. 114 AEUV die Kommission nicht daran hindert, nach der Verordnung Nr. 715/2009 eine Regelung auszuarbeiten, die gegebenenfalls für einen oder mehrere Fernleitungsnetzbetreiber die Verpflichtung mit sich bringt, die für die Schaffung neuer Kapazität im Netz erforderlichen Investitionen zu tätigen, sofern diese Verpflichtung nicht offensichtlich ungeeignet erscheint, um ihre Harmonisierungsziele zu erreichen.

88      Viertens ist angesichts der Bedeutung, die das Vorliegen von ausreichender Kapazität im Netz für die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Erdgasbinnenmarkts und die Versorgungssicherheit haben kann, festzustellen, dass das in Kapitel V der Verordnung 2017/459 geregelte und oben in den Rn. 66 bis 73 dargelegte Verfahren der Kapazitätssteigerung ohne Schwierigkeiten mit den Zielen der Verordnung Nr. 715/2009, wie sie in ihrem Art. 1 dargelegt sind, verknüpft werden kann.

89      Der erste Teil ist daher zurückzuweisen.

b)      Begründetheit des zweiten Teils, mit dem geltend gemacht wird, Kapitel V der Verordnung 2017/459 überschreite die der Kommission durch die Verordnung Nr. 715/2009 erteilte Ermächtigung

90      Die MEKH macht im Wesentlichen geltend, Kapitel V der Verordnung 2017/459 überschreite die Grenzen der der Kommission durch Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 erteilten Ermächtigung zum Erlass von Netzkodizes.

91      Die ACER, unterstützt von der Kommission, vertritt die Ansicht, dass die Bestimmungen der Verordnung 2017/459 über neu zu schaffende Kapazität mit der Verordnung Nr. 715/2009 im Einklang stünden. Sie führt aus, dass der Erlass von Vorschriften über neu zu schaffende Kapazität per definitionem eine supranationale Frage sei, dass diese Vorschriften für die Erreichung der Ziele der letztgenannten Verordnung unerlässlich seien und dass sie unter die der Kommission erteilte Ermächtigung fielen, die es ihr erlaube, die nicht wesentlichen Bestimmungen dieser Verordnung beim Erlass von Netzkodizes zu ändern, die u. a. die Kapazitätszuweisung, die Versorgungssicherheit und den Netzanschluss beträfen.

92      Die Kommission hebt auch die Wichtigkeit einer Regulierung der großen Rohrleitungsnetze für das reibungslose Funktionieren des Erdgasbinnenmarktes und den Schutz des Wettbewerbs auf diesem Markt hervor, da es sich bei diesen um natürliche Monopole handle, die zu missbräuchlichen Verhaltensweisen wie der Beschränkung strategischer Investitionen in die Entwicklung und Erweiterung des Netzes führen könnten. Sie fügt hinzu, dass sich die Notwendigkeit, eine angemessene Verbindung zwischen den nationalen Energiesystemen im Interesse der Errichtung des Energiebinnenmarktes zu gewährleisten, aus den Art. 170, 172 und 194 AEUV ergebe.

93      Zudem weist die Kommission im Wesentlichen darauf hin, dass es trotz der strukturellen Entflechtung von Gasförderung und Gashandel einerseits und seinem Transport andererseits wirtschaftliche Anreize geben könne, die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur nicht zu tätigen, den Auslastungsgrad des Netzes aufrechtzuerhalten und Engpasstarife zu erheben. Dies sei der Grund, weshalb sowohl die Verordnung Nr. 715/2009 als auch die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94) für die Fernleitungsnetzbetreiber Pflichten im Zusammenhang mit der Bereitstellung grenzüberschreitender Transportkapazitäten und für die nationalen Regulierungsbehörden die Aufgabe vorsähen, ihre Einhaltung zu überwachen.

