SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NIILO JÄÄSKINEN
vom 11. Dezember 2014(1)
Rechtssache C‑352/13
Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA
gegen
Evonik Degussa GmbH,
Akzo Nobel NV,
Solvay SA,
Kemira Oyj,
Arkema France SA,
FMC Foret SA,
Chemoxal SA,
Edison SpA
(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Dortmund [Deutschland])
„Gerichtliche Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Auskunfts- und Schadensersatzklage gegen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen, die sich an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten an einem Kartell beteiligt haben, das wegen Verstoßes gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) und Art. 53 EWR-Abkommen für rechtswidrig erklärt worden ist – Art. 6 Nr. 1 – Zuständigkeit bei einer Mehrheit von Beklagten – Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – Rücknahme der Klage gegen den einzigen Beklagten, der in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat – Fortbestand der Zuständigkeit – Rechtsmissbrauch – Art. 5 Nr. 3 – Zuständigkeit bei einer unerlaubten Handlung oder bei Ansprüchen aus einer solchen Handlung – Begriff ‚Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist‘ – Eventuelle Zuständigkeit für alle Mitbeklagten und alle geltend gemachten Schäden, die auf jeden Ort im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestützt wird, an dem das rechtswidrige Kartell vereinbart und umgesetzt worden ist – Art. 23 – Gerichtsstandsklauseln – Schiedsklauseln – Auswirkungen des Grundsatzes der vollen Wirksamkeit des unionsrechtlichen Kartellverbots“
I – Einleitung
1. Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Dortmund (Deutschland) betrifft die Auslegung der Art. 5 Nr. 3 und Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2) (im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung) sowie die Kombination zwischen diesen Bestimmungen und den mit Art. 101 AEUV zusammenhängenden Grundprinzipien des Wettbewerbsrechts der Union und damit einen Aspekt, über den bisher noch nicht entschieden worden ist.
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer von einer in Belgien ansässigen Klägerin vor dem genannten deutschen Gericht erhobenen Auskunfts- und Schadensersatzklage gegen mehrere Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten – davon ein einziges in Deutschland –, die sich an einer Zuwiderhandlung beteiligt hatten, die wegen Verstoßes gegen das in Art. 81 EG (jetzt Art. 101 AEUV) und in Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992(3) festgelegte Kartellverbot mit einer Entscheidung der Europäischen Kommission für rechtswidrig erklärt worden ist.
3. Da die Parteien in Bezug auf die internationale Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts unterschiedliche Auffassungen vertreten, sucht dieses hauptsächlich unter drei Blickwinkeln um eine Auslegung durch den Gerichtshof nach.
4. Erstens möchte es wissen, ob Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, der eine Ausdehnung der Zuständigkeit des Gerichtsstands in der Weise erlaubt, dass an diesem auch über Klagen entschieden werden kann, die gegen andere Beklagte als den in seinem Bezirk ansässigen Beklagten gerichtet sind, in einem Rechtsstreit wie dem im Ausgangsverfahren anwendbar ist, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Diese Fragestellung wird zudem in dem besonderen Fall aufgeworfen, dass der Kläger seine Klage, wie im vorliegenden Fall, nur in Bezug auf den Mitbeklagten zurückgenommen hat, der in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat, und insoweit als „Ankerbeklagter“ zu qualifizieren ist, als nur er die Zuständigkeit des Gerichtsstands begründen kann.
5. Zweitens wird der Gerichtshof in Bezug auf die in Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehene Zuständigkeit bei einer unerlaubten Handlung oder bei Ansprüchen aus einer solchen Handlung gefragt, ob der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne dieser Vorschrift so zu verstehen ist, dass er eine Anknüpfung der genannten Zuständigkeit für alle Beklagten und alle vermeintlichen Schäden an jeden der zahlreichen Orte der Mitgliedstaaten zulässt, an denen Kartellvereinbarungen getroffen und/oder umgesetzt wurden und nach Auffassung der Klägerin die Abnehmer in ihrer Auswahlfreiheit beschränkt worden sind.
6. Drittens scheint das vorlegende Gericht von der Prämisse auszugehen, dass die im vorliegenden Fall geltend gemachten Entschädigungsansprüche von einigen der möglicherweise unter Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung fallenden Gerichtsstandsklauseln und/oder der Schiedsklauseln, auf die sich die Beklagten des Ausgangsverfahrens berufen, erfasst werden. Es fordert den Gerichtshof auf, sich zu der Frage zu äußern, ob solche Klauseln dem Schadensersatzkläger aufgrund des Gebots einer effektiven Durchsetzung des Kartellverbots in Art. 101 AEUV in dieser Fallkonstellation nicht entgegengehalten werden können, wenn die Klage vor einem der Gerichte erhoben worden ist, die nach Art. 5 Nr. 3 und/oder Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung zuständig wären.
7. Ich möchte hervorheben, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache erstmals aufgefordert wird, sich unmittelbar zum Zusammenspiel zwischen den Bestimmungen des Primärrechts, die einen freien Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union gewährleisten, einerseits, und den Bestimmungen des internationalen Privatrechts der Union über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen andererseits zu äußern, und dies anlässlich eines Rechtsstreits, der die Besonderheit aufweist, dass er sich auf ein Kartell bezieht, das insofern groß angelegt ist, als es eine Vielzahl von Beteiligten und Geschädigten betrifft und den Wettbewerb im gesamten Binnenmarkt verfälscht hat.
8. Vorab stelle ich klar, dass sich die Brüssel‑I-Verordnung, deren Ziel es ist, ein System eigener Zuständigkeitsregeln der Union für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen zu schaffen, meines Erachtens nicht besonders gut dafür eignet, eine private Durchsetzung der Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union („private enforcement“ nach der in diesem Bereich üblichen Bezeichnung)(4) zu gewährleisten, die in einer Fallkonstellation wie der in Rede stehenden wirksam ist.
9. Die Anwendung einiger Bestimmungen dieser Verordnung kann nämlich zu einer territorialen Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten führen, die möglicherweise unter dem Gesichtspunkt des räumlichen Geltungsbereichs des Wettbewerbsrechts der Union zum einen nicht angemessen wäre und es den Opfern rechtswidriger Wettbewerbsbeschränkungen zum anderen erschweren würde, auf vollständigen Ersatz der ihnen entstandenen Schäden zu klagen und diesen auch zu erhalten. Es erscheint mir daher möglich, dass die Urheber derartiger Beschränkungen von diesen Bestimmungen des internationalen Privatrechts auf eine Weise Gebrauch machen, dass eine Situation geschaffen wird, in der die zivilrechtlichen Folgen eines einheitlichen und schweren Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union im Rahmen einer Reihe von Verfahren festgestellt werden müssten, die auf die verschiedenen Mitgliedstaaten verstreut sind.
10. Die allgemeine Schlussfolgerung, die ich aus dieser Vorlage ziehen werde, besteht darin, dass es aufgrund der besonderen Auswirkungen, die grenzüberschreitende wettbewerbswidrige Praktiken im Bereich der zivilgerichtlichen Zusammenarbeit – vor allem dann, wenn sie wie im Ausgangsrechtsstreit komplex sind – haben können, meiner Meinung nach de lege ferenda sinnvoll wäre, wenn der Unionsgesetzgeber in Betracht zöge, eine eigene Zuständigkeitsregel für solche Praktiken in die Brüssel‑I-Verordnung einzufügen(5), ähnlich der Kollisionsnorm, die in der gemeinhin als „Rom II“ bezeichneten Verordnung speziell für Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten enthalten ist(6).
II – Rechtlicher Rahmen
11. Die Erwägungsgründe 11, 12, 14 und 15 der Brüssel‑I-Verordnung lauten:
„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.
…
(14) Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten muss die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden.
(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …“
12. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Brüssel‑I-Verordnung ist diese nicht auf die Schiedsgerichtsbarkeit anzuwenden.
13. In Kapitel II der genannten Verordnung sind eine Reihe von Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen aufgeführt. Ihr Art. 2 Abs. 1 stellt den Grundsatz auf, dass „[v]orbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung … Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen [sind]“.
14. Art. 5 Nr. 3, der sich in Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) des genannten Kapitels befindet, sieht vor: „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: … wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.“
15. Im genannten Abschnitt fügt Art. 6 Nr. 1 hinzu: „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden … wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.“
16. Art. 23 Abs. 1 und 5, der sich in Abschnitt 7 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) des genannten Kapitels befindet, hat folgenden Wortlaut:
„(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. …
…
(5) Gerichtsstandsvereinbarungen … haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 13, 17 und 21 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 22 ausschließlich zuständig sind.“
III – Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
17. Die Klage im Ausgangsverfahren wird auf eine Entscheidung vom 3. Mai 2006(7) gestützt, in der die Kommission die Auffassung vertrat, mehrere Wasserstoffperoxid und/oder Natriumperborat(8) liefernde Unternehmen hätten sich an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung gegen das in Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) und in Art. 53 EWR-Abkommen festgelegte Kartellverbot beteiligt; im Rahmen dieser Entscheidung wurden einige dieser Unternehmen zur Zahlung von Geldbußen verurteilt(9).
18. In der erwähnten Entscheidung wurde ausgeführt, dass der genannte Zeitraum der Zuwiderhandlung am 31. Januar 1994 begonnen und am 31. Dezember 2000 geendet habe und diese das gesamte Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) umfasst habe. Das betreffende Kartell habe vor allem den Austausch von Informationen über Preise und Absatzmengen durch die Wettbewerber, Preisabsprachen, Vereinbarungen über den Abbau von Produktionskapazitäten und die Überwachung der wettbewerbswidrigen Absprachen umfasst. Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass diese Kartellabsprachen im Rahmen von Treffen und Telefonkontakten hauptsächlich in Belgien, Frankreich und Deutschland erfolgt seien und sich die Kartellanten in unterschiedlicher Weise, aber im Wissen um das Ungesetzliche ihrer geheimen Handlungen zur Beschränkung des Wettbewerbs beteiligt hätten.
19. Die Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA (im Folgenden: CDC) ist ein Unternehmen mit Sitz in Belgien, dessen Zweck die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche ist, die ihm von einigen der im Rahmen der erwähnten Zuwiderhandlung angeblich geschädigten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar abgetreten wurden(10).
20. Mit Schriftsatz vom 16. März 2009 verklagte CDC sechs der von der Kommission belangten Unternehmen, die ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten hatten, wobei ein einziges von ihnen im Gerichtsstaat ansässig war, nämlich die Evonik Degussa GmbH mit Sitz in Essen (Deutschland)(11), vor dem Landgericht Dortmund gemeinsam auf Schadensersatz.
21. Im September 2009 – nach Zustellung der Klage an sämtliche Beklagten des Ausgangsverfahrens, aber vor Ablauf der für die Einreichung der Klageerwiderungen und den Beginn der mündlichen Verhandlung gesetzten Fristen – ließ CDC ihre Klage gegen dieses deutsche Unternehmen aufgrund eines Vergleichs fallen. Ende des Jahres 2009 forderten die Beklagten, die noch am Verfahren beteiligt waren, Evonik Degussa und zwei weitere von der Entscheidung der Kommission betroffene Unternehmen auf, dem Verfahren als Streithelfer beizutreten(12).
22. CDC machte geltend, in den Jahren 1994 bis 2006 hätten die Unternehmen, die ihre Rechte an sie abgetreten hätten, bei am Kartell beteiligten Lieferanten erhebliche auf vertraglicher Grundlage gelieferte Mengen Wasserstoffperoxid in verschiedenen Mitgliedstaaten der Union bzw. des EWR bezogen.
23. Mit dem Einwand, dass einige dieser Lieferverträge Schieds- und Gerichtsstandsklauseln enthielten, rügten sämtliche Beklagten des Ausgangsverfahrens die internationale Unzuständigkeit.
