Language of document : ECLI:EU:C:2019:462

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 5. Juni 2019(1)

Rechtssache C189/18

Glencore Agriculture Hungary Kft.

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság [Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn])

„Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 167 – Art. 168 – Recht auf Vorsteuerabzug – Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug – Nationale Verfahren – Beweislast – Akteneinsicht – Verteidigungsrecht – Waffengleichheit – Gerichtliche Überprüfung“






I.      Einleitung

1.        Die Glencore Agriculture Hungary Kft. (im Folgenden: Glencore) wendet sich gegen zwei Entscheidungen des Nemzeti Adó- és Vámhivatal  (Nationale Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn, im Folgenden: Finanzverwaltung), in denen ihr der Vorsteuerabzug für bestimmte Lieferungen mit der Begründung versagt wurde, dass sie von Steuerhinterziehung bzw. Steuerbetrug ihrer Lieferanten wusste oder hätte wissen müssen. Im Ausgangsverfahren stellt Glencore die Rechtmäßigkeit der Steuerverfahren vor der Finanzverwaltung in Frage. Insbesondere rügt sie eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und ihrer Verteidigungsrechte.

2.        Das mit diesem Rechtsbehelf befasste nationale Gericht, der Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn), hegt Zweifel an der Vereinbarkeit bestimmter nationaler Bestimmungen und Praktiken mit dem Unionsrecht. Insbesondere ersucht das vorlegende Gericht um Hinweise zu den Grundsätzen, die im Zusammenhang mit der den Steuerbehörden obliegenden Beweislast gelten, wenn die Beteiligung eines Steuerpflichtigen an einer von seinen Lieferanten begangenen Steuerhinterziehung nachgewiesen werden soll, zum Recht des Steuerpflichtigen auf Zugang zu den für seine Verteidigung relevanten Dokumenten und zum Umfang, in dem das nationale Gericht Feststellungen der Steuerbehörden und die Art und Weise, in der diese Behörden die Beweise erhoben haben, zu überprüfen hat.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

3.        Gemäß Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie)(2) „[entsteht] das Recht auf Vorsteuerabzug …, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht“.

4.        Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

…“

5.        Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt: „Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden …“

B.      Nationales Recht

6.        § 1 Abs. 3a des Adózás rendjéről szóló 2003. évi XCII. törvény (Gesetz XCII von 2003 über die Ordnung der Besteuerung, im Folgenden: Besteuerungsordnung) sieht vor:

„Im Rahmen einer Prüfung der Parteien des steuerpflichtigen Rechtsverhältnisses (Vertrag, Geschäft) darf die Steuerbehörde ein und dasselbe Rechtsverhältnis, das von der Prüfung betroffen ist und das bereits eingestuft worden ist, nicht bei jedem Steuerpflichtigen unterschiedlich einstufen und muss die bei einer der Parteien dieses Rechtsverhältnisses getroffenen Feststellungen bei der Prüfung der anderen Partei dieses Rechtsverhältnisses von Amts wegen anwenden.“

7.        Gemäß § 12 Abs. 1 und 3 der Besteuerungsordnung hat ein Steuerpflichtiger das Recht, von den Besteuerungsunterlagen Kenntnis zu nehmen. Zu diesem Zweck kann er von „jede[m] für die Ausübung seiner Rechte oder die Erfüllung seiner Verpflichtungen erforderliche[n] Dokument … eine Kopie … anfertigen oder verlangen“. Allerdings erhalten Steuerpflichtige u. a. keine Einsicht in „den Teil eines Dokuments, dessen Bekanntgabe gegen eine Vorschrift zum Schutz des Steuergeheimnisses einer anderen Person verstößt“.

8.        In § 97 Abs. 4 und 5 der Besteuerungsordnung heißt es:

„(4)      Bei einer Prüfung muss die Steuerbehörde den Sachverhalt ermitteln und beweisen, es sei denn, das Gesetz erlegt dem Steuerpflichtigen die Beweislast auf.

(5)      Beweise und Beweismittel sind insbesondere: Unterlagen, Gutachten, Erklärungen des Steuerpflichtigen, seiner Stellvertreter, Bevollmächtigten oder Beschäftigten sowie anderer Steuerpflichtiger, Zeugenaussagen, Ortsbesichtigungen, verdeckte und sonstige Probenkäufe, Testproduktion, Prüfung von Inventarlisten und sonstigen von anderen Steuerpflichtigen bereitgestellten Daten, Feststellungen angeordneter konnexer Prüfungen, Inhalte offengelegter Daten, Inhalte der Aufzeichnungen anderer Behörden oder elektronische Daten sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Informationen.“

9.        § 100 Abs. 4 der Besteuerungsordnung lautet:

„Stützt die Steuerbehörde die Feststellungen einer Prüfung auf die Ergebnisse einer konnexen Prüfung, die bei einem anderen Steuerpflichtigen durchgeführt wurde, oder auf bei dieser Gelegenheit erhobene Daten und Beweise, wird der Steuerpflichtige detailliert über den ihn betreffenden Teil des diesbezüglichen Protokolls und der betreffenden Entscheidung sowie der Daten und Beweise, die bei der konnexen Prüfung erhoben wurden, in Kenntnis gesetzt.“

10.      § 69 Abs. 1 des Nemzeti Adó és Vámhivatalról szóló 2010. évi CXXII. törvény (Gesetz CXXII von 2010 über die nationale Steuer- und Zollverwaltung, im Folgenden „Finanzverwaltungsgesetz“) sieht vor:

„Die von der [Finanzverwaltung] nach § 13 Abs. 7 Unterabs. a zu Zwecken der Strafverfolgung … erhobenen und verarbeiteten Daten sowie besondere Daten dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, nur für die Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden.“

11.      In § 76 Abs. 2 Buchst. g des Finanzverwaltungsgesetzes heißt es:

„(2)      Zusätzlich zu den in Abs. 1 genannten Stellen dürfen die folgenden Stellen Daten und Informationen des Datenverarbeitungssystems der Finanzverwaltung abrufen, soweit sie diese für die Erfüllung ihrer gesetzlich bestimmten Pflichten benötigen, wobei Gründe anzugeben sind:

g)      die Abteilung der [Finanzverwaltung], die für die Wahrnehmung der Aufgaben der [Finanzverwaltung] im Zusammenhang mit Steuer- und Zollverbindlichkeiten, Steuer- und Zollverfahren nach der [Besteuerungsordnung], [dem Közösségi vámjog végrehajtásáról szóló 2003. évi CXXVI. törvény (Gesetz CXXVI von 2003 über die Umsetzung des gemeinschaftlichen Zollrechts)] und sonstigen steuer- und zollrechtlichen Reglungen zuständig ist.“

