Language of document : ECLI:EU:C:2023:1018

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

21. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäische Staatsanwaltschaft – Verordnung (EU) 2017/1939 – Art. 31 – Grenzüberschreitende Ermittlungen – Richterliche Genehmigung – Umfang der Kontrolle – Art. 32 – Vollstreckung der zugewiesenen Maßnahmen“

In der Rechtssache C‑281/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Beschluss vom 8. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2022, in dem Strafverfahren gegen

G. K.,

B. O. D. GmbH,

S. L.,

Beteiligter:

Österreichischer Delegierter Europäischer Staatsanwalt,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz und F. Biltgen, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter M. Ilešič, J.‑C. Bonichot, M. Safjan, S. Rodin und D. Gratsias, der Richterin M. L. Arastey Sahún und des Richters M. Gavalec,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von G. K., der B. O. D. GmbH und von S. L., vertreten durch Rechtsanwalt W. Gappmayer,

–        des Österreichischen Delegierten Europäischen Staatsanwalts, vertreten durch L. De Matteis, T. Gut, I. Maschl-Clausen und F.‑R. Radu als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, J. Herrnfeld und C. Leeb als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und A. Daniel als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, A. Hanje und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch M. Chicu, E. Gane und A. Wellman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Juni 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 32 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) (ABl. 2017, L 283, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen G. K., die B. O. D. GmbH und S. L., denen zur Last gelegt wird, durch falsche Angaben bei der Einfuhr von Biodiesel in die Europäische Union gegen das Zollrecht verstoßen zu haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Rahmenbeschluss 2002/584/JI

3        Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.“

4        Art. 6 Abs. 1 und 2 dieses Rahmenbeschlusses sieht vor:

„(1)      Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist.

(2)      Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats zuständig für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist.“

 Richtlinie 2014/41/EU

5        In Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S.1) heißt es:

„Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede [Europäische Ermittlungsanordnung, im Folgenden: EEA] nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.“

6        Art. 6 der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig und

b)      die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

(3)      Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

7        Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.“

 Verordnung 2017/1939

8        In den Erwägungsgründen 12, 14, 20, 30, 32, 60, 72, 73, 80, 83 und 85 der Verordnung 2017/1939 heißt es:

„(12)      Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip lässt sich die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union in Anbetracht ihres Umfangs und ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene verwirklichen. In der jetzigen Situation, in der Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union ausschließlich von den Behörden der Mitgliedstaaten der … Union strafrechtlich verfolgt werden, lässt sich dieses Ziel nicht immer zufriedenstellend erreichen. Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die bessere Bekämpfung von Straftaten in Bezug auf die finanziellen Interessen der Union durch die Errichtung der EUStA, wegen der Zersplitterung der nationalen Strafverfolgungsmaßnahmen im Bereich von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union von deren Mitgliedstaaten allein nicht verwirklicht werden kann und sich daher besser auf Unionsebene erreichen lässt, indem der EUStA die Zuständigkeit für die Verfolgung dieser Straftaten übertragen wird, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 EUV niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …

(14)      Im Sinne des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit sollten die EUStA und die zuständigen nationalen Behörden einander unterstützen und unterrichten, damit die Straftaten, die in die Zuständigkeit der EUStA fallen, wirksam bekämpft werden können.

(20)      Die Organisationsstruktur der EUStA sollte eine schnelle und effiziente Entscheidungsfindung in Bezug auf die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen und von Strafverfolgungsmaßnahmen ermöglichen, unabhängig davon, ob ein oder mehrere Mitgliedstaaten betroffen sind. …

(30)      Die Ermittlungen der EUStA sollten in der Regel von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten in den Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Sie sollten hierbei gemäß dieser Verordnung bzw. in Angelegenheiten, die nicht unter diese Verordnung fallen, gemäß nationalem Recht handeln. …

(32)      Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sollten ein integraler Bestandteil der EUStA sein; als solche sollten sie daher bei der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten, die in die Zuständigkeit der EUStA fallen, ausschließlich im Auftrag und im Namen der EUStA im Hoheitsgebiet ihres jeweiligen Mitgliedstaats handeln. …

(60)      Kann die EUStA ihre Zuständigkeit in einem bestimmten Fall nicht ausüben, da Grund zu der Annahme besteht, dass der den finanziellen Interessen der Union entstandene oder wahrscheinlich entstehende Schaden den einem anderen Opfer entstandenen oder wahrscheinlich entstehenden Schaden nicht übersteigt, so sollte die EUStA dennoch in der Lage sein, ihre Zuständigkeit auszuüben, sofern sie besser als die Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats bzw. der jeweiligen Mitgliedstaaten dafür geeignet ist, die Ermittlungs- oder Strafverfolgungsmaßnahmen durchzuführen. Die EUStA könnte u. a. dann besser dafür geeignet sein, wenn es effizienter wäre, bei einer Straftat aufgrund deren grenzübergreifender Art und Größenordnung die EUStA die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen durchführen zu lassen, wenn an der Straftat eine kriminelle Vereinigung beteiligt ist oder wenn eine bestimmte Art der Straftat eine ernste Gefahr für die finanziellen Interessen der Union oder für die Glaubwürdigkeit ihrer Institutionen und das Vertrauen ihrer Bürger darstellen könnte. …

(72)      In grenzüberschreitenden Fällen sollte der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwälte heranziehen können, wenn in anderen Mitgliedstaaten Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ist eine richterliche Genehmigung für die Maßnahme erforderlich, so ist eindeutig festzulegen, in welchem Mitgliedstaat die Genehmigung eingeholt werden sollte; es sollte indes auf jeden Fall nur eine Genehmigung geben. Verweigern die Justizbehörden schließlich eine Ermittlungsmaßnahme, nämlich nachdem der Rechtsweg ausgeschöpft ist, so sollte der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt den Antrag oder die Anordnung zurückziehen.