24. Das Landgericht Dortmund vertrat die Auffassung, seine eigene Zuständigkeit könne nur auf die Vorschriften von Art. 6 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung gestützt werden, wenn diese Zuständigkeit nicht wirksam durch eine Gerichtsstandsklausel nach Art. 23 dieser Verordnung oder durch eine Schiedsklausel ausgeschlossen sei. Vor diesem Hintergrund hat es das Verfahren mit am 26. Juni 2013 eingereichter Entscheidung ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. a) Ist Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung so auszulegen, dass bei einer Klage, mit der eine im Gerichtsstaat ansässige Beklagte und weitere in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässige Beklagte gemeinsam auf Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 81 EG/Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen, eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren geboten ist?
b) Ist dabei zu berücksichtigen, wenn die Klage gegen die im Gerichtsstaat ansässige Beklagte nach Zustellung an sämtliche Beklagten und vor Ablauf der richterlich gesetzten Fristen zur Klageerwiderung und vor Beginn der ersten mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird?
2. Ist Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung so auszulegen, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässigen Beklagten Auskunft und Schadensersatz verlangt wird, wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 81 EG/Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden Beklagten und auf alle geltend gemachten Schäden oder einen Gesamtschaden in denjenigen Mitgliedstaaten eingetreten ist, in denen Kartellvereinbarungen getroffen und umgesetzt wurden?
3. Lässt bei auf Schadensersatz wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot des Art. 81 EG/Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen gerichteten Klagen das unionsrechtliche Gebot effektiver Durchsetzung des Kartellverbots es zu, in Lieferverträgen enthaltene Schieds- und Gerichtsstandsklauseln zu berücksichtigen, wenn dies zur Derogation eines nach Art. 5 Nr. 3 und/oder Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung international zuständigen Gerichts gegenüber allen Beklagten und/oder für alle oder einen Teil der geltend gemachten Ansprüche führt?
25. Schriftliche Erklärungen haben eingereicht CDC, Evonik Degussa nur zu Buchst. b der ersten Frage, Akzo Nobel, Solvay, Kemira, FMC Foret und Edison, die französische Regierung nur zur dritten Frage sowie die Kommission. Mit Schreiben vom 26. August 2013 hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof darüber informiert, dass CDC ihre Klage gegen Arkema France zurückgenommen hat. Es ist keine mündliche Verhandlung abgehalten worden.
IV – Würdigung
A – Vorbemerkungen
26. Was die allgemeinen Fragestellungen der vorliegenden Rechtssache angeht, möchte ich erstens hervorheben, dass mit der Brüssel‑I-Verordnung als solcher keineswegs die Vorschriften des Wettbewerbsrechts der Union durchgesetzt werden sollen. Wie es u. a. in ihren Erwägungsgründen 1, 2 und 6 heißt, zielt diese Verordnung darauf ab, „das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts“ zu fördern und „den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ zu gewährleisten, indem sowohl in Bezug auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten als auch auf die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen dieser Gerichte ein einheitlicher Rahmen für Rechtsstreitigkeiten geschaffen wird, die den genannten Bereich betreffen.
27. Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Auslegung und die Anwendung der Brüssel‑I-Verordnung es ermöglichen müssen, die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union, die für den Binnenmarkt von wesentlicher Bedeutung sind und bei denen es sich um ein Schlüsselelement der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union(13) handelt, zu erhalten, da Art. 85 des EG-Vertrags, jetzt Art. 101 AEUV, wie der Gerichtshof bereits hervorgehoben hat, „eine grundlegende Bestimmung dar[stellt], die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich ist“(14). Darüber hinaus müssen die prozessualen Normen des Unionsrechts gewissermaßen in den Dienst der materiellen Normen dieses Rechts gestellt werden, und zwar in dem Sinne, dass die erstgenannten Normen ein Instrument sind, das es ermöglicht, die Rechte und Pflichten von Privatpersonen und Behörden, insbesondere unter dem Blickwinkel des in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren(15), greifbar zu machen.
28. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit die zivilrechtlichen Folgen betrifft, die sich aus einer unerlaubten Handlung in Form eines einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 101 AEUV, der von mehreren Unternehmen mit Sitz im Hoheitsgebiet verschiedener Mitgliedstaaten begangen worden ist und dessen zahlreiche Geschädigte ihren Wohnsitz ihrerseits in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, ergeben können.
29. Tatsächlich scheint mir das Auftreten gerichtlicher Akteure wie der Klägerin des Ausgangsverfahrens, deren Zweck es ist, Vermögenswerte zusammenzufassen, die auf Entschädigungsansprüche wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union gestützt werden(16), ein Indikator dafür zu sein, dass es im Fall komplexerer Wettbewerbsverstöße für die Geschädigten nicht vernünftig ist, in eigener Person und einzeln gegen die verschiedenen Urheber eines derartigen Verstoßes vorzugehen(17).
30. Sodann weise ich darauf hin, dass die Entschädigung der Opfer eines gegen das Unionsrecht verstoßenden Kartells für Letztere ein Vorrecht darstellt, dessen wesentlicher Inhalt im Einklang mit der Rechtsprechung, die sich aus den die Auslegung von Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) betreffenden Urteilen Courage und Crehan(18) sowie Manfredi u. a.(19) ergeben hat, durch dieses Recht geregelt wird. Dies gilt sowohl für das Bestehen des genannten Vorrechts als auch für dessen wesentliche materielle Tragweite, die für die Geschädigten u. a. die Möglichkeit beinhaltet, einen Ersatz zu erhalten, der nicht nur die erlittenen Verluste (damnum emergens), sondern auch den Gewinn, der ihnen aufgrund eines solchen Kartells entgangen ist (lucrum cessans), sowie die Zahlung von Zinsen umfasst(20).
31. Unter Berücksichtigung des Stands der Entwicklung des Unionsrechts bleiben die Einzelheiten der Ausübung dieses Rechts auf eine vollständige Entschädigung, wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, gleichwohl das Attribut der Mitgliedstaaten, sofern diese die in der genannten Rechtsprechung angeführten Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einhalten(21). Die Beibehaltung der Regelungszuständigkeit der nationalen Gesetzgeber in diesem Bereich gilt insbesondere für die Verfahrensvorschriften, aber nicht mehr für die Kollisionsnormen, da das „[a]uf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten … [anzuwendende] Recht“ nunmehr in verbindlicher Weise durch die Rom‑II-Verordnung festgelegt wird(22).
32. Entsprechend sollte dieser in Bezug auf Vorschriften des nationalen Rechts aufgestellte Grundsatz der Effektivität von Schadensersatzklagen meines Erachtens erst recht die Auslegung und Anwendung der Brüssel‑I-Verordnung beeinflussen, in dem Sinne, dass diese – als Rechtsakt des abgeleiteten Rechts, der von der Union selbst erlassen worden ist – nicht auf eine Weise ausgelegt werden kann, dass die Ausgestaltung des erwähnten Vorrechts, das auf der Grundlage des Primärrechts verliehen wird, im Kontext eines grenzüberschreitenden Kartells in der Praxis unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird(23).
33. Zweitens möchte ich hervorheben, dass eine Klage, die, wie die hier in Rede stehende, darauf gerichtet ist, eine Entschädigung von Unternehmen zu erhalten, die gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben, aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter die „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung fällt(24).
34. Drittens ist festzustellen, dass, da die Brüssel‑I-Verordnung in den Beziehungen der Mitgliedstaaten das am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichnete Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen)(25) ersetzt hat, die Auslegung der Bestimmungen des letztgenannten Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die Bestimmungen der erwähnten Verordnung gilt, soweit die Bestimmungen dieser beiden Rechtsakte als gleichbedeutend angesehen werden können(26).
35. Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs scheint mir eine solche Bedeutungsgleichheit für jede der Bestimmungen der Brüssel‑I-Verordnung, die vom vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen betroffen sind – nämlich deren Art. 5 Nr. 3, Art. 6 Nr. 1 und Art. 23 Abs. 1 –, festzustehen, da der Inhalt der entsprechenden Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens – nämlich dessen Art. 5 Nr. 3, Art. 6 Nr. 1 und Art. 17 Abs. 1 – zumindest im Wesentlichen ähnlich, wenn nicht sogar identisch ist(27).
36. Viertens weise ich darauf hin, dass im Einklang mit den Zielsetzungen des Brüsseler Übereinkommens, die auch die Zielsetzungen der Brüssel‑I-Verordnung sind, zum einen so weit wie möglich eine Häufung der Gerichtsstände in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis verhindert, und zum anderen die Rechtssicherheit sowohl der Kläger als auch der Beklagten durch die Möglichkeit gewährleistet werden soll, mit Sicherheit den zuständigen Gerichtsstand vorherzusehen, indem u. a. dem angerufenen Gericht ermöglicht wird, über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen(28).
37. Schließlich werden Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht nach meinem Dafürhalten mehrheitlich als Klagen aus unerlaubter Handlung konzipiert(29), wobei es – zumindest in bestimmten nationalen Rechtssystemen – jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen ist, die Grundlage solcher Klagen als vertraglich zu qualifizieren(30).
38. Daher will ich die Prüfung der dem Gerichtshof unterbreiteten Fragestellungen mit der zweiten Vorlagefrage beginnen, die Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung betrifft, der eine besondere Zuständigkeit für Klagen auf Schadensersatz aus deliktischer Haftung vorsieht (B). Anschließend werde ich die erste Frage untersuchen, die sich auf Art. 6 Nr. 1 dieser Verordnung bezieht, der eine erweiterte Zuständigkeit für im Zusammenhang stehende Klagen gegen mehrere Beklagte vorsieht (C). Ich werde mit der dritten Frage schließen, die mit diesen beiden Vorschriften und spezifischen Aspekten der Wahl des Gerichtsstands verknüpft ist und mit dem Gebot der vollen Wirksamkeit des unionsrechtlichen Kartellverbots zusammenhängt (D).
B – Zur Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung (zweite Frage)
39. Mit der zweiten Frage wird der Gerichtshof im Wesentlichen aufgefordert, sich zum Anwendungsbereich von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und zum Umfang der Zuständigkeit zu äußern, die sich aus der in dieser Vorschrift enthaltenen Sonderregel ergeben könnte (1). Ich bin – insbesondere unter Berücksichtigung der mit der genannten Vorschrift verfolgten Ziele – der Ansicht, dass ihre Anwendung problematisch ist und unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits, dessen Besonderheiten unleugbar sind, sogar ausgeschlossen werden sollte (2).
1. Zu der dem Gerichtshof unterbreiteten Fragestellung
40. Ausweislich seines Vorabentscheidungsersuchens geht das vorlegende Gericht davon aus, dass die bei ihm anhängige Auskunfts- und Schadensersatzklage in den Anwendungsbereich der „unerlaubten Handlung“ gemäß Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung fällt und diese Vorschrift daher seine eigene Zuständigkeit begründen kann. Eine solche Qualifizierung derartiger Klagen hat der Gerichtshof unlängst anerkannt(31).
41. Bei komplexen Delikten(32) bezeichnet der Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“(33) im erwähnten Art. 5 Nr. 3, wie dieses Gericht darüber hinaus zu Recht feststellt, nach ständiger Rechtsprechung gleichzeitig den Ort des für den behaupteten Schaden ursächlichen Geschehens und den Ort der Verwirklichung dieses Schadens, so dass der Kläger Beklagte nach seiner Wahl vor dem Gericht des einen oder des anderen dieser beiden Orte in Anspruch nehmen kann(34). Auch weist es darauf hin, dass ein auf der Grundlage des letztgenannten Anknüpfungspunkts zuständiges Gericht im Fall mehrerer vermeintlicher Schäden gleichwohl nur über die Klagen entscheiden könne, die einen Schaden beträfen, der im Hoheitsgebiet seines Sitzstaats entstanden sei(35).