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

12.      Aus dem Vorlagebeschluss und dem Vorbringen der Parteien ergibt sich zusammengefasst folgender Sachverhalt.

13.      Glencore, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist ein Unternehmen mit Sitz in Ungarn, dessen Haupttätigkeit im Großhandel mit Getreide, Ölsaaten und Futtermitteln sowie mit Rohstoffen besteht. Glencore kaufte im gesamten Gebiet Ungarns Getreide an, wovon sie einen Großteil ins Ausland verkaufte. Sie kaufte auch große Mengen an Sonnenblumenkernen und Rapssamen an, von denen ein erheblicher Teil durch eine Unterauftragnehmerin zu Rohöl und Grieß weiterverarbeitet und ein kleinerer Teil von ihr unverarbeitet weiterverkauft wurde.

14.      Die Finanzverwaltung führte Prüfungen in den Räumlichkeiten von Glencore durch. Aufgrund dieser Prüfungen erließ die Finanzverwaltung in den Jahren 2015 und 2016 zwei Verwaltungsentscheidungen (im Folgenden „angefochtene Entscheidungen“). Die erste Entscheidung betraf alle Steuern und Subventionen in den Steuerjahren 2010 und 2011 (mit Ausnahme der Mehrwertsteuer für die Monate September und Oktober 2011). Mit dieser Entscheidung wurde Glencore u. a. zur Zahlung von 1 951 418 000 ungarischen Forint (HUF) im Hinblick auf nicht entrichtete Mehrwertsteuer verpflichtet. Die zweite Entscheidung betraf die für Oktober 2011 geschuldete Mehrwertsteuer; danach musste Glencore zusätzlich Mehrwertsteuer in Höhe von 130 171 000 HUF zahlen.

15.      Die Finanzverwaltung kam in diesen Entscheidungen zu dem Ergebnis, dass Glencore den Vorsteuerabzug unberechtigt vorgenommen habe, weil sie wusste oder hätte wissen müssen, dass einige ihrer Lieferanten fiktive Rechnungen ausgestellt hatten und an Steuerhinterziehung beteiligt waren. In diesem Zusammenhang verwies die Finanzverwaltung auf Verwaltungsentscheidungen, die gegen bestimmte Lieferanten von Glencore erlassen worden waren, sowie auf Strafverfahren gegen einige dieser Lieferanten (die im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen noch nicht abgeschlossen waren).

16.      Aus den angefochtenen Entscheidungen ergibt sich, dass die Prüfer, die Glencore prüften, unmittelbaren oder mittelbaren Zugang zu Unterlagen sowohl aus den Strafakten als auch aus den Verwaltungsakten der Lieferanten, gegen die Verfahren eingeleitet worden waren, erhielten. Die Finanzverwaltung stützte sich auf einige der in diesen Verfahren zusammengetragenen Beweise, um die (passive) Beteiligung von Glencore an der Steuerhinterziehung zu belegen.

17.      Nach Abweisung der verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe hat Glencore vor dem Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest) Klage gegen die angefochtenen Entscheidungen erhoben. In ihrem Vorbringen stellt Glencore die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens in Frage, das zum Erlass der angefochtenen Entscheidungen geführt hat, und rügt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und ihrer Verteidigungsrechte.

18.      Im Zusammenhang mit diesen Verfahren wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die einschlägigen nationalen Bestimmungen so, wie sie sowohl von den Steuerbehörden als auch von den nationalen Gerichten ausgelegt und angewandt werden, einem Steuerpflichtigen wie Glencore übermäßig erschweren könnten, seine Beteiligung an einer von seinen Lieferanten begangenen Steuerhinterziehung zu widerlegen.

19.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Steuerbehörden der Ansicht seien, sie seien von der normalerweise bei ihnen liegenden Beweislast befreit, wenn sie die Feststellungen aus konnexen Entscheidungen in einem späteren Steuerverfahren berücksichtigten. Dem stehe die Tatsache nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige, der von der nachfolgenden Prüfung betroffen sei, an den früheren Verfahren nicht beteiligt gewesen sei und möglicherweise sogar von den entsprechenden Entscheidungen keine Kenntnis gehabt habe.

20.      Das vorlegende Gericht merkt ferner an, dass die Steuerbehörden sich nicht als dazu verpflichtet ansähen, die Akten der konnexen Verfahren und die den konnexen Entscheidungen zugrunde liegenden Beweismittel offenzulegen. Im vorliegenden Fall habe Glencore beispielsweise im Verwaltungsverfahren nur eine Beschreibung der Beweismittel, auf die sich die gegen ihre Lieferanten erlassenen Entscheidungen stützten, in Form eines zusammenfassenden Berichts erhalten. Trotz mehrerer Anträge sei Glencore die Einsicht in bestimmte Dokumente in der Akte, die sie als wichtig für ihre Verteidigung angesehen habe, verweigert worden. Erst später, im Ausgangsverfahren, sei Glencore auf Anordnung des vorlegenden Gerichts schließlich Einsicht in einige der angeforderten Dokumente gewährt worden.

21.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts können die geltend gemachten Mängel des Verwaltungsverfahrens im Rahmen des Gerichtsverfahrens nicht in vollem Umfang behoben werden, da die Rechtmäßigkeit der zuvor von den Steuerbehörden erlassenen Entscheidungen und der Erhebung der in konnexen Verfahren zusammengetragenen Beweise nicht überprüft werden könne.

22.      Vor diesem Hintergrund hat der Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság  (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und in Verbindung mit ihnen der fundamentale Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung und einer darauf beruhenden nationalen Praxis entgegenstehen, wonach die Feststellungen, die im Rahmen einer die Steuerpflicht betreffenden Prüfung der Parteien eines Rechtsverhältnisses (Vertrag, Geschäft) in einem Verfahren getroffen wurden, das bei einer der Parteien dieses Rechtsverhältnisses (im Ausgangsverfahren dem Rechnungsaussteller) durchgeführt wurde, und die eine Neueinstufung des Rechtsverhältnisses beinhalten, bei der Prüfung der anderen Partei des Rechtsverhältnisses (im Ausgangsverfahren des Rechnungsempfängers) von der Steuerbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen sind, obschon die andere Partei des Rechtsverhältnisses im ursprünglichen Prüfverfahren über keine Rechte, insbesondere über keine Beteiligtenrechte, verfügte?