94      Die Kommission macht auch geltend, aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 715/2009 ergebe sich, dass der Begriff der grenzüberschreitenden Zuweisung notwendigerweise die Möglichkeit einer Erhöhung der bestehenden Kapazitäten im Interesse der Schaffung eines funktionsfähigen Energiebinnenmarkts und des Schutzes des Wettbewerbs auf diesem Markt bedeute. Außerdem weist sie im Wesentlichen darauf hin, dass die Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber, eine Investitionsentscheidung zu treffen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt seien, zur Erreichung des Ziels der koordinierten Zuweisung grenzüberschreitender Kapazitäten nach Art. 42 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/73 erforderlich sei.

95      Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass die Verordnung 2017/459 Art. 6 Abs. 11 und Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 715/2009 als Rechtsgrundlagen hat und einen „Netzkodex über Mechanismen für die Kapazitätszuweisung in Fernleitungsnetzen“ festlegt sowie die dem früheren Netzkodex zugrunde liegende Verordnung (EU) Nr. 984/2013 der Kommission vom 14. Oktober 2013 zur Festlegung eines Netzkodex über Mechanismen für die Kapazitätszuweisung in Fernleitungsnetzen und zur Ergänzung der Verordnung Nr. 715/2009 (ABl. 2013, L 273, S. 5) aufhebt. Kapitel V der Verordnung 2017/459 betrifft das „Verfahren für neu zu schaffende Kapazität“. Wie oben in den Rn. 67 bis 74 dargelegt worden ist, kann dieses Verfahren dazu führen, dass der Gasfernleitungsnetzbetreiber verpflichtet ist, in diesem Netz neue Kapazität zu schaffen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

96      Sodann ergibt sich die der Kommission erteilte Ermächtigung zum Erlass von Netzkodizes aus Art. 6 Abs. 11, aus Art. 7 Abs. 3 und aus Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009. Aus einer Zusammenschau dieser Bestimmungen geht nämlich hervor, dass die Kommission berechtigt ist, in bestimmten, abschließend aufgezählten Bereichen anstatt und anstelle des Europäischen Netzes der Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO [Gas]), der nach Art. 4 dieser Verordnung die Struktur für die Zusammenarbeit aller Gasfernleitungsnetzbetreiber auf Unionsebene ist, Netzkodizes auszuarbeiten.

97      Was erstens Art. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 betrifft, so enthält er das Verfahren für die Festlegung der Netzkodizes. Dieses Verfahren sieht zwar die Ausarbeitung der Netzkodizes durch das ENTSO in Verbindung mit der ACER und der Kommission vor, jedoch bestimmt Abs. 11 Unterabs. 1 dieses Artikels, dass die „Kommission... von sich aus, wenn [das] ENTSO (Gas) … keinen Netzkodex... ausgearbeitet hat, einen oder mehrere Netzkodizes für die in Artikel 8 Absatz 6 aufgeführten Bereiche erlassen [kann]“. Somit ist der Umfang der der Kommission erteilten Ermächtigung zum Erlass von Netzkodizes allein auf die beiden Bereiche beschränkt, in denen das ENTSO diese Kodizes hätte ausarbeiten können, nämlich die in Art. 8 Abs. 6 dieser Verordnung genannten Bereiche.

98      Zweitens bestimmt Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 715/2009, dass die im Netzkodex erlassenen Maßnahmen „zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung“ dienen und „nach dem in Artikel 28 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen [werden]“. Die letztgenannte Bestimmung verweist auf Art. 5a Abs. 1 bis 4 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. 1999, L 184, S. 23), des sogenannten „Komitologiebeschlusses“, in der durch den Beschluss 2006/512/EG des Rates vom 17. Juli 2006 (ABl. 2006, L 200, S. 11) geänderten Fassung. Ein entsprechender Hinweis findet sich in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 715/2009, der Änderungen bestehender Netzkodizes durch die Kommission betrifft.

99      Drittens impliziert es folglich der vorliegende Teil in einem ersten Schritt, zu prüfen, ob Kapitel V der Verordnung 2017/459 den von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 erfassten Bereichen zugeordnet werden kann, auf die Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 1 der letztgenannten Verordnung verweist. Ist dies nicht der Fall, wird in einem zweiten Schritt zu prüfen sein, ob dieses Kapitel einer Änderung einer nicht wesentlichen Bestimmung der Verordnung Nr. 715/2009 gleichkommt, die nach Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 2 und Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung zulässig wäre.