42. Das vorlegende Gericht hat Zweifel dahin gehend, wie die vom Gerichtshof auf diese Weise alternativ festgelegten Kriterien im Rahmen des Rechtsstreits, mit dem es befasst ist, umgesetzt werden sollen, da die Beiträge der Mitglieder des Kartells, das zu einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV und zu den geltend gemachten Schäden geführt hat, die Besonderheit aufweisen, dass sie sich sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unterscheiden. Es fragt sich hauptsächlich, ob Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung es selbst dann zulässt, an jedem „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne dieser Vorschrift und gegen jedes Mitglied des Kartells eine Klage zu erheben, die den durch dieses Kartell verursachten Gesamtschaden betrifft, wenn einige der Beklagten nicht unmittelbar im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des Gerichtsstands tätig geworden sind.
43. CDC schlägt dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass nach dieser Vorschrift ein Gerichtsstand für die Geltendmachung des aus den vom genannten Verstoß umfassten Kartellabsprachen resultierenden Gesamtschadens in jedem Mitgliedstaat eröffnet werden sollte, in dessen Hoheitsgebiet entweder zumindest ein Teil dieser Kartellabsprachen getroffen oder umgesetzt wurden oder diese den betreffenden Markt zumindest teilweise unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt haben. Die Kommission wählt einen ähnlichen Ansatz, ist in Bezug auf den Umfang der Zuständigkeit der Gerichte, die in diesem Rahmen zulässigerweise angerufen werden könnten, jedoch zurückhaltender(36). Die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die zur zweiten Frage Stellung genommen haben, sprechen sich entweder für die Unzulässigkeit dieser Frage(37) oder – in der Sache – für die Ablehnung einer übergreifenden Zuständigkeit des Gerichtsstands in Bezug auf alle Kartellteilnehmer und für den vermeintlichen Gesamtschaden aus(38).
44. Ich weise darauf hin, dass die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Vorschrift durch mehrere tragende Grundsätze geleitet wird. Zunächst steht fest, dass die in der genannten Vorschrift enthaltenen Begriffe autonom, also ohne Rückgriff auf nationale Rechtsbegriffe, auszulegen sind, um die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen der Verordnung berücksichtigt werden müssen(39). Da es sich insoweit um eine Sonderregel handelt, als sie von dem in Art. 2 dieser Verordnung aufgestellten Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten abweicht, ist sie sodann nicht weit, sondern eng auszulegen(40), vor allem um eine generelle Einführung des forum actoris(41) und eine das „forum shopping“ begünstigende Häufung der zuständigen Gerichtsstände zu vermeiden.
45. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Zuständigkeitsregel im genannten Art. 5 Nr. 3, wie der Gerichtshof im Einklang mit dem im zwölften Erwägungsgrund der Brüssel‑I-Verordnung erwähnten Ziel der Nähe klargestellt hat, darauf beruht, dass zwischen dem Rechtsstreit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht. Diese Beziehung rechtfertigt aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine abweichende Zuständigkeit der letztgenannten Gerichte(42). Da die Ermittlung eines der Anknüpfungspunkte, die nach der oben angeführten(43) Rechtsprechung anerkannt sind, es erlauben muss, die Zuständigkeit des Gerichts zu begründen, das objektiv am besten beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten vorliegen, kann demzufolge nur ein Gericht zulässigerweise angerufen werden, in dessen Zuständigkeitsbereich der relevante Anknüpfungspunkt liegt(44).
46. Gerade an einer solchen Nähe könnte es nach Auffassung des vorlegenden Gerichts fehlen, wenn in der vorliegenden Rechtssache anerkannt würde, dass gemäß Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung in Bezug auf alle Beklagten und für sämtliche behaupteten Schäden(45) jedes Gericht mit Sitz an einem der mehreren Orte zuständig wäre, an denen das Kartell konzipiert, organisiert und in der Umsetzung überwacht wurde und die Kartellabrede die Abnehmer marktweit in ihrer Auswahlfreiheit beschränkt hat. Ich teile seinen Standpunkt aus folgenden Gründen.
2. Zur Umsetzung der Kriterien für die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung im Rahmen eines Rechtsstreits wie dem im Ausgangsverfahren
47. Auch wenn die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung im Rahmen einer Schadensersatzklage wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV grundsätzlich(46) nicht ausgeschlossen werden kann, neige ich gleichwohl zu der Annahme, dass diese Vorschrift im besonderen Fall eines horizontalen Kartells, das von erheblicher Dauer gewesen ist, das den Wettbewerb im gesamten Hoheitsgebiet der Union beschränkt hat und dessen Struktur sehr komplex ist, da es zu einer ganzen Reihe von kollusiven Vereinbarungen und Praktiken geführt hat, was zur Folge hat, dass sowohl die Teilnehmer als auch die Opfer der geltend gemachten Schäden auf eine Vielzahl von Mitgliedstaaten verstreut sind, nicht angewandt werden sollte(47).
48. In einer Konstellation wie der im vorliegenden Fall sind die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Bestimmung des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne der genannten Vorschrift meiner Meinung nach nicht einschlägig, da die Ursachen und Wirkungen der geltend gemachten Schäden räumlich über ein größeres Gebiet verstreut sind. Die beiden vom Gerichtshof genannten Alternativen führen in diesem Fall nämlich dazu, dass potenziell die Zuständigkeit einer Vielzahl von Gerichten der Mitgliedstaaten begründet wird, obwohl die erwähnte Verordnung zum Ziel hat, die Zahl der Parallelverfahren zu begrenzen(48), und sie erlauben es nicht, ein Gericht zu ermitteln, das eine „besonders enge Beziehung“ zum Rechtsstreit aufweist und daher örtlich „am besten“ über diesen Rechtsstreit entscheiden kann, obwohl der erwähnte Art. 5 Nr. 3 auf dieser Grundlage beruht.
49. Das Kriterium im Zusammenhang mit dem Ort des für die behaupteten Schäden ursächlichen Geschehens könnte theoretisch auf jeden Ort verweisen, an dem die Kartellmitglieder Vereinbarungen getroffen haben, und damit auf einen Ort, der sich unter Berücksichtigung des geheimen Charakters des Kartells gleichwohl schwierig, wenn nicht sogar unmöglich lokalisieren lässt, es sei denn, es wird auf die verschiedenen Orte abgestellt, an denen sich die Gesellschaftssitze der Beteiligten befinden. Das genannte Kriterium könnte auch allen Orten der tatsächlichen Umsetzung des Kartells entsprechen, nämlich jedem der Orte, an denen die Teilnehmer die Einzelheiten ihrer auf eine Wettbewerbsbeschränkung gerichteten kollusiven Absprachen geregelt und – durch aktives Verhalten oder wettbewerbswidrige Unterlassungen – konkret angewandt haben(49). In diesem Zusammenhang bin ich im Gegensatz zur Kommission der Ansicht, dass das Urteil Melzer(50), in dem die Möglichkeit ausgeschlossen worden ist, die Zuständigkeit auf den Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens zu stützen, das von einem nicht verklagten Mitverursacher des schädigenden Ereignisses herbeigeführt wurde, dazu führen müsste, dass die Handlungen eines Kartellteilnehmers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats den anderen Urhebern der Zuwiderhandlung, die sich der Ausübung eines freien Wettbewerbs auf dem diesem Hoheitsgebiet entsprechenden Markt enthalten haben, nicht zugerechnet werden können(51). Im Rahmen eines europaweiten Kartells von langer Dauer wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden sind solche Lokalisierungsfaktoren nach meinem Dafürhalten jedenfalls nicht einschlägig, da sie zu allgemein gefasste, diffuse und zufällige Zuständigkeiten zur Folge haben(52), weil sowohl die beteiligten Akteure als auch die betreffenden Handlungen oder Unterlassungen zahlreich sind und die entsprechenden Tatbestände daher an einer Vielzahl von Orten verwirklicht werden(53).
50. Was das Kriterium im Zusammenhang mit dem Ort der Verwirklichung der behaupteten Schäden angeht, lässt sich aus wirtschaftlicher Sicht die Auffassung vertreten, die genannten Schäden seien entweder an jedem der Orte eingetreten, an denen die vermeintlichen Geschädigten die vom Kartell betroffenen Produkte erworben haben, d. h. dort, wo die Verträge, deren Inhalt durch das Kartell verfälscht worden ist – im vorliegenden Fall die Lieferverträge zwischen den Beklagten und den Unternehmen, die ihre Rechte an die Klägerin abgetreten haben –, unterzeichnet und/oder durchgeführt worden sind, oder an jedem der Orte, an denen diese Geschädigten oder ihre Zweigniederlassungen ihren Gesellschaftssitz haben. Auch die mittelbar Geschädigten, die nicht vertraglich mit einem Mitglied des Kartells verbunden gewesen, aber gleichwohl durch dessen Bestehen geschädigt worden sind(54), sollten ihre Schäden in den durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Grenzen(55) geltend machen können. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die im Bereich der unerlaubten Handlung eröffnete Zuständigkeitsoption nicht so ausgelegt werden kann, dass sie zur Begründung eines Klägergerichtsstands führt, da der letztgenannte Zuständigkeitsfaktor mit der Brüssel‑I-Verordnung eingeschränkt werden soll, um die praktische Wirksamkeit der in ihrem Art. 2 aufgestellten allgemeinen Regel zu wahren(56). Im Übrigen könnten sinnvollerweise alle Orte berücksichtigt werden, an denen der Markt von dem Verstoß gegen Art. 101 AEUV beeinträchtigt worden ist, da die Regeln des Wettbewerbsrechts die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens der Wirtschaftstätigkeit und nicht den Schutz der individuellen Interessen eines bestimmten Unternehmens bezwecken(57). Im vorliegenden Fall umfasst die Schadensersatzklage wegen der Zuwiderhandlung jedoch die Hoheitsgebiete aller Mitgliedstaaten der Union, was dazu führt, dass ein breites Spektrum von Gerichtsständen möglicherweise zuständig ist(58). Ein solcher weiter Ansatz steht im Widerspruch zu den vorerwähnten Zielen der Brüssel‑I-Verordnung, insbesondere den in deren Art. 5 Nr. 3 genannten. Zudem setzt die sich aus dem Urteil Shevill u. a.(59) ergebende Rechtsprechung voraus, ohne dass dies meiner Meinung nach geändert werden kann oder sollte, dass die auf den Ort der Verwirklichung des schädigenden Ereignisses gestützte Zuständigkeit entlang der Grenzen der Mitgliedstaaten territorial aufgespalten wird(60), was mit der Gefahr einer Zersplitterung des Verfahrens einhergeht, da das zuständige Gericht in diesem Rahmen nicht sämtliche der zahlreichen geltend gemachten Schäden erfassen kann.
51. Sollte der Gerichtshof anerkennen, dass nach Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung hier eine Vielzahl von Gerichtsständen zuständig ist, würden den Rechtsunterworfenen auf dieser Grundlage, wie ich schließlich hervorheben möchte, sehr weitgehende Möglichkeiten eröffnet, obwohl es sich um eine Zuständigkeitsoption mit besonderem Charakter und damit grundsätzlich engem Anwendungsbereich handelt. Darüber hinaus würde damit eine – bei weitem nicht nur hypothetische(61) – Gefahr heraufbeschworen, nämlich die Gefahr, dass es Urhebern einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union ermöglicht würde, entsprechend dem Urteil Folien Fischer und Fofitec(62) in einem Mitgliedstaat, der allgemein für eine besonders lange Verfahrensdauer bekannt ist, Torpedoklagen in Form negativer Feststellungsklagen gegen Personen zu erheben, die in dem von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahren als Geschädigte identifiziert worden sind. Hat die Kommission erst einmal über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung entschieden, sollte eine negative Feststellung aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung der Kommission über die Tatsachen und ihre rechtliche Qualifizierung meines Erachtens jedoch nicht mehr möglich sein(63).
