Language of document : ECLI:EU:T:2011:360

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

13. Juli 2011(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Beteiligung am Kartell – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Geldbußen – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände“

In der Rechtssache T‑53/07

Trade-Stomil sp. z o.o. mit Sitz in Łódź (Polen), Prozessbevollmächtigte: F. Carlin, Barrister, und E. Batchelor, Solicitor,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch X. Lewis und V. Bottka, dann durch V. Bottka und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung, soweit sie die Trade-Stomil sp. z o.o. betrifft, der Entscheidung C(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadien-Kautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk), hilfsweise wegen Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen Trade-Stomil verhängten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters F. Dehousse (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Richterin I. Wiszniewska-Białecka und des Richters N. Wahl,

Kanzler: K. Pocheć, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2009

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit der Entscheidung C(2006) 5700 endg. vom 29. November 2006 (Sache COMP/F/38.638 – Butadien-Kautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass mehrere Unternehmen durch ihre Beteiligung an einem Kartell auf dem Markt für die genannten Produkte gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen hätten.

2        Die angefochtene Entscheidung ist an folgende Unternehmen gerichtet:

–        Bayer AG mit Sitz in Leverkusen (Deutschland);

–        The Dow Chemical Company mit Sitz in Midland, Michigan (Vereinigte Staaten) (im Folgenden: Dow Chemical);

–        Dow Deutschland Inc. mit Sitz in Schwalbach (Deutschland);

–        Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH (vormals Dow Deutschland GmbH & Co. OHG) mit Sitz in Schwalbach;

–        Dow Europe mit Sitz in Horgen (Schweiz);

–        Eni SpA mit Sitz in Rom (Italien);

–        Polimeri Europa SpA mit Sitz in Brindisi (Italien) (im Folgenden: Polimeri);

–        Shell Petroleum NV mit Sitz in Den Haag (Niederlande);

–        Shell Nederland BV mit Sitz in Den Haag;

–        Shell Nederland Chemie BV mit Sitz in Rotterdam (Niederlande);

–        Unipetrol a.s. mit Sitz in Prag (Tschechische Republik);

–        Kaučuk a.s. mit Sitz in Kralupy nad Vltavou (Tschechische Republik);

–        Trade-Stomil sp. z o.o. mit Sitz in Łódź (Polen) (im Folgenden: Stomil).

3        Dow Deutschland, Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe stehen unmittelbar oder mittelbar vollständig unter der Kontrolle von Dow Chemical (im Folgenden zusammen: Dow) (Erwägungsgründe 16 bis 21 der angefochtenen Entscheidung).

4        Der Eni-Geschäftsbereich für die fraglichen Produkte wurde ursprünglich von der EniChem Elastomeri Srl geführt, die von Eni mittelbar über ihre Tochtergesellschaft EniChem SpA (im Folgenden: EniChem SpA) kontrolliert wurde. Zum 1. November 1997 wurde EniChem Elastomeri in die EniChem SpA eingegliedert. Diese wurde zu 99,97 % von Eni kontrolliert. Am 1. Januar 2002 übertrug die EniChem SpA ihren strategischen Geschäftsbereich Chemie (einschließlich Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) auf ihr 100%iges Tochterunternehmen Polimeri. Dieses steht seit dem 21. Oktober 2002 unmittelbar und vollständig unter der Kontrolle von Eni. Mit Wirkung vom 1. Mai 2003 firmierte die EniChem SpA um in Syndial SpA (Erwägungsgründe 26 bis 32 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission verwendet in der angefochtenen Entscheidung die Bezeichnung „EniChem“ für alle im Besitz von Eni stehenden Gesellschaften (im Folgenden: EniChem) (36. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

5        Shell Nederland Chemie ist eine Tochtergesellschaft von Shell Nederland, die wiederum vollständig unter der Kontrolle von Shell Petroleum steht (im Folgenden zusammen: Shell) (Erwägungsgründe 38 bis 40 der angefochtenen Entscheidung).

6        Die 1997 gegründete Kaučuk ging aus dem Zusammenschluss der Kaučuk Group a.s. und der Chemopetrol Group a.s. hervor. Am 21. Juli 1997 erwarb Unipetrol alle Vermögenswerte, Rechte und Pflichten der zusammengeschlossenen Unternehmen. Unipetrol hält 100 % der Anteile an Kaučuk (Erwägungsgründe 45 und 46 der angefochtenen Entscheidung). Im Übrigen wurde Kaučuk (wie auch ihre Rechtsvorgängerin Kaučuk Group) laut der angefochtenen Entscheidung in Exportangelegenheiten von 1991 bis zum 28. Februar 2003 von der in der Tschechischen Republik niedergelassenen Tavorex s.r.o. (im Folgenden: Tavorex) vertreten. Tavorex habe Kaučuk ab 1996 in allen einschlägigen Sitzungen der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk vertreten (49. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