1)      Umfang der der Kommission durch Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 1 und Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 verliehenen Ermächtigung

100    Aus den oben in Rn. 97 dargelegten Gründen ist der Umfang der durch Art. 6 Abs. 11 der Verordnung Nr. 715/2009 verliehenen Ermächtigung auf die in Art. 8 Abs. 6 dieser Verordnung aufgezählten Bereiche beschränkt; daher bedarf diese Bestimmung der Auslegung.

101    Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C-17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

i)      Wörtliche Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009

102    Zu den in Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 aufgezählten Bereichen, für die der Erlass eines Netzkodex vorgesehen ist, sind unter Buchst. g die „Regeln für Kapazitätszuweisung und Engpassmanagement“ aufgeführt, auf die die MEKH in ihren Schriftsätzen Bezug nimmt. Die ACER nennt außerdem die unter den Buchst. a bis c angeführten Bereiche, bei denen es jeweils um die „Regeln für Netzsicherheit und -zuverlässigkeit“, die „Regeln für Netzanschluss“ und die „Regeln für den Zugang Dritter“ geht.

103    Es ist jedoch festzustellen, dass der einzige Bereich, für den die Festlegung eines Netzkodex vorgesehen ist und dessen Wortlaut möglicherweise die Frage der neu zu schaffenden Kapazität umfassen kann, der in Art. 8 Abs. 6 Buchst. g der Verordnung Nr. 715/2009 genannte Bereich ist, bei dem es um die „Regeln für Kapazitätszuweisung und Engpassmanagement“ geht. Die anderen in diesem Absatz genannten Bereiche, vor allem die „Regeln für Netzsicherheit und -zuverlässigkeit“, die „Regeln für Netzanschluss“ und die „Regeln für den Zugang Dritter“, auf die die ACER verweist, können sich ihrem Wortlaut nach nicht auf die Frage der Schaffung neuer Kapazität in diesem Netz beziehen.

104    Art. 2 der Verordnung Nr. 715/2009 enthält Begriffsbestimmungen der in dieser Verordnung und insbesondere in deren Art. 8 Abs. 6 Buchst. g verwendeten Begriffe und Ausdrücke. Der Begriff der Kapazität wird allgemein in Nr. 3 definiert. Sodann werden seine verschiedenen Ausprägungen aufgeführt: in Nr. 4 die „nicht genutzte Kapazität“, in Nr. 16 die „verbindliche Kapazität“, in Nr. 18 die „technische Kapazität“ und in Nr. 19 die „kontrahierte Kapazität“. Der Begriff des „Engpassmanagements“ wird in Nr. 5 definiert. Die Nrn. 21 und 23 behandeln ebenfalls den Begriff des Engpasses und definieren jeweils den „vertraglich bedingten Engpass“ und den „physischen Engpass“.

105    Aus diesen Begriffsbestimmungen ergibt sich, dass der Begriff der Kapazität unbestreitbar auf die aktuellen Kapazitäten im Netz abzielt und dass das Engpassmanagement auf der Grundlage der in diesem Netz vorhandenen Kapazitäten konzipiert wird. Hingegen geht aus keiner dieser Begriffsbestimmungen ausdrücklich hervor, dass dieser Begriff dahin zu verstehen wäre, dass er auch die Schaffung neuer Kapazität in diesem Netz einschließt oder dass das „Engpassmanagement“ dahin ausgelegt werden könnte, dass damit die Beseitigung eines etwaigen Engpasses durch die Schaffung neuer Kapazität gemeint ist.

106    So wird erstens der Begriff der Kapazität definiert als „maximale[r] Lastfluss,... auf den der Netznutzer gemäß den Bestimmungen des Transportvertrags Anspruch hat“. Da nur auf die Kapazität Bezug genommen wird, auf die ein Netznutzer „Anspruch hat“, stellt diese Definition eher auf die aktuellen Netzkapazitäten und nicht auf mögliche zukünftige Kapazitäten ab.