52. Entsprechend den vom Gerichtshof im Urteil Besix(64) getroffenen Feststellungen bin ich im Ergebnis der Ansicht, dass die in Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung enthaltene besondere Zuständigkeitsregel für Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, zum Gegenstand haben, in einem Fall nicht einschlägig ist, in dem sich, wie im Ausgangsrechtsstreit, der Ort, an dem das schädigende Ereignis angeblich eingetreten ist, deshalb nicht bestimmen lässt, weil die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, auf die sich die Klage stützt, aus einem Verhalten besteht, das durch die Vielzahl der Orte gekennzeichnet wird, an denen es vereinbart und/oder ausgeführt worden ist, wenn es also nicht möglich ist, das Gericht, das eine besonders enge Beziehung zum gesamten Rechtsstreit aufweist, klar und sachdienlich festzustellen.
53. In einer solchen Fallkonstellation richtet sich die Zuständigkeit meiner Meinung nach entweder nach der allgemeinen Regel in Art. 2 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung oder nach anderen in dieser Verordnung enthaltenen besonderen Zuständigkeitsregeln, wie der in ihrem Art. 6 Nr. 1 vorgesehenen, die unter dem Vorbehalt eine Bündelung von Klagen gegen mehrere Beklagte vor einem einzigen Gericht erlaubt, dass die Voraussetzungen für die Umsetzung der einen oder der anderen dieser Regeln im jeweiligen Fall erfüllt sind. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Klagen gegen mehrere Beklagte als Zuständigkeitskriterium lediglich im Rahmen des erwähnten Art. 6 Nr. 1 zulässig ist(65), der diese Möglichkeit nur im Rahmen des starken Anknüpfungskriteriums des Wohnsitzes eines der Beklagten eröffnet und nicht im Rahmen einer Vorschrift, deren Anwendung vom Ort des Eintritts eines Ereignisses abhängt, wie es bei Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung der Fall ist.
C – Zur Auslegung von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung (erste Frage)
54. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehene Regel zur Konzentration der Zuständigkeiten bei einer Mehrzahl von Beklagten im Rahmen einer Klage gegen Unternehmen, die sich in räumlicher und zeitlicher Hinsicht in unterschiedlicher Weise an einem einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot beteiligt haben, anwendbar sein kann (1). Sodann fordert es den Gerichtshof auf, sich zu der Frage zu äußern, ob sich die Rücknahme einer solchen Klage gegen den Ankerbeklagten, d. h. den einzigen Mitbeklagten, der seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem das angerufene Gericht ansässig ist, im Fall der Bejahung auf die Zuständigkeit dieses Gerichts nach dieser Bestimmung auswirkt (2).
1. Zur Anwendbarkeit von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung in einem Rechtsstreit wie dem im Ausgangsverfahren (erste Frage Buchst. a)
a) Zu der dem Gerichtshof unterbreiteten Fragestellung
55. Es ist hervorzuheben, dass der Inhalt von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung – entsprechend den Ausführungen zu Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung(66) – autonom zu definieren ist, so dass die in dieser Vorschrift enthaltenen Begriffe nicht als Bezugnahmen auf die Qualifizierung des vor dem angerufenen Gericht in Rede stehenden Rechtsverhältnisses nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht gelten können(67).
56. Gemäß Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung können sämtliche Klagen ein und desselben Klägers gegen eine Mehrzahl von Beklagten vor einem Gericht eines Mitgliedstaats, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz(68) zumindest eines der Beklagten befindet, der hier als Ankerbeklagter bezeichnet werden soll, erhoben werden, allerdings unter dem Vorbehalt, dass zwischen diesen Klagen ein Zusammenhang besteht(69). Insoweit wird ausdrücklich verlangt, dass „zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“(70).
57. Indem er eine Konzentration von Klagen vor ein und demselben Gericht und die Erweiterung der Zuständigkeit dieses Gerichts auf Beklagte erlaubt, in Bezug auf die es ohne diese Ausweitung nicht entscheiden dürfte, entspricht der erwähnte Art. 6 Nr. 1 den mit der Brüssel‑I-Verordnung verfolgten Zielen einer geordneten Rechtspflege – u. a. durch eine Verringerung der Verfahren – sowie der Vermeidung der Gefahr von Parallelklagen und einander widersprechender Entscheidungen, die sich aus diesen Klagen ergeben könnten(71).
58. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass diese Zuständigkeitsregel, die einen besonderen Charakter aufweist, da sie von der im elften Erwägungsgrund der Brüssel‑I-Verordnung erwähnten und in deren Art. 2 wiedergegebenen grundsätzlichen Zuständigkeit des Gerichtsstands am Wohnsitz eines jedes Beklagten abweicht, strikt auszulegen ist(72).
59. Da die Anwendung des genannten Art. 6 Nr. 1 daher auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss, ist die in ihm vorgesehene Bündelung von Klagen nur zulässig, wenn diese keinen Versicherten, Verbraucher oder Arbeitnehmer betreffen(73), und auch nur dann, wenn sie sich auf Anträge beziehen, die zwar unterschiedlich, aber gleichwohl eng miteinander verknüpft sind.
60. Der erste Teil der ersten Frage betrifft im Wesentlichen die letztgenannte Voraussetzung. Mit ihm wird der Gerichtshof aufgefordert, sich zu der Frage zu äußern, ob ein solcher Zusammenhang im Rahmen einer Klage wie der beim vorlegenden Gericht erhobenen – nämlich einer Auskunfts- und Schadensersatzklage, mit der Miturheber eines für unionsrechtswidrig erklärten Kartells, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten einen Beitrag an dieser Zuwiderhandlung geleistet haben, gemeinsam in Anspruch genommen werden – gegeben ist.
61. Die Meinungen der interessierten Parteien, die schriftliche Erklärungen zu diesem Punkt eingereicht haben, gehen auseinander, da CDC und die Kommission der Ansicht sind, Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung sei in einem solchen Kontext anwendbar, während die Beklagten des Ausgangsverfahrens die gegenteilige Auffassung vertreten(74).
62. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dem nach dieser Vorschrift erforderlichen Zusammenhang ergibt sich, dass Entscheidungen nicht schon deswegen als „einander widersprechend“ betrachtet werden können, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern dass diese Abweichung außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten muss(75). Die Prüfung dieser beiden Kriterien unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen führt in den Erklärungen, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, zu unterschiedlichen Bewertungen.
b) Zum Bestehen derselben Sachlage
63. Nach Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens erfüllen die in der Klage in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche nicht die Voraussetzung derselben Sachlage, weil es keine Rolle spiele, dass sich alle Mitglieder des Kartells an Vereinbarungen beteiligt hätten, mit denen dieses Kartell gegründet worden sei; nur die Umsetzung dieser Vereinbarungen habe den Abnehmern, die ihre Rechte an CDC abgetreten hätten, einen konkreten Schaden verursachen können; jeder Anspruch, den die Klägerin auf dieser Grundlage geltend mache, sei gesondert zu prüfen.
64. Ich teile insoweit die vom vorlegenden Gericht, von CDC und von der Kommission vertretene gegenteilige Auffassung, wonach Klagen wie den gegen die verschiedenen Beklagten des Ausgangsverfahrens erhobenen eine einheitliche Sachlage zugrunde liegt, obwohl sich diese Beklagten den Angaben des erwähnten Gerichts zufolge sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht in unterschiedlicher Weise an der Umsetzung der in Rede stehenden Kartellvereinbarungen sowie am Abschluss und an der Durchführung der verschiedenen durch diese Vereinbarungen verfälschten Verträge beteiligt haben, durch die den Unternehmen, die ihre Rechte an die Klägerin des Ausgangsverfahrens abgetreten haben, ein Schaden zugefügt worden sein soll.
65. Wie das vorlegende Gericht ausführt, ist in der Entscheidung der Kommission, auf die diese Klagen gestützt werden, nämlich – und zwar bindend für die Gerichte der Mitgliedstaaten(76) – festgestellt worden, dass die von CDC verklagten Unternehmen einen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 81 EG (101 AEUV) und Art. 53 EWR-Abkommen begangen hätten und ihnen als Mittätern ungeachtet ihres eigenen konkreten Beitrags das tatsächliche Verhalten der Mitkartellanten als eigenes zugerechnet werde(77). Es fügt – meines Erachtens zu Recht – hinzu, dass dieses im bußgeldrechtlichen Verfahren festgestellte Verhalten auf zivilrechtlicher Ebene eine schadensrechtliche Verantwortlichkeit der einzelnen Täter für deliktisches Handeln ihrer Mittäter und für hierdurch möglicherweise verursachte Schadensfolgen begründe.
c) Zum Bestehen derselben Rechtslage
66. Der Gerichtshof hat bereits für Recht erkannt, dass unterschiedliche Rechtsgrundlagen zwischen Klagen gegen verschiedene Beklagte aufgrund des Wortlauts von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung die Anwendung dieser Vorschrift für sich genommen nicht hindern, allerdings mit der Maßgabe, dass es für die Beklagten vorhersehbar war, dass sie in dem Mitgliedstaat verklagt werden könnten, in dem zumindest einer von ihnen seinen Wohnsitz hat(78).
67. Im vorliegenden Fall werden die Teilnehmer eines Kartells, von dem mit einer einheitlichen Entscheidung der Kommission festgestellt worden ist, dass es eine einzige Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union begründet, die nicht auf der Ebene verschiedener nationaler Rechtsordnungen begangen worden ist, nach derselben Rechtsordnung beurteilt; genauer gesagt sehen sie sich mit einer aus dem Unionsrecht erwachsenen und auf eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützten Entschädigungspflicht konfrontiert. Es war für sie daher nach vernünftigem Ermessen voraussehbar, dass sie in der Folge auch vor dem Gericht, in dessen Bezirk einer von ihnen seinen Sitz hat, gemeinsam auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könnten. Die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeit, die vom Gerichtshof im Einklang mit dem im elften Erwägungsgrund der Brüssel‑I-Verordnung genannten Ziel gefordert wird, ist unter diesen Umständen somit gegeben.
68. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass sich der Gerichtshof im Urteil Kalfelis, mit dem das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen den Klagen eingeführt worden ist, die nach dieser Vorschrift gebündelt werden können, auf den Jenard-Bericht bezogen hat, in dem es heißt: „Die Anwendung [der in Art. 6 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens vorgesehenen] Vorschrift setzt voraus, dass zwischen den Ansprüchen gegen die einzelnen Beklagten ein Zusammenhang besteht, wie dies z. B. bei Gesamtschuldnern der Fall ist.“(79) Ungeachtet der Tatsache, dass einige Beklagte dieser Qualifizierung von Klagen auf gesamtschuldnerische Verurteilung entgegentreten, ist dies im Ausgangsrechtsstreit nach Auffassung des vorlegenden Gerichts jedoch gerade der Fall.
69. Nach meinem Dafürhalten genügt die bloße Möglichkeit, dass eine gesamtschuldnerische Haftung im Fall einer Mehrzahl von Rechtsverletzern in einem der relevanten Mitgliedstaaten – und nicht in anderen – umgesetzt wird, um die Gefahr heraufzubeschwören, dass im Sinne von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung verschiedene und einander widersprechende Entscheidungen ergehen. In der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats würde sich die Haftung jedes einzelnen Beklagten nämlich hypothetisch auf sämtliche Schäden erstrecken, während der Umfang des zuerkannten Schadensersatzes in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, in denen eine gesamtschuldnerische Haftung abgelehnt würde, in Abhängigkeit von den angerufenen Gerichten erheblich variieren könnte. Auch bei Annahme des Gegenteils, d. h., wenn eine solche Gesamtschuld in allen relevanten Mitgliedstaaten anerkannt würde, wäre die Gefahr, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen, in Bezug auf die Aufteilung der Haftung zwischen den Mitgliedern des Kartells, je nachdem, ob sie sich während des gesamten oder eines Teils des betrachteten Zeitraums an diesem Kartell beteiligt haben, gleichwohl nach wie vor gegeben.
70. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die gesamtschuldnerische Haftung der Beteiligten einer gemeinschaftlich begangenen Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV in Anbetracht der von der Kommission in ihren Erklärungen gegebenen Hinweise ein in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten allgemein anerkannter Grundsatz zu sein scheint(80) und er u. a. Eingang in die Richtlinie gefunden hat, die kürzlich in diesem Bereich erlassen worden ist(81).