7        Stomil vertrat laut der angefochtenen Entscheidung rund 30 Jahre lang und jedenfalls bis 2001 den polnischen Hersteller Chemical Company Dwory S.A. (im Folgenden: Dwory) bei dessen Ausfuhrgeschäften. Stomil habe Dwory von 1997 bis 2000 in den Sitzungen der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk vertreten (51. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

8        Hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung wurden folgende Zeiträume berücksichtigt: 20. Mai 1996 bis 28. November 2002 (für Bayer, Eni und Polimeri), 20. Mai 1996 bis 31. Mai 1999 (für Shell Petroleum, Shell Nederland und Shell Nederland Chemie), 1. Juli 1996 bis 28. November 2002 (für Dow Chemical), 1. Juli 1996 bis 27. November 2001 (für Dow Deutschland), 16. November 1999 bis 28. November 2002 (für Unipetrol und Kaučuk), 16. November 1999 bis 22. Februar 2000 (für Stomil), 22. Februar 2001 bis 28. Februar 2002 (für Dow Deutschland Anlagengesellschaft) und 26. November 2001 bis 28. November 2002 (für Dow Europe) (Erwägungsgründe 476 bis 485 und Art. 1 der angefochtenen Entscheidung).

9        Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR) sind synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie sind untereinander und auch mit anderen synthetischen Kautschuken sowie mit Naturkautschuk austauschbar (Erwägungsgründe 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung).

10      Neben den Adressaten der angefochtenen Entscheidung verkauften auch andere Anbieter aus Asien und Osteuropa begrenzte Mengen von BR und ESBR im Gebiet des EWR. Außerdem stellen die wichtigsten Reifenhersteller große Mengen von BR selbst her (54. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

11      Am 20. Dezember 2002 wandte sich Bayer mit dem Wunsch an die Kommission, mit ihr gemäß ihrer Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) in Bezug auf BR und ESBR zusammenzuarbeiten. In Bezug auf ESBR gab Bayer eine mündliche Erklärung ab, in der die Tätigkeit des Kartells beschrieben ist. Diese Erklärung wurde auf Band aufgezeichnet (67. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

12      Am 14. Januar 2003 gab Bayer eine mündliche Erklärung über die Kartelltätigkeit in Bezug auf BR ab. Diese mündliche Erklärung wurde auf Band aufgezeichnet. Bayer übergab auch eine Reihe von Protokollen von Sitzungen des Ausschusses für BR der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk (68. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

13      Am 5. Februar 2003 teilte die Kommission Bayer ihren Beschluss mit, ihr einen bedingten Erlass der Geldbuße zu gewähren (69. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

14      Am 27. März 2003 führte die Kommission eine Nachprüfung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), auf dem Gelände von Dow Deutschland & Co. durch (70. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

15      In der Zeit von September 2003 bis Juli 2006 richtete die Kommission an die Adressaten der angefochtenen Entscheidung mehrere Auskunftsverlangen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17 und Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) (71. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

16      Am 16. Oktober 2003 besuchten Vertreter von Dow Deutschland und Dow Deutschland & Co. die Kommission und schlugen eine Zusammenarbeit gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit vor. Dabei gaben sie eine mündliche Erklärung über die Kartelltätigkeit in Bezug sowohl auf BR als auch ESBR ab. Diese Erklärung wurde aufgezeichnet. Außerdem übergaben sie eine Akte mit Unterlagen zu dem Kartell (72. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

17      Am 4. März 2005 teilte die Kommission Dow Deutschland mit, dass sie die Absicht habe, ihr eine Ermäßigung der Geldbuße von 30 % bis 50 % zu gewähren (73. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

18      Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission das Verfahren und richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Adressaten der angefochtenen Entscheidung – mit Ausnahme von Unipetrol – sowie an Dwory. Die erste Mitteilung der Beschwerdepunkte war auch an Tavorex gerichtet, wurde dem Unternehmen jedoch aufgrund seiner Liquidation im Oktober 2004 nicht übermittelt. Das Verfahren gegen Tavorex wurde daher eingestellt (Erwägungsgründe 49 und 74 der angefochtenen Entscheidung).

19      Die betroffenen Unternehmen nahmen zu dieser ersten Mitteilung der Beschwerdepunkte schriftlich Stellung (75. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Ihnen wurde Einsicht in die Ermittlungsakte in Form einer CD-ROM gewährt, und sie erhielten in den Räumlichkeiten der Kommission Zugang zu den mündlichen Erklärungen und den damit verbundenen Schriftstücken (76. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

20      Am 3. November 2005 beantragte die Manufacture Française des Pneumatiques Michelin (im Folgenden: Michelin), als Intervenientin zugelassen zu werden. Ihre schriftlichen Ausführungen gingen am 13. Januar 2006 ein (78. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

21      Am 6. April 2006 richtete die Kommission an die Adressaten der angefochtenen Entscheidung eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte. Die betroffenen Unternehmen nahmen dazu schriftlich Stellung (84. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