(73)      Die in dieser Verordnung vorgesehene Möglichkeit, sich auf Rechtsinstrumente über gegenseitige Anerkennung oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu berufen, sollte nicht die spezifischen Bestimmungen über grenzüberschreitende Ermittlungen gemäß dieser Verordnung ersetzen. Vielmehr sollte sie sie ergänzen, damit sichergestellt wird, dass eine Maßnahme, die in einem grenzüberschreitenden Fall erforderlich ist, im nationalen Recht für einen rein innerstaatlichen Fall aber nicht vorgesehen ist, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des einschlägigen Rechtsinstruments bei der Durchführung der Ermittlungen oder der Strafverfolgung angewandt werden kann.

(80)      Die von der EUStA vor Gericht beigebrachten Beweismittel sollten nicht allein deshalb als unzulässig abgelehnt werden, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat oder nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats erhoben wurden, sofern dabei nach Auffassung des Prozessgerichts mit der Zulassung der Beweismittel die Fairness des Verfahrens und die Verteidigungsrechte des Verdächtigen oder Beschuldigten nach der Charta [der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)] gewahrt sind. Diese Verordnung wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die in Artikel 6 EUV und in der Charta, insbesondere deren Titel VI, in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen im Völkerrecht und durch internationale Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die [am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete] Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie von den Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden. …

(83)      Gemäß dieser Verordnung muss die EUStA insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, die Verteidigungsrechte und die Unschuldsvermutung, wie sie in den Artikeln 47 und 48 der Charta verankert sind, achten. Artikel 50 der Charta, der das Recht schützt, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden (ne bis in idem), gewährleistet, dass es aufgrund der Strafverfolgung durch die EUStA nicht zu einer Doppelbestrafung kommt. Die EUStA sollte ihre Tätigkeit daher in vollem Einklang mit diesen Rechten ausüben, und diese Verordnung sollte entsprechend angewandt und ausgelegt werden.

(85)      Für die Tätigkeit der EUStA sollten die Verteidigungsrechte gelten, die im einschlägigen Unionsrecht vorgesehen sind, wie den Richtlinien 2010/64/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1)], 2012/13/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1)], 2013/48/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1)], (EU) 2016/343 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. 2016, L 65, S. 1)] und (EU) 2016/1919 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (ABl. 2016, L 297, S. 1)], in ihrer Umsetzung in nationales Recht. Allen Verdächtigen oder Beschuldigten, gegen die die EUStA ein Ermittlungsverfahren einleitet, sollten diese Rechte ebenso wie die in nationalem Recht vorgesehenen Rechte auf Beantragung der Bestellung von Sachverständigen oder der Anhörung von Zeugen oder der sonstigen Erhebung von Beweisen durch die EUStA für die Verteidigung zugutekommen.“

9        Art. 1 der Verordnung lautet:

„Mit dieser Verordnung wird die Europäische Staatsanwaltschaft (im Folgenden ,EUStA‘) errichtet und ihre Arbeitsweise geregelt.“

10      In Art. 2 Nrn. 5 und 6 der Verordnung heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

5.      ,betrauter Delegierter Europäischer Staatsanwalt‘ einen für die von ihm eingeleiteten, ihm zugewiesenen oder ihm durch Wahrnehmung seines Evokationsrechts nach Artikel 27 übertragenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zuständigen Delegierten Europäischen Staatsanwalt;

6.      ‚unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt‘ einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts ansässig ist, in dem ihm zugewiesene Ermittlungen oder andere Maßnahmen auszuführen sind“.

11      Art. 4 der Verordnung 2017/1939 bestimmt:

„Die EUStA ist zuständig für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung sowie die Anklageerhebung in Bezug auf Personen, die als Täter oder Teilnehmer Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union … begangen haben. Hierzu führt die EUStA Ermittlungen, ergreift Strafverfolgungsmaßnahmen und nimmt vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr, bis das Verfahren endgültig abgeschlossen ist.“

12      Art. 5 Abs. 1 der Verordnung 2017/1939 lautet:

„Die EUStA gewährleistet, dass bei ihrer Tätigkeit die in der Charta verankerten Rechte beachtet werden.“

13      Art. 8 Abs. 1 bis 4 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)      Die EUStA ist eine unteilbare Einrichtung der Europäischen Union, die als eine einheitliche Behörde mit einem dezentralen Aufbau handelt.

(2)      Die EUStA gliedert sich in eine zentrale Ebene und in eine dezentrale Ebene.

(3)      Die zentrale Ebene besteht aus der zentralen Dienststelle am Sitz der EUStA. Die zentrale Dienststelle setzt sich aus dem Kollegium, den Ständigen Kammern, dem Europäischen Generalstaatsanwalt, den Stellvertretern des Europäischen Generalstaatsanwalts, den Europäischen Staatsanwälten und dem Verwaltungsdirektor zusammen.