2.      Stehen in dem Fall, dass die erste Vorlagefrage verneint wird, die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und in Verbindung mit ihnen der fundamentale Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta einer nationalen Praxis entgegen, die ein Verfahren wie das in der ersten Frage beschriebene zulässt, obschon die andere Partei des Rechtsverhältnisses (der Rechnungsempfänger) im ursprünglichen Prüfverfahren über keine Beteiligtenrechte verfügte und somit auch keinen Rechtsbehelf im Rahmen dieses Prüfverfahrens einlegen konnte, dessen Feststellungen von der Steuerbehörde in dem die Steuerpflicht der anderen Partei betreffenden Prüfverfahren von Amts wegen berücksichtigt werden und dieser zur Last gelegt werden können, wobei die Steuerbehörde der anderen Partei die maßgeblichen Schriftstücke der Prüfung, die bei der ersten Partei des Rechtsverhältnisses (dem Rechnungsaussteller) durchgeführt wurde, insbesondere die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Beweise, Protokolle und Verwaltungsentscheidungen nicht zur Verfügung stellt, sondern der anderen Partei nur einen Teil davon in Form eines Auszugs und auch diesen nur mittelbar zur Kenntnis bringt, indem sie eine Auswahl nach ihren eigenen, von der anderen Partei nicht überprüfbaren Kriterien trifft?

3.      Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und in Verbindung mit ihnen der fundamentale Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, wonach die Feststellungen, die im Rahmen einer die Steuerpflicht betreffenden Prüfung der Parteien eines Rechtsverhältnisses in einem Verfahren getroffen wurden, das beim Rechnungsaussteller durchgeführt wurde, und die auch die Feststellung beinhalten, dass das betreffende Rechtssubjekt (der Rechnungsaussteller) aktiv an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt gewesen ist, von der Steuerbehörde bei der Prüfung des Rechnungsempfängers von Amts wegen berücksichtigt werden, obschon der Rechnungsempfänger in dem beim Rechnungsaussteller durchgeführten Prüfverfahren über keine Beteiligtenrechte verfügte und somit auch keinen Rechtsbehelf im Rahmen dieses Prüfverfahrens einlegen konnte, dessen Feststellungen von der Steuerbehörde in dem die Steuerpflicht des Rechnungsempfängers betreffenden Prüfverfahren von Amts wegen berücksichtigt werden und diesem zur Last gelegt werden können, wobei [die Steuerbehörde] dem Rechnungsempfänger überdies die maßgeblichen Schriftstücke der Prüfung, die beim Rechnungsaussteller durchgeführt wurde, insbesondere die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Beweise, Protokolle und Verwaltungsentscheidungen, nicht zur Verfügung stellt, sondern dem Rechnungsempfänger nur einen Teil davon in Form eines Auszugs und auch diesen nur mittelbar zur Kenntnis bringt, indem sie eine Auswahl nach ihren eigenen, von dem anderen Steuerpflichtigen nicht überprüfbaren Kriterien trifft?

23.      Glencore, die ungarische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und auch alle in der Verhandlung vom 20. März 2019 mündlich vorgetragen.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

24.      Das vorlegende Gericht möchte im Kern wissen, ob die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, ausgelegt im Licht von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta, einer Bestimmung oder Praxis in einem Mitgliedstaat entgegenstehen, nach der die Steuerverwaltung bei der Prüfung des Rechts eines Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug die tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Einordnung (im Folgenden: Feststellungen) berücksichtigt, die von der Verwaltung in konnexen Entscheidungen gegen andere Steuerpflichtige getroffen worden sind. Dabei legt die Verwaltung dem Steuerpflichtigen die für diese Feststellungen relevanten Unterlagen nur teilweise und mittelbar offen, und zwar in Form einer Zusammenfassung der als relevant erachteten Dokumente.

25.      Der Vorlagebeschluss ist in Bezug auf den Sachverhalt sehr knapp gefasst. Ich halte es daher für notwendig, mein Verständnis der tatsächlichen Umstände darzulegen, das zwangsläufig den Rahmen der Antworten auf die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen bilden muss. Allerdings möchte ich anmerken, dass sich das Fehlen genauerer Angaben in Verbindung mit der recht komplexen Formulierung der Vorlagefragen zwangsläufig auf die Art der Antwort auswirken wird. Meine diesbezüglichen Vorschläge müssen deshalb auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau bleiben.

26.      Im Ausgangsverfahren greift Glencore zwei Entscheidungen der ungarischen Steuerbehörden an, in denen diese ihr den Vorsteuerabzug für bestimmte Lieferungen mit der Begründung versagen, dass sie von Steuerhinterziehung bzw. Steuerbetrug ihrer Lieferanten gewusst habe oder hätte wissen müssen.

27.      Die Feststellung, dass im Hinblick auf bestimmte Umsätze eine Steuerhinterziehung vorgelegen habe, wurde ursprünglich in früheren Entscheidungen der Steuerbehörden gegen Lieferanten von Glencore getroffen, und zwar in Verfahren, an denen Glencore nicht beteiligt war. Dann wurde diese Feststellung gemäß § 1 Abs. 3a der Besteuerungsordnung in die angefochtenen Entscheidungen „übernommen“. Diese Bestimmung – deren genaue Bedeutung zwischen den Parteien jedoch streitig ist – sieht vor: „Im Rahmen der Prüfung der Parteien eines zu einem Steueranspruch führenden Rechtsverhältnisses … behandelt die Steuerbehörde jedes Rechtsverhältnis, das von der Prüfung betroffen und bereits eingestuft worden ist, bei jedem Steuerpflichtigen gleich und wendet die bei einer der Parteien dieses Rechtsverhältnisses getroffenen Feststellungen bei der Prüfung der anderen Partei dieses Rechtsverhältnisses von Amts wegen an.“

28.      In den angefochtenen Entscheidungen haben sich die Steuerbehörden nach meinem Verständnis im Kern auf drei Beweismittelsammlungen gestützt, um die Beteiligung von Glencore an der fraglichen Steuerhinterziehung nachzuweisen: i) auf die in dem Verwaltungsverfahren gegen Glencore zusammengetragenen Beweise, ii) auf die in den Verwaltungsverfahren gegen die Lieferanten von Glencore zusammengetragenen Beweise und iii) auf die in den Strafverfahren gegen die Lieferanten von Glencore zusammengetragenen Beweise.