107    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 715/2009 den Begriff der Kapazität zwar in einer Vielzahl möglicher Ausprägungen verwendet, jedoch keine „künftigen Kapazitäten“ erwähnt. Nur in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2017/459 werden diese von der Kommission definiert, und zwar als „eine mögliche künftige Erhöhung der technischen Kapazität durch marktbasierte Verfahren oder eine etwaige neue Kapazität, die dort geschaffen wird, wo aktuell keine vorhanden ist, und die auf der Grundlage von Investitionen in physische Infrastruktur oder einer langfristigen Kapazitätsoptimierung angeboten und später vorbehaltlich des positiven Ergebnisses einer Wirtschaftlichkeitsprüfung in den [verschiedenen] Fällen zugewiesen werden kann“.

108    Drittens sehen weder die Definition des Ausdrucks „Engpassmanagement“ noch die Definitionen der Ausdrücke „vertraglich bedingter Engpass“ oder „physischer Engpass“ die Schaffung neuer Kapazität im Netz als Lösung für Probleme mit Netzengpässen oder -sättigung vor.

ii)    Systematische Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009

109    Im Rahmen der systematischen Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 ist zu prüfen, ob sich aus der allgemeinen Systematik dieser Verordnung oder gegebenenfalls aus anderen Bestimmungen des Unionsrechts ergibt, dass sich der Umfang der dem ENTSO gemäß Art. 8 Abs. 6 dieser Verordnung übertragenen Zuständigkeit zur Festlegung von Netzkodizes und folglich der Umfang der der Kommission nach Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 1 dieser Verordnung übertragenen Zuständigkeit auf Vorschriften für die Schaffung neuer Kapazität im Netz erstreckt.

110    Dies ist nicht der Fall, da sich aus einer Prüfung der Verordnung Nr. 715/2009 insgesamt eine klare Unterscheidung zwischen den in Art. 8 Abs. 6 dieser Verordnung genannten Bereichen, in denen das ENTSO für die Ausarbeitung der einschlägigen Regeln im Rahmen der Netzkodizes zuständig ist, und dem Rahmen für die zur Schaffung neuer Kapazität im Netz erforderlichen Investitionen ergibt, bezüglich deren das ENTSO nur eine unterstützende und koordinierende Rolle spielt.

111    Dies zeigt sich zunächst in der Art der dem ENTSO übertragenen Befugnisse zur Netzentwicklung, wie sie sich aus Art. 8 Abs. 3 Buchst. b in Verbindung mit Art. 8 Abs. 10 der Verordnung Nr. 715/2009 ergeben.

112    Zum einen sieht zwar Art. 8 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 715/2009 vor, dass das ENTSO den unionsweiten Netzentwicklungsplan verabschiedet, doch wird dort klargestellt, dass dieser Plan „nicht bindend“ ist. Zudem baut dieser Plan nach Art. 8 Abs. 10 dieser Verordnung auf den „nationalen Investitionsplänen“ auf.

113    Zum anderen „zeigt“ zwar der vom ENTSO nach Art. 8 Abs. 10 der Verordnung Nr. 715/2009 erlassene unionsweite Netzentwicklungsplan nach Buchst. c dieser Bestimmung „Investitionslücken – insbesondere in Bezug auf grenzüberschreitende Kapazitäten – [auf]“, allerdings verleiht diese Bestimmung dem ENTSO keine Befugnis zur Schließung der festgestellten Lücken. Nach Art. 8 Abs. 10 Unterabs. 3 dieser Verordnung kann das ENTSO dem Plan nur „als Anlage eine Übersicht über die Hemmnisse, die den Ausbau der grenzüberschreitenden Kapazitäten des Netzes aufgrund unterschiedlicher Genehmigungsverfahren oder einer unterschiedlichen Genehmigungspraxis erschweren“, beifügen.

114    Daraus folgt, dass die unionsweite Netzentwicklung in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist und dass die Rolle des ENTSO lediglich darin besteht, die Ausübung der Zuständigkeit durch die Mitgliedstaaten zu koordinieren. Es würde daher der inneren Logik der Verordnung Nr. 715/2009 widersprechen, sie dahin auszulegen, dass sie gemäß ihrem Art. 8 Abs. 6 dem ENTSO eine Regelungszuständigkeit für die Ausarbeitung der Vorschriften für die Schaffung neuer Kapazität im Netz zuweist.

