Language of document : ECLI:EU:T:2021:615

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte Kammer)

22. September 2021(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das einen Roller darstellt – Älteres Geschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Offenbarung des älteren Geschmacksmusters – Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑686/20,

Asian Gear BV mit Sitz in Pijnacker (Niederlande), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B. Gravendeel,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Markakis als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Multimox Holding BV mit Sitz in Rijen (Niederlande), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Schmidt,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 3. September 2020 (Sache R 1043/2018-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Asian Gear und Multimox Holding

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov sowie der Richter E. Buttigieg und D. Petrlík (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 16. November 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 26. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 4. März 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des am 9. September 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antrags der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens,

aufgrund der am 16. September 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Stellungnahmen des EUIPO und der Streithelferin zu dem Aussetzungsantrag,

aufgrund der Entscheidung vom 20. September 2021, mit der der Aussetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen worden ist,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 19. November 2006 meldete die Streithelferin, die Multimox Holding BV, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Das angemeldete und im vorliegenden Fall angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster wird in folgender Ansicht wiedergegeben:

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3        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Benutzung für folgende Erzeugnisse in Klasse 12.11 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt: „Fahrräder und Motorräder“.

4        Das angegriffene Geschmacksmuster wurde unter der Nr. 607155-0004 eingetragen und mit der Erzeugnisangabe „Roller“ im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 131/2006 vom 21. November 2006 veröffentlicht.

5        Am 12. September 2016 beantragte die Klägerin, die Asian Gear BV, gemäß Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters.

6        Als Nichtigkeitsgrund wurde Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 angeführt.

7        Der Antrag auf Nichtigerklärung wurde auf ein in China unter der Nr. CN3568787 eingetragenes älteres Geschmacksmuster (im Folgenden: chinesisches Geschmacksmuster) gestützt.

8        Mit Entscheidung vom 30. April 2018 gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung u. a. mit der Begründung statt, dass die Klägerin eine frühere Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters rechtlich hinreichend nachgewiesen habe.

9        Am 6. Juni 2018 legte die Streithelferin beim EUIPO gegen diese Entscheidung eine Beschwerde nach den Art. 55 und 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

10      Mit Entscheidung vom 3. September 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde statt. Sie hob daher die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und wies den Antrag auf Nichtigerklärung zurück. Ihrer Ansicht nach war es der Klägerin nicht gelungen, eine frühere Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters nachzuweisen.

 Anträge der Parteien

11      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder dahin abzuändern, dass das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig erklärt wird;

–        hilfsweise, die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung zu bestätigen und die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

12      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen,

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

13      Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten einschließlich der Aufwendungen der Streithelferin, die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO notwendig waren, aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zuständigkeit des Gerichts

14      Das EUIPO ist der Ansicht, dass sich das Gericht nicht zum ersten Teil des zweiten Antrags äußern könne, der auf die Bestätigung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung gerichtet sei, da er auf den Erlass eines Bestätigungs- oder Feststellungsurteils durch das Gericht abziele.

15      Das Gericht ist zwar gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 nur befugt, die Entscheidungen der Beschwerdekammern aufzuheben oder abzuändern, und daher nicht für den Erlass von Feststellungsurteilen zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2020, Gamma-A/EUIPO – Zivju pārstrādes uzņēmumu serviss [Verpackung für Lebensmittel], T‑352/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:94, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      In Ausübung seiner Abänderungsbefugnis kann das Gericht jedoch nach Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer deren Befugnisse ausüben. Die Beschwerdekammer kann aber die bei ihr eingelegte Beschwerde zurückweisen und damit im Wesentlichen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bestätigen, mit der das fragliche Geschmacksmuster für nichtig erklärt wird. Unter diesen Umständen ist das Gericht befugt, dieselbe Zuständigkeit auszuüben, indem es gegebenenfalls die Nichtigkeit des fraglichen Geschmacksmusters feststellt und damit die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bestätigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2020, L. Oliva Torras/EUIPO – Mecánica del Frío [Anhängevorrichtungen für Fahrzeuge], T‑100/19, EU:T:2020:255, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Im vorliegenden Fall enthält die Klageschrift unter der Überschrift „Mit Schlussplädoyer“ zwei Anträge, die die Begründetheit der Klage betreffen. Auch wenn der zweite Antrag als „Alternative“ gestellt wird, haben die beiden Anträge in Wirklichkeit dieselbe Tragweite. Sie zielen nämlich zum einen auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zum anderen darauf ab, dass das Gericht die Entscheidung trifft, die nach Ansicht der Klägerin die Beschwerdekammer hätte treffen müssen, als sie mit der Beschwerde befasst war, nämlich entweder die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters festzustellen oder die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung, mit der die Nichtigkeit dieses Geschmacksmusters festgestellt wurde, zu bestätigen.