29.      Die Steuerverfahren gegen die Lieferanten von Glencore waren zu dem Zeitpunkt, zu dem das vorlegende Gericht sein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat, durch den Erlass bestandskräftig gewordener Verwaltungsentscheidungen abgeschlossen. Dagegen dauerten die Strafverfahren gegen diese Lieferanten immer noch an und befanden sich offensichtlich noch in der Ermittlungsphase (d. h. noch nicht vor einem Strafgericht).

30.      Dies bedeutet, dass im vorliegenden Fall das vorlegende Gericht seine Zweifel, was eine mögliche Verletzung der Rechte von Glencore anbelangt, an der „Weitergabe“ von Beweismitteln zwischen verschiedenen nationalen Behörden und an der „Übernahme“ von Feststellungen, die diese Behörden in einer oder mehreren Verwaltungsentscheidungen getroffen haben, in spätere Verwaltungsentscheidungen festmacht. Dagegen beruhte, wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, keine der Feststellungen in den angefochtenen Entscheidungen auf einem Urteil in einem Strafverfahren, weil bis zu diesem Zeitpunkt kein entsprechendes Urteil vorlag. Allerdings wurden bestimmte Informationen den Dokumenten entnommen, die die für die strafrechtlichen Ermittlungen zuständigen Behörden zusammengetragen hatten.

31.      Angesichts des Vorstehenden ersucht das vorlegende Gericht meiner Auffassung nach um die Klärung von drei wesentlichen Fragen. Die erste Frage betrifft die Art und Weise, in der die Steuerbehörden den Nachweis erbringen können, dass ein Steuerpflichtiger von der durch seine Lieferanten begangenen Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen müssen, wenn sie sich auf Feststellungen aus früheren Entscheidungen gegen die Lieferanten stützen. Die zweite Frage betrifft den Umfang der Pflicht der Steuerbehörden, dem Steuerpflichtigen den Zugang zu den für seine Verteidigung erforderlichen Beweismitteln zu gewähren, einschließlich der Unterlagen, die in konnexen Verfahren gegen andere Steuerpflichtige zusammengetragen wurden. Die dritte Frage betrifft die Befugnisse, die ein nationales Gericht haben sollte, wenn es von Steuerbehörden in Entscheidungen gegen die Lieferanten eines Steuerpflichtigen getroffene Feststellungen und die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung in den Verfahren gegen diese Lieferanten prüft.

32.      Schließlich ist im Hinblick auf das anzuwendende Unionsrecht anzumerken, dass nationale Regelungen über Verfahren und Sanktionen zur Bekämpfung von Betrug oder Steuerhinterziehung als Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen sind(3). Wie das vorlegende Gericht betont, sind das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte, die in Art. 47 bzw. Art. 48 Abs. 2 der Charta verankert sind, im vorliegenden Verfahren von besonderer Bedeutung.

B.      Beweislast der Steuerbehörde

33.      Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft die Art und Weise, in der die Steuerbehörden den ihnen obliegenden Nachweis erbringen können, dass ein Steuerpflichtiger von der durch seine Lieferanten begangenen Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen müssen, wenn sie sich auf Feststellungen in früheren Entscheidungen gegen die Lieferanten stützen.

34.      Zunächst möchte ich betonen, dass der Unternehmer durch die Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll(4). Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein Schlüsselelement des Mehrwertsteuersystems ist und daher grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann(5).

35.      Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht ist bekanntlich nicht erlaubt, und die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ist ein von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkanntes und gefördertes Ziel(6). Aus Art. 2 und Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV geht hervor, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen(7). Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck zu erlassen befugt sind, dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen(8).

36.      Daher ist es mit den Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht vereinbar, dieses Recht einem Steuerpflichtigen zu versagen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war(9). Damit dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt werden kann, muss die Steuerverwaltung nach objektiven Kriterien und ohne von dem betreffenden Steuerpflichtigen Prüfungen zu verlangen, für die er nicht verantwortlich ist, nachweisen, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Vertragspartner an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt war(10).

37.      In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften zur Beweiserhebung muss der Nachweis der Beteiligung eines Steuerpflichtigen an einem Mehrwertsteuerbetrug in Einklang mit den Beweisregeln des nationalen Rechts geführt werden(11). Allerdings dürfen die Regeln über die Beweiserhebung, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen, und sie müssen die in der Charta garantierten Rechte beachten(12).

38.      Aus dem Urteil WebMindLicenses folgt weiter, dass weder die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie noch der Grundsatz der Achtung der Verteidigungsrechte grundsätzlich unvereinbar damit sind, dass Steuerbehörden zum Nachweis einer Steuerhinterziehung Beweise verwenden dürfen, die im Rahmen eines parallel geführten, noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens gegen dieselbe Person erlangt wurden(13).

39.      Ich sehe keinen Grund, warum dieser Grundsatz nicht auch für einen Fall wie den im Ausgangsverfahren gelten sollte, in dem die Beweismittel im Rahmen verwaltungs- oder strafrechtlicher Verfahren gegen die Lieferanten des Unternehmens erlangt wurden. Wie die Kommission angemerkt hat, ist es eine gängige – und vollkommen legitime – Praxis der Steuerverwaltungen, in Fällen, in denen die Prüfung eines Steuerpflichtigen Verdachtsmomente im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit bestimmter Umsätze ergibt, zusätzliche Prüfungen bei den in der Lieferkette vorhergehenden oder nachfolgenden Steuerpflichtigen durchzuführen. Diese Prüfungen können zur Eröffnung paralleler (Straf- oder Verwaltungs‑)Verfahren gegen andere Steuerpflichtige führen, die sich auf denselben Sachverhalt gründen und auf dieselben Beweismittel stützen(14).

40.      Daher stellt der Umstand, dass bestimmte Dokumente von einem Verfahren in ein anderes übernommen werden, für sich genommen keine Verletzung der Verteidigungsrechte des Steuerpflichtigen dar, gegen den sich das zuletzt genannte Verfahren richtet.

41.      Diese allgemein bestehende Möglichkeit ist jedoch an wichtige Voraussetzungen geknüpft. Wenn die Steuerverwaltung ihre Feststellungen in einer nachfolgenden Entscheidung auf solche Dokumente stützen will, so muss sie: i) dem Steuerpflichtigen, gegen den diese Dokumente als Beweis in einer nachfolgenden Entscheidung verwendet werden sollen, Zugang zu den Dokumenten gewähren; ii) diesem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, im Hinblick auf diese Dokumente gehört zu werden und Beweise für sein Vorbringen vorzulegen; iii) in ihrer Entscheidung ausdrücklich Bezug auf die einschlägigen Dokumente und ihre Bedeutung für die Entscheidung nehmen und dabei das entscheidungserhebliche Vorbringen des Steuerpflichtigen aufgreifen, darauf antworten oder es zurückweisen. Dies gilt unabhängig davon, ob vorher schon eine auf diese Dokumente gestützte, nunmehr bestandskräftige Entscheidung ergangen ist.