(4)      Die dezentrale Ebene besteht aus den Delegierten Europäischen Staatsanwälten, die in den Mitgliedstaaten angesiedelt sind.“

14      Art. 13 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte handeln im Namen der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat und haben neben und vorbehaltlich der ihnen übertragenen besonderen Befugnisse und des ihnen zuerkannten besonderen Status und nach Maßgabe dieser Verordnung in Bezug auf Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Anklageerhebung die gleichen Befugnisse wie nationale Staatsanwälte.

Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind für die von ihnen eingeleiteten, für die ihnen zugewiesenen oder für die durch Wahrnehmung ihres Evokationsrechts von ihnen übernommenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte folgen der Leitung und befolgen die Weisungen der für das Verfahren zuständigen Ständigen Kammer sowie die Weisungen des die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalts.

…“

15      In Art. 28 Abs. 1 der Verordnung heißt es:

„Der mit einem Verfahren betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt kann im Einklang mit dieser Verordnung und dem nationalen Recht die Ermittlungsmaßnahmen und andere Maßnahmen entweder selbst treffen oder die zuständigen Behörden seines Mitgliedstaats dazu anweisen. …“

16      Art. 30 Abs. 1 der Verordnung 2017/1939 bestimmt:

„Zumindest in den Fällen, in denen die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens vier Jahren bedroht ist, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Delegierten Europäischen Staatsanwälte befugt sind, die folgenden Ermittlungsmaßnahmen anzuordnen oder zu beantragen:

a)      Durchsuchung von Gebäuden, Grundstücken, Beförderungsmitteln, Privatwohnungen, Kleidungsstücken und sonstigen persönlichen Gegenständen oder Computersystemen sowie Durchführung von Sicherungsmaßnahmen, um die Integrität zu erhalten oder einen Beweisverlust oder eine Beweisbeeinträchtigung zu verhindern;

d)      Sicherstellung von Tatwerkzeugen oder Erträgen aus Straftaten, einschließlich Vermögenswerten, deren Einziehung durch das Prozessgericht zu erwarten ist, sofern Grund zu der Annahme besteht, dass der Eigentümer, Besitzer oder Inhaber dieser Tatwerkzeuge oder Erträge versuchen wird, die vom Gericht angeordnete Einziehung zu vereiteln;

…“

17      Art. 31 („Grenzüberschreitende Ermittlungen“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte arbeiten eng zusammen, indem sie einander bei grenzüberschreitenden Fällen unterstützen und regelmäßig konsultieren. Muss in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine Maßnahme ergriffen werden, so entscheidet dieser Delegierte Europäische Staatsanwalt über die Anordnung der erforderlichen Maßnahme und weist sie einem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu, der in dem Mitgliedstaat angesiedelt ist, in dem die Maßnahme durchgeführt werden muss.

(2)      Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt kann alle Maßnahmen zuweisen, die ihm nach Artikel 30 zur Verfügung stehen. Für die Begründung und Anordnung derartiger Maßnahmen ist das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts maßgeblich. Weist der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt eine Ermittlungsmaßnahme einem oder mehreren Delegierten Europäischen Staatsanwälten eines anderen Mitgliedstaats zu, so setzt er gleichzeitig seinen die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt davon in Kenntnis.

(3)      Ist nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine richterliche Genehmigung für die Maßnahme erforderlich, so ist sie von dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaats einzuholen.

Wird die richterliche Genehmigung für die zugewiesene Maßnahme verweigert, so zieht der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die Zuweisung zurück.

Ist nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine solche richterliche Genehmigung nicht erforderlich, verlangt aber das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine solche, so ist sie von dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt einzuholen und zusammen mit der Zuweisung zu übermitteln.

(4)      Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt führt die ihm zugewiesene Maßnahme entweder selbst durch oder beauftragt die zuständige nationale Behörde mit der Durchführung.

(5)      Ist der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt der Auffassung, dass

c)      sich mit einer alternativen, weniger eingreifenden Maßnahme dieselben Ergebnisse wie mit der zugewiesenen Maßnahme erreichen ließen …

so setzt er seinen die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt davon in Kenntnis und berät sich mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt, um die Angelegenheit in beiderseitigem Einvernehmen zu regeln.

(6)      Existiert die zugewiesene Maßnahme in einem rein innerstaatlichen Fall nicht, wohl aber in einem grenzüberschreitenden Fall nach Maßgabe von Rechtsinstrumenten über gegenseitige Anerkennung oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit, so können die betreffenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte im Einvernehmen mit den jeweiligen die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwälten auf diese Instrumente zurückgreifen.

(7)      Gelingt es den Delegierten Europäischen Staatsanwälten nicht, die Angelegenheit innerhalb von sieben Werktagen zu regeln, wird die Zuweisung aber aufrechterhalten, so wird die Angelegenheit an die zuständige Ständige Kammer verwiesen. Gleiches gilt, wenn die zugewiesene Maßnahme nicht innerhalb der in der Zuweisung gesetzten Frist oder in angemessener Zeit durchgeführt wird.

