Language of document : ECLI:EU:T:2023:264

URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)

17. Mai 2023(*)

„Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Deutscher Strommarkt – Beschluss, mit dem der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Fehlende Klagebefugnis – Keine aktive Teilnahme – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑320/20,

Mainova AG mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt C. Schalast und Rechtsanwältin H. Löschan,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Meessen und I. Zaloguin als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte F. Haus und F. Schmidt,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und S. Costanzo als Bevollmächtigte,

durch

E.ON SE mit Sitz in Essen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte C. Grave, C. Barth und D.‑J. dos Santos Goncalves,

und durch

RWE AG mit Sitz in Essen, vertreten durch Rechtsanwälte U. Scholz und J. Siegmund sowie Rechtsanwältin J. Ziebarth,

Streithelferinnen,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni, der Richter L. Madise und P. Nihoul, der Richterin R. Frendo sowie des Richters J. Martín y Pérez de Nanclares (Berichterstatter),

Kanzler: S. Jund, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Mainova AG, die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2019) 1711 final der Kommission vom 26. Februar 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets) (ABl. 2020, C 111, S. 1, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

 In Rede stehende Unternehmen

2        Die RWE AG ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die zum Zeitpunkt der Anmeldung des geplanten Zusammenschlusses auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig war, u. a. in den Bereichen Stromerzeugung, ‑übertragung und ‑verteilung, im Stromgroß- und ‑einzelhandel sowie in energiebezogenen Kundenlösungen (wie Verbrauchsmessung, Elektromobilität usw.). RWE und ihre Tochtergesellschaften, darunter die innogy SE (im Folgenden: Innogy), sind in mehreren europäischen Staaten tätig, nämlich in Belgien, in der Tschechischen Republik, in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in Luxemburg, in Ungarn, in den Niederlanden, in Polen, in Rumänien, in der Slowakei und im Vereinigten Königreich.

3        Die E.ON SE ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die zum Zeitpunkt der Anmeldung des geplanten Zusammenschlusses auf den verschiedenen Stufen der Stromversorgungskette, der Stromerzeugung und ‑verteilung sowie dem Stromgroß- und –einzelhandel, tätig war. E.ON besitzt und betreibt Stromerzeugungsanlagen in mehreren europäischen Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und das Vereinigte Königreich.

4        Die Klägerin ist ein regionales Stromversorgungs- und Erzeugungsunternehmen in Deutschland.

 Kontext des Zusammenschlusses

5        Der im vorliegenden Fall in Rede stehende Zusammenschluss fügt sich ein in den Rahmen eines komplexen Austauschs von Vermögenswerten zwischen RWE und E.ON, der von den beiden beteiligten Unternehmen am 11. und 12. März 2018 angekündigt wurde. So möchte RWE mit der ersten Transaktion, d. h. dem vorliegend in Rede stehenden Zusammenschluss, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON erwerben. Die zweite Transaktion besteht darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Verteilung und Vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der von RWE kontrollierten Innogy erwirbt. Die dritte Transaktion sieht vor, dass RWE eine Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON erwirbt.

6        Die Klägerin übersandte am 22. Juni 2018 ein Schreiben an die Europäische Kommission, in dem sie dieser mitteilte, dass sie am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die entsprechenden Unterlagen erhalten möchte.

7        Am 28. September 2018 fand eine Besprechung zwischen der Klägerin und der Kommission statt.

8        Der zweite Zusammenschluss wurde am 31. Januar 2019 bei der Kommission angemeldet. Im Hinblick auf diese zweite Transaktion erließ die Kommission den Beschluss C(2019) 6530 final vom 17. September 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8870 – E.ON/Innogy) (ABl. 2020, C 379, S. 16, im Folgenden: Zusammenschluss M.8870).

9        Der dritte Zusammenschluss wurde beim Bundeskartellamt (Deutschland) angemeldet, das ihn mit Bescheid vom 26. Februar 2019 genehmigte (Sache B8‑28/19).

 Verwaltungsverfahren

10      Am 22. Januar 2019 ging bei der Kommission die Anmeldung eines beabsichtigten Zusammenschlusses nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2004, L 24, S. 1) ein, mit dem RWE im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON erwerben wollte.

11      Am 31. Januar 2019 veröffentlichte die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 139/2004 die vorherige Anmeldung dieses Zusammenschlusses (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets) im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2019, C 38, S. 22, im Folgenden: Zusammenschluss M.8871).

12      Im Rahmen ihrer Prüfung des Zusammenschlusses M.8871 führte die Kommission eine Marktbefragung durch und übermittelte daher bestimmten Unternehmen, darunter der Klägerin, einen Fragebogen, den diese am 4. Februar 2019 beantwortete.