115    Ferner ergibt sich sowohl aus Art.16 der Verordnung Nr. 715/2009 als auch aus dem Vergleich dieser Verordnung mit der Richtlinie 2009/73, dass die Modalitäten der Steigerung der Kapazität im Netz in dieser Verordnung nicht als ein Bereich vorgesehen sind, der Gegenstand einer nachfolgenden Regelung auf ihrer Grundlage sein kann.

116    Was erstens Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 angeht, so betrifft er die „Kapazitätszuweisung“ und das „Engpassmanagement“. Diese Bestimmung deckt somit den gleichen Bereich ab wie der Netzkodex, zu dessen Ausarbeitung das ENTSO nach Art. 8 Abs. 1 und Abs. 6 Buchst. g dieser Verordnung ermächtigt ist.

117    Zum einen werden in den Abs. 1 bis 4 von Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 die genauen Pflichten der Fernleitungsnetzbetreiber in Zusammenhang mit der Zuweisung der Kapazitäten und dem Management vertraglich bedingter oder physischer Engpässe im Netz genannt. Diese Pflichten betreffen jedoch ausschließlich die Zuweisung bestehender Kapazitäten und das Engpassmanagement auf der alleinigen Grundlage bestehender Kapazität, d. h. ohne Berücksichtigung neu zu schaffender Kapazität, die sich aus künftigen Investitionen ergeben könnte. Weder die neu zu schaffende Kapazität noch die damit verbundenen neuen Investitionen sind in diesen Absätzen erwähnt. Die Frage neuer Investitionen in das Netz wird hingegen in Abs. 5 von Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 ausdrücklich angesprochen.

118    Zum anderen hat Art. 16 Abs. 5 der Verordnung Nr. 715/2009 einen weit weniger vorschreibenden Charakter als die ersten vier Absätze dieses Artikels. Er beschränkt sich darauf, einerseits hervorzuheben, dass „Fernleitungsnetzbetreiber... regelmäßig die Marktnachfrage nach neuen Investitionen [bewerten]“ und dass zum anderen bei der „Planung neuer Investitionen... die Fernleitungsnetzbetreiber die Marktnachfrage [bewerten] und... die Versorgungssicherheit [berücksichtigen]“. Es ist keine Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber vorgesehen, aufgrund der Netzsituation oder der Versorgungssicherheit zusätzliche Investitionen zu tätigen.

119    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die einzigen Bestimmungen, die möglicherweise eine Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber enthalten, neue Investitionen in das Netz zu tätigen, um neue Kapazität zu schaffen, in der Richtlinie 2009/73 enthalten sind, die gleichzeitig mit der Verordnung Nr. 715/2009 im Rahmen des „dritten Energiepakets“ erlassen wurde.

120    So verpflichtet Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 die Fernleitungsnetzbetreiber, „ausreichende grenzüberschreitende Kapazitäten für die Integration der europäischen Fernleitungsinfrastruktur [aufzubauen], um die gesamte wirtschaftlich sinnvolle und technisch zu bewältigende Kapazitätsnachfrage zu befriedigen, wobei der Erdgasversorgungssicherheit Rechnung getragen wird“. Darüber hinaus sieht Art. 22 („Netzausbau und Befugnis zum Erlass von Investitionsentscheidungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass „[d]ie Fernleitungsnetzbetreiber... der Regulierungsbehörde jedes Jahr... einen zehnjährigen Netzentwicklungsplan [vorlegen], der sich auf die derzeitige Lage und die Prognosen im Bereich von Angebot und Nachfrage stützt“. Nach Abs. 3 des letztgenannten Artikels stützt sich dieser Plan auf „angemessene Annahmen über die Entwicklung der Gewinnung, der Versorgung, des Verbrauchs und des Gasaustauschs mit anderen Ländern“.