71. Wäre Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung auf ein Verfahren wie das im Ausgangsverfahren nicht anwendbar, würde dies bedeuten, dass unterschiedliche Gerichte jedes für sich die behaupteten Schäden nach dem jeweils geltenden nationalen Recht prüfen müssten(82), mit der Gefahr, dass die einzelnen Teilnehmer ein und desselben Kartells zu unterschiedlichen Schadensersatzbeträgen verurteilt werden, obwohl es angezeigt, wenn nicht sogar notwendig wäre, einheitlich über die von ein und demselben Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu entscheiden(83).
72. Die Kommission stellt – meines Erachtens zu Recht – fest, dass die praktische Wirksamkeit dieser Vorschrift in Frage gestellt würde, wenn sie so eng ausgelegt würde, dass unter derartigen Umständen „die Klage schon mangels einer übergreifenden internationalen Zuständigkeit nicht gebündelt gegen alle Kartellbeteiligten vor einem Gericht am Wohnsitz eines der kartellbeteiligten Beklagten geltend gemacht werden könnte“.
73. Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass eine Situation, in der mehrere Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgrund von Handlungen, die zwar zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten begangen wurden, aber Teil einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung sind, in getrennten Verfahren vor unterschiedlichen Gerichten und nicht vor einem einzigen Gericht auf eine Entschädigung wegen ein und desselben im Widerspruch zum Wettbewerbsrecht der Union stehenden Kartells in Anspruch genommen würden, dazu führen kann, dass im Sinne von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen.
74. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, unter Berücksichtigung aller sich aus den Akten ergebenden relevanten Umstände zu prüfen, ob im Ausgangsrechtsstreit eine solche Gefahr besteht(84).
75. Wie die Kommission weise ich darauf hin, dass eine solche Auslegung den nicht zu vernachlässigenden Vorteil hat, im Einklang mit dem Willen zu stehen, den der Gesetzgeber in der Rom‑II-Verordnung, insbesondere in ihrem Art. 6 („Unlauterer Wettbewerb und den freien Wettbewerb einschränkendes Verhalten“), nach dessen Abs. 3 ein Kläger, der im Rahmen eines Rechtsstreits in diesem Bereich gegen mehrere Beklagte vorgeht, seine Klagen „gemäß den geltenden Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit“ bei einem einzigen Gericht konzentrieren und auf das Recht des Gerichtsstands stützen kann, zum Ausdruck gebracht hat(85). Dieser gesetzgeberischen Wertung ist in dem Streben nach Kohärenz zwischen den auf grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten anwendbaren Rechtsakten der Union(86) meiner Meinung nach ungeachtet der Tatsache gebührend Rechnung zu tragen, dass die Rom‑II‑Verordnung, wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens einwenden, im vorliegenden Fall zeitlich nicht anwendbar ist(87).
2. Zu den Auswirkungen einer Klagerücknahme in Bezug auf den einzigen Mitbeklagten mit Sitz im Gerichtsstaat bei der Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung (erste Frage Buchst. b)
76. Das vorlegende Gericht unterscheidet in der Begründung seines Ersuchens im zweiten Teil seiner ersten Vorlagefrage zwischen zwei Problemen bei der Auslegung von Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung im Fall einer Klagerücknahme in Bezug auf denjenigen Mitbeklagten, der eine Anknüpfung des gesamten Rechtsstreits an das angerufene Gericht erlaubt, nämlich zum einen die mögliche Anwendung eines Grundsatzes der fortbestehenden Zuständigkeit(88), die in einer solchen Fallkonstellation auf diese Vorschrift gestützt wird (a), und zum anderen die Konsequenzen, die aus einem möglichen Rechtsmissbrauch zu ziehen sind, der darin bestehen soll, dass in diesem Rahmen ein Zusammenhang geltend gemacht wird (b).
77. Die Antworten, die von den interessierten Parteien vorgeschlagen worden sind, die Erklärungen zu diesen beiden Fragestellungen eingereicht haben, gehen ausgesprochen weit auseinander; summarisch ist aber festzustellen, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens vortragen, die im genannten Art. 6 Nr. 1 vorgesehene Zuständigkeitsausdehnung dürfe unter diesen Umständen keinen Bestand haben(89), während CDC und die Kommission den gegenteiligen Standpunkt einnehmen, wobei Letztere ihre Auffassung eingehender begründet.
a) Zur Aufrechterhaltung der auf Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung gestützten Zuständigkeit im Fall einer Rücknahme der Klage gegen den Ankerbeklagten
78. Ich teile die Meinung des vorlegenden Gerichts, von CDC und der Kommission, wonach – unterstellt, zwischen den Klagen gegen mehrere Beklagte wird zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Zusammenhang festgestellt – die spätere Rücknahme in Bezug auf den Beklagten, der die erweiterte Zuständigkeit des Gerichtsstands gemäß Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung rechtfertigt, nicht das Erlöschen dieser Zuständigkeit bewirken kann.
79. Der Gerichtshof hat zwar noch keine Gelegenheit gehabt, sich unmittelbar zu dieser Fragestellung zu äußern. Gleichwohl hat er im Urteil Reisch Montage hervorgehoben, dass diese Vorschrift keine Verweisung auf nationale Vorschriften vornimmt, so dass diese ihre Anwendung nicht hindern können; ferner hat er klargestellt, dass die genannte Vorschrift anzuwenden ist, „auch … wenn die Klage gegen den [im Mitgliedstaat des Gerichtsstands ansässigen Beklagten] schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist“(90). Bei der Beurteilung der Frage, ob zwischen den Klagen ein Zusammenhang besteht, hat er im Urteil Freeport darüber hinaus ausdrücklich den Zeitpunkt der Klageerhebung als Maßstab herangezogen(91).
80. Entscheidendes Kriterium dafür, dass die in Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehene abgeleitete Zuständigkeit erhalten bleibt, ist nach meinem Dafürhalten, dass die Rücknahme der Klage gegen den Ankerbeklagten erst erfolgt, nachdem das betreffende Gericht im Einklang mit den Erfordernissen und Bedingungen des Verfahrens angerufen worden ist(92). Da die Anrufung zum Zeitpunkt der Klagerücknahme ordnungsgemäß erfolgt war, kommt es meines Erachtens hingegen nicht darauf an, ob die Rücknahme – wie hier – vor Ablauf der vom Gericht festgesetzten Frist für die Klagebeantwortung und den Beginn der ersten Sitzung gelegen hat.
81. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 30 der Brüssel‑I-Verordnung den Zeitpunkt festlegt, zu dem ein mitgliedstaatliches Gericht für die Zwecke der Vorschriften in Abschnitt 9, der die Rechtshängigkeit und die im Zusammenhang stehenden Verfahren betrifft, als angerufen gilt(93). Meiner Meinung nach könnte bzw. sollte dieser Definition auch bei den anderen Abschnitten des Kapitels II über die Zuständigkeitsregeln Rechnung getragen werden, und zwar insbesondere beim genannten Art. 6 Nr. 1, da dieser eine Regel enthält, die ebenfalls auf dem Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den Klagen beruht(94).
82. Des Weiteren entspricht die Beibehaltung der Bündelung im Zusammenhang stehender Klagen vor dem angerufenen Gericht, die durch Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung ermöglicht worden ist, den mit den Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung angestrebten Zielen einer geordneten Rechtspflege, der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit(95), da diese Beibehaltung es erlaubt, zu vermeiden, dass – zumindest gegenüber den verbleibenden Beklagten, die zum Zeitpunkt der fraglichen Rücknahme zudem bereits wussten, dass sie alle vor dem genannten Gericht verklagt worden waren – widersprechende Entscheidungen ergehen.
83. Die Tatsache, dass der Kläger seine Klage gegen den einzigen im Bezirk des Gerichtsstands wohnhaften Mitbeklagten zurücknimmt, berührt die auf den genannten Art. 6 Nr. 1 gestützte Zuständigkeit daher meines Erachtens im Grunde genommen nicht, wenn diese Rücknahme erfolgt, nachdem das betreffende Gericht ordnungsgemäß angerufen worden ist, und eine zusätzliche Voraussetzung, die im Folgenden beleuchtet werden soll, ebenfalls erfüllt ist.
b) Zur Grenze einer rechtsmissbräuchlichen Stützung der Zuständigkeit auf Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung
84. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „kann die … in Artikel 6 Nummer 1 der [Brüssel‑I-Verordnung vorgesehene] Zuständigkeitsregel nicht so [angewandt] werden, dass es danach einem Kläger erlaubt wäre, eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck zu erheben, einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen“(96). Diese mit einem möglichen Gerichtsstandsmissbrauch zusammenhängende Beschränkung, die eine Stütze im Jenard-Bericht gefunden hat(97), steht vollkommen im Einklang mit dem Erfordernis, wonach Ausnahmen von der in Art. 2 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehenen Grundsatzzuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz eines Beklagten eng gefasst sein müssen.
85. Der Gerichtshof hat im Urteil Freeport klargestellt, dass, „wenn die Klagen gegen die verschiedenen Beklagten bei ihrer Erhebung im Zusammenhang stehen“, die Zuständigkeitsregel im genannten Art. 6 Nr. 1 anwendbar ist, „ohne dass überdies gesondert festgestellt werden müsste, dass die Klagen nicht nur erhoben worden sind, um einen der Beklagten den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu entziehen“(98). Die Frage nach den aus dieser etwas zweideutigen Formulierung zu ziehenden Konsequenzen bereitet dem vorlegenden Gericht Schwierigkeiten und spaltet sowohl die Beteiligten dieses Verfahrens als auch die Kommentierungen im Schrifttum, die sich auf das genannte Urteil beziehen(99).
86. In diesem Zusammenhang erscheint mir die Würdigung durch das vorlegende Gericht insoweit zutreffend, als es der Ansicht ist, dass, wenn die Voraussetzung erfüllt sei, dass Klagen im Sinne dieser Vorschrift im Zusammenhang stünden, das angerufene Gericht nicht verpflichtet sei, systematisch zu prüfen, ob die sich daraus ergebende erweiterte Zuständigkeit infolge eines Rechtsmissbrauchs begründet worden sei, für den Fall eine solche Prüfung aber gleichwohl vornehmen könne, dass Beweismittel hinreichend belegten, dass der Kläger, der sich auf diese Beweismittel berufe, Vorkehrungen getroffen habe, um die genannte Zuständigkeitsregel ihrem Zweck zu entfremden.
87. Im vorliegenden Fall spricht das vorlegende Gericht die Wahrscheinlichkeit einer geheimen Absprache zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und Evonik Degussa – der Beklagten des Ausgangsverfahrens, deren Sitz sich in Deutschland befindet –, die den förmlichen Abschluss ihres Vergleichs nach Klageerhebung bewusst hinausgezögert hätten, obwohl sie eine Vereinbarung allein zu dem Zweck, eine erweiterte gerichtliche Zuständigkeit in diesem Mitgliedstaat zu begründen, bereits deutlich vorher geplant, wenn nicht sogar beschlossen hätten, allerdings an(100).
88. Unter der Voraussetzung, dass das mutmaßliche Täuschungsmanöver, das von den Beteiligten im vorliegenden Fall bestritten wird, nicht nur wahrscheinlich, sondern erwiesen ist, was das nationale Gericht zu prüfen haben wird, sollte ein solcher Rechtsmissbrauch, der darauf abzielt, einem oder mehreren Beklagten die Grundsatzzuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaats zu entziehen(101), meiner Meinung nach mit einer Weigerung geahndet werden, Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung unter diesen Umständen anzuwenden, da die Konnexitätskriterien zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht wirklich erfüllt waren(102). Das Interesse daran, dass das Gericht am Wohnsitz des Ankerbeklagten Klagen gegen mehrere Beklagte im Einklang mit dieser Vorschrift gemeinsam verhandelt und entscheidet, ist nämlich weggefallen, sobald die rechtliche Verpflichtung, die der Kläger diesem Beklagten gegenüber vor dem genannten Gericht hätte geltend machen können, aufgrund eines rechtsverbindlichen Vergleichs in Bezug auf ihn entfallen ist. Abgesehen von diesen konkreten Fällen besteht nach meinem Dafürhalten jedoch kein Anlass, einen Rechtsmissbrauch in einem solchen rechtlichen Kontext zu kontrollieren und zu ahnden.