22      Am 12. Mai 2006 reichte Michelin bei der Kommission eine Beschwerde gemäß Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] durch die Kommission (ABl. L 123, S. 18) ein (85. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

23      Am 22. Juni 2006 fand vor der Kommission eine mündliche Anhörung statt, an der alle Adressaten der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte – mit Ausnahme von Stomil – sowie Michelin teilnahmen (86. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

24      Mangels Beweisen für eine Mitwirkung von Dwory an der Zuwiderhandlung beschloss die Kommission, das Verfahren gegen dieses Unternehmen einzustellen (88. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Außerdem beschloss sie, das Verfahren gegen Syndial einzustellen (89. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

25      Zudem legte die Kommission, nachdem sie zunächst zwei getrennte Akten (COMP/E-1/38.637 für BR und COMP/E-1/38.638 für ESBR) geführt hatte, nach der ersten Mitteilung der Beschwerdepunkte die beiden Sachen zu einer einzigen Sache zusammen (COMP/F/38.638) (Erwägungsgründe 90 und 91 der angefochtenen Entscheidung).

26      Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der angefochtenen Entscheidung durch die Kommission.

27      Nach Art. 1 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung haben folgende Unternehmen gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, da sie während der genannten Zeiträume an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festlegten, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufteilten und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor austauschten:

a)      Bayer vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002;

b)      Dow Chemical vom 1. Juli 1996 bis zum 28. November 2002, Dow Deutschland vom 1. Juli 1996 bis zum 27. November 2001, Dow Deutschland Anlagengesellschaft vom 22. Februar 2001 bis zum 28. Februar 2002, Dow Europe vom 26. November 2001 bis zum 28. November 2002;

c)      Eni vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002, Polimeri vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002;

d)      Shell Petroleum vom 20. Mai 1996 bis zum 31. Mai 1999, Shell Nederland vom 20. Mai 1996 bis zum 31. Mai 1999, Shell Nederland Chemie vom 20. Mai 1996 bis zum 31. Mai 1999;

e)      Unipetrol vom 16. November 1999 bis zum 28. November 2002, Kaučuk vom 16. November 1999 bis zum 28. November 2002;

f)      Stomil vom 16. November 1999 bis zum 22. Februar 2000.

28      Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung in der angefochtenen Entscheidung setzte die Kommission gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen fest, die anhand der in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), sowie in der Mitteilung über Zusammenarbeit beschriebenen Methode berechnet wurden.

29      In Art. 2 der angefochtenen Entscheidung werden folgende Geldbußen festgesetzt:

a)      Bayer: 0 Euro;

b)      Dow Chemical: 64,575 Mio. Euro, wobei

i)      Dow Deutschland gesamtschuldnerisch für 60,27 Mio. Euro haftet;

ii)      Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe jeweils für 47,355 Mio. Euro gesamtschuldnerisch haften;

c)      Eni und Polimeri: gesamtschuldnerisch 272,25 Mio. Euro;

d)      Shell Petroleum, Shell Nederland und Shell Nederland Chemie: gesamtschuldnerisch 160,875 Mio. Euro;

e)      Unipetrol und Kaučuk: gesamtschuldnerisch 17,55 Mio. Euro;

f)      Stomil: 3,8 Mio. Euro.

30      In Art. 3 der angefochtenen Entscheidung wird den in Art. 1 aufgeführten Unternehmen aufgegeben, die dort genannten Zuwiderhandlungen unverzüglich einzustellen, soweit dies nicht bereits geschehen ist, und künftig von der Wiederholung der in Art. 1 genannten Handlungen oder Verhaltensweisen sowie von allen Maßnahmen abzusehen, die denselben oder einen ähnlichen Zweck bzw. dieselbe oder eine ähnliche Wirkung haben.

 Verfahren und Anträge der Parteien

31      Mit Klageschrift, die am 19. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Stomil die vorliegende Klage erhoben.

32      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 2. April 2009 ist Richter N. Wahl zur Vervollständigung der Kammer nach der Verhinderung eines ihrer Mitglieder bestimmt worden.

33      Das Gericht (Erste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

34      Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht die Parteien aufgefordert, bestimmte Fragen zu beantworten und bestimmte Unterlagen vorzulegen. Die Parteien sind diesen Aufforderungen fristgerecht nachgekommen.

35      Die Parteien haben in der Sitzung vom 20. Oktober 2009 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

36      Stomil beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung, insbesondere deren Art. 1 bis 4, für nichtig zu erklären, soweit sie sich an sie richtet;

–        hilfsweise,

–        Art. 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sich an sie richtet,

–        oder Art. 2 der angefochtenen Entscheidung, soweit er sich an sie richtet, dergestalt zu ändern, dass die Geldbuße für nichtig erklärt oder erheblich herabgesetzt wird;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

37      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        Stomil die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

38      Die Klage von Stomil beruht auf 14 Gründen. Diese Klagegründe betreffen im Wesentlichen die Stomil zur Last gelegte Beteiligung am Kartell, die Tatsache, dass die Kommission Stomil zur Verantwortung gezogen habe, obwohl sie für Dwory tätig geworden sei, die Dauer der Zuwiderhandlung und die Höhe der Geldbuße. Überdies beantragt Stomil den Erlass prozessleitender Maßnahmen, mit denen der Kommission insbesondere aufgegeben werden soll, ihr Einsicht in die Erklärungen zu geben, die die Unternehmen im Rahmen der Mitteilung über Zusammenarbeit abgegeben haben.