121    Zudem ergibt sich aus Art. 41 Abs. 1 Buchst. b und g der Richtlinie 2009/73, dass es Sache der Regulierungsbehörde ist, die Einhaltung der unionsrechtlichen Pflichten der Fernleitungsnetzbetreiber auch in Bezug auf Fragen grenzüberschreitender Natur zu überwachen, und dass sich diese Überwachungsaufgabe auch auf die Investitionspläne der Fernleitungsnetzbetreiber erstreckt.

122    Diese Überwachungsaufgabe kommt insbesondere in Art. 22 Abs. 4 bis 7 der Richtlinie 2009/73 zum Ausdruck, der die nationale Regulierungsbehörde verpflichtet, Konsultationen zum zehnjährigen Netzentwicklungsplan des Fernleitungsnetzbetreibers mit allen tatsächlichen und potenziellen Netzbenutzern durchzuführen, zu prüfen, ob dieser Plan vollständig ist und ob die Kohärenz mit dem unionsweit geltenden Netzentwicklungsplan gemäß Art. 8 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 715/2009 gewahrt ist, die Durchführung des zehnjährigen Netzentwicklungsplans zu überwachen und zu evaluieren, sowie gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, wenn vom Netzbetreiber keine Investition durchgeführt wird.

123    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein Fernleitungsnetzbetreiber nach der Richtlinie 2009/73 verpflichtet ist, die für das reibungslose Funktionieren des Netzes erforderlichen Investitionen zu tätigen und gegebenenfalls neue Kapazität zu schaffen, und dass es Sache des Mitgliedstaats ist, die Einhaltung dieser Verpflichtungen über seine nationale Regulierungsbehörde zu überwachen.

124    Außerdem ist festzustellen, dass keine Bestimmung der Richtlinie 2009/73 die Annahme eines normativen Rahmens auf Unionsebene für die Modalitäten der Durchführung der Investitionsverpflichtungen der Fernleitungsnetzbetreiber oder für die Modalitäten der Überwachung dieser Verpflichtungen durch die nationalen Regulierungsbehörden vorsieht.

125    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 42 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/73, auf den die Kommission Bezug nimmt, zwar die Bedeutsamkeit einer Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regulierungsbehörden betont, vor allem um „ – u. a. durch neue Verbindungen – ein angemessenes Maß an Verbindungskapazitäten … zu ermöglichen“, jedoch die Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen den Regulierungsbehörden lediglich „auf regionaler Ebene“ vorsieht. Diese Bestimmung kann daher nicht so verstanden werden, dass sie eine Regelung der Kommission über die Schaffung neuer Kapazität an den Kopplungspunkten vorsieht.

126    Aus der Analyse der Verordnung Nr. 715/2009 und der Richtlinie 2009/73 ist daher der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des „dritten Energiepakets“ beabsichtigt hat, dass die Durchführung der einschlägigen Unionsvorschriften über die Netzentwicklung und die Schaffung neuer Kapazität in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, ohne dem ENTSO und der Kommission diesbezüglich eine Zuständigkeit zuzuerkennen.

iii) Teleologische Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009

127    Hinsichtlich der teleologischen Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 führen die ACER und die Kommission verschiedene Argumente an, um die Begründetheit einer Regelung auf Unionsebene im Bereich der Investitionen zur Schaffung neuer Kapazität zu rechtfertigen. So weisen sie darauf hin, dass für das reibungslose Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts eine Regulierung der großen Rohrleitungsnetze erforderlich sei, damit diese über ausreichende Investitionen verfügten und nicht wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen der Fernleitungsnetzbetreiber ausgesetzt seien, die sich in einer natürlichen Monopolstellung befänden.

128    Insoweit stand es dem Unionsgesetzgeber zwar frei, in der Verordnung Nr. 715/2009 die Schaffung neuer Kapazität im Netz u. a. zur Erreichung des energiepolitischen Ziels der Union, das nach Art. 194 Abs. 1 Buchst. b AEUV in der „Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union“ besteht, vorzusehen, es ist jedoch festzustellen, dass sich aus keiner der Begründungserwägungen dieser Verordnung eine Zielsetzung ableiten lässt, die darin besteht, das ENTSO und folglich die Kommission zu ermächtigen, einen Netzkodex auszuarbeiten, der sich auf die Frage der zur Schaffung solch neuer Kapazität erforderlichen Investitionen erstreckt.