42.      Der Umstand, dass Feststellungen als in einer früheren Entscheidung erwiesen angesehen werden, entbindet die Steuerbehörden nicht von ihrer Pflicht, nachfolgende Entscheidungen gegen andere Steuerpflichtige ordnungsgemäß zu begründen und entsprechende Beweise vorzulegen. Jede Entscheidung der Steuerbehörden, einem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug zu versagen, muss grundsätzlich eine eigenständige Entscheidung sein, in der die Schlussfolgerungen der Behörden angemessen und unabhängig begründet und belegt sind.

43.      Jede andere Herangehensweise würde die Verteidigungsrechte der von nachfolgenden Verfahren betroffenen Steuerpflichtigen erheblich beeinträchtigen, denn sie säßen zwischen zwei Stühlen: Sie könnten bestimmte Feststellungen in den früheren Entscheidungen nicht anfechten, weil sie an diesen Verfahren nicht beteiligt wären, und die fraglichen Feststellungen im Rahmen ihres eigenen Verfahrens nicht anfechten, weil die Behörden an die früheren Entscheidungen gebunden wären.

44.      In extremen Fallgestaltungen könnte dies auch darauf hinauslaufen, dass überhaupt keine Verteidigung möglich ist, insbesondere wenn (was bei groß angelegten Betrugsfällen nicht selten vorkommt) Verfahren gegen Unternehmen eingeleitet werden, die liquidiert werden, nicht mehr bestehen oder einfach kein Interesse daran haben, sich selbst zu verteidigen. In der zuletzt genannten Art Fälle würde die Steuerverwaltung mit einer Art erga-omnes-Wirkung Tatsachen feststellen und rechtlich einordnen, und diese Ergebnisse würden niemals tatsächlich angefochten werden.

45.      Diese Erwägungen führen mich zum Kern der Angelegenheit, nämlich der Beurteilung der Vereinbarkeit einer nationalen Bestimmung wie § 1 Abs. 3a der Besteuerungsordnung mit dem Unionsrecht. Wie oben in Nr. 27 erwähnt, ist die Art und Weise, in der diese Bestimmung auszulegen und anzuwenden ist, zwischen den Parteien streitig. Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, nationales Recht auszulegen. Daher werde ich mich im Hinblick auf diese konkrete Bestimmung nicht festlegen, sondern meine Bemerkungen auf einige allgemeine Aussagen beschränken.

46.      Der Umstand, dass die Steuerbehörden grundsätzlich gesetzlich dazu verpflichtet sind, denselben Sachverhalt oder dasselbe Rechtsverhältnis einheitlich zu beurteilen, ist naturgemäß nicht problematisch. Vielmehr fördert er, wie die ungarische Regierung vorträgt, die Rechtssicherheit und gewährleistet die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Ergänzend sind jedoch zwei wesentliche Einschränkungen zu beachten.

47.      Erstens ist bei der Auslegung einer Bestimmung wie § 1 Abs. 3a der Besteuerungsordnung die Logik und Struktur des Mehrwertsteuersystems zu berücksichtigen. Einzelne Steuerpflichtige können nicht allein deshalb für das rechtswidrige Verhalten anderer Steuerpflichtiger verantwortlich gemacht werden, weil sie Partei des Rechtsverhältnisses waren, das zum Entstehen der betreffenden Steuerschuld geführt hat. Die Verantwortung muss in jedem Einzelfall für den jeweiligen Steuerpflichtigen in der Lieferkette nachgewiesen werden(15).

48.      Zweitens kann eine entsprechende Bestimmung des nationalen Rechts nur so weit gehen, dass die Steuerbehörden verpflichtet sind, in allen konnexen Angelegenheiten dieselbe Herangehensweise zu verfolgen, sofern keine triftigen Gründe entgegenstehen. Mit anderen Worten: Eine entsprechende Bestimmung ist nur insoweit zulässig, als sie die Steuerbehörden nicht de iure oder de facto daran hindert, in einem anderen Verfahren zu einem anderen Ergebnis zu kommen, wenn neue Gründe angeführt oder neue Beweise vorgelegt werden.

49.      Aus diesen Gründen könnten einer nationalen Bestimmung oder Praxis, nach der die Steuerbehörden in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht an Feststellungen gebunden sind, die in konnexen Entscheidungen getroffen worden sind, wenn sie anders als in der soeben umrissenen Art und Weise ausgelegt und angewandt würde, eine Reihe wichtiger Grundsätze entgegenstehen. Außerdem darf durch eine entsprechende Auslegung die den Steuerbehörden obliegende Beweislast nicht „verwässert“ oder gar auf den Steuerpflichtigen abgewälzt werden, wodurch im Ergebnis das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer beeinträchtigt und zugleich die Verteidigungsrechte des Steuerpflichtigen verletzt würden.

C.      Umfang des Rechts des Steuerpflichtigen auf Akteneinsicht

50.      Die zweite in diesem Verfahren aufgeworfene Frage betrifft die Pflicht der Steuerbehörden, dem Steuerpflichtigen Zugang zu den in dem ihn betreffenden Steuerverfahren verwendeten Beweismitteln zu gewähren. Insbesondere erbittet das vorlegende Gericht in diesem Fall, ähnlich wie das nationale Gericht in der Rechtssache Ispas(16), Hinweise zum wann, was und wie dieses Zugangs.

51.      Zum ersten Punkt ist zu berücksichtigen, dass das Recht auf Akteneinsicht für die Ausübung der Verteidigungsrechte von Personen, deren Interessen durch die Entscheidung einer Behörde berührt werden, wesentlich ist.

52.      Der Grundsatz der Achtung der Verteidigungsrechte setzt voraus, dass der Adressat einer beschwerenden Entscheidung in die Lage versetzt werden muss, seinen Standpunkt vorzutragen, bevor die Entscheidung getroffen wird, damit die zuständige Behörde alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigen kann. Der Zweck dieser Regel besteht in erster Linie darin, dem Adressaten zu ermöglichen, einen Fehler zu berichtigen oder individuelle Umstände vorzutragen, die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt der Entscheidung sprechen(17).