…“

18      Art. 32 („Vollstreckung der zugewiesenen Maßnahmen“) dieser Verordnung lautet:

„Die zugewiesenen Maßnahmen werden gemäß dieser Verordnung und dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchgeführt. Formvorschriften und Verfahren, die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt ausdrücklich angegeben werden, sind einzuhalten, es sei denn, sie stehen im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts.“

19      Art. 41 Abs. 1 und 2 der Verordnung bestimmt:

„(1)      Die Tätigkeiten der EUStA werden in vollem Einklang mit den in der Charta verankerten Rechten Verdächtiger und Beschuldigter, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte, durchgeführt.

(2)      Jeder Verdächtige oder Beschuldigte in einem Strafverfahren der EUStA hat mindestens die im Unionsrecht, einschließlich der in nationales Recht umgesetzten Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren, vorgesehenen Verfahrensrechte, wie beispielsweise

a)      das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen gemäß der Richtlinie [2010/64],

b)      das Recht auf Belehrung oder Unterrichtung und das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte gemäß der Richtlinie [2012/13],

c)      das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und auf Benachrichtigung eines Dritten im Falle einer Festnahme gemäß der Richtlinie [2013/48],

d)      das Recht auf Aussageverweigerung und Unschuldsvermutung gemäß der Richtlinie … 2016/343,

e)      das Recht auf Prozesskostenhilfe gemäß der Richtlinie … 2016/1919.“

 Österreichisches Recht

20      Nach § 11 Abs. 2 des Bundesgesetzes zur Durchführung der Europäischen Staatsanwaltschaft obliegt die gerichtliche Entscheidung oder Bewilligung gemäß Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Fall der Verordnung 2017/1939, wenn im Fall von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA eine Maßnahme im österreichischen Bundesgebiet durchzuführen ist, jenem Landesgericht, an dessen Sitz sich die zuständige Staatsanwaltschaft befindet.

21      In § 119 Abs. 1 der Strafprozessordnung (im Folgenden: öStPO) sind die Voraussetzungen für Durchsuchungen geregelt.

22      Nach § 120 Abs. 1 öStPO sind Durchsuchungen von der Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen; bei Gefahr im Verzug ist die Kriminalpolizei allerdings berechtigt, diese Durchsuchungen vorläufig ohne Anordnung und Bewilligung vorzunehmen.

 Deutsches Recht

23      § 102 der Strafprozessordnung (im Folgenden: dStPO) lautet:

„Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.“

24      In § 105 Abs. 1 dStPO heißt es:

„Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. …“

25      § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung der EU-Verordnung zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft sieht vor:

„Soweit die Vorschriften der Strafprozessordnung hinsichtlich einer Ermittlungsmaßnahme eine gerichtliche Anordnung oder Bestätigung vorsehen, ist bei grenzüberschreitenden Maßnahmen, die gemäß Artikel 31 Absatz 3 der Verordnung … 2017/1939 in einem anderen an der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft beteiligten Mitgliedstaat durchgeführt werden sollen, eine solche gerichtliche Anordnung oder Bestätigung bei einem deutschen Gericht nur einzuholen, wenn nach dem Recht des anderen Mitgliedstaates eine solche gerichtliche Anordnung oder Bestätigung nicht erforderlich ist.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

26      Ein deutscher Delegierter Europäischer Staatsanwalt leitete im Namen der EUStA Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung in großem Ausmaß und der Mitgliedschaft in einer auf die Begehung von Steuerstraftaten ausgerichteten kriminellen Vereinigung ein.

27      Im Rahmen dieser Ermittlungen wird B. O. D. und ihren Geschäftsführern G. K. und S. L. zur Last gelegt, durch falsche Angaben bei der Einfuhr von Biodiesel amerikanischer Herkunft in die Union gegen das Zollrecht verstoßen und einen Schaden in Höhe von 1 295 000 Euro verursacht zu haben.

28      Am 9. November 2021 ordnete ein österreichischer unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt im Rahmen der Unterstützung dieser Ermittlungen gemäß Art. 31 der Verordnung 2017/1939 zum einen Durchsuchungen und Sicherstellungen sowohl in den Geschäftsräumen von B. O. D. und ihres Mutterunternehmens als auch in den Wohnungen von G. K. und S. L., die sich alle in Österreich befinden, an und beantragte zum anderen bei den zuständigen österreichischen Gerichten die Bewilligung dieser Maßnahmen.

29      Nachdem er die beantragten Bewilligungen erhalten hatte, wies er die zuständige Finanzbehörde an, die Maßnahmen tatsächlich durchzuführen, was die Behörde auch tat.

30      Am 1. Dezember 2021 erhoben G. K., B. O. D. und S. L. Beschwerden gegen die Entscheidungen der österreichischen Gerichte, mit denen die in Rede stehenden Maßnahmen bewilligt worden waren, an das Oberlandesgericht Wien (Österreich), das vorlegende Gericht.

31      Vor diesem Gericht führen G. K., B. O. D. und S. L. u. a. aus, dass in Österreich keine Straftat vorliege, dass der Tatverdacht gegen sie unzureichend sei, dass die Entscheidungen der österreichischen Gerichte nicht hinreichend begründet seien, dass die angeordneten Durchsuchungen weder notwendig noch verhältnismäßig gewesen seien und dass ihr Recht auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient verletzt worden sei.