18      Daher ist davon auszugehen, dass die Klägerin zum einen beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und zum anderen, sie abzuändern, indem die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters erklärt und damit die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bestätigt wird. Unter diesen Umständen ist das Gericht für die Entscheidung über diese Anträge zuständig.

 Zur Begründetheit

19      Vorab ist festzustellen, dass sich einige Klagegründe und Argumente der Klägerin überschneiden, während andere unklar sind.

20      Die Klägerin stützt ihre Klage in Wirklichkeit offenbar auf fünf Klagegründe, mit denen sie im Wesentlichen erstens Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung, zweitens einen Verfahrensfehler, drittens einen Rechtsfehler bei der Auslegung und Anwendung von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002, viertens die fehlende Prüfung des die Wahrung des Urheberrechts betreffenden Nichtigkeitsgrundes und fünftens Beurteilungsfehler rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung

21      Mit ihrem ersten Klagegrund wirft die Klägerin der Beschwerdekammer erstens vor, bei ihren Feststellungen in Rn. 3 der angefochtenen Entscheidung zur Vorlage von Übersetzungen der Eintragung des chinesischen Geschmacksmusters und eines Screenshots „der SIPO-Datenbank“ [Datenbank des Amts für geistiges Eigentum der Volksrepublik China (SIPO)] durch die Klägerin sachliche Fehler begangen zu haben.

22      Diese Rüge geht in tatsächlicher Hinsicht fehl. In Rn. 3 der angefochtenen Entscheidung wird zum einen auf die Urkunde über das chinesische Geschmacksmuster und zum anderen auf einen Screenshot der SIPO-Datenbank verwiesen. Soweit die Klägerin dahin zu verstehen ist, dass sie geltend macht, sie habe dem EUIPO eine Übersetzung dieser Urkunde ins Deutsche vorgelegt, ist festzustellen, dass sie dies nicht nachgewiesen hat. Soweit die Klägerin dahin zu verstehen ist, dass die Beschwerdekammer zu Unrecht festgestellt habe, dass sie keine Übersetzung des Screenshots vorgelegt habe, ist festzustellen, dass in Rn. 3 der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich festgestellt worden ist, dass die Klägerin ihrem Antrag auf Nichtigerklärung diesen Screenshot „mit deutscher Übersetzung“ beigefügt hatte.

23      Zweitens macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe in Rn. 5 der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht angenommen, dass die Anmelderin des chinesischen Geschmacksmusters, nämlich die Sanyang Motorcycle Industry Co., Ltd, und die im chinesischen Geschmacksmusterregister genannte Inhaberin dieses Geschmacksmusters, nämlich die Zhejiang Sanyang Motorcycle Industry Co., Ltd, nicht ein und dieselbe rechtliche Einheit seien.

24      Insoweit ergibt sich aus Rn. 5 der angefochtenen Entscheidung nach ihrem Wortlaut und ihrer Stellung in dieser Entscheidung, dass sie keine Tatsachenfeststellungen der Beschwerdekammer enthält, sondern einen Teil der Zusammenfassung des Vorbringens der Streithelferin, die in Rn. 4 der angefochtenen Entscheidung beginnt und in Rn. 7 mit der Aufzählung der von ihr vorgelegten Unterlagen endet.

25      Der Klagegrund, mit dem Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung gerügt werden, geht daher in tatsächlicher Hinsicht fehl, so dass er zurückzuweisen ist.

 Zum zweiten Klagegrund: Verfahrensfehler

26      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe einen Verfahrensfehler begangen, da sie, bevor sie habe feststellen dürfen, dass die Klägerin den Nachweis einer früheren Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters nicht erbracht habe, sie zur Vorlage zusätzlicher Belege hätte auffordern oder selbst eine Überprüfung beim chinesischen Amt für geistiges Eigentum hätte vornehmen müssen.