53.      Akteneinsicht muss zu irgendeinem Zeitpunkt während des Verwaltungsverfahrens gewährt werden, aber jedenfalls vor dem Erlass einer abschließenden Entscheidung durch die Behörden. Der Steuerpflichtige muss ausreichend Zeit haben, um sich mit den Dokumenten der Behörden vertraut zu machen und seine Verteidigung entsprechend vorzubereiten.

54.      Ein Steuerpflichtiger sollte Akteneinsicht erhalten, bevor ein etwaiges Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Akteneinsicht ermöglicht dem Steuerpflichtigen auch, eine fundierte Entscheidung zu treffen, ob er die Verwaltungsentscheidung vor dem zuständigen Gericht anfechten möchte(18).

55.      Daher kann die Offenlegung zu einem späteren Zeitpunkt – erst im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren, in dem die Entscheidung der Verwaltungsbehörde angefochten wird – grundsätzlich die schon im Verwaltungsverfahren eingetretene Verletzung der Verteidigungsrechte einer Partei nicht beheben(19).

56.      Was nun die Art der Unterlagen angeht, die die Behörden dem Steuerpflichtigen zugänglich machen müssen, gegen den ermittelt wird, so möchte ich betonen, dass das Recht auf Akteneinsicht bedeutet, dass der Steuerpflichtige in der Lage sein muss, sämtliche Unterlagen in der Ermittlungsakte zu prüfen, die für die Ausübung seiner Verteidigungsrechte relevant sind.

57.      Genauer gesagt gehören dazu erstens die Bestandteile der Akte, auf die sich die Behörden bei ihrer Entscheidung gegen den Steuerpflichtigen stützen wollen(20). Das heißt, im Fall von Glencore hätte diesem Unternehmen Zugang zu sämtlichen Beweisen gewährt werden müssen, auf die sich die Behörde zum Beweis dessen gestützt hat, dass das Unternehmen von der fraglichen Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen müssen.

58.      In diesem Zusammenhang scheint mir der Hinweis angebracht zu sein, dass ein Recht auf Zugang unabhängig von der Herkunft des Dokuments und dem Zusammenhang besteht, in dem es erlangt wurde (z. B. in einem parallelen Verwaltungs- oder Strafverfahren gegen einen anderen Steuerpflichtigen), jedenfalls sofern nicht eine Ausnahme greift(21). Dabei ist irrelevant, ob die Unterlagen, auf die die Behörden sich gestützt haben, körperlich von einer Ermittlungsakte in eine andere übertragen worden sind: Soweit diese Unterlagen als Beweise in einem nachfolgenden Verfahren verwendet werden sollen, müssen sie dem von diesem nachfolgenden Verfahren betroffenen Steuerpflichtigen zugänglich gemacht werden. Ob dies durch die Vorlage einer Kopie der angeforderten Dokumente oder durch die Möglichkeit der (gegebenenfalls teilweisen) Einsicht des Steuerpflichtigen in die Akte des konnexen Verfahrens geschieht, ist Sache des Mitgliedstaats. Es kommt nur darauf an, dass der Steuerpflichtige tatsächlich die Möglichkeit hat, Einsicht in die ursprünglichen Beweismittel zu nehmen.

59.      Zweitens umfasst das Recht auf Akteneinsicht zwangsläufig auch andere Unterlagen, die, auch wenn sich die Behörden in ihrer Begründung vielleicht nicht unmittelbar auf sie gestützt haben, das Verhalten des Steuerpflichtigen betreffen, das Gegenstand der Ermittlungen ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, muss nach Art. 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) den Personen, gegen die ermittelt wird, nicht nur Zugang zu „für den Sachverhalt unmittelbar relevanten Beweismitteln“ gewährt werden, sondern auch zu „anderen Beweismitteln, die einen Zusammenhang mit der Zulässigkeit, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der Beweismittel“ aufweisen können(22).

60.      Drittens umfasst das Recht auf Zugang nicht nur belastende, sondern auch entlastende Beweise, die gegebenenfalls von den Steuerbehörden zusammengetragen worden sind(23). Das bedeutet, dass der Steuerpflichtige Einsicht in Dokumente und Informationen erhalten sollte, die sich als günstig für ihn erweisen könnten, weil sie ihn möglicherweise entlasten oder ganz allgemein Widersprüche zu den Schlussfolgerungen enthalten können, die die Steuerbehörden aus den übrigen ihnen zur Verfügung stehenden Beweisen gezogen haben(24).

61.      Dagegen ist das Recht auf Akteneinsicht, wie ich in der Rechtssache Ispas ausgeführt habe, nicht so auszulegen, dass der Steuerpflichtige berechtigt sein muss, „die vollständigen Akten einzusehen“, wenn damit die „vollständigen Dokumente und Informationen, die sich im Besitz der Verwaltungsbehörden befinden“ gemeint sind, einschließlich „Angaben, die nicht unmittelbar mit einer erlassenen Entscheidung in Zusammenhang stehen, wie etwa interne Vermerke, Entwürfe, Hilfsberechnungen und sämtliche von Dritten erhaltenen Informationen“(25).

62.      Umso weniger sehe ich eine Grundlage für einen Anspruch auf vollständige Einsicht in die Akten von Parallelverfahren gegen andere Steuerpflichtige, immer vorausgesetzt, dass alle relevanten Dokumente, auf die sich die Steuerbehörde stützen möchte, in die andere Akte „übernommen“ wurden und die Einsicht dort gewährt wurde(26).

63.      Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen, die mit der fraglichen Maßnahme verfolgt werden, und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet(27). Daher kann das Recht auf Akteneinsicht in Fällen beschränkt werden, in denen dies unbedingt erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass wichtige öffentliche Interessen (wie etwa die Geheimhaltung in laufenden Ermittlungsverfahren) geschützt oder die Grundrechte Dritter (z. B. die Vertraulichkeit von personenbezogenen Daten oder Geschäftsgeheimnissen) nicht übermäßig beeinträchtigt werden(28).

64.      Es ist jedoch Sache der Behörden, nachzuweisen, dass die Voraussetzungen solcher Ausnahmen vorliegen; dies kann gerichtlich überprüft werden(29). Dessen ungeachtet müssen die Behörden prüfen, ob eine teilweise Offenlegung von Unterlagen erfolgen kann, die unter eine der Ausnahmen fallen; dies erfordert insbesondere die Prüfung, ob ein auf bestimmte Teile der Dokumente beschränkter Zugang möglich und nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand für die Behörden verbunden ist(30). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die Handhabung umfangreicher Unterlagen und gegebenenfalls eine Nachbearbeitung von Dokumenten in modernen IT‑Umgebungen sehr viel einfacher geworden ist als früher.