89. Ich möchte klarstellen, dass das Bestehen des nach Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung erforderlichen Zusammenhangs dem Kläger eine Option eröffnet, die er meines Erachtens und im Einklang mit den von den Generalanwälten Ruiz-Jarabo Colomer und Mengozzi zum forum shopping zum Ausdruck gebrachten Standpunkt auf die Art und Weise ausüben kann, die ihm die geeignetste und vorteilhafteste erscheint, ohne dass dies für sich genommen einen Gerichtsstandsmissbrauch begründet(103). Darüber hinaus kann die Anwendung der genannten Vorschrift aufgrund ihres Gegenstands im Fall von Kartellen wie dem im Ausgangsverfahren hypothetisch dazu führen, dass sich ein Beklagter oder mehrere Beklagte für ihr Verhalten vor einem anderen Gericht als dem ihres Wohnsitzes verantworten müssen, weswegen jeder Einwand, der aus diesem konkreten Ergebnis hergeleitet wird, unerheblich ist.
90. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die in Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehene erweiterte Zuständigkeitsregel keine Anwendung finden kann, wenn nach Auffassung des angerufenen Gerichts ordnungsgemäß nachgewiesen ist, dass der Kläger vor Erhebung seiner Klage mit dem im Gerichtsstaat ansässigen Beklagten einen rechtsverbindlichen Vergleich geschlossen und das Bestehen dieser früheren Vereinbarung allein zu dem Zweck wissentlich verschwiegen hatte, einen der anderen Beklagten der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen.
D – Zur möglichen Durchsetzung von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln in einem Rechtsstreit wie dem im Ausgangsverfahren (dritte Frage)
91. Mit der dritten Frage, deren Begründung bedauerlicherweise relativ kurz ausfällt, wird der Gerichtshof aufgefordert, sich zu der Frage zu äußern, ob es in Anbetracht des vom Gerichtshof aufgestellten Grundsatzes der vollen Wirksamkeit des in Art. 101 AEUV verankerten Kartellverbots, der durch einen Anspruch der Geschädigten auf Ersatz der in diesem Bereich erlittenen Schäden gewahrt wird(104), im vorliegenden Fall zulässig wäre, wenn durch die Anwendung von Schieds- und/oder Gerichtsstandsklauseln von den Zuständigkeitsregeln in Art. 5 Nr. 3 und/oder Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung abgewichen würde (1).
92. Da die letztgenannte Klauselart im Gegensatz zu Schiedsklauseln in den Anwendungsbereich von Art. 23 der genannten Verordnung fällt, sind die Auswirkungen dieser Vorschrift im vorliegenden Kontext zu berücksichtigen (2). Darüber hinaus ist, auch wenn das vorlegende Gericht von vornherein von dem Grundsatz ausgeht, dass die beiden Klauselkategorien, auf die sich die Beklagten des Ausgangsverfahrens berufen, im Rahmen einer Schadensersatzklage wie der im Ausgangsverfahren Anwendung finden können(105), worüber nach meinem Dafürhalten zu diskutieren wäre (4), jedenfalls zu fragen, ob und in welchem Umfang solche Klauseln ihre Wirkungen entfalten können, obwohl der Inhalt der Verträge, in denen sie enthalten sind, durch das in Rede stehende Kartell verfälscht worden ist (3).
1. Zu der dem Gerichtshof unterbreiteten Fragestellung
93. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens haben die Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund mit dem Einwand angefochten, bestimmte Lieferverträge zwischen den Abnehmern von Wasserstoffperoxid, die ihre Rechte an CDC abgetreten hätten, und den Lieferanten, die sich an dem Kartell beteiligt hätten, auf das sich die Entschädigungsklagen von CDC stützten, enthielten Schieds- und Gerichtsstandsklauseln.
94. Die Vorlageentscheidung enthält keine detaillierte Beschreibung der fraglichen Klauseln. Aus den Erklärungen von CDC geht jedoch hervor, dass einige der genannten Lieferverträge nach den Behauptungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens solche Klauseln enthalten hätten, sei es in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sich auf einen bestimmten Vertrag bezögen(106), sei es im Rahmen von Rahmenverträgen, die jeweils mehrere Lieferungen an einen Zedenten in einem vom Kartellzeitraum unabhängigen Zeitraum umfassten(107), wobei bestimmte Zedenten mit unterschiedlichen Lieferanten mehrere Klauseln vereinbart hätten(108), oder in Form unterschiedlicher Klauseln in den verschiedenen Verträgen mit demselben Lieferanten(109). Die Frage, ob die geltend gemachten Gerichtsstandsklauseln ausschließlich Gerichte mit Sitz in den Mitgliedstaaten benannten, oder auch Gerichte mit Sitz in Drittstaaten, wird nicht eindeutig geklärt.
95. Nach dem Wortlaut der Begründung der dritten Frage durch das vorlegende Gericht ist dieses der Ansicht, dass, sollten die fraglichen Klauseln die geltend gemachten Schadensersatzansprüche umfassen, was ausschließlich dieses Gericht zu beurteilen habe(110), anschließend zu fragen sei, ob das Gebot einer effektiven Durchsetzung des unionsrechtlichen Kartellverbots die Anwendung solcher Klauseln hindere, wenn das mit einer derartigen Klage befasste Gericht gemäß Art. 6 Nr. 1 und/oder Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung zuständig sei.
96. Von den Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben haben, trägt lediglich CDC vor, die genannten Klauseln dürften in einem solchen Kontext nicht berücksichtigt werden. Die Kommission hebt jedoch hervor, bei der Entscheidung der Vorfrage, ob eine Gerichtsstands- oder Schiedsgerichtsklausel tatsächlich Schadensersatzansprüche wie die in Rede stehenden umfasse, werde das nationale Gericht den Umstand zu berücksichtigen haben, dass sich die genannten Ansprüche nicht aus den betreffenden Lieferverhältnissen ergäben, sondern auf das Delikt einer außerhalb dieser Verhältnisse stehenden Kartellvereinbarung zurückgingen.
97. Bevor ich mich hierzu äußere, möchte ich einige meiner Meinung nach wichtige Präzisierungen vornehmen. Erstens weise ich darauf hin, dass Gerichtsstandsklauseln, mit denen Parteien – von denen zumindest eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat – für Entscheidungen über Streitigkeiten, die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entstanden sind oder entstehen werden, ein mitgliedstaatliches Gericht benannt haben, unter die Bestimmungen von Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung fallen.
98. Schiedsklauseln sind jedoch grundsätzlich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen(111). Daraus ergibt sich, dass Fragen im Zusammenhang mit der Gültigkeit und Einwendbarkeit der letztgenannten Klauseln durch das nationale Recht der einzelnen Mitgliedstaaten und die diese Staaten bindenden internationalen Abkommen geregelt werden sollten(112). Der Gerichtshof hat gleichwohl entschieden, dass, wenn ein vor einem staatlichen Gericht eingeleitetes Verfahren aufgrund seines Hauptstreitgegenstands, d. h. nach der Rechtsnatur der in diesem Verfahren zu sichernden Ansprüche – etwa eines Schadensersatzanspruchs –, in den Anwendungsbereich der Brüssel‑I-Verordnung fällt, eine inzidente Frage, die vorab die Anwendbarkeit einer Schiedsvereinbarung einschließlich deren Gültigkeit betrifft, ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Verordnung erfasst wird und es daher ausschließlich Sache des erwähnten Gerichts ist, nach den Bestimmungen der genannten Verordnung über die Einrede der Unzuständigkeit, die aus dem Bestehen einer Schiedsvereinbarung hergeleitet wird, sowie über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden(113).
99. Ungeachtet dieses Unterschieds bei der Anwendbarkeit der Brüssel‑I-Verordnung ist hervorzuheben, dass den beiden betreffenden Klauselkategorien die Wirkung gemeinsam ist, dass sie eine Abweichung von den in der genannten Verordnung enthaltenen Zuständigkeitsregeln ermöglichen, und zwar aus Gründen der Wahrung der Vertragsfreiheit der Parteien in Bezug auf die Bestimmung des Gerichts, dem sie die Entscheidung über ihre Streitigkeiten anzuvertrauen gedenken und bei dem es sich je nach Fall um ein staatliches oder ein Schiedsgericht handeln kann(114).
100. Eine im Einklang mit Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung stehende Gerichtsstandsklausel kann jedoch nur den Gerichten der Mitgliedstaaten der Union und im weiteren Sinne – nach dem Lugano-Übereinkommen(115) – den Gerichten der Vertragsstaaten dieses Übereinkommens eine Zuständigkeit übertragen, während eine Schiedsklausel festlegen kann, dass das Schiedsverfahren in einem beliebigen Drittstaat stattfindet. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union – selbst als Vorschriften der öffentlichen Ordnung – nicht angewandt werden, ist jedoch höher, wenn die Zuständigkeit Schiedsrichtern oder Gerichten von Staaten übertragen wird, die nicht durch das Lugano-Übereinkommen gebunden sind(116).
101. Zweitens möchte ich hervorheben, dass das Zusammenspiel zwischen der Anwendung von Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln einerseits und den Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union andererseits komplex ist, da der rechtliche Kontext der Hindernisse für den in diesen Vorschriften vorgesehenen freien Wettbewerb eine große Vielfalt möglicher Konstellationen bietet. Was insbesondere den auf Art. 101 AEUV gestützten Anspruch auf eine vollständige Entschädigung angeht, weise ich darauf hin, dass die Qualifizierung der Art der Haftung des Urhebers eines Verstoßes gegen diese Vorschrift als vertraglich oder deliktisch nicht immer leicht ist und insoweit Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten auftreten(117).
102. Das Bestehen unterschiedlicher vertraglicher Beziehungen zwischen den Kartellteilnehmern und den Opfern eines solchen Verstoßes wirft die Frage auf, ob es aufgrund der betreffenden Klauseln im vorliegenden Fall zulässig ist, von der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts abzuweichen, die ungeachtet der Tatsache, dass der Inhalt der diese Klauseln enthaltenden Verträge durch den genannten Verstoß beeinträchtigt worden ist, auf die Art. 5 oder 6 der Brüssel‑I-Verordnung gestützt würde.
103. Da die Bestimmung der materiellen Tragweite solcher Klauseln allein dem nationalen Gericht obliegt(118), wird der Gerichtshof mit der dritten Vorlagefrage daher im Wesentlichen aufgefordert, festzustellen, ob und inwiefern sich die Grundsätze des Art. 101 AEUV bei unter Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung fallenden Gerichtsstandsklauseln zum einen auf die Anwendung dieser Vorschrift und zum anderen auf die Durchsetzung anderer Arten von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln, für die ihrerseits Vorschriften des Rechts der Mitgliedstaaten gelten, auswirken können.
2. Zur Verdrängung der Zuständigkeitsregeln in den Art. 5 und 6 der Brüssel‑I-Verordnung durch im Einklang mit Art. 23 dieser Verordnung stehende Gerichtsstandsklauseln
104. Zunächst ist festzustellen, dass Entschädigungen für durch ein Kartell verursachte Schäden wie die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens geforderte im Allgemeinen unter die Vertragsfreiheit der Parteien fallen, da es sich bei solchen Entschädigungen um die zivilrechtliche Verpflichtung zum finanziellen Ersatz der einer anderen Person entstandenen Schäden handelt, die jedermann obliegt, der eine unerlaubte Handlung begangen hat, und die materiellen Rechte der Beteiligten in diesem Bereich nicht indisponibel sind(119). Auch ist es nach der Brüssel‑I-Verordnung nicht ausgeschlossen, dass die Parteien im Einklang mit deren Art. 23 einem mitgliedstaatlichen Gericht die örtliche(120) Zuständigkeit für einen Rechtsstreit über eine solche Frage übertragen.