39      Zunächst ist der erste von Stomil geltend gemachte Klagegrund zu prüfen, mit dem sie rügt, dass es keine Belege für ihre Beteiligung am Kartell gebe.

 Erster Klagegrund: Fehlen von Belegen für die Beteiligung von Stomil am Kartell

 Vorbringen der Parteien

–       Vorbringen von Stomil

40      Stomil trägt vor, die Kommission habe gegen Art. 81 EG verstoßen, da sie ihre Beteiligung am Kartell nicht in rechtlich hinreichender Weise belegt habe.

41      Die Kommission lege ihr die Teilnahme an zwei Kartelltreffen zur Last, und zwar an den Treffen am 16. November 1999 in Frankfurt (Deutschland) und am 22. Februar 2000 in Wermelskirchen (Deutschland). Die Schlussfolgerungen der Kommission entbehrten der Grundlage. Darüber hinaus gebe es keinen anderen Beleg für ihre Beteiligung an dem fraglichen Kartell.

–       Zur Teilnahme von Stomil an dem Treffen am 16. November 1999 in Frankfurt

42      Stomil macht geltend, aus den von der Kommission angeführten Beweisen ergebe sich nicht, dass sie am Abend des 16. November 1999 im Hotel Méridien an einem inoffiziellen Treffen am Rande der offiziellen Sitzung der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk teilgenommen habe.

43      Insbesondere habe Herr L. (Stomil) nicht im Hotel Méridien übernachtet und sei nach der Sitzung der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk, die am 16. November 1999 um 11 Uhr geendet habe, abgereist. Dies gehe aus zwei Erklärungen von Herrn L. (Stomil) und einem Hotelbeleg hervor. Sie habe ihre Sachverhaltsdarstellung nicht, wie die Kommission in ihren Schriftsätzen behaupte, geändert. Sie habe ihre Teilnahme an dem fraglichen Kartelltreffen stets in Abrede gestellt. Ihr Vorbringen sei zulässig, und die Bezugnahme der Kommission auf das Urteil des Gerichts vom 8. März 2007, France Télécom/Kommission (T‑339/04, Slg. 2007, II‑521), gehe fehl.

44      Die im 202. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebene Erklärung von Dow sei nicht verlässlich, da sie nur durch Herrn P. (Bayer) bestätigt werde, der am Abend des 16. November 1999 nicht in Frankfurt gewesen sei. Insoweit sei auf mehrere Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu verweisen. Nach der Rechtsprechung stelle deshalb die unbestätigte Behauptung von Dow, gegen die sich Stomil und die übrigen Beschuldigten während des Verwaltungsverfahrens gewandt hätten, keinen angemessenen Beweis für die Teilnahme von Stomil an diesem Treffen dar. Auch Herr L. (EniChem) könne am Abend des 16. November 1999 nicht in Frankfurt gewesen sein.

45      Es gebe keinen Beweis für die Anwesenheit von Herrn L. (Stomil). Die Kostennote von Herrn F. (Dow) enthalte keine Angaben zum Grund der Zahlung oder zu den etwaigen Teilnehmern an einem Treffen. In den handschriftlichen Notizen von Herrn N. (Dow) werde weder Herr L. (Stomil) noch Stomil erwähnt. Höchstwahrscheinlich handele es sich bei diesen Notizen um einen Merkzettel von Herrn N. Von Dwory sei zwar in den Notizen die Rede (unter der Bezeichnung „OS“). Es gebe jedoch mehrere Belege dafür, dass Stomil nicht die Quelle der in den fraglichen Notizen erwähnten Auskünfte sein könne. Diese handschriftlichen Notizen seien daher persönliche Schätzungen von Herrn N. oder stammten aus öffentlichen Quellen. Insbesondere gehe der letzte Kontakt von Stomil zu Michelin auf das zweite Halbjahr 1998 zurück, als Dwory ihr mitgeteilt habe, dass sie die Verkäufe von ESBR an diesen Kunden wieder übernehmen werde. Goodyear sei von Stomil zuletzt im Jahr 1999 oder 2000 beliefert worden. Die Firma „TGA“ sei Stomil nicht bekannt. Schließlich habe Stomil das „Inlandspotential“ von Dwory bei ESBR nicht kennen können, da Letztere ein reiner Exporteur gewesen sei. Zudem stünden drei Hauptkunden von Stomil, nämlich Vredestein, Nokian und Pegasus, nicht auf der Liste. Im Übrigen hätten die Kartellmitglieder Stomil und Dwory regelmäßig und mehrfach verwechselt.