65.      Was schließlich die Art und Weise betrifft, in der der Zugang gewährt werden muss, möchte ich betonen, dass aus den oben in Nr. 58 erläuterten Gründen ein bloßer Verweis auf frühere Entscheidungen, bei denen die betreffenden Unterlagen als Beweismittel verwendet wurden, nicht ausreicht. Ebenso wenig genügt eine Beschreibung der im Besitz der Steuerbehörden befindlichen Beweismittel in Form eines zusammenfassenden Berichts den Anforderungen an das Recht auf Akteneinsicht des Steuerpflichtigen, es sei denn, Letzterer hat die Möglichkeit, die konkreten Unterlagen zu prüfen und gegebenenfalls eine Kopie zu verlangen. Es ist in der Tat von größter Bedeutung, dass der Steuerpflichtige, sofern er das möchte, die Möglichkeit erhält, die Originalunterlagen „in Augenschein zu nehmen“.

D.      Gerichtliche Überprüfung

66.      Schließlich scheint mir geboten, kurz auf den Umfang einzugehen, in dem das nationale Gericht Entscheidungen der Steuerbehörden, einem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug auf bestimmte Umsätze zu versagen, zu überprüfen hat.

67.      Das zuständige Gericht sollte eine Gesamtbewertung aller relevanten Tatsachen und Umstände des anhängigen Verfahrens vornehmen, um festzustellen, ob dem betreffenden Steuerpflichtigen hinsichtlich der Lieferungen, auf die sich die fragliche Steuerhinterziehung bezog, das Recht auf Vorsteuerabzug zustand.

68.      Natürlich kann das nationale Gericht dabei nicht an Feststellungen der Steuerbehörden gebunden sein, die in den angefochtenen Entscheidungen oder in Entscheidungen gegen andere Steuerpflichtige getroffen worden sind, selbst wenn diese bestandskräftig geworden sind.

69.      Nach Art. 47 der Charta muss die Prüfungskompetenz des nationalen Gerichts sich auf sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Umstände erstrecken, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sind(31). Für die Erfüllung der Anforderungen, die sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ableiten, kommt es in diesem Zusammenhang darauf an, dass die Beteiligten all diese Umstände kennen und dazu vortragen können(32).

70.      Im Kontext eines Gerichtsverfahrens muss das nationale Gericht auch (notfalls in einem Zwischenverfahren) die Rechtmäßigkeit der gegen den Steuerpflichtigen verwendeten Beweise einschließlich der aus anderen Verfahren „übernommenen“ Beweise am Maßstab des Unionsrechts überprüfen können. Wie der Gerichtshof im Urteil WebMindLicenses festgestellt hat, erfordert die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Nachprüfung, „dass das Gericht, das die Rechtmäßigkeit einer das Unionsrecht durchführenden Entscheidung nachprüft, prüfen kann, ob die Beweise, auf die diese Entscheidung gestützt wird, nicht unter Verletzung der durch das Unionsrecht, insbesondere die Charta, garantierten Rechte erlangt wurden“. Dieses Erfordernis ist dann erfüllt, „wenn das mit einer Klage gegen den Bescheid der Steuerbehörde über die Mehrwertsteuernacherhebung befasste Gericht befugt ist, nachzuprüfen, ob die aus einem parallel geführten, noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren stammenden Beweise, auf die der Bescheid gestützt wird, in diesem Strafverfahren im Einklang mit den durch das Unionsrecht garantierten Rechten erlangt wurden, oder sich zumindest aufgrund einer von einem Strafgericht im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens bereits ausgeübten Nachprüfung vergewissern kann, dass die Beweise im Einklang mit dem Unionsrecht erlangt wurden“(33).

71.      Hervorzuheben ist, dass der Gerichtshof in diesem Urteil weiter festgestellt hat: „[W]enn dieses Erfordernis nicht erfüllt ist und folglich das Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf nicht wirksam ist oder ein anderes durch das Unionsrecht garantiertes Recht verletzt wird, sind die im Rahmen des Strafverfahrens erlangten und im Steuerverwaltungsverfahren verwendeten Beweise zurückzuweisen und ist der angefochtene Bescheid, der sich auf diese Beweise gründet, aufzuheben, wenn er deswegen keine Grundlage hat.“(34)

72.      Wäre das vorlegende Gericht nicht in der Lage, die Feststellungen der Steuerbehörden oder die Art und Weise, in der die vorgelegten Beweise erhoben wurden, zu überprüfen, so läge auch eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit vor, der eine logische Folge des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf ein faires Verfahren ist.

73.      Nach ständiger Rechtsprechung gebietet der Grundsatz der Waffengleichheit, dass es jeder Partei angemessen ermöglicht wird, ihren Standpunkt sowie ihre Beweise unter Bedingungen vorzutragen, die sie nicht in eine gegenüber ihrem Gegner deutlich nachteilige Position versetzen. Dieser Grundsatz dient der Wahrung des prozeduralen Gleichgewichts zwischen den Parteien eines Gerichtsverfahrens, indem er ihnen gleiche Rechte und Pflichten gewährleistet, insbesondere hinsichtlich der Regeln der Beweisführung und der streitigen Verhandlung vor Gericht(35).

74.      Hervorzuheben ist, dass die Erklärungen und Feststellungen von Verwaltungsbehörden ganz allgemein, von wenigen kleineren Ausnahmen abgesehen, für die Gerichte nicht verbindlich sind und auch nicht verbindlich sein oder Letztere an einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung hindern können. Wie der Gerichtshof unlängst erneut betont hat, setzt der Begriff der Unabhängigkeit u. a. voraus, dass die betreffende Einrichtung ihre richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein, sei es unmittelbar (indem sie Anordnungen oder Anweisungen aus irgendeiner Quelle erhält(36)) oder mittelbar (indem sie an das Ergebnis einer Beurteilung im Rahmen eines anderen Rechtsakts oder einer anderen Entscheidung gebunden ist, insbesondere an praktisch von einer gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossene Verwaltungsakte(37)).

75.      Deshalb muss ein nationales Gericht, das mit dem Verfahren eines Steuerpflichtigen gegen eine Entscheidung der Steuerbehörden befasst ist, befugt sein, sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Umstände dieser Entscheidung – einschließlich der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung – zu überprüfen, und zwar unabhängig von der Herkunft der Beweise.