27      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

28      Was die angebliche Verpflichtung der Beschwerdekammer betrifft, beim chinesischen Amt für geistiges Eigentum eine Überprüfung vorzunehmen, ist es nach der Rechtsprechung zum einen Sache desjenigen, der den Antrag auf Nichtigerklärung gestellt hat, dem EUIPO die erforderlichen Angaben vorzulegen und insbesondere das Geschmacksmuster, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, genau und vollständig zu identifizieren und wiederzugeben, um nachzuweisen, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden kann. Zum anderen ist es nicht Sache des EUIPO, sondern des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, die Beweise dafür vorzulegen, dass dieser Grund tatsächlich vorliegt (vgl. Urteil vom 17. September 2019, Aroma Essence/EUIPO – Refan Bulgaria [Körperpflegeschwamm], T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Unter diesen Umständen kann die Klägerin der Beschwerdekammer nicht vorwerfen, nicht von sich aus eine Überprüfung beim chinesischen Amt für geistiges Eigentum vorgenommen zu haben.

30      Die Klägerin macht auch zu Unrecht geltend, dass die Beschwerdekammer sie hätte auffordern müssen, zusätzliche Belege für die frühere Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters vorzulegen.

31      Da es sich bei dem Nichtigkeitsverfahren um ein Inter-partes-Verfahren handelt, obliegt es nämlich demjenigen, der die Nichtigerklärung beantragt, sich zu vergewissern, dass alle geltend gemachten älteren Geschmacksmuster eindeutig identifiziert und wiedergegeben werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2019, Körperpflegeschwamm, T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 30).

32      Außerdem bestimmt zwar Art. 31 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28), dass das EUIPO alle Stellungnahmen des Inhabers an den Antragsteller übermittelt und diesen auffordern kann, sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu zu äußern, doch wird der Beschwerdekammer mit dieser Vorschrift nicht die Verpflichtung auferlegt, die Beteiligten aufzufordern, ihre eigenen bei der Beschwerdekammer eingereichten Schriftsätze und Unterlagen zu vervollständigen (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 15. November 2007, Enercon/HABM [Windenergiekonverter], T‑71/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:342, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Dies gilt erst recht unter Umständen wie denen der vorliegenden Rechtssache, aus deren Akten, wie in Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, hervorgeht, dass die Streithelferin, die die andere Beteiligte des Inter-partes-Verfahrens ist, im Verfahren vor dem EUIPO gerügt hat, dass die Klägerin eine Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen habe. Trotz dieses Vorbringens hat die Klägerin jedoch keine zusätzlichen Belege für diese Offenbarung vorgelegt.

34      Unter diesen Umständen bestand für das EUIPO kein Anlass, die Klägerin aufzufordern, zusätzliche Belege vorzulegen, um ihren Antrag auf Nichtigerklärung zu stützen.

35      Nach alledem ist der Klagegrund eines Verfahrensfehlers zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Rechtsfehler bei der Auslegung und Anwendung von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002

36      Mit ihrem dritten Klagegrund wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, gegen Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen zu haben. Der Klagegrund besteht aus zwei Teilen.

37      Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe die Bösgläubigkeit der Streithelferin bei der Prüfung ihres Antrags auf Nichtigerklärung zu Unrecht nicht berücksichtigt.

38      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

39      Nach der Rechtsprechung ist im Rahmen der Prüfung des Nichtigkeitsgrundes der fehlenden Neuheit und Eigenart des fraglichen Geschmacksmusters die Frage der behaupteten Bösgläubigkeit des Inhabers dieses Geschmacksmusters unerheblich, da nicht über sein Verhalten zu entscheiden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 2010, Grupo Promer Mon Graphic/HABM – PepsiCo [Darstellung eines runden Werbeträgers], T‑9/07, EU:T:2010:96, Rn. 31).

40      Im Übrigen wird der Begriff der Gut- bzw. Bösgläubigkeit zwar in mehreren Artikeln der Verordnung Nr. 6/2002 ausdrücklich genannt, aber weder bei den Nichtigkeitsgründen in Art. 25 der Verordnung Nr. 6/2002 noch bei den Verteidigungsmitteln erwähnt, die im Nichtigkeitsverfahren vor dem EUIPO geltend gemacht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2012, Coverpla/HABM – Heinz-Glas [Fläschchen], T‑450/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:117, Rn. 48).

41      Der erste Teil des dritten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

42      Mit dem zweiten Teil des dritten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall die von der Klägerin behauptete frühere Offenbarung den in der Europäischen Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs nicht habe bekannt sein können.

43      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

44      Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 gilt im Sinne der Art. 5 und 6 dieser Verordnung ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es nach der Eintragung oder auf andere Weise bekannt gemacht oder wenn es ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, und zwar vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung, es sei denn, dass dies den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte.