105. Was die Bestimmungen des letztgenannten Artikels in Verbindung mit den Bestimmungen der Art. 5 Nr. 3 und/oder 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung angeht, stellt Kemira zu Recht fest, der Gerichtshof habe bereits entschieden, dass die Parteien durch den Abschluss einer im Einklang mit Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens stehenden Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur von der in dessen Art. 2 vorgesehenen allgemeinen Zuständigkeit abweichen könnten, sondern auch von den besonderen Zuständigkeiten in seinen Art. 5 und 6(121). Er hat zum einen klargestellt, dass „[d]iese Auslegung … sich dadurch [rechtfertigt], dass [der genannte] Artikel 17 auf der Anerkennung der Parteiautonomie im Bereich von Vereinbarungen über die gerichtliche Zuständigkeit für Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten beruht, die in den Geltungsbereich des Übereinkommens fallen und die nicht gemäß Artikel 17 Abs. 2 ausdrücklich von solchen Vereinbarungen ausgenommen sind“, und zum anderen, dass „eine solche Abmachung … dennoch sinnvoll [bleibt], insofern sie zwischen den Parteien zum Ausschluss anderer, fakultativer Gerichtsstände der in den Artikeln 5 und 6 des [Brüsseler] Übereinkommens genannten Art führt“(122).
106. Das Gleiche gilt für die entsprechenden Bestimmungen der Brüssel‑I-Verordnung, da im Einklang mit deren Erwägungsgründen 11 und 14 sowie deren Art. 23 Abs. 5 „die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands … gewahrt werden [muss]“, außer in den Fällen, in denen entweder besondere Zuständigkeitsregeln zum Schutz der schwächeren Partei(123) oder die ausschließlichen Zuständigkeitsregeln in ihrem Art. 22 anwendbar sind. Außerhalb der Bestimmungen, deren Anwendung daher ausdrücklich vorbehalten ist und zu denen die Art. 5 und 6 dieser Verordnung nicht gehören, muss eine im Einklang mit Art. 23 der genannten Verordnung stehende Gerichtsstandsvereinbarung ihre volle Wirkung entfalten und insbesondere dem gewählten Gerichtsstand eine ausschließliche Zuständigkeit übertragen.
107. Dieser Vorrang der Vertragsfreiheit der Parteien gilt insbesondere im Verhältnis zu den Zielen des Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, die mit der Zuständigkeitskonzentration und der Verfahrensökonomie zusammenhängen, und zwar meiner Meinung nach selbst dann, wenn in der genannten Klausel nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht wird, dass die Parteien den Willen gehabt haben, von dieser speziellen Vorschrift abzuweichen.
108. Was Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung angeht, ist vorab festzustellen, ob eine Gerichtsstandsklausel in einem Rechtsstreit wie dem im Ausgangsverfahren, der meines Erachtens in den Bereich der außervertraglichen unerlaubten Handlung fällt(124), tatsächlich Anwendung finden soll und ob sie einer Klägerin wie CDC durch die Wirkung eines Eintritts in die Pflichten der Unternehmen, die ihr ihre Rechte abgetreten haben(125), entgegengehalten werden kann, was das vorlegende Gericht anhand der Leitlinien zu prüfen haben wird, die der Gerichtshof diesbezüglich entwickelt hat.
109. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung insbesondere ergibt, hängt die Gültigkeit einer in einen Vertrag eingeführten Gerichtsstandsklausel zum einen davon ab, dass die Parteien ihrem Abschluss eindeutig zugestimmt haben, und muss das erkennende Gericht zum anderen prüfen, ob die entsprechende Zustimmung der Beteiligten tatsächlich vorliegt(126).
110. Darüber hinaus kann sich eine Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Wortlaut des genannten Artikels nur auf eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige „aus einem bestimmten Rechtsverhältnis“ entspringende Rechtsstreitigkeit beziehen. Nachdem er das letztgenannte Kriterium unter dem Blickwinkel von Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens ausgelegt hatte, hat der Gerichtshof ausgeführt: „Durch dieses Erfordernis soll die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten eingeschränkt werden, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde. Es soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde.“(127)
111. Wie CDC bezweifle ich jedoch stark, dass eine in Verträge wie die in Rede stehenden aufgenommene Gerichtsstandsklausel dem Erfordernis einer eindeutigen und nicht mit Mängeln behafteten Zustimmung genügen könnte, da es bei einer solchen Klausel darum geht, die Zuständigkeit des Gerichts zu begründen, das benannt worden ist, um über einen Rechtsstreit zu entscheiden, der die sich aus einem Kartell ergebende deliktische Haftung eines der Vertragspartner betrifft, während dem mutmaßlichen Geschädigten das Bestehen dieses Kartells zum Zeitpunkt des Abschlusses einer solchen Vereinbarung unbekannt war.
112. Meines Erachtens könnte jedoch ohne Weiteres anerkannt werden, dass der Geschädigte, nachdem er vom Bestehen des nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartells erfahren hat, einer Gerichtsstandsvereinbarung beitritt, wodurch er diese nach Entstehung der Streitigkeit getroffene Vereinbarung in voller Kenntnis der Sachlage annähme.
113. In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass mit der Richtlinie 2014/104, die innerstaatliche Schadensersatzklagen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union betrifft, u. a. der Rückgriff auf einvernehmliche Mechanismen der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, wie die gütliche Einigung oder das Schiedsverfahren, gefördert und die Effizienz dieser Mechanismen erhöht werden sollen(128). Dieser Ansatz ist meines Erachtens begründet, sofern die Parteien in vollem Umfang und frei zugestimmt haben, die Frage der aus einem Kartell erwachsenen Schadensersatzansprüche selbst dann einem bestimmten Gerichtsstand zu übertragen, wenn sich dieser von dem Gerichtsstand unterscheidet, der nach Art. 5 Nr. 3 oder Art. 6 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung zuständig wäre.
114. Unabhängig davon, wie die Prüfung der letztgenannten Punkte durch das vorlegende Gericht ausfallen wird, bin ich der Ansicht, dass der in der dritten Vorlagefrage genannte Grundsatz der vollen Wirksamkeit des in Art. 101 AEUV vorgesehenen Kartellverbots im besonderen Fall der von Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung erfassten Gerichtsstandsklauseln nicht zum Tragen zu kommen braucht.
115. In Bezug auf eine solche Klausel bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Zivil- und Handelssachen im Unionsrecht nämlich nicht nach den nationalen Vorschriften, sondern nach den Bestimmungen des genannten Artikels, die sowohl die Voraussetzungen für die Gültigkeit als auch die Rechtswirkungen dieser Klausel festlegen(129). Aufgrund der vorstehenden Ausführungen zur Auslegung des genannten Art. 23 durch die Rechtsprechung(130) ist Klauseln, die den im Zusammenhang mit diesem Artikel stehenden Anforderungen, insbesondere solchen in Bezug auf die Zustimmung der durch das Kartell angeblich geschädigten Person, genügen, gegenüber Zuständigkeiten, die sich aus den Art. 5 und/oder 6 der erwähnten Verordnung ergeben, gegebenenfalls jedoch eindeutig der Vorrang einzuräumen.
116. Ich füge hinzu, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten, das einer der Pfeiler des durch das Brüsseler Übereinkommen eingeführten und in die Brüssel‑I-Verordnung übernommenen Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit ist(131), meiner Meinung nach voraussetzt, dass die Zuständigkeit des Gerichts, das von den Parteien im Einklang mit Art. 23 dieser Verordnung gewählt wird, nicht auf der Grundlage von Art. 101 AEUV erschüttert werden kann, und auch der Gerichtshof hat entschieden, dass eine Berufung auf die öffentliche Ordnung nicht zulässig ist, um sich mit der Begründung der Durchsetzung einer aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Entscheidung zu widersetzen, dass das Wettbewerbsrecht der Union dort in der Sache fehlerhaft angewandt worden sei(132).
117. Daher bin ich der Meinung, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats bei Vorhandensein einer Klausel zur Benennung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats, die im Einklang mit Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung anerkannt würde und ordnungsgemäß auf den Rechtsstreit, mit dem das erstgenannte Gericht befasst ist, anwendbar wäre, selbst dann seine eigene Zuständigkeit verneinen müsste, wenn diese Klausel dazu führt, dass die in den Art. 5 und/oder 6 der erwähnten Verordnung vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln verdrängt werden, und zwar ungeachtet des Grundsatzes einer wirksamen Durchsetzung des sich aus Art. 101 AEUV ergebenden Kartellverbots.
3. Zu den Auswirkungen des Grundsatzes der vollen Wirksamkeit des in Art. 101 AEUV festgelegten Kartellverbots auf andere geltend gemachte Klauselarten
118. Hinsichtlich der Gerichtsstandsklauseln, auf die sich Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung als nicht anwendbar erweisen sollte, und im Hinblick auf Schiedsklauseln ist die vom vorlegenden Gericht unterbreitete Fragestellung komplexer, da sie nicht durch Anwendung der Bestimmungen dieser Verordnung in der Auslegung durch den Gerichtshof, sondern durch Anwendung von Vorschriften des nationalen Rechts angegangen werden muss, deren Umsetzung im Einklang mit den zwingenden Bestimmungen des Primärrechts der Union, insbesondere mit Art. 101 AEUV, zu stehen hat.
119. Ausweislich seiner sich aus den bereits angeführten Urteilen Courage und Crehan sowie Manfredi u. a. ergebenden ständigen Rechtsprechung(133) hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang entschieden, dass in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung die Regelung der Modalitäten für die Ausübung [des] Rechts [, Ersatz des sich aus einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartells ergebenden Schadens zu verlangen,] Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung des einzelnen Mitgliedstaats ist(134), wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind, die insbesondere verlangen, dass diese nationalen Vorschriften nicht die volle Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union beeinträchtigen und speziell das mit dem genannten Artikel verfolgte Ziel(135) berücksichtigen. Meiner Meinung nach ergibt sich daraus für den vorliegenden Fall, dass nationale Vorschriften nicht so angewandt werden dürfen, dass sich die fraglichen Gerichtsstands- und/oder Schiedsklauseln auf eine Weise auswirken können, die dieser vollen Wirksamkeit schadet.
120. Überdies hat der Gerichtshof angenommen, dass die volle Wirkung des Art. 101 AEUV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in seinem Abs. 1 ausgesprochenen Verbots(136) beeinträchtigt wären, wenn es nicht jedermann erlaubt wäre, Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten – wie das Kartell, auf dem die Forderungen von CDC im vorliegenden Fall beruhen – entstanden ist. Die Gewährleistung des Rechts, einen solchen Ersatz zu verlangen, ist nämlich u. a. geeignet, von derartigen – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, und trägt daher wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs innerhalb der Union bei(137).
121. In aller Regel müsste sich ein mitgliedstaatliches Gericht angesichts einer Schiedsklausel für unzuständig erklären und die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das Schiedsverfahren verweisen, es sei denn, dieses Gericht stellt – und dies nach einer im Rahmen der Ausübung seiner Zuständigkeit im Hinblick auf die Erfordernisse seines nationalen Rechts vorgenommenen Prüfung(138), da die Brüssel‑I-Verordnung die Voraussetzungen für die Gültigkeit einer solchen Klausel nicht festlegt(139) – fest, dass die geltend gemachte Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht anwendbar ist. Das Gleiche würde für Klauseln zur Benennung eines staatlichen Gerichts gelten, die nicht unter Art. 23 der erwähnten Verordnung fallen.
122. Das vom vorlegenden Gericht genannte Gebot einer effektiven Durchsetzung des unionsrechtlichen Kartellverbots kann bei den fraglichen Gerichtsstandsklauseln oder bei Schiedsklauseln meines Erachtens jedoch insbesondere zum Tragen kommen, um zu gewährleisten, dass jedermann das Recht hat, den vollständigen Ersatz der sich aus einem verbotenen Kartell ergebenden Schäden wie der im Ausgangsverfahren behaupteten zu verlangen.