V.      Ergebnis

76.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn) wie folgt zu antworten:

–        Die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ausgelegt im Licht von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, schließen eine Bestimmung oder Praxis eines Mitgliedstaats nicht aus, nach der die Steuerverwaltung bei der Überprüfung des Rechts eines Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug die Feststellungen berücksichtigen muss, die sie in konnexen bestandskräftigen Entscheidungen getroffen hat, sofern

–        eine derartige Bestimmung oder Praxis, die die Logik und Struktur des Mehrwertsteuersystems beachten muss, die Steuerbehörden nicht de iure oder de facto daran hindert, in einem anderen Verfahren zu einem anderen Ergebnis zu kommen, wenn neue Gründe angeführt oder neue Beweise vorgelegt werden;

–        die Steuerbehörden grundsätzlich verpflichtet sind, vor dem Erlass einer abschließenden Entscheidung Zugang zu allen für die Ausübung der Verteidigungsrechte des Steuerpflichtigen relevanten Dokumenten zu gewähren, einschließlich solcher Unterlagen, die in konnexen Verwaltungs- oder Strafverfahren zusammengetragen worden sind. Eine Beschreibung der Beweise in Form eines zusammenfassenden Berichts reicht nicht aus, es sei denn, der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit, die konkreten Unterlagen zu prüfen und gegebenenfalls eine Kopie zu verlangen;

–        das mit der Klage gegen eine Entscheidung der Steuerbehörden befasste nationale Gericht befugt ist, sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Umstände dieser Entscheidung – einschließlich der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung – zu überprüfen, und zwar unabhängig von der Herkunft der Beweise.


1      Originalsprache: Englisch.


2      ABl. 2006, L 347, S. 1.


3      Vgl. insbesondere Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 27), in der nachfolgenden Klarstellung durch die Urteile vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B. (C‑42/17, EU:C:2017:936), und vom 2. Mai 2018, Scialdone (C‑574/15, EU:C:2018:295).


4      Vgl. z. B. Urteil vom 5. Juli 2018, Marle Participations (C‑320/17, EU:C:2018:537, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5      Vgl. unter vielen anderen Urteil vom 15. September 2016, Senatex (C‑518/14, EU:C:2016:691, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


6      Vgl. u. a. Urteile vom 28. Juli 2016, Astone (C‑332/15, EU:C:2016:614, Rn. 50), und vom 22. November 2017, Cussens u. a. (C‑251/16, EU:C:2017:881, Rn. 28).


7      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 25), und vom 2. Mai 2018, Scialdone (C‑574/15, EU:C:2018:295, Rn. 26).


8      Vgl. insbesondere Urteil vom 28. Juli 2016, Astone (C‑332/15, EU:C:2016:614, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Vgl. Urteile vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 35 bis 38 und 41), und vom 13. März 2014, FIRIN (C‑107/13, EU:C:2014:151, Rn. 40 bis 42).


10      Vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. November 2016, Signum Alfa Sped (C‑446/15, EU:C:2016:869, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. z. B. meine Schlussanträge in der Rechtssache Dzivev u. a. (C‑310/16, EU:C:2018:623, Nrn. 24 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 65 und 68).


13      Ebd., Rn. 68 und 90.


14      Vgl. z. B. Urteile vom 21. Juni 2012, Mahagében und Dávid (C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 17 und 25), und vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 14). Vgl. auch Beschluss vom 15. Juli 2015, Itales (C‑123/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:511, Rn. 14 und 15).


15      Siehe oben, Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


16      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Ispas (C‑298/16, EU:C:2017:650, Nr. 99).


17      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a. (222/86, EU:C:1987:442, Rn. 15).


19      Dies kann allerdings anders sein, wenn das gegen die Entscheidung der Verwaltung eingeleitete Verfahren „automatisch [bewirkt], dass die Vollziehung der beschwerenden Entscheidung ausgesetzt und diese sofort außer Kraft gesetzt wird“. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 54 ff.).


20      Vgl. z. B. Urteil vom 9. November 2017, Ispas (C‑298/16, EU:C:2017:843, Rn. 32).


21      Siehe unten, Nrn. 63 und 64 der vorliegenden Schlussanträge.


22      Vgl. Urteil des EGMR vom 11. Dezember 2008, Mirilashvili/Russland (CE:ECHR:2008:1211JUD000629304, § 200 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier. Auch wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK natürlich in erster Linie einen zivil- und einen strafrechtlichen Zweig besitzt, hat der EGMR die Regelungen in Art. 6 Abs. 1 EMRK auf bestimmte Arten von Steuerverfahren angewandt. Die vom EGMR entwickelten Grundsätze können daher als allgemeine Hinweise zu dem Standard dienen, der in einem Verfahren wie dem, um das es im Ausgangsverfahren geht, anzuwenden ist, und zwar unabhängig von der (getrennten) Prüfung, ob im Einzelfall die verhängte Geldbuße tatsächlich als Sanktion mit „strafrechtlichem“ Charakter angesehen werden kann.


23      Vgl. entsprechend Urteil vom 13. September 2018, UBS Europe u. a. (C‑358/16, EU:C:2018:715, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil des EGMR vom 5. April 2012, Chambaz/Schweiz (CE:ECHR:2012:0405JUD001166304, § 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24      Vgl. Urteil vom 1. Juli 2010, Knauf Gips/Kommission (C‑407/08 P, EU:C:2010:389, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Ispas (C‑298/16, EU:C:2017:650, Nrn. 100, 116 und 121).


26      Siehe oben, Nr. 58 der vorliegenden Schlussanträge.


27      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 42), und vom 9. November 2017, Ispas (C‑298/16, EU:C:2017:843, Rn. 35).


28      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, Ispas (C‑298/16, EU:C:2017:843, Rn. 36).


29      Vgl. in diesem Sinne Urteil des EGMR vom 16. Februar 2000, Jasper/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2000:0216JUD002705295, § 56).


30      In diesem Sinne, vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juni 2012, Kommission/Agrofert Holding (C‑477/10 P, EU:C:2012:394, Rn. 79).


31      Vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 62).


32      Vgl. entsprechend Urteil vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a. (C‑89/08 P, EU:C:2009:742, Rn. 56).


33      Urteil vom 17. Dezember 2015 (C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 87 und 88).


34      Ebd., Rn. 89.


35      Vgl. z. B. Urteil vom 28. Juli 2016, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a. (C‑543/14, EU:C:2016:605, Rn. 40 und 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


36      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 42 und 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


37      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:339, Nrn. 50, 51 und 102).