129    Wie oben in Rn. 126 ausgeführt worden ist, ergibt sich aus der Verordnung Nr. 715/2009 und der Richtlinie 2009/73 vielmehr, dass der Gesetzgeber beim Erlass des „dritten Energiepakets“ die Absicht hatte, die Durchführung der in diesem Bereich einschlägigen Unionsvorschriften allein den Mitgliedstaaten zu übertragen.

130    Diese Schlussfolgerung wird bestätigt, wenn man die vorbereitenden Arbeiten zur Verordnung Nr. 715/2009 berücksichtigt. Aus dem Gemeinsamen Standpunkt Nr. 12/2009 des Rates vom 9. Januar 2009 im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, C 75 E, S. 38) ergibt sich, dass dieser dem oben in Rn. 112 bzw. in Rn. 118 wiedergegebenen Wortlaut von Art. 8 Abs. 3 Buchst. b und von Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 gegenüber dem von der Kommission und dem Europäischen Parlament ins Auge gefassten Wortlaut den Vorzug gegeben hat und so die geplanten Verweise auf Investitionen in das Netz und die Schaffung neuer Kapazität verworfen hat.

131    Was zum einen Art. 8 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 715/2009 angeht, hat die MEKH in ihren Antworten auf prozessleitende Maßnahmen zu Recht darauf hingewiesen, dass der Rat in Bezug auf die dem ENTSO bei der Planung zugewiesene Rolle den Vorschlag der Kommission verworfen hat, indem er den Ausdruck „Netzentwicklungsplan“ dem Ausdruck „Investitionsplan“ vorgezogen und den „nicht bindenden“ Charakter dieses Plans betont hat.

132    Was zum anderen Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 betrifft, ist der Rat einer Änderung des Europäischen Parlaments nicht gefolgt, dem die Kommission zugestimmt hatte und die zur Anerkennung einer Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber geführt hätte, neue Kapazität zu schaffen, und zwar nach einem Verfahren, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem nach Kapitel V der Verordnung 2017/459 vorgesehenen und oben in den Rn. 66 bis 73 beschriebenen Verfahren aufweist.

133    Mit dieser Änderung sollte in Art. 16 der Verordnung Nr. 715/2009 ein Absatz eingefügt werden, der zum einen die Pflicht der Fernleitungsnetzbetreiber vorsah, „[i]m Fall eines physischen Engpasses von langer Dauer durch die Erweiterung bestehender Kapazitäten um neue Kapazitäten entsprechend der Marktnachfrage [Abhilfe zu schaffen]“, und zum anderen die Pflicht dieser Betreiber vorsah, vorläufige Verfahren zur freiwilligen Zeichnung durchzuführen, „[u]m die Marktnachfrage bewerten zu können“.

134    Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass sich aus der wörtlichen, der systematischen und der teleologischen Auslegung von Art. 8 Abs. 6 der Verordnung Nr. 715/2009 ergibt, dass diese Vorschrift dem ENTSO keine Ermächtigung erteilt, in einen Netzkodex Regelungen aufzunehmen, die einen Gasfernleitungsnetzbetreiber dazu verpflichten können, in diesem Netz neue Kapazität zu schaffen.

135    Daraus folgt, dass die Kommission nicht befugt war, allein auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 715/2009 die in Kapitel V der Verordnung 2017/459 enthaltenen Bestimmungen über das Verfahren für neu zu schaffende Kapazität zu erlassen.

2)      Umfang der der Kommission durch Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 2 und durch Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 715/2009 verliehenen Ermächtigung

136    Aus den oben in Rn. 99 dargelegten Gründen ist zu prüfen, ob sich eine solche Ermächtigung gegebenenfalls aus Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 2 und aus Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 715/2009 ergeben könnte, die es der Kommission gestatten, die nicht wesentlichen Bestimmungen dieser Verordnung beim Erlass oder der Änderung von Netzkodizes zu ändern.