13      Mit Schreiben vom 28. Januar 2019 beantragte die Klägerin beim Anhörungsbeauftragten, ihr die Stellung eines betroffenen Dritten zuzuerkennen, um im Rahmen des den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahrens angehört zu werden. Der Anhörungsbeauftragte kam diesem Antrag mit Schreiben vom 7. Februar 2019 nach.

 Angefochtener Beschluss

14      Am 26. Februar 2019 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss. Der Zusammenschluss M.8871 wurde in der Prüfungsphase gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004 und Art. 57 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16      Die Kommission, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland, E.ON und RWE, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf sechs Klagegründe, nämlich erstens auf die Verletzung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, zweitens auf die Verletzung ihres Rechts auf Anhörung, drittens auf die fehlerhafte Aufspaltung der Analyse der Gesamttransaktion, viertens auf offensichtliche Beurteilungsfehler, fünftens auf einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht und sechstens auf einen Missbrauch von Befugnissen.

18      Ohne ausdrücklich eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, äußert die Kommission gleichwohl Vorbehalte hinsichtlich der Zulässigkeit der vorliegenden Klage, da die Klägerin möglicherweise nicht klagebefugt sei. Hierzu macht sie insbesondere geltend, dass sich die Klägerin am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren nur geringfügig beteiligt habe und dass die bloße Beteiligung an der Marktbefragung nicht ausreiche, um die Beteiligung der Klägerin als aktiv einzustufen.

19      Auch RWE macht geltend, dass die Klage unzulässig sei, weil die Klägerin nicht klagebefugt sei. Insoweit bringt sie im Wesentlichen vor, dass es der Klägerin an der individuellen Betroffenheit fehle, um die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses beantragen zu können.

20      Zum einen zeige die Klägerin über eine allgemeine Betroffenheit als Marktteilnehmerin hinaus nicht auf, was sie spezifisch individualisiere und aus dem Kreis der übrigen Marktteilnehmer und Wettbewerber heraushebe. Zum anderen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der deutsche Strommarkt eine beschränkte Zahl an Erzeugern umfasse.

21      Die Klägerin macht geltend, von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen zu sein. Hierzu trägt sie im Wesentlichen vor, dass sie sich intensiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren beteiligt habe.

22      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann eine natürliche oder juristische Person nur dann eine Klage gegen einen an eine andere Person gerichteten Beschluss erheben, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft.

23      Um festzustellen, ob die Klägerin klagebefugt ist, ist also zu prüfen, ob sie vom angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen ist.

24      Was die unmittelbare Betroffenheit der Klägerin betrifft, ist als Erstes festzustellen, dass der angefochtene Beschluss, da er die sofortige Durchführung des Zusammenschlusses M.8871 gestattete, zu einer unmittelbaren Änderung der Lage auf den betroffenen Märkten führen konnte. Da der Wille der am Zusammenschluss M.8871 Beteiligten, diesen zu bewirken, nicht in Frage stand, konnten die auf dem oder den betroffenen Märkten tätigen Wirtschaftsunternehmen im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses eine unmittelbare oder schnelle Änderung des Marktzustands als sicher erachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt, dass die Klägerin vom angefochtenen Beschluss unmittelbar betroffen ist.

25      Zur individuellen Betroffenheit der Klägerin ist als Zweites darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Personen, die nicht Adressat eines Beschlusses sind, nur dann geltend machen können, individuell betroffen zu sein, wenn dieser Beschluss sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten des Beschlusses (vgl. Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Wird in einem Beschluss die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt, so ist bei der Prüfung, ob ein Drittunternehmen individuell betroffen ist, zum einen darauf abzustellen, ob es am Verwaltungsverfahren beteiligt war, und zum anderen darauf, ob seine Marktstellung beeinträchtigt ist. Die bloße Teilnahme am Verfahren genügt zwar allein nicht, um festzustellen, dass der Kläger von dem Beschluss individuell betroffen ist, zumal wenn es sich um Zusammenschlüsse handelt, deren eingehende Prüfung regelmäßige Kontakte mit zahlreichen Unternehmen erfordert, doch ist die aktive Teilnahme am Verwaltungsverfahren ein Faktor, den die Rechtsprechung bei Wettbewerbsfragen einschließlich des spezielleren Gebietes der Kontrolle von Zusammenschlüssen regelmäßig berücksichtigt, um in Verbindung mit anderen spezifischen Umständen die Zulässigkeit der Klage festzustellen (vgl. Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Dass die Klägerin am Verwaltungsverfahren beteiligt war, ist im vorliegenden Fall zwischen den Parteien unstreitig. Hinsichtlich der Frage, ob es sich um eine „aktive“ Teilnahme handelt, sind sie sich jedoch nicht einig. Daher ist die Art der Beteiligung der Klägerin am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren zu prüfen.