46      Die Kommission räume in der Klagebeantwortung ein, dass das in der angefochtenen Entscheidung erwähnte Treffen am 16. November 1999 tatsächlich nicht stattgefunden habe. Die Kommission versuche dabei, die Sachverhaltsfeststellungen in der angefochtenen Entscheidung durch eine Theorie zu ersetzen, nach der am 15. November 1999 ein Kartelltreffen stattgefunden habe. Dafür gebe es aber keinen Beweis. Der einzige von der Kommission vorgelegte Beweis sei eine Quittung gleichen Datums, derzufolge an der Bar Getränke zum Preis von 89,50 DEM serviert worden seien. Aus dieser Quittung ergebe sich nicht, was besprochen worden sei oder ob es sich bei der Besprechung um ein unzulässiges Verhalten gehandelt haben könnte. Der angefochtenen Entscheidung sei im Übrigen zu entnehmen, dass die Rechnung der Bar von Herrn F. (Dow) und nicht von Herrn P. (Bayer) bezahlt worden sei, und zwar am 16. November 1999. Schließlich behaupte die Kommission, dass Herr T. (Kralupy) an unzulässigen Gesprächen teilgenommen habe, obwohl aus der Kostennote von Herrn P. hervorgehe, dass Herr T. nicht zugegen gewesen sei.

47      Die Einbeziehung dieses neuen angeblichen Treffens beeinträchtige die Verteidigungsrechte und die Begründungspflicht gegenüber Stomil, die nie Gelegenheit gehabt habe, im Verwaltungsverfahren auf diese Behauptung zu antworten.

48      Im Übrigen führe der Fehler der Kommission zur Rechtswidrigkeit von Art. 1 der angefochtenen Entscheidung, in dem Stomil die Beteiligung an der fraglichen Zuwiderhandlung ab 16. November 1999 zur Last gelegt werde. Nach dem Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 2003, Ventouris/Kommission (T‑59/99, Slg. 2003, II‑5257, Randnrn. 31 bis 33), dürfe der verfügende Teil einer Entscheidung nur dann im Licht ihrer Gründe ausgelegt werden, wenn er unklar formuliert sei. Im vorliegenden Fall gebe es im verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung keine Unklarheit.

–       Zur Teilnahme von Stomil an dem Treffen am 22. Februar 2000 in Wermelskirchen

49      Stomil trägt vor, es gebe keinen Beweis dafür, dass sich die Teilnehmer an einer Sitzung eines Unterausschusses der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk, die am 22. Februar 2000 in Wermelskirchen stattgefunden habe, in wettbewerbswidriger Weise verhalten hätten.

50      Die Kommission gehe jedoch im 446. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass die Kartellteilnahme von Stomil mit dieser Sitzung geendet habe.

–       Zum Fehlen anderer Belege für die Beteiligung von Stomil am Kartell

51      Stomil macht geltend, da der einzige von der Kommission vorgelegte Beweis ihre Beteiligung am Kartell nicht belege, könne den übrigen in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen allgemeinen Behauptungen keine Beweiskraft zukommen.

52      Insbesondere gebe es erstens keine Beweise für ihre Mitwirkung an irgendeiner Preisabsprache. Bayer spreche in ihrer im 114. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Erklärung von Dwory und nicht, wie die Kommission angebe, von Stomil. Stomil habe in der Zeit nach 1999 mit Dwory an den Sitzungen der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk teilgenommen. Auch Dow nenne Stomil nicht als Teilnehmer an Gesprächen über Preise. Insoweit sei auf den 115. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zu verweisen. Das Gleiche gelte für die Beweise von Shell, die sich auf die Zeit vom 30. August 1995 bis zum 31. Mai 1999 bezögen (Erwägungsgründe 119, 120 und 123 der angefochtenen Entscheidung).

53      Zweitens gebe es keinen Beweis für ihre Beteiligung an einer Marktaufteilung. In der im 125. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Erklärung von Dow werde weder der Gegenstand der Vereinbarung noch ihr Zeitpunkt genannt, und sie enthalte auch keine Angaben dazu, ob Stomil oder Dwory betroffen gewesen sei. Die Schlussfolgerung der Kommission, dass Dow auf Stomil habe Bezug nehmen wollen, entbehre jeder Grundlage.

54      Drittens sei hinsichtlich des Austauschs sensibler Geschäftsinformationen allein die Sitzung am 16. November 1999 in Frankfurt relevant. Im Übrigen sei die im 133. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung erwähnte Bestätigung von Shell für den Stomil betreffenden Zeitraum ohne Bedeutung. Zudem habe Stomil, wie bereits dargelegt, für den in der angefochtenen Entscheidung genannten Zeitraum nicht über sensible Informationen in Bezug auf die ESBR-Lieferungen von Dwory verfügt.

55      Die weiteren in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen allgemeinen Behauptungen reichten im Übrigen als Beleg für die Beteiligung von Stomil am Kartell nicht aus. Die Erwägungsgründe 155, 156, 158 und 159 bezögen sich entweder auf Dwory oder belegten nicht, dass sich Stomil in wettbewerbswidriger Weise verhalten habe.