32      Der österreichische unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt macht vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass sich nach dem durch die Verordnung 2017/1939 für die grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA geschaffenen Rechtsrahmen die Begründung der zugewiesenen Ermittlungsmaßnahmen nach dem Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts richte und in Analogie zu der durch die Richtlinie 2014/41 geschaffenen Regelung nur von den Behörden dieses Mitgliedstaats geprüft werden könne. Die in Rede stehenden Verstöße seien aber bereits vom zuständigen Ermittlungsrichter beim Amtsgericht München (Deutschland) geprüft worden. Die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts dürften ihrerseits nur die formalen Voraussetzungen für die Durchführung dieser zugewiesenen Ermittlungsmaßnahmen prüfen.

33      Das vorlegende Gericht weist zum einen darauf hin, dass es nach dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 3 und Art. 32 der Verordnung 2017/1939 möglich sei, diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass für den Fall einer gerichtlich zu bewilligenden zugewiesenen Maßnahme im Staat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts die durchzuführende Maßnahme von einem Gericht dieses Mitgliedstaats nach sämtlichen formellen und materiellen Vorschriften dieses Mitgliedstaats zu prüfen sei.

34      Dies hätte jedoch zur Folge, dass eine solche Maßnahme gegebenenfalls in zwei Mitgliedstaaten nach ihrem jeweiligen nationalen Recht umfassend geprüft werden müsste, was bedeuten würde, dass alle für die Durchführung solcher Prüfungen erforderlichen Dokumente dem zuständigen Gericht im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zur Verfügung gestellt und gegebenenfalls übersetzt werden müssten. Ein solches System stelle aber einen Rückschritt gegenüber dem mit der Richtlinie 2014/41 eingeführten System dar, bei dem der Vollstreckungsmitgliedstaat nur bestimmte formale Gesichtspunkte prüfen könne.

35      Zum anderen ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass eine Auslegung der Verordnung 2017/1939 im Licht des Ziels einer effizienten Strafverfolgung den Schluss nahelege, dass sich die Kontrolle, die im Rahmen der im Land des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlichen gerichtlichen Genehmigung durchgeführt werde, lediglich auf formale Gesichtspunkte beschränken solle, und zwar jedenfalls dann, wenn im Staat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts bereits eine gerichtliche Prüfung stattgefunden habe.

36      Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Wien beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 32 der Verordnung 2017/1939 so auszulegen, dass bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Fall notwendiger gerichtlicher Genehmigung einer im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchzuführenden Maßnahme eine Prüfung sämtlicher materieller Gesichtspunkte, wie gerichtliche Strafbarkeit, Tatverdacht, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, stattzufinden hat?

2.      Ist bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die Zulässigkeit der Maßnahme bereits im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts von einem Gericht nach dem Recht dieses Mitgliedstaats geprüft wurde?

3.      Für den Fall, dass die erste Frage verneint bzw. die zweite Frage bejaht wird, in welchem Umfang hat eine gerichtliche Prüfung im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts stattzufinden?

37      Mit Schreiben vom 10. Januar 2023 hat die Kanzlei des Gerichtshofs das vorlegende Gericht um Klarstellung ersucht. In Beantwortung dieses Ersuchens hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass G. K., B. O. D. und S. L. in dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 2. September 2021 über die Genehmigung von Durchsuchungen in Deutschland bezeichnet würden, ohne dass geprüft worden sei, ob etwaige Durchsuchungen in den Geschäftsräumen von B. O. D. und den Wohnsitzen von G. K. und S. L. in Österreich begründet seien.

 Zu den Vorlagefragen

38      Mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 31 und 32 der Verordnung 2017/1939 dahin auszulegen sind, dass sich die im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchgeführte Kontrolle sowohl auf Gesichtspunkte der Begründung und der Anordnung dieser Maßnahme als auch auf Gesichtspunkte ihrer Vollstreckung beziehen darf, wenn für eine zugewiesene Ermittlungsmaßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats erforderlich ist. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, wie sich die gerichtliche Kontrolle dieser Maßnahme, die zuvor im Mitgliedstaat des mit der Sache betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts vorgenommen worden sein soll, auf den Umfang der Kontrolle der Maßnahme im Zuge der Erteilung dieser richterlichen Genehmigung im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts auswirkt.

39      Zunächst ist festzustellen, dass Gegenstand der Verordnung 2017/1939 gemäß ihrem Art. 1 ist, die EUStA zu errichten und ihre Arbeitsweise zu regeln.

40      Nach Art. 4 der Verordnung ist die EUStA zuständig für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung sowie die Anklageerhebung in Bezug auf Personen, die als Täter oder Teilnehmer Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union begangen haben. Hierzu führt die EUStA Ermittlungen, ergreift Strafverfolgungsmaßnahmen und nimmt vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr, bis das Verfahren endgültig abgeschlossen ist.

41      Art. 8 Abs. 1 der Verordnung bestimmt, dass die EUStA eine unteilbare Einrichtung der Union ist, die als eine einheitliche Behörde mit einem dezentralen Aufbau handelt. Nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Verordnung gliedert sich die EUStA in eine zentrale Ebene, nämlich die zentrale Dienststelle am Sitz der EUStA, und in eine dezentrale Ebene, die aus den Delegierten Europäischen Staatsanwälten, die in den Mitgliedstaaten angesiedelt sind, besteht.