28      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin am 22. Juni 2018 bei der Kommission beantragt hat, zu dem Zusammenschluss, an dem RWE, E.ON und Innogy beteiligt waren, angehört zu werden. Zu diesem Zeitpunkt waren der Klägerin die Aktenzeichen, die den Zusammenschlüssen M.8871 bzw. M.8870 zugewiesen worden waren, noch nicht bekannt. Dies ergibt sich daraus, dass sie in ihrem Schreiben bei der Angabe der Aktenzeichen den Vermerk „unbekannt“ angebracht hat. Die Klägerin hat in ihrem Schreiben zur Begründung dieses Antrags allgemein erläutert, welcher Art ihre Interessen seien und wie die Genehmigung dieser beiden Zusammenschlüsse sie beeinträchtigen könnte.

29      Am 28. September 2018 hat die Klägerin an einer individuellen Besprechung mit der Kommission zu den Zusammenschlüssen M.8870 und M.8871 teilgenommen. Es ist jedoch festzustellen, dass die der Klageschrift als Anlage beigefügte Präsentation der Klägerin keine Stellungnahme zum Zusammenschluss M.8871 enthält. Dem Besprechungsprotokoll lässt sich außerdem entnehmen, dass während dieser Besprechung nur der Zusammenschluss M.8870 thematisiert wurde.

30      Im Anschluss an diese Besprechung hat die Klägerin nach neuerlicher Aufforderung der Kommission vom 4. Dezember 2018 mit E‑Mail vom 7. Dezember 2018 außerdem die mit E‑Mail vom 31. Oktober 2018 gestellten Fragen der Kommission beantwortet. Mit diesen Fragen wurde darum ersucht, der Kommission gegenüber das Vorbringen der Klägerin zu präzisieren, wonach der Zusammenschluss M.8870 – insbesondere aufgrund des Umstands, dass ein Marktteilnehmer, der die Infrastruktur für die intelligente Verbrauchsmessung dominiere, in der Lage wäre, eine beherrschende Stellung auf wichtigen künftigen Märkten zu erlangen – negative Auswirkungen auf die künftigen Märkte habe.

31      Im Übrigen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin auf die von der Kommission im Rahmen des den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahrens durchgeführte Marktbefragung geantwortet hat.

32      Mit E‑Mail vom 28. Januar 2019 an den Anhörungsbeauftragten hat die Klägerin schließlich beantragt, im Rahmen des den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahrens als betroffene Dritte angehört zu werden. Am 7. Februar 2019 hat der Anhörungsbeauftragte der Klägerin geantwortet und ihr mitgeteilt, dass sie in diesem Verfahren als betroffene Dritte anerkannt werde.

33      Daraus folgt, dass sich die Stellungnahme der Klägerin zum eigentlichen Zusammenschluss M.8871 auf die Beantwortung der von der Kommission durchgeführten Marktbefragung beschränkt. Die Ausführungen in ihrem Schreiben vom 22. Juni 2018 sind nämlich allgemein gehalten und zielten in erster Linie darauf ab, das Interesse der Klägerin am Verfahren darzutun, um später gegenüber der Kommission ausführlicher und eingehender Stellung nehmen zu können; diese Ausführungen sind also nicht maßgeblich.

34      Die bloße Tatsache, dass der ausgefüllte Fragebogen zurückgeschickt wurde, kann aber nicht als ein Faktor angesehen werden, der ausreicht, um den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV zu individualisieren (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. September 2006, Wirtschaftskammer Kärnten und best connect Ampere Strompool/Kommission, T‑350/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2006:257, Rn. 50 und 51).

35      Dies kann auch nicht anders sein, da die Kommission, wie sie in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, gegebenenfalls für die Entscheidung über einen bei ihr angemeldeten Zusammenschluss viele Marktteilnehmer zu befragen hat. Dies ergibt sich aus der ihr durch Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 139/2004 eingeräumten Möglichkeit des Auskunftsverlangens; gemäß dieser Bestimmung kann die Kommission zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben alle natürlichen und juristischen Personen befragen, die dieser Befragung zum Zweck der Einholung von Informationen über einen Untersuchungsgegenstand zustimmen.

36      Folglich kann die Beantwortung der Marktbefragung durch die Klägerin, die auf ein Ersuchen der Kommission erfolgt ist, für die „aktive“ Teilnahme der Klägerin nicht entscheidend sein.

37      Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beteiligt war.