 Vorbringen der Kommission

–       Zur Teilnahme von Stomil an dem Treffen am 16. November 1999 in Frankfurt

56      Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass nach der Beschreibung in der angefochtenen Entscheidung (Erwägungsgründe 199 bis 212) in den ersten Stunden des 16. November 1999 ein inoffizielles Treffen stattgefunden habe, bei dem Preisabsprachen getroffen und Informationen über die wichtigsten Kunden ausgetauscht worden seien.

57      Stomil habe in der Klageschrift ihre Darstellung des Sachverhalts geändert. Sie stütze ihr Bestreiten der Teilnahme an dem fraglichen Kartelltreffen nunmehr auf den Ort, an dem sich Herr L. (Stomil) am Abend des 16. November 1999 befunden habe. Auf diesen Sachverhalt habe sich Stomil aber im Verwaltungsverfahren nicht berufen. Infolgedessen müsse das Gericht nach der Rechtsprechung die von Stomil zur Stützung ihres Vorbringens angeführten Anhaltspunkte (die beiden Erklärungen von Herrn L. [Stomil] und dessen Hotelrechnung) als unzulässig ansehen. Zudem seien diese Unterlagen in der Sache unerheblich. Überdies verfüge die Kommission über Beweise dafür, dass am Abend des 15. November 1999 ein inoffizielles Treffen stattgefunden habe und dass Herr L. (Stomil) daran teilgenommen habe, und zwar insbesondere über eine Hotelrechnung und ein Formular mit einer Kostennote von Herrn P., die in der Ermittlungsakte enthalten seien.

58      Entgegen dem Vorbringen von Stomil enthalte die im 204. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebene Erklärung von Dow klare Angaben zur Anwesenheit von Herrn L. (Stomil) bei den Kartellgesprächen. Diese Erklärung werde von Bayer bestätigt (205. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Was die handschriftlichen Notizen von Herrn N. (Dow) angehe, beziehe sich ihr erster Teil auf einen größeren als den BR-Markt, der für Stomil definitiv von Interesse gewesen sei. Außerdem sei die Beziehung zwischen Stomil und Dwory erst kürzlich und teilweise nach und nach beendet worden, so dass die ausgetauschten Informationen mit hoher Wahrscheinlichkeit für Stomil interessant und relevant gewesen seien. Die Kommission verfüge somit über ausreichende Beweise für die Anwesenheit und Beteiligung von Stomil bei dem Kartelltreffen am 15. und 16. November 1999.

59      In Abschnitt 4.3.8 der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission den Beweis erbracht, dass am „15. und 16 November 1999“ ein Treffen stattgefunden habe. Das Treffen am 15. November 1999 sei daher nicht „neu“. Im Übrigen verwechsle Stomil zwei Kostenbelege. Herr P. habe die Rechnung der Bar Casablanca bezahlt. Herr F. wiederum habe die Miete des Sitzungssaals bezahlt. Die Chronologie der Ereignisse sei somit nicht geändert worden. Es gebe auch keine Unstimmigkeit bei den von der Kommission herangezogenen Beweisen.

60      Schließlich werde im verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung, insbesondere in ihrem Art. 1 Buchst. f, nicht ausdrücklich erwähnt, dass Stomil am 15. November 1999 an einem Treffen teilgenommen habe. In der angefochtenen Entscheidung heiße es, dass Stomil in der Zeit vom 16. November 1999 bis zum 22. Februar 2000 an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG teilgenommen habe. Die Kommission habe nie behauptet, dass die bei diesem Treffen, am Abend des 15. November 1999, getroffenen Vereinbarungen unmittelbare Wirkungen entfaltet hätten. Das Treffen habe jedenfalls bis in die frühen Morgenstunden des 16. November 1999 gedauert.

–       Zur Teilnahme von Stomil an dem Treffen am 22. Februar 2000 in Wermelskirchen

61      Die Kommission führt aus, wie sich aus den Erwägungsgründen 213 bis 215 der angefochtenen Entscheidung ergebe, behaupte sie nicht, dass es bei dem Treffen am 22. Februar 2000 in Wermelskirchen rechtswidrige Aktivitäten gegeben habe. Infolgedessen sei das Vorbringen von Stomil insoweit gegenstandslos.

–       Zum Fehlen anderer Belege für die Beteiligung von Stomil am Kartell

62      Die Kommission trägt vor, sie habe in der angefochtenen Entscheidung nicht behauptet, dass das Treffen am 15. und 16. November 1999 zu einer expliziten Vereinbarung über die Marktanteilung geführt habe. Sie verfüge jedoch über Beweise dafür, dass Stomil bei diesem Treffen zugegen gewesen sei und an den Gesprächen über Preise und dem Austausch von Informationen teilgenommen habe. Die Teilnahme von Stomil werde durch die handschriftlichen Notizen und die Erklärungen von Dow (Erwägungsgründe 201 und 202 der angefochtenen Entscheidung) bestätigt. Die Teilnahme von Herrn L. (Stomil) und dessen Status als Mitarbeiter von Stomil würden von Dow und durch das von der Kommission vorgelegte Protokoll der offiziellen Sitzung belegt. Zudem bestätigten die in den Erwägungsgründen 155 und 156 der angefochtenen Entscheidung erwähnten Beweise von Bayer die Teilnahme von Herrn L. (Stomil).