123. In diesem Sinne ist festzustellen, dass Art. 85 des EG-Vertrags, jetzt Art. 101 AEUV, wie der Gerichtshof in dem das Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln betreffenden Urteil Eco Swiss klargestellt hat, „als Vorschrift betrachtet werden [kann], die der öffentlichen Ordnung … zuzurechnen ist“(140). Er hat in diesem Urteil für Recht erkannt, dass „ein staatliches Gericht, soweit es nach seinen nationalen Verfahrensregeln einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs wegen Verletzung nationaler Bestimmungen, die zur öffentlichen Ordnung gehören, stattgeben muss, verpflichtet ist, einem solchen Antrag auch dann stattzugeben“, „wenn es der Auffassung ist, dass der Schiedsspruch [diesem] Artikel widerspricht“. [D]as Gemeinschaftsrecht … verlangt [nämlich], dass Fragen nach der Auslegung [des genannten Artikels] durch die für die Überprüfung der Wirksamkeit von Schiedssprüchen zuständigen staatlichen Gerichte untersucht und gegebenenfalls dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt werden können.“(141)
124. Entsprechend bin ich der Ansicht, dass das Unionsrecht verlangt, eine Schiedsklausel – ebenso wie eine Gerichtsstandsklausel, die nicht durch Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung geregelt wird – in den Fällen unangewendet zu lassen, in denen die Durchsetzung einer solchen Klausel dazu führen würde, dass die praktische Wirksamkeit von Art. 101 AEUV beeinträchtigt wird. In diesem Zusammenhang kann sinnvollerweise angemerkt werden, dass das Urteil Eco Swiss vor den Urteilen Courage und Crehan sowie Manfredi u. a. ergangen ist, in denen ein unionsrechtlicher Anspruch auf Ersatz aller Schäden anerkannt worden ist, die den Opfern rechtswidriger Hindernisse für den freien Wettbewerb entstanden sind, und zwar nicht nur im Interesse der genannten Opfer, sondern vor allem zur Wahrung der mit dieser Freiheit zusammenhängenden Allgemeininteressen. Die nach den beiden erwähnten Urteilen ergangene Rechtsprechung hat diesen Ansatz noch verstärkt, indem sie die (gemeinhin als „private enforcement“ bezeichnete) private Durchsetzung der genannten Wettbewerbsregeln – u. a. durch die Beseitigung der sich möglicherweise aus nationalen Vorschriften ergebenden Hindernisse – gefördert hat(142).
125. Zwar stellt die Anwendung von Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln als solche kein Hindernis für die praktische Wirksamkeit von Art. 101 AEUV im Sinne der angeführten Rechtsprechung dar. Insbesondere bewirkt die Tatsache, dass derartige Klauseln, wenn sie wirksam und auf den betreffenden Rechtsstreit anwendbar sind, zur Verdrängung der in den Art. 5 und/oder 6 der Brüssel‑I-Verordnung vorgesehenen besonderen Zuständigkeiten führen können, nicht zwangsläufig, dass den vermeintlichen Opfern, denen durch ein Kartell ein Schaden verursacht worden ist, die Möglichkeit genommen wird, in diesem Rahmen eine vollständige Entschädigung zu erhalten, da sie selbst dann nicht daran gehindert sind, vor jedem der benannten staatlichen Gerichte oder Schiedsgerichte zu klagen, wenn die Anwendung der ihnen im jeweiligen Fall entgegengehaltenen Klauseln aufgrund der großen Vielzahl dieser Klauseln ein solches Vorgehen zweifellos erschweren könnte.
126. Gleichwohl ist es meiner Meinung nach schwierig, diesen theoretischen Standpunkt im besonderen Kontext eines Kartells mit zahlreichen Teilnehmern und vermeintlichen Geschädigten, dessen Durchführung eine Vielzahl einzelner Lieferverträge hervorgebracht hat, die möglicherweise zwischen verschiedenen Gesellschaften des Konzerns eines Verkäufers oder eines Abnehmers geschlossen worden sind, in die Praxis umzusetzen(143). Im Fall einer horizontalen Wettbewerbsbeschränkung wie der, auf die sich die Klage im Ausgangsverfahren stützt, fällt es mir nämlich schwer, einen Ausschluss der normalen Rechtsschutzmittel anzunehmen, es sei denn, die vermeintlichen Geschädigten haben sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt, und vorausgesetzt, die staatlichen Gerichte oder Schiedsgerichte, denen auf diese Weise eine Zuständigkeit übertragen worden ist, sind verpflichtet, die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union als Vorschriften der öffentlichen Ordnung anzuwenden.
4. Zur Durchsetzbarkeit von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln in einem Rechtsstreit wie dem im Ausgangsverfahren
127. Für das nationale Gericht stellt sich de facto die wesentliche Vorfrage, ob die von den Beklagten des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Schieds- und Gerichtsstandsklauseln im vorliegenden Fall tatsächlich Anwendung finden sollen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs(144) kann zwar allein das mit dem Ausgangsrechtsstreit befasste Gericht die Gültigkeit und Tragweite einer vor ihm geltend gemachten Gerichtsstandsklausel beurteilen und ist hierzu sogar verpflichtet. Das Landgericht Dortmund scheint jedoch – auch wenn seine Vorlageentscheidung hierzu schweigt – die Auffassung zu vertreten, der Gegenstand des Rechtsstreits könne von den beiden Klauselarten in den Lieferverträgen, deren Einhaltung von den Beklagten des Ausgangsverfahrens verlangt wird, erfasst werden.
128. Allerdings lässt sich, wie sowohl CDC als auch die Kommission hervorheben, stark daran zweifeln, dass die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Entschädigungsansprüche aus den Verträgen hergeleitet werden, in denen diese Klauseln enthalten waren.
129. Entsprechend den Ausführungen des Gerichtshofs zu den unter Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung fallenden Gerichtsstandsklauseln(145) fällt es mir schwer, anzuerkennen, dass die auf die Bestimmungen dieser Verordnung gestützten gerichtlichen Zuständigkeiten ausgeschlossen sein könnten, wenn es nach dem Recht eines Mitgliedstaats zulässig ist, dass eine andere Art von Gerichtsstandsklausel oder eine Schiedsklausel sämtliche Rechtsstreitigkeiten erfasst, die sich eventuell aus den Beziehungen einer Partei mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die betreffende Klausel akzeptiert wurde. Das Erfordernis eines qualifizierten Zusammenhangs zwischen der geltend gemachten Klausel und einem bestimmten Rechtsverhältnis scheint mir hier ebenfalls erforderlich zu sein, um für Vorhersehbarkeit der Zuständigkeit zu sorgen.
130. Meiner Meinung nach ergeben sich die im vorliegenden Fall behaupteten Ansprüche vielmehr aus der unerlaubten Handlung der heimlichen Organisation und Umsetzung eines Kartells durch die Beklagten des Ausgangsverfahrens. Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits sind nämlich die finanziellen Folgen, die dieses betrügerische Verhalten, das naturgemäß von den geltend gemachten Lieferverträgen zu trennen ist, gezeitigt hat(146). Eine Gerichtsstands- oder eine Schiedsklausel kann unter solchen Umständen, nämlich bevor die vermeintlichen Geschädigten vom ursächlichen Geschehen und von den dadurch möglicherweise verursachten Schäden überhaupt Kenntnis hatten, nicht rechtsgültig geschlossen worden sein.
131. Im Übrigen tendiert auch das vorlegende Gericht zu ebendieser Qualifizierung des Ausgangsrechtsstreits, da es – insbesondere nach dem Wortlaut seiner zweiten Frage – davon auszugehen scheint, dass eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Brüssel‑I-Verordnung und nicht ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 dieser Verordnung den Gegenstand der bei ihm anhängigen Schadensersatzklage bilden(147). In einigen nationalen Rechtssystemen ist die Anwendbarkeit von Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln jedoch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Streitgegenstand dem Deliktsrecht zugeordnet wird, hängt aber selbstverständlich in jedem konkreten Fall von der Formulierung der betreffenden Klausel ab(148).
132. Daher ist Art. 101 AEUV meines Erachtens dahin auszulegen, dass die Durchsetzung von Gerichtsstands- und/oder Schiedsklauseln im Rahmen einer Klage auf Ersatz der Schäden, die durch ein Kartell verursacht worden sind, von dem festgestellt worden ist, dass es diesem Artikel zuwiderläuft, als solche den Grundsatz der vollen Wirksamkeit des Kartellverbots nicht beeinträchtigt. Sofern eine Klausel der einen oder der anderen Kategorie nach dem Recht eines Mitgliedstaats in einem Rechtsstreit für anwendbar erklärt werden kann, der die mögliche deliktische Haftung wegen eines solchen Kartells betrifft, steht der genannte Grundsatz einer Zuweisung der Zuständigkeit für diesen Rechtsstreit aufgrund einer Klausel in einem Vertrag, dessen Inhalt vereinbart worden ist, obwohl die Partei, der diese Klausel entgegengehalten wird, von dem betreffenden Kartell und seiner Rechtswidrigkeit keine Kenntnis hatte und daher nicht vorhersehen konnte, dass die Klausel möglicherweise auf Entschädigungen Anwendung findet, die auf dieser Grundlage verlangt werden, nach meinem Dafürhalten jedoch entgegen.
V – Ergebnis
133. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Landgerichts Dortmund (Deutschland) wie folgt zu beantworten:
1. a) Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Beklagter, dessen Wohnsitz im Bezirk eines mitgliedstaatlichen Gerichts liegt, und in anderen Mitgliedstaaten ansässige Beklagte wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV), an dem sich die Beklagten in verschiedenen Mitgliedstaaten und zu verschiedenen Zeiten beteiligt haben, vor diesem Gericht gemeinsam auf Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen werden, eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.
b) Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass eine Rücknahme der Klage gegen den einzigen im Bezirk des angerufenen Gerichts wohnhaften Mitbeklagten die Anwendung dieser Vorschrift nicht berührt, wenn diese Rücknahme zum einen erfolgt, nachdem das Gericht ordnungsgemäß angerufen worden ist, und zum anderen nicht mit einem Vergleich einhergeht, der zwischen dem Kläger und dem genannten Beklagten zuvor rechtsverbindlich geschlossen, aber allein zu dem Zweck verschwiegen worden ist, einem der anderen Beklagten die Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen.
2. Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist so auszulegen, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten Schadensersatz verlangt wird, wegen eines Kartells, von dem mit einer Entscheidung der Kommission festgestellt worden ist, dass es einen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 81 EG (Art. 101 AEUV) begründet, und an dem sich die Beklagten in mehreren Mitgliedstaaten an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten beteiligt haben, das schädigende Ereignis nicht als in Bezug auf jeden Beklagten und auf alle geltend gemachten Schäden oder den Gesamtschaden in jedem einzelnen Mitgliedstaat eingetreten gilt, in dessen Hoheitsgebiet das rechtswidrige Kartell vereinbart und/oder umgesetzt wurde.
3. Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz der durch einen Verstoß gegen diesen Artikel verursachten Schäden der Grundsatz der vollen Wirksamkeit des unionsrechtlichen Kartellverbots der Durchsetzung von im Einklang mit Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 stehenden Gerichtsstandsklauseln nicht entgegensteht, während dieser Grundsatz der Durchsetzung von Schiedsklauseln und/oder nicht unter den erwähnten Art. 23 fallenden Gerichtsstandsklauseln entgegensteht, wenn nach dem anwendbaren nationalen Recht die Zuständigkeit für diesen Rechtsstreit aufgrund einer Klausel in einem Vertrag zugewiesen werden kann, dessen Inhalt vereinbart worden ist, obwohl die Partei, der diese Klausel entgegengehalten wird, von dem betreffenden Kartell und seiner Rechtswidrigkeit keine Kenntnis hatte.