45      Somit erfordert die Prüfung der Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters eine zweistufige Analyse, bei der erstens geprüft wird, ob die mit dem Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegten Nachweise zum einen den Tatbestand der Offenbarung eines Geschmacksmusters und zum anderen den zeitlichen Vorrang dieser Offenbarung vor dem Anmelde- oder Prioritätstag des fraglichen Geschmacksmusters belegen, und zweitens – falls der Inhaber des angegriffenen Geschmacksmusters das Gegenteil behauptet hat –, ob diese Tatsachen den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnten, da andernfalls eine Offenbarung als unwirksam angesehen und nicht berücksichtigt wird (vgl. Urteil vom 8. Juli 2020, Glimarpol/EUIPO – Metar [Druckluftwerkzeug], T‑748/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:321, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdekammer auf der ersten Stufe dieser Analyse in den Rn. 25 bis 27 der angefochtenen Entscheidung zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Klägerin den Tatbestand der Offenbarung des chinesischen Geschmacksmusters vor der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters nicht belegt habe.

47      Diese Schlussfolgerung hätte für sich genommen ausgereicht, um den auf eine solche frühere Offenbarung gestützten Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung zurückzuweisen. Zur zweiten Stufe der Analyse kommt es nämlich nur dann, wenn auf der ersten Stufe festgestellt wird, dass eine solche Offenbarung vorgelegen hat.

48      Die Beschwerdekammer hat also in den Rn. 28 bis 34 der angefochtenen Entscheidung lediglich ergänzend auf der zweiten Stufe der Analyse festgestellt, dass, selbst wenn das chinesische Geschmacksmuster, wie von der Klägerin geltend gemacht, am 11. Oktober 2016 offenbart worden sein sollte, diese Offenbarung den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs nicht hätte bekannt sein können.

49      Daher zielt die Klägerin, da es ihr nicht gelungen ist, die von der Beschwerdekammer auf der ersten Stufe der Prüfung gezogene Schlussfolgerung zu entkräften, nur auf die nichttragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung ab, die sich auf die zweiten Stufe der Prüfung des Vorliegens einer früheren Offenbarung beziehen.

50      Nach ständiger Rechtsprechung kann aber eine Begründung, selbst wenn sie sich als fehlerhaft herausstellen sollte, die Nichtigerklärung des mit diesem Fehler behafteten Rechtsakts dann nicht rechtfertigen, wenn sie nichttragenden Charakter hat und andere, den Rechtsakt hinreichend tragende Gründe vorliegen, so dass die gegen diese Begründung gerichteten Rügen ins Leere gehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2013, Boehringer Ingelheim International/HABM [RELY-ABLE], T‑640/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:225, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Unter diesen Umständen ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes als ins Leere gehend zurückzuweisen.

52      Demzufolge ist der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund: Fehlende Prüfung des die Wahrung des Urheberrechts betreffenden Nichtigkeitsgrundes

53      Mit ihrem vierten Klagegrund wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, zu Unrecht den Nichtigkeitsgrund nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002, der die Verletzung des Urheberrechts betrifft, nicht geprüft zu haben.

54      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

55      Insoweit ergibt sich aus Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002, dass der Antrag auf Nichtigerklärung schriftlich einzureichen und zu begründen ist. Außerdem bestimmt Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und vi der Verordnung Nr. 2245/2002, dass ein solcher Antrag die Angabe der Nichtigkeitsgründe sowie die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen enthalten muss.

56      Im vorliegenden Fall räumt die Klägerin selbst ein, dass sie den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002 in ihrem Nichtigkeitsantrag nicht angeführt hat.

57      Sie habe diesen Nichtigkeitsgrund jedoch mit ihrem Schreiben vom 12. Oktober 2017 geltend gemacht.

58      Diese Behauptung ist indes sachlich unzutreffend.

59      Wie sich nämlich aus den Seiten 2 und 3 des Schreibens vom 12. Oktober 2017 ergibt, das die Erwiderung der Klägerin auf die Stellungnahme der Streithelferin vom 14. März 2017 zum Nichtigkeitsantrag darstellt, nimmt die Klägerin mit diesem Schreiben zum Vorbringen der Streithelferin Stellung, wonach der Antrag auf Nichtigerklärung wegen einer rechtskräftigen Entscheidung unzulässig sei. In diesem Zusammenhang machte die Klägerin Ausführungen zu einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor einem niederländischen Gericht. Diesen Ausführungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die Klägerin die Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters aus dem in Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Grund geltend gemacht hätte.