137    Nach ständiger Rechtsprechung sind wesentliche Aspekte einer Grundregelung diejenigen, deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen (vgl. Urteil vom 11. Mai 2017, Dyson/Kommission, C‑44/16 P, EU:C:2017:357, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

138    Die Bestimmung der Aspekte einer Materie, die als wesentlich einzustufen sind, muss sich nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können, und verlangt, die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 11. Mai 2017, Dyson/Kommission, C‑44/16 P, EU:C:2017:357, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139    Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass Kapitel V der Verordnung 2017/459 einer Änderung der Verordnung Nr. 715/2009 gleichkommt, die dazu führt, dass bei der Schaffung neuer Kapazität die dem ENTSO und in der Folge der Kommission durch Art. 8 Abs. 6 Buchst. g der Verordnung Nr. 715/2009 im Bereich der „Regeln für Kapazitätszuweisung und Engpassmanagement“ zuerkannte Ermächtigung erweitert wird, obwohl diese Ermächtigung nur bestehende Netzkapazitäten betrifft.

140    Aus den oben in den Rn. 114 bis 126 dargelegten Gründen ergibt sich jedoch aus der Systematik der Verordnung Nr. 715/2009 sowie aus einer Zusammenschau mit der gleichzeitig erlassenen Richtlinie 2009/73, dass der Gesetzgeber eine politische Entscheidung getroffen hat, die darin besteht, dass die Durchführung der einschlägigen Unionsvorschriften über die Schaffung neuer Kapazität allein den Mitgliedstaaten zugewiesen wird, ohne dass dem ENTSO und der Kommission dafür eine Befugnis erteilt wird. Daher ist in Anwendung der oben in Rn. 137 angeführten Rechtsprechung davon auszugehen, dass die durch Kapitel V der Verordnung 2017/459 vorgenommene Änderung eine wesentliche Bestimmung der Verordnung Nr. 715/2009 betrifft, die nicht von Art. 6 Abs. 11 Unterabs. 2 und von Art. 7 Abs. 3 der letztgenannten Verordnung erfasst wird.

141    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission nicht kraft der Verordnung Nr. 715/2009 ermächtigt war, die in Kapitel V der Verordnung 2017/459 enthaltenen Bestimmungen über das Verfahren für neu zu schaffende Kapazität zu erlassen.

142    Daher ist der Einrede der Rechtswidrigkeit stattzugeben und Kapitel V der Verordnung 2017/459 nach Art. 277 AEUV für unanwendbar zu erklären. Daraus folgt, dass die Entscheidung des Beschwerdeausschusses, die dieses Kapitel anwendet, mit Wirkung erga omnes für nichtig zu erklären ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, C‑442/03 P und C‑471/03 P, EU:C:2006:356, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), ohne dass über die übrigen im Rahmen der vorliegenden Rechtsstreitigkeiten geltend gemachten Klagegründe entschieden zu werden braucht.

143    Folglich ist den vorliegenden Klagen stattzugeben, soweit sie gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses gerichtet sind.

IV.    Kosten

144    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die ACER im vorliegenden Fall im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr entsprechend den Anträgen der Klägerinnen ihre eigenen Kosten und sämtliche Kosten der Klägerinnen aufzuerlegen.

145    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Kommission trägt daher ihre eigenen Kosten.

146    Außerdem sind der E-Control gemäß Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage der Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal (MEKH) ist unzulässig, soweit sie die Entscheidung Nr. 05/2019 der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 9. April 2019 betrifft.

2.      Die Entscheidung Nr. A-004-2019 des Beschwerdeausschusses der ACER vom 6. August 2019 wird für nichtig erklärt.

3.      Die ACER trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der MEKH und der FGSZ Földgázszállító Zrt.

4.      Die Europäische Kommission und die Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (E-Control) tragen ihre eigenen Kosten.

Tomljenović

Kreuschitz

Schalin

Škvařilová-Pelzl

 

      Nõmm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. März 2022.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



*      Verfahrenssprachen: Englisch und Ungarisch.