42      Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 30 und 32 der Verordnung sieht vor, dass die Ermittlungen der EUStA in der Regel von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten durchgeführt werden, die im Namen der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat handeln.

43      Aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 der Verordnung 2017/1939 ergibt sich, dass der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt, d. h. der Delegierte Europäische Staatsanwalt, der für die von ihm eingeleiteten, für die ihm zugewiesenen oder für die durch Wahrnehmung seines Evokationsrechts von ihm übernommenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig ist, im Einklang mit dieser Verordnung und dem nationalen Recht die Ermittlungsmaßnahmen und andere Maßnahmen entweder selbst treffen oder die zuständigen Behörden seines Mitgliedstaats dazu anweisen kann.

44      Wenn der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt im Rahmen von Ermittlungen, die er in seinem Mitgliedstaat durchführt, beschließt, eine Ermittlungsmaßnahme zu treffen, die eine richterliche Genehmigung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats erfordert, obliegt die Kontrolle der Einhaltung aller hierfür vorgesehenen Voraussetzungen den Gerichten dieses Mitgliedstaats. Dagegen muss der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt in grenzüberschreitenden Fällen, wenn eine Ermittlungsmaßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem seinigen auszuführen ist, einen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt in dem Mitgliedstaat, in dem die Maßnahme ausgeführt werden soll, heranziehen können, wie sich aus Art. 2 Nr. 6 in Verbindung mit dem 72. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1939 ergibt.

45      Die Anordnung und die Vollstreckung einer solchen Maßnahme im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen sind in den Art. 31 und 32 dieser Verordnung geregelt, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht. Daher ist der Umfang der gerichtlichen Kontrolle, die im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts vorgenommen werden kann, wenn eine solche Maßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats erfordert, anhand dieser Vorschriften zu bestimmen.

46      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Was erstens den Wortlaut der Art. 31 und 32 der Verordnung 2017/1939 betrifft, geht aus ihrem Art. 31 Abs. 1 hervor, dass die Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen der EUStA auf einer engen Zusammenarbeit zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten beruht. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entscheidet, wenn eine Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchgeführt werden muss, dieser über die Anordnung der erforderlichen Maßnahme und weist sie einem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu, der in dem Mitgliedstaat angesiedelt ist, in dem die Maßnahme durchgeführt werden muss.

48      Art. 31 Abs. 2 dieser Verordnung stellt insoweit klar, dass für die Begründung und Anordnung derartiger Maßnahmen das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts maßgeblich ist.

49      Nach Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung ist in dem Fall, dass nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine richterliche Genehmigung für die Maßnahme erforderlich ist, diese Genehmigung von dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaats einzuholen.

50      Dagegen ist nach Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2017/1939 in dem Fall, dass nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine solche richterliche Genehmigung nicht erforderlich ist, das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts sie aber verlangt, die Genehmigung von dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt einzuholen und zusammen mit der Zuweisung zu übermitteln.

51      Art. 31 Abs. 4 der Verordnung bestimmt, dass der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die ihm zugewiesene Maßnahme entweder selbst durchführt oder die zuständige nationale Behörde mit der Durchführung beauftragt.

52      Art. 32 dieser Verordnung stellt klar, dass eine zugewiesene Maßnahme gemäß dieser Verordnung und dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchgeführt wird.

53      In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2017/1939 zwar die Einholung einer richterlichen Genehmigung nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts vorsieht, wenn nach dem Recht dieses Mitgliedstaats für eine zugewiesene Ermittlungsmaßnahme eine solche Genehmigung erforderlich ist, dass in den Art. 31 und 32 dieser Verordnung der Umfang der Kontrolle, die die zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats für die Zwecke dieser richterlichen Genehmigung durchführen dürfen, aber nicht näher angegeben wird.

54      Aus dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 1 und 2 sowie Art. 32 der Verordnung ergibt sich allerdings, dass der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt über die Anordnung einer zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme entscheidet und dass für die Anordnung einer solchen Maßnahme ebenso wie für ihre Begründung das Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts maßgeblich ist, während sich die Vollstreckung einer solchen Maßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts richtet.

55      Was zweitens den Kontext betrifft, in dem die Art. 31 und 32 der Verordnung stehen, ist darauf hinzuweisen, dass die in diesen Artikeln getroffene Unterscheidung zwischen der Begründung und der Anordnung einer zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme einerseits und deren Vollstreckung andererseits die Logik widerspiegelt, die dem System der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten zugrunde liegt, das auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruht.

56      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten beruht, im Unionsrecht fundamentale Bedeutung haben, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen impliziert, dass ein gegenseitiges Vertrauen darauf besteht, dass jeder der Mitgliedstaaten die Anwendung des in den übrigen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts anerkennt, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Januar 2018, Piotrowski, C‑367/16, EU:C:2018:27, EU:C:2018:27, Rn. 52, und vom 10. Januar 2019, ET, C‑97/18, EU:C:2019:7, Rn. 33).

58      Dieser Grundsatz wird durch verschiedene Instrumente der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten umgesetzt.