 Würdigung durch das Gericht

63      In Bezug auf die Beweisführung für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG ist darauf hinzuweisen, dass es der Kommission obliegt, die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und Beweise beizubringen, die geeignet sind, das Vorliegen der Tatsachen, die eine Zuwiderhandlung darstellen, rechtlich hinreichend zu belegen (Urteile des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 58, und vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 86). Daher muss die Kommission genaue und übereinstimmende Beweise beibringen, die die feste Überzeugung begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde (vgl. Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2000, Volkswagen/Kommission, T‑62/98, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG schon dann vorliegt, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten (Urteile des Gerichtshofs vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnr. 112, und vom 29. Oktober 1980, van Landewyck u. a./Kommission, 209/78 bis 215/78 und 218/78, Slg. 1980, 3125, Randnr. 86; Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 256). Dem Richter verbleibende Zweifel müssen dem Unternehmen zugutekommen, an das die eine Zuwiderhandlung feststellende Entscheidung gerichtet ist. Der Richter darf daher nicht zu dem Schluss kommen, dass die Kommission das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn bei ihm noch Zweifel in dieser Hinsicht bestehen (Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 215).

64      Im Übrigen ist es üblich, dass die Tätigkeiten, mit denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen und Vereinbarungen verbunden sind, insgeheim ablaufen, dass die Zusammenkünfte heimlich stattfinden und dass die Unterlagen darüber auf ein Minimum reduziert werden. Selbst wenn die Kommission Schriftstücke findet, die eine unzulässige Kontaktaufnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen, handelt es sich folglich normalerweise nur um lückenhafte und vereinzelte Belege, so dass es häufig erforderlich ist, bestimmte Einzelheiten durch Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. In den meisten Fällen muss daher das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteile des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 55 bis 57, und vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, Slg. 2007, I‑729, Randnr. 51).

65      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beteiligung von Stomil an dem fraglichen Kartell nur für das rechtswidrige Treffen am 15. und 16. November 1999 in Frankfurt angenommen wird.

66      Insoweit geht die Kommission genauer gesagt davon aus, dass am Rande der offiziellen Sitzung der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk „am Abend und in der Nacht vom 16. November 1999“ ein Kartelltreffen stattgefunden habe (212. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Daran hätten die Herren P. (Bayer), F., N., V. (Dow), L. (Stomil), L. (EniChem) und T. (Tavorex) teilgenommen. Sie hätten sich zunächst in der Bar eines Hotels getroffen und dann einen Konferenzraum gemietet (202. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

67      Zunächst ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, dass die Ausführungen von Stomil, nach denen sich Herr L. (Stomil) am Abend des 16. November 1999 nicht in Frankfurt befunden habe, und die insoweit zu den Akten gegebenen Schriftstücke unzulässig seien. Stomil bestreitet nämlich vor dem Gericht nur den gegen sie in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Vorwurf. Außerdem ergibt sich aus den Akten, dass Stomil während des Verwaltungsverfahrens ihre Teilnahme an dem Kartelltreffen stets bestritten hat. Aus den nachstehend genannten Gründen ist jedenfalls festzustellen, dass die betreffenden Schriftstücke, wie die Kommission im Übrigen in ihren Schriftsätzen ausführt, für die Entscheidung über den Rechtsstreit nicht relevant sind.

68      In der Sache geht erstens aus den Akten hervor, dass sich Herr P. (Bayer), wie Stomil geltend macht, am Abend des 16. November 1999 nicht in Frankfurt befand. Dies räumt die Kommission ein.

69      Zweitens ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung mehrere Widersprüche hinsichtlich des genauen Zeitpunkts des fraglichen Kartelltreffens enthält. So nennt die Kommission im 212. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, gestützt auf die Erklärung von Dow, den „Abend und [die] Nacht vom 16. November 1999“. Ferner heißt es im 297. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, das fragliche Kartelltreffen habe „in der Nacht vom 15. zum 16. November 1999“ stattgefunden. Im Übrigen bezieht sich Abschnitt 4.3.8 der angefochtenen Entscheidung auf den 15. und 16. November 1999. Schließlich wird im verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung der 16. November 1999 als Zeitpunkt des Beginns der Zuwiderhandlung von Stomil angegeben.