60      Diese Schlussfolgerung wird auch nicht durch das Urteil der Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) vom 11. August 2021 in Frage gestellt, das dem Schreiben der Klägerin vom 9. September 2021 beigefügt ist und in dem dieses Gericht über das Urheberrecht an dem fraglichen Geschmacksmuster entschieden haben soll. Abgesehen davon, dass dieses Urteil nach der angefochtenen Entscheidung ergangen ist, ist festzustellen, dass die Klägerin vor dem EUIPO die Nichtigkeitsgründe des Art. 25 Abs. 1 Buchst. c oder f der Verordnung Nr. 6/2002 nicht geltend gemacht hat, so dass dieses Urteil für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung unerheblich ist.

61      Unter diesen Umständen ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob, wie vom EUIPO vorgetragen, der Nichtigkeitsgrund einer Verletzung des Urheberrechts im Nichtigkeitsantrag selbst hätte geltend gemacht werden müssen, um zulässig zu sein.

 Zum fünften Klagegrund: Beurteilungsfehler

62      Mit ihrem fünften Klagegrund, der sich gegen Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung richtet, macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass den für die Genehmigung von Fahrzeugen zuständigen Behörden des Königreichs der Niederlande und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland bereits in den Jahren 2004 und 2005 ein mit dem angegriffenen Geschmacksmuster entsprechendes Rollermodell vorgestellt worden sei.

63      Die Streithelferin tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

64      Da eine etwaige dem angegriffenen Geschmacksmuster vorausgegangene Offenbarung durch diese Zulassungsanträge nicht in Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung, wohl aber in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung erörtert wird, ist die Rüge der Klägerin dahin zu verstehen, dass sie sich gegen die entsprechenden Feststellungen in Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung richtet.

65      In Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer das Vorbringen der Klägerin zu den oben genannten Zulassungsanträgen zurückgewiesen. Sie hat erstens ausgeführt, dass die Zulassungsbescheinigungen keine Abbildung des chinesischen Geschmacksmusters zeigten, auf das sich die Klägerin zur Begründung ihres Antrags auf Nichtigerklärung stütze, sondern nur technische Zeichnungen eines Motorrollers, und dass ein Zusammenhang zwischen diesen Zeichnungen und dem chinesischen Geschmacksmuster von der Klägerin nicht dargelegt worden sei. Zweitens enthielten die von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen keine Angaben über das Datum des Inverkehrbringens der betreffenden Rollermodelle. Drittens habe die Klägerin den Zusammenhang zwischen dem Unternehmen „Taizhou Zhongneng Motorcyle Co. Ltd“ als Herstellerin der in diesen Bescheinigungen genannten Motorroller und dem Unternehmen „Zhejiang Sanyang Motorcycle Industry Co., Ltd.“ als Inhaberin des chinesischen Geschmacksmusters nicht dargelegt.

66      Dagegen wendet die Klägerin in ihrer Klageschrift lediglich ein, dass „[z]wischen der [der für die Zulassung der Fahrzeuge zuständigen niederländischen Behörde] vorgelegten technischen Zeichnung und dem … Äquivalent [im Vereinigten Königreich] eine eindeutige Übereinstimmung [besteht]“, dass „[d]as EUIPO … nicht [erklärt], warum es die Ähnlichkeit nicht sieht“, und dass „[d]a es sich um ein sachliches Urteil handelt, … das EUIPO dennoch einen falschen Standard gewählt hat, um es so zu interpretieren, gerade wie der Name Taizhou darin erscheint“.

67      Insoweit genügt die Feststellung, dass die Klägerin, die lediglich Behauptungen aufstellt, die in keiner Weise untermauert oder durch Beweise gestützt werden, mit diesem Vorbringen somit weder im Text der Klageschrift selbst noch durch einen Verweis auf die beigefügten Unterlagen einen Beleg für die Fehlerhaftigkeit der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung liefert.

68      Der fünfte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

69      Da keiner der von der Klägerin zur Stützung ihrer Anträge vorgebrachten Klagegründe durchdringt, ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

70      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

71      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

72      Außerdem hat die Streithelferin beantragt, der Klägerin die ihr im Verfahren vor der Beschwerdekammer entstandenen Kosten aufzuerlegen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung die Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer notwendig waren, als erstattungsfähige Kosten gelten. Die Klägerin ist daher auch zur Tragung der der Streithelferin im Verfahren vor der Beschwerdekammer entstandenen notwendigen Kosten zu verurteilen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Asian Gear BV trägt die Kosten einschließlich der der Multimox Holding BV entstandenen Kosten, die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) notwendig waren.

Kornezov

Buttigieg

Petrlík

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. September 2021.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.