59      So kommt dieser Grundsatz u. a. in Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 zum Ausdruck, der die Regel aufstellt, dass die Mitgliedstaaten jeden Europäischen Haftbefehl auf der Grundlage dieses Grundsatzes und gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses vollstrecken müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, Openbaar Ministerie [Im Ausstellungsmitgliedstaat durch Gesetz errichtetes Gericht], C‑562/21 PPU und C‑563/21 PPU, EU:C:2022:100, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Im Rahmen des durch diesen Rahmenbeschluss errichteten Systems der Übergabe erfüllen die Justizbehörden, auf die sich die Abs. 1 und 2 von Art. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 beziehen, gesonderte Aufgaben, die zum einen in der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und zum anderen in der Vollstreckung eines solchen Haftbefehls bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 47).

61      Es ist daher Sache der ausstellenden Justizbehörde, zu überprüfen, ob die für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ohne dass, wie sich aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ergibt, diese Beurteilung anschließend von der vollstreckenden Justizbehörde überprüft werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Januar 2018, Piotrowski, C‑367/16, EU:C:2018:27, Rn. 52, und vom 31. Januar 2023, Puig Gordi u. a., C‑158/21, EU:C:2023:57, Rn. 87 und 88).

62      Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung kommt auch in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41 zum Ausdruck, wonach die Mitgliedstaaten jede EEA nach diesem Grundsatz und gemäß dieser Richtlinie vollstrecken.

63      Aus Art. 6 in Verbindung mit Art. 9 dieser Richtlinie geht hervor, dass das von ihr vorgesehene System der justiziellen Zusammenarbeit ebenso wie das mit dem Rahmenbeschluss 2002/584 eingeführte auf einer Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde beruht. Dabei ist es Sache der ausstellenden Justizbehörde, zu überprüfen, ob die für den Erlass einer EEA erforderlichen materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, ohne dass, wie sich aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ergibt, diese Beurteilung anschließend von der vollstreckenden Justizbehörde überprüft werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2021, Spetsializirana prokuratura [Verkehrs- und Standortdaten], C‑724/19, EU:C:2021:1020, Rn. 53).

64      Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Vollstreckungsbehörde im Rahmen der auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruhenden justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten nicht überprüfen soll, ob die Anordnungsbehörde die Voraussetzungen für den Erlass der von ihr zu vollstreckenden gerichtlichen Entscheidung erfüllt hat.

65      Drittens folgt aus den Erwägungsgründen 12, 14, 20 und 60 der Verordnung 2017/1939, dass diese Verordnung zum Ziel hat, Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union durch die Einrichtung einer EUStA effizienter zu bekämpfen.

66      Insoweit geht aus Art. 31 Abs. 6 in Verbindung mit dem 73. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1939 hervor, dass es möglich sein muss, die in dieser Verordnung vorgesehenen besonderen Vorschriften für grenzüberschreitende Ermittlungen durch die Möglichkeit zu ergänzen, auf Rechtsinstrumente über u. a. gegenseitige Anerkennung wie das mit der Richtlinie 2014/41 geschaffene zurückzugreifen, um zu gewährleisten, dass in Fällen, in denen eine Maßnahme für eine solche Ermittlung erforderlich ist, im nationalen Recht für einen rein innerstaatlichen Fall aber nicht existiert, von dieser Möglichkeit im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften, mit denen das betreffende Instrument umgesetzt wird, Gebrauch gemacht werden kann.

67      Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber mit der Festlegung der in der Verordnung 2017/1939 vorgesehenen Verfahren einen Mechanismus schaffen wollte, der ein Maß an Effizienz der grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA gewährleistet, das mindestens ebenso hoch ist wie dasjenige, das sich aus der Anwendung der Verfahren ergibt, die im Rahmen des auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruhenden Systems der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

68      Es würde in der Praxis jedoch zu einem weniger effizienten System, als es durch solche Rechtsinstrumente geschaffen wurde, führen und damit dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel zuwiderlaufen, wenn die Art. 31 und 32 der Verordnung 2017/1939 dahin ausgelegt würden, dass die Erteilung der in Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 dieser Verordnung genannten richterlichen Genehmigung von einer Prüfung von Gesichtspunkten der Begründung und der Anordnung der betreffenden zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme durch die zuständige Behörde des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts abhängig gemacht werden kann.

69      Zum einen müsste nämlich die zuständige Behörde des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts, um eine solche Prüfung vornehmen zu können, u. a. die gesamte Verfahrensakte eingehend prüfen, die ihr von den Behörden des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu übermitteln und gegebenenfalls zu übersetzen wäre.

70      Zum anderen müsste, da die Begründung und die Anordnung einer zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme aufgrund der Entscheidung des Unionsgesetzgebers dem Recht des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterliegen, die zuständige Behörde des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts bei der Prüfung dieser beiden Gesichtspunkte das Recht des ersteren Mitgliedstaats anwenden. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass diese Behörde besser als die zuständige Behörde des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts in der Lage ist, eine solche Prüfung nach dem Recht des letzteren Mitgliedstaats vorzunehmen.

71      Demnach unterscheidet die Verordnung 2017/1939 für die Zwecke der Zusammenarbeit zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen der EUStA zwischen der Begründung und der Anordnung der zugewiesenen Maßnahme, für die der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt zuständig ist, und der Vollstreckung dieser Maßnahme, für die der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt zuständig ist.