38      Das Vorbringen der Klägerin vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen.

39      Erstens ist das Vorbringen der Klägerin, dass sie bei der Besprechung am 28. September 2018 keine Zeit gehabt habe, sich zum Zusammenschluss M.8871 zu äußern, nicht überzeugend, da dieser Zusammenschluss zum einen in ihrer Präsentation nicht erwähnt wird, was zeigt, dass sie zu ihm nicht Stellung nehmen wollte, und da zum anderen im Protokoll dieser Besprechung nicht auf diesen Umstand Bezug genommen wird. Die Klägerin hätte indessen beantragen können, in das Protokoll aufzunehmen, dass sie keine Gelegenheit gehabt habe, sich zum Zusammenschluss M.8871 zu äußern, und dass sie dies schriftlich nachzuholen gedenke. Es ist festzustellen, dass sie weder einen solchen Antrag gestellt noch eine ergänzende Stellungnahme zum Zusammenschluss M.8871 übermittelt hat.

40      Zweitens macht die Klägerin geltend, dass sie beim Anhörungsbeauftragten die Anerkennung als betroffene Dritte beantragt habe. Ein solcher Antrag kann zwar ein Indiz für die von der Klägerin zum Ausdruck gebrachte Absicht darstellen, sich am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren zu beteiligen, vermag aber ihre Teilnahme nicht als „aktiv“ zu charakterisieren; eine aktive Teilnahme müsste sich nämlich allein in den Handlungen der Klägerin widerspiegeln, die den Ausgang des in Rede stehenden Verfahrens hätten beeinflussen können.

41      Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Kommission ihr entgegen der Ankündigung in der Entscheidung des Anhörungsbeauftragten vom 7. Februar 2019 keine Frist zur schriftlichen Äußerung zum Zusammenschluss M.8871 gesetzt habe.

42      Dieses Vorbringen steht im Widerspruch zu dem, was die Klägerin anderweitig in ihren verschiedenen Schriftsätzen geltend gemacht hat, nämlich dass sie sich aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beteiligt habe. Die Klägerin kann nämlich, um ihre Klagebefugnis darzutun, nicht ihr Vorbringen aufrechterhalten, dass sie aktiv am Verfahren teilgenommen habe, und zugleich zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung rügen, dass die Kommission ihr keine Frist zur Äußerung gesetzt habe. Denn nach dem richterrechtlichen Grundsatz „nemo potest venire contra factum proprium“, auch als „venire contra factum proprium non valet“ bekannt, kann niemand in Abrede stellen, was er zuvor anerkannt hat (Urteile vom 22. April 2016, Irland und Aughinish Alumina/Kommission, T‑50/06 RENV II und T‑69/06 RENV II, EU:T:2016:227, Rn. 192, und vom 6. April 2017, Regione autonoma della Sardegna/Kommission, T‑219/14, EU:T:2017:266, Rn. 63; vgl. in diesem Sinne auch Beschluss vom 13. Februar 2014, Marszałkowski/HABM, C‑177/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:183, Rn. 73). Dieses Vorbringen ist daher als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.

43      Drittens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Zusammenschluss M.8871 und der Zusammenschluss M.8870 einen einzigen Zusammenschluss darstellten und dass die Kommission diese beiden Zusammenschlüsse gemeinsam behandelt habe. In der mündlichen Verhandlung hat sie klargestellt, dass sie die Anhörung im den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beim Anhörungsbeauftragten erst beantragt habe, als sie die Marktbefragung betreffend diesen Zusammenschluss erhalten habe.

44      Dieses Vorbringen ist als ins Leere gehend zurückzuweisen. Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit sind nämlich sowohl die Frage, ob die Zusammenschlüsse M.8870 und M.8871 einen einzigen Zusammenschluss darstellen, als auch die Frage, wie die Kommission diese beiden Zusammenschlüsse nach Ansicht der Klägerin behandeln wollte, unerheblich, weil die Klägerin abgesehen von der Beantwortung der Marktbefragung jedenfalls nicht zum Zusammenschluss M.8871 Stellung genommen hat.

45      Da sich die Klägerin nicht aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren beteiligt hat, ist ferner unter Berücksichtigung dessen, dass in Bezug auf die Beeinträchtigung der Marktstellung der Klägerin keine besonderen Umstände vorliegen, festzustellen, dass sie vom angefochtenen Beschluss im Sinne der oben in Rn. 26 angeführten Rechtsprechung nicht individuell betroffen ist.

46      Da die Klägerin vom angefochtenen Beschluss nicht individuell betroffen ist, hat sie nicht ihre Klagebefugnis nachgewiesen, so dass ihre Klage als unzulässig abzuweisen ist.

 Kosten

47      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend den Anträgen der Kommission, von E.ON und RWE ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission, von E.ON und RWE aufzuerlegen.

48      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Bundesrepublik Deutschland trägt daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Mainova AG trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission, der E.ON SE und der RWE AG.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Gervasoni

Madise

Nihoul

Frendo

 

Martín y Pérez de Nanclares

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2023.

Der geschäftsführende Kanzler

 

Der Präsident

T. Henze

 

      M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.