70      Drittens ergeben sich auch aus mehreren inhaltlichen Gesichtspunkten Widersprüche hinsichtlich des mutmaßlichen Datums des fraglichen Kartelltreffens und hinsichtlich möglicher anderer Erklärungen seitens der Kommission. So wird in der Kostennote von Herrn P. (Bayer), die sich u. a. auf eine Zahlung an der Hotelbar in Höhe von 84,50 DEM bezieht, der 15. November 1999 genannt. Dagegen wurde die Zahlung der Miete für einen Konferenzraum in Höhe von 436 DEM am 16. November 1999 verbucht. Überdies wird in den handschriftlichen Notizen von Herrn N. (Dow) nur der 16. November 1999 erwähnt. Schließlich heißt es in der im 202. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Erklärung von Dow, das Kartelltreffen habe nach der am Morgen des 16. November 1999 durchgeführten offiziellen Sitzung der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk stattgefunden.

71      Viertens heißt es in der im 202. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Erklärung von Dow, die Herren P. (Bayer), F., N., V. (Dow), L. (Stomil), L. (EniChem) und T. (Tavorex) hätten sich zunächst in der Hotelbar getroffen und dann einen Konferenzraum gemietet. In der Kostennote von Herrn P. für die in der Bar beglichene Bewirtung, auf die die Kommission in ihren Schriftsätzen Bezug nimmt, wird aber auch erwähnt, dass die damalige Generalsekretärin der Europäischen Vereinigung der Hersteller von synthetischem Kautschuk (Frau C.) zugegen gewesen sei. Aus den Erwägungsgründen 95 und 115 der angefochtenen Entscheidung geht jedoch hervor, dass diese Generalsekretärin nie an Kartelltreffen teilnahm. Aus der bloßen Teilnahme von Herrn L. (Stomil) an dem Treffen in der Hotelbar kann daher nicht auf seine Teilnahme an einem Kartelltreffen geschlossen werden.

72      Fünftens steht in Bezug auf die handschriftlichen Notizen von Herrn N. (Dow) fest, dass die Kommission Stomil nicht für das Kartell bei BR zur Verantwortung gezogen hat. Der BR betreffende Teil der handschriftlichen Notizen von Herrn N. kann daher gegenüber Stomil keine Beweiskraft haben. Zu dem ESBR betreffenden Teil der handschriftlichen Notizen von Herrn N. ist festzustellen, dass neben den zum Kartell gehörenden Herstellern auch andere, ihm nicht angehörende Hersteller als Lieferanten bestimmter Kunden aufgeführt sind. Unter diesen besonderen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass nur zwischen bestimmten Herstellern Lieferschätzungen vorgenommen wurden, ohne dass sich genau klären lässt, ob Stomil dazu gehörte, insbesondere unter Berücksichtigung der hinsichtlich des mutmaßlichen Zeitpunkts des fraglichen Kartelltreffens bestehenden Widersprüche.

73      Bei einer Gesamtbetrachtung dieser spezifischen Gesichtspunkte des vorliegenden Falls ist das Gericht der Ansicht, dass Zweifel an der Teilnahme von Stomil an einem Kartelltreffen in Frankfurt am 15. und 16. November 1999 bestehen. Diese Zweifel müssen Stomil zugutekommen.

74      Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, dass die Anhaltspunkte in dem den Kartelltreffen gewidmeten Teil der angefochtenen Entscheidung, soweit sie sich auf Stomil beziehen, nicht ausreichen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass dieses Unternehmen an den fraglichen unzulässigen Absprachen beteiligt war.

75      Die Anhaltspunkte in dem der Beschreibung des Kartells gewidmeten Teil der angefochtenen Entscheidung (Abschnitt 4.2 der angefochtenen Entscheidung) können dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

76      Insoweit kann zwar nach Ansicht des Gerichts einigen in Abschnitt 4.2 der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Anhaltspunkten, insbesondere der allgemeinen Erklärung von Bayer in ihrem 156. Erwägungsgrund, ein gewisser Beweiswert beigemessen werden, doch reichen sie angesichts der vorstehend angesprochenen speziellen Anhaltspunkte in Bezug auf die Kartelltreffen und des Zweifels, der der Klägerin zugutekommen muss, nicht aus, um die Feststellung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung von Stomil zu rechtfertigen.

77      Im Licht all dieser Anhaltspunkte und im Rahmen ihrer umfassenden Würdigung ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission fälschlich von der Teilnahme von Stomil am Kartell ausgegangen ist.

78      Infolgedessen ist die angefochtene Entscheidung, soweit sie Stomil betrifft, für nichtig zu erklären, ohne dass die übrigen zur Stützung der Klage angeführten Gründe, insbesondere die Frage des Verhältnisses zwischen Geschäftsherrn und Vertretern im Rahmen von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln, oder der Antrag der Klägerin auf prozessleitende Maßnahmen geprüft zu werden brauchen.

 Kosten

79      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag von Stomil die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung C(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadien-Kautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) wird für nichtig erklärt, soweit sie die Trade-Stomil sp. z o.o. betrifft.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Dehousse

Wiszniewska-Białecka

Wahl

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Juli 2011.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.