72      Entsprechend dieser Aufteilung der Zuständigkeiten kann sich die Kontrolle im Zusammenhang mit einer etwaigen nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlichen richterlichen Genehmigung nur auf Gesichtspunkte der Vollstreckung beziehen.

73      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nach Art. 31 Abs. 2 der Verordnung 2017/1939 Sache des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts ist, eine vorherige gerichtliche Überprüfung der Voraussetzungen für die Begründung und die Anordnung einer zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme vorzusehen, wobei die Anforderungen zu berücksichtigen sind, die sich aus der Charta, die nach ihrem Art. 51 Abs. 1 von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Verordnung zu beachten ist, ergeben.

74      Die in den Rn. 71 und 72 des vorliegenden Urteils beschriebene Aufteilung der Zuständigkeiten lässt somit die Anforderungen hinsichtlich der Achtung der Grundrechte bei der Anordnung von zugewiesenen Ermittlungsmaßnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unberührt, die Eingriffe in das in Art. 7 der Charta garantierte Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation und in das in Art. 17 der Charta verankerte Eigentumsrecht darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2021, Gavanozov II, C‑852/19, C:2021:902, Rn. 31).

75      Bei Ermittlungsmaßnahmen wie der Durchsuchung von Privatwohnungen, Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf persönliches Eigentum und der Sicherstellung von Vermögenswerten nach Art. 30 Abs. 1 Buchst. a und d der Verordnung 2017/1939, mit denen schwerwiegende Eingriffe in diese Grundrechte verbunden sind, obliegt es dem Mitgliedstaat, zu dem der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt gehört, im nationalen Recht angemessene und ausreichende Garantien wie eine vorherige gerichtliche Kontrolle vorzusehen, um die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit solcher Maßnahmen sicherzustellen.

76      Außerdem ist zusätzlich zu den Garantien des Grundrechtsschutzes im Zusammenhang mit den Rechtsinstrumenten der Union, auf die die Delegierten Europäischen Staatsanwälte nach Art. 31 Abs. 6 der Verordnung 2017/1939 im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen zurückgreifen können, zum einen festzustellen, dass die EUStA sowohl nach den Erwägungsgründen 80 und 83 als auch nach Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung gewährleistet, dass bei ihrer Tätigkeit die Grundrechte beachtet werden. Dieses allgemeine Gebot wird in Art. 41 Abs. 1 und 2 der Verordnung konkretisiert, aus dem hervorgeht, dass die EUStA u. a. das Recht auf ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte von Verdächtigen und Beschuldigten wahren muss, die mindestens die im Unionsrecht, insbesondere in den in Art. 41 Abs. 2 und im 85. Erwägungsgrund der Verordnung genannten unionsrechtlichen Instrumenten, vorgesehenen Verfahrensrechte haben müssen.

77      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt, auch wenn die Behörden, insbesondere die Gerichte, seines Mitgliedstaats nicht befugt sind, die Begründung und die Anordnung einer zugewiesenen Ermittlungsmaßnahme zu prüfen, nach Art. 31 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung 2017/1939, wenn er der Auffassung ist, dass sich mit einer alternativen, weniger eingreifenden Maßnahme dieselben Ergebnisse wie mit der zugewiesenen Maßnahme erreichen ließen, den die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt davon in Kenntnis setzt und sich mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt berät, um die Angelegenheit in beiderseitigem Einvernehmen zu regeln. Nach Art. 31 Abs. 7 dieser Verordnung wird, wenn es den betreffenden Delegierten Europäischen Staatsanwälten nicht gelingt, die Angelegenheit innerhalb von sieben Werktagen zu regeln, die Zuweisung aber aufrechterhalten wird, die Angelegenheit an die zuständige Ständige Kammer verwiesen.

78      Folglich ist auf die drei Fragen zu antworten, dass die Art. 31 und 32 der Verordnung 2017/1939 dahin auszulegen sind, dass sich die Kontrolle, die in dem Fall, dass für eine zugewiesene Ermittlungsmaßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich ist, in diesem Mitgliedstaat vorgenommen wird, nur auf Gesichtspunkte der Vollstreckung dieser Maßnahme beziehen darf, nicht aber auf Gesichtspunkte der Begründung und der Anordnung der Maßnahme, die, wenn es um einen schwerwiegenden Eingriff in die durch die Charta garantierten Rechte der betroffenen Person geht, einer vorherigen gerichtlichen Kontrolle im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterliegen müssen.

 Kosten

79      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 31 und 32 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft

sind dahin auszulegen, dass

sich die Kontrolle, die in dem Fall, dass für eine zugewiesene Ermittlungsmaßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich ist, in diesem Mitgliedstaat vorgenommen wird, nur auf Gesichtspunkte der Vollstreckung dieser Maßnahme beziehen darf, nicht aber auf Gesichtspunkte der Begründung und der Anordnung der Maßnahme, die, wenn es um einen schwerwiegenden Eingriff in die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Rechte der betroffenen Person geht, einer vorherigen gerichtlichen Kontrolle im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterliegen müssen.

Lenaerts

Bay Larsen

Arabadjiev

Prechal

Jürimäe

von Danwitz

Biltgen

Spineanu-Matei

Ilešič

Bonichot

Safjan

Rodin

Gratsias

Arastey Sahún

Gavalec

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Dezember 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.